Band I Masterarbeit
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Band I Masterarbeit
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Band I Masterarbeit Vorgelegt von: Jörg Ziegler Erstgutachter: Polizeidirektor Michael Kuchenbecker Zweitgutachter: Polizeidirektor Michael Müller Münster, 30. Juli 2008 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung ............................................................................3 1.1 Problemstellung und Zielsetzung.................................................3 1.2 Vorgehensweise ...........................................................................6 1.3 Forschungsmethoden ...................................................................6 2. Entwicklungen.....................................................................8 2.1 Fußballsport und Fankultur..........................................................8 2.2 Definitionen und Abgrenzungen................................................12 2.3 Kategorisierungen ......................................................................15 2.3.1 Ausdifferenzierung der Fanszenerie nach Wilhelm Heitmeyer ........... 15 2.3.2 Ausdifferenzierung nach Rainer Kübert............................................... 16 2.3.3 Ausdifferenzierung nach ordnungsinstanzlichen Kriterien .................. 17 3. Beschreibung der italienischen Verhältnisse ....................20 3.1 Die italienische Ultrabewegung.................................................20 3.1.1 Geschichtliche Entwicklung................................................................. 20 3.1.2 Ultrabewegung und Gewalt.................................................................. 22 3.1.3 Strukturen der Ultrabewegung ............................................................. 25 3.1.4 Selbstverständnis und Rituale .............................................................. 26 3.1.5 Ultras und die Politik............................................................................ 31 3.2 Maßnahmen zur Verhinderung/Eindämmung der Gewalt.........32 3.2.1 Maßnahmen/Befugnisse der Polizei..................................................... 33 3.2.2 Maßnahmen der Vereine ...................................................................... 35 3.2.3 Maßnahmen der Verbände ................................................................... 36 3.2.4 Maßnahmen der Fans ........................................................................... 36 3.3 Aktuelle Gewaltsituation ...........................................................37 4. Beschreibung der deutschen Verhältnisse.........................39 4.1 Die deutsche Ultrabewegung .....................................................39 4.1.1 Abgrenzung zur italienischen Szene .................................................... 39 4.1.2 Entwicklung und Größe........................................................................ 41 1 4.1.3 Strukturen ............................................................................................. 43 4.1.4 Selbstverständnis, Rituale und Aktionen.............................................. 44 4.2 Gewaltsituation im deutschen Fußball.......................................51 4.2.1 Lagebild allgemein ............................................................................... 51 4.2.2 Aussagen zu Ultras und Gewalt ........................................................... 59 4.2.3 Ultras und die Nationalmannschaft ...................................................... 70 5. Was wird und was muss in Deutschland getan werden, um auf die Phänomene zu reagieren?..........................................74 5.1 Aus Sicht der Vereine/Fans und Ultras/Fanprojekte .................74 5.2 Aus Sicht der Verbände .............................................................78 5.3 Aus Sicht der Polizei..................................................................82 6. Einordnung der Gewaltphänomene in den europäischen Kontext ..................................................................................88 6.1 Darstellung der europäischen Vorschriftenlage.........................89 6.2 Durchgeführte und beabsichtige Maßnahmen der UEFA .........90 7. Zusammenfassung .............................................................92 8. Literaturverzeichnis...........................................................98 9. Anhang ............................................................................105 9.1 Abkürzungsverzeichnis............................................................105 9.2 Abbildungsverzeichnis.............................................................106 2 1. Einleitung 1.1 Problemstellung und Zielsetzung „Der Fußball ist keine Sache auf Leben und Tod. Er ist wichtiger als das.“ 1 Der Ausspruch von Bill Shankly, der sicher keinen Absolutheitsanspruch haben kann, unterstreicht aber eindrucksvoll, welchen Stellenwert der Fußball, zumindest in einem großen Teil der Bevölkerung hat. Für einzelne Fußballanhänger ist der Verein ihr Leben, ihre Familie und ihr zu Hause. Ohne ihren Verein existieren sie praktisch nicht, ihr Leben, sei es ihr Familien- oder Berufsleben richtet sich nach Spiel- oder Trainingszeiten ihrer Mannschaft. Es geht darum keine Minute zu verpassen, sodass auch bisweilen die Arbeit geschwänzt oder der ganze Jahresurlaub für Besuche von Heim- und Auswärtsspielen aufgebraucht wird. Das zu Hause gleicht teilweise einer Fankurve, wo ein Zimmer oder die gesamte Wohnung mit Fanutensilien aller Art dekoriert wird. Leider drückt sich dieser Stellenwert nicht nur in Leidenschaft und Begeisterung aus, sondern schlägt auch vielfach in Gewalt um. Die Bilder vom schwer verletzt am Boden liegenden französischen Gendarmen Daniel Nivel, der durch deutsche Hooligans 1998 in Lens niedergeschlagen und getreten wurde und bleibende Schäden erlitt, sind uns alle noch in schrecklicher Erinnerung. Danach wurden europaweit Anstrengungen unternommen, um eine Wiederholung ähnlicher Vorfälle zu verhindern. Vergeblich? Die Dimension der Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen hat in Italien eine neue Dimension bekommen. Am 02.02.2007 wurde der Polizeibeamte Filipo Raciti während eines Einsatzes beim Spiel der 1. italienischen Liga zwischen Catania Calcio und US Palermo getötet. Am 11.11.2007 wurde Gabrielle Sandri, ein Fan des Vereines Lazio Rom, auf einem Autobahnparkplatz in Norditalien von einem Polizeibeamten erschossen, während er dort mit anderen Fans eine Pause auf der Fahrt zu einem Fußballspiel einlegte. Die Vorfälle zeigen eine neue Dimension von Gewalt. 1 Brändle/Koller(2002): Goal. Vorwort 3 Neben den „Hooligans“ treten die sog. „Ultragruppierungen“ immer mehr in den Vordergrund des Geschehens. Die Ultras, die sich als die wahren Fans des Fußballs verstehen, mit sehr aufwendigen choreografischen Aktionen ihren Verein unterstützen und die Kommerzialisierung des Fußballs strikt ablehnen, vertreten ihre Ansichten und Forderungen zunehmend radikaler und gewalttätiger. Sie fordern die staatlichen Organe, Verbände und Vereine immer mehr zu angepassten sicherheits-, sport-, vereinspolitischen sowie polizeitaktischen Sichtweisen und Konzeptionen heraus, da der Druck auf die Verbände und Vereine durch die Ultras ernorm erhöht wurde und eine Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden förmlich ausgeschlossen wird. Die oben aufgeführten Vorfälle in Italien führten, wie später noch zu lesen sein wird, zu teilweise heftigen Reaktionen. Vonseiten der Fanszene kam es zu massiven Krawallen, Straßenschlachten mit der italienischen Polizei bis hin zu gewaltsamen Angriffen auf vereinzelte Polizeidienststellen. Die Politik reagierte neben institutionellen Änderungen mit massiven Interventionen, bis hin zur Absetzung kompletter Spieltage. In der Öffentlichkeit quer durch alle gesellschaftlichen Gruppen, Verbände und Institutionen entzündete sich eine häufig emotional geführte Debatte um die Sicherheit bei Fußballspielen. Die Diskussionen beinhalteten unter anderen Fragen der Sicherheitsstandards von Stadien, Zutrittsbeschränkungen von Gästefans und der Fanarbeit im Allgemeinen. Die geführte Diskussion und die kurzfristig ergriffenen Maßnahmen (z. B. Spielabsagen) erweckten bei dem neutralen Betrachter den Eindruck, dass der italienische Staat, seine Sicherheitsbehörden und die Sportverbände und -vereine von den Entwicklungen förmlich überrascht wurden bzw. keine Konzepte vorgedacht hatten, wie Entwicklungen aufgehalten bzw. verhindert werden können. Dies bezieht sich sowohl auf Phänomene der Gewalteskalation, die Stadionsicherheit, als auch auf den Umgang mit den Ultras. Die Entwicklungen in Italien lassen auch den Blick nach Deutschland richten, denn die Ultrabewegung ist längst in Deutschland angekommen und hat sich seit 4 einigen Jahren etabliert.2 Auch wenn man nicht von vergleichbaren Vorfällen sprechen kann, gab es erst jüngst in der abgelaufenen Spielzeit gewalttätige Ausschreitungen, wie beim Spiel VfL Bochum gegen den Karlsruher SC, die auf die Ultragruppierungen zurückzuführen waren und zu teils erheblichen Verletzungen zweier polizeilicher Einsatzkräfte geführt haben. Einzelne, noch so bedauerliche Vorfälle können nie gänzlich ausgeschlossen werden, da das absolute Maß an Sicherheit nicht gewährleistet werden kann. Fraglich ist jedoch, ob deutsche und internationale Sportorganisationen, deutsche Vereine sowie der deutsche Staat und seine Sicherheitsbehörden schon genug Kenntnis über die neuen Formen der Gewalt und die Druckmittel der Fanszene erworben und Konzepte entwickelt bzw. antizipiert haben, mit denen auf diese Phänomene adäquat reagiert werden kann. Mit der Masterarbeit soll herausgearbeitet werden, inwieweit sich Parallelen zwischen der italienischen und der deutschen Ultrabewegung erkennen lassen, wo sie sich (noch) unterscheiden und welche Entwicklungen zu erwarten sind. Die vorliegende Arbeit Gesamtentwicklung des soll neben Fußballs einer und den kurzen Einordnung notwendigen in die definitorischen Abgrenzungen der Fanszene, die Darstellung der Entwicklung und Ist-Situation der Fan- und Ultraszene in Italien sowie Deutschland beinhalten. In Bezug auf Deutschland soll insbesondere herausgearbeitet werden, welche Gewaltphänomene im Zusammenhang mit der Ultraszene aufgetreten sind, wie man darauf reagiert hat bzw. reagieren will und eine Einschätzung eingeholt werden, welche Entwicklung die deutsche Ultraszene nimmt. Hierbei soll zwar die polizeiliche Sicht einen Schwerpunkt bilden, aber zur Abrundung des Bildes auch die Sichtweise der Fanprojekte, Fanbeauftragten und Verbände dargestellt werden. Darüber hinaus soll versucht werden, die Ereignisse rund um die Fanszene und insbesondere die besondere Ultraproblematik in den europäischen Gesamtkontext einzuordnen. Abschließend soll der Bezug zu den Ereignissen in Italien hergestellt werden, indem beleuchtet und beantwortet werden soll, ob die oben geschilderte Dimension von Gewalt auch für die deutsche Fußballszene denkbar ist. 2 ZIS Jahresbericht 2006/2007, S.5 ff 5 1.2 Vorgehensweise Nach der Einordnung der Fankultur allgemein und den Entwicklungen des Fußballs soll geklärt werden, welche verschiedenen Subkulturen von Fußballfans es gibt. Anhand von Definitionen und Erläuterungen sollen die Unterschiede der verschiedenen Richtungen aufgezeigt werden. Hierbei soll die Affinität zu Gewalt herausgearbeitet und daraus abgeleitete Kategorisierungen aufgezeigt werden. Danach soll über den Begriff Ultra zur Entwicklung der Ultrabewegung in Italien übergeleitet werden. Bei der Betrachtung geht es um die Strukturen, die gezeigten Verhaltensweisen, Beispiele von Gewalt hin zu den sicherheits- und verbandspolitischen Maßnahmen, die getroffen wurden, um Gewaltexzesse in Italien zu verhindern. Vor dem Hintergrund der Erkenntnisse aus Italien soll die Entwicklung und die Erscheinungsformen der deutschen Ultrabewegung aufgezeigt werden. Dies soll durch aktuelle Beispiele und Erfahrungen und Einschätzungen von am Prozess beteiligter Experten erfolgen. Am Verhältnis der deutschen Ultras zur Nationalmannschaft soll aufgrund des brandaktuellen Bezuges in einem kleinen Exkurs die Gewaltsituation im Zusammenhang mit der Europameisterschaft 2008 in der Schweiz und Österreich aufgezeigt werden. Bevor die Untersuchungsfragestellung „ob italienische Verhältnisse auch in Deutschland denkbar sind“ anhand der gegenüberstellenden Darstellung und der Experteneinschätzungen beantwortet werden soll, wird versucht das Thema Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen in den europäischen Gesamtkontext einzuordnen, in dem die Vorschriftenlage der Europäischen Union sowie die durch den europäischen Fußballverband UEFA getroffenen und beabsichtigten Maßnahmen dargestellt werden. 1.3 Forschungsmethoden Wie schon aus den bisherigen Ausführungen ersichtlich ist die Ultrabewegung ein Teil der Fankultur und somit schon seit einiger Zeit im Fokus wissenschaftlicher Betrachtungen. Die Ultrabewegung war u.a. Gegenstand einer Metastudie des Fanforschers Gunter A. Pilz, u.a. Wissenschaftler, die 2006 veröffentlicht und auf dessen Befragungsergebnisse größtenteils zurückgegriffen wurde. Daneben ist das Thema vielfach medial und auch verbands- und behördenmäßig aufbereitet worden. Demnach bezog sich die Literaturrecherche und -auswertung auf 6 geeignete Publikationen (Bücher, Fachaufsätze, Beiträge in Fanzeitschriften und Internetveröffentlichungen) sowie auf dienstliche Unterlagen (u.a. Erfahrungsberichte, Jahresberichte, Verlaufsberichte, Einsatzbefehle) und auf Verbandsregelungen. Um neben der Literaturauswertung und der Dokumentenanalyse noch tief greifendere Erkenntnisse in die Masterarbeit einzubringen, wurden zehn sogenannte leitfadengestützte Experteninterviews3 geführt, wobei bei einem Interview vier und bei einem weiteren zwei Gesprächspartner Rede und Antwort standen. Insgesamt wurden bei sieben Interviews Polizeibeamte interviewt, wobei darauf geachtet wurde, dass unterschiedliche Aufgabenbereiche wahrgenommen bzw. verschiedene Spielklassen abgedeckt wurden. Darüber hinaus wurden jeweils mit einem Experten für Verbandsangelegenheiten, Fanprojekte und Fanwesen allgemein Interviews geführt. Ein Versuch, Interviews mit Angehörigen der Ultraszenen von Bochum oder Gelsenkirchen zu führen, blieb trotz Kontaktaufnahmen erfolglos. Die Ergebnisse der Interviews wurden ausführlich zusammengefasst. Alle Interviewpartner verzichteten auf Anonymität, sodass sie namentlich als Experten aufgeführt werden konnten. Hierfür und ganz besonders für die Bereitschaft zur Unterstützung möchte ich mich herzlichst bei allen bedanken. Folgende Interviews wurden durch mich geführt: Experteninterview 1: Leiter der ZIS, Herr POR Piastowski, am 29.05.2008 beim LZPD NRW in Neuss Experteninterview 2: Leiter der PI Bochum, Herr PD Grzella, am 03.06.2008 im PP Bochum Experteninterview 3: Fanbeauftragter des FC Schalke 04 und Vorsitzender des Schalker-Fan-Klub-Verbandes e.V., Herr Rojek am 06.06.2008 in Gelsenkirchen Experteninterview 4: Leiter StB 1, Direktion 6 beim PP Berlin, Herr PD Richter am 12.06.2008 bei der Direktion 6 in Berlin Dazu: Leiter des Abschnittes 66 Berlin, Herr POR Scharnowski Mitarbeiter des Stabes in der Dir. 6, Herr PHK Grünebohm Mitarbeiter des LKA 712 Berlin, Herr Bartelt 3 Schnell/Hill/Esser(2005):Methoden der empirischen Sozialforschung. S.387 f. 7 Experteninterview 5: Leiter des Abschnittes 61 Berlin, Herr POR Henning am 12.06.2008 beim LA 61 in Berlin Dazu: PHK Brabandt vom Abschnitt 61 Experteninterview 6: Leiter der PI Mitte/West in Bremen, Herr PD Pusch am 16.06.2008 bei der PI Mitte/West Experteninterview 7: SKB der PI Leverkusen, Herr PHK Kommoß am 23.06.2008 in der PI Leverkusen Experteninterview 8: Sicherheitsbeauftragter und Leiter Prävention und Sicherheit beim DFB, Herr Spahn am 03.07.2008 beim DFB in Frankfurt Experteninterview 9: Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte e.V., Herr Gabriel am 03.07.2007 bei der KOS in Frankfurt Experteninterview 10: Leiter des SKB Teams Deutschland, Herr PHK Gössing am 07.07.2008 bei der ZIS in Neuss Alle Interviewpartner wurden, vorbehaltlich anderer Einstufungen, darauf hingewiesen, dass die Masterarbeit öffentlich gemacht werden soll. Die Interviewerkenntnisse und die Ergebnisse aus der Literaturrecherche und der Dokumentenanalyse wurden miteinander verbunden, um eine möglichst breite Informationsbasis zu schaffen und der Zielsetzung gerecht zu werden. 2. Entwicklungen 2.1 Fußballsport und Fankultur Fußball wird von vielen Menschen als die schönste Nebensache der Welt bezeichnet. Gerade die Begeisterung, die im Rahmen von Fußballgroßereignissen, wie der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland oder jüngst bei der Europameisterschaft 2008 in der Schweiz und Österreich aufbrandete, unterstreicht diese Behauptung. Neben dem Besuch der Spiele und den Aktionen in den Spielorten breitet sich die Begeisterung auch mehr und mehr in Richtung teilnehmender Länder aus. Public Viewing Veranstaltungen, insbesondere in Deutschland, erfahren steigende Beliebtheit und sind bei Fußballgroßereignissen nach den Erfahrungen bei der WM 2006 gar nicht mehr aus der Fußballlandschaft wegzudenken. Alleine zum Halbfinalspiel der EM 2008 Deutschland gegen die 8 Türkei am 25. Juni 2008 fanden sich auf der sogenannten Fanmeile in Berlin mehr als eine halbe Million Menschen ein. Um diese Begeisterung zu verstehen, muss man sich kurz die Entwicklung des Fußballsports ansehen. Als Mutterland des Fußballs gilt seit jeher England, obwohl schon etwa im 3. Jahrhundert vor Chr. in China ein fußballähnliches Spiel mit dem Namen „Ts’uhküh“ ausgetragen worden sein soll.4 Die Ursprünge des Fußballs liegen im 10. Jahrhundert.5 Das dort praktizierte „Village“ oder „ Folk-Football“ wird als Ursprung des heutigen Fußballs herangezogen. Dabei handelte es sich um einen Wettkampf zwischen Dörfern oder Stadtteilen, mit dem Ziel den Ball in das gegnerische Stadttor zu befördern. Dabei war noch keine wirkliche Unterteilung zwischen Akteuren und Zuschauern zu erkennen, da sich praktisch ganze Ortschaften beteiligten.6 Es war eher ein Spiel der Unterschicht. Ausgeübt wurde das Spiel in erster Linie von Bauern und Gesellen, während sich die oberen Schichten fernhielten.7 Das änderte sich zu Beginn der Industrialisierung, wo Freizeitaktivitäten größtenteils ein Privileg der Oberschicht geworden waren.8 Dort wurde der Fußball an den Public Schools einer „Zivilisierung“ unterzogen. D.h., es wurden Regeln entwickelt, Spielfeld sowie Spielerzahl eingegrenzt und schließlich auch eine Trennung vom Rugby vollzogen.9 Erste Differenzierungen zwischen Zuschauern und Spielern waren zu erkennen. 1848 waren es Studenten der Universität Cambridge, die die ersten Fußballregeln verfassten. Danach bestand eine Mannschaft aus 15-20 Spielern. 1857 wurde der erste Fußballklub der Welt, Sheffield F.C. gegründet.10 Auch Brändle/Koller beschreiben in ihrem Buch „Goal“, dass Fußball ursprünglich einmal ein Spiel der Eliten war und sich um 1900 für die Arbeiterschaft geöffnet und später bis heute zu einem Volkssport entwickelt hat. 4 aus Wikipedia -Geschichte des Fußballs Zugriff am 25.06.2008 Schulze-Marmeling(2000): Fußball: Zur Geschichte eines globalen Sports. S.11 6 Dembowski(2004): Spieler kommen,Trainer gehen-Fans bleiben in Ballbesitz ist Diebstahl S. 9 7 Aschenbeck(1998):Fußballfans im Abseits. S. 11 8 Verma(2006):Kollektives Engagement gegen den modernen Fußball. S. 8 9 Dembowski(2004): Spieler kommen,Trainer gehen-Fans bleiben in Ballbesitz ist Diebstahl S. 10 10 aus Wikipedia Geschichte des Fußball, Zugriff am 25.06.2008 5 9 Aus England herübergeschwappt gelang in Deutschland der massenhafte Durchbruch des Fußballsports erst in den 1920er Jahren, als sich vermehrt Arbeiter Torschuss und Tackling widmen konnten.11 Die Entwicklung wurde durch die in zahlreichen Arbeitskämpfen erstrittenen geänderten Arbeitszeiten in Europa begünstigt. In den 1920er Jahren entstanden 8-Stunden-Arbeitstage und freie Sonntage, die den Arbeitern die Möglichkeit gaben, sich dem Spiel und dem Zuschauen zu widmen. Waren in der Anfangszeit meist noch Vereinsmitglieder und Mäzene die ersten Kiebitze12, entwickelte sich parallel dazu nicht nur auf dem Spielfeld, sondern auch bei den Zuschauern rund um die Sportvereine eine nicht geahnte Begeisterung.13 Diese Entwicklung lässt sich auch an den Zuschauerzahlen festhalten, die bei den Endspielen um die Deutsche Fußballmeisterschaft gezählt wurden. Sahen 1903 nur 1200 Zuschauer das erste Endspiel um die Deutsche Meisterschaft, waren es 1920 schon 35.000, 1922 sogar 58.000 Zuschauer.14 Hierbei muss Erwähnung finden, dass um das Ereignis als Zuschauer verfolgen zu können, in den frühen Anfangsjahren zunächst noch keine Abgaben zu entrichten waren. Erst allmählich wurden Mauern und Zäune um die Sportanlagen gezogen, um so den Konsum des Fußballspiels nur noch zahlenden Besuchern zu ermöglichen. Auch die ersten Tribünen wurden errichtet, waren aber zunächst nur Gönnern und Vereinsprominenz vorbehalten, während sich das restliche Publikum zumeist auf aufgeschütteten Sandwällen an den Seiten des Spielfelds verteilte.15 Hier entwickelte sich bereits eine Unterteilung der Zuschauer, die sich in den folgenden Jahren noch weiter ausdifferenzieren sollte. Mit zunehmendem Andrang der Arbeiterschicht mussten nun weitere Tribünen errichtet werden. Dabei wurden zunächst auf den Gegengeraden (also gegenüber der Haupttribüne) mehr oder weniger provisorische Stehplatztribünen errichtet. Da der massenhafte Andrang aber nicht nachließ, mussten nun auch die Bereiche hinter den Toren, von denen die Sicht weitaus schlechter ist, genutzt werden.16 Hier sind seitdem die billigsten Plätze angesiedelt. Auch dies reichte bei einigen Spielen später nicht aus 11 Dembowski(2004):Spieler kommen,Trainer gehen-Fans bleiben in Ballbesitz ist Diebstahl.S. 14 ebd. S. 10 13 Langner(2005): Die Ultrabewegung in Deutschland. S.4 14 Dembowski(2004):Spieler kommen,Trainer gehen-Fans bleiben in Ballbesitz ist Dienbtahl.S.14 15 Schulze-Marmeling(1995): Vom Spieler zum Fan. S 13 16 Schulze-Marmeling(2000): Fußball: Zur Geschichte eines globalen Sports. S.208 12 10 und so kam es nicht selten vor, dass die Zuschauer bis an die Seitenlinien vorrückten oder gar auf den Tornetzen lagen, um das Spiel live mitzuverfolgen. (Abbildung 1) Spätestens mit dem überraschenden Gewinn der Fußballweltmeisterschaft 1954 in der Schweiz kannte die Begeisterung für den Fußball in Deutschland keine Grenzen mehr. Hier wurden die Grundsteine für das gelegt, was Fußball heute vielen Menschen bedeutet.17 Und es gibt sicher keinen Fußballanhänger in Deutschland, dem es nicht eiskalt über den Rücken läuft, wenn er den damaligen Radiokommentar zum Spiel von Herbert Zimmermann hört. Es prägte sich ein Enthusiasmus für das Spiel und den jeweils bevorzugten Verein aus. Es entwickelten sich allmählich bestimmte Rituale, wie das Anfeuern der Mannschaft durch Sprechchöre, das Schwenken von Fahnen und das Tragen von, damals noch größtenteils selbst gemachten, Kleidungsstücken in den Vereinsfarben. Die sogenannten Fan-Kurven waren entstanden. Eine ähnliche Entwicklung war auch in Italien zu verzeichnen, wo lange Zeit der Radsport Volkssport Nummer 1 war und erst Anfang der 1960er Jahre vom Fußball als beliebteste Sportart abgelöst wurde.18 Auch durch den englischen Einfluss bedingt, trat der Fußballsport seinen Siegeszug an. So wurde der älteste Fußballklub Italiens, der FC Genua 1893, von Engländern gegründet.19 Die Zuschauerzahlen nahmen eine ähnliche Entwicklung wie in Deutschland. Beim Finalspiel der Meisterschaft 1923 Lazio gegen Genua sorgten 10.000 Zuschauer für einen neuen Rekord, der indes schnell gebrochen werden sollte. Zum Länderspiel Italien gegen Spanien kamen 1927 gut 55.000 Menschen.20 Mit welcher Begeisterung die Tifosi21 bei der Sache waren, ergibt sich aus einem Bericht des Polizeipräsidenten von Neapel zum Spiel gegen den AS Rom, wo es heißt: “Fast die gesamte Stadt erwartete die Begegnung mit einer Leidenschaft, die die übliche Sportbegeisterung weit übertraf, als ginge es um die Verteidigung ihrer neapolitanischen Rasse“.22 17 ebd. S 15 Blaschke (2007):Im Schatten des Spiels.S.172 19 Schönau (2005): Calcio.S.18 20 ebd. S.26 21 Bezeichnung für einen italienischen Fußballfan 22 Schönau (2005):Calcio. S.26 18 11 2.2 Definitionen und Abgrenzungen Um die Ultrabewegung besser einordnen zu können, ist es wichtig, sie von den übrigen Fankulturen abzugrenzen. Der folgende Abschnitt soll grob aufzeigen, welche gängigen Gruppierungen es gibt, wie sie definiert sind und wie sich ihre Ausprägungen darstellen. Schwerpunktmäßig werden die Gruppierungen näher betrachtet, denen Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen zugerechnet wird, nämlich zurzeit den Hooligans und Ultras. Feststeht, dass es nicht „den einen Fußballfan“ gibt, sondern verschiedenste Ausprägungen. Die Unterschiede zeigen sich in der Art des Fußballspielbesuchs, nämlich der Frage, wie sich der Besucher während des Spiels, womöglich auch während der gesamten Spielphasen, samt Vor- und Nachspielphase verhält. Zunächst sei hier der Zuschauer insgesamt angeführt. Der Zuschauer leitet sich laut Wikipedia vom Publikum ab. Publikum (von lat. Publicus “dem Volk, der Allgemeinheit gehörig“) ist u.a. der Sammelbegriff für die Zuschauer bei Veranstaltungen wie dem Fußball. Mit diesem Begriff werden alle Personen bezeichnet, die sich in einem Stadion oder auch am Fernsehen ein Fußballspiel ansehen. Weitere Wertungen enthält der Begriff erst einmal nicht. Als weitere große Gruppierung ist der Fan anzusehen. Ein Fan ist laut Duden ein begeisterter Anhänger einer Person, einer Gruppe von Personen oder einer Sache. Hier wird der Zuschauer bezeichnet, der während des Spiels Partei für eine der Mannschaften nimmt. Diese Parteinahme drückt sich u.a. häufig dadurch aus, dass er Fanutensilien (Trikot, Schal, Pin, etc.) seines Vereins trägt oder seinen Verein anfeuert. Eine eigenständige jugendliche Fankultur mit entsprechen Subkulturen bildete sich erst mit der Gründung der Bundesliga im Jahr 1963 heraus. Nachdem die Stadien anlässlich der Weltmeisterschaft 1974 in Deutschland einschneidende bauliche Veränderungen erfahren hatten, fanden die jungen Anhänger ihren Platz in der Folge in den Kurvenbereichen, wo sie sich auch bis heute noch verorten.23 Inspiriert von englischen Fußballfans begann man damit die eigene Mannschaft 23 Giesenbauer (2000): Fantradition und sozialintegrative Wirkung des Fußballspiels heute. S. 118 12 lautstark zu unterstützen, in dem Lieder gesungen, Anfeurungstexte gerufen wurden oder rhythmisch geklatscht wurde. Auch optisch zeigte man die Vereinszugehörigkeit und die Identifikation mit dem Verein. Es bilden sich stärker Subkulturen wie z. B. die sogenannten „Kuttenfans“. Unter Kutte versteht man laut Wikipedia eine vom Fußballfan getragene Weste, die meist mit Aufnähern seines geliebten Vereins oder auch mit Hassbekundungen gegnerischer Vereine bestickt ist. In den meisten Fällen ist die Weste aus blauem Jeansstoff. Synonym wird als „Kutte“ neben dem Kleidungsstück, auch der tragende Anhänger bezeichnet.24 Gerade in den 70er und 80er Jahren waren die Kutten, die noch heute vereinzelt im Stadion anzutreffen sind, eine starke Gruppierung, die für die verbale Unterstützung der Mannschaft verantwortlich zeichnete. Sie waren meist in Fanklubs organisiert. Ihre Zielrichtung war, sieht man von alkohol- und/oder situationsbedingten Einzeltaten ab, friedlich. Daneben etablierte sich ca. Anfang der 80er Jahre bis heute andauernd, wenn auch mit stark abnehmender Tendenz25 die Hooliganszene heraus. Die Herleitung des Begriffes ist nicht eindeutig festgelegt, eine Variante leitet das Wort vom irischen hooley (wild) ab.26 Farin definiert es wie folgt: „Hooliganismus ist eine männliche Form zivilen Ungehorsams, eine nichtpolitische Rebellion gegen die sinnlose Autorität des Alltags, ein Versuch, die von montags bis freitags aufgezwungene Rolle abzustoßen, aus dem langweiligen, abstumpfenden Spießerdasein auszubrechen – wenigstens für ein paar Stunden.“27 Der Begriff Hooligan steht für die Gewalt bei und im Zusammenhang mit Fußballspielen. Sie suchen die körperliche Auseinandersetzung mit den Fans der gegnerischen Szene. War es früher so, dass sich die Gewaltexzesse meist im Stadion oder im unmittelbaren Stadionbereich (z. B. auf den Marschwegen vom HBF zum Stadion) abspielten, verlagert sich, nicht zuletzt auch aufgrund der polizeilichen Konzeptionen, seit einigen Jahren die Gewalt aus dem Stadion heraus, auch auf sogenannte Drittorte. Schon häufig ohne Bezug zu einem Fußballspiel verabreden sich Hooligangruppierungen gegnerische Vereine, um in 24 http://de.wikipedia.org/wiki/Kutte_%28Fu%C3%9Fballfan%29 Zugriff am 25.06.2008 Interviews POR Piastowski, Herr Spahn, PHK Kommoß 26 http://de.wikipedia.org/wiki/Hooligan, Zugriff am 17.07.2008 27 Farin (2002): Die 3. Halbzeit. S.13 25 13 einer Schlägerei ihre Kräfte zu messen. Hierbei kommt es nicht selten vor, dass Koalitionen zwischen einzelnen Vereinen gebildet werden und man gegen eine oder mehrere andere Hooliganszenen zum Kampf antritt.28 Es wird darüber gestritten, ob es sich überhaupt noch um Fußballfans handelt oder ob der Fußball nur noch der an sich austauschbare Aufhänger ist, um sich zu Schlägereien zu treffen. Wenn man den Ausspruch eines Fans hört “Die ganze Woche müssen wir die Schnauze halten, zu Hause keinen Ton riskieren, im Betrieb darfste nichts sagen, dafür geben wir am Wochenende so richtig die Sau ab. … Fußball ist für uns Krieg. Wir sind die Besten. Der Verein kann ruhig verlieren, wir schlagen alle“29, muss man wohl zu der Erkenntnis kommen, dass sie am Fußballspiel keinerlei Interesse haben. Das wird meines Erachtens auch dadurch unterstrichen, dass sich mittlerweile die Hooliganszene insgesamt oder anlassbezogen mit Personen aus der Türsteher- und Kampfsportszene verstärkt. Der Hooligan lässt sich nicht einer bestimmten Gesellschaftsschicht zuordnen. Anders als in England, wo die Hooligans meist aus sozial benachteiligten Schichten kamen, sind in der Hooliganszene in Deutschland alle Gesellschaftsschichten vertreten. Unter ihnen sind nicht mehr Arbeitslose oder Sozialhilfeempfänger als im Rest der Gesellschaft.30 Aus den zunächst losen Zusammenschlüssen bildeten sich dann auch „Fangruppen“, wie z. B. „Gelsenszene“, „Borussenfront“ oder „Hertha-Frösche“. Durch die Zusammenschlüsse wird die Vereinzelung der Fans verhindert. Des Weiteren ist es so möglich, den Mitgliedern eine soziale Anerkennung und Bindung zu geben. Ihr Zusammenhalt wird durch gleiche Kleidung und Aufmachung symbolisiert. Gleichzeitig sorgt man so dafür, dass man sich klar und deutlich von anderen Fans unterscheidet.31 Die Hooligans grenzten und grenzen sich mit teuerer sportlicher Markenkleidung, wie z. B. Chevignon, Boss und New Balance insbesondere von den Kutten ab. Nach Weigelt lässt sich die Hooliganszene strukturell in harten Kern, Mitläufer und Lutscher unterteilen. 28 Interview Herr Bartelt Quelle nicht mehr verifizierbar 30 Farin (2001): generation kick.de. S.176 ff 31 Wagner (2002): Fußballfans und Hooligans.S.32 29 14 Der Hooliganismus hat sich spätestens mit den Ausschreitungen im Brüsseler Heyselstadion 1985 im Rahmen des Finales des Europapokals der Landesmeister zwischen Juventus Turin und FC Liverpool in den Köpfen der Bevölkerung und in den Medien manifestiert. Gerade durch die Medien wurde den Hooligans eine große Aufmerksamkeit und Zuwendung zuteil, die sie als Bestätigung nutzen. Da sich viele Fans in den herkömmlichen Fanklubs nicht mehr richtig aufgefunden fühlten, sich mit dem „Kuttendasein“ nicht mehr identifizieren konnten und die Motive der Hooligans ablehnten, wendete man sich Ende der 90er Jahre der Ultrabewegung zu, die in den südlichen Ländern, insbesondere Italien vertreten war. Auf die genauen Entwicklungen und Ausprägungen gehe ich im nächsten Kapitel ein. Hier sei nur noch abschließend die Definition des Begriffes genannt. Ultra (lat.):Vorsilbe mit der Bedeutung „jenseits von, über – hinaus“ bzw. Ultra (der; Mz. –s; lat.), politischer Fanatiker, Rechtsextremist.32 2.3 Kategorisierungen 2.3.1 Ausdifferenzierung der Fanszenerie nach Wilhelm Heitmeyer Hierbei handelt es sich nach wie vor um die gängigste Differenzierung. Er unterscheidet drei verschiedene Idealtypen von Fans. 33 1. „Die konsumorientierten Fans“ Für die konsumorientierten Fans steht das Erleben von Spannungssituationen, die von anderen dargeboten werden, im engen Zusammenhang mit Leistungsgesichtspunkten, während die soziale Relevanz weitgehend unbedeutend ist. Fußball ist austauschbar und stellt eine Freizeitbeschäftigung neben anderen dar. Die Gruppenorientierung ist schwach ausgeprägt, denn man geht allein oder in wechselnden, vorwiegend aus Gründen des Spielbesuchs zusammengesetzten Kleingruppen ins Stadion. Sie sitzen im Stadion eher, als dass sie auf den Stehplätzen anzutreffen sind. Die neutralen Zuschauer eines Fußballspiels lassen sich gut unter diese Gruppe subsumieren. 32 33 Duden 21. Auflage, S. 765 Heitmeyer/Peter (1988): Jugendliche Fußballfans. S. 32/33 15 2. „Die fußballzentrierten Fans“ Für den fußballzentrierten Fan steht das Erleben von Spannungssituationen auch in engem Zusammenhang mit den sportlichen Darbietungen, ist aber auch nicht ausschließlich leistungsfixiert, sondern die (fast) absolute Treue, selbst bei sportlichen Misserfolgen, zählt. Hier ist der Fußball nicht austauschbar, hat eine hohe soziale Relevanz. Der Fußball stellt ein unverzichtbares Präsentationsfeld dar, über das Anerkennung für den Einzelnen und die Gruppe gesucht wird, indem u.a. auch eigene Beiträge zur Erhöhung der Spannung geleistet werden. Das Motto lautet hier: „Fußball ist mein Leben“. Hierunter kann das Vereinsmitglied und der Fan gefasst werden, für den der Support seines Teams das Wichtigste ist. Auch Ultras, sofern keine Gewaltaffinität besteht, sind hier grundsätzlich einzuordnen. Der fußballzentrierte Fan drückt sich häufig durch Mitgliedschaften in Fanklubs aus und ist meist in Fan-Blocks anzutreffen. 3. „Die erlebnisorientierten Fans“ Für die erlebnisorientierten Fans erhält bei der Suche nach Spannungssituationen die sportliche Bedeutung des Fußballspiels einen ambivalenten Akzent. Fußball als Sinnobjekt zählt eher unter dem Gesichtspunkt des „Spektakels“ und spannender Situationen, die (notfalls) selbst erzeugt werden. Fußball wird und ist austauschbar. Wichtig ist der Kontakt zu anderen Jugendlichen, die Situationen müssen spannend sein. Das Motto lautet „Wir sind die Macht“. Hierunter lassen sich eindeutig die Hooligans und zumindest die gewaltbereiten Teile der Ultragruppierungen subsumieren, was ich im Weiteren noch ausführen werde. 2.3.2 Ausdifferenzierung nach Rainer Kübert Nach einer weiteren Differenzierung, die eine medienpädagogische Sichtweise beinhaltet und das Verhalten und die Erwartungen der Zuschauer zum Klassifizierungsgesichtspunkt hinzunimmt, lässt sich das Gesamtpublikum in folgende Gruppen gliedern, denen nachfolgende Merkmale zugeschrieben werden:34 34 Kübert (1994):Fußball, Medien und Gewalt. S. 8/9 16 a) „Der distanziert-passive Zuschauer“: keine oder gering ausgeprägte Vereinspräferenz, wenig Identifikationsbereitschaft mit Mannschaft und Spielern, beherrschte und betont neutrale Reaktion auf das Spielgeschehen; Erwartung: interessantes Fußballspiel b) „Der engagiert-kontrollierte Zuschauer“: deutliche Vereinspräferenz und Identifikation mit der Mannschaft, kritische Solidarität mit Spielern, empathisches Erleben des Spielgeschehens; vorwiegend verbaler Ausdruck der Vereinsfixiertheit; Erwartung: gutes Spiel der eigenen Mannschaft, wenn möglich Sieg c) „Der fanatisch-parteiliche Zuschauer“: totale Identifikation mit Verein und Mannschaft; einseitiges Miterleben und parteiliches Beurteilen des Spielgeschehens; Demonstration der Vereinsfixiertheit durch Tragen der Vereinsfarben und -symbole; aktives Eintreten für Vereinsinteressen; gezielte Diskriminierung des Gegners; Erwartung: Sieg der eigenen Mannschaft, wie auch immer d) „Der konfliktsuchende - aggressive Zuschauer“: Vereinsfixierung unterschiedlich ausgeprägt; nicht die Gastmannschaft, sondern ihre Fans sind die Gegner; Fußballspiel und Umfeld als Aggressionsstimulanz; Teilnahme am Spielgeschehen stets in Gruppen; Erwartung: eigene Aktionsmöglichkeiten 2.3.3 Ausdifferenzierung nach ordnungsinstanzlichen Kriterien a) Deutschland Trotz der mittlerweile eingeführten europäischen Kategorisierung, die nachfolgend erläutert wird, wird von den Ordnungsinstanzen, insbesondere der Polizei in Deutschland, noch die dreiteilige Kategorisierung bundesweit angewendet. Anlässlich der Fußballeuropameisterschaft 1988 in Deutschland erfolgte erstmals die Einteilung der Fußballanhänger in die Kategorien A, B und C. Diese Einteilung entstand aufgrund von Arbeitsergebnissen, auf damaliger EGEbene, durch eine eingesetzte Spezialistenrunde, TREVI II.35 Diese Kategorisierung, die auch im Abschlussbericht der AG “Fußball und Gewalt“ vom 23.07.1991 festgeschrieben wurde36 und die lediglich unter dem 35 Bernhardt: Fußball und Gewalt- Betrachtungen eigenes Fußballpraktikers, Schriftenreihe PFA 3/91, S. 30 36 ZIS-Jahresbericht 2006/2007, S. 5 17 Aspekt des vermeintlichen Gewaltpotenzials des einzelnen Fans erfolgt, unterscheidet grob in: • Fans der Kategorie A (Kat. A-Fans): der friedliche Fan (nicht gewaltbereit) Der Fantyp ist friedlich und neigt nicht zur Gewalt. Die Fans der Kategorie A stellen mit über 90% den größten Teil dar. Er stellt -bis auf das Verkehrsaufkommen- kein Problem für die Sicherheitsbehörden dar.37 • Fans der Kategorie B (Kat. B-Fans): der gewaltbereite/-geneigte Fan Hierbei handelt es sich um Fans, die zwar keine Gewalt suchen, aber anlassbezogen zu Gewalt neigen. Schon eine vermeintliche falsche Schiedsrichterentscheidung, ein unglücklicher Spielausgang, eine Provokation durch Gästefans sowie gruppendynamische Prozesse können insbesondere in Verbindung mit Alkohol dazu führen, dass der Kat. B-Fan gewalttätig wird. • Fans der Kategorie C (Kat. C-Fans): der gewaltsuchende Fan Hierbei handelt es sich um die Gruppe, die zwar zahlenmäßig den kleinsten Anteil der Zuschauer ausmacht, aber das größte Problempotenzial darstellt. Fans der Kat. C besuchen ein Fußballspiel nur, um dort Gewalttätigkeiten auszuleben. Fußball ist dabei nur eine Nebensache. Es geht den Fans darum, sich mit den Fans der gegnerischen Mannschaft körperlich zu messen. Hooligans sind klassische Kat. CFans. Eine Untersuchung hat ergeben, dass die Fanszene etwa 25% der Zuschauer eines durchschnittlichen Bundesligaspiels ausmacht. Dieser Anteil verteilt wie folgt: 94 % Kat. A, 4 % Kat. B und 2 % Kat. C.38 b) Europäische Ebene Mit Entschluss des EU-Rates vom 04. Dezember 2006 wurde ein aktualisiertes Handbuch mit Empfehlungen für die internationale polizeiliche Zusammenarbeit und Maßnahmen zur Vorbeugung und Bekämpfung von Gewalttätigkeiten und 37 38 Studienpapier Sport und Gewalt, DHPol, , Stand 12/2007, S. 13 Heck, Fußballfan=Hooligan in: DPolBl 3/2001: S. 2 18 Störungen im Zusammenhang mit Fußballspielen von internationaler Dimension, die zumindest einen Mitgliedstaat betreffen, in Kraft gesetzt. 39 Anlage I des EU-Handbuches sieht die Einteilung von Fußballfans in Kategorien vor. Demnach werden die alten Kategorien A, B, C aufgehoben und es erfolgt eine Kategorisierung in Nicht-Risiko-Fan (Non-Risk-Fan) und Risiko-Fan (Risk-Fan), wobei die ehemals unter der Kategorie A subsumierten Fans nun unter NichtRisiko-Fans und als Risiko-Fans, die der Kategorie B+C einzustufen sind. Als Risiko-Fan wird gemäß der Definition nun eine namentlich bekannte oder nicht bekannte Person verstanden, von der anzunehmen ist, dass sie möglicherweise -geplant oder spontan- bei oder im Zusammenhang mit einer Fußballveranstaltung die öffentliche Ordnung gefährden oder unsoziales Verhalten an den Tag legen wird. Hierzu ist eine dynamische Risikobewertung vorzunehmen, die in dem Dokument „8241/05 ENFOPOL 40 – dynamische Risikobewertung im zusammengefasst ist. Zusammenhang mit internationalen Fußballspielen“ 40 Als Nicht-Risiko-Fan wird gemäß Definition eine namentliche oder nicht bekannte Person bezeichnet, von der anzunehmen ist, das sie weder geplant noch spontan zu Gewalttätigkeiten oder Unruhen bei oder im Zusammenhang mit einer Fußballveranstaltung anstiften oder dazu beitragen wird.41 Bewertung/Erkenntnisse aus den Interviews: Anzumerken ist, dass die Änderung der Kategorisierung auf Vorschlag von Vertretern aus Großbritannien erfolgt ist, die die bisherige Unterteilung, insbesondere die Zuordnung von Fußballfans in die Kategorien B und C für praxisfremd erachtet hatten. Es war festzustellen, dass vielfach eine Unterscheidung nicht mehr erfolgte und die Zahlen europaweit nicht mehr in dem erforderlichen Maß vergleichbar waren. 39 Amtsblatt der europäischen Union, (2006/C322/01) vom 29.12.2006 ebd. zu Anlage I des EU-Handbuches 41 ebd. 40 19 Es wird erwartet und es zeigt sich bereits, dass die neue Einteilung wieder zu einem einheitlichen europaweiten polizeilichen Sprachgebrauch und vergleichbarem Datenmaterial über Fans führt. Diese Regelung ist jedoch bislang nur für internationale Spiele mit Beteiligung eines EU-Mitgliedstaates verbindlich. In Deutschland wird nach Aussagen der ZIS bei dem bundesweiten Spielbetrieb zunächst an der bisherigen Kategorisierung festgehalten. Man verspricht sich hiervon eine bessere Ausdifferenzierung der Fanszene und eine Erleichterung für die Einsatzkräfte, die erfahren im Umgang mit der bisherigen Kategorisierung sind. Diese Meinung wird auch vielfach durch Einsatzleiter von Fußballspielen gestützt,42 Einzelne sehen in der neuen Einteilung jedoch den Vorteil, dass die Schwierigkeit der Unterscheidung zwischen B+C-Fans der Vergangenheit angehört, zumal die Grenzen zwischen B und C-Fans fließender werden.43+44 Hier erfolgte auch der Vorschlag, dass während eines Einsatzes die europäische Kategorisierung verwendet werden sollte und in der Nachbereitung eine genauere Ausdifferenzierung anhand der dreiteiligen Kategorisierung von den SKB vorgenommen werden könnte. Die Entwicklung wird abzuwarten sein, gravierende Auswirkungen auf das polizeiliche Einsatzgeschehen wird sie vermutlich nicht haben. 3. Beschreibung der italienischen Verhältnisse 3.1 Die italienische Ultrabewegung 3.1.1 Geschichtliche Entwicklung Über den genauen Zeitpunkt des Beginns der Ultrabewegung in Italien gibt es unterschiedliche Auffassungen. Green spricht in seiner Expertise45 davon, dass Ultra Gruppen erstmals 1960 in italienischen Stadien auf den Plan getreten sind. Zu dieser Zeit war der Fußball bereits ein Nationalsport, der Tausende für jedes Spiel mobilisierte, aber bislang hatte es keine organisierte Unterstützung von den Rängen gegeben. Mit den Ultras änderte sich das Fanverhalten. Viele junge 42 Interview POR Henning Aussage von PHK Kommoß im Anschluss ans Interview 44 Tessmer, Die Fußballszene – Hooligans in: DPolBl 3/2001. S. 7 45 Pilz, u.a.(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S. 460ff. 43 20 Männer, gewöhnlich zwischen 14 und 18 Jahren alt, beginnen sich in bestimmten Teilen des Stadions zu gruppieren, meist in der „curva“ (Kurve), um von dort aus ihre Mannschaft auf ihre Art zu unterstützen: Gesänge werden koordiniert und oft von Trommeln begleitet. Komplexe Rufchöre werden Teil des Repertoires, Flaggen und andere choreografische Elemente erscheinen auf den Rängen.46 Der Begriff Ultra wird auf ein Spiel des AC Turin zurückgeführt. Weil jugendliche Fußballfans die Entscheidungen des Schiedsrichters nicht akzeptieren wollten, verfolgten sie den Schiedsrichter bis zum Flughafen. Dieses Verhalten wurde von den italienischen Medien als „Ultra“ bezeichnet.47 Schon früh bildet sich heraus, dass sich die Ultras, die sich schnell von den ursprünglichen Fanklubs abgewendet hatten, nicht nur auf das Spiel fixiert waren, sondern auch das Umfeld, sprich den Verein, den Vorstand, den Verband oder die Medien im Blick hatten. 1968 wird mit der „ Fossa dei Leoni“ ist erste offizielle Ultra-Gruppe gegründet, die dem AC Milan nahestand. Das Jahr 1969 wird als Geburtsstunde der Bezeichnung „Ultras“ angesehen. In Genua, wo eine große Rivalität zwischen den beiden dort beheimateten Vereinen FC und Sampdoria herrscht, wird auf mehreren Häuserwänden der Spruch “Uniti Legneremo Tutti Rossoblu a Sangu“,48 vorgefunden, was übersetzt „Gemeinsam schlagen wir die rot-blauen zu Blut“ heißt. Rot-Blau waren die Farben des FC Genua. Wenn man die Anfangsbuchstaben des Spruchs aneinanderreiht, ergibt sich die Bezeichnung Ultras. Schnell gründeten sich weitere Ultragruppierungen, die nun auch teilweise die Bezeichnung Ultras nutzten oder teils militante oder aggressive Klubnamen wählten, um sich bewusst von den in den 50er Jahren gegründeten herkömmlichen Fanklubs zu distanzieren. Als Beispiele können angeführt werden die 1969 gegründeten Ultras Tito Cucchiaroni (Sampdoria Genua), Boys S.A.N (Inter Mailand) und die Ultras (Juventus Turin) sowie die in den Folgejahren gegründeten Brigate Gialloblu (Verona) und Boys (AS Rom). 