Das bin ja so ich
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Das bin ja so ich
■ 2 Lebensart Kumpelhaft umarmt Tim Mälzer in seinem Lokal „Bullerei“ den Küchenchef Michael Wolf. Eine Pose? Wohl möglich. Aber vielleicht ist dies wirklich ein Ort, an dem alle die aller besten Freunde sind 96 stern 23/ 2012 „Das bin ja so ich“ Wer ist tim Mälzer? Gute Frage. Viele Jahre war der Fernsehkoch das wandelnde Imitat seines Vorbilds Jamie Oliver. Seine Botschaft: Kochen geht mühelos und ganz fix. Jetzt sieht er sich als Gastronom. Aber vielleicht studiert er auch noch mal ■ 2 Lebensart Von Bert Gamerschlag (Text) und Eva Haeberle (Fotos) Mälzer platzen derlei Sätze heraus, als hätte er sie lange schon auf dem gedanklichen Herd hin und her gewendet. Ähnlich ist es, wenn er sagt, im Grunde sei er seit dem Alter von acht Jahren ausgereift. Ein Scheidungskind, scharf beobachtend, schwer zu enttäuschen, wenig erwartend, gar nichts erhoffend, aus allem das Beste machend. Er nennt das seine „analytische Seite“. Den Fernsehkoch mit dem „Laberteppich“ (Mälzer) umgibt ein Schleier des Traurigen. „Ich bin der lachende und der weinende Clown“, sagt er, er habe dieses Klischee schon oft bemüht. Dass Mälzer heute ernst genommen wird, liegt auch an der Wiederauferstehung des gebrochenen Küchenkaspers, der zu seinem Bruch stand und steht. Er war zu schnell aus dem Nichts zum Superduperturbokoch geworden, getrieben von sich selbst, mehr aber noch von anderen. Vor allem war er nicht er M anchmal, wenn Tim Mälzer, 41, auf Mallorca landet und Nina ihn abholt, platzt es aus ihm heraus. „Kannst du“, raunzt er, „die Gummistiefel nicht wenigstens einmal dann ausziehen, wenn du mich abholst?“ Seine Freundin, sagt Mälzer triumphierend, sei noch schlimmer als er. Dabei ist er schon schlimm. Ein schwer zu bremsender Impulsivmensch, ein Chaot mit Tendenz zur patho logischen Verwahrlosung. Mit (früher mal) Sedimentschichten verkrusteter Teller und Töpfe im Spülstein und derlei Verwüstungen im Korridor, dass sich die Nachbarin durch die offene Tür ins Wohnzimmer pirschte, weil sie fürchtete, „bei dem jungen Mann“ sei eingebrochen worden. Aber Sich-gehen-Lassen war früher. Er hat sein Leben jetzt so unter Kontrolle, dass es stetig verläuft – nach einem Burnout mit Kollaps und Suizidtendenz 2006. Auf der unbegrenzt schnellen Lebensautobahn cruist er heute bewusst bei Tempo 130. Regel mäßig zieht er sein Ego in seine Parkbucht auf Mallorca, wo er eine Finca bewohnt, und erdet sich bei Nina, die mit ihren Modderstiefeln fest im Garten steht. Tim Mälzer ist ein Phänomen, er ist mehr als Deutschlands beliebtester Fernsehkoch. Er ist ein ernst genommener Charakter, eine Autorität nicht nur in Küchen-, fast schon in Lebensfragen. Wöchentlich kocht er in der ARD. Auch ist er als Volksaufklärer für gute Ernährung unterwegs. Seine Kochbücher „Born to Cook“ (I und II) sowie „Mälzer und Witzigmann“ verkaufen sich gut, und in Talkshows verkauft er sich gut. Sein Lokal Bullerei im Hamburger Schlachthofviertel läuft bestens, und er verdient, wie er sagt, „gutes Geld, wirklich tolles Geld“. Kaum einer aber weiß, wer dieser Mann Mälzer ist. Wie es kam, dass er jetzt dort ist, wo er ist. Dass er von Glück reden kann, überhaupt noch zu sein. Wobei er 98 stern 23/ 2012 Tim Mälzer in seiner Bullerei, einem Hamburger Restaurant mit New Yorker Loft-Charakter selbst kaum von „Glück“ spräche, dass er noch lebt. Wäre er tot, auch nicht schlimm. Tot ist tot. Da ist er emotionslos. Unlängst hat er „einen Mitarbeiter verloren, mit 26, das ist für mich okay. Wenn Leute sterben, sterben sie.