46 ebd. S. 460 Kühl: Die Ultras in Fußballstadien unter http://www.lsb-mv.de/index.phtml?showarchivdata21&Instanz=9&Datensatz=1387&SpecialTop=21 , Zugriff 20.06.2008 48 Pilz, u.a. (2006):Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S. 163 47 21 Die Ultras übernahmen sowohl positive als auch negative Elemente der Politik, die in den 60er und 70er Jahren eine große Rolle spielte. Es waren politisch unruhige Zeiten. Der Mangel an Arbeitsplätzen und eine fehlende Perspektive für Jugendliche führten dazu, dass sich eine Protestkultur entwickelte. Die Jugendlichen suchten Aufmerksamkeit und sie wurden fündig. Auf den Straßen, wo Millionen ihr Arbeitsrecht einforderten, zum Teil mit brutaler und Tod bringender Gewalt – und in den Stadien.49 Allerdings verkörpern viele politische und ideologische Verweise, was der italienische Soziologe Alessandro Dal Lago den „bricolage“ Effekt nennt: Symbole und Namen tragen oft zur Identität einer Gruppe bei, aber meist nur in Opposition zu anderen Gruppen und beziehen sich nicht notwendigerweise auf echten Inhalt oder Treue zu den jeweiligen politischen Namensrichtungen.50 In den 70er und 80er Jahren erhielt die Ultrabewegung massiven Zulauf. Bestand zu Anfang der Bewegung eine Gruppe aus knapp 100 Leuten, verfügten sie in den 80er Jahren zeitweise über 10.000, manche sogar über 20.000 Mitglieder.51 Die Szene politisierte sich auch zunehmend. Nicht nur die Organisationsstrukturen, sondern auch die Art der äußeren Darstellung sind demnach politisch geprägt.52 Spruchbänder, Doppelhalter sowie das Megafon wurden von der Straße direkt in die Stadien transferiert. Hinzu kamen Lieder und Gesänge des antifaschistischen Widerstandes, die ebenfalls zum Repertoire vieler Ultragruppen gehörten.53 Obwohl sehr viele Ultragruppierungen politisch eher links anzusiedeln waren, kamen vermehrt und in den 90er Jahren massiv Ultragruppierungen auf, die faschistische Gesinnungen auslebten. 3.1.2 Ultrabewegung und Gewalt Auch wenn die Unterstützung der Mannschaft im Vordergrund steht, war und ist Gewalt ein Thema bei den Ultras. Auch wenn es im Gegensatz zu Hooligans nicht die alleinige Zielsetzung war, so ist zu beobachten, dass einige Ultragruppierungen mittlerweile darin ihr Hauptziel sehen. 49 Blaschke (2007): Im Schatten des Spiels. S. 172 Pilz, u.a.(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S. 460 51 Verma (2006): Kollektives Engagement gegen den modernen Fußball. S. 25 52 Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S. 165 53 Scheidle (2002): Tatort Stadion, S. 93 50 22 Dies führte auch dazu, die Ultragruppierungen in Italien als großes Sicherheitsrisiko anzusehen. Der Fußball in Italien ist immer wieder mit Gewalttaten in Verbindung gebracht worden, so ist bereits 1905 in Turin ein Spiel zwischen Juventus und FC Genua wegen Krawallen abgebrochen werden und 1914 kam es erstmals in Rom zu Ausschreitungen außerhalb eines Stadions.54 Bei der Aufzählung von Gewalttaten und den damit einhergehenden Konsequenzen im Zusammenhang mit der italienischen Ultrabewegung beschränke ich mich auf die Gravierendsten. Gewalthandlungen, die sich auf Spieler oder Klubbesitzer beziehen, werden unter dem Selbstverständnis der Ultras abgehandelt. Am 28. Oktober 1979 kam es zur ersten großen Tragödie innerhalb eines italienischen Stadions. Der Lazio-Fan Vincenco Paparelli wurde durch eine Leuchtrakete, die ein Roma-Ultra abgefeuert hatte, im Gesicht getroffen und verstarb an den Verletzungen. Die Folge war ein erhöhtes Sicherheitsaufkommen in den Stadien, zuvor waren kaum Polizisten für den Fußball abgestellt worden.55 Die Abkehr von ursprünglichen Ultrawerten hin zur Gewalt, ging einher mit einem Generationswechsel innerhalb der Ultragruppierungen. Ein deutliches Beispiel für diese gefährliche Tendenz ist der gewaltsame Tod von Claudio Spagnolo im Jahre 1995. Er wurde vor dem Spiel Genua gegen Milan von einem 18 Jahre alten AC Milan-Ultra Simone Barbaglia, erstochen. Letzterer war mit seiner neuen Gruppe Brigate 2 auf dem Weg nach Genua. Diese neue Gruppe war als Splittergruppe der größeren Brigate Rossonere entstanden und plante einen Angriff auf die Genua Ultras, um Anerkennung und Bekanntheit in der Ultraszene zu erlangen.56 Dieser dramatische Todesfall stellte eine Art Wendepunkt in der Ultrabewegung dar. Erstmalig trafen sich zahlreiche Ultragruppen und verabschiedeten das Dokument „Basta lame basta infami“ (keine Klingen mehr, keine Ultras, die die Regeln nicht achten). Das Dokument war ein Aufruf der Ultras, alte Werte neu zu beleben und stellte eine Ächtung des Einsatzes von Messern, Waffen und Gewalt dar. Es kann wohl als Meilenstein in der Geschichte der Ultras bezeichnet werden.57 54 Blaschke (2007): Im Schatten des Spiels. S. 171 ebd. S. 173 56 Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S. 463 57 ebd. S. 464 55 23 Am 23. Mai 1999 kam es zu einem schrecklichen Unglück in einem Sonderzug. Vier Fans von Salerno verbrannten in einem Abteil auf der Rückfahrt vom Spiel in Piacenza. Das Feuer wurde von einigen jungen Fans gelegt, die die Folgen ihres Vandalismus im Zug beseitigen wollten.58 Obwohl jeder Einzelfall tragisch ist und eine Wertung eigentlich nicht zulässig sein sollte, kann der 02.02.2007 wohl als der schwärzeste Tag in der Geschichte des italienischen Fußballs und somit auch der Ultraszene bezeichnet werden. Ronny Blaschke beschreibt es in seinem Buch so:“ Es war ein Fußballspiel, eine Partie zwischen zwei Mannschaften, nichts Außergewöhnliches, doch die Szene jenseits der Seitenlinie erinnerte an Krieg. Autos brannten, Glasscheiben splitterten, Rauchbomben flogen, Tränengas verpestete die Luft. Vermummte Männer stürmten aufeinander los. Sie attackierten die Polizei und warfen mit allem, was ihnen in die Hände fiel“. Das Resultat war, dass das sizilianische Derby zwischen Calcio Catania und US Palermo für 40 Minuten unterbrochen werden musste. Über 100 Verletzte mussten sich in Krankenhäuser behandeln lassen. Trauriger Höhepunkt war der Tod des Polizeiinspektors Filipo Raciti, der vermutlich von einem 17 jährigen Teenager mit einem Waschbecken erschlagen wurde. Nicht zuletzt der Gegenstand macht deutlich, mit welcher Brutalität die Fans aufeinander und auf die Polizei losgegangen sind. Erst Tage vorher war ein Funktionär bei einem Amateurspiel in Kalabrien von gegnerischen Fans und Spielern totgetreten worden, als er einen Streit schlichten wollte.59 Es ging ein Aufschrei durch Italien. Politiker reagierten mit Bestürzung. Der damalige Innenminister Giuliano Amato versicherte: „Ich schicke meine Polizisten unter diesen Bedingungen nicht mehr in die Stadien“ und Ministerpräsident Prodi kündigte strenge Maßnahmen an: Spiele ohne Zuschauer, härtere Strafen für Krawallmacher, ein Netzwerk sozialpädagogischer Fanprojekte. Auch die Vereine sollten mehr in die Verantwortung genommen werden.60 Doch letztlich muss man sagen, dass man nach kurzer Zeit wieder zur Tagesordnung überging. Wie so häufig reagierte die Regierung mit einer Form von Aktionismus, ohne an die Wurzeln des Problems heranzugehen. Erneut stand, 58 ebd. S. 475 Blaschke (2007): Im Schatten des Spiels. S. 169 60 ebd. S. 170 59 24 wie bei den o.g. Vorfällen die Repression im Vordergrund. Wenn man schaut, was man gemacht hat, blieben die Unterbrechung des Ligaspielbetriebs, die Absage eines Länderspiels, sowie der Ausschluss von Zuschauern in elf Stadien der 1. und 2. Liga für einige Spiele übrig. Letztlich blieb die Frage und sonst? Auch die gesellschaftliche Reaktion ließ zu wünschen übrig. Es herrschte zwar kurze Zeit Entrüstung, die aber nicht lange anhielt. Eine Demonstration, zu der anlässlich des Rückspiels einige Monate später von einer Faninitiative aufgerufen wurde und die an den unnötigen Tod von Raciti erinnern und zur Friedlichkeit bei Fußballspielen aufrufen sollte, wurde nur von einer Handvoll Menschen besucht.61 Italien war zur Tagesordnung übergegangen. Es sollte kurze Zeit später aber wieder aus der Normalität herausgerissen werden, als es am 11.11.2007 zum Todesfall des Lazio-Anhängers Gabrielle Sandri kam. Auf einer Raststätte wurde er wohl im Auto sitzend durch eine Pistolenkugel eines Polizeibeamten erschossen. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen, jedoch wurde der handelnde Polizeibeamte in Haft genommen und muss sich vor Gericht verantworten, was sicherlich folgerichtig ist, wenn er falsch gehandelt hat. In diesen Situationen darf man sich auch nicht hinstellen und Fehler kleinreden. Die öffentliche Debatte und Berichterstattung in den Medien glich aber einer Hetzkampagne gegen die Polizei. Eine Zeit lang hatte man selbst in Deutschland den Eindruck, dass die Ursache der Gewalt nicht durch die Ultras gesetzt wird, sondern durch die Polizei zu verantworten ist. Die Folge war eine noch feindseligere Stimmung gegen Ordnungsinstanzen in Italien, die in Übergriffe auf Polizeistationen mündete. 3.1.3 Strukturen der Ultrabewegung Nach einer Untersuchung der Polizei aus dem Jahr 2005 gibt es in Italien 445 Ultragruppen mit 74.000 Mitgliedern im gesamten Land.62 Die Untersuchung ist sicherlich als Richtschnur zu nehmen, da es innerhalb der Ultragruppen eigentlich keine registrierte Mitgliedschaft gibt. Das Zusammengehören wird meist durch das Tragen der gemeinsamen Fankleidung ausgedrückt. 61 62 DSF-Reportage: Tod und Spiele-Italiens Fußball am Abgrund, ausgestrahlt am 14.01.2008 Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S. 464 25 Fast ohne Ausnahme verfügt jeder Klub über eine organisierte Ultragruppierung. Mittlerweile ist es so, dass es nicht mehr die Ultragruppierung eines Vereins gibt, sondern teilweise viele kleine Splittergruppierung, die alle einen gewissen Platz für sich in der Kurve beanspruchen, die durch das Symbol ihrer Ultrabanner abgesteckt wird. Durch die Aufsplitterung der Gruppen, die teilweise auch gegenläufige politische oder ideologische Auffassungen vertreten, kommt es auch vermehrt zu Spannungen zwischen Ultragruppierungen eines Vereins. Ultragruppierungen sind streng hierarchisch organisiert. Jede Gruppe verfügt über eine sogenannte Führungsriege. Unter diesem Personenkreis, der von der Anzahl her variieren kann, befinden neben den Anführern, die sich durch ihr Handeln über einen längeren Zeitraum bei den übrigen Mitgliedern Respekt verschafft haben, Personen, die stets bei den Aktionen dabei sind. Eine Person, die meist, aber nicht zwingend zur Führungsriege gehört, ist der sogenannte Capo, der mittels Megafon den Ton in der Kurve angibt, Auffällig ist dabei, dass er erhöht vor dem Zaun mit dem Rücken zum Spielfeld steht und den Takt der Anfeuerung vorgibt (Abbildung 2). Vom Spiel sieht er kaum etwas, was das Selbstverständnis der Ultras unterstreicht, dass das Spiel nicht so wichtig ist, wie das Ultrasein selbst. Neben diesem harten Kern gibt es eine undefinierbare Anzahl von Menschen, deren Teilnahme sich auf die Spiele beschränkt und welche die eigentliche Größe der Gruppe ausmachen.63 In der Regel treffen sich die Ultras einmal oder auch mehrfach wöchentlich, um aktuelle Themen zu besprechen oder Aktionen und Choreografien zu erarbeiten, meist in Kneipen oder eigenen Gruppenräumen. Die strenge Hierarchie macht sich insbesondere darin deutlich, dass zwar alle Themen innerhalb der Mitglieder besprochen werden, die Entscheidungen aber letztlich von der Führungsriege getroffen werden. 3.1.4 Selbstverständnis und Rituale Ein großer Teil des Selbstverständnisses, aus dem sich die Dinge ergeben, für die die Ultras eintreten, ist in dem sogenannten Ultramanifest64 niedergelegt, dem sich 63 ebd. S.465 26 fast alle Gruppierungen verschrieben haben. Dabei lehnen sie die fortschreitende Kommerzialisierung des Fußballs ab. Das Ultramanifest enthält auch politische Gesinnungen. Die Werte und Eigenschaften, die das Ultradasein prägen, kann man mit Aktivität, Unabhängigkeit, Loyalität und kritischer Auseinandersetzung zusammenfassen. Die Verbundenheit zu dem jeweiligen Verein ist der zentrale Wert der Ultras, wobei das Spiel nicht unbedingt im Vordergrund stehen muss, denn „The game isn’t as important as the performance of the group“.65 Die Verbundenheit kann von bedingungsloser Unterstützung bis hin zur völligen Ablehnung einzelner Spieler, sogar zu Drohungen und persönlichen Attacken reichen. Es geht den Ultras darum, sich deutlich von der normalen Fanszene zu unterscheiden. Ultrasein ist eine Lebenseinstellung. Ein Ultramitglied der „Brigate Rossonere“ beschreibt das Ultrasein folgendermaßen: „As an ultras I identify myself with a particular way of life. We are different from ordinary supporters because of enthusiasm and excitement. This means, obviously, rejoicing and suffering much more acutely than everybody else. So being ultra means exaggerating feelings, from a lot of points of view.” (Dal Lago, 1994, S. 80)66 Übersetzt bedeutet dies sinngemäß, dass man sich mit einem bestimmten Lebensstil identifiziert, man sich von den normalen Zuschauern in Form von Begeisterung unterscheidet, dass man viel mehr jubelt und leidet als sonst jemand. Ultra bedeutet, übertriebene Gefühle in vielerlei Hinsicht. Diese Gefühle drücken sich in den verschiedenen Ritualen, Aktionen und Maßnahmen aus, die von Ultras ausgehen. Zu nennen wäre da zunächst der „Tifo“, worunter allgemein die Unterstützung der eigenen Mannschaft verstanden wird. Italienische Ultras stehen während des Spiels in den Kurven. Den Bereich haben sie mit großen Bannern abgesteckt. Das Banner ist das Wahrzeichen der Gruppenidentität.67 Der Verlust des Banners, insbesondere die gewaltsame 64 z.B. http://www.forza-roma.de/asromultras/manifestoitaliano/index.html, Zugriff am 27.06.08 Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.174 66 zitiert ebd. S.164 67 Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S. 466 65 27 Abnahme durch eine gegnerische Ultragruppierung führt nicht selten dazu, dass sich eine Gruppierung auflöst. Die Unterstützung erfolgt akustisch und visuell. Es geht über den weites gehend geschlossenen Anmarsch zum Stadion, die vom Capo angestimmten Fangesänge, über gemeinsames Klatschen und Hüpfen, Hochhalten von Doppelhaltern, einheitliche Bekleidung, Schwenken von Fahnen, bis zu kleinlich ausgearbeiteten Choreografien, die vor oder während des Spiels gezeigt werden und meist aus Fahnen oder Kartonagen besteht, die gleichzeitig ausgerollt oder hochgehalten werden. Die Erarbeitung dieser Choreografien dauert häufig mehrere Tage und Wochen und erweist sich als besonders identitätsstiftend. Allein oder die Choreografie unterstützend, werden -obwohl verboten- stets auch Leuchtraketen und Rauchbomben (fumogeni) eingesetzt (Abbildung 3).68 Um diesen Reiz zu erleben, schmuggeln die Ultras die pyrotechnischen Gegenstände ins Stadion, obwohl ihnen dafür Stadionverbot droht. Durch diese Form der Unterstützung werden auch die Rivalitäten mit den gegnerischen Ultragruppierungen ausgelebt, die es traditionell im italienischen Fußball gibt und sich meist über Jahre entwickelt haben. Sie werden durch den soziologischen Terminus „Bedouin Syndrom“ geschrieben, der besagt, dass „ein Freund eines Freundes ein Freund ist, ein Freund eines Feindes ein Feind ist und ein Feind eines Feindes ein Freund ist“.69 Es ist ein regelrechter Wettkampf um die kreativsten Spruchbänder entbrannt, insbesondere mit dem Ziel im Vorfeld auszukundschaften, welchen Spruch die Gegenseite vorbereitet hat, um direkt die Antwort darauf zu präsentieren und einen“ Feldvorteil“ zu erlangen. Die Sprüche, häufig auch mit beleidigendem Charakter haben das Ziel die gegnerische Gruppierung zu treffen. Negativstes Beispiel, was auch um die Welt ging, war sicherlich ein Spruchband der Lazio-Ultras im Derby gegen AS Rom, auf dem zu lesen war „Ausschwitz ist eure Heimat, die Öfen sind eure Häuser“ (Abbilddung 4).70 Der Grad der Organisation zeigt sich im Merchandising und in den Formen der Öffentlichkeitsarbeit. Viele Ultragruppierungen verkaufen ihre eigenen Fanartikel. Spitzenreiter sind hier sicherlich die Lazio-Ultras „Irriducibili“ (Die Unbeugsamen), die sich ein 68 ebd. S.467 ebd. 70 Schönau(2005): Calcio.S.148 69 28 blau-weißes Imperium mit 14 Geschäften aufgebaut haben,71wodurch sie sich auch ihre Unabhängigkeit leisten können. Weitere Einnahmequellen sind neben Mitgliedsbeiträgen, häufig Zuschüsse von den Vereinen sowie Beteiligungen für die Abwicklung von Kartenverkäufen. Die „Öffentlichkeitsarbeit“ der Ultraklubs läuft meist über interne Fan-Magazine, die im Stadion verkauft oder verteilt werden und über interne Homepages, die fast jede Gruppierung hat.72 Dass die Unabhängigkeit und kritische Auseinandersetzung Hauptwerte der Ultras darstellen, zeigt sich besonders bei den Verbindungen zu den Spielern und zum Klub bzw. zum Vereinsvorstand. Die Unterstützung der Mannschaft ist im Idealfall bedingungslos, selbst bei negativen Ergebnissen, solange die Spieler die Mannschaftsfarben ehren und auf dem Spielfeld Einsatz zeigen.73. Ultras können aber sogar feindselig reagieren, wenn es Spieler wiederholt an Einsatzbereitschaft fehlen lassen oder unangebrachte Kommentare oder Verhaltensweisen an den Tag legen.74. In den Zeiten, wo der Fußball immer professioneller wird, und der Medienboom immer größere Dimensionen annimmt, entsteht eine größere Distanz zwischen den Spielern und den Fans. Es gibt heute nur noch wenige Spieler, die von den Gruppen als „bandiere“ (Banner oder Flagge) gesehen werden.75 Es sind die Spieler, mit denen sich die Ultras identifizieren, weil sie volle Hingabe zeigen und über lange treu Zeit zum Verein stehen. Beispiele hierfür sind di Canio (Lazio), Totti (AS Rom) oder Maldini (AC Milan). Noch extremer sieht es bei den Beziehungen zwischen den Ultras und den Präsidenten der Fußballvereine aus, die sich überwiegend im Privatbesitz befinden und eine Zeit lang mit Millionen versuchten, den Erfolg zu kaufen. Die Ultras, die den Fußball über alles stellten, war in diesem überdimensionierten MonopolySpiel nur eine Nebenrolle zugeschrieben.76 Sie begannen Widerstand zu leisten. Sie zeigten, zu was sie als Gruppe fähig sind und setzten die Präsidenten unter Druck. Es gibt mannigfaltige Beispiele, die den Einfluss der Ultras auf ihren 71 Blaschke (2007): Im Schatten des Spiels. S. 178 Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.465/466 73 ebd. S. 470 74 ebd. 75 ebd. 76 Blaschke (2007): Im Schatten des Spiels. S. 176 72 29 Verein zeigt. Die Fans von Inter schmuggelten, weil sie den Ordnerdienst im Griff hatten, einen Motorroller ins Stadion, den sie in den Unterrang warfen, wobei sich glücklicherweise niemand verletzte. Die Ultragruppierung des AC Florenz zwang gleich zwei Präsidenten durch massive Proteste und Stimmungsboykotte zum Rücktritt.77 In Verona wurde die Verpflichtung eines farbigen Spielers verhindert. Blaschke schreibt weiter, dass über das Fordern von Freikarten hinaus der Druck erhöht wird, sollten sich die Besitzer weigern, auf die Forderungen einzugehen. Man reagiert mit Gewalt und rassistischen Schmähungen. Infolgedessen werden die Vereine mit Platzsperren, Punktabzügen oder Geldstrafen belegt. Auf mögliche Spielabbrüche verzichtet man weites gehend, da sie den Fußball noch erpressbarer machen würden.78 Aber auch hier gibt es Beispiele, wo es Ultragruppierungen mit ihrem Verhalten bewusst darauf angelegt haben, dass ein Spiel abgebrochen werden musste. Genannt wird in diesem Zusammenhang der Spielabbruch des Römer-Derbys im März 2004, als durch die Fans das Gerücht in Umlauf gebracht wurde, dass die Polizei ein Kind vor dem Stadion überfahren hätte. Die Aggressivität stieg und der Spielführer von AS Rom bedrängte den Schiedsrichter zum Abbruch, in dem er gesagt haben soll “Wenn wir weiterspielen, bringen die uns um“. Bei den anschließenden Auseinandersetzungen wurden 170 Personen verletzt.79 Weitere Beispiele sind die Spielabbrüche in den Champions League Spielen AS RomDynamo Kiew (Herbst 2004) und Inter Mailand-AC Milan (April 2005), die aufgrund des Werfens von Gegenständen bzw. dem massiven Abschießen von Leuchtraketen abgebrochen wurden. Ganz extrem war der Druck, den die Lazio-Ultras, mit ihrem Anführer Fabrizio Toffolo an der Spitze, der trotz Stadionverbots die Geschicke der Fanbewegung von Lazio lenkt, auf die Präsidenten Cragnotti und später Lotito ausübten. Als sie gegen die Unbeugsamen vorgehen wollten, wurde ihnen und ihren Familienmitgliedern massiv Gewalt angedroht, Lotito erhielt sogar eine Briefbombe.80 77 ebd. S. 177 ebd. 79 ebd. 80 ebd. S.181 78 30 Der starke Einfluss der Ultras breitet sich auch auf die Medien aus. Es findet keine neutrale Berichterstattung mehr statt, weil auch die Journalisten meist Angst vor den organisierten Fangruppen haben.81 3.1.5 Ultras und die Politik Der Stellenwert des Fußballs in Italien macht auch vor der Politik nicht halt. Die Verstrickungen von Politik, Verbänden und Vereinen sind in Italien offenkundig. Nicht nur der jetzige Ministerpräsident Berlusconi, der lange Jahre Präsident des AC Milan war und das Amt aufgrund der gesetzlichen Lage nur während der Bekleidung des Ministerpräsidentenamtes ruhen lässt, hatte politische Ambitionen, auch andere Personen nutzten entweder die politische Bühne um Einfluss in Vereinen zu bekommen oder nutzen das Sportamt, um eine politische Karriere zu machen. Die Politik war es auch, die durch Entscheidungen nicht unerheblich Einfluss auf den Spielbetrieb nahm. So rettete die Regierung Berlusconi 2003 den SSC Neapel mit einer Notverordnung vor dem Abstieg in die Drittklassigkeit und 2005 stundete die Regierung mit einem Gesetz vielen hoch verschuldeten Klubs die Steuerschulden.82 Dies erfolgt, weil der Fußball in Italien eine kaum vorstellbare Bedeutung besitzt und sich Politiker von ihren Entscheidungen Zustimmung bei Wahlen erhoffen. Politische Charakteristika waren in der gesamten Entwicklung der italienischen Ultras-Subkultur von großer Bedeutung. Diese beeinflussten die Symbolik, Strukturen und sogar anfängliche Beziehungen zwischen den Gruppen.83 Obwohl die Ultrabewegung sich zu Beginn, auch aufgrund der damaligen gesellschaftspolitischen Situation, eher linksorientiert zeigte, dominieren seit Anfang der 90er Jahre eindeutig die rechtsorientierten Ultras die Stadien. Laut einer Untersuchung des Innenministeriums84 weisen 192 von 445 starke politische Züge auf. Von diesen können 113 als rechts oder extrem rechts (26%) und 79 als links oder extrem links (18%) eingestuft werden. Die Studie besagt ferner, dass von 43.000 Ultras, die politischen Gruppierungen zugeordnet werden 81 DSF-Reportage: Tod und Spiele-Italiens Fußball am Abgrund, ausgestrahlt am 14.01.2008 Schönau(2005): Calcio. S.130/131 83 Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.468 84 ebd. S. 469 82 31 können, 30.000 dem rechten und 13.000 dem linken Lager zugeschlagen werden können. Rechts stehende politische Parteien und Organisationen, wie z. B. „Forza Nuova“ haben tatsächlich in der Vergangenheit Ultras-Gruppen als ihr primäres Ziel für Propaganda und Unterstützung identifiziert.85 Die rechte Ideologie wird vermehrt auch in Stadien durch Symbole und Zahlen, wie keltische Kreuze, Hakenkreuze, 88 (steht in rechtsextremen Kreisen für Heil Hitler) oder durch Spruchbänder deutlich, wie es z. B. 2005 beim Spiel Lazio gegen Livorno mit „Rom ist faschistisch“ gezeigt wurde.86 Auch der römische Gruß, dem Hitlergruß ähnelnd, wird häufig vor und während der Spiele aus dem Ultrablock gezeigt. In die weltweite Presse geriet der römische Gruß des Lazio Spielers Paolo di Canio, der nach einem Tor 2005 im Derby gegen AS Rom sich so seinen Fans zeigte (Abbildung 5) und sich auch öffentlich dazu bekennt, rechts zu sein.87 3.2 Maßnahmen zur Verhinderung/Eindämmung der Gewalt Im Kapitel 3.1 ist zu einigen Auswüchsen der Gewalt schon kurz die Reaktion angeklungen, mit denen der Staat auf die Gewaltexzesse geantwortet hat. Im Folgenden soll dargestellt werden, welche Befugnisse der Staat seinen Ordnungsinstanzen einräumt und eingeräumt hat, um das Gewaltphänomen im Zusammenhang mit Fußballspielen einzudämmen. Darüber hinaus soll auch aufgezeigt werden, was Vereine/Verbände auf der einen Seite und die Fanszene auf der anderen Seite selbst getan haben, um die Konflikte zu entschärfen. Wie schon angedeutet kommt der Eindruck auf, dass italienische Regierungen lediglich auf Gewaltexzesse reagieren, statt pro-aktiv tätig zu werden. In der nationalen Diskussion über Ultras und organisierte Fangruppen spielt der Aspekt der Gewalt die Hauptrolle.88 Maßnahmen in Bezug auf Ultras waren in Italien meist nur auf das Problem der Gewalt ausgerichtet, die Ursachen und Gründe wurden aber vernachlässigt. Repression und Polizeiarbeit waren folglich die einzigen ergriffenen Maßnahmen, die bislang nur mäßigen Erfolg hatten.89 85 ebd. siehe hierzu http://www.spiegel.de/sport/fussball/0,1518,350759,00.html Zugriff am 30.06.2008 87 Schönau(2005): Calcio.S.148/149 88 Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.475 89 ebd. 86 32 3.2.1 Maßnahmen/Befugnisse der Polizei Neben den herkömmlichen polizeilichen Standardbefugnissen, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, wurden durch die Regierung nach Vorfällen mit Gewalt besondere Gesetze erlassen, die spezielle repressive Maßnahmen für die Polizei vorsah. Zu nennen ist das Gesetz 401 aus dem Jahr 1989, welches im Vorgriff auf die in Italien stattfindende Weltmeisterschaft erlassen wurde. 1999 nach dem Tod der vier Fans im Sonderzug wurde eine Richtlinie erlassen, die ein Verbot von Sonderzügen vorsieht und noch Bestand hat. Man kann sagen, dass das Gesetz nicht unbedingt die polizeiliche Arbeit erleichtert hat, da die Fans nun individuell anreisen, eigene Züge mieten oder Busse nutzen, jedoch weniger geschlossen anreisen, als noch mit den Sonderzügen. Es ist nun schwieriger, die Fans lückenlos zu begleiten. Das Sondergesetz 377 aus dem Jahr 2001 sah das Verbot von Rauchbomben und anderen pyrotechnischen Gegenständen vor.90 Darüber hinaus wurde das Stadionverbot verschärft, folgende Handlungen können demnach zu einem Stadionverbot führen:91 • Gewalt innerhalb und außerhalb der Stadien • Einführen, Anzünden und Werfen von Leuchtkörpern und Rauchbomben • Tragen von Bannern mit aufhetzenden, gewaltfördernden oder rassistischen Inhalten oder das Singen solcher Inhalte • Werfen von Gegenständen auf die Spielfläche oder auf Personen (Polizei) • Betreten der Spielfläche auch ohne gewalttätige Absicht, Betreten des Stadions ohne gültige Karte Das Stadionverbot (diffida), das in Italien direkt durch die Polizeibehörden verhängt werden kann, stellt die populärste Sanktionsmethode dar.92 Ein Stadionverbot führt möglicherweise auch zu Meldeauflagen (obbligo di firma), um den Fan vom Stadion fernzuhalten. Mit dem Sondergesetz 88 aus dem Jahr 2003 wurde eine neue Maßnahme eingeführt, die zuvor nur im Kampf gegen den Terrorismus angewendet wurde.93 90 ebd. S. 475 ebd.S.476 92 Blaschke(2007): Im Schatten des Spiels. S. 183 93 Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S. 475 91 33 Die Maßnahme, genannt „flagranza differita“, räumte der Polizei die Möglichkeit ein, Übeltäter nach begangener Tat mit Videoauswertung als Beweisführung bis zu 36 Stunden in Gewahrsam zunehmen. Obwohl die Maßnahme für verfassungswidrig erklärt wurde, wurde sie weiter angewendet. Das im Oktober 2005 verabschiedete „Decreto Pisanu“ sieht Regelungen vor, wonach nur noch personalisierte Eintrittskarten verkauft werden dürfen. Bei den Kontrollen am Stadion wird mittels Einsichtnahme in den Personalausweis geprüft, ob es sich um die Person handelt, für die die Eintrittskarte ausgestellt ist. Der Fan soll aus seiner Anonymität herausgerissen werden. Zur repressiven Linie passt es, dass der damals zuständige Abteilungsleiter Sport im Innenministerium von Rom, Felizi auch nach den Vorfällen mit Raciti und Sandri lediglich Stadionverbote, Spielabsagen und Zuschauerausschlüsse als probate Mittel nannte.94 Kartenkontingente an Gästefans werden nicht mehr ausgegeben, Karten sind nur vor Ort kaufbar.95 Darüber hinaus kann das Innenministerium Mitreiseverbote aussprechen, wie jüngst bei dem letzten Saisonspiel, als den Fans von AS Rom die Fahrt nach Catania untersagt wurde. Zuvor hatte am selben Spieltag der Polizeipräfekt von Parma den Inter-Fans den Zutritt zum Stadion im Vorfeld verboten.96 Von Spielabsagen, wie am 30. März 2008, als die Partie zwischen Juve und Parma abgesagt wurde, wird ebenso Gebrauch gemacht, wie noch verstärkter vom Ausschluss von Zuschauern. Das Spiel wurde abgesagt, nachdem ein Parma-Fan von einem Turiner-Fan-Bus überfahren wurde. Der Bus soll zuvor von Parma–Fans auf einem Rastplatz angegriffen worden sein, der Fahrer wollte wohl flüchten und überrollte mit seinem Bus den 28jährigen Parma-Fan. Neben der Trauer befürchtete die Polizei massive Ausschreitungen.97 Um sich aus polizeilicher Sicht besser um die Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen kümmern zu können, wurde im italienischen Innenministerium die 94 DSF-Reportage: Tod und Spiele-Italiens Fußball am Abgrund, ausgestrahlt am 14.01.2008 ebd. 96 Bericht der WAZ, Datum nicht ersichtlich (liegt dem Verfasser vor) 97 Bericht der WAZ vom 31.März 2008 95 34 Abteilung „Osservatorio Nazionale sulle Manifestazioni Sportive“ gegründet, die eine Zentralstellenfunktion einnimmt. Die Aufgabe der Dienststelle besteht darin, die Situation im Sport und organisierten Fanklubs zu überwachen und Aktivitäten zu organisieren, die Gewalt vorbeugen sollen sowie Vorschläge zur Verbesserung der Sicherheit zu machen.98 Ein Vorschlag war u.a. auf die Sicherheit in den Stadien bezogen, die bis auf wenige Ausnahmen nicht im Vereinsbesitz sind. So wurden 2007 knappe 750 Millionen Euro in neue Sicherheitssysteme investiert.99 Dies ist notwendig geworden, weil die Stadien häufig marode sind und selbst in denen, die 1990 Weltmeisterschaftsspiele gesehen haben, wurde bis dato eigentlich kein Cent mehr investiert. Neben Beamten der drei sachlich zuständigen Polizeieinheiten Polizia di Stato, Arma del Carabinieri oder Guardia di Finanza, setzt die Polizei in Fußballstandorten nun sogenannte „Squadre tifoserie“ ein. Dabei handelt es sich um eine Anzahl von Beamten, die ähnliche Tätigkeiten, wie die deutschen SKB wahrnehmen. Neben der Gewinnung von Szenekenntnissen, der Begleitung der Ultras zu Heim- und Auswärtsspielen, geht es ihnen darum, eine Kommunikation zu den Ultras herzustellen, die in der Polizei das Feindbild sehen und jeden Kontakt eigentlich ablehnen.100 Es hat sich aber gezeigt, dass Spannungen abgebaut werden, wenn es den Beamten gelingt, zu den Anführern der Ultras eine Beziehung aufzubauen, die von gegenseitigem Respekt und Vertrauen geprägt ist.101 Gewaltgeneigte Fans werden nicht wie in anderen Ländern aus der Anonymität der Gruppe herausgeholt, sondern können diese ungehindert für ihre Aktionen nutzen. Eine Datei „Gewalttäter Sport“ gibt es in Italien nicht.102 3.2.2 Maßnahmen der Vereine Die Vereine haben sich lange nicht um die Fans gekümmert und haben dem Treiben mehr oder weniger tatenlos zugeschaut. Teilweise tragen sie, wie z. B. der 98 Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.477 DSF-Reportage: Tod und Spiele-Italiens Fußball am Abgrund, ausgestrahlt am 14.01.2008 100 Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.478/479 101 ebd. S. 479 102 Boge (2006): Vergleichende Darstellung gewaltorientierter Fußballfans von Italien, den Niederlanden und England am Beispiel der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland. S. 40 99 35 ehemalige Lazio Präsident Cragnotti, eine große Mitschuld, dass die Ultrabewegung sich bei einzelnen Vereinen so gewalttätig ausgebildet hat. Da das meiste Geld durch Fernseheinnahmen eingenommen wurde, gerieten die Fans in den Hintergrund. Als die ersten Proteste losgingen, machte man Zugeständnisse, u.a. ließ man sie teilweise an Kartenverkäufen partizipieren. Als der Druck zu groß und die Ultrabewegung mehr Einfluss hatte, war es, wie ich es oben schon geschildert habe, den Vereinspräsidenten nicht mehr möglich, den Hebel umzuschalten. Cragnotti sagte in einem Interview: “Die Irriducibili sind ein Monster, was ich erschaffen habe. Ich hätte mehr Härte zeigen sollen, und ich hatte tatsächlich einmal die Chance dazu. Doch ich habe sie nicht genutzt“.103 Entscheidende eigenständige Maßnahmen wurden durch die Vereine nicht getroffen; eine Fanarbeit findet, verglichen mit Deutschland nicht statt. Zuletzt haben sie das oben beschriebene Ticketing System gemeinsam mit Verband initiiert, welches vom Parlament dann beschlossen wurde. 3.2.3 Maßnahmen der Verbände Die beiden maßgeblichen Fußballvereinigungen sind FIGC (Fußballverband Italiens) und die Lega Calcia (Ligaverband), die ebenfalls ein Feindbild der Ultragruppierungen darstellen, da sie im Wesentlichen für die Kommerzialisierung des italienischen Fußballs verantwortlich gemacht werden. Sie haben auch lediglich die staatlichen repressiven Maßnahmen unterstützt. Sie haben ein Null-Toleranz-Konzept104 entwickelt, was es dem Schiedsrichter erlaubt, bei Ausschreitungen die Partie abzubrechen. Zuletzt haben sich die Verbände zumindest auf die Fangruppierungen zubewegt und Gespräche mit Fanvertretern geführt.105 3.2.4 Maßnahmen der Fans Wie vom Selbstverständnis abzuleiten ist, lehnten die Ultras lange Zeit jegliche Zusammenarbeit mit allen Institutionen ab. Gewalt war sicherlich nicht Hauptziel, aber zwischenzeitlich ein legitimes Mittel geworden, um ihre Interessen 103 Blaschke (2007): Im Schatten des Spiels. S. 180 Boge (2006): Vergleichende Darstellung gewaltorientierter Fußballfans von Italien, den Niederlanden und England am Beispiel der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland. S. 49 105 Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.473 104 36 durchzusetzen. Mit dem oben erwähnten Dokument „Basta lame basta infami“ kam es zu ersten Annäherungen zwischen den Ultragruppierungen. 1995 gründet sich mit Progetto Ultra, ein Zusammenschluss mehrerer Ultras, auf deren Initiative 2002 das Movimento Ultras, ein gemeinsames Netzwerk verschiedener Ultragruppierungen, entstand. Das Movimento Ultras unterbreitet, wie auch im Programm 2003, Vorschläge, wie der italienische Fußball wieder sicherer werden kann. Ein Problem ist sicher, dass einige Gruppen die Ultravereinigungen nicht anerkennen und auch die nationalen Behörden sich weigern, diese als offizielle Fanorganisation anzuerkennen.106 Zu erwähnen ist sicher abschließend, dass Progetto Ultras, sich an dem von der UEFA ins Leben gerufene Projekt FARE107 beteiligt und u.a. die Weltmeisterschaften gegen Rassismus austrägt. 3.3 Aktuelle Gewaltsituation Auch wenn man es angesichts der Schilderungen aus Italien und insbesondere der schrecklichen Gewalthöhepunkte nicht glauben mag, ist gemäß der Veröffentlichungen des Osservatorios die Gewalt im Zusammenhang mit Fußball rückläufig.108 Die abschließenden differenzierten aktuellen Daten aus der Saison 2007/2008 sind noch nicht veröffentlicht. Bislang kann nur auf eine Übersicht zurückgegriffen werden, die die ersten 11 Spieltage der Serie A, die ersten 13 Spieltage der Serie B und die ersten 12 Spieltage der 3 Ligen der Serie C der Spielzeit 2007/2008 umfassen. Vergleichszahlen aus dem Vorjahr bzw. aus einer 5-Jahres-Übersicht beziehen sich auf die entsprechenden Zeiträume der Spielzeiten:109 Demnach verbuchten die Vereine der Serie A in dem betreffenden Zeitraum der Spielzeit 2007/2008 erstmals wieder einen Zuschaueranstieg und zwar um 19 %. Die Serie B hat einen beträchtlichen Zuschauerrückgang um ca. 32 % zu verzeichnen. Die Entwicklungen werden darauf zurückgeführt, dass Vereine, wie 106 Boge (2006): Vergleichende Darstellung gewaltorientierter Fußballfans von Italien, den Niederlanden und England am Beispiel der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland. S. 47/48 107 ausführliche Informationen hierzu unter http://www.farenet.org/ Zugriff am 16.07.2008 108 ONsM: http://www.osservatoriosport.interno.it/allegati/Dati/situazione_5_novembre.pdf Zugriff 03.06.2008 109 ebd. 37 Turin, Genua und Neapel mit entsprechenden Zuschaueraufkommen in die Serie A aufgestiegen sind. Der Zuschauerschnitt lag in der Serie A bei knapp über 25.000 Zuschauern pro Partie, in der Serie B bei knapp 7.200. Sehr auffällig ist die geringe Zahl der Gästefans, die bei den Spielen registriert wurden und die nicht zuletzt auf die bereits beschriebenen Restriktionen für Gästefans zurückzuführen sein dürften. Bei den aufgeführten 110 Spielen der Serie A sind 87.557 Gästefans gezählt worden, was einen Schnitt von knapp 796 ausmacht. Bei der Serie B waren es bei bislang 141 Spielen, 44.617 Gästezuschauer, was einen Schnitt von ca. 316 ausmacht. Der Personalaufwand der Polizei ist gerechnet auf die Serien A-C ebenfalls rückläufig und zwar von der Saison 2003/2004 von 79.038 auf 66.114 in der Saison 2007/2008. Insgesamt konnte mit Ausnahme der Spielzeit 2006/2007 ein konstanter Rückgang der eingesetzten Polizeikräfte festgestellt werden. Auffällig ist jedoch, dass der Personalaufwand in der Serie A über die Jahre relativ konstant geblieben ist und in der Spielzeit 2007/2008 einen deutlichen Anstieg um über 20% auf 28.263 zur Vorsaison erfahren hat. Auch hier dürfte der Aufstieg traditionsreicher Vereine mitentscheidend gewesen sein. Auch der Anteil zur Verstärkung angeforderter Polizeikräfte sank in den Serien A-C um über 23% auf 27.581, blieb in der Serie A aber auch relativ konstant. Wie schon angedeutet, sind die Daten, die die Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen aufzeigen in den Spielklassen rückläufig. Die Zahl der Spiele, wo es Verletzte gab, sank im entsprechenden Zeitraum von 133 (2006/2007) auf 53 (2007/2008). Die Anzahl verletzter Polizeibeamter sank ebenfalls von 108 (2006/2007) auf 22 (2007/2008). Die Anzahl der verletzten Fans ist mit 31 etwas höher als in der Vorsaison, aber bedeutend geringer als noch 2004/2005, wo 75 verletzte Fans registriert wurden. Die Anzahl der Festnahmen sank ebenfalls und zwar um 18 % auf 73, liegt aber höher als noch in den Spielzeiten 04/05 und 05/06. Die Anzahl der Anzeigen/ Beschwerden ist um 9 % auf 326 gesunken. In dem genannten Zeitraum der Spielzeit 2007/2008 sind insgesamt 554 Maßnahmen durch die Polizei getroffen worden, wovon 499 auf die staatliche Polizei, 54 auf die Carabinieri und 1 auf eine andere Polizeidienststelle entfallen. Eine Analyse der Monitoring-Daten durch das Nationale Zentrum für Informationen über Sportveranstaltungen, am Ende der abgelaufenen Spielzeit 38 der nationalen Meisterschaften der 3 Profiklassen (Serie A-C), im Vergleich mit dem vergleichbaren Zeitraum der vorangegangenen Saison, unterstreicht die deutliche Verbesserung der Situation. Dort sind folgenden Daten aufgeführt:110 • Spiele mit Verletzten: Rückgang um 35 % (von 60 auf 39) • Verletzte zwischen Fans: Rückgang um 6,06 % (von 66 auf 62) • Verletzte Polizeibeamte: Rückgang um 45,26 % (von 190 auf 104) • Verhaftungen: Anstieg um 3,20 % (von 125 auf 129) • Anzeigen/Beschwerden: Rückgang um 28,29 % (von 576 auf 409) Besondere Erwähnung findet, dass der Einsatz von Tränengas“ um 62,50 % reduziert wurde und der Einsatz „nur noch“ bei 6 Spielen, statt wie im Vergleich zum Vorsaisonzeitraum bei 16 Spielen notwendig war. Sicher ein sich abzeichnender erfreulicher Trend. Es bleibt abzuwarten, ob er von Dauer ist, zumal keine große Bewusstseinsänderung bei den Ultras und auch nicht bei den staatlichen Instanzen festzustellen, ist. Es kann zwar sein, dass die repressiven Maßnahmen greifen, es erscheint jedoch, dass ohne präventive Arbeit eine Bewusstseinsänderung nicht eintreten kann und es nur den nächsten Konflikt braucht, um die Lage wieder ins Gegenteil umzukehren. 4. Beschreibung der deutschen Verhältnisse 4.1 Die deutsche Ultrabewegung 4.1.1 Abgrenzung zur italienischen Szene Im Kapitel 3 habe ich ausführlich die italienische Ultrabewegung beschrieben. Wenn man sie mit der deutschen Szene vergleichen bzw. zu ihr abgrenzen will, so kann vorausschickend gesagt werden, dass Ultra nicht gleich Ultra ist, und die deutsche Szene nicht mit der in Italien vergleichbar ist, da zum einen die äußeren, gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verschieden sind, zum anderen in der 110 ONsM: http://www.osservatoriosport.interno.it/allegati/Dati/dati_girone_andata.pdf Zugriff am 03.06.2008 39 wissenschaftlichen Fanforschung die Fanszene nicht gleichermaßen differenziert betrachtet und behandelt wird wie in Deutschland.111 Wesentliche Erkenntnisse zur deutschen Ultraszene ergeben sich aus der Teilstudie „Ultraszene in Deutschland“ zur Metastudie „Die Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball - Notwendigkeiten, Möglichkeiten und Grenzen gesellschaftlicher Reaktion“, die 2004 von dem Fanforscher Gunter A. Pilz, u.a. begonnen und 2006 abgeschlossen wurde. Hierauf werde ich neben anderen Quellen häufig Bezug nehmen. Da es sich um eine sehr umfassende Studie handelt, werde ich mich bei der Beschreibung der Szene auf die Teile beschränken, die ich für wesentlich charakteristisch für die deutsche Szene halte. Festgehalten werden kann, dass die Fanszenen sehr heterogen sind, in denen aber nachfolgende Charakteristiken für fast alle Ultraszenen gelten: • Selbstdarstellung und Inszenierung • Organisation • Optischer und akustischer Fan-(Dauer-)Support • Aktionen vor, während und nach dem Spiel • Lokalpatriotismus • Konkurrenzkampf • Provokation • Kritik • Rivalität • „Wir“ vs. „Andere“ • Hass auf die Polizei.112 Die Kultur der Ultras kann als eine Zuneigungs-, Demonstrations- und Provokationskultur verstanden werden, die ihre Wurzeln in der italienischen, linksgerichteten Protest-, Studenten- und politischen Widerstandsbewegung hat.113 Die vorhandenen Unterschiede, die durch die nachfolgenden Ausführungen zur deutschen Ultrabewegung belegt werden, lassen sich im Wesentlichen an folgenden Kriterien festmachen: 111 Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.212 ebd. 113 ebd. 112 40 • jünger • kleiner • unpolitischer Auf der Internetseite der Ultras von 1860 München werden die Unterschiede wie folgt beschrieben: „Dennoch gibt es nennenswerte Unterschiede zwischen Original und Imitat. Straffe Organisation und ausgeprägte Hierarchie-Ebenen sind typische Merkmale der südeuropäischen Ultras, in deren Reihen dem Individuum wenig Handlungsspielraum gelassen wird. Vielmehr muss der Einzelne seine Loyalität immer wieder neu beweisen, indem er die ihm von der Gruppe oder ihren Anführern gestellten Aufgaben so gut wie möglich erfüllt. Neue Mitglieder werden vorzugsweise unter Einheimischen rekrutiert. Nur wer sich voll und ganz mit seiner Heimatregion identifiziert, findet in der Gruppe die gewünschte Akzeptanz und Anerkennung. Manchmal schlägt harmlos anmutender Lokalpatriotismus in aggressiven Chauvinismus um - neben der guten Organisation ein weiterer Grund, warum sich Neonazis die Szene als lohnendes Ziel ausgeguckt haben und sie zu unterwandern suchen.“114 Während in Italien die politische Orientierung und deren Artikulation im Stadion eine große Rolle spielen, steht bei den deutschen Ultras die Anfeuerung im Vordergrund.115 Italien hat, wie schon dargestellt und im Folgenden an den Daten ablesbar, einen Vorsprung von knapp 30 Jahren. Die deutsche Szene befindet sich immer noch in der Entwicklung und ist von der Größe auch deshalb geringer, weil sich die Traditionen noch nicht so verwurzelt haben, wie in Italien. 4.1.2 Entwicklung und Größe In Deutschland breitete sich Anfang der 90er Jahre die Ultrabewegung aus. Die ersten kleineren Gruppen bildeten sich in Köln, Leverkusen, Nürnberg und München.116 Als erste Gruppierungen werden der Fortuna Köln Fanclub „Eagles Supporters“ oder die „Mad Boyz“ aus Leverkusen genannt.117 Als etabliert kann die Ultraszene ab ca. Mitte der 90er Jahre bezeichnet werden. Seit dieser Zeit 114 http://www.ultras1860.de/unterschiede-ultras.html, Zugriff am 02.07.2008 Gabriel(2004):Ultra-Bewegungen in Deutschland in Ballbesitz ist Diebstahl. S.183 116 Blaschke (2007): Im Schatten des Spiels. S. 84 117 Boge(2006): Vergleichende Darstellung gewaltorientierter Fußballfans von Italien, den Niederlanden und England am Beispiel der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland S. 15 115 41 wächst trotz mehrfacher Auflösungen die Szene durch Neugründungen und Mitgliederzuwächse. Eine von mir anhand von vereinseigenen Internetseiten, der Seite http://www.forza-roma.de/index.html sowie bei der Durchsicht verschiedener Forenkommentare durchgeführten Recherche ergab, dass eigentlich alle Vereine, die in der Spielzeit 2008/2009 in der 1-3 Liga spielen, mittlerweile über mindestens eine Ultragruppierung verfügen.118 Lediglich eine Recherche für Rot-Weiß Ahlen führte zunächst nicht zu einem Ergebnis. Eine per Email durchgeführte Nachfrage bei dem Fanbeauftragten von RW Ahlen, Herrn Peter Schulz ergab, dass es bislang keine Gruppierung gab, sich zurzeit jedoch eine gründet, die momentan zwar nur 7-8 Personen umfasst, sich aber für die neue Spielzeit angemeldet hat.119 Einige Vereine, meist Bundesligisten verfügen über mehrere Ultragruppierungen, verschiedener Größen, beispielhaft sei hier Frankfurt genannt, die mit „UltrasFrankfurt“, „Adlerfront“ und „Droogs“ über mindestens drei Gruppierungen verfügen,120 Die Stärken der verschiedenen Gruppierungen sind unterschiedlich ausgeprägt. Die kleinsten Szenen sind ca 10-20 Mann/Frau stark, die stärksten Gruppierungen, wie z. B. die Frankfurter Szene kann bis knapp über 1.000 Mitglieder stark sein, setzt sich dann aber aus allen Ultraklubs zusammen. Nach Polizeischätzungen umfassen die Dortmunder und die Schalker Szenen 800 bzw. 700 Personen.121 Die Gesamtzahl aller ultraorientierten Fußballfans im engeren Sinne, d.h. der Personen, die auch als informelle Mitglieder in den verschiedenen Gruppen namentlich geführt werden und regelmäßig an Heim- und Auswärtsspielen teilnehmen, wurde in der Pilz-Studie auf knapp 7.000 Personen geschätzt. 122 Heutzutage dürfte die Anzahl bereits höher liegen. Die Zahl sich beteiligender Fans liegt ferner deutlich höher. 118 siehe u.a. http://www.forza-roma.de/ultrasineuropa/ultrasfansindeutschland/index.html, Zugriff vom 30.06.2008 119 telefonische Auskunft des Fanbeauftragten von RW Ahlen, Herrn Peter Schulz vom 30.06.2008 120 http://www.forza-roma.de/ultrasineuropa/ultrasfansindeutschland/frankfurt.html, Zugriff am 02.07.2008 121 aus den Berichten der Behörden zur Vorbereitung auf die Fachbesprechung des LZPD NRW mit den NRW-Fußballstandorten vom 28.01.2008 in Neuss 122 Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.71 42 Trotzdem bleibt festzuhalten, gerade vor dem Hintergrund, dass die Ultras sich als die „einzig wahren Fans“ verstehen, dass sie nur etwa 1-2 im Maximum bis zu 7 Prozent der Gesamtzuschauerzahlen eines Spiels ausmachen.123 4.1.3 Strukturen Auch hier ist eine umfassende Aussage zu allen Gruppierungen nicht möglich, da es keine einheitliche Szene gibt. Der Organisationsgrad variiert stark und ist u.a. auch von der Mitgliederstärke abhängig. Auch wenn man es nicht für alle sagen kann und der Strukturierungsgrad sicher noch nicht die Dimensionen der italienischen Gruppierungen erreicht, kann man gerade für die größeren und gewachsenen Gruppierungen festhalten, dass sie straff durchorganisiert sind, teils mit informellen, teils mit formellen Strukturen.124 Die Organisation der einzelnen Ultra-Gruppen erfolgt überwiegend durch eine gewachsene Fanhierarchie.125 Ämter werden nicht durch Wahlen vergeben, sondern durch Mitarbeit und Leistung innerhalb der Gruppierung „erdient“. Die Organigramme sind basisdemokratische Modelle. Die Leitung erfolgt durch ein Führungsgremium von drei bis vier Personen, die jeweils für einen bestimmten Bereich, wie z. B. Vorsänger, Finanzen, Organisation, Fotos oder Texte zuständig sind126 oder je nach Größe der Gruppe durch eine sogenannte Direktive, eine Art Vorstand von 10-15 Personen.127 Diejenigen die sich am meisten engagieren haben die meiste Macht. Ähnlich wie in Italien muss der Vorsänger hier auch nicht identisch mit dem Anführer sein. Neben der Direktive haben die Ultras einen Ältestenrat, einen Kassenprüfer und einen Sprecher.128 Die Finanzierung erfolgt über Mitgliedsbeträge, Verkauf von klubeigenen Fanartikeln und Fanzines129 sowie Spenden. 123 ebd. S. 72 ebd. S.94 125 ebd. 126 ebd. 127 Blaschke (2007): Im Schatten des Spiels. S. 85 128 ebd. S. 86 129 exemplarisch hierzu „Löwenmut“ von 1860 München unter http://www.fanzine-loewenmut.de/ oder „Im Zeichen des Brustrings“(VFB Stuttgart) unter http://www.cc97.de/med_fanzines.php , Zugriff am 22.07.2008 124 43 Sie verstehen sich der Studie von Pilz nach als Fanklub des Vereins, ohne im überwiegenden Maße ein eingetragener Verein zu sein.130 Die Zusammensetzung der Klubs ist sehr unterschiedlich, jedoch scheinen gerade Personen, die die verschiedenen Gruppen organisieren oder leiten, einer höheren sozialen Schicht anzugehören und häufig Schüler, Studenten oder Azubis mit höherer Schulbildung zu sein.131 Die Altersstruktur liegt im Durchschnitt zwischen 15-25 Jahren,132 wobei gerade auch bei den Interviewpartnern der Eindruck aufkam, dass die Szenemitglieder immer jünger werden.133 Die Studie von Pilz hat auch gezeigt, dass neben der mehrheitlichen männlichen Dominanz der Szene, auch Frauen grundsätzlich Mitglied in den Gruppierungen werden können. Von Gleichberechtigung kann aber sicher nicht gesprochen werden.134 Die Organisation und der Austausch von Informationen erfolgt neben persönlichen Treffen auch über das Internet und gruppeneigenen Homepages135, die zum Teil auffallend professionell gestaltet sind.136 Neben öffentlichen Bereichen werden bestimmte Seiten und Foren nur für registrierte Mitglieder freigeschaltet. 4.1.4 Selbstverständnis, Rituale und Aktionen Das Ultra-Selbstverständnis lautet: „Wir sind das Spiel, wir sind die Hauptsache!“137 Über die Hälfte, der in der Teilstudie genannten Ultras gaben an, dass Ultra ihr Leben sei und andere Dinge, wie Beruf oder Familie sich dem Fußball unterzuordnen haben.138 Der Support der Mannschaft ist wichtiger als der Sieg der Mannschaft und deckt sich mit dem Selbstverständnis aus der italienischen Szene. Der Sieg über die gegnerischen Fans, nämlich das Niedersingen, die besseren, kreativeren Choreografien oder Transparente, steht auch bei der deutschen Szene 130 Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball.S.95 ebd. S. 96 132 ebd. S. 77 133 Interviews PHK Kommoß und Herr Bartelt 134 Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball.S.86-94 135 exemplarisch hierzu z.B. http://www.ultras-hannover.de/ (Hannover 96), http://www.ultrasfrankfurt.de (Eintracht Frankfurt) oder http://www.schickeria-muenchen.de (Bayern München), Zugriffe am 01.07.2008 136 Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S. 99 137 ebd. S. 72 138 ebd. S. 72ff 131 44 im Vordergrund. In diesem Zusammenhang spielen auch Rivalitäten eine große Rolle. Durch die Ultras scheint das Thema „Freundschaft und Feindschaft“ in der Fankultur wieder mehr an Bedeutung zu gewinnen.139 Die Feindschaften zu Fans gegnerischer Vereine, die teilweise in Hass münden, werden durch Banner, Plakate mit häufig diffamierenden Inhalten zum Ausdruck gebracht. Als Beispiele für Fanfeindschaften kann man Bremen-Hamburg oder Schalke-Dortmund nennen. Eine Fanfreundschaft besteht u.a. zwischen Nürnberg und Schalke. Der Pilz-Studie zur Folge werden die Rivalitäten und der Hass im Osten Deutschlands noch intensiver ausgelebt. Hier wurden Gästefans durch die Erfurter Ultras mit dem Transparent: „Wir würden nicht einmal auf euch pissen, wenn ihr brennt“ „begrüßt“.140 Diese Rivalitäten leben die Ultras auch in übergreifenden Fanzines, wie dem Blickfang Ultra oder Erlebnis Fußball, um nur zwei zu nennen. Hier wird geschildert, wie die Unterstützung aussah und wer den Spieltag gewonnen hat, wobei man auch „Niederlagen“ eingesteht, wie z. B. die Ultras von The Unity Dortmund, die den ernüchternden Derbytag gegen Schalke so beenden: „Niederlage auf allen Ebenen für den BVB, manche Tage muss es einfach nicht geben“.141 Die Mediendarstellung, wenn auch nur in internen Fanzines oder Foren gehört auch zum wesentlichen Bestandteil der Ultrabewegung. Schon kurz nach den Spielen werden Aktionen beschrieben und bewertet. Jede noch so gelungene Aktion oder kleines Zugeständnis der Polizei wird als Erfolg verkauft, Repressionen werden ausschmückend beklagt, wobei das eigene Verhalten häufig bagatellisiert wird. Bei den Fanzines zeigt sich auch, dass die Angehörigen seltener aus bildungsarmen Schichten kommen, da die Darstellungen vielfach von ausgeprägten rhetorischen Fähigkeiten zeugen. Um den Supportsieg Spieltag für Spieltag davon zu tragen, nehmen die Mitglieder, für den normalen Fan unvorstellbare Mühen auf sich, die aber die Liebe zum Verein symbolisiert. Für die Vorbereitung einer Intro-Choreografie z. B., die vielleicht maximal 20 Sekunden bei einem Spiel zu sehen ist, arbeiten die Ultras meist mehrere Wochen, geben dafür knapp 4.500 € aus und verwenden schon mal 200 Liter Farbe, 7.000 Papptafeln, 500 Fähnchen oder Doppelhalter, 90 Meter Kassenrolle und eine 30 mal 50 Meter große Blockfahne.142 139 ebd. 122 ebd. 123/124 141 Erlebnis Fußball, Ausgabe 38, April 2008, S. 40 142 Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.84 140 45 Eine besondere Begeisterung der Ultras liegt in den Choreografien und grundsätzlich im Abbrennen von Pyrotechnik, wie Bengalos und Rauchpulver. Hierauf werde ich später noch eingehen, kann aber schon vorwegnehmen, dass es einhergehend mit dem Verbot auch insgesamt rückläufig ist. Für die Ultras zählen Werte wie Stärke, Macht, Durchsetzungsvermögen und Männlichkeit.143 Dies wird häufig durch sexistische und diskriminierende Sprüche unterstrichen, die von den Ultras selbst aber meist auch bagatellisiert werden. Die Werte werden charakteristisch durch einen Georg der Ultragruppe Schickeria München wie folgt beschrieben:144 „Im Blickfang Ultra konnte man lesen, Ultra ist Respekt, Liebe, Freundschaft und Freiheit. Dem kann ich nur zustimmen und die Liste ergänzen um Entbehrung, Leidenschaft, Emotionen, Konsequenz, Verantwortung, Ausflippen und Kontinuität.(...) Ultra ist für mich, wenn es weh tut, dass Familie, Freundin und Freunde darunter leiden, wenn es keine Alternative ist, nicht zum Spiel zu fahren.“ Von der italienischen Szene weites gehend übernommen, drücken sich das Selbstverständnis, die Werte und Ziele der Ultras in dem Ultramanifest aus.145 Als Ziele können der Erhalt der Fankultur und Fußballtraditionen sowie die Bekämpfung der Kommerzialisierung146 genannt werden. Neben der Zuneigungskultur zu ihrem Verein und den Spielern, zeichnen sie sich durch eine Protest- und Demonstrationskultur aus (Abbildung 5). Im Zeitalter der „Eventisierung“ des Fußballs verstehen Ultras sich als einen kritischen Gegenpol, kämpfen für den Erhalt der traditionellen Fankultur, gegen Stadionverbote und gegen reine Sitzplatzstadien in Deutschland.147 „DFB, DFL, DSF- die Achse des Bösen“148 ein Spruch bei der Fandemo in Berlin 2002 bringt in mehrfacher Hinsicht das Protestpotenzial zum Ausdruck. Neben den bereits erwähnten Themen ist die Zersplitterung der Ligenspielpläne den 143 ebd. S. 103 Blickfang Ultra, Heft 6, März 2008. S. 12 145 Biermann,(2006): Fast alles über Fußball. S. 30/31 146 Das Ausmaß der Kommerzialisierung lässt sich sicher an dem erneuten Rekordumsatz der 36 Erst- und Zweitligavereinen in der Saison 2006/2007 ablesen, der durch die DFL auf fast 1,75 Milliarden € veranschlagt wurde. Hierzu DFL-Bundesligareport 2008 unter http://www.bundesliga.de/de/dfl/report2008/index.php Zugriff am 20.07.2008 147 Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.106 148 Gabriel(2004):Ultra-Bewegungen in Deutschland in Ballbesitz ist Diebstahl. S.186 144 46 Ultras ein Dorn im Auge. Die Spielansetzungen an Freitagen und Montagen erschweren aufgrund beruflicher oder familiärer Verpflichtungen häufig die Anreise. Für die Spieltagzerplitterung werden hauptsächlich die Fußballverbände DFB, DFL und die Medienunternehmen, aber auch die Vereinsvorstände verantwortlich gemacht, da alle immer darum buhlen, die „Marke Fußball“ noch stärker zu vermarkten, indem so viele Spiele wie möglich live im Fernsehen übertragen werden und alle Seiten mehr Profit schlagen können. Die Fans werden vom Fußballanhänger zum Kunden „degradiert“, der Fußball als Ware bezeichnet.149 Zurückliegend haben es die Ultras geschafft, mit Demos und im Internet organisierten Aktionen wie Pro 15:30 (ab 2003 umbenannt in ProFans) auf ihre Sorgen und Ziele aufmerksam zu machen. Die Fankurven haben neben den Zusammenschlüssen wie B.A.F.F. oder ProFans durch die Ultras eine Stimme bekommen, die wie ein Seismograf auf vereins- oder ligapolitische Probleme und Missstimmungen aufmerksam macht.150 Die durchgeführten Demonstrationen, wie die im Vorfeld des Pokalfinales 2002 in Berlin, die durch die Berliner Ultras „Harlekins“ organisiert und von 2.500 Teilnehmern besucht wurde, war sogar Inspiration für die italienischen Vorbilder, wo 5.000 Ultras aus 72 Gruppierungen im Mai 2003 ebenfalls für ihre Ziele demonstrierten.151 Diese kritische Haltung und das Demonstrieren, dass man nicht alles undiskutiert hinnehmen wird, haben auch zu einigen Erfolgen geführt. Die Einführung eines Fanbeauftragten bei der DFL, der seit 2006 die Interessen der Fans beim Ligaverband vertritt, die Novellierung der Stadionverbote und die kommunikative Auseinandersetzung der Vereine und Verbände mit ihren Fans bei Fankongressen wie zuletzt Anfang Juni in Leipzig oder in Runden Tischen vor Ort kann sich die Ultrabewegung und ihre Sprachrohre als Erfolge auf die Fahnen schreiben. Feststeht, dass die Ultras weiter für ihre Ziele streiten werden. Spannend wird sein, wie sie ihren Unmut über die neuerliche für die Spielzeit 2009/2010 geplante Spielplanzersplitterung äußern werden. Auf verschiedenen Internetseiten und Diskussionsforen ist das Thema schon sehr kontrovers und ablehnend diskutiert worden. Eine aktuelle online Befragung beim Magazin Stadionwelt hat ergeben, 149 Jünger(2004): Der neue Ort des Fußballs in Ballbesitz ist Diebstahl. S. 37 Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball.S.106 151 Gabriel(2004):Ultra-Bewegungen in Deutschland in Ballbesitz ist Diebstahl. S.187/188 150 47 dass 45 % der Zweitligafans mit der Verlegung der Sonntagspiele auf 12.30 Uhr nicht einverstanden sind. Über 40 % lehnen eine Änderung der Anstoßzeiten kategorisch ab.152 Wenn man argwöhnisch wäre, müsste selbst der unbeteiligte Zuschauer sich fragen, warum der DFB und die DFL dieses heikle Thema gerade in der Sommerpause veröffentlicht haben. Man könnte zu dem Schluss kommen, dass man sofortigen Widerstand in den Stadien meiden und auf den Faktor Zeit setzen wollte. Es wird interessant sein zu sehen, wie die Ultras in der neuen Saison mit diesem Thema öffentlich umgehen werden. Auch der Kampf gegen das meist diskutierte Thema unter den Ultras, das Stadionverbot, wird trotz der Anpassung der Richtlinien vom 31. März 2008 weiter gehen, da sie seitens der Ultras als nicht weitgehend genug erachtet wird. Neben den bundesweiten Aktionen gegen Stadionverbote kommt es auch immer wieder zu Demonstrationen einzelner Ultragruppierungen gegen das Stadionverbot. So demonstrierten im Frühjahr 2008 1.000 Schalker Ultras und Sympathisanten beim Oberligaspiel in Herne gegen das Stadionverbot.153 Sie wichen gerade zu einem Oberligaspiel aus, da dort die Stadienverbote nicht greifen. Auch die deutsche Ultrabewegung will sich deutlich von den anderen Fans abgrenzen. Sie verfügen über eine einheitliche Kleidung, teilweise über ihre eigene Klubkollektion. Der Stil der Kleidung ist insgesamt betrachtet eher dunkel und sportlich orientiert.154 Die Vereinszugehörigkeit wird meist nur durch einige Utensilien, wie den Vereinspin oder -schal symbolisiert. Diese Abgrenzung zu anderen Fankulturen, insbesondere den Kuttenfans wird auch durch das Selbstverständnis charakterisiert. Die Ultras haben einen Absolutheitsanspruch. Sie verstehen sich als die einzig wahren Fans, da sie den Support in die Kurve zurückgebracht haben und für den Erhalt des traditionellen Fußballs und der Fankultur eintreten. Das stößt in der Fanszene häufig auf Unmut, da viele Fans, die schon 20, 30 oder mehr Jahre zu ihrem Verein pilgern und diesen unterstützen, sich ungern von einem 14jährigen Ultra sagen lassen, dass er der einzig wahre Fan wäre, was auch zu Spannungen in den Kurven führt. Trotz 152 Stadionwelt unter http://stadionwelt.de/neu/sw_fans, Zugriff am 30.06.2008 ( Auszug liegt Verfasser vor) 153 Blickfang Ultra, Ausgabe 7, April 2008, S. 16/17 154 Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.105 48 vieler interner Diskussionen zwischen Fanvertretern und Versuchen die Haltungen aufzuweichen, bleiben die Ultras bei ihrem Absolutheitsanspruch.155 Die deutsche Ultraszene unterscheidet sich in der Politisierung deutlich von der italienischen Ultrabewegung. Während im deutschsprachigen Ultramanifest vereinspolitische Dinge, wie die Abwicklung von Spielertransfers in den Saisonpausen, als Punkte aufgenommen sind und den Ultras Vereinspolitik sehr wichtig ist, sprachen sich laut der Studie von Pilz zwei Drittel der Befragten gegen allgemeine Politik im Stadion aus.156 Dies bedeutet aber nicht, dass politisch motivierte Gruppen es nicht versuchen, sich in die Ultrablocks zu mischen. Die Studie hat ergeben, dass sich in den Ultragruppierungen sehr wohl links-, als auch noch etwas stärker rechtsorientierte Mitglieder befinden.157 Gerade in den neuen Bundesländern gibt es Szenen, die ihre rechten Einstellungen sehr viel offener und direkter zeigen,158 was vielfach auf die immer noch unterschiedlichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Perspektiven für junge Leute zurückgeführt wird. Von einer flächendeckende Politisierung der Szene, wie sie in Italien von Ausnahmen abgesehen, vorzufinden ist, kann in Deutschland nicht die Rede sein. Die Absicht, die Politik aus dem Stadion heraus halten zu wollen, wird auch dadurch unterstrichen, dass man politische Aussagen aus dem italienischen Manifest nicht übernommen hat. In der Entwicklung der Ultrakultur hat sich eine Veränderung ergeben, die gerade aus polizeilicher Sicht zunehmend für Probleme sorgt. Die Ultras waren angetreten, den Support zurück ins Stadion zu bringen und wollten sich von den Kuttenfans und insbesondere auch von dem gewalttätigen Verhalten der Hooligans deutlich abgrenzen. Ihrem Selbstverständnis in diesem Punkt nach sollte ihre Bewegung gewaltfrei sein. Sie wollten sich da auch von den italienischen Vorreitern unterscheiden und nur die positiven Elemente, die sich auf die Unterstützung ihres Vereins bezogen, übernehmen. 155 Interview Herr Rojek Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.113 ff. 157 ebd. S. 115/116 158 ebd. S. 117 156 49 Mittlerweile hat, wie im folgenden Kapitel noch ausführlicher dargestellt wird, gewalttätiges Verhalten auch bei den Ultras Einzug gehalten, was durch die Ergebnisse der Pilz-Studie unterstrichen wird.159 Bevor ich nun auf die konkrete Gewaltsituation eingehe, muss noch ein Selbstverständnis genauer dargelegt werden, das für viele Experten auch mit ein Grund, wenn nicht der Grund, für die vorherrschende oder gar gestiegene Gewaltbereitschaft ist. Hier handelt es sich um die Feindbilder der Ultras. Die diesbezügliche Rolle, die den Verbänden und Medien in diesem Zusammenhang zugeschrieben wird, habe ich schon unter dem Punkt Demonstrationskultur beschrieben. Wir oben schon mit „Hass auf die Polizei“ aufgezeigt, ist das Feindbild Nummer 1 der Ultras die Polizei. Die Befragung von Pilz sagt dazu, dass nur 4,9% der Befragten kein Problem mit der Polizei hätte. 97 % der befragten Ultras aus den neuen Bundesländern und fast 72 % der Ultras aus den alten Bundesländern gaben an, dass ihr Verhältnis zur Polizei schlecht sei. Jegliche Zusammenarbeit wird entsprechend von 78 % bzw. 59,3 % abgelehnt.160 In Sprüchen, wie „wenn mein Kind Bulle werden würde, würde ich es glaube ich umbringen“,161 kommt der Hass sicherlich treffend und bedenklich zum Ausdruck.162 Die Ultras mit ihrem Alleinvertretungsanspruch und mit dem Anspruch über die Kurven hinaus Einfluss nehmen zu wollen, geraten vielfach mit der Polizei in Konflikt, weil die Zielsetzungen sich nicht mit dem Wertekonstrukt der Gesellschaft, welches die Polizei umzusetzen hat, decken.163 Die vorgenommenen Handlungen der Polizei werden dann als Willkür und ungerechtfertigte Repression angesehen. Die Ultras lassen andere Regeln nicht gelten und möchten auch definieren, was Gewalt ist und was nicht.164 Hier stoßen unterschiedliche Sichtweisen aufeinander. Die Ultras wollen ihre Positionen nicht aufgeben, die Polizei kann vor dem Hintergrund ihres gesellschaftlichen Auftrages ihre Position nicht aufgeben. Als Beispiel wäre das Abbrennen von Pyrotechnik zu nennen, welches eine große Bedeutung für die Ultras hat. Aus sicherheitspolizeilichen Gründen ist es durch 159 ebd. S. 127 ebd. S. 137 ff. 161 ebd. S. 138 162 Vielfach wird der Hass auch auf Transparenten und T-Shirts mit der Aufschrift A.C.A.B. (All Cops Are Bastards) zum Ausdruck gebracht. 163 Interview POR Piastowski 164 Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.130 160 50 die Stadionverordnungen165 untersagt, zumal es zu Verletzungen führen kann, wie es das Beispiel in Bielefeld beim Spiel gegen Bochum in der letzten Saison gezeigt hat, auch wenn es sicher nicht immer zu Verletzungen kommen muss und vielfach auch der Situation geschuldet ist, dass man sie unvorsichtig abbrennt, weil man nicht identifiziert werden soll. Die konträren Sichtweisen führen dazu, dass das schon vorhandene Feinbild nicht abgebaut werden kann bzw. sich noch verstärkt. Es wird durch die Ultras alles versucht, sich den polizeilichen Blicken und Maßnahmen zu entziehen. Sie gehen konspirativ und abgeschottet vor, was eine besondere Herausforderung für die Einsatzkräfte darstellt.166 Eine Kommunikation findet fast nicht statt, selbst Angebote für Gespräche anlassbezogen oder anlassunabhängig werden seitens der Ultras abgelehnt.167 Fairerweise darf man nicht unterschlagen, dass „provokatives“ Verhalten von Einsatzkräften, wie symbolhaftes Anziehen von mit Quarzsand gefüllten Handschuhen, etc. nicht zur Befriedung des Verhältnisses beiträgt und unterlassen werden sollte.168 Dieses unangemessene Verhalten wird meist mit der Polizei bei Auswärtsspielen in Verbindung gebracht, wo man sich ungerecht behandelt fühlt, weil man u.a. Dinge, die in der eigenen Stadt und im eigenen Stadion abgesprochen und selbstverständlich sind, an fremden Orten nicht machen darf. Diese „Ungerechtigkeiten“ werden dann auch den Ordnungsdiensten bei Auswärtsspielen zugeschrieben, die laut den Ultras und manchmal kann man sich dem tatsächlichen Eindruck nicht widersetzen, den Auswärtsfans nicht die gleichen Supportmöglichkeiten einräumen, wie den Heimfans, da ihnen vielfach Unterstützungsgegenstände, wie Trommeln, bestimmte Fahne, etc. vor dem Block abgenommen werden. 4.2 Gewaltsituation im deutschen Fußball 4.2.1 Lagebild allgemein a) Lagebild zur Spielzeit 2006/2007 Bei der Darstellung eines Lagebildes muss auf die Daten aus der Spielzeit 2006/2007 zurückgegriffen werden, die sich aus dem ZIS-Jahresbericht 2006/2007 ergeben. Der ZIS-Jahresbericht zur abgelaufenen Spielzeit erscheint 165 siehe bspw. Stadionordnung des BVB, § 6 g mit Stand von März 2004(liegt Verfasser vor) Interview Herr Bartelt 167 Interviews PD Pusch und PD Grzella 168 Interview POR Piastowski 166 51 erst Anfang 2009, verständlicherweise konnten vorab keine Daten zur Verfügung gestellt werden. Neben den harten Daten aus 2006/2007, wobei ich mich auf die wesentlichen Aussagen beschränken werde, da der Bericht öffentlich einsehbar ist, werde ich anhand der Inhalte der durchgeführten Interviews und von in Medien veröffentlichter Beispiele versuchen, einen Trend für die abgelaufene Spielzeit aufzuzeigen. Die Grundaussage des Berichts, der Einjahres-, Dreijahres- und Zwölfjahresvergleiche darstellt, ist, dass gewalttätige Ausschreitungen durch sogenannte Fußballfans sich seit Jahren auf einem seit der Spielzeit 1995/1996 saisonal schwankenden, hohen Niveau halten.169 Gerade in Abgrenzung zu Italien ist festzuhalten, dass die Spiele in Deutschland deutlich stärker frequentiert sind. In der Spielzeit 2006/2007 gab es einen neuerlichen Zuschaueranstieg um insgesamt 800.000 Zuschauer auf 16, 2 Millionen Zuschauer bei den Spielen der ersten beiden Ligen. Die beiden Regionalligen verbuchten 1.824.042 (RL Nord) und 690.037 (RL Süd) Zuschauer.170 Die Zuschauerschnitte lagen somit bei ca. 37.6000 (1. Bundesliga), 15.300 (2. Bundesliga), 5.330 (RL Nord) und 2.250 (RL Süd). Bei insgesamt 750 Spielen in den beiden Profiligen sowie in den Standorten der Bundesliga und der 2. Bundesliga ausgetragenen Begegnungen des DFB-Pokals, der UEFA-Klub-Wettbewerbe und Länderspielen wurden folgende Fakten festgehalten, die die nachfolgende Entwicklung zur Vorsaison ausmachen: • Reduzierung eingeleiteter Strafverfahren von 4.576 auf 4.394 • Steigerung der freiheitsentziehenden Maßnahmen von 5.876 auf 6.414 • Zunahme verletzter Personen (keine Unfallopfer) von 371 auf 494, die sich auf 71 Polizeibeamte, 198 Störer und 225 Unbeteiligte verteilen • Abnahme der polizeilichen Arbeitsstunden der Polizeien der Länder und des Bundes zur unmittelbaren Einsatzbelastung von 1.315.424 auf 1.248.064 • Zunahme des Störerpotenzials (Fans der Kategorien B+C) von 7.865 auf 8.413 Um eine in etwa gleiche Lesbarkeit und somit Vergleichbarkeit herzustellen, dürfen die Zahlen nicht losgelöst betrachtet werden, da die italienische 169 170 ZIS- Jahresbericht 2006/2007 S. 3 http://www.weltfussball.de/zuschauer, Zugriff am 09.07.2008 52 Zentralstelle zwar auch die Zahlen der übrigen Spiele, wie Pokal, UEFA CupSpiele, Länderspiele, usw. auswertet, aber die Vergleiche sich nur auf die Serien A-C, insbesondere A und B beziehen. Ich werde im Folgenden nochmals diese Zahlen aus dem ZIS-Jahresbericht gesondert aufzeigen. Hinsichtlich der eingeleiteten Strafverfahren ist festzuhalten, dass 1.777 (5,8 pro Spiel) auf die 1. und 1.264 auf die 2. Liga (4,1 pro Spiel) entfallen. Hinzukommen aus der damaligen 3. Liga, nämlich den beiden Regionalligen Nord (656) und Süd (227) 883 eingeleitete Strafverfahren. Über die Hälfte aller Strafverfahren sind auf anlasstypische Gewaltdelikte (Körperverletzung, Widerstand, Landfriedensbruch und Sachbeschädigung) zurückzuführen.171 Die freiheitsentziehenden Maßnahmen, die einen Höchststand der letzten zehn Jahre erreicht haben, verteilten sich, wie folgt auf die Ligen, wobei auf eine Unterscheidung zwischen strafverfolgenden und gefahrenabwehrenden Gesichtspunkten hier verzichtet wird: • 1. Bundesliga: 3.451 (ca. 11,2 pro Spiel) • 2. Bundesliga: 1.916 (ca. 6,3 pro Spiel) • Regionalligen: 1.629 (ca. 2,5 pro Spiel) Das Gewaltpotenzial der insgesamt etwas über 11700 Problemfans (Vorsaison 10500) stellt sich aufgeteilt wie folgt dar: Kat. B Kat. C Summe 1. Bundesliga 3.445 1.410 4.855 2. Bundesliga 2.660 898 3.558 Regionalliga Nord 1.945 652 2.597 Regionalliga Süd 500 226 726 Gesamt 8.550 3.186 11.736 Nur für die Aufrechterhaltung der Sicherheit bei Ligaspielen in den obersten 3 Spielklassen wurden seitens der Länderpolizeien 1.176.564 Arbeitsstunden geleistet, die sich wie folgt verteilen: 171 • 1. Bundesliga: 442.021 • 2. Bundesliga: 341.719 • Regionalligen: 392.824 ZIS-Jahresbericht 2006/2007, S. 9/10 53 Dazu kommen 236.862 Arbeitsstunden, die die Bundespolizei für Spiele der ersten beiden Ligen gemeldet hat. Im Berichtszeitraum wurden 166 örtliche und 1.153 bundesweite Stadionverbote ausgesprochen. Zum Ende der Saison 2006/2007 waren somit 3.158 Personen erfasst, die mit einem Stadionverbot belegt wurden. Neben diesen Zahlenwerken zeigt der ZIS-Jahresbericht 2006/2007 folgende verkürzt dargestellte Trends auf: Erstmals seit fünf Jahren stieg die Anzahl der freiheitsentziehenden Maßnahmen bei Personen aus den Altersklassen 14-17 Jahre und 18-20 Jahre wieder an. Die Taten werden sowohl von Heim-, als auch von Auswärtsfans begangen. Die Taten finden im Stadion, im unmittelbaren Stadion und auf den Anreisewegen statt. Darüber hinaus hält der Trend auf hohem Niveau an, dass Fangruppen (Hooligans) sich zu Auseinandersetzungen an sogenannten Drittorten, abgesetzt und losgelöst von Spielen, zu gewalttätigen Auseinandersetzungen treffen. b) Lagebild zur Spielzeit 2007/2008 Für die aktuell abgelaufene Spielzeit 2007/2008 ist festzuhalten, dass die Gewalttaten sich weiter auf einem relativ hohen Niveau befinden.172 Im Verhältnis zur steigenden Zuschauerzahl haben sie sich aber stabilisiert und pendeln sich bei ca. 4.000 Straftaten ein. Die Gewalt wird weiterhin von unterschiedlichen Beteiligten begangen, wobei u.a. die klassischen Hooligans und Mitglieder der Ultras zu nennen wären. Die meisten Straftaten ereignen sich mittlerweile im Stadionumfeld (Innenstadt, Bahnhof), im Stadion weniger, da aufgrund der Möglichkeiten der Videografierung das Entdeckungsrisiko dort am größten ist.173 Auch der beschriebene Trend zu Drittortauseinandersetzungen hält an, wobei neben der Fußballszene verstärkt Gruppierungen aus der Fitness- und Türsteherszene an den Auseinandersetzungen teilnehmen und sich die Frage stellt, ob man hier noch von Gewalt bei Fußballspielen sprechen kann.174 Dieser durch den Leiter der ZIS aufgezeigte Trend hinsichtlich der Gewalt im Fußball deckt sich weites gehend folgerichtig mit den Erkenntnissen der übrigen interviewten Einsatzleiter der Fußballstandorte. Beispielsweise seien hierzu einige 172 Interview POR Piastowski ebd. 174 ebd. 173 54 Zitate angeführt. „Wir haben eigentlich alles gehabt. Ultras, die hooligantypisch agierten“175 oder „Der Grad gegen PVB vorzugehen ist sehr stark ausgeprägt; ebenfalls ist eine Solidarisierung sehr stark, bei Festnahmen stehen sofort 30-100 BFC-Hools bereit, um sich zu wehren“.176 „Festzuhalten ist, dass wir in den letzten 10 Jahren eine kontinuierliche Steigerung von Straftaten in der 1 und 2. Liga, im Profifußball zu verzeichnen haben, aber außerhalb der Stadien, also im Wesentlichen im Umfeld der Stadien, auf den Bahnhöfen, Kneipen, auf den Anreisewegen insgesamt.“177 Hierbei muss natürlich festgehalten werden, dass das Lagebild und die damit einhergehenden Entwicklungen standortabhängig zu sehen sind. So konnte z. B. aus Leverkusen berichtet werden, dass es eine ruhige Saison war.178 Ferner ist es schwierig eine einheitliche Aussage darüber zu treffen, von welchen Problemgruppen, d.h. Auswärts- oder Heimfans die Probleme ausgehen. Während in Bremen zu beobachten ist, dass die größten Probleme zurzeit die heimischen Ultras machen,179 ist es z. B. beim BFC Dynamo so, dass es kaum zu Auseinandersetzungen mit gegnerischen Fans kommt, da die heimische Szene zu stark ist und Gästefans kaum anreisen. Wiederum zeigt sich, dass BFC-Fans auf Auswärtsfahrten auffällig werden und bei Heimspielen mangels gegnerischer Fans oftmals die Auseinandersetzung mit der Polizei suchen.180 Die Spielzeit 2007/2008 erlebte neben den herkömmlichen Ausschreitungen vereinzelte gravierende Beispiele für gewalttätige Aktionen. Bei dem Spiel VfL Bochum-Karlsruher SC erlitt ein Polizeibeamter beim Einschreiten im Fanblock einen Wirbelbruch, nachdem er von Fans gestoßen wurde und über ein Hindernis fiel.181 Glücklicherweise erlitt der Beamte keine bleibenden Schäden. Das Spiel Frankfurt gegen Nürnberg musste für mehrere Minuten unterbrochen werden, stand kurz vor dem Spielabbruch, weil aus dem Block der Nürnberger anhaltend Feuerwerkskörper und Pyrotechnik gezündet wurde. Im Spiel des 31. Spieltages zwischen Bielefeld-Bochum wurden im Stehplatzbereich der Gäste ein Rauchkörper und ein Kanonenschlag mit intensiver Sprengwirkung gezündet. Der 175 Interview PD Grzella Interview POR Henning 177 Interview Herr Spahn 178 Interview PHK Kommoß 179 Interview PD Pusch 180 Interview POR Henning 181 Interview PD Grzella 176 55 Kanonenschlag führte zu teilweise schweren Verbrennungen und offenen Wunden bei 5 Personen. Zeitgleich wurde ein Ordner des Heimvereins niedergeschlagen/gestoßen und in der Folge weiterhin auf das hilflos (bewusstlos) am Boden liegende Opfer derart massiv eingewirkt u.a. durch Schläge, Tritte gegen den Kopf und Springen auf den Körper, sodass dieses erhebliche Verletzungen erlitt und stationär im Krankenhaus verblieb.182 c) Sonstige Auffälligkeiten ca) Verschiebung der Gewalt in untere Ligen In den Medien und von einigen Autoren wird oftmals berichtet, dass sich die Gewalt tendenziell mehr und mehr in untere Ligen verschiebt.183 Auch polizeiliche Autoren berichten, dass Ausschreitungen bei Fußballspielen der unteren Ligen leider keine bedauerlichen Einzelfälle, sondern regelmäßig wiederkehrende Sachverhalte sind.184 Auch den Worten von NRW Innenminister Dr. Wolf, der bei der Gründungsveranstaltung des regionalen Ausschusses Sport und Sicherheit in Duisburg am 02.April 2008 sagte, „Die Fußballverbände, die örtlichen Vereine und die Polizei werden stärker zusammenarbeiten, um die Gewaltbereitschaft bei Oberligaspielen einzudämmen“,185 ist zu entnehmen, dass in den unteren Ligen Gewalt bei Fußballspielen nicht nur bedauerliche Einzelfälle sind. Verlässliche Aussagen dazu sind zurzeit jedoch schwierig zu treffen, da noch kaum gesichertes Datenmaterial vorliegt, was diese These stützen oder widerlegen kann. Feststeht, dass es eine Reihe von Spielen in der Regionalliga oder darunter gibt, die mit immensen Polizeikräften gesichert werden müssen. So wurden beim Spiel Union Berlin - Dynamo Dresden am 28.04.2007 1.386 Einsatzkräfte186 eingesetzt, um Ausschreitungen möglichst zu verhindern. Kräfte in ähnlicher Größenordnung wurden jüngst beim selben Spiel am 08.05.2008 benötigt. Der ZIS-Jahresbericht 2006/2007 hielt aufgrund der Verlaufsberichte fest, dass das in der Regionalliga, insbesondere der Regionalliga Nord vorherrschende Gewaltpotenzial von Anzahl und Intensität des anlassbezogenen Auftretens, dem der Bundesliga gleicht. 182 Verlaufsbericht der ZIS zum 31. Spieltag der Saison 2007/2008 (liegt Verfasser vor) Siehe u.a. http://www.woz.ch/artikel/inhalt/2006/nr44/Sport/14037.html 184 Knape/Klös:Oberste Priorität für untere Fußballligen? In: Die Polizei, Heft 9, S. 241 185 Pressemitteilung des IM NRW vom 02.04.2008 (liegt Verfasser vor) 186 Knape/Klös:Oberste Priorität für untere Fußballligen? In: Die Polizei, Heft 9, S. 241 183 56 Die Aussage kann so plakativ nicht stehen gelassen werden. Sie ist in Teilbereichen stimmig, aber nicht überall.187 Hier muss erstens zwischen den Spielklassen und zweitens zwischen den dort spielenden Vereinen differenziert werden. Bei Vereinen, die nicht über Gewaltpotenzial verfügen, wie z. B. Bonner SC sind auch keine Gewalttätigkeiten festzustellen.188 Probleme gibt es bei Vereinen, die über gewaltbereites Potenzial verfügen, weil sie früher hochklassig gespielt haben oder Traditionsvereine sind (Wuppertal, Münster, Union, BFC, Dresden, etc.) Es ist ferner festzustellen, dass es zu keinen Auseinandersetzungen kommt, wenn der Verein keine Hooligans hat, der Gegner also fehlt. Anders sieht es aus, wenn in den unteren Ligen die 2. Mannschaften der Bundesligisten spielen. Es handelt sich bei den gewaltbereiten Fans dann um dieselben wie bei den Bundesligaspielen.189 Sie nutzen die Bühne, das Spiel ist ihnen egal, wie auch der Angriff auf Dortmunder Fans durch Schalke-Anhänger beim Spiel der A-Jugend zwischen Wattenscheid 09 und Borussia Dortmund im Jahr 2007 zeigt.190 Etwas davon abgesetzt muss sicherlich die Gewalt betrachtet werden, die sich auf den Spielplätzen der unteren Ligen zwischen Spielern, Spielern und Schiedsrichtern, aber auch zwischen Zuschauern und/oder Spielern, etc. ereignet. Auch hier sind verlässliche Daten derzeit nicht zusammengeführt abgreifbar. Der DFB verfügt aber seit einem Jahr über ein diesbezügliches Lagebild, wozu alle Urteile der Sportkreisspruchkammern nach Schwerpunkten ausgewertet werden. Das Lagebild kann derzeit noch nicht öffentlich gemacht werden, da das Meldeverhalten der Landesverbände noch zu unterschiedlich ist und kein einheitliches Bild ergibt. Als Tendenz aus den bisher an den DFB gemeldeten Zahlen lässt sich jedoch festhalten, dass die Wahrnehmung richtig scheint.191 Erkennbar ist, dass die Hemmschwelle Gewalt anzuwenden, auch Gewalt, die schwerwiegende Folgen hat, absinkend ist. Häufig sind daran auch Mannschaften mit unterschiedlichen Ethnien beteiligt.192 Diese Beobachtung wurde auch in Berlin gemacht, wo es bei Spielen mit ausländischer Beteiligung häufiger zu 187 Interview Herr Spahn Interview POR Piastowski 189 Interview POR Piastowski 190 Interviews PD Grzella und Herr Rojek 191 Interview Herr Spahn 192 ebd. 188 57 Spielabbrüchen kam.193 Die Aussagen sollen nicht den Eindruck vermitteln, dass es grundsätzlich bei Beteiligung von ausländischen Vereinen oder durch Spieler anderer Ethnien beim Fußball zu Problemen kommt. Das wäre eine nicht gewollte und unzulässige Schlussfolgerung, aber dass sie vielfach beteiligt sind, zeigen medienwirksam ausgeschlachtete Beispiele wie Gewalttätigkeiten bei einem Mülheimer Hallenturnier im letzten Winter194 oder durch Ausschreitungen bedingte Spielabsagen im Fußballkreis Siegen-Wittgenstein, wo die ansässigen Vereine gegen eine Mannschaft albanischer Herkunft nicht mehr angetreten sind, die Spiele extra verloren gegeben haben, weil es zuvor häufig Auseinandersetzungen gegeben hat.195 Es wäre im Rahmen der Masterarbeit zu viel über Gründe und Ursachen zu sprechen, zumal es nicht Gegenstand der Masterarbeit sein soll, sicher ist aber zu sagen, dass gegnerische Spieler auch nicht selten die ausländische Mentalität nutzen, um zu provozieren. Die Gewalt in unteren Ligen wird auch vielfach durch die mangelnde Infrastruktur in und rund um die Stadien begünstigt. Fehlende Fantrennungsmöglichkeiten, unerfahrene oder zu schwach besetzte Ordnerdienste, wenig Polizei sind hier als Faktoren zu nennen. Und Fakt ist, bieten sich in den unteren Klassen Gelegenheiten, werden sie häufig genutzt.196 So bedauerlich und nicht zu entschuldigen eigentlich jeder Einzelfall ist und die Zahlen auch steigend sind und daher alles unternommen werden muss, der Entwicklung entgegenzuwirken, so verweist Helmut Spahn auch darauf, Fußball nicht isoliert von der Gesellschaft zu betrachten. Wenn es bei 80.000 Spielen an den Wochenenden insgesamt und bei fast 600.000 Besuchern nur in den oberen Ligen zu insgesamt 10-20 Vorfällen kommt, dann sind die zwar auch zu viel, aber im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Bereichen sehr gering.197 cb) Ost/West-Gefälle Eine weitere Auffälligkeit, die in der Literatur, Presse aber auch in der Fanszene transportiert wird, ist, dass es zum einen in den neuen Bundesländern mehr Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen gibt und zum anderen die Ost-Fans 193 Interview POR Henning http://www.rp-online.de/public/article/sport/fussball/518058/Abbruch-nachMassenschlaegerei.html Zugriff am 10.07.2008 195 Blaschke (2007): Im Schatten des Spiels. S.47 196 Interview POR Scharnowski 197 nachträgliche Anmerkungen von Herrn Spahn, zur Leitfrage 2 194 58 extremer oder gewalttätiger auftreten.198 Aufgrund der unterschiedlichen Fanszene ist eine allgemeingültige Aussage sicherlich schwierig zu treffen. Die Aussagen von Experten sind diesbezüglich auch nicht einheitlich. Während die ZIS die Situation so einschätzt, dass man nicht sagen könne, dass die Szene im Osten grundsätzlich gewalttätiger wäre, als die im Westen,199 räumt der DFB ein, dass die Zahlen es schon belegen würden, es nur nicht so dramatisch sei, wie in der Presse dargestellt.200 Am Beispiel Berlin festgemacht, kann nicht gesagt werden, dass es im Osten der Stadt mehr Gewalt gibt, als im Westen.201 Nach Schätzungen der Polizei jedoch kommen deutlich über die Hälfte der gewaltbereiten Fans aus den neuen Bundesländern.202 Übereinstimmend lässt sich feststellen, dass gerade besondere Probleme mit Gewalt bei Spielen mit Ost-Derby vorherrschen, wo die teilweise alten Rivalitäten aus der DDR-Oberliga am Leben gehalten und ausgelebt werden. Die Hemmschwelle Gewalt zu überschreiten im Osten der Republik, ist bemerkenswert, insbesondere auch die Aggression gegen PVB/Ordnungsdienst vorzugehen. 203 4.2.2 Aussagen zu Ultras und Gewalt a) Ist-Stand Einleitend möchte ich zwei Aspekte vorausschicken, die mir im Gesamtkontext sehr wichtig erscheinen. Erstens soll durch die Beschreibung der Gewalt im Zusammenhang mit der Ultrabewegung nicht der Eindruck entstehen, dass nur noch von dieser Gruppierung Gewalt ausgeht. Es gibt, wenn auch mit stark rückläufigen Tendenzen den klassischen Hooligan, der nach wie vor im erheblichen Maße Gewalt verübt, ebenso wie meist alkoholbedingt, der sogenannte Kuttenfan. Neben Gewalt, durch die so bezeichneten Fansubkulturen, ereignet sich Gewalt auch häufig situationsbedingt, gerade auch in Abhängigkeit der sportlichen Geschehnisse. PD Grzella beschreibt es im Interview wie folgt: “Bei einem Spiel 198 exemplarisch hierzu http://www.welt.de/sport/article736342/Zwanziger_entsetzt__Es_ist_beaengstigend.html Zugriff am 20.07.2008 199 Interview POR Piastowski 200 Interview Herr Spahn 201 Interview mit POR Henning 202 Scheer, High Noon im Hinterland in Polizei heute; Heft 1/2008, S. 2 203 Interview Herr Spahn 59 gegen die Schwarz-Gelben vor zwei Jahren habe ich erlebt, das Leute, die unzweideutig, als A-Fans einzustufen waren, für einige Minuten heftigste C-Fans waren“. In diesem Zusammenhang soll auch nicht der Eindruck entstehen, als wenn Gewalt die Fußballspiele bestimmt. Es ist eine Randerscheinung, die die polizeiliche Arbeit bestimmt, aber Probleme, 204 95 % der Zuschauer machen keine was auch das von Herrn Spahn angeführte Verhältnis von der verschwindend geringen Anzahl von Konflikten bei der riesigen Anzahl von Fußballspielen an jedem Wochenende verdeutlicht. Zweitens dürfen in diesem Zusammenhang nicht alle Ultras über einen Kamm geschoren werden. Der überwiegende Teil der Ultras verhält sich nach wie vor friedlich. Jedoch lässt sich auch nicht verleugnen, dass mittlerweile bei einzelnen Ultras bzw. einzelnen Ultragruppierungen eine Gewaltaffinität vorhanden ist. In der Studie von Pilz konnte festgestellt werden, dass die überwiegende Mehrheit der Ultras sich zwar gegen Gewalt ausspricht, aber sich nur die wenigsten dagegen bewusst wehren.205 In der Befragung von Pilz gaben 63,1 % an, dass es in ihren Ultragruppen sowohl friedliche, als auch gewaltbereite Mitglieder gibt und fast die Hälfte gab zusätzlich an, dass es in Deutschland Ultraszenen gäbe, die mit der Hooligankultur überlappen würden.206 Für die zur Gewalt neigenden Ultras hat der Soziologe Pilz den Begriff der „Hooltras“ geprägt, also einer Mischform von Hooligan und Ultra, die hooligantypisches Verhalten zeigt, gepaart mit ultraspezifischen Aktionen.207 Der Begriff wurde zunächst sehr kritisch gesehen. Der überwiegende Teil der Ultras lehnte ihn ab, da sie mit Gewalt nicht in Verbindung gebracht werden wollten. Der Begriff Hooltras scheint aber das zurzeit vorherrschende Problem am exaktesten zu charakterisieren und trifft auch zunehmend auf Zustimmung aus Reihen der Polizei.208 Bei der Befragung zu der persönlichen Einschätzung sagten zwar nur 1,8 %, dass sie sich als gewalttätig bezeichnen würden, jedoch stuften sich 45 % tendenziell 204 Interview PD Pusch Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.127 206 ebd. S. 127 207 Pilz(2006): Ultras und Supporter auf http://www.bpb.de/themen/WPFOXF,,0,Ultras_und_Supporter.html Zugriff am 07.02.2008 208 Interview PD Grzella 205 60 in bestimmten Situationen als gewaltbereit ein.209 Die Frage, die sich dann stellt, ist, welche Situationen müssen es sein, dass diese Teile der Ultras bereit sind, Gewalt anzuwenden. Die Ultraszene sieht Gewalt eher als Mittel zum Zweck, z. B. zur Verteidigung ihres Reviers oder gegen persönliche Angriffe.210 Die Gewaltbereitschaft wird vielfach als Antwort auf die von Ultras empfundene steigende Polizeiwillkür und Repression gesehen. Auch wenn man es von Polizeiseite nicht gerne hört und es auch nicht allgemeingültig stehen gelassen werden kann, so kann man auch nicht verleugnen, dass polizeiliche Maßnahmen zumindest teilweise schlecht transportiert und transparent gemacht werden, sodass auf Fanseite der Eindruck entsteht, dass willkürlich gehandelt wird. Es ist manchmal selbst aus Polizeisicht nicht einzusehen, warum z. B. die Fans nach Ankunft am Bahnhof nicht in die Stadt dürfen, um sich zu verpflegen, o.ä..211 Hier erscheint es wichtig, dass polizeiliche Einsatzmaßnahmen transparent gemacht werden. Es ist schwierig, in einen Diskurs einzutreten, nach dem Motto was war eher da, die „Henne oder das Ei“. Es geht vielmehr darum, die hier gegensätzlichen Auffassungen darzustellen. Vonseiten der Polizei wird das der Natur der Sache folgend anders gesehen, die polizeilichen Maßnahmen begründen sich auf dem gewalttätigen Verhalten der Ultras. Die Interviews mit den Polizeiexperten haben durchgängig ergeben, dass die Ultras durch Gewalttätigkeiten auffallen. Als Ausnahme muss hier sicherlich der BFC Dynamo Berlin genannt werden, der über keine etablierte Ultragruppierung, sondern über eine klassische Hooliganszene verfügt, die erhebliche Verbindungen zur Rockerund Türsteherszene hat und über enormes Gewaltpotenzial verfügt.212 Die Übrigen verfügen meist über mehrere unterschiedlich große Gruppierungen, wie Bremen, u.a. mit „The Wanderes“ „Recaille Verte“, „Infamous Youth“ oder „Roland’s Erben“. Das vorhandene Gewaltpotenzial wird als sehr hoch bezeichnet.213 Die Einsatzleiter in Bochum und Bremen werten die Ultras als ihr derzeit größtes Problem bzw. als ihre größte Herausforderung.214 Auch in Berlin wird als eine der vordringlichsten Aufgaben gesehen, die Aufklärung über die Ultraszene zu 209 Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball.S.128/129 ebd. S. 129 211 Interview PHK Kommoß 212 Interviews POR Henning und PHK Brabandt 213 Interview PD Grzella 214 Interviews PD Pusch und PD Grzella 210 61 verbessern.215 Die Entwicklung der Szene hin zur Gewalt, die zumindest aus polizeilicher Sicht schon fortgeschritten scheint, drückt sich auch verstärkt in den polizeilichen Kategorisierungen aus. Waren vor einigen Jahren die meisten Ultras aufgrund ihrer Stimmungskultur als Kategorie A-Fans und nur vereinzelt in Kategorie B-Fans eingestuft worden, so hat sich das Bild verschoben. Die überwiegende Mehrheit wird heute (noch) in die Kategorie A eingestuft, gerade aber aufgrund zuletzt vermehrt gezeigter Verhaltensweisen, wie gestiegener Aggressivität gegenüber Einsatzkräften der Polizei und Mitarbeitern von Ordnungsdiensten sind Teile der Ultragruppierung ohne Einschränkung in die Kategorien B und C einzustufen.216 Dies dürfte auch nur folgerichtig sein, da es hooligantypische Angriffe gegeben hat, die unzweideutig von Ultras ausgegangen sind.217 Auch in Bremen haben Ultras versucht, trotz Polizeikette die gegnerischen Ultras zu attackieren. Die Auseinandersetzungen ergeben sich aber auch nicht mehr ausschließlich aus der Situation heraus, sondern werden zunehmend gezielt gesucht. So konnte aus Bremen berichtet werden, dass gezielte Verabredungen zu Auseinandersetzungen zwischen Bremer und Hannoveraner Ultragruppen wahrgenommen wurden, wobei sogar ein direktes Zusammenwirken zwischen Bremer Ultra- und Hooligangruppen abgesprochen wurde.218 Analog zur bereits abgehandelten Gewaltentwicklung ergibt die Studie von Pilz, dass die Gewaltbereitschaft der Ultras im Osten der Republik höher ist, als die der Ultras in den alten Bundesländern.219 Der Ausspruch220, “124 sensationsgeile Journalisten und 14 Kamerateams waren bei diesem Event anwesend und hofften auf bürgerkriegsähnliche Zustände in und um das Stadion“ eines Mitglied des Leipziger Ultragruppe „Blue Side“ anlässlich des Stadtderbys 2007, unterstreicht aber im Kern die Aussage von Herrn Spahn, dass hinsichtlich der Gewalt in den neuen Bundesländern vielfach auch eine verzerrte Medienarbeit erfolgt. Die Gewaltanwendung, sei es physisch oder psychisch, hat verschiedene Formen, die ich nun darstellen werde. Hierbei geht es neben Gewaltphänomenen auch um Auffälligkeiten, die nicht ohne weiteres unter den Begriff Gewalt zu subsumieren sind, aber nicht losgelöst davon betrachtet werden sollten. 