“ Er empfindet keine Trauer, ist so. Er kultiviert Emotionslosigkeit, seziert nüchtern. „Ich nehme die Dinge genau wahr, durchschaue die Menschen, stelle aber nichts infrage. Die Frage ‚Warum?‘ gibt es bei mir nicht.“ Für ihn gilt nur das Wie. Wie gelingt die Sauce, wie funktioniert der Typ vor ihm, wie kontrolliert er eine Gruppe? Er könnte sich vorstellen, noch mal zu studieren. Welches Fach? „Psychologie.“ Um den Menschen besser zu verstehen? „Nein, um ihn besser zu manipulieren.“ selbst. Er war ein Plagiat – und unsicher. Er kochte in einem Hamburger Restaurant, als Fernsehleute den „deutschen Jamie Oliver“ suchten. Der echte Jamie hatte 1999 die britische Fernsehküche revolutioniert. Er war jung und trug T-Shirt, sabbelte und quatschte, schnodderte und schnackte im Londoner Vorstadtakzent. Voll der Proll. Er nahm das franzö sische „Oh, là, là“ aus der Fernsehküche, mischte den Salat mit den Händen und wischte sie an der Hose ab. Bei ihm lief alles schnell. Deutsche Fernsehmacher sind wenig innovativ – blöd sind sie nicht. 2003 finden sie Mälzer, ein Kind aus den Hamburger Vororten. Er ist jung und trägt T-Shirt, er sabbelt und quatscht, er schnoddert und schnackt im Jugendslang. Der Formattrans fer klappt, Mälzer wird rasch populär, und kaum ist das so, ➔ soll. Jemand schlägt ihm eine Hotellehre vor. Okay, Tim lernt im Hamburger Interconti, wo er und der Chef gleich eine Hass liebe pflegen. Mälzer ist Punk, ge scheit, aber wenig geschmeidig. Als der Chef übel gelaunt scheint, sagt Mälzer: „Na, Chef, heute schlecht geschissen?“ Mälzer darf fürs Erste das Kühl haus putzen. Am Ende hat sich der Chef nicht so, er öffnet ihm noch ein paar Türen in London. Doch auch dort, schon im Ritz, denkt Mälzer noch, den Löffel ab zugeben: „Die Arbeitszeiten, das Geld, der Ton, wie ich behandelt wurde, das Buckeln – ich wollte aufhören zu kochen.“ Born to cook – sieht anders aus. Nach dem Ritz trifft Mälzer auf Jamie Oliver, damals noch ein Niemand. Die beiden verstehen sich. Sie arbeiten zusammen im Restaurant „Neal Street“, einem Londoner Italiener. Erst dort end lich kann Chefkoch Gennaro Contaldo Mälzer infizieren mit dem Spaß am Produkt und am Kochen. Öfter mal kommt Jamie Oliver (r.) in Mälzers Show, die beiden sind Buddys kommt es zu weiteren Nachahmungen. Oliver gibt eigene Simpel-Kochbücher raus? Mälzer gibt auch Simpel-Kochbücher raus. Oliver kocht mit arbeitslosen Jugendlichen? Mälzer kündigt Kochen mit Arbeitslosen an. Oliver wirbt für eine eigene Pfanne? Tim wirbt für eine „Mälzer-Zange“. Oliver (eine Frau, vier Kinder) geht in die Schulen und kocht für Kinder? Mälzer (eine Freundin, keine Kinder) kocht in der „Sesamstraße“. Oliver prangert Massentierhaltung an? Mälzer klärt auf: das traurige Leben der armen Tiere aus der Massentierhaltung. Mälzer ist der weinende und der lachende Klon. Er wird zum Plagiat und wird reich, fragt sich aber: „Liegt das an mir, dass ich das mache, oder hab ich nur Glück gehabt?