215 Interview Herr Bartelt ZIS-Jahresbericht 2006/2007, S. 6 217 Interview PD Grzella 218 Interview PD Pusch 219 Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.131-135 220 Blickfang Ultra, Heft 5, Dezember 2007. S.26/27 216 62 b) Gewaltphänomene und sonstige Auffälligkeiten ba) „Alkoholbedingte“ Straftaten Alkoholbedingte Straftaten sind kein typisches Ultraphänomen, sondern eines, das mit vielen Fußballzuschauern unterschiedlichster Zugehörigkeit in Verbindung zu bringen ist. Es handelt sich hier um Becherwürfe, Beleidigungen und Formen von Vandalismus, die häufig im Zusammenhang erhöhten Alkoholkonsums begangen werden. Hinsichtlich der Ultras ist festzuhalten, dass sie im Vergleich zu Hooligans sehr Alkoholkonsum häufig auf alkoholisiert Auswärtsfahrten auftreten. gehört Gerade schon zu der immense den üblichen Verhaltensweisen der Ultras.221 Nicht ausschließlich im Zusammenhang mit Alkohol sind Sachbeschädigungs-, Raub- und Diebstahldelikte zu sehen. Es wird berichtet, dass gerade wenn die Polizei nicht präsent ist, vermehrt Läden aufgesucht und Alkoholika oder andere Sachen gestohlen werden.222 Aufgrund dieser gezeigten Verhaltensweisen, die sich auch häufig bei Auswärtsfahrten auf Raststätten zeigen, lehnen es Busunternehmer vielfach ab, noch Ultrareisegruppen zu transportieren.223 Vereinzelt werden auch Geschäfte entglast.224 In diesem Zusammenhang muss auch das Gruppenverhalten beleuchtet werden. Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Ultras geschlossen auftreten. Entweder als eigene Gruppe oder je nach Anlass auch gemeinsam mit anderen Ultragruppierungen, sofern keine Dissonanzen vorhanden sind. So konnte z. B. für Bremen beobachtet werden, dass man etwa ab einer Größe von 50 aktiv wird.225 Darüber hinaus fällt auf, dass sie zuletzt häufig in Kleingruppen- oder Guerillataktik226 vorgehen. Gerade wenn sie sich zu Aktionen verabredet haben, entfernen sie sich in Gruppen von 5-6 Personen vom Stadion weg. Dies ist auch eine Reaktion auf das polizeiliche Vorgehen, bei dem die Gruppen geschlossen begleitet wurden. Die Ultras wollen sich so Freiräume verschaffen. Es erleichtert die polizeiliche Arbeit nicht unbedingt, erschwert sie aber auch nicht, da sie dann nicht als kompakte Einheit auftreten.227 221 Vereinsbeschreibung VfL Bochum, Punkt 7.10 Interview PD Pusch 223 Vereinsbeschreibung VfL Bochum, Punkt 10 224 Interviews PD Pusch und POR Piastowski 225 Interview PD Pusch 226 Interview Herr Bartelt 227 Interview PD Grzella 222 63 bb) „Fantypische“ Straftaten und Auffälligkeiten Unter diese Bezeichnung fasse ich die Dinge, die eindeutig Straftaten und Gewalt darstellen, aber durch die Ultra verharmlost werden, da sie diese Verhaltensweisen als Teil des Ultraseins verstehen. Hierunter ist zum einen der sogenannte Fahnen- und Schalklau zu fassen. Besonderes Ziel der Ultragruppierungen, insbesondere bei erklärten Feindschaften, ist es, an Symbole des „Gegners“ zu kommen. Höchstes Gut ist hierbei die Zaunfahne einer Ultragruppe. Sie symbolisiert die Gruppe, wird gepflegt und geschützt wie ein Heiligtum. Wird dieses Symbol von gegnerischen Ultras entwendet, kommt es einer enormen Blamage und Erniedrigung gleich.228 Es kann dazu führen, orientiert an den italienischen Vorbildern, dass eine Ultragruppierung sich auflöst, wenn ihr die Fahne verloren geht. Dies ist zuletzt in Deutschland auch passiert. Eine Ultravereinigung aus Mönchengladbach hat sich aufgelöst, nachdem ihr Kölner Ultras die Fahne entwendet hatten.229 Bei einer aktuellen Umfrage im Online Magazin Stadionwelt sprachen sich fast 40 % der Befragten dafür aus, dass eine Gruppe sich auflösen solle, wenn ihnen die Heimspielzaunfahne entwendet würde.230 Nachdem dies zwar häufig versucht wird, aber in der Regel seltener klappt, werden vielfach Schals einzelner Ultramitglieder gestohlen bzw. geraubt. Diese Schals werden dann häufig wie eine Trophäe umgekehrt im Fanblock aufgehängt, um die gegnerischen Ultras zu provozieren und zu demütigen. Bei den Schal- und gerade bei FahnenklauAktionen kommt es nicht selten zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen den Fans. Zum anderen sind hier die Graffitis (Abbildung 6) und das Anbringen von Aufklebern zu nennen. Hiermit wollen die Ultras ihre Stärke vor den gegnerischen Ultras bekunden, wenn es ihnen unerkannt gelingt, die fremde Stadt mit den Symbolen und Schriftzügen des Gegners zu übersähen. Ein Beispiel hierzu ist, dass vor dem Spiel Bochum-Dortmund in der vorletzten Saison alle erdenkbaren Flächen im Innenstadt- und Stadionbereich mit sogenannten „Spukies“ der BVBUltras beklebt wurden. Das bedeutet nicht zuletzt für die Kommune einen immensen Reinigungsaufwand und provoziert gerade am Spieltag 228 Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball.S.126 „Auflösung leicht gemacht“ unter http://www.fuenfzehndreissig.de/?p=355, Zugriff am 10.07.2008 230 http://stadionwelt.de/neu/sw_fans, Zugriff am 30.06.2008 (Auszug liegt Verfasser vor) 229 64 Ausschreitungen. Gerade die Delikte der Sachbeschädigung werden häufig von den Ultras bagatellisiert.231 Hierunter ist auch die Gewaltanwendung zwischen den Ultragruppierungen zu fassen, die wie oben bereits unter a) beschrieben, hooligantypische Erscheinungsformen annimmt. bc) Abbrennen von Pyrotechnik Neben dem Support durch Singen und Transparente ist die Verwendung von pyrotechnischen Gegenständen sicher das Herzstück der Ultras. In der letzten Umfrage des Online Magazines Stadionwelt, die nach den Vorfällen beim Spiel Frankfurt-Nürnberg durchgeführt wurde, sprachen sich ca. 90 % der Befragten für Pyrotechnik im Stadion aus. Nur ca 4 % waren dagegen, weil es gefährlich sei.232 Vielfach wird, da die Bengalos schwierig abzubrennen sind, ohne dass man identifiziert wird, auf Rauchpulver umgestiegen. Es ist besonders zu beobachten, dass gerade in eigenen Stadien das Zünden von Pyrotechnik merklich nachgelassen hat. Grund ist sicherlich das aufs Zünden folgende Stadionverbot. Trotzdem: Gänzlich verzichtet wird auf das Abbrennen nicht.233 Vielfach wird der Schutz unter einer Fahne gesucht oder man vermummt sich, um der Identifizierung durch die Videoanlagen im Stadion zu entgehen. bd) Vermummung/Schwarze Blöcke/Bannermärsche Die Ultragruppierungen haben einen einheitlichen Dresscode: Meist sportliche Freizeitkleidung, die dunkel bis schwarz orientiert ist. Viele Polizeibehörden von Fußballstandorten, gerade in NRW, haben im Vorfeld zu einer Fachbesprechung am 28.01.2008 in Neuss auf dieses Phänomen aufmerksam gemacht. Durch Tragen von Sonnenbrillen, Schals, die bei Aktionen bis über die Nase gezogen werden sowie dem Tragen von Kappen oder Kapuzen wird versucht, sich einer Identifizierung durch die Sicherheitskräfte zu entziehen.234 Hier ist auch eine 231 Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.124 http://stadionwelt.de/neu/sw_fans , Zugriff am 30.06.2008(Auszug liegt Verfasser vor) 233 Vereinsbeschreibung VfL Bochum, Punkt 8 234 aus den Berichten der Behörden zur Vorbereitung auf die Fachbesprechung des LZPD NRW mit den NRW-Fußballstandorten vom 28.01.2008 in Neuss (liegen Verfasser vor) 232 65 Abgrenzung zu Hooligans, wie denen vom BFC – Dynamo zu erkennen, die sich nicht vermummen.235 Durch das Auftreten in der Gruppe (Abbildung 7), geschlossen an bestimmten Orten bzw. durch das Marschieren in der Gruppe entsteht der Eindruck eines schwarzen Blockes, wie man ihn sonst aus „Links-Rechts-Demonstrationen“ kennt. Obwohl nicht großartig politisiert, sind aufgrund einer Eventkultur vereinzelt, wie in Bremen, Überschneidungen zwischen der Antifa-Szene und der Ultraszene zu beobachten.236 Auch in Leverkusen wird beobachtet, dass sich zurzeit ein Schwarzer Block von etwa 15-20 Personen bildet.237 Dieses Phänomen wird auch durch die oftmals veranstalteten Bannermärsche unterstützt. Meist von den Ultragruppen organisiert, treffen sich Ultras und andere Fans des Vereins an einem zentralen Treffpunkt, um meist geschlossen zum Stadion zu gehen, wobei die Zahnfaune der Ultras meist vorne voran und über die Seiten gehend getragen wird. Häufig reagiert die gegnerische Fanszene ebenfalls mit einem Bannermarsch. Beeindruckenste Beispiele waren sicherlich die Bannermärsche 2007 und 2008 jeweils in Dortmund, anlässlich des Derbys BVB-S04. Nach ersten Bewertungen, die auch durch die Deutsche Hochschule der Polizei vorgenommen wurden, handelt es sich bei diesen Bannermärschen nicht um Demonstrationen im Sinne des Versammlungsgesetzes.238 Auch durch Einsatzleiter, wie PD Grzella, wird dies so bewertet, da im Kern keine Aussage getroffen wird.239 be) Freipressen In der jüngeren Vergangenheit und aktuell kann bei den Ultras eine Verhaltensweise beobachtet werden, die sich als Freipressen von Festgenommen bezeichnen lässt. Größere Ultragruppierungen, insbesondere natürlich von Auswärts-Ultras weigern sich die Heimreise in vorgesehenen Zügen und Bussen anzutreten, wenn Mitglieder von ihnen sich noch im Polizeigewahrsam befinden. Dieses Phänomen konnte zurückliegend u.a. in Dortmund und Gelsenkirchen beobachtet werden240 und wurde in den Interviews, wenn auch teilweise in 235 Interview POR Henning Interview PD Pusch 237 Interview PHK Kommoß 238 Bewertung liegt der DHPol, Fachbereich Einsatzlehre vor 239 Interview PD Grzella 240 aus den Berichten der Behörden zur Vorbereitung auf die Fachbesprechung des LZPD NRW mit den NRW-Fußballstandorten vom 28.01.2008 in Neuss (liegen Verfasser vor) 236 66 abgeschwächter Form auch durch die Standorte Bochum, Bremen und Leverkusen bestätigt. 241 Hier gerät die Polizei ab und zu in eine Dilemma-Situation, da der polizeiliche Einsatz zum großen Teil beendet ist, wenn die auswärtigen Fans das Stadtgebiet verlassen haben. Durch das Verweigern der Abfahrt verbleiben die Fans im Stadtgebiet und der Einsatz muss fortgesetzt werden. In einigen Fällen wurde bei Entlassungen der Eindruck erweckt, dass man dem Druck der Ultras nachgeben hätte. Dies wurde durch die Interviews so nicht bestätigt.242 Es wurde deutlich gemacht, dass man sehr wohl prüft, da man an entsprechende gesetzliche Regelungen gebunden sei, ob der Grund der Ingewahrsamnahme entfallen sei. Dies ist in der Regel der Fall, wenn das Spiel beendet ist und die Fans die Heimreise antreten. Aus diesen Gründen werden vielfach die Ingewahrsamgenommenen vor der Abfahrt von Sonderzügen, etc. entlassen. Anders sei es bei Personen, die im Zusammenhang mit erheblichen Straftaten festgenommen würden. Hier erfolge eine ordnungsgemäße Bearbeitung und erst danach würden die Personen entlassen. Um dem Eindruck auch bei den Einsatzkräften entgegenzuwirken, ist es daher wichtig, Gründe auch nach innen zu kommunizieren und transparent zu machen.243 bf) Gewalt gegen Polizeibeamte/Mitarbeiter von Ordnungsdiensten Wie schon erwähnt ist das Feindbild Nr. 1 der Ultras die Polizei bzw. die Sicherheitsinstanzen überhaupt, wozu auch die Ordnerkräfte zu zählen sind. Nicht nur die schon beschriebenen spektakulären Vorfälle in Bochum und Bielefeld sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Insgesamt kann festgestellt werden, dass die Hemmschwelle auch gezielt Polizeibeamte und Ordner anzugehen, sinkt. Es muss aber auch festgestellt werden, dass Polizeibeamte, von einigen Vorfällen vielleicht abgesehen, von Ultras noch nicht gezielt als Gegner gesucht werden, sondern eher bei günstiger Gelegenheit zu Gegnern werden.244 Eine günstige Gelegenheit bietet sich meist, wenn die Polizeipräsenz nicht sonderlich groß ist, keine Fans eines anderen Vereins als Gegner vorhanden sind oder bei Polizeiaktionen in den Blöcken. Gerade hier erfährt die Szene eine hohe Solidarisierung durch die 241 Interviews PD Grzella, PD Pusch und PHK Kommoß Interviews POR Piastowski, PD Grzella, PD Pusch 243 Interview POR Piastowski 244 Interview POR Piastowski 242 67 eigenen Leute und andere Zuschauer, die sich mit den Ideen der Ultras solidarisiert haben. Hier entstehen für einschreitende PVB in der letzten Zeit erhebliche Probleme, wenn sie einen identifizierten Straftäter oder ein Banner mit verbotenen Inhalten aus dem Block holen oder holen lassen wollen. Es kommt vor, dass die Beamten oder Ordner getreten, geschlagen, bespuckt und beleidigt werden. Da die Videotechnik eine Identifizierung in vielen Fällen ermöglicht und somit eine beweiserhebliche Strafverfolgung gewährleistet ist, sehen die meisten Einsatzleiter aus Deeskalations- und Eigensicherungsgründen von einem sofortigen Einschreiten im Block ab.245 PD Grzella vertritt in diesem Zusammenhang die Einschätzung, dass Ultras nicht gezielt losfahren, um etwas zu machen, sondern das aufgrund der Struktur das latente Restrisiko hoch bleibt. Es sei den Fans selbst irgendwie aus dem Ruder gelaufen.246 bh) Ausübung von Druck auf Vereine/Spieler Die Ultras sind vereinsfixiert und haben, wie schon dargelegt, großes Interesse an vereinspolitischen Dingen. Sie unterstützen auf der einen Seite leidenschaftlich ihren Verein und deren Spieler, auf der anderen Seite hinterfragen sie die Handlungen und Leistungen jedoch sehr kritisch und positionieren sich zunehmender bei Vereinsentscheidungen bzw. fordern ein Mitspracherecht. Bei den Forderungen geht es meist um Rücknahmen von Stadionverboten, Zuweisung von bestimmten Plätzen im Stadion oder Kartenkontingente. Die Rostocker Ultragruppe "Subtras", der vom Rostocker Vorstand die Legitimation aberkannt wurde, wollte den Vorstand insoweit zum Einlenken bringen, indem man ihm angedroht hat, in fremden Stadien Krawalle anzuzetteln, die Strafen durch den DFB nach sich ziehen würden. Dies hat man auch in die Tat umgesetzt, verfehlte aber das Ziel, da der DFB die Situation richtig eingeschätzt und von größeren Bestrafungen des Vereins abgesehen hat.247 In Dresden wurden die Spieler bei einem Training massiv durch die Fans bedroht und angegangen, weil ihrer Meinung nach die Leistung zu schlecht war.248 Hier muss aber angeführt werden, dass größtenteils auch Hooligans beteiligt waren. Bei RW Essen kam es ebenfalls 245 Interviews PD Grzella und PD Pusch Interview PD Grzella 247 Interview Herr Spahn 248 http://www.stern.de/sport-motor/fussball/:Dynamo-Dresden-Hooligans-Spieler/583416.html 246 68 schon zu einer Trainingsstörung.249 Beim HSV nahmen die Gruppierungen Einfluss auf die Jahreshauptversammlung und erwirkten, dass die Presse nicht zugelassen wurde.250 Die Frankfurt Ultras drohten in einem Positionspapier u.a. den Boykott der Stimmung im Stadion an.251 Trotz der genannten Negativbeispiele und dem grundsätzlichen Bestreben auf Einflussnahme steht das Ausmaß noch in keinem Verhältnis zu den im Kapitel 3 beschriebenen italienischen Auswüchsen. Im Rahmen der Interviews konnten mit Ausnahme vom BFC, wo die Einflussnahme aber eindeutig von der Hooligangruppierung ausgeht und vereinsimmanent zu sein scheint, keine Erkenntnisse gewonnen werden, die auf konkreten Druck schließen ließen. bg) Sonstige Phänomene Abschließend will ich im Zusammenhang mit der Ultraszene noch zwei Punkte abhandeln, die sich nicht unbedingt der Gewalt zuordnen lassen, jedoch auffällig und auch ultratypisch sind. Zum einen fällt auf, wie früher bei den Hooligans auch, dass sehr viele Ultras, die mit Stadionverboten belegt sind, mit ihren Gruppierungen zum Auswärtsspiel fahren.252 Sie leben die Ultrakultur und möchten bei ihrer Gruppe sein. An den Spielorten begeben sie sich dann meist allein oder in Kleingruppen in Gaststätten, die im Stadionnah- oder Innenstadtbereich liegen, um sich das Spiel im TV anzusehen. Dies führt meist nicht direkt zu Problemen mit den Ultras, kann aber Auswirkungen auf die polizeiliche Einsatzlage haben, da es auch in den Gaststätten oder auf den Zugangswegen zu Auseinandersetzungen kommen kann. Der zweite Punkt ist mit einem Wort schwierig zu umschreiben und betrifft die Punkte Mediendarstellung und Rechtsbeistand. Nicht zuletzt aufgrund des teilweise nicht niedrigen Bildungsniveaus der Ultras ist zu beobachten, dass sie sich gut mit den Medien auskennen und sie geschickt für ihre Interessen einsetzen. Sie nutzen die Medien häufig, um sich gerade auch nach polizeilichen Maßnahmen oder im Zuge der Stadienverbote als Opfer darzustellen.253 Gerade 249 aus den Berichten der Behörden zur Vorbereitung auf die Fachbesprechung des LZPD NRW mit den NRW-Fußballstandorten vom 28.01.2008 in Neuss (liegen Verfasser vor) 250 http://www.zeit.de/online/2006/50/RUND-hsv Zugriff 07.07.2008 251 ZIS-Jahresbericht 2006/2007, S. 6/7 252 aus den Berichten der Behörden zur Vorbereitung auf die Fachbesprechung des LZPD NRW mit den NRW-Fußballstandorten vom 28.01.2008 in Neuss (liegt Verfasser vor) 253 Interview POR Piastowski 69 bei Auftreten als Gruppe ist in der letzten Zeit mehrfach beobachtet worden, dass bei polizeilichen Einsatzmaßnahmen, wie man es sonst nur von gewalttätigen Demonstrationen kennt, direkt Rechtsanwälte mitgeführt werden oder vor Ort sind.254 Die Rechtsanwälte versuchen Druck auf die Einsatzkräfte auszuüben, indem rechtliche Zulässigkeiten getroffener oder zu treffender Maßnahmen in Frage gestellt werden. 4.2.3 Ultras und die Nationalmannschaft Abschließend will ich das Thema Gewalt noch aus einer anderen Perspektive beleuchten, was fast eine Art Exkurs darstellen wird. Ähnlich wie die italienischen Ultras, die vom Grundsatz abweichend aber zumindest eine Gruppierung „Ultras Italia“ ins Leben gerufen haben, zeigen die deutschen Ultras Distanz zur Nationalmannschaft.255 Wenn überhaupt reisen sie als fußballinteressierte Zuschauer in losen Gruppen oder einzeln zu den Spielen der Nationalmannschaft, jedoch ohne Ultracharakter. Durch die Vereinsfixierung ist es schier undenkbar, das sich Ultras für die Nationalmannschaft engagieren, da sie damit auch einen ihrer Feinde, nämlich den DFB unterstützen müssten.256 Eine entsprechende Ultragruppierung Deutschland existiert nicht und wird es nach Einschätzung der Experten auch in absehbarer Zeit nicht geben.257 Wie die Erfahrungen zeigen, spielten die Ultras auch jüngst bei der Europameisterschaft 2008 in Österreich und der Schweiz keine Rolle. Die Fans der Nationalmannschaft haben mit ihren Choreografien ein Zeichen gesetzt.258 Sie wurden durch den Fanklub Nationalmannschaft, der mittlerweile über 50.000 Angehörige zählt, organisiert. Der eigentliche Exkurs dieses Unterkapitels bezieht sich auf die Gewalt im Zusammenhang mit der Fußball-Europameisterschaft 2008, die erst Ende Juni beendet wurde. Wie immer vor großen internationalen Turnieren ist gerade nach den Ausschreitungen 1990 in Italien259 und den Vorfällen in Frankreich 1998, mit 254 ebd. Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.15 256 Interview PHK Gössing 257 Interviews Herr Spahn, Herr Gabriel und PHK Gössing. 258 Interview Herr Spahn 259 siehe hierzu auch die Beschreibung in Bill Buford „Geil auf Gewalt“, S. 303 ff. 255 70 dem schon geschilderten Angriff auf Nivel sowie weiteren Erfahrungen mit Länderspielen und internationalen Klubwettbewerben, die Befürchtung vorhanden, dass es zu Ausschreitungen kommt. Der Befürchtung vorgreifend sind unter Federführung der jeweiligen Wohnortbehörden in Deutschland erneut gegen bekannte Störer sogenannte Vorfeldmaßnahmen getroffen worden.260 Die Maßnahmen, die zurückliegend in einschlägiger Literatur261 rechtlich beurteilt und für anwendbar gehalten wurden, gingen von Gefährderansprachen, über Meldeauflagen bis zu passbeschränkenden Maßnahmen262 und sollten Störer weites gehend abhalten in die Austragungsorte einzureisen. Neben der inländischen Polizei waren zudem geschlossene deutsche Einheiten in den Spielorten, vermehrt in Klagenfurt eingesetzt. Darüber hinaus war die deutsche Delegation unter der Leitung der ZIS vor Ort. Neben der Delegationsleitung und den Verbindungsbeamten waren 14 Beamte des „SKB Team Deutschland“ bei der EM im Einsatz. Den SKB geht es darum ansprechbar und bekannt zu sein, aber insbesondere auch das Störerpotenzial zu kennen und wenn nötig aus der Anonymität der Masse herausholen zu können.263 Das Sicherheitsfazit zur EM 2008 fällt insgesamt sehr positiv aus. Die Anzahl der Ausschreitungen und damit verbundener Festnahmen hielt sich objektiv in Grenzen und wurde auch nicht, wie in der Vergangenheit, z. B. bei der EM 2000 in Belgien und Holland 264 medial ausgeschlachtet. Kleinere Ausschreitungen soll es nur bei türkischen Spielen, jedoch aufgrund der internen Kurdenfrage und beim Spiel Kroatien gegen die Türkei gegeben haben.265 Aus deutscher Sicht war es, abgesehen von den ca. 180-190 Festnahmen am Vortag und Spieltag des Polen-Spiels, wo aus der Gruppe heraus rechtsradikales Liedgut gesungen wurde, eine Nulllage. Es wird davon ausgegangen, dass diese Festnahmen, neben den als erfolgskritisch eingestuften Vorfeldmaßnahmen, eine Signalwirkung auf die noch in Deutschland befindlichen Problemfans gehabt haben.266 260 Interview PHK Gössing siehe u.a. Dr. Krahm(2008):Polizeiliche Maßnahmen zur Eindämmung von Hooligangewalt. S. 272 ff. 262 Interview PHK Gössing 263 ebd. 264 B.A.F.F.(2004): Chaoten und Wahnsinnige in Ballbesitz ist Diebstahl. S. 175/176 265 Interview PHK Gössing 266 Interviews PHK Gössing und Herr Spahn 261 71 Aus „Fansicht“ wurde der Eindruck bestätigt. 267 Als erfolgskritisch wird hier das Angebot der Fanbetreuung vor Ort gesehen. Die Fanbetreuung, durch den DFB und teilweise die UEFA finanziert, sieht bei großen Turnieren die Einrichtung einer sogenannten mobilen „Fan-Botschaft“ an den Spielorten vor. Das Fahrzeug, was an zentralen Plätzen aufgestellt wird, gilt als ständige Ansprechstelle für ratsuchende Fans. Die Betreuung der Fans wurde durch 10 Mitarbeiter gewährleistet, die von der KOS und örtlichen Fanprojekten gestellt wurden. Darüber hinaus waren zwei Mitarbeiter für die Aktualisierung der eigens eingerichteten Homepage und Helpline verantwortlich. Als Ausblick wurde durch den Sicherheitsbeauftragten des DFB, Herrn Spahn, den Leiter der KOS Fanprojekte Herr Gabriel und den Leiter des SKB Team Deutschland übereinstimmend geschätzt, dass die Entwicklung zu weniger oder keiner Gewalt im Zusammenhang mit Spielen der Nationalmannschaft anhalten wird.268 Als Gründe wurden hier angeführt, dass die Spiele für Hooligans zunehmend uninteressanter werden, da die Zuschauerzusammensetzung sich verstärkt auf Familien ausrichtet. Wesentlich wird aber auch sein, ob es gelingt, die Fanbetreuung auch weiter und noch verstärkter durchzuführen.269 Im Rahmen von großen Turnieren ist jedoch ein weiterer Faktor verstärkt in den polizeilichen Fokus geraten, den man schon bei der WM 2006 beobachten konnte und der sich auch bei der EM 2008 fortgesetzt hat. POR Piastowski machte schon bei seinem Interview vor der EM 2008 darauf aufmerksam, dass nicht unbedingt die Gewalttätigkeiten in den Ausrichterstaaten ein Problem darstellen könnten, sondern vielmehr auch Situationen, die durch und beim Public Viewing sowie bei Jubelfeiern entstehen können, gerade wenn es zu Spielen von Ländern kommt, von denen auch viele Mitbürger in Deutschland leben. Es gab während der EM 2008 in Deutschland über 7.700 der Polizei bekannt gewordene Public Viewing Veranstaltungen, mit insgesamt über 9 Millionen Besuchern. Für die Einsatzbewältigung wurden bundesweit über 135.000 Polizeibeamte eingesetzt, die über 3.000 Straftaten verfolgen mussten.270 Neben den Public Viewing Veranstaltungen kam es nach den Spielen zu zahlreichen Jubelfeiern, verstärkt als Autokorsos veranstaltet. 267 Interview Herr Gabriel Interviews Herr Spahn, Herr Gabriel und PHK Gössing 269 Interview Herr Gabriel 270 ZIS- Statistik zur Fußballeuropameisterschaft 2008 (liegen Verfasser vor) 268 72 Insgesamt muss festgestellt werden, dass die Events das polizeiliche Einsatzgeschehen stark bestimmen, wie es die Zahlen verdeutlichen. Trotz der ausgelassenen Feiern der deutschen und ausländischen Fans und der zahlreichen Einsatzmaßnahmen liefen die Veranstaltungen insgesamt noch relativ friedlich ab. Gerade das „Brisanzspiel“ zwischen Deutschland und der Türkei am 25.06.2008 ließ größere Ausschreitungen erwarten. Nicht zuletzt einer besonnenen Berichterstattung der deutschen und türkischen Medien, es gab u.a. eine entsprechende Kooperation zwischen der BILD und der Hürriyet271 und wahrscheinlich dem Spielausgang ist es zu verdanken, dass es zu keinen nennenswerten Ausschreitungen gekommen ist. Bei den Autokorsos hat es sich gezeigt, dass mehr oder weniger ein rechtsfreier Raum entsteht. Aufgrund der Gefahren im Straßenverkehr und der Masse, der die Polizeikräfte gegenüberstehen, ist ein polizeiliches Einschreiten nur sehr bedingt und meist unter überhöhtem Risiko möglich. Die ZIS und ihr Leiter POR Piastowski gehen davon aus, dass vor dem Hintergrund, dass sich gerade bei diesen Anlässen die Gesellschaft und insbesondere die Jugend immer stärker zu einer Eventkultur entwickelt, die Probleme im Zusammenhang mit Public Viewing Veranstaltungen und Jubelfeiern zunehmen werden. Da sich auch gezeigt hat, dass vermehrt Personen mit Stadionverboten oder Einträgen in die Datei Gewalttäter Sport bei diesen Veranstaltungen anzutreffen sind, geht es darum, polizeiliche Konzepte für den Umgang mit den Veranstaltungen vorzudenken. Neben Konzepten, die auf Verhinderung von Panik und Ausschreitungen bei Public Viewing Veranstaltungen abzielen, geht es zukünftig auch darum, ob man bestimmte Maßnahmen, die man zurzeit im Zusammenhang mit Fußballspielen trifft, wie z.B. Bereichsbetretungsverbote für bekannte Gewalttäter, auch auf Public Viewing Veranstaltungen ausweiten kann. Auch Konzepte für den Umgang mit Jubelfeiern und Autokorsos sollen angedacht werden. Aktuell bereitet die ZIS eine Stellungnahme zum Gesamtthema für den UA FEK vor. 271 siehe hierzu http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/806490/ Zugriff am 23.07.2008 73 5. Was wird und was muss in Deutschland getan werden, um auf die Phänomene zu reagieren? Im Rahmen der Masterarbeit kann sicherlich nicht die gesamte Bandbreite der Maßnahmen aufgezeigt werden, die unternommen wurden oder angedacht sind, um den Gewaltphänomenen im Zusammenhang mit der Ultrabewegung zu begegnen. Es wird sich daher auf eine Übersichtsdarstellung beschränken müssen. Hierbei muss Erwähnung finden, dass nicht alle Maßnahmen exakt auf die Ultras, sondern vielmehr auf das Gewaltphänomen im Zusammenhang mit Fußballspielen allgemein zugeschnitten wurden. Bei der Bearbeitung des Themenkomplexes soll es vordergründig darum gehen, anhand der Erkenntnisse aus den Interviews aufzuzeigen, was zurückliegend bereits getan wurde und aktuell für erstrebenswert gehalten wird. Vorausschickend sei gesagt, dass die Interviews gezeigt haben, dass die Erkenntnisse, die sich durch die Untersuchung von Pilz ergeben haben und durch ihn in den drei Eckpfeilern der Gewaltprävention (Selbstregulierung, Prävention und polizeirechtliche Maßnahmen) und Handlungsempfehlungen niedergelegt wurden, 272 den daraus abgeleiteten noch im Wesentlichen Bestand haben. Vielfach hat sich auch gezeigt, dass zahlreiche Handlungsempfehlungen nicht umfassend genug oder noch gar nicht umgesetzt wurden. 5.1 Aus Sicht der Vereine/Fans und Ultras/Fanprojekte Als wesentliches Ergebnis kann schon jetzt festgestellt werden, dass niemand der Beteiligten das „Problem“ selbst lösen kann. Es gelingt nur gemeinsam und auch nur dann, wenn alle Beteiligte sich und ihre Vorgehensweise kritisch hinterfragen und bereit sind, im Rahmen ihrer Aufträge auf die jeweils andere Seite zuzugehen. Gelingt ein Zusammenwirken aller Kräfte nicht, wird die Gewalt im Zusammenhang mit der Ultraszene eskalieren. Bei den Vereinen ist ein Umdenkungsprozess bereits zu beobachten. Die Zeiten, in denen der Fan nur noch als Kunde betrachtet wurde, sind zwar nicht vorbei, da die Entwicklung des Fußballs sich nicht zurückdrehen lässt und wirtschaftliche Interessen weiter im Vordergrund stehen werden, aber der Fan wird wieder als 272 Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.227 ff. 74 solcher mit seinen Bedürfnissen wahrgenommen. Auch wenn für die Masterarbeit nicht direkt mit Vereinsvorständen gesprochen werden konnte, lässt sich das Bemühen aus den übrigen Interviews herauslesen. Es ist zu beobachten, dass die Vereine mit den Ultras in Kommunikation treten. Ein Austausch wird angestrebt findet teilweise statt und kann auch als gut bezeichnet werden.273 Es muss aber auch festgestellt werden, dass es nicht durchgängig der Fall ist. So findet in Leverkusen eigentlich keine Zusammenarbeit statt274 und in Bremen wurde ein Austausch nahezu eingestellt, nachdem das Verhalten der Ultras durch den Verein moniert wurde und man einen Ethik-Kodex einführen will, dem die Ultras nicht beitreten wollen.275 Als positiv muss die Arbeit der Fanbeauftragten bewertet werden. Die im NKSS geforderten hauptamtlichen Fanbeauftragten sind nach schleppendem Beginn mittlerweile in allen Standorten der Bundesliga eingesetzt, manchmal gibt es auch zwei hauptamtliche Fanbeauftragte.276 Der Fanbeauftragte als Sprecher des Vereins gegenüber seinen Fans277 ist ein wichtiges Bindeglied zwischen dem Verein und seinen Fans. Wenn sie ihre Aufgabe richtig wahrnehmen und sich mit den Fans und Ultras austauschen, kennen sie ihre Wünsche und Sorgen und können sie an die Vorstände transportieren und Änderungen anregen. Umgekehrt ist es natürlich auch wichtig, dass Sichtweisen des Vereins durch die Fanbeauftragten in die Fanszene transportiert werden. Sowohl von Herrn Gabriel als auch von Herrn Rojek wird als Problem die Ansiedlung des Fanbeauftragten in der Vereinshierarchie gesehen. Sie sind zu weit unten angesiedelt, die Vereine legen zu wenig Wert auf die Qualität der Fanbeauftragten. Eine direkte Vorsprachemöglichkeit beim geschäftsführenden Vorstand, wie von Herrn Rojek am Beispiel Schalke 04 aufgezeigt, müsste für die Fanbeauftragten eigentlich obligatorisch sein. Ein anderer Bereich, der im Verantwortungsbereich der Vereine liegt und als erfolgskritisch anzusehen ist, ist die Qualität der Ordnerdienste, die durch die Vereine beauftragt sind.278 Hier sollte es gelingen, ein einheitliches Vorgehen zu erreichen. Entsprechende Rahmenvorgaben existieren im Bereich des NKSS und 273 Interview PD Grzella, PD Richter, u.a., POR Henning und Herr Rojek telefonische Notiz zum Interview PHK Kommoß 275 Interview PD Pusch. 276 Interview Herr Gabriel 277 Interview Herr Rojek 278 Interview Herr Gabriel 274 75 der Richtlinie über die Sicherheit bei Bundesspielen. Jedoch gibt es Beispiele in denen Ordner eingesetzt werden, die selbst als Gewalttäter in Erscheinung getreten sind.279 Auch wird vielfach die unterschiedliche Behandlung von Heimund Auswärtsfans beklagt. Das Beispiel St. Pauli, wo den Gästefans dieselben Rechte wie den Heimfans, was die Mitnahme von Supportmaterial anbelangt, eingeräumt werden,280 erscheint ein sinnvoller Weg. Auch der Weg der Schaffung von „Fan-Kodexen“, wie in Bremen angestrebt,281 sollte fortgesetzt werden, um das Verhältnis zwischen Verein und seinen Fans auf eine transparente und glaubwürdige Basis zu stellen. Es sollte aber auf jeden Fall gemeinsam entwickelt werden, da sonst keine Akzeptanz entsteht, was vielleicht zurzeit in Bremen geschieht, wenn die Ultras der Vereinbarung nicht beitreten. Bei der gemeinsamen Erarbeitung muss natürlich klar sein, dass alle Seiten, soweit möglich, kompromissbereit sind. In diesem Bereich fällt auch die Verantwortung der Fanklubs, -organisationen, -abteilungen oder -verbände. Hier handelt es sich um die „organisierte Stimme“ der Fans, die wie einzelne Ultragruppierungen selbstverständlich Gehör beim Verein finden müssen. Hier ist auch als sehr positives Beispiel Schalke 04 zu nennen, die dem Vorsitzenden des Fanklubdachverbandes einen stimmberechtigten Sitz im Aufsichtsrat einräumen.282 Die Fanklubs und ihre Dachverbände können neben Anti-Gewalt-Aktionen, wie in Schalke zurückliegend mit „Spieler und Fans gegen Gewalt“283 auch auf die Fans einwirken, gewalttätiges Verhalten im Stadion und auf Reisewegen zu unterlassen. Sie müssen verstärkt in eine Diskussion mit den Ultragruppierungen eintreten, um notfalls sich auch deutlich von möglichem Fehlverhalten der Ultras zu distanzieren. Falsche Solidarisierungen führen höchstens in eine Sackgasse. Bei den Ultras selbst muss der auch schon von Pilz geforderte Selbstregulierungsprozess einsetzen.284 Es geht insbesondere darum, Feindbilder abzubauen, sich von Gewalt zu distanzieren und gewalttätige Teile in den Gruppen zu isolieren. Sie müssen erkennen, dass sie nie eine Chance haben 279 Interviews POR Henning und Herr Gabriel Interview Herr Spahn 281 Interview PD Pusch 282 siehe http://www.schalke04.de/vereinsorgane.html , Zugriff am 12.07.2008 bzw. Interview Herr Rojek 283 Interview Herr Rojek 284 Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.227-230 280 76 werden, wenn sie sich gegen die Polizei wenden.285 Sie sollen ihre Fankultur ausleben, sich aber im Rahmen der Gesetze bewegen. Rechtsfreie Räume dürfen Ultras nicht für sich reklamieren. Als Beitrag zur Abkehr von Gewalt können sicherlich die Distanzierungsbekundungen der Bochumer und Nürnberger Ultras nach den Vorfällen in Bielefeld und Frankfurt gewertet werden.286 Eine wichtige Funktion gerade in diesem Selbstregulierungsprozess und der Abkehr von Gewalt kommt den Fanprojekten zu. Wie sagte es zusammenfassend PD Grzella „ohne Fanarbeit wären wir arm“. Nahezu übereinstimmend wurde der Fanprojektarbeit zur Verhinderung von Gewaltphänomen eine Schlüsselfunktion zugeordnet. Die Fanprojekte wurden 1992/1993 mit dem NKSS ins Leben gerufen, nachdem bereits 1981 in Bremen das erste Fanprojekt gegründet wurde. Nachdem es bei der Gründung 12 Fanprojekte gab, die gemäß der Drittelfinanzierung vom DFB, der Kommune und den Vereinen finanziert werden, sind es aktuell 39, die durch die Koordinationsstelle Fanprojekte e.V. als Dachorganisation unterstützt, beraten und begleitet werden.287 Zurzeit stehen noch ca 5 Fanprojekte kurz vor ihrer Gründung. Der BFC Dynamo soll zudem ein Sonderprojekt erhalten. Man kann sicherlich Herrn Gabriel zustimmen, wenn er die Entwicklung als Erfolgsgeschichte bezeichnet. Die strukturellen Bedingungen in den einzelnen Fanprojekten sind, was die personelle und materielle Ausstattung anbetrifft, in den Standorten unterschiedlich, sicher auch nicht überall optimal und vorschriftsgemäß, aber im Vergleich zur Gründungszeit zufriedenstellend.288 Nachdem auch jüngst das Bundesland Sachsen in die Projektfinanzierung eingestiegen ist und überhaupt seit Anfang Januar aktiv Zeichen gegen Gewalt im Fußball setzt, ist es nur noch Baden-Württemberg, welches sich nicht finanziell beteiligt.289 Neben der ständigen Ansprechbarkeit der Mitarbeiter von Fanprojekten und Hilfe bei fast allen Lebensproblemen von Fans, stehen pädagogische Inhalte auf der 285 Interview Herr Gabriel siehe hierzu http://www.ub99.org/ + http://www.ultras.ws/nuerberger-fans-in-frankfurt-t4385s192.html Zugriffe am 22.07.2008 287 Interview Herr Gabriel; zusätzlich: Übersicht über bestehende Fanprojekte unter http://www.kos-fanprojekte.info/ 288 Interview Herr Gabriel 289 Sachstandbericht der KOS 2007, S. 6 286 77 Agenda, die den Weg für die Jugendlichen in die Gesellschaft bereiten sollen. Ein Ziel neben dem Auftrag stellt natürlich auch die Verhinderung von Gewalt dar. Auch wenn die Angebote der einzelnen Fanprojekte variieren, gehören die Begleitung der Fans zu den Spielen, Klubabende, sozialpräventive Gruppenreisen sowie freizeit- und kulturpädagogische Aktivitäten, wie Kicker, Internet, Fotowettbewerbe, wöchentliche Sportprojekte und spezielle U16 Reisen oder Stammtische zum Repertoire von Fanprojekten. 290 Den Fanprojekten kommt gerade bei Ultras eine besondere Bedeutung zu, sind es doch fast die Einzigen, mit denen eine regelmäßige Kommunikation und somit ein Austausch stattfindet. Sie können die Wünsche und Anregungen der Ultras somit zu anderen Beteiligten transportieren und eben auf die Gruppe einwirken und auf Gewaltverhinderung hinwirken. Die Ultras stellen aber auch eine Herausforderung dar, weil aufgrund der Gruppengrößen die Bedeutung der einzelfallbezogenen Sozialarbeit deutlich zurückgegangen ist. Der Organisationsaufwand wird immer größer. Aufgrund des meist vorhandenen Bildungsniveaus bietet sich aber die Chance auf Bildungsinitiativen in Richtung der Ultras. Ein Bereich, der zukünftig verstärkt durch die Fanprojekte aufgenommen werden sollte.291 Was auf jeden Fall vermieden werden sollte, ist ein Ablehnen der Zusammenarbeit mit der Polizei, wie sie aus Berlin vonseiten der Polizei wahrgenommen wird, wo Mitarbeiter der Fanprojekte, aus Befürchtung als „Verräter“ zu gelten, es sogar ablehnen, den eingesetzten Szenebeamten die Hand zu schütteln.292 Hier ist die Kommunikation äußerst wichtig, die helfen soll, wie in den meisten Standorten auch praktiziert, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zu gestalten. 5.2 Aus Sicht der Verbände Das Verbandssystem in Deutschland ist föderal ausgerichtet. Neben dem Dachverband DFB gibt es 26 regionale Landesverbände, wie z. B. den Westdeutschen Fußball- und Leichtathletikverband (WFLV) oder den Nordostdeutschen Fußballverband (NOFV). Die regionalen Landesverbände 290 Beschreibung des FP Energie Cottbus, KOS Sachstandbericht 2007, S. 13 Interview Herr Gabriel 292 Interview Herr Bartelt 291 78 erlassen für ihren Zuständigkeitsbereich eigene Sicherheitsrichtlinien, die sich natürlich an den Rahmenvorgaben des DFB orientieren.293 Neben dem DFB gibt es dann noch die für den Spielbetrieb der ersten beiden Ligen zuständige Deutsche Fußball Liga (DFL). In der Folge wird es im Wesentlichen um die Maßnahmen gehen, die vom DFB bzw. in Kooperation mit der DFL durchgeführt wurden bzw. angedacht sind. Obwohl der DFB sich intensiv mit der Entwicklung der Ultrabewegung und auch den damit zusammenhängenden Sicherheitsaspekten beschäftigt, fokussieren sich die Maßnahmen und Rahmenvorgaben stets auf die Gewaltphänomene im Fußball allgemein und sind weniger gruppenspezifisch ausgelegt. Bevor ich auf konkrete Maßnahmen eingehe, stelle ich zunächst die wichtigsten Richtlinien bzw. Rahmenvorgaben vor, die die Sicherheit bei Fußballspielen gewährleisten sollen. Die einzelnen Richtlinien fußen auf dem NKSS, dessen Ergebnisbericht im Dezember 1992 verabschiedet wurde und heute noch Gültigkeit besitzt. Anlass für das NKSS war, dass vor dem Hintergrund der Ausschreitungen im Heysel-Stadion und den aktuellen Vorfällen bei mehreren Europapokalspielen mit deutscher Beteiligung, insbesondere nach den Krawallen im Rahmen der Europapokalspiele Dynamo Dresden gegen Roter Stern Belgrad 1990 die Gefahr bestand, dass deutsche Mannschaften an der Teilnahme von internationalen Spielen ausgeschlossen werden könnten. Die Politik und der Sport wollten gegensteuern und setzen eine Arbeitsgruppe ein, die das Konzept entwickelte. Das Konzept umfasste sechs grundlegende Handlungsfelder, die durch ergänzende Richtlinien und Verordnungen in der Folge und aktualisierend ausgestaltet wurden. Demnach wurde im NKSS festgeschrieben, dass eine Fanbetreuung im Rahmen von Sozialarbeit zu erfolgen hat, was die Errichtung von Fanprojekten auf örtlicher Ebene und die Schaffung der KOS auf überörtlicher Ebene nach sich zog. Das Konzept schrieb darüber hinaus Stadionordnungen vor, führte die Stadionverbote ein, traf Regelungen zur einheitlichen Wahrnehmung von Ordnerdiensten, machte Aussagen zur Stadionsicherheit und sah Regelungen zur Zusammenarbeit aller Beteiligten vor.294 Mit diesem Mix aus präventiven, repressiven und allgemeinen 293 294 Interview Herr Spahn NKKS, Ergebnisbericht von Dezember 1992 79 sicherheitspolitischen Gesichtspunkten konnte die Grundlage für eine sinnvolle Bekämpfung und Verhinderung der Gewalt bei Fußballspielen geschaffen werden. Die allgemeinen Sicherheitsaspekte wurden durch die „Richtlinie zur Verbesserung der Sicherheit bei Bundesspielen“,295 die Stadionverbote durch die „Richtlinie zur einheitlichen Behandlung von Stadionverboten“296 und die Fanarbeit durch die „Empfehlung zur Betreuung von Fußballfans“297 konkreter ausgestaltet. Da das Konzept mit all seinen Anlagen und den daraus abgeleiteten Richtlinien und Empfehlungen eine eigene Thematik für eine Masterarbeit darstellen könnte und ich die Fan- und Fanprojektarbeit schon kurz dargestellt habe, möchte ich hier vor dem Hintergrund der Maßnahmen des Verbandes nur das Thema Stadionverbote etwas ausführlicher betrachten. Derzeit wird es seitens der Polizei als probates Mittel gesehen, dass potenzielle Störer von Fußballveranstaltungen ausgeschlossen werden. Derzeit sind ca. 3200 Personen mit Stadionverboten belegt.298 Die Fans und insbesondere die Ultras lehnen Stadionverbote weitgehend ab299 oder wehren sich zumindest gegen die aus ihrer Sicht willkürlichen Verhängungen bzw. fehlenden Beteiligungsmöglichkeiten. Nicht zuletzt die Protestaktionen der Ultras gegen den Umgang mit den örtlichen und überörtlichen Stadionverboten haben zu mehreren Anpassungen geführt. Mit der jüngsten Anpassung im März 2008 wurden eine niedrigere Höchstdauer und verbesserte Anhörungsrechte eingeführt. Die Höchstgrenze wurde auf 3 Jahre reduziert. Die Diskussionen und Statements in Fanforen und von Fanverbänden zeigen, dass die Ultras zwar immer noch nicht zufrieden sind, da sie das Instrument weiter grundsätzlich in Frage stellen, jedoch das Signal des Verbandes, was auch insbesondere durch die Fankongresse zustande kam, als positiv bewerten.300 Die vielfach von der Polizei geäußerten Bedenken und Einwände, dass eine Reduzierung der Höchstdauer ein falsches Signal wäre,301 weisen Herr Gabriel und Herr Spahn in ihren Interviews zurück. Herr Spahn wertet die 295 aktuellste Fassung datiert vom 31. Mai 2007 aktuellste Fassung datiert vom 31. März 2008 297 http://www.dfb.de/uploads/media/betreuung_03.pdf Zugriff am 22.07.2008 298 Aussage POR Piastowski im Anschluss an das Interviews am 29.05.2008 299 Bei einer Umfrage zum Thema Ausweitung der Stadionverbote auf die neuen 4. Ligen im Online-Magazin Stadionwelt vom 27.05.2008 lehnten fast 57 % Stadionverbote generell ab; siehe http://www.stadionwelt.de/neu/sw_fans/ Zugriff am 30.06.2008 ( Ausdruck liegt Verfasser vor) 300 http://www.bag-fanprojekte.de/index.php?option=com_content&task=view&id=150&Itemid=2 Zugriff am 15.06.2008 301 Interview POR Piastowski sowie Jahresbericht 2007des Inspekteurs der Bereitschaftspolizeien der Länder, S. 24 296 80 Anpassungen auch nicht unbedingt als Zugeständnis, sondern stellt auf das Erfordernis ab, das die Formulierungen klarer zu fassen waren, um einer willkürlichen Anwendung der Richtlinie Einhalt zu gebieten. Auch die Polizei sieht die Notwendigkeit, dass bundesweit ein einheitlicher Umgang mit den Richtlinien anzustreben ist.302 Über das Thema hinaus unternimmt der DFB in enger und regelmäßiger Abstimmung mit der DFL alles, um mit den Fans und den Ultras in Kommunikation zu treten und einen Austausch zu gewährleisten. In der jüngeren Vergangenheit können hierzu neben der Ausrichtung regelmäßiger, mindestens einmal jährlich stattfindender, Fankongresse und diverser Gesprächszirkel vordergründig die Einrichtung, der ausschließlich aus Fanvertretern besetzten „Expertengruppe Länderspiele“ sowie die aus 7-10 Fanvertretern unterschiedlicher Fangruppierungen besetzte „AG Fandialog“ genannt werden. Der DFB/die DFL waren ebenso daran beteiligt, dass eine Musterstadionverordnung entwickelt, Fanbeauftragte in jedem Verein installiert und neue Fanprojekte ins Leben gerufen wurden.303 Wie auch in der Studie von Pilz gefordert304 wurde mittlerweile bei der DFL auch das Amt des Fanbeauftragten besetzt, also eine Anlaufstelle für Fans, geschaffen. Mit dem ehemaligen Leiter, der KOS Fanprojekte, Herrn Thomas Schneider wurde, auch eine Person für den Posten ausgewählt, der die Fansorgen und- wünsche bestens kennt. Ein Fanbeauftragter muss beim DFB nicht installiert werden, da das Amt bei der DFL in Personalunion wahrgenommen wird.305 Nicht zuletzt durch die alleinige Übernahme des Präsidentenamtes durch Herrn Dr. Theo Zwanziger nach der WM 2006 hat ein Prozess hin zum Fan stattgefunden, der auf breite Zustimmung trifft. Der DFB-Präsident trifft sich alle vier Wochen, ohne Beisein von Abteilungsleitern, mit Fanvertretern, um die Stimmungen aufnehmen zu können.306 Der durch Dr. Zwanziger eingeleitete Prozess, wonach der Fußball seiner Verantwortung für die Gesellschaft gerecht werden soll, wird auch durch die KOS als absolut vorbildlich bewertet.307 302 Interview PD Pusch Interview Herr Spahn 304 Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.234 305 Interview Herr Spahn 306 ebd. 307 Interview Herr Gabriel 303 81 Der Weg zu mehr Sicherheit im Zusammenhang mit Fußballspielen soll kontinuierlich fortgesetzt werden. Das NKSS wird zurzeit überarbeitet. Bei der Schaffung 1992 war der Hooligan im Fokus der Betrachtung, der aber seine Bedeutung eingebüßt hat. Beim neuen NKSS soll die Ultraproblematik in den Vordergrund rücken. Zu konkreten Änderungen wurde vorab angemerkt, dass die örtlichen Ausschüsse Sport und Sicherheit zwingend gemacht, die materiellen und personellen Rahmenbedingungen bei der Fanprojektarbeit angepasst und Empfehlungen an die Vereine, u.a. die Zusammenarbeit mit der Polizei betreffend, ausgesprochen werden sollen. Weitere Anpassungen im Bereich Stadionverbote sind dagegen nicht vorgesehen.308 5.3 Aus Sicht der Polizei Da die Polizei als Feindbild angesehen wird, ist es natürlich wichtig, wie sie mit der Situation umgeht. Dabei ist anzuführen, dass die Polizei sich schon 2001 intensiv mit der Ultraproblematik und der Frage auseinandergesetzt hat, ob eine neue Gewalttäterszene heranwächst, was heute mit Ja beantwortet werden muss.309 Die Frage ist, wie hat die Polizei auf die Ultraproblematik reagiert und wie wird sie zukünftig weiterhin darauf reagieren. Hierbei muss sicher zwischen der praktischen Arbeit der Polizei vor Ort, insbesondere der täglichen Arbeit der SKB und der Einsatzbewältigung an den Spieltagen sowie den Aufgaben der ZIS unterschieden werden. Die taktischen Konzepte an den Spieltagen orientieren sich an den allgemeinen Grundsätzen der PDV 100 zu Maßnahmen aus besonderen Anlässen bei Veranstaltungen (Nr 4.1) und ggf. auch bei Ansammlungen (Nr. 4.2) sowie an diversen speziellen Regelungen, wie u.a den Landesteil NRW zur PDV 100, Teil E: „Leitlinien für den Einsatz der Polizei bei Sportveranstaltungen, insbesondere bei Fußballbundesligaspielen“. Einsätze aus Anlass von Fußballspielen sind als ständig wiederkehrende und vorhersehbare Ereignisse durch Planentscheidungen 308 309 Interview Herr Spahn Interview POR Piastowski 82 vorzubereiten.310 Die Polizeibehörden fertigen zu Beginn einer Spielzeit einen Rahmenbefehl und zu jedem Spiel einen gesonderten Einsatzbefehl. Die taktischen Konzepte sind grundsätzlich auf Verhinderung von Gewalttätigkeiten ausgerichtet, sodass es aufgrund der Ultraproblematik nicht zu grundsätzlichen Änderungen der Einsatzkonzeptionen kommen musste. Die Einsatz tragenden Abschnitte in einer Besonderen Aufbauorganisation sind nahezu gleich geblieben, sodass hier nicht näher darauf eingegangen werden muss. Die Anpassungen, die es gegeben hat, waren zum einen im Wesentlichen der Situation geschuldet, dass das polizeiliche Gegenüber sich verändert hat. Waren es zurückliegend meist die Hooligans, die im Fokus polizeilicher Überlegungen standen, sind es nach deren Rückgang nun die Ultragruppierungen, auf die sich Polizei fokussiert.311 Zum anderen waren die Anpassungen den Verhaltensweisen der Ultras geschuldet. Auf die bereits beschriebenen Phänomene wurde seitens der Polizei reagiert. Wo man früher noch fast zwangsläufig in den Block ging, um erkannte Straftäter herauszuholen, sieht man heute weites gehend aufgrund verbesserter Infrastrukturen, aber auch vor dem Hintergrund, der mit der Solidarisierung verbundenen Gefahr für die körperliche Unversehrtheit der Einsatzkräfte von einer direkten Festnahme im Block ab. Weitere Probleme bei der Einsatzbewältigung durch die Ultras haben sich aus Sicht der Einsatzleiter bzw. der Hundertschaftsführer der Fußballstandorte in NRW durch die kaum vorhandene Kommunikation, der besonderen Entziehung der Strafverfolgung durch Vermummung, Nutzen der Banner oder Mitführen von Wechselkleidung sowie das Ausweichen auf untere Ligen ergeben, wo meist weniger Personal eingesetzt ist.312 Moniert wurden aber auch polizeiinterne Schwächen. Hier wurden fehlende einheitliche Maßnahmenkonzepte, teilweise mangelnde Absprachen sowie eine unterschiedliche Qualität der SKB genannt.313 Letzteres zeigte sich darin, dass Informationen unzureichend weitergegeben wurden, diese teilweise nicht gesichert waren und so zu einer Handlungsunsicherheit bei den Einsatzkräften beitrugen. 310 DHPol Studienpapier „Sport und Gewalt“, Stand 12/2007, S. 27 Interview PD Grzella 312 aus den Berichten der Behörden zur Vorbereitung auf die Fachbesprechung des LZPD NRW mit den NRW-Fußballstandorten vom 28.01.2008 in Neuss (liegen Verfasser vor) 313 ebd. 311 83 Probleme ergeben sich aber vielfach aus der Abschottung bzw. konspirativen Verhaltensweise der Ultras.314 Trotz nach wie vor qualitativ hochwertiger Aufklärungsarbeit der SKB sind die Erkenntnisse über die Szene noch nicht so umfassend, wie zuvor über die Hooliganszenen.315 Weitere Probleme ergeben sich aus der häufig starken Alkoholisierung der Ultras, deren Unberechenbarkeit316 und der teilweise schlechten Zusammenarbeit mit Vereinen und Ordnungsdiensten, was zur Folge hat, dass Informationen teilweise im Vorfeld nicht an die Gästefans weitergegeben werden oder das aufgrund von Verflechtungen zwischen Ordnerdienst und Ultras Pyrotechnik ins Stadion gelangen kann.317 Die Maßnahmen und erfolgskritischen Faktoren orientieren sich an den gültigen Gremienbeschlüssen im Zusammenhang mit Gewalt bei Fußballspielen, wie z. B. dem IMK-Beschluss vom 25.05.2005 und dem Bericht des UA FEK vom 27.12.2006.318 Bei den in den Interviews genannten Maßnahmen, wie bei den erfolgskritischen Faktoren zur Minimierung bzw. Verhinderung von Gewaltphänomen, insbesondere im Zusammenhang mit der Ultraszene, muss man immer berücksichtigen, dass sie sich an den jeweils spezifischen örtlichen Gegebenheiten ausgerichtet haben und daher teilweise variieren. In Bochum hat man u.a. auf eine „lebende Gefährdersprache“ gesetzt. Den Ultras sollte durch ständige Polizeipräsenz gezeigt werden, dass man sie als Problem erkannt hat. Einsatzkräfte wurden in Zug- oder Gruppenstärke an die Gruppe herangebracht (Klettenkräfte).319 Hier zeigte sich ein Phänomen, dass auch Auswirkungen auf die polizeiliche Einsatzbewältigung hat. Die Ultras reagieren sehr schnell auf das polizeiliche Vorgehen und ändern ihr Verhalten. In Bochum zeigte es sich, dass sie dann auf Kleingruppentaktik auswichen, was wiederum bedeutete, dass mehrere Gruppen aufgenommen werden mussten. 314 Interview Herr Bartelt, Interview PHK Kommoß 316 Interview POR Henning 317 Interview PHK Brabandt 318 DHPol Studienpapier „Sport und Gewalt“, Stand 12/2007, S. 28/29 319 Interview PD Grzella 315 84 Überhaupt wird auch in Berlin und Bremen auf eine starke Polizeipräsenz gesetzt,320 nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Erfordernisses der strikten Fantrennung321 sowie dem Umstand, dass die Ultras oder auch die Hooligans es sofort für Aktionen ausnutzen, wenn die Polizei personell schwach aufgestellt ist.322 Vor diesem Hintergrund wird auch die bereits gestiegene und im Kapitel 4.2.1 aufgeführte Einsatzbelastung der Polizei zukünftig zu messen sein. Kein Einsatzleiter hat in dem Interview die Einschätzung abgegeben, dass sich der Kräfteansatz zeitnah reduzieren wird, eher von einem erhöhten Kräfteansatz wird ausgegangen.323 Da aber die Einsatzbelastung der Polizei durch Fußballspiele ein Höchstmaß erreicht zu haben scheint, da alleine 9 Hundertschaften im Jahresschnitt nur für Fußballspiele eingesetzt werden,324 möchte die ZIS eine Reduzierung erreichen. Sie möchte darauf hinwirken, dass bei der Lagebeurteilung nicht die reine Spielpaarung, sondern tatsächlich zu erwartende Probleme im Vordergrund stehen.325 Als weitere erfolgskritische Faktoren wurden in den Interviews und den Berichten der NRW-Fußballbehörden im Wesentlichen genannt: • Niedrige Einschreitschwelle • Konsequentes polizeiliches Handeln • Intensive Beweissicherungsmaßnahmen • Gefährderansprache und Bereichsbetretungsverbote gegen erkannte Rädelsführer • Initiierung von Stadionverboten, aber mit dem Schwerpunkt Qualität vor Quantität • Intensivierung der Aufklärung • Angebote zur Kommunikation mit den Ultras; Ansprechen der Rädelsführer • Enge Zusammenarbeit mit dem Vereinen • Engere Zusammenarbeit mit und Qualifizierung der Ordnerdienste In Berlin wurden noch die in den Leitlinien für Polizeiführer festgelegten Regelungen für erfolgskritisch erachtet. Dort ist u.a. ein abgestufter 320 Interview PD Pusch, PD Richter, u.a., POR Henning Interview PHK Grünebohm 322 Interview PD Pusch, POR Henning 323 Interview PD Grzella 324 Interview PO Piastowski 325 ebd. 321 85 Maßnahmenkatalog aufgeführt, welche Schritte unter Verbindungsaufnahme zum Schiedsrichter zu erfolgen haben, wenn Fälle von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt auftreten. Als Ultima Ratio ist der Spielabbruch durch die Polizei vorgesehen.326 Ebenfalls wird das Verbot von Vollbierausschank in Berlin als erfolgskritisch, insbesondere bei Brisanzspielen angesehen.327 Aufgrund der Erkenntnisse im Zuge der Fachbesprechung der NRWFußballstandortbehörden hat das zuständige LZPD NRW mit Datum vom 12. März 2008 Leitlinien für den Einsatz aus Anlass von Sportveranstaltungen für NRW herausgegeben,328 die einige Faktoren der Interviews unterstreicht, jedoch im Punkt Polizeipräsenz abweichend ist. Auf die wachsenden Anforderungen durch die Ultragruppierungen schreibt sie Grundsätze vor, wie u.a. die umfassende Information aller eingesetzten Kräfte, das Zeigen von Polizeipräsenz nur bei erforderlichen polizeilichen Maßnahmen und die Vornahme von Ingewahrsamnahmen gegen reisende Fußballfans bei Vorliegen begründeter Tatsachen für das Begehen von Straftaten. Die Reduzierung der Polizeipräsenz im Stadion wird auch durch Herrn Spahn als erfolgskritisch angesehen, da es helfen könnte, das Feindbild bei den Ultras abzubauen. Hierbei ist aber anzumerken, dass es im Stadion sicher möglich ist, wie es das Konzept u.a. in Gelsenkirchen vorsieht, wo die Einsatzkräfte sich während des Spiels weites gehend in gesonderten Bereitstellungsräumen aufhalten. Im Einsatzraum kann es jedoch zu Problemen führen, wenn Kräfte bei Störungen möglicherweise nicht schnell genug herangeführt werden können. Ebenfalls als eine Möglichkeit das Feindbild abzubauen wird in einer ordentlichen und ehrlichen Kommunikation mit den Ultras gesehen. Wie schon durch viele Behörden geschehen, sollte den Vereinen anreisender Fans im Vorfeld mitgeteilt werden, was erlaubt ist und was nicht, damit die Ultras sich vor der Abreise schon darauf einstellen können und vor Ort nicht von Maßnahmen überrascht werden. Vielfach wird es schon durch Anschreiben an die Gastvereine oder besonders in Sicherheitsgesprächen praktiziert.329 Darüber hinaus kommt der Kommunikation am Spieltag eine große Bedeutung zu. Auch wenn es von Teilen der Polizei noch 326 Leitlinien für Polizeiführer im Zusammenhang mit Heimspielen des BFC Dynamo im Sportforum Hohenschönhausen, Stand vom 12.Februar 2008 ( liegen Verfasser vor) 327 Interview PD Richter 328 Schreiben der LZPB vom 12.03.2008, Dez. 42, Az. 60.11.26 329 Interviews PD Grzella und POR Scharnowski 86 kritisch gesehen wird,330 können die sogenannten Konfliktmanager, die zurzeit vor allem in Hannover eingesetzt werden, einen erfolgsversprechenden Weg bieten.331 Laut Pilz können Konfliktmanager durch Einflussnahme auf die richtigen Leute die Situation entschärfen, was in 80 Prozent der Fälle zum Erfolg geführt hat.332 Gerade vor dem Hintergrund transparenten und glaubwürdigen Handelns sind auch einheitliche Maßnahmenkonzepte diskutiert und größtenteils befürwortet worden, jedoch lässt sich dieses bei einem föderalen System nicht ohne weiteres umsetzen und reduziert sich auf empfehlenden Charakter. Ein weiteres Thema, was zu großen Diskussionen innerhalb der Fan- und Ultraszene führt und auch bei der Polizei nicht undifferenziert gesehen wird, ist das Thema „Datei Gewalttäter Sport“, einer seit dem 01.02.1995 bestehenden Datei im INPOL. In der automatisierten Datenbank werden die Daten solcher Personen gespeichert, gegen die im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen wegen in einem Katalog festgelegten Straftaten ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, oder die deswegen rechtskräftig verurteilt worden sind. Darüber hinaus werden auch Daten von Personen gespeichert, gegen die von der Polizei Personalienfeststellungen, Platzverweise und Ingewahrsamnahmen angeordnet wurden, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich diese Personen zukünftig im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen an Straftaten von erheblicher Bedeutung beteiligen werden.333 Derzeit sind bei ca 13.000 Datensätzen, in der Datei ca. 9000 Gewalttäter gespeichert.334 Von den Fans wird häufig der Vorwurf geäußert, dass man möglicherweise erst an der Grenze von einem Eintrag erfährt und unnötige Wartezeiten und Repressalien in Kauf nehmen muss. Pikanterweise ist dies jüngst sogar dem Torwart des S04, Manuel Neuer, widerfahren, als er anlässlich des Besuchs eines Länderspiels 330 Interview PHK Kommoß Interview Herr Spahn 332 zitiert aus Hofmann, Andre in „Die Herrscher der singenden Masse“ vom 24.04.2008 unter http://www.sportal.de/sportal/generated/article/fussball/2008/04/24/9360900000.html Zugriff am 23.07.2008 333 http://www1.polizei-nrw.de/lzpd/organisation/zentrale-Informationsstelle-sporteinsaetze Zugriff am 20.05.2008 ( Auszug liegt Verfasser vor) 334 Aussage POR Piastowski im Anschluss an das Interview am 29.05.2008 331 87 während der EM 2008 am 19.06.2008 die Grenze passieren wollte und dort aufgrund eines Eintrages für einige Stunden aufgehalten und überprüft wurde. Der Eintrag wurde durch PHK Kommoß vor etwa 3 Jahren vorgenommen, nachdem Manuel Neuer noch als Fan von Schalke im Leverkusener Stadion im Zusammenhang mit dem Abbrennen von Pyrotechnik auffällig geworden war.335 In einzelnen Fällen mag die Kritik gerechtfertigt sein, aber die Polizeisicht hierzu ist eindeutig. Die Datei wird als positiv und erforderlich erachtet, da sie Polizeibeamten bei Überprüfungen zeigt, dass sein Gegenüber im Zusammenhang mit Fußballspielen auffällig geworden ist und hilft Sachverhalte richtig einzuordnen.336 Abschließend ist festzuhalten, dass auch die Polizei nicht die Meinung vertritt, sie könnte mit repressiven Maßnahmen die besonderen Herausforderungen, die sich zu den Ultras ergeben, alleine lösen. Dies geht auch nach übereinstimmender Ansicht aller Interviewpartner nur im Schulterschluss aller Beteiligten.337 6. Einordnung der Gewaltphänomene in den europäischen Kontext Wie schon durch die gegenüberstellende Darstellung der italienischen und deutschen Ultraszene angeklungen, handelt es sich nicht um ein Problem eines einzelnen Staates. Das Problem mit Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen herrscht, mit Ausnahme der skandinavischen Länder, in vielen europäischen Staaten vor. Neben Deutschland fallen Polen, Tschechien Frankreich, Belgien, Italien und die Niederlande durch gewalttätige Ausschreitungen auf.338 Erst am 12.07.2008 ist es zu Ausschreitungen am Rande des Fußballfreundschaftsspiels zwischen Borussia Dortmund und dem FC Basel im schweizerischen Grenchen gekommen. Neben handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Fangruppen wurden Rauchfackeln abgebrannt und Feuerwerkskörper auf das Spielfeld geworfen.339 Das Spiel stand kurz vor dem Abbruch. 335 Interview PHK Kommoß Interviews PHK Kommoß und PHK Gössing 337 stellvertretend hierfür Interview POR Piastowski 338 Interview POR Piastowski 339 Artikel in der WAZ vom 14.07.2008(liegt Verfasser vor) 336 88 Vor diesem Hintergrund soll dargestellt werden, was in Europa zur Verhinderung von Gewaltphänomen getan wird. 6.1 Darstellung der europäischen Vorschriftenlage Nicht zuletzt durch die steigende Zahl von Ausschreitungen im Zusammenhang mit Fußballspielen haben sich auch die Gremien der europäischen Politik mit dem Thema befasst, um eine Einheitlichkeit herzustellen. Im Bereich der internationalen Zusammenarbeit gewinnt die EU-weite Kooperation in Bezug auf Sportgroßveranstaltungen insbesondere auf die Phänomene „Hooliganismus“ und „Ultrabewegung“ beim Fußball immer mehr an Bedeutung.340 Hier wäre zunächst die Empfehlung Nr. R(84) 8 des Europarates zur Reduzierung der Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen zu nennen, die der europäischen Konvention zur Reduzierung von Gewalt anlässlich von Fußballspielen vom 23.07.1985 vorausgeht.341 In der Folge kam es zu weiteren Resolutionen und Empfehlungen, beispielhaft seien die Resolution No. 3/1989 sowie die Empfehlungen von 1989, 1991 und 1993 genannt, die sich zum Teil mit besonderen Pflichten von Veranstaltern von Fußballspielen befassen.342 Die Aktivitäten der Europäischen Union betreffen die Resolution vom 13. April 1984, in der eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten zur Bekämpfung des Hooliganismus gefordert wird.343 Neben weiteren Beschlüssen und Empfehlungen wird mit Entschließung des Europäischen Rates vom 21. Juni 1999 (C 196,13.7.1999) sowie vom 6.Dezember 2001 (C22, 24.1.2002) die Erstellung und Fortführung eines Handbuches für die internationale Zusammenarbeit und Maßnahmen zur Vorbeugung und Bekämpfung von Gewalttätigkeiten und Störungen im Zusammenhang mit internationaler Dimension, die zumindest einen Mitgliedsstaat betreffen, beschlossen.344 Mit Beschluss des Europäischen Rates vom 25. April 2002 über die Sicherheit bei Fußballspielen von internationaler Bedeutung (2002/348/JI), wurden die Mitgliedsstaaten verpflichtet, nationale Fußballinformationsstellen 340 Jahresbericht 2007 des Inspekteurs der Bereitschaftspolizeien der Länder, S. 25 Albrecht, Fußball und Gewalt, Entwicklungen, Erklärungsansätze und Prävention in Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform: Heft 3/2006, S. 160 342 ebd. 343 ebd. 344 ebd. S.161 341 89 einzurichten.345 Jedes Teilnehmerland ist demnach verpflichtet einen sogenannten National Football Information Point (NFIP) einzurichten, in Deutschland wird diese Aufgabe von der ZIS wahrgenommen. Mit Beschluss des Europäischen Rates vom 17. November 2003 über den Erlass von Zugangsverboten zum Austragungsort von Fußballspielen von internationaler Bedeutung durch die Mitgliedsstaaten (2003/C 281/01) wurden Regelungen über Reise- und Stadionverbote bei internationalen Spielen erlassen.346 Das aktuelle EU-Handbuch datiert vom 04. Dezember 2006 (2006/C322/01)347 beinhaltet, neben den in Anlage I aufgeführten und oben beschriebenen Änderungen in der Kategorisierung der Fans, Regelungen zum Informationsmanagement durch die Polizeidienststellen, zur Vorbereitung der Polizeidienststellen, zur Organisation der Zusammenarbeit zwischen den Dienststellen, zur Zusammenarbeit zwischen den Polizeidienststellen und den Ordnern, und zur Rolle der Veranstalter. Es enthält ferner eine Checkliste „Medienpolitik und Kommunikationsstrategie“ für Polizei/Behörden bei großen (internationalen) Meisterschaften und Fußballspielen sowie eine Übersicht, der bereits früher vom Rat der Europäischen Union verabschiedeten Dokumente.348 Für 2008 ist eine weitere Evaluierung des EU-Handbuches vorgesehen. Die Polizeien der Mitgliedsstaaten und die Vereine und Verbände arbeiten im europäischen Kontext eng zusammen. Es werden Vorschläge erarbeitet, wie man mit Gewalt umgeht. Als Gremien wäre hierfür die Arbeitsgruppe polizeiliche Zusammenarbeit, ein Expertengremium, das u.a. mit Vertretern der NFIP besetzt ist und die beim Europarat ansässige Ständige Gewaltkommission unter Beteilung der UEFA und der einzelnen Mitgliedsstaaten zu nennen.349 Die Arbeitsgruppe, in der neben der ZIS auch das BMI vertreten ist, firmiert unter der Bezeichnung Police Cooperation Working Party (PCWP).350 6.2 Durchgeführte und beabsichtige Maßnahmen der UEFA Zuallererst müssen in diesem Zusammenhang die Sicherheitsrichtlinien der UEFA genannt werden. Die sogenannten „Verbindlichen Sicherheitsvorkehrungen“ 345 Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 08.05.2002, L 121/1 Amtsblatt der Europäischen Union vom 22.11.2003, C 281/1 347 Amtsblatt der Europäischen Union vom 29.12.2006, C 322/1 348 DHPol Studienpapier „Sport und Gewalt“, Stand 12/2007, S. 25 349 Interview POR Piastowski 350 Jahresbericht 2007 des Inspekteurs der Bereitschaftspolizeien der Länder, S. 25 346 90 datieren aus dem Jahr 2004. Angelehnt an die DFB-Sicherheitsrichtlinien regeln sie allgemeine Fragen der Sicherheit bei Fußballspielen und behandeln die Aspekte Plätze für Zuschauer, Eintrittskarten, Maßnahmen im Stadion, Maßnahmen im Zusammenhang mit den Anhängern und Zusammenarbeit mit öffentlichen Behörden.351 Die Richtlinien orientieren sich an den DFB-Sicherheitsrichtlinien, da der ehemalige Generalsekretär Horst R. Schmidt sie mehr oder weniger 1:1 in die damalige Kommission eingebracht hat. Sie sind aber abstrakter gehalten als die deutschen Sicherheitsrichtlinien.352 Ein Schwerpunkt neben der Verhinderung von Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen ist bei der UEFA die Ächtung jeder Form von Rassismus. Neben befristeten Projekten, wie zuletzt bei der EM 2008 mit „Vereint gegen Rassismus“, als u.a. die Spielführer vor dem Halbfinalspiel Deutschland-Türkei entsprechende Botschaften verlasen, oder der Kampagne „Respekt“353 wurde durch die UEFA das zeitlich nicht befristete Projekt FARE initiiert, auf das thematisch hier nicht weiter eingegangen werden kann. Für den Kampf gegen Rassismus hat die UEFA auch einen 10-Punkte-Aktionsplan für Profifußballklubs erlassen.354 Bei der Bekämpfung der Gewalt setzt die UEFA auch auf die verschuldensunabhängige Haftung der Vereine.355 Bei Ausschreitungen von Fußballfans werden demnach die Vereine bestraft. Kritisiert wird, dass dies durch die UEFA meist sehr pauschal passiert und in Sportgerichtsurteilen nicht berücksichtigt wird, welche Anstrengungen Vereine unternommen haben, um Gewalt durch Fußballfans zu verhindern, wie es in Deutschland gemacht wird.356 Seit der Übernahme des UEFA-Präsidentenamtes durch Michel Platini am 26.01.2007, versucht dieser mit einer Null-Toleranz-Politik gegen die Gewalt in und außerhalb der Stadien in Europa vorzugehen. Er versucht das Thema auf höchste EU-Ebenen zu heben und traf sich am 21.03.2007 zum ersten Mal mit dem EU-Präsidenten Barroso, um für das Vorhaben der UEFA zu werben und um Unterstützung zu bitten. Diese Bestrebungen mündeten in einem gemeinsamen 351 Verbindliche Sicherheitsvorkehrungen der UEFA, Ausgabe 2004 Interview Herr Spahn 353 http://de.uefa.com/news/newsid=697747.html Zugriff am 26.05.2008 354 Verbindliche Sicherheitsvorkehrungen der UEFA, Ausgabe 2004, Anlage I 355 Interview Herr Spahn 356 ebd. 352 91 Aktionsplan EU/UEFA gegen Gewalt, der am 28. November 2007 verabschiedet wurde und u.a. polizeiliche Trainingsprogramme für mit Fußballspielen beschäftigte Polizeibeamte vorsieht.357 Man versucht, nach best-practisePrinzipien Fortschritte zu erreichen. Mit einer Vielzahl von Workshops und Seminaren zum Thema Sicherheit versucht die UEFA, gerade die strukturärmeren Mitgliedsstaaten von der Wichtigkeit der Thematik zu überzeugen. Michel Platini denkt über die Installierung einer Art von Fußballpolizei nach, um den Sport besser schützen zu können.358 Erst jüngst hat er der Europäischen Union in Brest sein „Weißbuch des Sports“ erläutert, durch das Missstände im Fußball minimiert werden sollen.359 Wichtig ist dabei zu erwähnen, dass auch die Fans an dem Prozess beteiligt werden. Am 06.Juli 2008 fand im London der erste durch das Netzwerk FSI, in dem auch die KOS vertreten ist, organisierte europäische Fankongress statt. Ein auch von der UEFA unterstütztes Ziel soll es sein, eine europaweite Fanorganisation zu gründen, um die Kommunikation mit dem Dachverband zu verbessern.360 Auch wenn die UEFA sicher nur begrenzte Möglichkeiten hat, auf politische Entscheidungen innerhalb der Europäischen Union Einfluss zu nehmen, erscheinen die Denkanstöße und Initiativen der UEFA und ihres Präsidenten eine Chance die Gewalt im Fußball weiter zu ächten und so zu minimieren bzw. zu verhindern, denn wie sagte es der UEFA-Präsident: „Fußball ist ein wunderschönes Spiel, ein Schatz. Aber wir müssen Sicherheit in unseren Stadien haben“.361 7. Zusammenfassung Bei der Zusammenfassung soll es im Wesentlichen um einen Ausblick, eine Prognose gehen, wie sich die Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen, insbesondere auf die Ultrabewegung bezogen, entwicklen wird. Die Arbeit hat bei der gegenüberstellenden Darstellung, meines Erachtens gezeigt, dass die Ultrabewegung in Deutschland, wenn auch aus Italien übernommen, noch große 357 http://de.uefa.com/uefa/keytopics/kind=2048/newsid=629553.html Zugriff am 15.07.2008 http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/1670354_0_2147_interview-mit-uefa-praesidentenplatini-ich-stehe-fuer-die-werte-des-fussballs-nicht-fuer-das-gescha.html Zugriff am 15.07.2008 359 Artikel in WAZ vom 14.07.2008 (liegt Verfasser vor) 360 http://de.uefa.com/uefa/keytopics/kind=64/newsid=730787.html Zugriff am 15.07.2008 361 http://de.uefa.com/news/newsid=506433.html Zugriff am 26.05.2008 358 92 Unterschiede zur italienischen Ultraszene aufweist, was insbesondere die Größe der Gruppen, die Politisierung, die wirtschaftlichen Aspekte der einzelnen Gruppierungen und auch den Druck angeht, den Gruppierungen auf Vereine und Spieler ausüben. Auch die Gewalt, die insgesamt ausgeübt wird und gerade gegenüber Polizeibeamten und Sicherheitskräften an den Tag gelegt wird, hat eine andere Dimension als in Deutschland. Das ist zwar grundsätzlich ermutigend, jedoch muss man sagen, dass über 10 Jahre nach der Gründung einer Ultrabewegung in Deutschland die Bilder sich verändert haben. Die anfangs ausschließlich positive Darstellung der Ultras, die durch ihre Choreografien und Gesänge dafür gesorgt haben, dass Stimmung und Leidenschaft ins Stadion zurückkehrten, hat ein zweites Gesicht bekommen, nämlich das der Gewalt. Vor dem Hintergrund, dass die Ultrabewegung sich eigentlich nach wie vor in den Kinderschuhen befindet,362 ist es schwierig zu sagen, welche Teile der Ultrabewegung sich durchsetzen werden. Bei allen Gewaltphänomenen, die in der Arbeit dargestellt wurden, ist trotzdem festzustellen, dass noch der überwiegende Teil der Bewegung friedlich ist und lediglich fantypische Absichten verfolgt. Um eine mögliche Entwicklung aufzeigen zu können, wurden die Interviewpartner zunächst gebeten, eine Prognose abzugeben, wie sich die Gewalt kurz-/mittel- und langfristig entwickeln wird. Da die Antworten sich häufig mit den Antworten zu der Frage decken, ob in Deutschland italienische Verhältnisse denkbar sind, werde ich bei der Darstellung in einigen Bereichen zusammenfassende Darstellungen machen. Es zeigte sich, dass trotz mannigfaltiger Erfahrungen das Abgeben einer gesicherten Prognose schwierig ist, da es einem „Blick in die Glaskugel“ gleichkommt.363 Die Meinungen gehen insgesamt zwar in die gleiche Richtung, unterscheiden sich aber gerade vor dem Hintergrund lokaler Bewertungen. Übereinstimmend kann jedoch festgehalten werden, dass keiner der Befragten die Auffassung vertritt, dass die Gewaltsituation sich entspannen wird. Es wird zwar die Hoffnung geäußert, dass eine Trendwende einsetzt, aber auch nur, weil man bereits schon ein Höchststand erreicht hat.364 Grundsätzlich wird eher die Sorge geäußert, dass sich die Gewalt auf weiterhin hohem Niveau stabilisiert bzw. noch 362 Interview POR Piastowski Interview PD Grzella 364 ebd. 363 93 ansteigen könnte.365 Es wird erwartet, dass die Ultras immer jünger werden und die Gruppierungen weiter an Zulauf gewinnen werden.366 PD Pusch erwartet, dass die Ultras der Polizei weiter Ärger machen werden. Er sieht hier einen Zusammenhang mit der Unzufriedenheit die vielfach bei den Jugendlichen in unserer Gesellschaft zu beobachten ist und mit der Entwicklung hin zu einer Eventgesellschaft zusammenhängt. Der Spaß steht im Vordergrund. Es wird als das Höchste bezeichnet, wenn man auf der Straße gewonnen hat.367 Sollten keine gegnerischen Fans da sein, wird man auf Polizeibeamte ausweichen, um Spaß zu haben. PD Richter sieht das Problem in der Masse der Ultras, er erwartet einen weiteren Zulauf und glaubt auch, dass die Masse dann eingesetzt wird, um Druck auf Vereine, Verbände, aber auch auf die Polizei zu erhöhen. Änderungen in der Gewaltanwendung bzw. neue Gewaltphänomene, über die bereits bekannten hinaus, erwartet POR Henning nicht. Er geht von einer weiteren Verschiebung der Gewalt in untere Ligen aus. Da die Gewalt, gerade in Berlin häufig durch die OstIdeologie geprägt ist, wird durch ihn auch hier keine Verhaltensänderung erwartet. Auch der Fanbeauftragte und Fanklub-Dachverbandsvorsitzende vom FC Schalke 04 sieht die Gefahr, dass die Gewalt steigen wird, weil mit den Ultras eine neue Generation erlebnisorientierter Fans heranwächst. Die Entwicklung wird davon abhängen, wie die Polizei, die Vereine und Verbände, die Politik und die Medien auf der einen Seite und die Fans und Ultras auf der anderen Seite mit der Problematik umgehen. Der Politik kommt hierbei die Verantwortung zu, den Jugendlichen Perspektiven zu bieten. Es muss darum gehen, wie es Herr Spahn auch beschreibt, Feindbilder abzubauen bzw. keine entstehen zu lassen. Für die Polizei ist es nicht einfach, da sie sich aus dem Prozess nicht zurückziehen kann. Sie muss in einem gewissen Maße präsent sein, um öffentliche Störungen unterbinden zu können. Jedoch ist ein deeskalierendes Verhalten bei allen Belastungen, der die Einsatzkräfte ausgesetzt sind, anzustreben. Provokationen, wie das Anziehen von Quarzhandschuhen zur „Begrüßung“ müssen unterlassen werden.368 Hier würde die Polizei auch ihre 365 Interviews PD Pusch, POR Henning, Herr Rojek Interviews PD Pusch, Herr Bartelt 367 Interview PD Pusch 368 Interview POR Piastowski 366 94 professionelle Linie verlassen. Wichtig ist, dass die Beteiligten in einem kommunikativen Austausch kommen. Auch wenn vielfach, wie in Bremen oder Bochum, die Angebote ausgeschlagen werden, sollte die Polizei weiter versuchen, mit den Ultras ins Gespräch zu kommen. Der vom DFB beschrittene Weg, den Dialog zu suchen und die Verantwortung des Fußballs für die Gesellschaft herauszustellen, ist sicher gewinnbringend. Wichtig ist ferner, dass die Vereine den Weg fortsetzen, die Fans und Ultras wieder als solche zu sehen und trotz wirtschaftlicher Zwänge, auch sensibel mit Fansorgen und -wünschen umgehen. Insgesamt wird es darauf ankommen, wie es allen Beteiligten gelingt, einen Schulterschluss hinzubekommen und eine konstruktive Zusammenarbeit zu erreichen. Hier sind als ein wesentliches Gesprächsgremium sicher die örtlichen Ausschüsse Sport und Sicherheit zu nennen, wo alle Entscheidungsträger an einem Tisch sitzen. Daher ist die Entscheidung, diese mit einer Änderung des NKSS verbindlich festzuschreiben, sicher ein guter Ansatz, der aber dann auch zwingend mit Leben gefüllt werden muss. Eine besondere Verantwortung kommt im Gesamtprozess gerade den Medien zu. Niemand will ihr Recht auf Berichterstattung einschränken, aber mit einer verherrlichenden Darstellung von Gewalttaten aus der Ultraszene heraus,369 wird man nicht zu einer Befriedung der Situation beitragen. Seitens der Fans muss der schon beschriebene Selbstregulierungsprozess einsetzen, um gewalttätige Ultras von dem überwiegenden Teil der Friedlichen zu isolieren. Die genannten Punkte spielen auch eine wesentliche Rolle bei der Beantwortung der Untersuchungsfragestellung zur Masterarbeit „Sind italienische Verhältnisse auch in Deutschland denkbar?“ Da die Meinungen der Interviewpartner hierzu weites gehend in eine Richtung gehen, wird wie oben darauf verzichtet, jedes einzelne Statement wiederzugeben. Übereinstimmend kann gesagt werden, dass die Interviewten italienische Verhältnisse zumindest in der Form, wie es durch die beschriebenen Todesfälle zum Ausdruck gekommen ist, in Deutschland eigentlich nicht für möglich, teilweise für undenkbar halten. Hierbei wird nicht ausgeschlossen, dass es in Einzelfällen, wie zurückliegend auch in Deutschland schon passiert, leider auch 369 Interview PD Grzella 95 einmal tödlich enden kann.370 Auswüchse wie in Italien werden die Gewaltexzesse aber nicht annehmen, wobei PD Grzella deutlich gemacht hat, dass es 5 vor 12 ist und gerade vor dem Hintergrund der Abschottung und der Gegenaufklärung, das Verhalten der Ultras schon Dimensionen erreicht hat, die in Richtung Organisierte Kriminalität gehen. Als Gründe für die Meinung, dass italienische Verhältnisse in Deutschland nicht bzw. noch nicht denkbar sind, wird u.a durch Herrn Gabriel das NKSS genannt. Es ist auf Zusammenarbeit und Kommunikation angelegt und funktioniert, mit Ausnahme der örtlichen Ausschüsse gut. Als weiterer Punkt wird die intensive Fanarbeit genannt, die in Deutschland spätestens seit den 90er Jahren praktiziert wird. Das war und ist in Italien nicht der Fall, wo man laut Herrn Gabriel als einzige Reaktion auf Fankultur mit Ignoranz und strafverschärfenden Gesetzen reagiert hat. Auch Herr Rojek schließt Gewalt, auch gegen Polizeibeamte, nicht aus, aber italienische Verhältnisse hält er aufgrund der Zusammenarbeit für undenkbar. Als weitere Gründe werden die unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen371 und verschiedenen Mentalitäten372 genannt. Der deutsche Fußballfan neigt grundsätzlich nicht so zur Radikalisierung, wie der italienische Ultra. Auch andere Experten haben sich zu dem Thema geäußert. Der Präsident der DFL, Dr. Rauball, hat nach dem Tod von Sandri gesagt, dass es bei uns nicht ansatzweise italienische Verhältnisse gibt, da sich die Fankultur positiv entwickelt hätte und es einen viel stärkeren Dialog zwischen den Vereinen und den Fans geben würde.373 Auch der Fanforscher Pilz erklärte in einem Interview gegenüber Sport1.de, auf die Frage, ob er die Befürchtungen teilen würde, dass im deutschen Fußball italienische Verhältnisse drohen: “Das ist absurdes Geschwätz und ein Horrorszenario. Italienische Verhältnisse können wir in Deutschland gar nicht haben, weil der dortige Fußballverband und die Politik jahrzehntelang nur weggeschaut und die eingeführten Gesetze nur halbherzig kontrolliert haben.“374 370 Interview PD Pusch Interview Herr Bartelt 372 Interview POR Piastowski 373 siehe FAZ.net http://193.227.146.1/s/Rub2F5FF18A5D5747FEA1F352B6A0758EE4/Doc~E0FFB9DA7B5134F FC81E4C28BDC503680~ATpl~Ecommon~Scontent.html Zugriff am 29.04.2008 374 Sport1.de, Interview vom 10.04.2008, (liegt dem Verfasser in ausgedruckter Form vor) 371 96 Nach der intensiven Auseinandersetzung mit der Thematik und den Erkenntnissen aus den Interviews möchte ich mich den Worten des Autors Ronny Blaschke anschließen, der angibt „In Deutschland steckt die Ultrabewegung noch in der Pubertät. Sie sitzt auf einer Mauer. Wo sie hinfällt, ist ungewiss und von äußeren Faktoren abhängig.“ 375 Wir sind an einem Punkt angekommen, wo die Waage zu der einen oder anderen Seite ausschlagen kann. Wir dürfen die Ultrabewegung nicht als Monster verteufeln, aber auch nicht verharmlosen. Man muss sich mit der Szene, ihren Zielen und Motiven auseinandersetzen. Die Szene und gerade die kritischen Ultragruppierungen müssen, wie es POR Scharnowski und Herr Spahn auch sagen, genaustens beobachtet werden. Es muss den Ultras zwar glaubhaft vermittelt und vorgelebt werden, dass man sie ernst nimmt, es muss ihnen aber auch klar werden, welche Forderungen an sie gestellt werden. Wichtig ist es, dass Feindbilder durch transparente Kommunikationsprozesse abgebaut werden. Wenn es gelingt, den Dialog, da wo er funktioniert, fortzusetzen oder ihn wie in Bezug auf die Polizei wieder ans Laufen zu bringen, glaube ich, dass wir in Deutschland auf der besseren Seite der Mauer landen werden, obwohl so oder so ein gewaltfreier Fußball nur eine Illusion bleiben wird. 375 Blaschke (2007): Im Schatten des Spiels. S. 94 97 8. Literaturverzeichnis376 Aschenbeck, Arndt (1998): Fußballfans im Abseits. 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LZPD NRW, Dez. 42,-60.11.26- vom 17.12.2007) Bericht Osservatorio Nazionale sulle Manifestazioni Sportive: I dati statistici, Stagione 2007/2008, dati girone di andata. Online verfügbar unter http://www.osservatoriosport.interno.it/allegati/Dati/dati_girone_andata.pdf, zuletzt geprüft am 26.07.2008 Bericht Osservatorio Nazionale sulle Manifestazioni Sportive: I dati statistici, Stagione 2007/2008, Punto di Situazione Del 5 Novembre 2007. Online verfügbar unter http://www.osservatoriosport.interno.it/allegati/Dati/situazione_5_novembre.pdf, zuletzt geprüft am 26.07.2008 DFB Richtlinien zur Verbesserung der Sicherheit bei Bundesspielen vom 31. Mai 2007 103 DFB Richtlinien zur einheitlichen Behandlung von Stadionverboten vom 31. März 2008 Empfehlungen des DFB für die Betreuung von Fußballfans Ergebnisbericht der Arbeitsgruppe Nationales Konzept Sport und Sicherheit, Dezember 1992 EU-Handbuch, Entschließung des Rates vom 04.12.2006 (Amtsblatt der europäischen Union, vom 29.12.2006, 2006/C322/01) EU-Ratsbeschluss über die Sicherheit bei Fußballspielen mit internationaler Beteiligung vom 25.04.2002 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 08.05.2002, L 121/1) EU-Ratsentschliessung über den Erlass von Zugangsverboten vom 17.11.2003 (Amtsblatt der Europäischen Union vom 22.11.2003, C 281/1) Fan-Projekt 2007, Sachstandsbericht zum Stand der sozialen Arbeit mit Fußballfans, 1993-2007, Herausgeber: Koordinationsstelle Fan-Projekte bei der dsj Jahresbericht Fußball Saison 2006/2007 des LZPD NRW, ZIS (gekürzte Fassung). Online verfügbar unter http://www1.polizei- nrw.de/lzpd/stepone/data/downloads/15/00/00/2006_07jahresbericht-kurz.pdf, zuletzt geprüft am 26.07.2008 Jahresbericht 2007 des Inspekteurs der Bereitschaftspolizeien der Länder Lagebericht EURO 2008 Nr. 38 des LZPD NRW, ZIS mit Stand vom 30.06.2008 Leitlinien für den Einsatz der Polizei aus Anlass von Sportveranstaltungen, Schreiben des LZPD NRW an alle KPB NRW vom 12.03.2008, Dez. 42, Az. 60.11.26 Leitlinien für Polizeiführer im Zusammenhang mit Heimspielen des BFC Dynamo im Sportforum Hohenschönhausen, Stand 12. Februar 2008 Stadionordnung „Westfalenstadion Dortmund“, Stand März 2004 Studienpapier: „Sport und Gewalt“, Deutsche Hochschule der Polizei, Fachbereich II, Lehrgebiet 8, 9. Auflage, Dezember 2007 Verbindliche Sicherheitsvorkehrungen der UEFA, Ausgabe 2004 Vereinsbeschreibung VfL Bochum, LZPD NRW, ZIS 42.2, Stand 7/2008 Zusammenfassung der Verlaufsberichte zu einzelnen Spieltagen (31.-34 Spieltag) der Saison 2007/2008 104 9. Anhang 9.1 Abkürzungsverzeichnis B.A.F.F Bündnis aktiver Fußballfans BAG Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte BAO Besondere Aufbauorganisation DFB Deutscher Fußballbund DFL Deutsche Fußball-Liga EU Europäische Union FARE Football against Racism in Europe FIFA Federation Internationale de Football Association FIGC Federazione Italiana Giuoco Calcio FSI Football Supporters Association IMK Innenministerkonferenz INPOL Informationssystem der Polizei KOS Koordinationsstelle Fanprojekte LZPB Landesamt für Zentrale polizeiliche Dienste NKSS Nationales Konzept Sicherheit und Sport NOFV Nordostdeutscher Fußballverband NRW Nordrhein-Westfalen ONsM Osservatorio Nazionale sulle Manifestazioni Sportive PCWP Police Cooperation Working Party PHK Polizeihauptkommissar PI Polizeiinspektion PP Polizeipräsidium PVB Polizeivollzugsbeamter/Polizeivollzugsbeamtin SKB Szenekundiger Beamter/Szenekundige Beamtin StB Stabsbereich TREVI Terrorisme, Radicalisme, Extremisme, Violance International UEFA Union des Associations Européennes de Football UA FEK Unterausschuss Führung, Einsatz und Kriminalitätsbekämpfung WFLV Westdeutscher Fußball- und Leichtathletikverband ZIS Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze 105 9.2 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Bild vom Spiel Schalke 04 - Fortuna Düsseldorf am 31.05.1931 in der Glückaufkampfbahn unter http://www.schalke04.de/mythos_s04.html, Zugriff am 20.07.2008 Abbildung 2: Beispiel für einen Capo; Vorsänger Simon der Ultras Gelsenkirchen http://www.bild.de/BILD/sport/fussball/bundesliga/vereine/schalke/2008/04/07/fa n-vorsaenger/stasi-verhoer.html Zugriff am 22.07.2008 106 Abbildung 3: Choreografie mit Pyrotechnik der Ultras vom AS Rom http://www.spiegel.de/fotostrecke/0,5538,PB64SUQ9MjI2MDkmbnI9Mw_3_3,00.html Zugriff am 21.07.2008 Abbildung 4: Transparent der Lazio Ultras beim Derby gegen AS Rom http://www.spiegel.de/sport/fussball/0,1518,54731,00.html Zugriff am 22.07.2008 107 Abbildung 5: Römischer Gruß des Spielers Paolo di Canio http://www.gazzetta.it/Foto%20Hermes/2005/01-Gennaio/07/dicanio-310x210.jpg, Zugriff am 21.07.2008 Abbildung 6: Beispiele für Protest- und Demonstrationskultur (aus Blickfang Ultra, Heft Nr. 3, S. 48/49) 108 Abbildung 7: Beispiele für Graffitis der Ultras (aus Blickfang Ultra, Heft Nr. 5, S. 44/45) Abbildung 8: Beispiel für geschlossenes Auftreten (aus Blickfang Ultra, Heft5, S. 24/25) 109 Masterarbeit Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen - Sind italienische Verhältnisse auch in Deutschland denkbar? Band II Anlagenband zur Masterarbeit Vorgelegt von: Jörg Ziegler Erstgutachter: Polizeidirektor Michael Kuchenbecker Zweitgutachter: Polizeidirektor Michael Müller Münster, 30. Juli 2008 Inhaltsverzeichnis 1. Interviewzusammenfassungen ............................................2 1.1 Experteninterview 1: POR Piastowski ...................................................... 3 1.2 Experteninterview 2: PD Grzella ............................................................ 13 1.3 Experteninterview 3: Herr Rojek ............................................................ 25 1.4 Experteninterview 4: PD Richter, POR Scharnowski, PHK Grünebohm und Herr Bartelt............................................................................................. 36 1.5 Experteninterview 5: POR Henning und PHK Brabandt ........................ 49 1.6 Experteninterview 6: PD Pusch............................................................... 59 1.7 Experteninterview 7: PHK Kommoß ...................................................... 69 1.8 Experteninterview 8: Herr Spahn ............................................................ 84 1.9 Experteninterview 9: Herr Gabriel ........................................................ 100 1.10 Experteninterview 10: PHK Gössing .................................................. 115 2. Einverständniserklärungen ..............................................124 2.1 Polizeiintern........................................................................................... 124 2.2 Polizeiextern.......................................................................................... 125 1 1. Interviewzusammenfassungen Die Interviews wurden durch den Verfasser der Masterarbeit digital aufgezeichnet. Für die Aufzeichnung wurde die Software „Audiograbber 1.83 Special Edition“ verwendet. Die Aufnahmen liegen dem Verfasser vor. Sämtliche Interviews wurden durch den Verfasser der Masterarbeit selbstständig zusammengefasst. Die Zusammenfassungen beinhalten die wesentlichen Aussagen der Interviewpartner, wobei die Aussagen teils wörtlich, teils sinngemäß zusammengefasst wurden. Auf eine Transkription der Interviews wurde verzichtet. Je nach Funktion der Interviewpartner wurden unterschiedliche Leitfäden verwendet. Die jeweiligen Leitfragen sind den Antworten vorangestellt. 2 1.1 Experteninterview 1: POR Piastowski Datum: 29.05.2008 Länge: 47:21 Minuten Leitfrage 1: Die Fußballsaison 2007/2008 ist bereits beendet bzw. steht in den unteren Ligen unmittelbar vor dem Abschluss. Wie fällt ihr Urteil über die abgelaufene Spielzeit aus? Beschreiben Sie dabei aus Sicht der ZIS die derzeitige Gewaltsituation rund um den Fußball in Deutschland und benennen sie, wenn möglich, aktuelle Beispiele. Antworten: Gewalttaten der abgelaufenen Spielzeit sind weiter auf einem relativ hohen Niveau. Im Verhältnis zu den fast 60 Millionen Zuschauern haben sie sich aber stabilisiert und pendeln sich bei ca. 4.000 Straftaten ein. Es gibt nach wie vor Gewalt, die von unterschiedlichen Beteiligten begangen wird. a) Klassischer Hooliganismus: Gezielt zu Spielen anreisen, um Gewalttaten zu begehen. b) Ultrabewegung: Gewalttaten von Einzelnen (KV; Widerstand, Raub, Verstoß WaffG (Pyrotechnik). Die meisten Gewalttaten ereignen sich im Stadionumfeld (Innenstadt; Bahnhof); weniger im Stadion, da durch die Videografierung dort das Entdeckungsrisiko am größten ist. Daneben gibt es die sog. Drittortauseinandersetzungen (außerhalb der Spielorte/-zeiten). Schlägereien auf der grünen Wiese. Das Klientel setzt sich neben der Fußballszene aus Gruppierungen der Fitness- und Türsteherszene, usw. zusammen. Hier muss man sich die Frage stellen, ob es sich noch um Fußballgewalt handelt oder ob die Zugehörigkeit zu einem Verein nur Mittel zum Zweck ist. Der Fußball nur als Deckmantel benutzt wird; eine neue Form der Jugendgewalt? Reisewege: Hier wird man die neue Spielzeit mit der eingleisigen 3. Liga beobachten müssen; es gibt nun weitere bundesweite Reisewege; Wege von Zuschauer und Gewalttäter kreuzen sich an den Spielwochenenden häufiger; es sind leichter Verabredungen möglich. 3 Aufzeigen von Beispielen: Hinweis auf Lageberichte der ZIS von den Spieltagen; Ausschreitungen in Kaiserslautern, Minden-Lübbecke. Untere Ligen: Die Aussage, dass sich die Gewalt in untere Ligen verschiebt, ist so nicht ganz richtig. Bei Vereinen, die nicht über Gewaltpotenzial verfügen, z. B. Bonner SC lassen sich auch keine Gewalttätigkeiten feststellen. Probleme gibt es bei Vereinen, die über gewaltbereites Potenzial verfügen, weil sie mal hochklassig gespielt haben oder Traditionsvereine sind (Wuppertal, Münster, Dresden, etc.). Es ist ferner festzustellen, dass es zu keinen Auseinandersetzungen kommt, wenn der Verein keine Hooligans hat, der Gegner also fehlt. Anders sieht es aus, wenn in den unteren Ligen (Regionalliga, etc.) die 2. Mannschaften der Bundesligisten spielen. Es handelt sich bei den gewaltbereiten Fans um dieselben wie bei den Bundesligaspielen; das Spiel ist denen egal. Ost/West: Man kann nicht sagen, dass es im Osten eine gewalttätigere Szene als im Westen gibt. Der Osten ist nicht grundsätzlich gewalttätiger; hier fußen die Rivalitäten meist aus DDR-Oberligazeiten und auch nur bei Spielen, wo DerbyCharakter oder eine traditionelle Rivalität vorhanden ist. Leitfrage 2a: Sehen Sie im Zusammenhang mit der seit jetzt ca. 9/10 Jahre andauernden Ultraproblematik Veränderungen in der Quantität oder Qualität? Würden Sie bitte aus Sicht der ZIS die besondere Problematik im Umgang mit den Ultras beschreiben, wenn möglich in Abgrenzung zu Hooligans? Antworten: Vorausschickend ist zu sagen, dass die Begriffe Hooligans und Ultras, etc. unscharf sind und für polizeiliche Maßnahmen eigentlich ungeeignet. Für die Polizei sind es daher Störer oder Straftäter. Es ist wichtig zu wissen, wer macht was. Die Ultrabewegung ist 2000/2001 erstmals in Deutschland aufgetreten; kam aus Italien und beruhte auf dem Ultra-Manifest. Es handelt sich im Großen und Ganzen um Personen zwischen 16-23 Jahren, die zunächst als Ziel hatten, Stimmung in die Kurve zu bringen und zwar mit Shows, Bannern, Gesängen, etc.. Es wurde zunächst positiv bewertet, weil auch das 4 rechtsradikale Element des italienischen Ultramanifestes nicht übernommen wurde. Es wurde zunächst als neue lebendige Fankultur angesehen. Nicht nur spontan, sondern strukturiert, vereinsmäßige organisierte Strukturen (man zahlte Beiträge, man traf sich unter der Woche, etc.). Die Polizei hat sich auch 2001 schon mit dem Problem befasst, wollte die Szene beobachten und hat sich gefragt: „Was kommt auf uns zu; wächst eine neue Gewalttäterszene heran?