“ Wer ist er eigentlich? Mälzer ist berühmt für Anfälle rüder Offenheit, pflegt die Aura des Vorstadtprolls. Bei Johannes B. Kerner sagt Mälzer, Kartoffelpüree aus der Packung sei in Ord100 stern 23/ 2012 nung, was soll der Scheiß. Er steht für geringen Aufwand, mit Ehrlichkeit und Authentizität. Weswegen es ihn, der sonst so emotionsfrei ist, uncool auffahren lässt, wenn „so einer“ wie Gastrokritiker Jürgen Dollase über ihn urteilt, Mälzer koket tiere nur, er spiele den kulinarischen Tütenclown mit demselben Ziel, das alle Fernsehköche hätten: Geld zu machen. „Dafür hau ich ihm mal eine …“ Mälzer bremst sich. D och wie steht es mit seiner Echtheit? „Born to Cook“ heißen seine ersten Bücher – ein Leben für die Küche. Doch Mälzer ist alles andere als zum Koch geboren. Ziellos durchlebt er die Schule, der Vater nicht da, die Mutter in der Großküche, aus der sie Styroporboxen mit Kan tinenessen nach Hause bringt. Eine kulinarische Prägung gibt es nicht. Mälzer schafft das Abi, weiß aber nicht, was er damit machen W ährend Oliver ins „River Café“ wechselt und fürs Fernsehen entdeckt wird, geht Mälzer nach Hamburg und heuert bei Christian Rach an. In dessen Restaurant „Engel“ darf er wirken, zappeln und impro visieren. Dort speist Martin Lagoda, da mals Chefredakteur bei „essen & trinken“, ein Herr mit Fliege und Hang zu Nadelstreifen. Die zwei kommen ins Gespräch. Mälzer sabbelt und quatscht, schnoddert und schnackt. Lagoda ist amü siert. „Der Mälzer hat was, er erzeugt in seinem Lokal eine Stimmung schrankenloser Gesel ligkeit; Nadelstreifen und Gum mistiefel sitzen nebeneinander.“ In jenen Tagen gärt es im deutschen Kochfernsehen. Bei Vox haben die Jungs vom „Koch duell“ so lange dieselben Zutaten gerührt, dass die Sendesauce gerinnt. Was Neues muss her, warum nicht so einer wie Jamie Oliver? Vox gehört zu Bertels mann, „essen & trinken“ auch, man fragt Lagoda: „Wir brauchen schnell einen deutschen Jamie – wer kann das sein?“ Lagoda nennt Mälzer. Das Sendekonzept funktioniert auch bei uns. Mälzers Look, das Gelaber, das Herabzerren des Kochens vom Sockel der Kunst … „Schmeckt nicht, gibt’s nicht“ – so heißt die Sendung – wird ein Hit, dort geht alles schnell und mühelos. Hopp hopp, ramba zam ba, Essen ist fertig! Die Leute lieben Märchen von schneller Mühelosigkeit. Folglich kaufen sie die Bücher, Mälzer wird reich. Dass Kochen so nicht läuft, weiß er in Wahrheit auch. 2010 erscheint ein Kochbuch, dessen Rezepte er (Küchenbulle trifft Jahrhundertkoch) mit Eckart Witzigmann verantwortet. „Wenn man kocht, sollte man Zeit in vestieren und mit Muße arbeiten. Ich mache das Gegenteil“, gesteht Mälzer, „und tue immer so, als ginge alles ganz schnell. Juhu, schleudere Zutaten zusammen, voilà, fertig. Die Wirklichkeit funktioniert anders. Alles dauert einfach ein bisschen, und zumin dest zu Hause sollte man sich die Zeit dafür nehmen.“ Der Juhu-Ansatz ist also eine Masche. Aber Mälzer ehrt, dass er sie auf die Dauer nicht ertragen hat. Sein Tütenpüree-Auftritt bei Kerner war 2004, „Schmeckt nicht, gibt’s nicht“ lief bis 2007. Nach seinem Kollaps setzte er die Show nicht mehr lange fort. Von der Folge-Serie „Born to Cook“ liefen nur sechs Sendungen. Mit dem Witzigmann-Buch war Mäl zer in der Realität angelangt und ehrlich geworden. Nirgends fühlt er sich heute so wohl wie in seinem Lokal, der Bullerei. Im Grunde macht er dort, was er vor dem Fernsehen schon machte und immer wollte, nur auf eigene Kosten und mit Erfahrung im Rücken. Er schafft eine Stimmung gelassener Ge selligkeit für Nadelstreifer wie Gummistiefler. Wenngleich … also bitte, Nina, nicht auch noch beim Abholen! „Was?“, fragt er voll Unverständ nis, „du warst noch nie in der Bul lerei? Schau dir das mal an. Die 2 Bullerei, das bin ja so ich!“ 23/ 2012 stern 101 FOTOS: Matthias Haupt ■ 2 Lebensart