“ Heute muss man sagen, ja das ist so! Es gibt eine Menge Leute da, die gewalttätig sind aus zwei Gründen: a) Absolutheitsanspruch: alles was sie tun ist gut und richtig. Lassen andere Werte und Regeln nicht gelten. Hohe Solidarisierung beim polizeilichen Einschreiten (man muss eigentlich gegen alle vorgehen). Viel passiert durch Einschmuggeln/Abbrennen der Pyrotechnik. b) Anspruch über die Kurve hinaus, sich in den Verein einzubringen, z. B. in Vereinsvorstände, wo Interessen der Ultras durchgesetzt werden. Neben dem klassischen Hool, der nur am Wochenende was gemacht hat, geht es nun organisiert von statten: - Bannermärsche vom Bahnhof zum Stadion - Banner im Stadion (PF, PVB werden namhaft gemacht) - Demonstrationen für Anstoßzeiten Über Hooliganismus hinaus entwickelt sich eine Struktur, die sich mit Medien auskennt, weiß, wie man eigene Interessen bewusst durchsetzt. Strukturiertes Vorgehen muss grundsätzlich nicht schlecht sein, wenn man aber gewalttätige Interessen durchsetzen will (wie bspw. in Hamburg, Freiburg); im Schutz der Bannermärsche versucht rechtsfreie Räume zu schaffen, um Gewalttaten zu begehen, Schaufenster zu entglasen, Passanten zu belästigen/schlagen, kann es nicht richtig sein. Es lässt sich eine Tendenz feststellen, dass was Abbrennen von Pyrotechnik, was Gewalttätigkeit angeht, man sich in den meisten Ultraszenen der Gewalttätigkeit annähert. Macht zunehmend Probleme, was auch die Fanprojekte zugeben. (Hinweis auf Fankongress). Auch die Fanprojekte, durch die positiven Aspekte überlagert, haben die Entwicklung, was Gewalt angeht, falsch eingeschätzt. Man wird sehen, wie es mit der Ultraszene weitergeht. 5 Abgrenzung: Ultra: organisiert; nimmt grundsätzlich am Vereinsleben teil. Klassische Hooligans: als Konsument zum Spiel, nicht unbedingt, um das Spiel zu sehen, sondern eher um sich mit den gegnerischen Fans zu messen; danach ist man eigentlich nach Hause gefahren. Es war also keine kohärente Gruppe, wie die Ultras. Die Ultras zeichnen sich auch durch eigene Symbole aus. (Ultra/Vereinsfahne, Schals, etc.), wo der Diebstahl des Banners auch die sofortige Auflösung der Gruppierung nach sich ziehen kann (bspw. Gladbach, Köln). Mit hoher krimineller Energie wurden Fahnen jüngst entwendet, um sie öffentlich zu zerreißen o.ä., was natürlich Rachegedanken nach sich zieht. Auch das führt zu polizeilichen Problemen. Kategorisierung: ABC wird durch uns verwendet; vieles hängt von Definition ab, kann unterschiedlich sein, je nachdem, wie sie jemand versteht. Die Engländer haben C anders verstanden, als der Rest Europa. Darum ist eine Einteilung in Risiko-Fans und Nicht-Risiko-Fans insoweit gut, dass man wieder einen gemeinsamen Sprachgebrauch hinbekommt. Auf die reine Bezeichnung darf man sich nicht beschränken, sondern wichtig ist, dass man es mit einer Definition hinterlegt und eine Verhaltensbeschreibung vornimmt, da es für polizeiliche Einsatzmaßnahmen wichtig ist, zu wissen, ob es sich um einen gewaltbereiten Fan handelt oder nur um einen der alkoholisiert zu Gewalttätigkeiten neigt. Leitfrage 2b: Die Ultrabewegung gründete sich in den 60er Jahren in Italien, wo sie heute sehr stark ausgeprägt ist. Wo sehen Sie die wesentlichen Unterschiede zwischen der Ultraszene in Deutschland und Italien? Antworten: Wesentlicher Unterschied: Rechtslastigkeit wird im italienischen Manifest postuliert. Politisierung ist jahrelanger Streitpunkt. Einige wie z. B. St. Pauli, sind linksorientiert. Ob es sich aber um bewusste Politisierungen handelt oder nur um Schnittmengen ist vielfach nicht klar. Da muss man sehen, wie es sich entwickelt. Ansonsten wenige Unterschiede erkennbar. 6 Die Ultrabewegung in Deutschland steckt noch in den Kinderschuhen (erst seit 10 Jahren). Es herrschen auch andere Rahmenbedingungen vor. (Hinweis auf eine Seminarteilnahme). Die Vorstellungen, die in Deutschland durch das NKSS vorherrschen, wo Beteiligte zusammenwirken, ist in Italien nicht so weit verbreitet; kein funktionierender Ordnungsdienst; Ultras finden in Italien andere Bedingungen zum Thema Sicherheit im Stadion vor als in Deutschland. Nationalcharakter; anderes Temperament; BRD nicht südländisch. Ob es sich zu einem eigenständigen Weg entwickelt, muss abgewartet werden. Leitfrage 3: Als wesentliches Problem wird in der Literatur und in Aussagen von polizeilichen Einsatzleitern immer genannt, das die Polizei das Feindbild Nr. 1 der Ultras ist und eine Kommunikation kaum möglich ist, was das polizeiliche Einwirken auf die Ultraszene schwierig bis unmöglich macht. Würden Sie dieser Behauptung zustimmen? Gehen die polizeilichen Konzepte ausreichend auf die genannten, teilweise neuen Gewaltphänomene ein? Wo sehen Sie erfolgskritische Faktoren, um Gewaltphänomene zu minimieren? Antworten: Polizei/Verein/Verband (DFB) sind aus Sicht der Ultras die Feindbilder. Hängt mit Vorstellung zusammen, die einzigen wahren Fans zu sein/Absolutheitsanspruch. Dies deckt sich häufig nicht mit dem Wertekonstrukt der Gesellschaft, was auch die Polizei umsetzen muss. Alles hat hinter den Interessen der Ultras zurückzustehen, wenn sie Widerstand dagegen spüren, gehen sie massiv dagegen vor, was auch die Kommunikation schwierig macht. Kommunikation muss Sinn/Ziel haben, kann nicht immer gleichberechtigt sein. Polizei kann Wertesystem nicht aufgeben, regeln können nicht zur Disposition gestellt werden, was Ultras nicht akzeptieren wollen und die Kommunikation schnell am Ende ist. Ultras wollen Grundvoraussetzungen nicht akzeptieren; andere Sicht/Zwänge will man nicht sehen. 7 Man muss an die Entscheidungsträger heran (Capo, etc.); Entwicklung hängt vielfach auch mit den Erfahrungen zusammen, die sie mit der Polizei gewonnen haben. Die Polizei ist örtlich strukturiert: Bahnpolizei/ örtliche Polizei Unterschiede in der Einsatzwahrnehmung werden als Willkür / Wortbruch wahrgenommen. Daher ist es für die Polizei eine Aufgabe, bundesweite Standards zu schaffen. Es muss eine Verlässlichkeit polizeilicher Maßnahmen hergestellt werden (auch aus Gesamtzuschauersicht). Konzepte: Teilweise erinnern Erscheinungsformen an Rechts/Links-Demos der 80/90 Jahre. Bannermärsche; Bekleidung (Kapuzenpullover, etc.) erinnert an schwarze Blöcke. Sie kennen sich mit Medien aus. Leute bezeichnen sich als Opfer von Polizeiwillkür. Rechtsanwälte vor Ort: Klientel wird vor Ort akquiriert. Sind sie auf dem Weg zu einer strukturierten Vorgehensweise / Politisierung? Kann man noch nicht sagen, würde Fußball schädigen. Die Konzepte müssen dann darauf angepasst werden; im Umfeld mit RS arbeiten reicht nicht, wenn sie geschlossen vom Bhf. zum Stadion gehen. Erfolgskritische Faktoren: Zusammenwirken aller Beteiligten: Schulterschluss Aller ist erforderlich. Nachfolgegeneration: Problem minimiert sich nicht (Hools weniger, dafür Ultras gewalttätig). Ultras nutzen Öffentlichkeit, ihre Strukturen und Vereinsstrukturen, um ihre Interessen durchzusetzen. Vereine müssen sensibilisiert werden; auch Fanprojekte. Die Polizei ist gut vorbereitet. Kürzung der Stadionverbotszeiten sieht Polizei als falsches Signal; basiert auf Druck der Faninitiativen, dem auch die Ultras angehören. Zeigt denen, dass sie auf dem richtigen Weg sind. Fußball als Spielwiese für Gewalttäter, wie früher; kann nicht Ziel der Vereine und Verbände sein. Nachfrage zum Freipressen: Freipressen kann nicht sein, man darf dem Druck nicht weichen. Liegt im Problem der Sache, nämlich wie versteht es der Betroffene. Polizei ist an 8 gesetzliche Regelungen gebunden; wenn Grund weggefallen ist, ist der Betroffene zu entlassen. Es mag das Sieggefühl bei den Ultras aufkommen, polizeiliche Maßnahmen müssen daher besser kommuniziert werden (Entlasszeiten). Leitfrage 4: Wie sieht Ihre Prognose hinsichtlich der Entwicklungen von Gewaltphänomen insgesamt und besonders im Zusammenhang mit der Ultraszene kurz-/mittel-/langfristig aus? Antworten: Auf hohem Niveau stabilisiert. Phänomen Gewaltdelikte: 53 % jedes Jahr (KV; Raub, etc.) steht im Vordergrund, nicht Mitführen von Waffen, etc. Gewalt gegen PVB:Gezielte Gewalt gegen PVB hat es gegeben; aber keine Signifikanz feststellbar. Der Anteil bleibt über die Jahre gleich. Es lässt sich keine Tendenz feststellen, dass PVB gezielt als Gegner gesucht werden, eher bei günstiger Gelegenheit. Ist aber auch vom Verhalten der PVB abhängig. Handschuhe im Sommer oder Wiedersehensgrüße provozieren unnötig. Die Einsatzkräfte müssen daher hinsichtlich der Wirkung ihres Verhaltens beschult werden. Insgesamt hängt Gewaltentwicklung davon ab, wie es uns im Schulterschluss aller Beteiligten gelingt, sich dem Problem zu nähern. Jahrestagung im Januar: Gespräche mit Fanprojekten: Wie kommt man zu einer Kommunikation, Verbindlichkeit, bundeseinheitliche Standards des polizeilichen Einsatzes (neu beleben) Einsatzbelastung: Wie kann man zwischen Dichtung und Wahrheit unterscheiden (Goethe). Behörde möchte sicherstellen, dass der Einsatz gelingt, wenn Spiele anstehen. Die Aufgabe der ZIS ist es, ein Gleichgewicht herzustellen zwischen einer vernünftigen Lagebeurteilung und einem angemessenen Kräfteeinsatz. Die Einsatzbelastung soll reduziert werden. 9 Hundertschaften, nur für Fußball im Jahresschnitt eingesetzt (am meisten NRW), sind eindeutig zu viel. Nicht die Spielpaarung (Vereinsname), sondern die Frage, ob Probleme zu erwarten sind, muss im Vordergrund stehen. 9 Leitfrage 5: In Italien ist die Gewalt im Fußball teilweise eskaliert. Es kam u.a. zurückliegend zu den Todesfällen des Polizeibeamten Filipo Raciti, des Fans Gabrielle Sandri und jüngst zu einem Todesfall eines Fans im Zuge eines Busunfalls auf einer Auswärtsfahrt. Die Tragweite des Einflusses der Ultraszene in Italien hat eine Dimension erreicht, die von einigen Autoren in den Bereich der organisierten Kriminalität gerückt wird. Bitte führen Sie aus, ob Sie italienische Verhältnisse in Deutschland für denkbar halten? Antworten: Die Mentalitäten sind unterschiedlich. Aber: Wenn man sieht, welcher Einfluss auf Vereine ausgeübt wird, welche Strukturen bestehen und es sich um eine „Art lernende Organisation“ handelt, muss man sagen, dass wir mit einem erheblichen Zeitverzug auf dem Weg dorthin sind. Gerade weil es, anders als bei den Hooligans Strukturen gibt, sich am Vereinsleben zu beteiligen. Es muss nicht schlecht sein, kann aber dazu führen, wenn wesentliche Positionen im Verein mit eigenem Klientel besetzt werden, die sich den Idealen auch verpflichtet fühlen, dass man sich in die Richtung bewegt, in die die Ultras wollen und dass man sich dann auch schützend vor Gewalttäter stellt. Wir hoffen, dass es uns durch die Bestimmungen des NKSS und der guten Zusammenarbeit seit 1992 gelingt, mit den Vereinen und dem DFB bewusst dagegen zu steuern und Entwicklung zu verhindern. Leitfrage 6: Die ZIS ist gleichzeitig auch der National Football Information Point (NFIP) Deutschlands. Der Präsident der UEFA, Michel Platini, hat die Sicherheit und den Kampf gegen Gewalt und Rassismus zum zentralen Thema der UEFA erklärt. Wie würden Sie vor dem Hintergrund Ihrer Informationen aus anderen europäischen Ländern und von der UEFA das Gewaltphänomen in den europäischen Kontext einordnen? Antworten: Aussage von Platini ist nicht nur auf Zustimmung gestoßen. UEFA ist ähnlich wie der DFB ein Dachverband. Polizei freut es, wenn Verbände sich dem Thema 10 Sicherheit annehmen. Sie haben vielfach auch wesentliche Karten hierbei, z. B. beim Ordnerdienst oder Ticketverkauf. (Personalisierung von Karten, Schwarzmarktverkauf). Wenn es kein Lippenbekenntnis bleibt, freut es uns, weil wir für Zusammenarbeit zur Verfügung stehen. Gewalt in Europa: Viele Staaten verfügen über das Hooligan-Problem, daher sind auch NFIP in allen EU-Ländern eingerichtet worden. Eine Ausnahme sind sicher die skandinavischen Länder, wo kaum Gewalt herrscht. Gewalttätige Auseinandersetzungen lassen sich in Mittel/Osteuropa, Tschechien, Polen, Frankreich, NL, Italien, Belgien feststellen. Gewalttätigkeiten im Fußball stellen ein europäisches Problem dar. Das Problem wird durch internationale Spiele auch mehr und mehr exportiert. Polizei, Vereine und Verbände arbeiten auch im europäischen Kontext zusammen. Sie erarbeiten Vorschläge, wie mit Gewalt umzugehen ist. Die Zusammenarbeit erfolgt in: a) Der Arbeitsgruppe polizeiliche Zusammenarbeit (u.a. NIFP): ein Expertengremium b) Dem Europarat: ständige Gewaltkommission unter Beteiligung der UEFA und der einzelnen Mitgliedsstaaten Welchen Platz Deutschlands beim Thema Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen innerhalb von Europa einnimmt, kann nicht bestimmt werden. Es gibt keine entsprechenden Vergleiche. Sie wären auch nicht möglich, da einzelne Taten das Bild verzerren würden. Nach dem Vorfall um Nivel wäre Deutschland sicher ganz oben im Ranking gewesen, obwohl die Anzahl von Taten vielleicht geringer war, als in anderen Staaten.. Fakt ist, es gibt das Problem, und wir versuchen, eigentlich im europäischen Vergleich durch best-practise voneinander zu lernen. 11 Leitfrage 7: Bei Spielen der deutschen Nationalmannschaft, gerade im Ausland fallen, zwar weniger die Ultras, aber eher deutsche „Hooligans“ immer wieder negativ durch gewalttätige Aktionen auf. Wie sind Ihre diesbezüglichen Erwartungen kurz vor der Europameisterschaft in Österreich und der Schweiz? Antworten: Prognosen sind schwierig: Wir haben seit geraumer Zeit mit der Infogewinnung begonnen. Das Maßnahmenpaket (Gefährderansprachen, Meldeauflagen, Passmaßnahmen) greift. Erste Rückmeldungen deuten auf eine Verunsicherung der deutschen Szene hin. Es herrscht Unsicherheit darüber, ob man ausreisen darf. Inwieweit es damit gelingt, gewalttätiges Klientel aus der Schweiz/Österreich fernzuhalten, bleibt abzuwarten. Gegner für Gewalttäter sind mit Polen und Kroatien zu erwarten. Hinsichtlich Österreich haben wir beim Freundschaftsspiel gute Erfahrungen gemacht. Die Infosteuerung und der -austausch werden erfolgen. Es gilt das Motto: „Stets das Beste hoffen und das Schlimmste annehmen“. Von unserer Seite aus werden wir alles unternehmen, um Gewalt zu verhindern. Wir entsenden eine Delegation und Einsatzkräfte. Darüber hinaus ist die heimische Situation besorgniserregend. Es leben in Deutschland viele Menschen, deren Herkunftsländer auch bei der Europameisterschaft beteiligt sind, z. B. Türken und Kroaten. Bei Jubelfeiern und Autokorsos könnte sich daher, ähnlich der Ereignisse rund um die WM 2002, ein Gewaltproblem abzeichnen. 12 1.2 Experteninterview 2: PD Grzella Datum: 03.06.2008 Länge: 59:07 Minuten Themenkomplex 1: Beschreibung der Ist-Situation Leitfrage 1: Die Fußballsaison 2007/2008 ist bereits beendet. In Ihren Zuständigkeitsbereich fallen die Spiele sowohl der Bundesligamannschaft, als auch der Oberligamannschaft des VFL Bochum. Wie fällt ihr Urteil über die abgelaufene Spielzeit aus? Beschreiben Sie dabei aus Ihrer Wahrnehmung heraus die derzeitige Gewaltsituation rund um den Fußball in Bochum und wenn es ihnen aus der Funktion heraus möglich ist, auch darüber hinaus. Antworten: Oberliga: Sehr unauffällig. Wenige Spiele mit Brisanz, Ausnahmen, Spiele, wo es traditionell Animositäten gibt, wie z. B. Preußen Münster. Die meisten Spiele wurden nicht im Rahmen einer BAO abgearbeitet, sondern durch den normalen Dienstbetrieb geregelt und durch DGL bzw. in 2-3 Fällen durch den Wachleiter geführt und durch Einsatz von SKB begleitet. Das Interesse der Bochumfans fokussiert sich nur auf die 1. Mannschaft. Mag sein, dass sich das in der kommenden Regionalligasaison bei Spielen gegen Münster und Essen ändert. Die ruhige Bilanz schließt nicht aus, dass es mal Ausrutscher gibt. Eine Gruppe von Fans, sei es Ultras oder andere auch am Rand solcher Spiele oder Freundschaftsspiele auftreten. Manchmal vereinbart der Verein aus sportlichen Gründen Spiele, wie z. B. gegen RWE und denkt, dass zu Nachmittagszeiten o.ä. nichts passiert. Anderes Beispiel ist ein A-Jugend-Spiel in Wattenscheid gegen BVB, wo sich eine versprengte Anzahl von Schalker Ultras zeigte. Gottseidank konnten durch eine parallele BAO im Rahmen einer Demo mittel bis schwere Probleme verhindert werden. 13 Bundesliga: Nach meiner hier 2. kompletten Saison habe ich immer gesagt, „eigentlich ist hier wenig los, aber dafür, dass hier wenig los, ist eine Menge passiert“. Ich hoffe, dass es nicht an mir oder der Konzeption liegt, sondern mit der Entwicklung des Fußballs insgesamt zusammenhängt. Wir haben eigentlich alles gehabt. Ultras, die hooligantypisch agierten. Eigene Ultras die Gästefans, hier HSV, massiv angegriffen haben. Abläufe, die man in Bochum nicht kannte oder lange nicht da waren. Es gab Ausschreitungen mit auswärtigen Fans. Das Spektakulärste war sicherlich die Partie VfL-KSC, mit 1 bzw. 2 verletzten Kollegen. Dies möchte ich als Gewaltexzess bezeichnen. Fans fahren nicht mit dem Ziel los, so etwas zu machen, aber aufgrund der Struktur ist das latente Restrisiko hoch. Ich glaube auch, dass es den Fans selbst, etwas aus dem Ruder läuft. Ich glaube, es war ein Unglücksfall, der immer mal wieder passieren kann, wenn man jemanden stößt, aber hier ist noch hinzugekommen, dass der Kollege über ein Hindernis fiel. Gottseidank hat sich aus dem Wirbelbruch kein bleibender Schaden entwickelt, sodass es noch einigermaßen glimpflich ausgegangen ist. Bei den heimischen Fans haben uns in aller erster Linie die Ultras die Probleme gemacht. Hierzu einige Ausführungen: Ultras sind Supporter, jeder Polizeiführer (PF) müsste sich eigentlich freuen, weil sie Stimmung ins Stadion bringen und in der Grundannahme sympathisch sind. Es ist aber so, dass die Spielregeln an vielen Stellen nicht eingehalten werden. Das trifft für Bochum insbesondere für Auswärtsspiele zu, Stichworte hier Pyrotechnik und Drittorte. Ich glaube, dass es immer noch einen Ultra-Block gibt, der blauäugig ist, der seinen Fußball die ganze Woche lebt. Ich fürchte aber, dass die Struktur mittlerweile so ist, dass diese eigentlichen Anhänger mehr und mehr unterlaufen werden. In der Gruppierung sich auch andere Leute finden. Kategorisierung ist das eine, Etiketten helfen uns eh nur sprachlich. Wer wann A, B, C oder nach dem neuen Sprachgebrauch Risk oder Non-Risk-Fan ist, ist sehr temporär festlegbar und von Zufallen abhängig. Bei einem Spiel gegen die Schwarz-Gelben vor zwei Jahren habe ich erlebt, das 14 Leute, die unzweideutig, als A-Fans einzustufen waren, für einige Minuten heftigste C-Fans waren. Sportliche Situation spielte da sicher eine Rolle. Die Wahrscheinlichkeit von solchen Exzessen wird immer größer. Einhalt gebieten kann man kaum noch. Dass die Ultra-Führer noch Einfluss nehmen können, auf die die nach ihnen kommen, scheint ihnen aus dem Ruder gelaufen zu sein. Ist traurig für Fans, die sich als die einzig wahren Fans verstehen. Die einen Allgemeinvertretungsanspruch haben. Es hat hooligantypische Angriffe gegeben, die unzweideutig von Ultras kamen. Leider aber nicht mit dem Festnahmedruck. Ein SKB ist getreten worden, es konnte aber nur einer festgenommen werden. Angriff der Bochumer Ultras. Festgenommen habe ich dann 90 HSV-Fans. Die sind angegriffen worden, haben sich sofort gewehrt, weil sie einem Kampf natürlich nicht aus dem Wege gehen. Ist eine Schieflage, die einem natürlich nicht gefällt. Die Ultras sind hier also das Problem, dem wir uns gezielt widmen müssen. Leitfrage 1a: Wo sehen Sie derzeit für die polizeiliche Einsatzbewältigung die größten Probleme bzw. Herausforderungen? Antworten: Größtes Problem sind die Ultras. Wir haben unsere Einsatzkonzeption darauf umgestellt, nachdem es als Problem erkannt wurde, und haben auf „konsequente Manndeckung“, ständige Präsenz gesetzt. Wir haben Einsatzkräfte in Gruppen- oder Zugstärke an die Gruppe herangeführt, so verdeutlicht, dass sie als Problem erkannt sind. Die sogenannte „lebende Gefährderansprache“. Da hat Wirkung gezeigt, insoweit dass die Ultras in Kleingruppentaktik vorgehen, sich zersplittern. Erleichtert uns natürlich nicht unbedingt die Arbeit, aber erschwert sie anderseits auch nicht, weil sie nicht als kompakte Einheit auftreten. Es ist die größte Herausforderung, weil von der Gruppe die größte Unsicherheit ausgeht, was passiert. Die Abschottung ist enorm. Es ist auch für die SKB, nicht nur in Bochum schwierig. Eine Erkenntnislage bekommt man nicht mehr. Herausforderung war für mich, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. 15 Die Zusammenarbeit mit Fanprojekt und Fanbeauftragten in Bochum ist gut. Wir haben gemeinsam auch einen Workshop durchgeführt. Hierzu waren auch die Ultras eingeladen, denen ich vorurteilsfrei ein Gesprächsangebot unterbreitet habe. Die ablehnende Antwort kam später lediglich über die Medien, dass man nach anwaltlichem Rat von einer Teilnahme abgesehen habe, da dort ja nur die Personalien festgestellt würden. Ist für mich ein pathologischer Befund. Strukturen sind verhärtet, wenn man nicht mehr miteinander spricht, ist es schwer, eine Kerbe reinzuschlagen. Wird mich aber von weiteren Versuchen nicht abhalten. Hinsichtlich der auswärtigen Szene (Fanvertreter, -projekte) versuche ich diese in den Einsatz mit einzubinden. Die auswärtige Szene bekommt neben einem Schreiben des Vereins auch ein Schreiben der PI, in dem man sich vorstellt und erwartete Verhaltensweisen mitgeteilt werden. Hat sich bewährt und ist gut aufgenommen worden. Selbst bei belastenden Maßnahmen (Personalienfeststellungen) konnte man noch gut zusammenarbeiten. Ich setzte viel auf Kommunikation und Transparenz. Dass man vorhersehbar ist, warum macht Polizei dieses oder jenes. Gehört sich heute so. Kommt bis auf die eigene Szene gut an. Ich selbst bin zuletzt auf dem Fankongress gewesen, sitze also auch mal in Zukunftswerkstätten mit Hools oder Ultras. Da erlebt man, dass sie abseits ihrer Kampfumgebung ganz normale Jungs sind, die ab und zu einen Defekt haben. Wir müssen aber versuchen, die Gruppe zu sprengen, um wieder ins Gespräch zu kommen. Ansonsten vertrete ich eine klare Leitlinie. Bei Brisanzspielen habe ich ganz konsequent gegen Rädelsführer Bereichsvertretungsverbote ausgesprochen. Hat sie gepiesackt, wurde aber ganz dosiert angewendet, immer bei einer überschaubaren Zahl, ca. 10 Personen. Wenn man Rädelsführer rausnimmt, sind sie nicht mal mehr die Hälfte mehr. Wenn es bei den Reizobjekten zu einem Vorbeimarsch auswärtiger Fans kommt, sind unter Einbeziehung der Ordnungspartner und in zahlreichen Gesprächen mit den Pächtern klare Regeln festgelegt worden. Die Rollladen sind runter und keiner steht mehr vor der Kneipe. Werden konsequent im Rahmen der rechtlichen 16 Möglichkeiten weggesprochen, mit Platzverweisen belegt oder festgenommen. Die Sprache haben sie mittlerweile verstanden. Für eine optische Begegnung sind alle beteiligten Gruppen nicht reif genug, besonders die Eigenen nicht. Es kommt immer mal zu Würfen von Flaschen und gefährlichen Gegenständen. Wir versuchen mit Flugblattaktionen, zusätzlichen Müllbehältern, etc. die Gesamtsituation zu verbessern. Ist ein langer Weg. Leitfrage 1b: In den Jahresberichten der ZIS gerät die Ultraproblematik seit einigen Jahren verstärkt in den Fokus. Auch Bochum verfügt über eine Ultragruppierung. Bitte beschreiben Sie die Bochumer Ultraszene in ihrer Entwicklung, Organisation, Zielsetzung, wenn möglich auch in Abgrenzung zu Hooligans. Antworten: Einige wesentliche Punkte habe ich schon unter 1 b beantwortet. Darüber hinaus stelle ich das „upgedatete“ Infopaket zur Verfügung, wo sich die meisten relevanten Daten herauslesen lassen. Wir haben eine Ultragruppierung und wir haben Alt-Hooligans. Mit den Begriffen kann ich manchmal wenig anfangen. Die Grenzen sind fließend. Wir haben Ultras, die hooligantypische Aktionen machen und Hooligans, sodass ich die Definition von Pilz, der diese Überschneidungen von Ultras und Hools als Hooltras bezeichnet, nur unterstreichen kann. Es ist treffend. Leitfrage 1c: Welche Formen der Gewalt bzw. Gewaltphänomene haben sich in Bochum gezeigt und wie hoch schätzen Sie das vorhandene Gewaltpotenzial ein? Antworten: Grundsätzlich ist das latent vorhandene Gewaltpotenzial sehr hoch. Bei dynamischen Situationen wird es unkontrollierbar, eben Gewaltexzesse. Es sind wie beim KSC bedauerliche Einzelfälle. Es wird aber auch nicht davor zurückgeschreckt, PVB massiv anzugreifen. Fakt ist, dass aus dem Spektrum der Ultras Gewalt angewendet wird. Man greift zu allen Gegenständen, ist meist in dynamischen Situationen nicht vorbereitet, aber beim Abbrennen von Pyrotechnik sehr wohl. Es wird von Einzelnen 17 definiert, was gut ist. Verbotenes wird für sich dann legalisiert. Es stoßen Erlebniswelten aufeinander, zum einen die der Ultras und zum anderen die der Obrigkeit. Die Diskussionen über unkontrolliertes/kontrolliertes Abbrennen wird es weiter geben. Wir werden uns nicht bewegen können, da wir rechtliche Fesseln haben. Hierbei ist anzumerken, dass es zunehmend schwieriger wird, Kräfte in den Block zu bringen. Ich will zwar nicht vom rechtsfreien Raum sprechen, aber man muss sich ganz genau überlegen, ob man Kräfte hineinschickt. Hier werden PVB massiv aus der Anonymität heraus angegriffen. Ist eine Art Harakiri. Es ist trotz nicht optimaler Videotechnik in Bochum vielfach besser auf eine günstige Gelegenheit zur Festnahme in der Folge zu setzen. Bannermärsche: Hat hier seit 25 Jahren mehr oder weniger Tradition. Lässt sich aber aufgrund der örtlichen Gegebenheiten nicht verhindern. Es wird im Kern keine Aussage getroffen, sodass es für mich keine Demo ist. Es ist hier mehr ein Ritual, wo es gilt, die eigenen Fans „luftdicht zu verschließen", also von der Fangruppe der Auswärtigen fernzuhalten. Freipressen. Ist hier gang und gäbe. Bei freiheitsentziehenden Maßnahmen ist man gut beraten, zu prüfen, ob man eine Maßnahme zeitgerecht beenden kann, weil es meist eh nicht zu Anschlussmaßnahmen, wie Vorführung, etc. kommt. Und die Fans noch ihre Verkehrsmittel erreichen können. Ansonsten kann es zum Problem kommen, dass eine größere Gruppe sich nicht aus Bochum wegbewegt. Wenn weitergehende Maßnahmen getroffen werden müssen, werden sie vorgenommen. Rechtsfreie Räume entstehen nicht. Wenn aber nichts anliegt, kommt man dem Ansinnen nach, um die BAO auch zu beenden. Aber auch die Nachspielphase wird immer schwieriger; erst letztens ist ein Pfarrerssohn noch zwei Stunden nach dem Spiel von einer zersprengten Gruppe im Stadtgebiet zusammengeschlagen worden. 18 Leitfrage 1d: Bei Pilz und anderen Autoren wird als wesentliches Problem meist genannt, das die Polizei das Feindbild Nr. 1 der Ultras ist und eine Kommunikation kaum möglich ist, was das polizeiliche Einwirken auf die Ultraszene schwierig bis unmöglich macht. Würden Sie dieser Behauptung zustimmen? Wie gestaltet sich in Bochum die Zusammenarbeit zwischen Polizei und den Ultras sowie zwischen Polizei und Fanprojekt, Fanbeauftragten, Fanabteilungen und Verein? Gehen Sie bitte darüber hinaus darauf ein, wie in Bochum die Zusammenarbeit aller Institutionen im örtlichen Ausschuss Sport und Sicherheit abläuft. Antworten: Kann These nur unterstreichen. Kommunikation ist schwierig. Es gilt für die Zukunft, die Bretter zu bohren. Es herrscht seitens der Ultras ein großes Misstrauen gegen die Polizei, was aus unserer Sicht völlig unbegründet ist, da wir stets transparent gehandelt und unsere Maßnahmen erklärt haben. Die Zusammenarbeit mit Fanprojekten und Fanbeauftragten ist gut. Wobei man aber auch feststellen muss, dass auch sie immer größere Schwierigkeiten haben, Zugang zu den Problemfans zu finden. „Wir wären arm ohne Fanarbeit“. Meines Wissens nach ist der Verein noch nicht erpresst worden. Es besteht aber gewisser Druck, da man aufgrund nicht rosiger Zuschauerzahlen auch keine Fans verlieren will. Bei negativen und die Polizei verunglimpfenden Aktionen und Spruchbändern wurde durch mich eine Reaktion eingefordert. Man hat den Ultras zwischenzeitlich ihre Räumlichkeiten wieder entzogen. Hier fordere ich aber, dass der Verein auch immer weitere Überprüfungen der Aktionen vornimmt. Der örtliche Ausschuss wurde durch mich wiederbelebt. Er existierte seit 2000 eigentlich nicht mehr, obwohl zusammengearbeitet wurde, jedoch nicht in der formal vorgesehenen Form. Dies wurde durch mich mit einer Infoveranstaltung initiiert. Es geht darum, dass die Polizei nicht alleine die Triebfeder für einen Fußballeinsatz ist, sondern, dass 19 alle Verantwortlichen an den Tisch geholt werden. Die Institutionen müssen gerade bei Zuständigkeiten Eigendynamik entwickeln und Probleme möglichst zur Zufriedenheit aller zu lösen versuchen. Bsp: Zusätzliche Müllbehälter am Hbf. wurden seitens der Stadtentsorgung nicht als deren Problem gesehen. Leitfrage 1e: Haben Sie Erkenntnisse darüber, ob und inwieweit zwischen dem Verein VFL Bochum und den Ultras eine Zusammenarbeit bzw. ein Austausch stattfindet? Kam es Ihres Wissens nach vor, dass die Ultras konkret Druck auf den Verein ausgeübt bzw. dies versucht haben? Antworten: Wie gerade ausgeführt. Zusammenarbeit und Austausch zwischen Verein, Fanbeauftragten und Ultras finden statt. Aber zunehmend schwieriger. Exzesse erfreuen Verein nicht, weil es auch Bestrafungen nach sich zieht. Auch wir sind da mit tätig geworden, mit proaktiven Maßnamen, speziellen Ordnerdiensten, spezielle Beweissicherung an den Plätzen. Man kann nicht sagen, dass die Ultras die Oberhand gewonnen haben. Druck haben sie nicht ausgeübt, außer dem Umstand das Ultras versuchen, den Verein, als auch die Obrigkeit zu diffamieren bzw. zu stigmatisieren. War aber nicht von großem Erfolg gekrönt. Themenkomplex 2: Einsatzkonzeption / polizeiliches Vorgehen Leitfrage 2: Wie begegnen Sie in Bochum der gestiegenen Aggressivität und der besonderen Ultraproblematik? Sind Änderungen in der Einsatzkonzeption erforderlich, bereits vorgenommen worden oder geplant? Gehen Sie bitte darauf ein, wo sie in der polizeilichen Einsatzbewältigung erfolgskritische Faktoren sehen, um die Gewaltphänomene zu minimieren. Antworten: Einsatzkonzeption hat sich bewährt, wurde konsequent fortgeschrieben. 20 Niedrige Einschreitschwelle Gefährderansprache gegenüber Schwellen erkannten der Problemfans, Verhältnismäßigkeit, Bereichsbetretungsverbote Leitlinie darf nicht verlassen werden: Kommunikation/Transparenz; nicht angreifbar sein. Frustpotenzial der eingesetzten Kollegen steigt auch immer mehr; man kann nicht mehr immer die Hand ins Feuer legen, dass es sich nicht mal entlädt, was natürlich nicht passieren darf. Man muss sich um die Umstände bewusst sein. Transparenz wichtig. Einsatzkonzeption insoweit geändert, dass Klettenkräfte für Ultras abgestellt wurden. Initiierung von Stadionverboten, wobei hier eindeutig Wert auf Qualität und nicht auf Quantität gelegt wird, was auch die überschaubare Anzahl von Stadionverboten in Bochum beweist. Ich halte es eh nicht per se für ein Zaubermittel, da man das Phänomen hat, das die meisten Ausschreitungen eh nicht im Stadion, sondern abgelegt davon passieren und man die Mitfahrer hat, die trotz Stadionfahrt mitkommen und sich das Spiel in einer Kneipe ansehen, da auf den Fahrtstrecken oder an Rastplätzen die Auseinandersetzung gesucht wird. Festzustellen ist der Trend, dass in der abgelaufenen Spielzeit, ohne schon Zahlen nennen zu können, gefühlt deutlich mehr Kräfte in Bochum eingesetzt wurden. Dies hat zum einen infrastrukturelle Gründe, die bei der Beurteilung der Lage berücksichtigt werden müssen. Bsp.: Weg zum Stadion, Innenstadtlage, bauliche Situation im Stadion, Schwierigkeiten bei Fantrennung, Verkehrswege, Entfernungen erschweren Kräfteverlagerungen. Einrichtung von Halteverboten auf Castroper Straße um Agitationsraum fernzuhalten. Gegebenheiten auch schlechter als in vielen anderen Standorten. Daneben ist ein Umstand zu benennen, der sich Weites gehend aus den Erfahrungen zur WM 2006 ergibt, wo aufgrund der besonderen Lage teilweise “Nulllagen mit Kräften erdrückt wurden“. Die hat in der Folge dazu geführt, dass ohne sie diffamieren zu wollen, gerade jüngere Einsatzleiter, einen sehr starken Kräfteansatz wählen und man als benachbarter Einsatzleiter in einen Sog und Erklärungsnot gerät, warum in dem eigenen Zuständigkeitsbereich mit 21 schwächeren Kräften gefahren wird und man sich der Gefahr aussetzt, vor dem Hintergrund der gestiegenen Einsatzproblematik zu schwach aufgestellt zu sein. Kräftelage sollte mit EA-Führern abgesprochen werden, was aber schwierig ist, da bei Anforderung die EA-Führer meist noch nicht feststehen. Erhöhung der Kräftelage scheint sich bundesweit abzuzeichnen. Diese Phänomene plus die Gesamtsituation bestimmen die Kräfteanforderung. Geschätzt wurden in der abgelaufenen Spielzeit in Bochum ca. 1/3 mehr an Kräften eingesetzt, zurzeit etwa 400-500 pro Spieltag. Leitfrage 2a: Wie wichtig erachten Sie ein einheitliches Vorgehen bzw. abgestimmte Maßnahmenkonzepte in allen Fußballbundesligastandorten für die Akzeptanz polizeilichen Handelns? Antworten: Ich halte es für wichtig, in der Tendenz eine gemeinsame Strategie zu entwickeln. Die so aussehen könnte, wie ich es schon beschrieben habe. Kommunizieren, niedrige Einschreitschwellen, unnachgiebiges Einschreiten gegen erkannte Gewalttäter, konsequente Strafverfolgung, Beweissicherung, heißt Qualität vor Quantität. Prägender Bestandteil des Gesamtproblems muss sein, dass jeder Standort eine eigene Lösung findet. Es wird nicht wesentliche Unterschiede geben, aber es gibt nun mal unterschiedliche infrastrukturelle Gegebenheiten, die berücksichtigt werden müssen. Bsp. Kräfteansatz/-vergleich Ahlen/S04) Es kommt auf lokale Lösungen an. Die eigentlichen Konzeptionen unterscheiden sich wenig. Entscheidend sind aber mehr als die Konzeptionen auf Papier die tatsächlich getroffenen Maßnahmen. Es gilt entscheidend ist auf dem Platz. Noch so salbungsvolle Leitlinien können Maßnahmen nicht ersetzen. Differenzierte Lösungen vor Ort. 22 Themenkomplex 3: Einschätzung / Bewertung Leitfrage 3: Wie sieht Ihre Prognose hinsichtlich der Entwicklungen von Gewaltphänomen insgesamt und besonders im Zusammenhang mit der Ultraszene kurz-/mittel-/langfristig aus? Antworten: Ist wie ein Blick in die Glaskuppel und somit schwierig. Ich habe Hoffnung auf eine Trendwende, weil viel Raum nach oben, was die Gewalt anbelangt, nicht mehr ist. Es wird weiter Exzesse geben. Meine Hoffnung ist, dass der überwiegende Teil nicht gewaltbereit, bestenfalls gewaltgeneigt ist. Aber am wichtigsten ist, dass die normalen Fußballanhänger die Gewalt ächten, weil die Verhaltensweisen dem Sport schaden und das Sicherheitsgefühl gefährden. Man muss angstfrei ins Stadion gehen können. Es darf keine Sympathie für Gewalt geben. Es sollte auch immer die Ursache für Gewalt im Vordergrund stehen und nicht etwa der Umstand, dass es Polizeigewalt gegeben hat. Auch der Berichterstattung in den Medien kommt eine wichtige Aufgabe zu. Meiner Meinung nach wird in den Medien immer noch zu viel zu verherrlichend über Ausschreitungen berichtet. Ein Eiertanz zwischen Infoanspruch der Medien/ Öffentlichkeit und dem, was man nicht zeigt. Berichterstattung ist eine Art Ritterschlag. Berichte sind Errungenschaften der Szene, die Maßnahmen noch glorifizieren. Verbände und Ministerien sind hier gefordert, politisches Gewicht in die Debatte zu werfen. Minutenlang brennende Kurven, Schlägereien dürften nicht in der Form gezeigt werden. Leitfrage 3a: Hat sich die Fanarbeit in Deutschland Ihrer Meinung nach bewährt oder sehen sie vor dem Hintergrund der steigenden Aggressivität und der besonderen Ultraproblematik Ansatzpunkte oder Optimierungsmöglichkeiten? 23 Antworten: Konsequente Fortsetzung von Fanarbeit, gerade auch um den Nachwuchs in die richtigen Bahnen zu lenken. Auch weitere finanzielle Unterstützung. Rad muss nicht neu erfunden werden. Wesentliche Schritte sind belegt. Sprachlosigkeit zum Verband ist schon durchbrochen, muss nur fortgesetzt werden. Leitfrage 3b: In Italien ist die Gewalt im Fußball teilweise eskaliert. Es kam u.a. zurückliegend zu den Todesfällen des Polizeibeamten Filipo Raciti, des Fans Gabrielle Sandri und jüngst zu einem Todesfall eines Fans im Zuge eines Busunfalls auf einer Auswärtsfahrt. Die Tragweite des Einflusses der Ultraszene in Italien hat eine Dimension erreicht, die von einigen Autoren in den Bereich der organisierten Kriminalität gerückt wird. Bitte führen Sie aus, ob Sie italienische Verhältnisse in Bochum bzw. Deutschland für denkbar halten? Antworten: Würde ich nicht völlig ausschließen. Ich kann Autoren beipflichten. Es sind Entwicklungen zu erkennen, die in Richtung organisierte Kriminalität (OK) gehen, wenn ich an Abschottung, Gegenaufklärung denke. Strukturen sind zwar noch zart, aber latent vorhanden. Ich habe die Hoffnung, dass die meisten Gewaltgeneigten vor Exzessen zurückweichen. Verweis auf Bochumer Ultra-Stellungnahme zum Vorfall in Bielefeld. Die Erlebnisorientierung bleibt Ungewissheit, gerade die Dynamik und Anonymität wird es mit sich bringen, das solche Situationen schwer zu kontrollieren sind. Bsp. Bannermärsche mit 5000 Personen wecken das Gefühl, dass solche Gruppen nur schwer zu stoppen sein werden, wenn die Masse in Bewegung kommt. Ohne uns anzubiedern, sollten wir uns anbieten. Es geht darum, Vertrauen zu gewinnen. Es bedarf aller Anstrengungen die Verhärtungen aufzuweichen. Kommunikation ist nachhaltig gestört, ich würde sogar sagen, im gesamten europäischen Umfeld. Es ist 5 vor 12. Fazit: Ausschließen kann man es nicht, aber Wahrscheinlichkeit ist deutlich geringer aufgrund der Bemühungen der letzten 25 Jahre. 24 1.3 Experteninterview 3: Herr Rojek Datum: 10.06.2008 Länge: 39:46 Minuten Themenkomplex I: Sichtweise Fanbeauftragter Leitfrage 1: Sie sind bereits seit einigen Jahren hauptamtlicher Fanbeauftragter des FC Schalke 04. Beschreiben Sie bitte kurz die Zielsetzungen und Aufgabenbereiche eines Fanbeauftragten am Beispiel des S04 sowie Ihre Stellung als Fanbeauftragter im Verein. Antworten: Es gibt unterschiedliche Sichtweisen über die die Arbeit eines Fanbeauftragten (FB). Ich übe die Funktion seit 27 Jahren aus, da gab es die Bezeichnung FB noch gar nicht. Die Richtlinien des DFB sehen vor, dass der FB der Sprecher des Vereins gegenüber seinen Fans ist. Viele FB sehen sich eher als Sprecher der Fans beim Verein. Durch meine Funktion im Aufsichtsrat des FC Schalke 04 und als Vorsitzender des Fanklubdachverbandes mache ich eigentlich beides. Meine Hauptaufgabe ist es für jeden Schalkefan Ansprechpartner und Betreuer zu sein. Hier mache ich auch keinen Unterschied zwischen dem Fan, dem Allesfahrer oder dem 62-jährigen in der Eifel, der die Spiele im Radio verfolgt. Ich versuche jedes Problem, was einer hat, zu lösen. Leitfrage 2: Die Saison 2007/2008 ist beendet. Wie fällt aus Sicht eines Fanbeauftragten ihr Urteil über die abgelaufene Spielzeit aus? Gehen Sie dabei bitte insbesondere auf das Fanverhalten insgesamt und auf die Gewaltsituationen im und rund um das Stadion allgemein und am Beispiel der Mannschaften des S04 ein. Antworten: Da kann ich sicher mehr sagen, als zur sportlichen Situation. 25 Wir haben in Schalke eigentlich gute Verhältnisse. Die Gewalt im Stadion ist gegen null heruntergefahren worden. Wir haben einen guten Kontakt zu unseren Alt-Hooligans, der „Gelsenszene“. Wir haben auch einen guten Kontakt zu den Ultras, obwohl man sagen muss, dass er in der abgelaufenen Spielzeit schwächer geworden ist, sie haben sich abgenabelt und aus der großen Gruppe der Ultras heraus sind mehr Straftaten begangen worden. In Zusammenarbeit mit den SKB und den Sicherheitsdiensten, mit denen wir in Schalke eng zusammenarbeiten, beschäftigen wir uns viel mit dem Thema, was uns auch ein bisschen Sorge bereitet. Durch die Ultras hat sogar die Gelsenszene, die sich eigentlich auf Ü-40-Partys rumtreibt, wieder Zulauf bekommen. Auf Nachfrage zur Differenzierung nach Ligenzugehörigkeit: Ja, das ist der Punkt, der etwas schockiert. Früher hat man die Rivalitäten nur auf dem Platz bei der 1. Mannschaft ausgelebt. Die Ultras haben sich auch auf untere Mannschaften, Amateure und Jugendmannschaften spezialisiert und begleiten die Mannschaften auch auswärts. Sie treffen sich immer wieder mit andern Fangruppen, besonders wenn eine Rivalität, wie bei Dortmund besteht, was erheblich zugenommen hat. Wenn ein B-Jugend-Spiel schon von einer Hundertschaft begleitet werden muss, macht mir das Angst. Ich will mal den Vorfall in Wattenscheid nennen, wo ein A-Jugend-Spiel ohne Schalker Beteiligung von Schalker Ultras aufgesucht wurde und Straftaten auf dem Platz begangen wurden. Ich will sicher nicht alle Ultras über einen Kamm scheren, aber der harte Kern war da beteiligt. Ist ein hohes Kaliber. Das hat nichts mit dem Fußball S04 mehr zu tun. Wiederholt passiert ja sehr viel mit den Fans, die anreisen. Der durchschnittliche Schalke Fan hat einen Anreiseweg von 120 km. Die Bahnhöfe Bad Oeynhausen, Dortmund, Haltern, Münster sind beliebte Treffpunkte, gerade von Schalker und BVB Gruppierungen. Mit den anderen Ultragruppierungen, wie denen des KSC und Frankfurt gibt es auch Konflikte, aber dann nur an den Spieltagen. Bei BVB-Schalke muss man fast täglich damit rechnen, dass bei irgendeinem Spiel was passiert. 26 Leitfrage 3: Die Ultrabewegung gründete sich in den 60er Jahren in Italien und ist etwa seit Anfang der 90er Jahre auch in Deutschland präsent. Auf der einen Seite zeichnen sich die Ultras durch leidenschaftliche und abwechslungsreiche Choreografien aus. Auf der anderen Seite wird vorrangig gerade auch durch die Polizei kritisiert, dass die Ultragruppierungen jegliche Kommunikation und Zusammenarbeit mit der Polizei ablehnen. Die Polizei nimmt eine gesteigerte Aggressivität bzw. ein gesteigertes Gewaltpotenzial seitens der Ultras wahr. Stimmen Sie diesen Wahrnehmungen zu? Beschreiben Sie aus Sicht eines Fanbeauftragten das Ultraphänomen allgemein und am Beispiel S04. Bitte beschreiben sie auch, ob und in welcher Form eine Zusammenarbeit zwischen Fanbeauftragten, Verein und Ultras funktioniert. Antworten: Ich kann die Aussage der Polizei nur unterstreichen. Durch meine Tätigkeit kann ich auch sagen, dass die Ultras uns in allen Stadien in Deutschland Probleme bereiten. In Gelsenkirchen ist es ziemlich ruhig, aber es werden zunehmend Straftaten aus dem Pulk der Ultras heraus begangen. Man kann die Jugend insoweit verstehen, dass es immer schwieriger wird, ein vernünftiges Freizeitangebot zu finden. Schalke ist die Nummer 1 in Gelsenkirchen und der Umgebung und ein Magnet für Jugendliche, die was erleben wollen. Früher war das sicherlich auch so, wir haben uns auch getroffen, um Spiele anzusehen, aber wir haben nur den Verein unterstützt. Aber da gab es den Kommerz noch nicht. Die Ultras wehren sich ja auch gegen die Kommerzialisierung. Problem ist, dass sie sich zu einer eigenen Gruppe entwickeln, die keinen braucht. Sie suchen keinen Kontakt zum Verein und den Fanbeauftragten, sie wollen unabhängig sein. Sie verstehen aber nicht, dass es heute bei 62.000 Zuschauern nicht mehr alleine geht. Der Verein sorgte bislang immer dafür, dass der Dachverband der starke Ansprechpartner bleib. Es ist vorbildlich in der Bundesliga, dass egal ob Fanprojekt, Faninitiativen, Hooligans oder Sponsoren sich alle an den Dachverband wenden, wo versucht wird, Probleme zu lösen. 27 Die Ultras kommen nur bei großen Problemen, ansonsten lehnen sie Zusammenarbeit ab. Ganz krass ist mir aufgefallen, dass sie jeglichen Kontakt zur Polizei ablehnen. Selbst bei Fällen, wo sie Betroffene sind, geben sie keine Auskünfte und wollen es unter sich regeln. Hier in Schalke arbeiten alle eng zusammen, Wachdienst Bremen, Fanverband, Sicherheitsbeauftragter, SBK. Wir sind eine starke Einheit. Es findet ein stetiger Austausch vor Heim- und Auswärtsspielen statt. Lediglich die Ultras schließen sich nicht an. Der Dachverband setzt bei Fahrten eigene Fanordner in den Bussen ein, die der Polizei mitteilen, wo sich der Bus gerade befindet, wie viele Personen mitreisen. Die Ultras reisen alleine an. Sie verschleiern ihre Strecken. Sie machen uns hier große Probleme. Wir versuchen in Gesprächen, dieses Problem in den Griff zu bekommen. Erst kürzlich hat mit Blick auf die neue Saison wieder ein runder Tisch stattgefunden, aber auch hier machen die Ultras kaum Zugeständnisse und halten sich bedeckt. Vielleicht lag es daran, dass SKB am Tisch waren. Leitfrage 4: Was können Sie als Fanbeauftragter bzw. was kann der Verein S04 konkret tun, um Gewaltphänomene zu minimieren? Nehmen Sie diesbezüglich auch dazu Stellung, ob Sie die vorhandenen Regelungen und Richtlinien für ausreichend erachten und wie Sie zum Umgang mit Stadionverboten stehen. Antworten: Am Thema Stadionverbot ziehen sich die Ultras besonders hoch. Stadionverbote halten uns nicht auf, ist deren Spruch. Ich muss dazu sagen, dass ich auch gegen ein Stadionverbot von 5 Jahren war, was ja auch jetzt nach dem Leipziger Kongress geändert wurde und die Höchstdauer 3 Jahre beträgt. In Schalke hatten wir es schon immer geändert. Ich bin ein Verfechter von Bewährungsstrafen. Ich finde auch, dass 3 Jahre bei Ersttätern, sofern sie keine Gewaltverbrechen begangen haben, zu hoch sind. Fußball ist Emotion. Es kann bei einem Tor schon mal vorkommen, dass ein Bierbecher fliegt. Wenn es dann zu Beschwerden kommt, kann es nicht sein, dass dafür jemand ein Stadionverbot bekommt. 28 In Zusammenarbeit mit S04 haben wir daher folgendes System entwickelt: Beim 1. Verstoß gibt es eine schwere Ermahnung; beim 2. Verstoß wird der Dachverband als Bewährungshelfer eingesetzt und der Betroffene muss in der Fanarbeit mitmachen, beim 3. Verstoß kommt es zum Stadionverbot. Die Ultras sehen das anders, für sie gehört das Verhalten dazu, genau, wie das Anbringen von Aufkleber, die kaum abgehen. Das können wir nicht akzeptieren. Dass es anders geht, sieht man bei der Gelsenszene, hier klappt die Arbeit sehr gut. Sie bekommen Karten von uns und halten sich an unsere Richtlinien. Es kommt kaum zu Problemen. Auf Nachfrage zu konkreten Maßnahmen der Gewaltminimierung: Wir setzen auf Selbstreinigungsprozesse in der Gruppe und auf Gespräche untereinander. Darum wurde ein runder Tisch eingerichtet, wo alle Fangruppen vertreten sind. Es wird sich ausgetauscht und Richtlinien werden festgelegt. Darüber hinaus werden Eintrittskarten für Auswärtsspiele nur noch an registrierte Mitglieder des Verbandes abgegeben. So bleibt uns auch die Möglichkeit zu Sanktionen bei Fehlverhalten. Weil ein Stadionverbot für einen Fan halt das Schlimmste ist. Wenn jemand nur Gewalt ausüben will, kann er das überall. Weiter werden gemeinsame Aktionen gefahren. Wir fahren mit Spielern oder Vorstandsmitgliedern zu den Gruppen und stellen uns. Der Verein lässt ihnen die Freiheit für Choreografien. Inhalte werden nicht vorgeschrieben. Der Sicherheitsbeauftragte prüft sie natürlich. Es bestehen aber keine Probleme, solange die Inhalte nicht unter die Gürtellinie zielen. Der Verein unterstützt, wo er kann, stellt Räumlichkeiten zur Verfügung. Man kann sagen, es ist ein Geben und Nehmen. Leitfrage 5: Die Fanbeauftragten sind im Rahmen des Konzeptes NKSS für die oberen Ligen zwingend einzusetzen. Wie sehen Sie insgesamt den Qualitätsstand und wie funktioniert die Zusammenarbeit untereinander? Antworten: Ein Thema, was mich schon ewig beschäftigt. Kann man nicht pauschal sagen. So wie Polizei in 16 Bundesländern Richtlinien hat und diese umsetzt, müsste es auch bei Fanbeauftragten sein. Aber das was ich mir hier in 27 Jahren erarbeitet 29 habe, davon können FB in Karlsruhe, Mainz oder Dortmund nur träumen. Es ist schwer eine Idee umzusetzen, wenn man die Akzeptanz im Verein nicht hat. Hier würde ich mir wünschen, dass die Vereine viel enger mit den FB zusammenarbeiten oder ihnen mehr Gehör schenken. Über die Fanprojekte, die Sozialarbeiter sind, wird viel gesprochen, jedoch sind eigentlich alle Vorsitzende von Fanklubs Sozialarbeiter. Ich würde mir mehr Ausbildung für FB wünschen, als nur ein Treffen. Man sieht bei den Treffen aber immer wie groß die Unterschiede sind. In Schalke z. B. kann ich jederzeit ohne Anmeldung mit meinem Ansinnen persönlich an den Vorstand herantreten, wo für andere FB bei der Sekretärin Schluss ist. Ich bin in der Kurve vor Ort und kümmere mich um die Probleme, sehe kaum noch was vom Spiel. Bei anderen FB beschränkt es sich darauf, dass sie in der Kurve etwas mitsingen. Hier müsste es mehr Zusammenarbeit geben, dem FB müsste mehr Einfluss im Verein zugestanden werden. Auf Nachfrage: Es kommt zu 3-4 Treffen im Jahr. Ich habe die Region West mal einberufen, wo auch Oberhausen, Essen, Duisburg beteiligt wurden, wobei Essen noch nie erschienen ist. In Duisburg muss der FB noch nebenbei arbeiten. In Dortmund wechseln die Verantwortlichen häufig und haben die Philosophie auch Interessen gegen den Verein durchzusetzen. Mit Bochum ist die Zusammenarbeit sehr gut. Man kann die Arbeit der FB eigentlich nicht untereinander messen, weil die Rahmenbedingungen zu unterschiedlich sind. Bsp.: Verschaffen von Parkkarten Bremen oder Schalke durch den FB 30 Themenkomplex II: Sichtweise Fan-Club-Verbandsvorsitzender Leitfrage 6: Sie bekleiden ebenfalls seit einigen Jahren das Amt des Vorsitzenden des Schalker Fan-Klub-Verbandes. Beschreiben Sie kurz die Funktion, Ziele und Aufgaben des Fanverbandes sowie Ihre die Aufgaben und Stellung als Vorsitzender, wenn möglich in Abgrenzung zum Amt des Fanbeauftragten. Antworten: Es gibt da immer Überschneidungen. Der Dachverband feiert nun 30jähriges Bestehen, wobei ich 27 Jahre im Vorstand mitwirke. Früher gab es 40 Fanklubs, heute gibt es 1450 Klubs mit 70000 Mitgliedern im Dachverband und die Zahl wächst. Der Fan muss sich bei aller Kritik, die immer mal aufkommt, mit der Arbeit des Dachverbandes identifizieren können. Wir wollen loyal zum Verein sein. Es kommen zwar immer mal wieder Kleinstansinnen, um die wir uns natürlich nicht immer kümmern können, da die Leute auch vergessen, dass wir mittlerweile 26 hauptamtliche Mitarbeiter haben und Millionenumsätze im Dachverband machen. Neben der Vertretung waren der Fair-Play-Gedanke, Zivilcourage und Bekämpfung von Ausländerfeindlichkeit immer wichtig. Wenn man davon ausgeht, dass von den 10%-Auswärtskarten, die S04 zustehen, 70 % an Mitglieder des Dachverbandes gehen, passiert wenig. Auch die SKB sagen, dass bei Auswärtsfahrten zu 99 % alles in Ordnung ist. Ich selbst spreche auch die Bezirksvorsitzenden an, wenn ich sehe, dass Mitglieder sich auf Fahrten daneben benehmen. Wenn nach Gesprächen keine Änderung zu erkennen ist, werden auch Kartensperren ausgesprochen. Dann setzt meist auch ein Selbstreinigungsprozess bei dem Fanklub ein, wenn Viele wegen Einzelnen keine Karten mehr bekommen. Auch die Jugendarbeit steht im Fokus. Kann zwar aufgrund der weiten Verflechtungen nicht so, wie bei Sportvereinen, ausgeübt werden. Es wird aber z. B. jedes Jahr ein Gelsenkirchener bei uns eingestellt mit der Zielrichtung der Übernahme. 31 Auf Nachfrage: Die Tätigkeit beim Aufsichtsrat entstammt der Arbeit des Dachverbandsvorsitzenden. Meine Fanarbeit wird hier auch sehr geschätzt, meinen Vorschlägen aus Sicht der Fans stimmt man zu und ich habe Mitstimmrecht bei allen Entscheidungen. Leitfrage 7: Von ihrem in zahlreichen Ultramanifesten postulierten Selbstverständnis bezeichnen sich die Ultras als die „einzig wahren Fans“. Inwieweit spielt die Ultraproblematik in die Fanklubs und den Dachverband hinein? Antworten: Bezeichnen sich als die einzig wahren Fans. Was ja fast alle Fans tun. Bei den Ultras stört es mich ungemein, da sie ja ein Durchschnittsalter von 18-20 Jahren haben, viele sind erst 14 oder 15 Jahre alt. Sie reden über Traditionen, viele waren noch gar nicht da, als die andern, wie ich, schon in der Glückaufkampfbahn standen und den Verein unterstützt haben. Ich halte jemanden für einen wahren Fan, wenn er alles Gute für den Verein tut. Es kommt auch u.a. auf das Erscheinungsbild der Gruppe an, dass es zu keinen Straftaten kommt. Auch wenn man einige Vereine nicht leiden mag, muss der Respekt vor dem gegnerischen Verein da sein. Dies fehlt bei einigen Fans. Fans sind wichtig, Fans zahlen Eintrittspreise und machen den Verein interessant. Siehe Leverkusen und Wolfsburg, für die sich die Medien kaum interessieren, da sie über keine Fankultur verfügen. Ultras nehmen sich einfach raus, die einzig wahren Fans zu sein und gehen auch nach Gesprächen nicht davon ab. Leitfrage 8: Was machen die Fanklubs bzw. der Dachverband, um Gewaltphänomenen zu begegnen? Antworten: Das, was in der Satzung steht, nämlich der Fair-Play-Gedanke steht an 1. Stelle. Fanklubs machen besondere Aktionen und wir fahren dann mit Spielern dorthin und nehmen teil oder stellen uns für Gespräche zur Verfügung. 32 Wir machen auch selbst Aktionen, wie z. B. zurückliegend gemeinsam mit der Bogestra „Spieler und Fans gegen Gewalt“, die sich auf Straßenbahnen und Busse bezog, in denen keine Gewalt stattfinden sollte. Die Spieler standen als Paten zur Verfügung. So etwas wollen wir jetzt zum 30jährigen Bestehen auch wieder aufleben lassen. Gespräche sind schon geführt. Darüber hinaus werden Aktionen der Fanklubs durch Verein und Sponsoren honoriert. Wir richten auch Fußballturniere aus. Es muss klar sein, dass der Fußball im Vordergrund steht, wichtig ist und Gewalt dort nichts zu suchen hat. Themenkomplex III: Allgemeine Einschätzungen/Bewertungen Leitfrage 9: Wie sieht Ihre Prognose hinsichtlich der Entwicklungen im Fanverhalten allgemein und des Ultraphänomens im Besonderen kurz-/mittel-/langfristig aus? Geben Sie diesbezüglich auch eine Einschätzung über die Entwicklung von Gewalteskalationen ab. Antworten: Die Entwicklung sehe ich mit Sorge. Anfangs wurden die Ultras noch von den Fanklubs unterstützt, auch heute sind noch viele doppelt tätig. Aber es ist nicht mehr wie vor 2-3 Jahren. Es ist eine neue Generation herangewachsen, die erlebnisorientierte Fans werden wollen. Ich schließe mich daher der Prognose unserer SKB an, wonach die Gewalt und die Anzahl der Straftaten zunehmen werden. Als Beispiel sei genannt, ein Vorfall, der in der Presse gar nicht thematisiert wurde. Bei dem letzten Spiel wurden drei Busse mit Nürnbergfans an der Glückaufkampfbahn von BVB-Anhängern überfallen. Das wird man nicht hinnehmen. Es gibt sicher Rache und so wird es eine Schraube der Gewalt geben. Meine Sorge ist, dass dann wieder Hooligangruppierungen aufleben. Man hat ja auch in dieser Saison schon gesehen, was sich in Karlsruhe, Frankfurt und Stuttgart ereignet hat. Meine Sorge ist, dass sich der DFB das nicht lange ansieht, die Gewalt den Stehrängen zuschreibt und wie in England nur Sitzplätze zulässt. Die Fans machen sich hierüber keine Gedanken. Wir in Schalke haben auch keine Fangnetze. Wir haben es jetzt über Jahre geschafft, dass durch Schalkefans nicht gezündelt wurde. Aber ich weiß nicht, wie 33 die Entwicklung sein wird und wie der Verein dann darauf reagiert. Teilweise sind die alten Fans, die den Ehren-Kodex noch gelebt haben, nicht mehr da. Ich weiß auch nicht, wie man die Gewalt eindämmen kann. Stadionverbote schrecken zwar kurzfristig ab, aber sind nicht von Dauer. Es geht nur, wenn zusammengearbeitet wird und man sich gegenseitig versteht. Alle müssen an einem Strang in der Bundesliga ziehen. Da wird es auch nicht helfen, dem Fanprojekt einen zusätzlichen Mitarbeiter zur Verfügung zu stellen. Leitfrage 10: Wo sehen Sie insgesamt erfolgskritische Faktoren um Gewaltphänomene zu minimieren? Gehen Sie dabei bitte auch auf die Verantwortung der anderen Bedarfsträger, wie Polizei, Ordnungsdienste, Kommunen, DFB, etc. ein. Wo sehen sie Optimierungspotenzial? Antworten: Am Beispiel vom Freundschaftsspiel Magdeburg-Schalke, was unter dem Namen „Gas gegen Gewalt“ vom Schalker Hauptsponsor organisiert wurde, kam es nach Provokationen durch die Magdeburger Fans zu Ausschreitungen, die im Fernsehen zu sehen waren. Das hätte bei besserer Zusammenarbeit verhindert werden können, da feststand, dass Schalke mit Problemfans kommen wird. Trotz der Erkenntnisse und aufgrund einer anderen Lage im Stadtgebiet gab es kaum Polizei im Stadion und auch nur einen unzureichenden Ordnerdienst. Hier müsste die Zusammenarbeit aller Beteiligten so gut wie in Gelsenkirchen sein. Hier muss der ehemalige Einsatzleiter Grzella mal gelobt werden, der das Grundkonzept entwickelt hat. Alle kümmern sich, ohne das der Fan das Gefühl hat, überwacht zu werden. Auch wenn es für die Gästefans nicht immer angenehm ist, ist der Bustransport zum Stadion eine notwendige Sache, um sie zu schützen und um auch die Bevölkerung zu schützen. Es ist auch eine Serviceleistung. In Schalke setzen wir auch an den Eingängen Fanordner ein, die einschreiten können, z. B. Betrunkene aus dem Verkehr ziehen, bevor es zu einem Einschreiten durch die Polizei kommen muss. Es werden auch Verbindungspersonen für Fanbeauftragte abgestellt. 34 Leitfrage 11: In Italien ist die Gewalt im Fußball teilweise eskaliert. Es kam u.a. zurückliegend zu den Todesfällen des Polizeibeamten Filipo Raciti, des Fans Gabrielle Sandri und jüngst zu einem Todesfall eines Fans im Zuge eines Busunfalls auf einer Auswärtsfahrt. Die Tragweite des Einflusses der Ultraszene in Italien hat eine Dimension erreicht, die von einigen Autoren in den Bereich der organisierten Kriminalität gerückt wird. Bitte führen Sie aus, ob Sie italienische Verhältnisse in Deutschland für denkbar halten? Antworten: Eigentlich ganz klar nein! In dem Ausmaß wie in Italien nicht. Dass es an Gewaltbereitschaft zunimmt, haben wir ja schon besprochen. PVB können auch mal bedroht werden, wenn sie alleine in einen Block gehen. Aber so wie in Italien wird es nicht kommen, dafür arbeiten alle zu gut zusammen. 35 1.4 Experteninterview 4: PD Richter, POR Scharnowski, PHK Grünebohm und Herr Bartelt Datum: 12.06.2008 Länge: 78:03 Minuten Themenkomplex 1: Beschreibung der Ist- Situation Leitfrage 1: Die Fußballsaison 2007/2008 ist mittlerweile beendet. In Ihren Zuständigkeitsbereich fallen die Heimspiele des 1. FC Union Berlin in der Regionalliga Nord. Wie fällt ihr Urteil über die abgelaufene Spielzeit aus? Beschreiben Sie dabei aus Ihrer Wahrnehmung heraus die derzeitige Gewaltsituation rund um die Spiele von Union Berlin und wenn es ihnen aus der Funktion heraus möglich ist, auch darüber hinaus. Antworten: Bartelt: Ultraszene hat immer mehr jugendlichen Zulauf, meist aus Sprayerszene. Tendenz: C-Fans abnehmend / B-Fans weiter steigend. Polizei muss sich vermehrt mit größeren Personengruppen auseinandersetzen. Gegenseite richtet Verhalten zunehmend mehr auf polizeiliche Verhaltensweise aus. Man kann sagen, das Verhalten ändert sich quartalsweise. Sie agieren nicht offen, sondern abgeschottet und konspirativ; sie sind meist nicht dort, wo wir sie erwarten (verabreden sich vorher oder telefonisch). Sie agieren in Guerillataktik (in Gruppen von 5-6 Personen entfernen sie sich vom Stadion). Gewaltsituation lässt sich nicht allgemein beantworten; ist abhängig von Gästeverein (Anzahl/Potenzial der Fans) und von sportlicher Situation/Tabellensituation. Fans sind sehr gewaltbereit und Gewalt suchend, aber nicht unbedingt in der Öffentlichkeit. Polizei ist es meist gelungen, sie von Gewalttätigkeiten abzuhalten. 50-100 Personen haben es immer wieder mal versucht, in die Nähe der Gästefans zu gelangen. 36 Scharnowski: Im Abgleich zur Vorsaison, was das Fanverhalten und die Anzahl der Straftaten nur auf Heimspiele bezogen betrifft, lässt sich feststellen einschließlich der Ultras und dem Wuhlesyndikat, dass sie sehr vereinsorientiert sind; der Verein hatte große Probleme, Bsp.: Stadionumbau. Führt dazu, dass die Fans dem Verein offensichtlich nicht schaden wollen, halten sich strikt an Absprachen, was Abbrennen von Pyrotechnik und Gewaltdelikte betrifft. Anders als bei Dynamo Dresden, die ebenfalls erhebliche Probleme haben, wo diese aber am Präsidium festgemacht werden. In der abgelaufenen Spielzeit Straftaten im dreistelligen Bereich, viele, die an den Gästefans festgemacht werden müssen. KV-Delikte unter 20 (Heimspiele/Pokal und FS gegen Leeds) Widerstandsdelikte 13-14 (überschaubar) Sachbeschädigungen unter 20. In Relation zur Vorsaison weniger. Polizei gut aufgestellt durch Differenzierung und Arbeit der Fachdienststellen, wie LKA 712, die die Szene bestens kennen und Gefährderansprachen vornehmen. Differenzierung in Normal, Risiko- und High-Risk-Spielen (Dresden, Magdeburg) In Relation zur abgelaufenen Spielzeit kann man feststellen, dass die Gästefans, einschließlich Erfurt ein anderes Klientel sind; meist sehr alkoholisiert; permanent Bereitschaft, KV–Delikte o.ä. zu begehen. Suchen die Konfrontation mit Polizei und Fans. Gerade bei Risikospielen lässt sich im Vorfeld durch Sicherheitsbesprechungen, Gespräche mit Fanbeauftragten viel abschöpfen. Man ist auf einem guten Weg. Dadurch ist Mitnahme von Pyrotechnik, Vermummungsgegenständen, etc. rapide zurückgegangen. Man darf aber nicht verhehlen, dass es wichtig ist, weiter am Ball zu bleiben. Professionelle Ordnerdienste + vereinseigene Ordnerdienste, die sich aus ehemaligen B/C-Fans rekrutieren. Professioneller Ordnerdienst eingesetzt bei Gästefans, hier werden die Kontrollmaßnahmen weiter durch Polizei begleitet, da eine Krähe der anderen kein Auge aushackt. Bei Union ist man aber auf einem guten Weg zu einer normalen Fußballszene zu verfallen. 37 Grünebohm: Gästefans sind das Problem, genauso wie wenn Union auswärts spielt. Die Gästefans in Verbindung mit den Problemfans des Heimvereins bestimmen sie Sicherheitslage. Richter: Ost-Derbys sind die problematischeren Spiele; Ausnahme: Spiel gegen Braunschweig, wo man auch Gewalttätigkeiten einplanen kann. Die zur Vorsaison ruhigere Situation ist der Situation geschuldet, dass Polizei lernt. Man hat z. B. bei Trennung von Fanströmen, Anreise mit Bahn usw. anders gehandelt. Durch vernünftigen Ansatz konnten problematische Überkreuzsituationen in der Abstromphase verhindert werden; Nutzen von anders gelegenen Bahnhöfen. Erfurt – Spiel: 1 Bahnhof: Gewalt konnte nur durch erhöhte Polizeipräsenz verhindert werden. Durch unsere Maßnahmen wird latent vorhandene Gewaltbereitschaft einfach nur unterdrückt. Wir hatten günstige Situation, Stadionneubau war im Fokus. Aufrufe zum Vernünftigsein. In den Sicherheitsbesprechungen wurden auch Daumenschrauben angelegt, wie Androhung von Verbot von Vollbierausschank. Dresden – Spiel war Quantensprung. Skript liegt bei. Leitfrage 1a: Wo sehen Sie derzeit für die polizeiliche Einsatzbewältigung die größten Probleme bzw. Herausforderungen? Antworten: Grünebohm: Fantrennung ist das eigentliche Problem. Abhängig von den Faktoren: Einsatzraum (Anbindung an ÖPNV); Anzahl Gästefans/Art der Anreise. Wenn es gelingt, die Fans in Phase 1 (Zustrom) und Phase 3 (Abstrom) zu trennen, gibt es keine Probleme. Einsatzraum Köpenick aufgrund der Infrastruktur problematisch. Es ist gelungen, durch Ausweichen auf einem anderen Bahnhof die Fans zu trennen. 38 Scharnowski: Herausforderung ist der enge Kontakt zum Verein und zu den Gästefans. Infoweitergabe an Gästefans. Die Vorphase der Einsatzvorbereitung ist wichtig. Die Berliner Linie wird den Gästeverein mitgeteilt, damit sie im Vorfeld wissen, was passiert, wenn man das oder das macht, z. B. polizeiliche Begleitung, kein Vollbierausschank, Art der Anreise, was darf mitgenommen werden. Wichtig: Unterstützung des Vereins bei Wahrnehmung der Ordnertätigkeit; ist Vereinsangelegenheit, aber, um so professioneller sie arbeiten, um so mehr kann sich Polizei etwas zurücklehnen, weil weniger Gegenstände (Pyro, waffenähnliche Gegenstände) mit ins Stadion kommen. Stadionneubau. Ist auch wichtig für Polizei, weil im alten Stadion die Befehlsstelle, Notwege und Möglichkeiten zur Fantrennung nicht gut sind. Bsp: Freihalten der Rettungsstufen - Fantrennung Richter: Union ist eine Art Wirtschaftsunternehmen; oftmals geht Wirtschaft vor Sicherheit. Zeigt sich bei Fragen, wie Vollbierausschank, Kontingentierung von Karten; Einflussnahme auf Anreise der Fans (geschlossen mit Bahn, individuell). Bartelt: Bezogen auf Herausforderungen für Fachdienststelle LKA: - Schlechte Infrastruktur im Stadion (keine Räumlichkeiten für Sachbearbeitung) - Aufklärung: nicht nur noch im Stadionnahbereich; meist stadtweit; Anreise der Fans erfolgt häufig schon weit vor polizeilichem Einsatzbeginn, um sich möglichen Maßnahmen zu entziehen und anonym bleiben zu können. - Ablehnen einer direkten Zusammenarbeit; keine Ansprechbarkeit; es können kaum Infos gewonnen, Absprachen getroffen werden. - Internetnutzung BRD/europaweit; durch Vernetzung wissen die Ultragruppierungen besser Bescheid, als die Polizei; Infoaustausch findet ohne Polizei statt. 39 Leitfrage 1b: In den Jahresberichten der ZIS gerät die Ultraproblematik seit einigen Jahren verstärkt in den Fokus. Union verfügt u.a. mit dem „Wühlesyndikat“ auch über eine Ultragruppierung? Bitte beschreiben Sie die Union Ultraszene in ihrer Entwicklung, Zusammensetzung, Organisation und Zielsetzung, wenn möglich auch in Abgrenzung zu Hooligans. Antworten: Bartelt: 3 Ultragruppierungen: - Wuhlesyndikat: ca 100 Personen Kat. B, vereinzelt Kat. C; 18-21 J. - Team Spirit: Ca. 100 Personen, zu 80 % Kat. B, 16-18 Jahre; existieren seit etwa 2 Jahren, kamen schlagartig; sind vom Erscheinungsbild völlig unauffällig; eine Art Nachwuchsorganisation vom Wuhlesyndikat, handeln nicht autark, abhängig von Führungspersonen des WS. - East Devils: ca. 20 Personen; Marzahner Organisation; örtlich beschränkt; eher seltener auftretend. Insgesamt: ca. 250 Personen, davon 200 Kat. B und vereinzelt Kat. C; zu 99 % Deutsche; im jugendlichen und heranwachsenden Alter, Ältere verschwinden entweder ganz oder schließen sich den Hooligans der Brigade Köpenick an. Organisation: enorm diszipliniert und organisiert über alle Kommunikationswege hinweg. Union ist wie eine große Familie, alle kennen sich, Funktionsträger sind entweder alte Sportler oder entstammen der Fanszene; man verfügt so über alle Möglichkeiten sich frei zu bewegen. Ziele: dem Ultramanifest verschrieben (gegen Kommerz, etc.). Vereinsunterstützung: verbal (Heim/Auswärts) + finanziell; ab und zu will man sich ausleben durch Gewalt, teilweise Gewaltfantasien. Scharnowski: Bereitschaft zur Vereinsunterstützung zeigt sich im Stadionneubau, wo viele Fans ihren Urlaub opfern, um mitzuhelfen. 40 Aus den LIS-Berichten lässt sich als höchste Zahl herauslesen 370 Fans Kat. B und 50 Kat. C, ist aber die höchste je wahrgenommene Zahl und beschränkt sich nicht nur aufs Wuhlesyndikat. Keine Vergleichbarkeit von Hools und Ultras. Hools: Gewalt- und nicht spielorientiert Ultras: Spielorientiert, aber latent gewaltbereit Leitfrage 1c: Welche Formen der Gewalt bzw. Gewaltphänomene haben sich in Berlin und speziell bei Union gezeigt und wie hoch schätzen Sie das vorhandene Gewaltpotenzial ein? Antworten: Bartelt: Gewaltphänomene/Formen der Gewalt unterscheiden sich nicht wesentlich von den Phänomenen im Bundesgebiet. Hinsichtlich der Problemfans: Hooligans agieren bei Heimspielen kaum, da von den 25-30 Kat. C-Fans, etwa die Hälfte als Ordner eingesetzt sind. Ultras: Ab und zu KV-Delikte: Bewegen sich in Kleingruppen (4-5) teilweise im Gästeblock oder versuchen schon im Vorfeld die Gästefans aufzuklären. Bei Heimspielen eigentlich keine besonderen Gewaltphänomene, wenn schon mal eher bei Auswärtsspielen, aber dann die normalen Delikte. Potenzial: Enormes Kat. B-Potenzial: ca. 400 bei Heimspielen Bei Auswärtsspielen ähnlich; einmal in Dresden 500 Kat. B Hooliganszene ist eigentlich auch zu vernachlässigen. Teilweise vereinzelte Beteiligungen von Union-Fans an Drittortauseinandersetzungen, aber nie allein, sondern nur in Koalitionen mit BFC; Hertha oder Magdeburg und Braunschweig (Bsp.: Briesen), meist mit Bezug zur Türsteherszene. Scharnowski: Bsp.: letztes Spiel gegen Oberhausen (sportlich brisant) 41 Es gab Absprachen zum Betreten des Rasens nach dem Spiel. Nachdem die Oberhausenfans aus ihrem Block sind, haben Ordner absprachewidrig die Tore zu früh geöffnet; trotz Absperrgitter und Polizeikräfte versuchten Union-Anhänger, auch Wuhlesyndikat zum Block der Oberhausener zu kommen; nur durch Einschreiten konnte Direktkonfrontation verhindert werden. Wenn Polizei nicht gut aufgestellt ist, gibt es Ärger. Leitfrage 1d: In Berlin gibt es die einmalige Situation, dass es sowohl ehemalige Westklubs als auch Ostklubs, wie z. B. Union gibt. Sehen Sie diesbezügliche Unterschiede im Fanverhalten und wie drücken sich diese aus? Gehen Sie bitte auch darauf ein, ob sich grundsätzlich eine Verschiebung der Gewalt in untere Spielklassen feststellen lässt. Antworten: Bartelt: Die Hertha ist eigentlich ein West-Klub, kann man aber nicht mehr so sagen; eher „Gesamt-Berliner-Verein“. Union ist ein Ost-Klub; Fans kommen aus Köpenick bzw. Umland Brandenburgs. Verhalten der Ultras von Hertha und Union unterscheiden sich kaum. Der BFC muss anders bewertet werden; eindeutig ein Ost-Klub; haben nur noch 500-600 Zuschauer. Sie haben bei Heimspielen kaum Probleme, weil kaum Gästefans anreisen. Die Hälfte der BFC-Zuschauer sind Kat. B+C. Sind aggressiver und unzugänglicher als andere Fans, gerade unter Alkohol; auch für Polizei kaum lenkbar. Verschiebung der Gewalt in untere Ligen: Grundsätzlich zusammenhängend mit Alt-Traditionen. Am Beispiel Cottbus zeigt sich aber, dass die Personen, die mit Stadionverboten belegt sind, häufig ausweichen und da auftreten, wo die Polizei sie nicht erwartet, sei es bei Spielen ohne Cottbus Beteiligung oder an Bahnhöfen. Es ist auch festzustellen, das schon A-Jugend-Spiele besucht werden. Scharnowski: Prognose ist vermessen. Grundsätzlich ist Infrastruktur entscheidend und die ist in den unteren Klassen aufgrund der baulichen Situationen und den damit einhergehenden Problemen in der Einsatzbewältigung (Fantrennung, etc.) 42 schlechter als in den Bundesligen, wo eine gute Infrastruktur und ein professioneller Ordnerdienst vorhanden sind. Fakt ist, bieten sich in unteren Klassen Gelegenheiten, werden sie häufig genutzt. Leitfrage 1e: Bei Pilz und anderen Autoren wird als wesentliches Problem meist genannt, das die Polizei das Feindbild Nr. 1 der Ultras ist und eine Kommunikation kaum möglich ist, was das polizeiliche Einwirken auf die Ultraszene schwierig bis unmöglich macht. Würden Sie dieser Behauptung zustimmen? Wie gestaltet sich in Berlin und speziell bei Union die Zusammenarbeit zwischen Polizei und den Fans/Ultras sowie zwischen Polizei und Fanprojekt, Fanbeauftragten, Fanabteilungen und Verein? Gehen Sie bitte darüber hinaus darauf ein, wie aus Ihrer Sicht in Berlin die Zusammenarbeit aller Institutionen im örtlichen Ausschuss Sport und Sicherheit abläuft. Antworten: Bartelt: -grundsätzlich Zustimmung Bei Union muss aber differenziert werden, Polizei ist nicht gleich Polizei. Bundespolizei ist Feindbild Nr. 1; örtliche Polizei eher nicht. Grund: häufig aus Sicht der Fans negative Berührungspunkte mit Bundespolizei Ultras grundsätzlich fast nicht ansprechbar; machen eher das Gegenteil von dem, was Polizei will; wenn Personenmenge vorhanden ist, versuchen sie auch die Polizei zu Maßnahmen zu nötigen; unternehmen alles, was die Polizei ärgern könnte, z. B. häufiger Wechsel vom Bahnsteig auf Straße, da man um unterschiedliche Zuständigkeiten weiß; werden aktiv, gerade auch auswärts in Orten, wo Polizei nicht so gut aufgestellt ist. Eine Ansprechbarkeit durch LKA 712 ist auch nur ganz bedingt möglich. Die Zusammenarbeit mit dem Verein ist gut. Ansprechpartner vorhanden, Selbstreinigungsprozesse greifen. Eine Zusammenarbeit mit dem Berliner Fanprojekt gibt es praktisch nicht, da sie vehement trotz häufiger Versuche von den Mitarbeitern des Fanprojekts abgelehnt wird. Sie reichen einem nicht mal mehr die Hand zum Gruß, weil sie ihre Arbeit 43 sonst verraten sehen. Das ist bei Hertha und Union der Fall, bei BFC findet praktisch keine Fanprojektarbeit statt. Scharnowski: Die Zusammenarbeit Sicherheitsbesprechungen mit Verein, werden Fanbeauftragten Anregungen ist der gut. In Polizei, den wie Vollbierausschankverbot trotz kontroverser Meinung mitgetragen. Es werden auch Fahnenpässe ausgestellt. Also eine personifizierte Legitimation gewisse Fahnen über 1,50 m, etc. mit ins Stadion nehmen zu dürfen. Leitfrage 1f: Haben Sie Erkenntnisse darüber, ob und inwieweit zwischen dem Verein Union Berlin und den Fans speziell den Ultras eine Zusammenarbeit bzw. ein Austausch stattfindet? Kam es Ihres Wissens nach vor, dass die Fans/Ultras konkret Druck auf den Verein ausgeübt bzw. dies versucht haben? Antworten: Bartelt: Verhältnis zwischen Fans und Verein ist sehr gut. Ausübung von konkretem Druck ist nicht bekannt. Es läuft Hand in Hand. Scharnowski: Verein hat Baracken zur Verfügung gestellt, um Fanarbeit des Wuhlesyndikat zu unterstützen. Themenkomplex 2: Einsatzkonzeption / polizeiliches Vorgehen Leitfrage 2: Wie begegnen Sie in Berlin der gestiegenen Aggressivität und der besonderen Fan-/Ultraproblematik? Sind Änderungen in der Einsatzkonzeption erforderlich, bereits vorgenommen worden oder geplant? Gibt es einheitliche Standards für sämtliche größere Fußballspiele in Berlin oder sind die Konzepte einzelfallabhängig? Gehen Sie bitte darauf ein, wo sie in der polizeilichen Einsatzbewältigung erfolgskritische Faktoren sehen, um die Gewaltphänomene zu minimieren. 44 Antworten: (Anmerkung: Einsatzbefehle sind exemplarisch beigefügt worden): Grünebohm: In Berlin gibt es einheitliche Standards, was die Führung von Fußballspielen betrifft. Es soll möglichst eine begrenzte Anzahl von PF geben, um eingespielt zu sein. Es führt meist der zuständige Abschnitt, hier für Köpenick der Abschnitt 66; bei größerem Personalansatz führt die Direktion, ab und zu führen auch PF der Bereitschaftspolizei, die aber einsatzerfahren sind. Darüber hinaus gibt es Grundsatzbefehle für alle Spielorte, die sich eigentlich nur in den Einsatzräumen unterscheiden, was Auswirkungen auf das polizeiliche Einsatzkonzept hat. Im Olympiastadion wird ein reines Raumschutzkonzept gefahren. Bei Union liegt der Schwerpunkt auf dem EA Gästefans und dem EA Heimfans, die in der Zuund Abstromphase auch begleitet werden. Leitfrage 2a: Wie wichtig erachten Sie ein einheitliches Vorgehen bzw. abgestimmte Maßnahmenkonzepte in allen bedeutsameren Fußballstandorten für die Akzeptanz polizeilichen Handelns? Antworten: Scharnowski: Gewisse Maßnahmen sollten einheitlich sein, u.a. Durchsetzung der Stadionverbote. Der Infoaustausch/-fluss auch zwischen Polizei und Gästeverein sollte intensiviert werden. Es sollten zumindest für die Fans die gleichen Rahmenbedingungen vorherrschen. Die Linie der Polizei sollte bekannt sein. Grünebohm: Es wurden in Berlin für den BFC Einsatzleitlinien entwickelt (dem Interviewer ausgedruckt übergeben), die, weil sinnvoll auch für Union-Spiele übernommen wurden. Sie geben an, welche Verhaltensweise, die auch unterhalb der Strafbarkeit liegen können, nicht geduldet werden, u.a. ausländerfeindliche Sprüche. Darüber hinaus beinhaltet es ein Maßnahmenkonzept, was ein Gespräch mit dem Schiedsrichter umfasst, wo ihm erklärt wird, was Polizei erwartet und 45 über Spielunterbrechungen bis zum Spielabbruch führen kann. Hier wäre es anzustreben, so etwas bundesweit umzusetzen. Themenkomplex 3: Einschätzung / Bewertung Leitfrage 3: Wie sieht Ihre Prognose hinsichtlich der Entwicklungen von Gewaltphänomen insgesamt und besonders im Zusammenhang mit der Ultraszene kurz-/mittel-/langfristig aus? Antworten: Bartelt: Ultra Szene bekommt Zulauf; Szene wird immer jünger werden (jetzt schon teilweise 14-15 Jahre alt). Gewalt/Gewaltphänomen wird abhängig von Masse sein (Anzahl von Personengruppen, etc.). Sollte die Ultrabewegung weiter zunehmen, wird es schon als Druckmittel eingesetzt, um auf Polizei und Vereine, Verbände einzuwirken. Leitfrage 3a: Hat sich die Fanarbeit in Deutschland Ihrer Meinung nach bewährt oder sehen sie vor dem Hintergrund der steigenden Aggressivität und der besonderen Ultraproblematik Ansatzpunkte oder Optimierungsmöglichkeiten? Antworten: Bartelt: Aussage beschränkt sich auf Berlin. Union: Fanarbeit bei Union sehr gut, obwohl sie nur ehrenamtlich erfolgt. Hertha: Einfluss der Fanbetreuer auf die Ultras nicht optimal, obwohl 3 oder 4 hauptamtliche Mitarbeiter dort tätig sind. Eine Optimierungsmöglichkeit wird im Zusammenwirken mit dem Fanprojekt gesehen, welche eigentlich nicht stattfindet. Aggressivität ist vorhanden, aber Gewaltbereitschaft wird nicht als steigend bezeichnet. 46 Leitfrage 3b: In Italien ist die Gewalt im Fußball teilweise eskaliert. Es kam u.a. zurückliegend zu den Todesfällen des Polizeibeamten Filipo Raciti, des Fans Gabrielle Sandri und jüngst zu einem Todesfall eines Fans im Zuge eines Busunfalls auf einer Auswärtsfahrt. Die Tragweite des Einflusses der Ultraszene in Italien hat eine Dimension erreicht, die von einigen Autoren in den Bereich der organisierten Kriminalität gerückt wird. Bitte führen Sie aus, ob Sie italienische Verhältnisse in Berlin bzw. Deutschland für denkbar halten? Antworten: Richter: Es gibt 3 Parameter, die wichtig erscheinen: - Bei problematischeren Spielen (High-Risk-Spiele) sind bei den Sicherheitsgesprächen der StA oder gar OStA anwesend, die anschaulich verdeutlichen, welche Strafen folgen können. - Berliner Polizei Linie ist sehr konsequent; Gästefans wissen im Vorfeld, was sie erwartet. - Verstärktes Anwenden des Berliner Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (BASOG): Maßnahmen des NOFV/DFB sollen mit gesetzlichen Regelungen untermauert werden: Teilanschlüsse von Fans, Spielunterbrechungen; Bsp: Sicherheitsgesetz Dresden: Geldstrafen angedroht Scharnowski: Niemals nie sagen. Einzelsituationen, wie aktuell Bochum, haben gezeigt, dass stets der Einzelfall sowie die sportliche Situation, etc. professionell beurteilt werden müssen. Italienische Verhältnisse kann ich mir nicht vorstellen. Lebt aber von Vereinen, Ordnerdiensten. Sicherheitsaspekt muss noch deutlicher werden. Bestreben ist, dass Kräfteansatz im Vergleich zu den Vorjahren reduziert werden kann. 47 Bartelt: Die politischen/gesellschaftlichen Verhältnisse sind so unterschiedlich, dass sie kaum vergleichbar sind. Szene in Italien links und rechts stark politisiert, auch die organisierte Kriminalität ist anders aufgestellt. In Deutschland undenkbar. Polizei, DFB, Vereine sind in Deutschland schon zu weit fortgeschritten/gut aufgestellt. Ausnahmen können natürlich nicht ausgeschlossen werden. 48 1.5 Experteninterview 5: POR Henning und PHK Brabandt Datum: 12.06.2008 Länge: 49:07 Minuten Themenkomplex 1: Beschreibung der Ist- Situation Leitfrage 1: Die Fußballsaison 2007/2008 ist mittlerweile beendet. In Ihren Zuständigkeitsbereich fallen die Heimspiele des BFC Dynamo in der Oberliga NOFV- Nord. Wie fällt ihr Urteil über die abgelaufene Spielzeit aus? Beschreiben Sie dabei aus Ihrer Wahrnehmung heraus die derzeitige Gewaltsituation rund um die Spiele des BFC Dynamo und wenn es ihnen aus der Funktion heraus möglich ist, auch darüber hinaus. Antworten: Henning: Zum Glück ist BFC nicht aufgestiegen, ansonsten hätte es zukünftig mehr Brisanzspiele gegeben, was in der abgelaufenen Spielzeit schon einige Male der Fall war. Heimspiele: ca 1000-1200 Zuschauer, davon nur ca. 20 bis maximal 100 Auswärtsfans; bei Auswärtsfahrten ca. 700-800 BFC-Fans. Differenzierung nach Auswärts-/Heimspielen: Auswärtsspiele: Begleitung durch SKB. Gerade in fremden Stadien wird durch BFC-Fans Gewalt ausgeübt. Bsp.: Türkiyem, Tennis Borussia Berlin, Ludwigsfelder FC, Rostock Teilweise werden gezielt PVB angegangen, Präsident provoziert im angetrunkenen Zustand selbst, es wird vonseiten der Fans gepöbelt und geschubst. Viele Strafanzeigen nach Spielen z. B. 8 in Türkiyem/ 24 Strafanzeigen in Ludwigsfelde/ 7 in „Yessilow“. Mangels Gegnerschaft im Fanbereich wird bewusst Auseinandersetzung mit der Polizei gesucht. Nicht-Berliner Einsatzkräfte erkennen häufig Tragweite nicht und gehen zu sorglos an die Spiele heran; Fans nutzen das sofort aus und testen Grenzen aus. 49 Heimspiele: Verlaufen relativ ruhig, da keine Gästefans vor Ort. Trotzdem wurde als taktische Variante stets eine starke Polizeipräsenz (1 Einsatzeinheit) aufgeboten, da zu beobachten war, dass sobald Polizei schwächer aufgestellt ist, Gewalttätigkeiten versucht werden. Verein hat sich hierüber beschwert, fühlte sich stigmatisiert. Gaben an, die Fans im Griff zu haben, was natürlich nicht der Fall ist. Da zurückliegend keine Feststellungen getroffen wurden, wurde in Absprache mit den Verantwortlichen der Kräfteansatz reduziert. Spiele waren danach geprägt von fanorientiertem Verhalten, teilweise von rassistischen Rufen, die unterhalb der Strafbarkeit lagen. Ausnahme war das Rückspiel gegen Rostock, wo es im Hinspiel zu Ausschreitungen kam. Hier wurde eine Einsatzeinheit eingesetzt. Es kamen 115 Fans aus Rostock. Es ist nur um Haaresbreite gut gegangen. Direkt nach dem Schlusspfiff verfolgten 50-60 B/C-Fans die Rostocker bis zum Fernsehturm Alex. Auseinandersetzung wurde gesucht. Konnte nur durch Präsenz verhindert werden. Auch wenn der Verein Besserung gelobt, ist das nicht so, Fans haben nur eins im Sinn, sie sind erlebnisorientiert, sie wollen ihrem Verein die Treue halten; die Liga ist ihnen egal. Sie suchen die Auseinandersetzungen. In der letzten Zeit ist zu beobachten, dass eine Gruppe Nachwuchs-Hools heranwächst. Zusammengefasst: Heimspiele relativ ruhig, bei Auswärtsspielen zeigen sie ihr wahres Gesicht und suchen die Gewalt, machen auch vor SKB nicht halt. Brabandt: Der Fanbeauftragte Lüdke gehört seit 25 Jahren zum festen Hoolbestand, auch wenn er sich äußerlich anders gibt, ist er innerlich ein Hool geblieben. Er zieht die Fäden und hat alles in der Hand. Ein vorheriger Präsident, der den Verein in normale Fahrwasser führen wollte, ist daran gescheitert. Das Fanpotenzial liegt bei etwa 700-1000 Fans. Es bleibt eigentlich immer stabil. Es handelt sich seit 20-25 Jahren um dieselben Führenden, mittlerweile sind schon die Kinder dabei. 50 Teilweise mischen sich unter die Hools Jugendliche, die mit Fußball nichts am Hut haben, sondern nur gehört haben, dass beim BFC was los ist. Vielfach ist der Sicherheitsdienst machtlos. Es heißt zwar, dass im Stadion seit 2 Jahren Ruhe herrscht. Ruhe heißt aber, dass auf der anderen Seite eine „drohende Masse“ steht und der Funke fehlt, damit die Situation eskaliert. Sollte dies der Fall sein, werden die Kräfte nicht ausreichen, um die Lage zu beruhigen. Leitfrage 1a: Wo sehen Sie derzeit für die polizeiliche Einsatzbewältigung die größten Probleme bzw. Herausforderungen? Antworten: Henning: - Unberechenbarkeit der Fans; BdL kann sich nicht auf Anzahl der Gästefans stützen, sondern man muss immer damit rechnen, dass BFC-Fans was planen. - angespannte Personalsituation in Berlin und damit einhergehend das Problem, dass man häufig nicht so viele Kräfte bekommt, wie es die BdL ergibt. - Glaubwürdigkeit des Vereins: Sind zwar um Glaubwürdigkeit bemüht, erreichen aber ihre Problemfans nicht. -Jung Hools, sehr erlebnisorientiert; auf Ärger aus Brabandt: Zusammenarbeit mit dem Verein: nicht verlässlich; Absprachen werden nicht oder nicht so eingehalten, wie besprochen, da der komplette Sicherheitsdienst, etc. mit den Problemfans verbunden und nicht einschreitet oder machtlos ist Leitfrage 1b: In den Jahresberichten der ZIS gerät die Ultraproblematik seit einigen Jahren verstärkt in den Fokus. Verfügt der BFC über eine Ultragruppierung? Wenn ja, bitte beschreiben Sie die BFC-Ultraszene in ihrer Entwicklung, Zusammensetzung, Organisation und Zielsetzung, wenn möglich auch in Abgrenzung zu BFC Hooligans. Wenn nicht, beschreiben Sie bitte ihre problematische Fanszene. 51 Antworten: Henning: Keine etablierte Ultragruppierung Es gibt „Rio Sport“, jedoch machen sie keine Choreografien, o.ä.; vielmehr ist der Übergang zu den BFC-Hools (Kat B/C) fließend. Problemgruppen sind: Alt-Hools auf der Ehrentribüne (30-45 Jahre alt), schon lange dabei, harte Jungs aus dem Osten; lassen sich bei den Spielen von einem Sicherheitsdienst bewachen, obwohl sie nicht gefährdet sind, um ihre Wichtigkeit und Macht zu demonstrieren. Es bestehen bei dem Sicherheitsdienst Verbindungen zur Rockerund Türsteherszene (näher möchte Herr Henning darauf nicht eingehen) Der Polizei, auch den SKB wird vielfach der Zugang zur Tribüne verwehrt, sodass man sich den Zugang erzwingen muss. Es wird also vonseiten der Hools provoziert. Die übrigen Hools (ca. 600-800), davon viele Nachwuchs-Hools befinden sich auf der Gegentribüne. Sie tun sich immer mehr hervor, versuchen zu provozieren und suchen die Auseinandersetzung (Bsp.: Spiel gegen Tennis Borussia). Leitfrage 1c: Welche Formen der Gewalt bzw. Gewaltphänomene haben sich in Berlin und speziell beim BFC gezeigt und wie hoch schätzen Sie das vorhandene Gewaltpotenzial ein? Antworten: Henning: Die Gewaltsituation wurde schon beschrieben. Es wurden keine Drittortauseinandersetzungen in Berlin festgestellt. Wir haben aber eine Absprache für das Spiel in Rostock mitbekommen. Es herrscht insgesamt eine abgeschottete Vorgehensweise. Besondere Gewaltphänomene, wie Abbrennen von Pyrotechnik, Vermummung, Bannermärsche finden nicht statt. Vorgehensweise: Kommen alkoholisiert, saufen weiter, pöbeln, gucken Fußball, pöbeln, schlagen. Der Grad gegen PVB vorzugehen ist stark ausgeprägt; ebenfalls ist eine Solidarisierung sehr stark; bei Festnahmen stehen sofort 30-100 BFC-Hools bereit, um sich zu wehren. 52 Brabandt: Man hat in den zurückliegenden Jahren die Erfahrung gemacht, dass die Hools auch gezielt einzelne PVB angegangen sind, wenn sich die Gelegenheit bot. Leitfrage 1d: In Berlin gibt es die einmalige Situation, dass es sowohl ehemalige Westklubs als auch Ostklubs, wie z. B. den BFC gibt. Sehen Sie diesbezügliche Unterschiede im Fanverhalten und wie drücken sich diese aus? Gehen Sie bitte auch darauf ein, ob sich grundsätzlich eine Verschiebung der Gewalt in untere Spielklassen feststellen lässt. Antworten: Henning: Als interessierter Fußballbeobachter fällt schon auf, dass es in den unteren Ligen häufiger zu Spielabbrüchen kommt. Das liegt aber auch daran, dass die Infrastruktur nicht so optimal ist. Anders als im Olympiastadion, im JahnSportpark, in der Alten Försterei und im Sportforum ist dort eine Fantrennung nicht möglich, weil der Platz nur mit Handlauf versehen ist, über den man leicht springen kann. Von den 130 Vereinen in Berlin gibt es auch zahlreiche ausländische Vereine, wo Emotionen eine Rolle spielen. Es kommt daher häufiger zu Auseinandersetzungen, die zu Spielabbrüchen führen. In Regional- oder Oberliga war das nicht der Fall. Auffällig ist, dass schon den A-Jugendlichen des BFC Aggressivität entgegen schlägt, nur weil sie das Logo des BFC auf der Brust tragen. Was Ost/West-Gefälle angeht, kann nicht gesagt werden, dass es im Westen der Stadt weniger Gewalt gibt. Gewalt kommt hier eher in Spielen gegen ausländische Vereine vor und dann auch häufig eher von Spielerseite, als von Zuschauerseite. 53 Leitfrage 1e: Bei Pilz und anderen Autoren wird als wesentliches Problem meist genannt, das die Polizei das Feindbild Nr. 1 der Ultras ist und eine Kommunikation kaum möglich ist, was das polizeiliche Einwirken auf die Ultraszene schwierig bis unmöglich macht. Würden Sie dieser Behauptung zustimmen? Wie gestaltet sich in Berlin und speziell beim BFC die Zusammenarbeit zwischen Polizei und den Fans/Ultras sowie zwischen Polizei und Fanprojekt, Fanbeauftragten, Fanabteilungen und Verein? Gehen Sie bitte darüber hinaus darauf ein, wie in Berlin die Zusammenarbeit aller Institutionen im örtlichen Ausschuss Sport und Sicherheit abläuft. Antworten: Henning: Der örtliche Ausschuss Sport und Sicherheit ist mir nicht bekannt. Er wird nicht durch BFC bedient bzw. es ist seitens der Polizeiverantwortlichen für das Sportforum niemand vertreten. Ultras sind nicht vorhanden. Mit dem Fanbeauftragten Herr Lüdke, dem Alt-Hool ist eine Zusammenarbeit nicht möglich, auch nicht gewünscht. Der „BFC-Fan“ ist ideologisch behaftet („Ost-Vergangenheit“), das schweißt zusammen. Es findet ein Sicherheitsgespräch vor jedem Spiel statt; wo man versucht zu kooperieren; alle weiteren Gesprächsangebote werden unter Ausreden abgeschlagen. Leitfrage 1f: Haben Sie Erkenntnisse darüber, ob und inwieweit zwischen dem Verein BFC Dynamo und den Fans speziell den Ultras eine Zusammenarbeit bzw. ein Austausch stattfindet? Kam es Ihres Wissens nach vor, dass die Fans/Ultras konkret Druck auf den Verein ausgeübt bzw. dies versucht haben? Antworten: Brabandt: Erkenntnisse darüber liegen konkret nicht vor. Aber es ist bekannt, dass die Fangemeinde und der Fanbeauftragte, Herr Lüdke, mit Verbindungen zur organisierten Kriminalität auf den letzten Präsidenten, der den Verein normalisieren wollte, Druck ausgeübt hat, mit der Konsequenz, dass 54 nachher kein Geld mehr da war und der Präsident zurücktrat und eine Person in den Wirtschaftsrat gewählt wurde, die ebenfalls Verbindungen zur OK hat. Themenkomplex 2: Einsatzkonzeption / polizeiliches Vorgehen Leitfrage 2: Wie begegnen Sie in Berlin der gestiegenen Aggressivität und der besonderen Fan-/Ultraproblematik? Sind Änderungen in der Einsatzkonzeption erforderlich, bereits vorgenommen worden oder geplant? Gibt es einheitliche Standards für sämtliche größere Fußballspiele in Berlin oder sind die Konzepte einzelfallabhängig? Gehen Sie bitte darauf ein, wo sie in der polizeilichen Einsatzbewältigung erfolgskritische Faktoren sehen, um die Gewaltphänomene zu minimieren. Antworten: Henning: Jeder PF nimmt seine Beurteilung der Lage vor, die somit einzelfallabhängig ist; einheitliche Standards für Fußballspiele gibt es in Berlin so nicht. Als erfolgskritischer Faktor wird ein starker Kräfteansatz gesehen, um eine mögliche Gegenwehr durch Präsenz zu ersticken. Der Befehl sieht BAO vor mit: EA Stadion, EA Eingreifkräften, verstärkte Bedo-Maßnahmen sowie Aufklärung durch das LKA 712/SKB. Darüber hinaus gibt es in Berlin Leitlinien für PF. Die sehen u.a. an die Vorgaben des Fußballverbandes anknüpfend, Sicherheitsbesprechungen mit dem Schiedsrichter vor. Es wird auch ein Verbindungsbeamter zum Schiedsrichter eingesetzt. Ihm werden die Erwartungen mitgeteilt, wenn es zu Ausschreitungen oder rassistischen Rufen kommen sollte. Hier werden auch nur Richtlinien des NOFV beachtet. Die Maßnahmen gehen von Spielunterbrechung, Durchsagen bis hin zum Spielabbruch. Sollte der Schiedsrichter dem nicht nachkommen, würde als letzte Maßnahme die Polizei aufgrund gefahrenabwehrender Gründe das Spiel abbrechen. 55 Darüber hinaus sollte mehr Gebrauch von Stadionverboten gemacht werden. In Berlin werden die Regelungen des NOFV und des DFB übernommen und angewendet, obwohl sie eigentlich nicht für die 5. Liga gelten. Vor jedem Spiel findet eine Sicherheitsbesprechung statt, wo LIS / 1 SKB/ PF/Führungsgehilfe PF/ Verein/ Stadionverwalter und Gastverein vertreten sind. Hier kommt es dann auch dazu, das manchmal der Alkoholausschank untersagt wird (bei Risikospielen sowieso). Nachfrage zu Stadionverboten: Brabandt: Stadionverbotsverordnung des DFB wurde für alle Spiele des NOFV übernommen. Beim BFC auf Nachdruck der Polizei letztlich auch. Es gibt natürlich Unterschiede, je nachdem, wen es in der Hierarchie trifft. Dann werden die Regelungen auch durch Verein oder auch mal durch den Verband aufgeweicht bzw. die Situationen verharmlost. Leitfrage 2a: Wie wichtig erachten Sie ein einheitliches Vorgehen bzw. abgestimmte Maßnahmenkonzepte in allen bedeutsameren Fußballstandorten für die Akzeptanz polizeilichen Handelns? Antworten: Henning: Taktische Konzepte werden immer einzelfallabhängig sein, da jeder PF die BdL für seine Lage machen muss. Einheitliche Konzepte halte ich für wichtig und sinnvoll, z. B. bei der Einflussnahme auf den Schiedsrichter. Hier wäre es auch ein Signal an die Fußballöffentlichkeit. Ähnliches ist ja in dieser Saison durch Herrn Gagelmann gemacht worden, der bei einem Nürnbergspiel wegen Abbrennen von Pyrotechnik das Spiel unterbrochen hatte. 56 Themenkomplex 3: Einschätzung / Bewertung Leitfrage 3: Wie sieht Ihre Prognose hinsichtlich der Entwicklungen von Gewaltphänomen insgesamt und besonders im Zusammenhang mit der Fan-/Ultraszene kurz-/mittel-/langfristig aus? Antworten: Henning: Keine Änderungen zu erwarten, man stößt auf taube Ohren. Die Ost-Ideologie ist maßgeblich. Wir werden also keine Änderungen in der Gewalt erleben, höchstens in der Einsatzbewältigung. Neue Gewaltphänomene werden nicht erwartet. Es wird weiter zur Verschiebung der Gewalt in untere Ligen kommen, u.a. wegen der Ausländersituation, die ich schon beschrieben habe. Grundsätzlich erwarte ich auch keine Probleme in der Einsatzbelastung, höchstens kann es in Ausnahmefällen mal aufgrund knapper Ressourcen zu Problemen kommen. Leitfrage 3a: Hat sich die Fanarbeit in Deutschland Ihrer Meinung nach bewährt oder sehen sie vor dem Hintergrund der steigenden Aggressivität und der besonderen Ultraproblematik Ansatzpunkte oder Optimierungsmöglichkeiten? Antworten: Henning: Kein Statement 57 Leitfrage 3b: In Italien ist die Gewalt im Fußball teilweise eskaliert. Es kam u.a. zurückliegend zu den Todesfällen des Polizeibeamten Filipo Raciti, des Fans Gabrielle Sandri und jüngst zu einem Todesfall eines Fans im Zuge eines Busunfalls auf einer Auswärtsfahrt. Die Tragweite des Einflusses der Ultraszene in Italien hat eine Dimension erreicht, die von einigen Autoren in den Bereich der organisierten Kriminalität gerückt wird. Bitte führen Sie aus, ob Sie italienische Verhältnisse in Berlin bzw. Deutschland für denkbar halten? Antworten: Henning: Die Ultraszene darf nicht unterschätzt werden, muss genau durch Polizei/SKB beobachtet werden (Gefahrenradar muss ausgefahren werden). Man muss jederzeit aktuelle Erkenntnisse über die Fans haben. Momentan glaube ich aber nicht, dass sich italienische Verhältnisse in Deutschland entwickeln. Anmerkung außerhalb der Aufnahme: Alte Kategorisierung von A/B/C-Fans wird für besser erachtet: Jeder in Deutschland weiß, was damit gemeint ist. „International“: Das Mike Polley1-Gedächtnisturnier mit 16-17 Fan-Mannschaften aus Europa wird durch den BFC ausgerichtet. Gewaltbereite Szene Europas trifft sich somit einmal jährlich in Berlin. 1 Mike Polley war ein 18jähriger Fan des BFC Dynamo, der am 03.11.1990 bei schweren Krawallen am Rande des Spiels BFC Dynamo Berlin-Sachsen Leipzig durch einen Polizeibeamten erschossen wurde 58 1.6 Experteninterview 6: PD Pusch Datum: 16.06.2008 Länge: 51:15 Minuten Themenkomplex 1: Beschreibung der Ist-Situation Leitfrage 1: Die Fußballsaison 2007/2008 ist bereits beendet. In Ihren Zuständigkeitsbereich fallen die Spiele der Bundesligamannschaft, die auch in der Champions League angetreten ist und möglicherweise auch die der Regionalligamannschaft von Werder Bremen. Wie fällt ihr Urteil über die abgelaufene Spielzeit aus? Beschreiben Sie dabei aus Ihrer Wahrnehmung heraus die derzeitige Gewaltsituation rund um den Fußball in Bremen und wenn es ihnen aus der Funktion heraus möglich ist, auch darüber hinaus. Antworten: Daten/Fakten aus abgelaufener Spielzeit: Bundesliga: 90 % der Spiele und 95 % der Zuschauer unproblematisch. B+C Fans machen Probleme, wobei die C – Fans bei Fußballspielen nicht im Stadion und Umfeld auffällig sind. Bremer Hools sind reisefaul, sind nur eigentlich nur 2-mal auffällig geworden und zwar beim KSC und einmal im Westen, mehr aber aufgrund Alkoholisierung. Beteiligungen an Drittortsauseinandersetzungen sind nicht bekannt geworden. Problem sind die Ultras: 50, manchmal bis zu 150 Personen Verhalten nimmt hooligantypische Züge an. Vor/nach dem Spiel (Stadionumfeld/HBF) versuchen sie auf Ultras des Gästevereins einzuwirken; in Kleingruppentaktik gehen sie auch Unbeteiligte an (Rauben von Fanartikeln; Körperverletzungen). Besonderes Phänomen war beim letzten Heimspiel gegen Hannover 96 zu beobachten: Zwischen zwei Ultra- und einer Hooligangruppierung (C+B-Fans) kam es im Vorfeld des Spiels zu Telefonkontaktaufnahmen und mit der Gästegruppierung zu Verabredungen zu Auseinandersetzungen. Von 59 verschiedenen Treffpunkten aus begab man sich zu einem verabredeten Treffpunkt, um gewalttätige Auseinandersetzungen zu suchen. International: Mit gewaltbereiten/-suchenden Gästefans sucht man die Auseinandersetzung, z. B. niederländischen oder belgischen. Es kam zu entsprechenden Vorfällen bei Spielen gegen Basel, Anderlecht, Amsterdam und Chelsea. Wenn Klientel vorhanden ist, wird Versuch unternommen. Auch schon durch Verabredungen unter den Ultragruppierungen. Regionalliga (Werder Bremen II): Ca. 30-50 Ultras sind bei Heimspielen, begleiten auch nach auswärts; es werden Event-Wochenenden veranstaltet (Samstag Bundesliga; Sonntag Regionalliga). Bei Spielen gegen Preußen Münster, Berliner Vereine, Dresden, Magdeburg, entspricht die Zahl der Problemfans und dementsprechend dann auch die Zahl der Einsatzkräfte denen der Bundesligaspiele. Da eine Fanfreundschaft mit RW Essen besteht, kommt es zudem häufig vor, dass Essener Problemfans Spiele von Werder besuchen und umgekehrt. Leitfrage 1a: Wo sehen Sie derzeit für die polizeiliche Einsatzbewältigung die größten Probleme bzw. Herausforderungen? Antworten: Für Bremen sind das die Ultras. Es wird versucht, gemeinsam mit Werder Bremen und dem Fanprojekt Einfluss zu nehmen. Vor ca einem halben Jahr wurde ein „Ethik-Fan-Kodex“ verabschiedet, der u.a. beinhaltet, dass man Gewalt und Abbrennen von Pyrotechnik abschwört. Eine Art Leitbild wird vermittelt. Der Verein hat von den Fanklubs Beachtung eingefordert und für den Fall der Nichtbeachtung/-beteiligung negative Auswirkungen (z. B. bei Kartenverteilung, Raumnutzung, Wegnahme von Megafonen, etc.) angekündigt. Ultragruppierungen, die den Fanklubs so nicht angehören, aber sehr stark organisiert sind, zögern noch mit der Unterschrift und haben die anderen Fanklubs aufgefordert, sich dem zu widersetzen. Viele haben aber bereits unterschrieben. Entwicklung bleibt abzuwarten. Es besteht aber polizeilich die 60 Erwartung, dass bei Nichtannahme, die Aggressivität, besonders bei negativen Auswirkungen für die Ultraszene, steigen könnte und es zu mehr Gewalt kommt. Nicht nur ein Problem der Polizei wird sich auch auf die Ordnertätigkeit auswirken. Leitfrage 1b: In den Jahresberichten der ZIS gerät die Ultraproblematik seit einigen Jahren verstärkt in den Fokus. Auch Bremen verfügt mit den "Wanderers" über eine Ultragruppierung. Bitte beschreiben Sie die Bremer Ultraszene in ihrer Entwicklung, Organisation, Zielsetzung, wenn möglich auch in Abgrenzung zu Hooligans. Antworten: Ursprünglich gab es die Ultragruppierung "Eastside", die aus ca. 250-300 Ultras bestand. Die Zielsetzung war, fanatische Anhänger zu sein und den Verein durch Gesänge, Kurvenshows zu unterstützen. Vor mehr als zwei Jahren löste sich die "Eastside" auf, da es immer unterschiedlichere Strömungen gab. Vielen Mitgliedern reichte die Form der Unterstützung nicht aus, man provozierte und für einige wurden Gewalttätigkeiten schon fast Ziel des Ultraseins. Es bildeten sich mit RECAILLEVERTE, Rolands Erben, Wanderes, etc. verschiedenen Splittergruppierungen. Einige schworen der Gewalt ab, einige nicht. Die Gruppen sind, auch was die handelnden Personen anbelangen, nur schwer auseinanderzuhalten. Vor dem Spiel gibt es einen Treffpunkt am Stadion. Bei manchen Spielen gehen dann geschlossen 100-200 Personen zum Stadion, nachdem man sich in der Stadtmitte eingesungen hat. In einem ersten Fall wurde man überrascht, wo Ultras danach einen Supermarkt halbwegs geplündert haben. Es handelt sich in Bremen eher um ein linkes Spektrum. Teilweise sind sie personengleich mit der hiesigen Antifa-Szene und beteiligen sich bei Anti-NPDDemonstrationen und bei Aktionen in Bremen, wie „Freiräume zurückerobern“. 61 Leitfrage 1c: Welche Formen der Gewalt bzw. Gewaltphänomene haben sich in Bremen gezeigt und wie hoch schätzen Sie das vorhandene Gewaltpotenzial ein? Antworten: Vor dem Spiel: Gruppentaktik: Werden ab einer Stärke von 50 aktiv. Einsingen, Märsche in Richtung Stadion mit Verkehrsbehinderungen, teilweise werden Läden aufgesucht und Alkoholika gestohlen (wenn keine Polizei vor Ort). Provozieren der Gäste bei Ankunft am Hbf.. Teilweise wird versucht, sie anzugreifen, insbesondere bei den erklärten Feindschaften (96, HSV, Frankfurt); teilweise Gruppenangriffe. Während: In den letzten zwei Jahren keine Pyrotechnik im Stadion, eher mal bei Auswärtsfahrten, auch international, Rauchpulver und Bengalos. Nach dem Spiel: Szene sammelt sich hinter der Fankurve, man versucht Einfluss auf abreisende Fans zu nehmen, die auf dem Weg zum Busparkplatz dort vorbei müssen. Meist Provokationen; trotz Absperrlinie durch PVB wird provoziert und teilweise versucht, Angriffe zu unternehmen (Anspringen, Gruppenangriffe). Auf dem Weg zwischen Hbf. und Stadion werden immer wieder körperliche Auseinandersetzungen gesucht, insbesondere bei den Spielen gegen verfeindete Mannschaften. Vereinzelt werden einzelne Fans in Nebenstraßen attackiert und die Fanutensilien werden geraubt. Nachfrage zum Phänomen Freipressen: Ist durch die Bremer Szene noch nicht praktiziert worden; in Bremen ist es durch Rostocker Ultras versucht worden. Die Maßnahmen bewegen sich innerhalb der rechtlichen Vorgaben. Wenn die Fußballfans weg sind, ist der Einsatz beendet. Auf der anderen Seite steht die beweissichere Strafverfolgung und Folgemaßnahmen zu initiieren. Es kann schon sein, dass auch bei Kollegen mal der Eindruck entsteht, die Polizei würde nachgeben. Man muss aber auch abwägen, die Begleitung der Fans durch die BuPo. Auch hier müssen für den Rücktransport Ressourcen vorhanden sein, sodass es Sinn machen kann, die 62 Ingewahrsamgenommenen zeitig zu entlassen, damit sie den bestimmten Zug noch bekommen. Leitfrage 1d: Bei Pilz und anderen Autoren wird als wesentliches Problem meist genannt, das die Polizei das Feindbild Nr. 1 der Ultras ist und eine Kommunikation kaum möglich ist, was das polizeiliche Einwirken auf die Ultraszene schwierig bis unmöglich macht. Würden Sie dieser Behauptung zustimmen? Wie gestaltet sich in Bremen die Zusammenarbeit zwischen Polizei und den Ultras sowie zwischen Polizei und Fanprojekt, Fanbeauftragten, Fanabteilungen und Verein? Gehen Sie bitte darüber hinaus darauf ein, wie in Bremen die Zusammenarbeit aller Institutionen im örtlichen Ausschuss Sport und Sicherheit abläuft. Antworten: Der Behauptung wird zugestimmt. Es findet eigentlich keine Kommunikation zwischen Polizei und Ultras statt. Zahleiche Angebote, generell oder auch zu einzelnen Anlässen, auch durch den Polizeiführer unterbreitet, wurden abgelehnt. Eine Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten findet in Form der Sicherheitsbesprechungen anlassbezogen statt. vor Beteiligt der sind Saison, neben vor der den Spielen Polizei u.a. und/oder Verein, Sicherheitsbeauftragter, Fanbeauftragter, Stadionbetreiber, Caterer, Feuerwehr, DRK, Ticketing, Ordnerdienst. Es findet ein fast wöchentlicher Austausch statt. Die Zusammenarbeit mit dem Verein ist gut. Auf Wünsche der Polizei, z. B. Einsatz von Sonderbahnen zum Fantransport, Veränderungen von Parksituationen, etc. wird eingegangen. Der Fanbeauftragte transportiert einiges zur Fanszene, kommt aber auch kaum an die Ultraszene ran. Kommen nur angelaufen, wenn Sie bei Auswärtsfahrten Unterstützung brauchen. 63 Leitfrage 1e: Haben Sie Erkenntnisse darüber, ob und inwieweit zwischen dem Verein Werder Bremen und den Ultras eine Zusammenarbeit bzw. ein Austausch stattfindet? Kam es Ihres Wissens nach vor, dass die Ultras konkret Druck auf den Verein ausgeübt bzw. dies versucht haben? Antworten: Anfangs war die Zusammenarbeit zwischen dem Verein und den Ultras gut. Der Verein unterstützte die Kurvenshows, auch finanziell und stellte mit dem Ostkurvensaal einen Treffpunkt am Stadion zur Verfügung, der als Gruppenraum genutzt werden kann. In den letzten Jahren kaum Zusammenarbeit, aufgrund der erhöhten Gewaltbereitschaft und weil einige Shows, z. B. beim HSV dem Verein missfielen. Es gab Gesprächsversuche, man hat sich vonseiten der Ultras teilweise taub gestellt. In Zusammenhang mit dem Ethik-Kodex wurde ein Sprecher der Ultras gewählt. Es kam auch zu Gesprächen. Der Geschäftsführer Herr Fischer von Bremen ist sehr bemüht. Es werden jedoch immer wieder Bedingungen durch die Ultras gestellt (mehr Karten, früher ins Stadion, etc.), die der Verein bislang konsequent nicht erfüllt. Themenkomplex 2: Einsatzkonzeption / polizeiliches Vorgehen Leitfrage 2: Wie begegnen Sie in Bremen der gestiegenen Aggressivität und der besonderen Ultraproblematik? Sind Änderungen in der Einsatzkonzeption erforderlich, bereits vorgenommen worden oder geplant? Gehen Sie bitte darauf ein, wo sie in der polizeilichen Einsatzbewältigung erfolgskritische Faktoren sehen, um die Gewaltphänomene zu minimieren. Antworten: Einsatzkonzept für Fußballspiele Weserstadion: Spiele werden im Vorfeld klassifiziert: Spiele ohne Risiko, normale Spiele, Spiele mit besonderem Risiko. Daran orientiert sich die Kräftelage, die zwischen 4-6 Zügen variiert, wobei mittlerweile 4 Züge die Ausnahme sind. Der Einsatz von 5 Zügen ist normal. 64 Häufig sind jedoch 6 Züge nicht mehr ausreichend, insbesondere bei internationalen Spielen sowie gegen 96 und den HSV. Aufgrund der Personalsituation in Bremen wird dann auf auswärtige Kräfte zurückgegriffen. Dienstpferde werden seit 2 Jahren aus Niedersachsen angefordert. Es werden zudem verstärkt die Bremer BFE eingesetzt um beweissichere Festnahmen zu gewährleisten und später die Stadionverbote zu initiieren. Man will Zeichen setzen. Bremen verfügt über 3 SKB, darüber hinaus setzt man verstärkt auf Zivilkräfte. Man will alle Plätze, Treffpunkte im Auge behalten, wo sich Risikofans treffen könnten. Es wird ein Raumschutzkonzept mit starken Kräften gefahren, da die Ultras sofort die Gelegenheit nutzen, wenn Polizei nicht präsent ist. Erfolgskritische Faktoren demnach: Aufklärung + Raumschutzkonzept mit starken Kräften. Starke Polizeipräsenz. Gewährleisten einer beweissicheren Strafverfolgung und Initiierung von Stadionverboten. Leitfrage 2a: Wie wichtig erachten Sie ein einheitliches Vorgehen bzw. abgestimmte Maßnahmenkonzepte in allen Fußballbundesligastandorten für die Akzeptanz polizeilichen Handelns? Antworten: Einheitliches Vorgehen, gerade bei Durchführung von Stadionverboten wird für wichtig erachtet, da man häufig auf Ungleichheiten von Ultras angesprochen wird. Länderunterschiede lassen sich aber ohne Weiteres bei 16 Bundesländern nicht verhindern. Der Grundtenor, ein einheitliches Vorgehen ist gegeben. Was auch durch den Erfahrungsaustausch in den jährlichen Treffen der PF 1+2 BL und SKB durch die ZIS organisiert Weites gehend gewährleistet wird. Unterschiede sind weniger im polizeilichen Einschreiten, sondern eher wie sich ein Verein, ein Sicherheitsdienst, ein Ordnerdienst gibt und wie da die Zusammenarbeiten sind. Länderpolizeien und Bundespolizeien ziehen Weites gehend an einem Strang. 65 Themenkomplex 3: Einschätzung / Bewertung Leitfrage 3: Wie sieht Ihre Prognose hinsichtlich der Entwicklungen von Gewaltphänomen insgesamt und besonders im Zusammenhang mit der Ultraszene kurz-/mittel-/langfristig aus? Antworten: Ultras werden noch viel Ärger bescheren. Hängt zusammen mit der Unzufriedenheit bei Jugendlichen und Heranwachsenden insgesamt und der Entwicklung zur Eventgesellschaft und dem Verbringen von Eventwochenenden. Das wird auch durch Aussagen in den Foren und durch Erkenntnisse der SKB bestätigt. Es wird demnach als das Höchste bezeichnet, „wenn man auf der Straße gewonnen hat“, „einen Schal erobert zu haben“. Ist wie ein großes Spiel. Die Zahl der Ultras in Bremen wird steigen. Die politische Richtung ist unbedeutend nur der Spaß steht im Vordergrund. Spaß haben sie beim Saufen, bei Auseinandersetzungen, etc.. Wenn keine Gästefans da sind, wird man Spaß mit Ordnerdiensten oder der Polizei haben. Neben den polizeilichen Konzepten ist das Kräfteproblem vordergründig. Das Einsatzmaximum besteht in 7 Zügen. Wenn wir nicht konsequent auf der Straße sind, die Ultras auf der Straße noch Erfolge verbuchen, bekommen sie noch mehr Zulauf. Es wird ein Problem Kräfte auf die Straße zu bekommen. Lagebereinigung hilft nicht, sondern nur die Personalienfeststellung, Zuordnung von Straftaten und im Nachgang die Durchsetzung von bundesweiten Stadionverboten, da sie es beeindruckt und beeinträchtigt. Dazu kommt noch das Problem der Reise von Personen, die mit Stadionverboten belegt sind. Hauptsache man kann zusammen das Wochenende verbringen. Ausleben des Gemeinsamkeitsgefühls. Gesellschaft ist gefordert. Reichen die Strafen aus? Beispiel Niederlande. Dort werden Fußballgewalttäter am Arbeitsplatz öffentlich gemacht. Werden aus Anonymität herausgeholt. Vielleicht ein Weg, wenn der Datenschutz nicht so hoch hängen würde. Man muss sich vielleicht Wege überlegen, wie man härter vorgehen kann. Genau weiß ich auch keine Lösung. 66 Zusatzfrage: Gewalt gegen PVB: Nur Einzelfälle. Verbal auf jeden Fall; auch zunehmend; körperliche Auseinandersetzungen in der Regel nicht; Beispiel: Polizeikette - man nimmt auch auf Polizei keine Rücksicht. Man nimmt billigend in Kauf, dass sie was abbekommen. Solidarisierungseffekte beim Einschreiten im Stadion; ist noch schwieriger als auf der Straße, wenn eine gesamte Kurve in Stimmung ist. Bisher gab es keine Probleme, wenn man wegen Pyrotechnik einschreiten musste. Bei der Entfernung eines polizeifeindlichen Transparents wurde dem Ordnerdienst massiver passiver Widerstand entgegengebracht. Ich sehe den Tag, dass es auch zu aktiver Gewalt kommt. Bei Einlasskontrollen ab und zu mal Ärger, meist mit Alkoholisierten. Kleinere Versuche von Gefangenenbefreiungen, aber sonst weniger in diesem Bereich, keine Gewaltanwendungen. Leitfrage 3a: Hat sich die Fanarbeit in Deutschland Ihrer Meinung nach bewährt oder sehen sie vor dem Hintergrund der steigenden Aggressivität und der besonderen Ultraproblematik Ansatzpunkte oder Optimierungsmöglichkeiten? Antworten: Fanarbeit hat sich grundsätzlich bewährt; gemeinsame Projekte; Sprachlosigkeit hätte zu einer größeren Polarisierung geführt, so hat es dazu geführt, dass der Großteil friedlich bleibt. Verbesserungswürdig: konsequentes Vorgehen bei Auffälligen: Stadionverbote bei polizeilichem Auffälligwerden oder aufgrund polizeilichen Erfahrungswissens Vielleicht auch präventiv Kurzstrafen bei kleineren Verstößen: z. B. 3 Spiele Stadionverbot, wenn es die Rechtsordnung hergibt, was schwierig ist. Der Anti-Gewalt-Kodex kann ein Weg sein, um die Leute einzuschwören. Es muss gefördert werden, dass es Solidarisierungseffekte der Gesamtheit gegen Ultras gibt. 67 Leitfrage 3b: In Italien ist die Gewalt im Fußball teilweise eskaliert. Es kam u.a. zurückliegend zu den Todesfällen des Polizeibeamten Filipo Raciti, des Fans Gabrielle Sandri und jüngst zu einem Todesfall eines Fans im Zuge eines Busunfalls auf einer Auswärtsfahrt. Die Tragweite des Einflusses der Ultraszene in Italien hat eine Dimension erreicht, die von einigen Autoren in den Bereich der organisierten Kriminalität gerückt wird. Bitte führen Sie aus, ob Sie italienische Verhältnisse in Bremen bzw. Deutschland für denkbar halten? Antworten: Italienische Verhältnisse werden nicht erwartet. Es mag Teilbereiche geben, z. B. Ausschreitungen, brennende Autos; Einzelfälle, wie vor Jahren auch der Messertod des Bremer Fans in Hamburg, können nie gänzlich ausgeschlossen werden. 42.000 Zuschauer lassen sich durch die absolute Minderheit von 250 Personen, mit Gästerisikofans von 500 Personen nicht solidarisieren. Außerdem ist Polizei so eng am Geschehen. Die Zusammenarbeit mit den Vereinen, den Fanprojekten und allen Institutionen ist gut, der Infoaustausch über Fanverhalten durch die SBK läuft gut. Einsatzverlauf ist nur die Konsequenz der guten Vorbereitung. Wenn man gut vorbereitet ist, kann eigentlich nichts passieren. 68 1.7 Experteninterview 7: PHK Kommoß Datum: 23.06.2008 Länge: 60:19 Minuten Themenkomplex 1: Beschreibung der Ist-Situation Leitfrage 1: Die Fußballsaison 2007/2008 ist bereits beendet. In Ihren Zuständigkeitsbereich fallen die Spiele sowohl der Bundesligamannschaft, die auch international vertreten war, als auch der Oberligamannschaft von Bayer 04 Leverkusen. Wie fällt ihr Urteil über die abgelaufene Spielzeit aus? Beschreiben Sie dabei aus Ihrer Wahrnehmung heraus die derzeitige Gewaltsituation rund um den Fußball in Leverkusen und wenn es ihnen aus der Funktion heraus möglich ist, auch darüber hinaus. Antworten: 2007/2008 war eine aus polizeilicher Sicht, zumindest Leverkusen betreffend ruhige Saison. Man muss generell zwischen internationalen Spielen, Bundesligaund Oberligaspielen unterscheiden. Oberliga: Die Oberligamannschaft konnte sich in der Leverkusener Problemfanszene keinerlei Interesse erarbeiten. Ausnahme: Spiel der 2. Mannschaft beim 1. FC Köln II Hohe Mobilisierung von 150 Problemfans, die als Gruppe geschlossen nach Köln reisten und dort auch auffällig wurden und auf ein starkes Gegenüber trafen. Aufgrund der Vorfelderkenntnisse war man polizeilich gut vorbereitet und konnte agieren. Internationale Spiele: Bei Heimspielen starke Leverkusener Problemszene; auswärts weniger, auch aufgrund der Kostenfrage. Früher, als es noch günstiger war und zu Hochzeiten von Bayer fuhren auch ca. 100 Problemfans zu internationalen Auswärtsspielen. Unterscheidung zwischen Champions League und UEFA-Cup, letztere Spiele sportlich, wie von der Stadt selbst, meist nicht so interessant. 69 Je nach Spielort, wie zuletzt in Petersburg kann man auch auf ein starkes Gegenüber stoßen und man läuft Gefahr, fürchterlich Haue zu bekommen. Bundesliga: Es herrschte, mit einer Ausnahme, wo es aber nur zu einem zufälligen Aufeinandertreffen der Problemfanszenen kam, Ruhe. Liegt auch an örtlich gut gelegener Arena, die es gestattet, die Fans diagonal zueinander ans Stadion heranzuführen. Es besteht eine gute Möglichkeit, die Problemfans zu trennen. Leitfrage 1a: Wo sehen Sie derzeit aus Sicht eines SKB für die polizeiliche Einsatzbewältigung und für Ihre Tätigkeit die größten Probleme bzw. Herausforderungen? Bitte skizzieren Sie im Vorfeld die Tätigkeitsfelder eines SKB und stellen Sie dar, wie Sie ihre Aufgabe interpretieren. Antworten: Die Tätigkeit des SKB besteht darin die jeweilige Szene so zu kennen, dass eine Anonymität in der Gruppe nicht gegeben ist. Dies bedingt kontinuierliches Arbeiten mit der Szene. Rotationsprinzip wird daher abgelehnt, da durchaus 3-5 Jahre vergehen, um Personenkenntnisse zu erlangen sowie die nötige Akzeptanz in der Szene zu erreichen. Szene muss mit gleichen handelnden Personen zu tun haben. Das ist die Hauptaufgabe neben den erlassmäßig geregelten Tätigkeiten wie Sachbearbeitung und Vorbereitung eines Einsatzes, was als sehr wichtig erachtet wird. Dies bedingt dass genügend Informationen gesammelt werden, genannt Vorauslage, damit die jeweilige Behörde die Lage sinnvoll und ökonomisch planen kann. Anmerkung kritischer Punkt: Erwartung an SKB Informationen zu sammeln (wo fahren sie her, wie viele/ was haben sie vor?) versus PVB mit allen Verpflichtungen zur Strafverfolgung zu sein. Es ist nicht leicht es in Einklang zu bringen, Informationen zu sammeln, Vertrauen zu gewinnen und die Weitergabe der Informationen an die Polizeidienststellen sicherzustellen, ohne Vertrauen einzubüßen. 70 Darüber hinaus das Entwickeln von Konzepten, Einsätze so zu planen, wie sich die Szene entwickelt. Probleme liegen in der schmalen Gratwanderung zwischen notwendiger Infosammlung und der Durchführung von Repressalien. Ich wende konsequent Repressalien an, da Straftaten zwingend verfolgungspflichtig sind, bei kleineren OWI-Tatbeständen kann man sicherlich mal ein Auge zudrücken. Neben diesem Problem gibt es auch innerhalb der Polizei das Problem der Akzeptanz von SKB. Bei Einführung der SKB 1991 sollten Experten herangebildet werden, aber man greift zu wenig darauf zurück. Gerade geschlossene Einheiten in einzelnen Standorten nehmen für sich in Anspruch, selbst Experten in der Szene zu sein, bilden selber fort. Ich würde mir wünschen, es so wie die Bundespolizei zu machen, die SKB zu den Vorträgen ihrer Einheiten einlädt. Als Manko wird gesehen, am Beispiel der Begleitung der Auswärtsspiele angeführt, dass er bei 17 Auswärtsspielen und es ist, mittlerweile Standard, dass man zu den auswärtigen Spielen angefordert wird, nur maximal an 3 Einsatzbesprechungen teilgenommen hat. Dies müsste grundsätzlich der Fall sein, um aktuelle Erkenntnisse weitergeben zu können und damit die Einsatzkräfte das Gesicht des SKB kennen. Es gibt also nach all den Jahren noch Optimierungsmöglichkeiten. Leitfrage 1b: In den Jahresberichten der ZIS gerät die Ultraproblematik seit einigen Jahren verstärkt in den Fokus. Auch Leverkusen verfügt über eine Ultragruppierung. Bitte beschreiben Sie die Leverkusener Ultraszene in ihrer Entwicklung, Organisation/Hierarchien, Zielsetzung, wenn möglich auch in Abgrenzung zu Hooligans. Antworten: Wie jede Bundesligabehörde verfügt auch Leverkusen über eine Ultraszene, wobei sich die Szene in den letzten 3-4 Jahren sehr negativ entwickelt hat. Bei den Ultras handelt es sich an sich ja um eine positiv dem Verein gegenüber eingestellte Fangemeinde, die das Bild im Stadion belebt, wobei es eine schmale Gratwanderung ist zwischen Stimmung und Straftaten (bspw. Pyrotechnik). 71 Es hat sich eine negative Zielrichtung ergeben, in dem die Ultras ihre Meinung aggressiv, auch nach außen, vertreten. Leverkusener Ultraszene umfasst ca. 150 Personen, verteilt auf verschiedenste Fanklubs. Zusätzlich gibt es einen Dachverband. Dazu gehören 6-8 führende Köpfe der Szene, die bestimmen die Zielrichtung, was in der Saison abläuft oder am jeweiligen Spieltag für Meinungsäußerungen getätigt werden sollen. Die Altersstruktur liegt bei ca. 15-22 Jahren. In den letzten 2-3 Jahren muss die Grenze tiefer gesetzt weiter; früher eigentlich 16-17 Jahre, mittlerweile beginnt eine größere Gruppierung schon mit 15-16. Wie in allen Bundesligastandorten lässt sich gerade bei den Jungen negative Einstellung gegenüber der Polizei beobachten. Im Gegensatz zu früher bei den Hooligans, die wir eher als Problemfans, anstatt als Hooligans bezeichnen, wo dass Verhältnis sachlich vernünftig geprägt war und man meist auf die Polizei hörte, lehnen die Ultras jeglichen Kontakt ab, drehen einem den Rücken zu, spielen den Gelangweilten. Zugang zu ihnen ist sehr schwierig. Ich mache es in Leverkusen so, dass ich bestimmte Ultras anspreche, die auch Einfluss haben. Ich hebe sie auf eine Plattform und erreiche so, dass sie sich wichtig fühlen. Dieses wichtig fühlen nutzt mir insoweit, dass sie sich Weites gehend auf meine Seite schlagen und zumindest die Informationen der Polizei weitergeben. Von den 150 Ultras sind so 20-30 Hools. Das merken wir daran, dass sie sich nicht mehr an den Treffpunkten der Ultras aufhalten, sondern eher an den Treffpunkten der Alt-Hooligans. Sie würden sich auch an Auseinandersetzungen beteiligen, wenn es denn welche gäbe. Im Abgleich ist zu sagen, dass es bei den Ultras eine Zunahme gibt, wogegen bei den Hools eine deutliche Abnahme zu verzeichnen ist. Es ist eine kontinuierliche Abnahme, deutlich weniger Kat. C-Fans als vor 3-4 Jahren. Über Gründe lässt sich lange diskutieren, ein Grund ist sicher auch der professionelle Umgang der Polizei innerhalb eines Einsatzes. Aufgrund der jetzt 17 jährigen Tätigkeit als SKB lässt sich feststellen, dass nicht mehr so viele quantitative Maßnahmen (so viele Ingewahrsamnahmen, Einkesslungen) wie früher durchgeführt werden, sondern mehr Wert auf qualitative Arbeit gelegt wird. Es wird gegen die vorgegangen, die sich aktiv 72 beteiligen und es ist dann auch leichter qualifizierte Aussagen gegenüber der StA zu treffen und man erreicht mehr Verurteilungen. Wenn es uns jetzt gelingt, auch den Ultras qualifizierter entgegen zu treten und sie nicht nur als Masse betrachten, sondern uns um die kümmern, die es wert sind beobachtet zu werden, werden wir das Problem sicher nicht vollständig in den Griff bekommen, aber in vernünftige Bahnen lenken können. Leitfrage 1c: Welche Formen der Gewalt bzw. Gewaltphänomene haben sich in Leverkusen gezeigt und wie hoch schätzen Sie das vorhandene Gewaltpotenzial ein? Antworten: Letzten beiden Spielzeiten waren relativ ruhig, was Formen von Gewalt angeht. In anderen Bundesligastandorten gibt es die Besonderheiten von Schwarzen Blöcken, Bannermärschen und Freipressen. In Leverkusen gibt es traditionell nur den Marsch am letzten Heimspiel. Eine Art Frühschoppen der gesamten Fanszene (auch normale Zuschauer), die dann gemeinsam zum Stadion gehen. Regelmäßig geht man am Block des Gegners vorbei und zeigt sich, es beschränkt sich aber auf verbale Provokationen. Das sogenannte Freipressen aus der Ultraszene heraus gibt es in Leverkusen nur in ganz schwacher Form, äußert sich aber nicht in körperliche Aggressivität gegen PVB, sondern eher verbal. Es erfolgt eine hohe Solidarisierung durch Angehörige der Ultraszene, wenn es zu Maßnahmen gegen Szenemitgliedern kommt. Es kommen schnell 20-30 Angehörige zusammen, brüllen herum und blockieren die Straßen. Wollen immer erst weggehen, wenn Freund wieder frei ist. Dies ist auch bei Busreisen zu beobachten, dass Szenen erst abreisen, wenn alle im Bus sind. Kann als kleine Form der Gewalt bezeichnet werden. Schwarzer Block beginnt sich auch in Leverkusen zu bilden, ca. 15-20 Ultras. Treten in schwarzer Oberbekleidung auf, wo zurzeit noch der Fanklubname darauf steht. Ziehen sich in bestimmten Situationen Kapuzen ins Gesicht, vermummen sich also, um Identifizierung auch durch die SKB zu entgehen. 73 Aus Gesprächen mit Kollegen der BuPo ist zu sagen, dass sie auch bei Entlastungs- bzw. Sambazügen noch keine Probleme, was die direkte Gewalt betrifft, haben. Es lässt sich aber eine deutlich gesteigerte verbale Aggressivität gegen PVB feststellen. SKB-Problem: Viele Ultraszeneangehörige kennt man nur vom Sehen, aber nicht von den Personalien her, da rechtliche Möglichkeiten zur IF noch nicht gegeben waren, was eine Identifizierung schwierig macht. Es ist nach Videografierung von Tatbeständen aufwendig mit dem Bildmaterial beim nächsten Spieltag herumzulaufen und zu schauen, ob man jemanden wieder erkennt. Es dauert auch lange, weil nicht immer alle 150 Ultras bei allen Spielen sind. Es tun sich einige Kollegen damit noch schwer. Wunsch: Bessere rechtliche Möglichkeiten zur IF verbunden mit der Fertigung von Lichtbildern. Nur verbunden macht es Sinn, wenn man der Aufgabe des SKB Szene- und Personenkenntnisse zu gewinnen gerecht werden will. Das war bei den Hooligans erfolgreich, die zu 100% identifiziert werden konnten. Leitfrage 1d: Bei Pilz und anderen Autoren wird als wesentliches Problem meist genannt, das die Polizei das Feindbild Nr. 1 der Ultras ist und eine Kommunikation kaum möglich ist, was das polizeiliche Einwirken auf die Ultraszene schwierig bis unmöglich macht. Würden Sie dieser Behauptung zustimmen? Wie gestaltet sich in Leverkusen die Zusammenarbeit zwischen Polizei, insbesondere aus der Funktion des SKB heraus und den Ultras sowie zwischen Polizei (SKB) und Fanprojekt, Fanbeauftragten, Fanabteilungen und Verein? Gehen Sie bitte darüber hinaus darauf ein, wie in Leverkusen die Zusammenarbeit aller Institutionen im örtlichen Ausschuss Sport und Sicherheit abläuft. 74 Antworten: Pilz kann in einigen Punkten zugestimmt werden, aber nicht in allen. Nicht zustimmen, wenn gesagt wird, Polizei wäre Feindbild Nr. 1. Polizei ist sicher kein Liebling, Feindbild wäre aber zu übertrieben. Polizei hat es schwierig, aber das hat nicht unbedingt was mit der Sache Fußball zu tun, sondern eher mit der Generation. Es sind 15-22 Jährige und mit denen haben wir auch im Alltäglichen Probleme, nicht nur im Fußball. Ultras können und werden dazulernen, und zwar wenn Polizei rechtlich saubere Maßnahmen trifft und keine Kollektivmaßnahmen vornimmt. Ich bin kein Freund sog. Busingewahrsamnahmen, wo man alle einsperrt, weil 2-3 Mann was gemacht haben. Ich halte auch nichts davon, Angehörigen von Ultraszenen grundsätzlich das Betreten der Innenstädte zu verbieten. Ich denke auch Polizei muss dazu lernen. Es ist Fußball und man sollte nicht von kriegsähnlichen Zuständen sprechen. Ein anderes Verhalten erreicht dann auch eine höhere Akzeptanz bei den Ultras, weil getroffene Maßnahmen dann eher für notwendig erachtet werden. Vorteile in Leverkusen: 1. Im bundesrepublikanischen Vergleich relativ kleine Szene (Frankfurt hat es mit fast 1000 ungleich schwerer Zugang zu finden) 2. Lokale Szene; man trifft sich auch schon mal in der Stadt, man ist nicht der anonyme SKB. Zustimmen muss man Pilz sicher, was die uniformierten Kollegen anbetrifft. Sie sind das Feindbild. Gegen Maßnahmen der uniformierten Kollegen werden sich die Ultras zumindest passiv solange wehren wie es geht. Der SKB in Zivil genießt höhere Akzeptanz. Zusammenarbeit mit Fanprojekt kann als vorbildhaft bezeichnet werden. Der Leiter Fanprojekt kann sachgerecht polizeilichen Dingen folgen und sieht Notwendigkeit polizeilicher Maßnahmen ein. Man sieht auch schmale Gratwanderung, was Zusammenarbeit angeht. Ich sehe meine Aufgabe so, dass ich dem Fanprojekt rechtzeitig den Hinweis auf eine Person gebe, die dazu tendiert, sich zum Hooltra zu entwickeln. Fanprojekt und Fanbeauftragter nehmen sich der Person dann an und versuchen ihn wieder auf die richtige Bahn zu bringen. 75 Das bedingt Vertrauen, was gewachsen sein muss und auf Gegenseitigkeit beruht (daher keine Rotation). Örtliche Ausschuss Sport und Sicht würde man auch gerne mal kennenlernen. Hat zurückliegend ohne Leute der Praxis (nur mit Leitern, wie PP und Leiter Ordnungsamt) einmal getagt, danach nie wieder und dürfte auch nicht mehr existent sein. Leitfrage 1e: Haben Sie Erkenntnisse darüber, ob und inwieweit zwischen dem Verein Bayer 04 Leverkusen und den Ultras eine Zusammenarbeit bzw. ein Austausch stattfindet? Kam es Ihres Wissens nach vor, dass die Ultras konkret Druck auf den Verein ausgeübt bzw. dies versucht haben? Anmerkung des Verfassers: Da bei der Zusammenfassung bemerkt wurde, dass aus unerklärlichen Gründen beim Interview die Frage 1 e nicht gestellt wurde, wurde die Frage am 23.06.2008, um 14.00 Uhr ergänzend telefonisch gestellt und wie folgt von PHK Kommoß beantwortet. Antworten: Meines Wissens nach wurde, anders als bei anderen Bundesligavereinen, seitens der Ultras noch kein Druck auf den Verein Bayer 04 Leverkusen ausgeübt oder dies versucht. Von einer Zusammenarbeit zwischen Ultras und Verein kann nicht die Rede sein, höchstens eine kleine Gilde steht im Kontakt zum Verein. Eine Zusammenarbeit würde auch den Idealen der Ultras widersprechen, die sich ja gegen Kommerzialisierung, etc. aussprechen. Sie wollen den Verein eher überzeugen, gerade auch beim Ausbau des Stadions, etc. auf den Bau von VIPLogen, usw. zu verzichten. Also eher eine kritische Auseinandersetzung, als eine Zusammenarbeit. 76 Themenkomplex 2: Einsatzkonzeption / polizeiliches Vorgehen Leitfrage 2: Wie begegnen Sie in Leverkusen der gestiegenen Aggressivität und der besonderen Ultraproblematik? Sind Änderungen in der Einsatzkonzeption erforderlich, bereits vorgenommen worden oder geplant? Hat sich hinsichtlich der Ultraproblematik die Arbeitsweise eines SKB geändert? Gehen Sie bitte darauf ein, wo sie in der polizeilichen Einsatzbewältigung / in der Tätigkeit des SKB erfolgskritische Faktoren sehen, um die Gewaltphänomene zu minimieren? Antworten: Änderung in Einsatzkonzeption hat in Leverkusen stattgefunden. Die war notwendig geworden, da sich das polizeiliche Gegenüber geändert hat. Bis vor ca. 2 Jahren lag die Konzentration noch auf den Hooligans und ihren Treffpunkten, dies hat sich nun auf Treffpunkte der Ultras ausgeweitet. Man hat sich neu aufgestellt, ohne jedoch mehr „Men-Power“ zu investieren, sondern nur anders verteilt. Der BAO-Aufbau hat sich nicht verändert. Es gibt immer noch die gleichen Einsatzabschnitte, mit der gleichen Personalstärke, eben nur auf Orte ausgedehnt, wo sich Ultras aufhalten. Die Tätigkeit des SKB hat keine Änderung erfahren. Einziger Unterschied ist, dass das Klientel jünger und der Umgang anders geworden ist. Während bei den Hools gegenseitig deutliche Ansprachen möglich waren, beklagen und beschweren sich Ultras darüber sofort in Foren oder gegenüber dem Verein. Man kann sagen, sie sind gut im Austeilen, aber schlecht im Einstecken. Die Ultras werden sehr eng an den Treffpunkten beobachtet. Wenn sie dann zum Stadion gehen, wird es als normaler Vorgang betrachtet. Es wird ihnen nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt, als polizeilich notwendig. Werden nicht permanent polizeilich begleitet. Wenn sie sich den Regeln unterwerfen, können sie sich frei bewegen. Begleitung erfolgt dann nur durch SKB. 77 Intensivierung der Fortbildung: Bislang findet einmal (neben einer Veranstaltung in Wertheim für vordergründig neue SKB) jährlich eine Austauschveranstaltung durch die ZIS organisiert, statt. Sehr sinnvoll, wenn im Ergebnis auch häufig Vorgaben des IM umgesetzt werden müssen. Wünschenswert wäre ein mehrfacher regelmäßiger Austausch, eventuell quartalsweise. Die Veränderungen insbesondere in der Ultraszene sind sehr rasant. Man kann immer dazulernen und von den Erfahrungen der anderen SKB hinsichtlich Einschreit-/Ansprachemöglichkeiten positiv wie negativ profitieren. Hier ist neben allen Kommunikationsmitteln das persönliche Wort immer noch das Wichtigste. Darüber hinaus wäre auch mindestens einmal im Jahr ein Treffen gemeinsam mit Fanprojekten und Fanbeauftragten wünschenswert. Sollte nicht isoliert betrachtet werden. Jede Seite hat Erwartungen, die im Einsatz nicht kundgetan werden können. Hier würde sich die Gelegenheit bieten. Konfliktmanager: Gibt es in Hannover („Communicators“). Wir haben keine guten Erfahrungen gemacht. Gehen nicht gezielt auf Ultras ein, zumindest nicht auf auswärtige, die wie Leverkusen nur einmal im Jahr kommen. Sprechen falsche Leute an, erreichen nicht, werden belächelt. Überschneidung mit der Aufgabe des SKB, die eigentlich Konflikte verhindern sollen. Doppelte Tätigkeit mit der Gefahr, dass man nicht gemeinsam, sondern aneinander vorbei arbeitet. Nichts ist schlimmer, als unterschiedliche Vorgehensweise. Es wird sofort von den Ultras ausgenutzt, wenn man sich nicht einig ist. Leitfrage 2a: Wie wichtig erachten Sie ein einheitliches Vorgehen der SKB bzw. abgestimmte Maßnahmenkonzepte in allen Fußballbundesligastandorten für die Akzeptanz polizeilichen Handelns? Antworten: Einheitliches Vorgehen sollte sich nicht nur auf SKB, sondern auf alle Einsatzkräfte beziehen. Man stößt natürlich an Grenzen, wo örtliche 78 Einsatzkonzeptionen an örtlichen Gegebenheiten ausgerichtet sind, was auch so sein muss. Bei polizeilichen Maßnahmen als solche wären einheitliche Regelungen wünschenswert. Selbst als SKB ist manchmal nicht nachvollziehbar, warum man in der einen Stadt in die Innenstadt darf und an dem anderen Standort nicht. Wenn Gründe dafür vorhanden sind, sollten sie mitgeteilt werden. Sollten transparent sein. Man erreicht bei der breiten Masse eine höhere Akzeptanz. Themenkomplex 3: Einschätzung / Bewertung Leitfrage 3: Wie sieht aus Sicht eines SKB Ihre Prognose hinsichtlich der Entwicklungen von Gewaltphänomen insgesamt und besonders im Zusammenhang mit der Ultraszene kurz-/mittel-/langfristig aus? Antworten: In Leverkusen kurz-/mittel-/langfristig keine Zunahme an Gewalt, was der guten Zusammenarbeit aller Institutionen, insbesondere auch mit dem Verein zugeschrieben wird, die den Ultra zwar als Kunden betrachten, aber polizeilichen Ratschlägen aufgeschlossen gegenüberstehen. Szene steht somit unter guter Beobachtung alle Seiten. Verschiebung in untere Ligen: Ist in Leverkusen kein Problem. Meist der Situation geschuldet, dass es sich um 1. Mannschaften handelt, wie auch beim festzustellenden Ost/West-Gefälle, wo auch bedingt durch 1. Mannschaften ein höheres Zuschauerinteresse herrscht. Darüber hinaus liegen Gründe in der baulichen Ausstattung der Stadien, im Ordnerdienst und überhaupt in den finanziellen Möglichkeiten der unterklassigen Vereine (Bsp. VfL Leverkusen, die sportlich zwar in die neue NRW-Liga aufgestiegen sind, aber aus finanziellen Gründen die erforderlichen baulichen Auflagen nicht erfüllen können). Weiteres Beispiel ist die Anzahl der Ordner. In Leverkusen sind es ca. 400 pro Spieltag. Ist bei unterklassigen Vereinen bei 7,- € Stundenlohn und 6-8 Arbeitsstunden gar nicht leistbar. 79 Intern muss man auch sagen, dass 1. Liga auch „1. Liga Polizei“ bedeutet und ohne es böse zu meinen, 4-5 Liga auch „4-5 Liga Polizei“ heißt. Die Kollegen sind auf die besonderen Gewaltphänomene gar nicht eingestellt, werden überrascht, können damit gar nicht umgehen. Hier ist auch Optimierungsbedarf hinsichtlich Fortbildungen vorhanden. Polizeiliche Einsatzbelastung: Die Mannstunden in Leverkusen pro Saison liegen im Durchschnitt bei 17.000 Stunden; enormer Kostenfaktor; die Stunden sind teilweise von auswärtigen Kräften zu leisten; riesige Belastung. Im Moment wird es nicht weniger; wird eher mehr, auch abhängig von sportlichen Gegebenheiten (z. B. durch den Aufstieg von Köln). Leitfrage 3a: Hat sich die Fanarbeit in Leverkusen/Deutschland Ihrer Meinung nach bewährt oder sehen sie vor dem Hintergrund der steigenden Aggressivität und der besonderen Ultraproblematik Ansatzpunkte oder Optimierungsmöglichkeiten? Antworten: Fanarbeit hat sich in Leverkusen eindeutig bewährt. Festgemacht am Beispiel der neuen Stadionverbotsrichtlinien. Hier hat der DFB nun eine Idee übernommen, die in Leverkusen vor ca. 4-5 Jahren geboren wurde und zwar das Absolvieren einer Bewährungszeit. Ein bundesweit ausgesprochenes Stadionverbot kann demnach verringert werden, wenn er die Hälfte abgebrummt, sich gebessert hat und in einem Bewährungsprojekt der Fanarbeit mitwirkt (ähnlich dem Strafrecht). 80 Leitfrage 3b: In Italien ist die Gewalt im Fußball teilweise eskaliert. Es kam u.a. zurückliegend zu den Todesfällen des Polizeibeamten Filipo Raciti, des Fans Gabrielle Sandri und jüngst zu einem Todesfall eines Fans im Zuge eines Busunfalls auf einer Auswärtsfahrt. Die Tragweite des Einflusses der Ultraszene in Italien hat eine Dimension erreicht, die von einigen Autoren in den Bereich der organisierten Kriminalität gerückt wird. Bitte führen Sie aus, ob Sie italienische Verhältnisse in Leverkusen bzw. Deutschland für denkbar halten? Antworten: Aufgrund internationaler, freundschaftlicher Kontakte zu einem Mailänder Kollegen. Einige Mal auch dort tätig gewesen. In Italien wird mit Ultras / Problemfans ganz anders umgegangen. Keine Systeme der Fanprojekte, keine Verantwortlichkeit der Vereine, politische Prägung. Polizeiliche Vorgehensweise überraschte schon. Wie in den Medien aus Italien geschildert, wird es in Deutschland nicht für möglich gehalten. In Leverkusen auf keinen Fall, auch aufgrund der guten Zusammenarbeit. Wenn es Standorte geben wird, wo jeder isoliert arbeitet, werden die Verhältnisse anders als in Leverkusen sein, aber auch nicht wie in Italien, da man doch noch ganz anders auf die Szenen eingeht. Bei gemeinsamer Betrachtung des Problems ist es undenkbar. Nachfrage zur Sinnhaftigkeit der Datei Gewalttäter Sport in Zusammenhang mit den Stadionverbotsrichtlinien Antworten: Datei Gewalttäter Sport: Vom Namen her nicht als glücklich, als solche aber als sinnvoll erachtet. Richtlinien von 1994 müssten angepasst werden. Vielfach wird dahinter vermutet, dass dort nur Hooligans aufgeführt sind, so ist es nicht, es befinden, sich auch eine Vielzahl weicher Daten darunter. Bsp: Manuel Neuer, Torwart von S04. Wurde vor ca. 3 Jahren in Leverkusen als noch normaler Fan beim Abbrennen eines bengalischen Feuers auffällig und 81 wurde daher, weil es auch keinen Ermessensspielraum gibt, in die Datei durch mich aufgenommen. Am Donnerstag der letzten Woche (also der 19. Juni) fuhr Herr Neuer gemeinsam mit Freunden per Auto in die Schweiz, um das Länderspiel der deutschen Mannschaft zu sehen und wurde nach Überprüfung 4 Stunden an der Grenze aufgrund des Eintrags festgehalten. Hier besteht sicher Optimierungsbedarf, der aber auch von mir nicht deutlich formuliert werden kann. Für Kollegen auf jeden Fall sinnvoll für eine vernünftige Lageeinschätzung, da es zumindest zeigt, dass derjenige mal im Zusammenhang mit Fußballspielen auffällig geworden ist. Stadionverbote: Kritisches Schreiben der ZIS an den DFB bekannt; kritische Haltung kann in einigen Punkten geteilt werden; nicht was die Dauer betrifft. Höchstmaß von 5 Jahren, auch wenn nicht für jeden Anlass verhängt, ist fast höher als jede gerichtliche Strafe. Eine Verringerung daher sinnvoll in Verbindung mit Bewährungsmöglichkeiten, zumal es auch ein rein privatrechtliches Instrumentarium ist. Polizei hat nur Mitteilungspflicht; Rest ist dem Hausherrn überlassen, was die Polizei dann auch tun sollte. Nachfrage zur Gewalt in Deutschland anlässlich der EM 2008: Antworten: Jubelfeiern fanden fast jeden Tag statt, Polizei hatte sich auch darauf vorbereitet. Eindruck ist, dass es mittlerweile bei jedem Sieg gemacht wird und nicht mehr wie früher bei Titelgewinnen. Eigentlich mit einer Ausnahme des Spiels BRDPolen sehr friedlich, wobei es sich hier auch nur um Streitigkeiten zwischen Einzelpersonen handelte. Der Knaller kommt aber erst am Mittwoch mit dem Spiel BRD-Türkei. Danach wird man sicherlich ein Fazit ziehen können. Im Gespräch nach der Aufnahme: Personal wird für Mittwoch aufgestockt. Andere Tage wurden in Gruppenstärke gefahren, da meist nur Verkehrsprobleme 82 zu erwarten waren und auch auftraten, sodass mal eine Straße gesperrt werden musste. Mittwoch wird das Personal verdoppelt. Anmerkung nach dem Interview: Kategorisierung der EU in Risk und Non-Risk-Fans wird für den Einsatzverlauf eindeutig befürwortet. Es kann kaum jemand den B-Fan genau erklären bzw. einteilen. Die Einsatzkräfte müssen auch nur wissen, mit wem kann ich Probleme bekommen und wo halten sich die Personen auf. Später nach Einsatzende können die SKB die Feststellungen „auseinanderpflücken“ und Kategorisierungen nach A-C vornehmen. 83 1.8 Experteninterview 8: Herr Spahn Datum: 03.07.2008 Länge: 57:35 Minuten Leitfrage 1: Skizzieren Sie bitte eingangs kurz die Zielsetzungen und wesentlichen Tätigkeitsfelder eines Leiters Prävention & Sicherheit / Sicherheitsbeauftragten beim DFB. Antworten: Kurz zusammengefasst bin ich zuständig für alle Sicherheitsfragen, die den deutschen Fußball betreffen. Operativ für die Kompetenz Richtlinien und Vorschriften zu erlassen für die 1-3 Liga und neu für die dreigeteilte Regionalliga. Hier ist der DFB zuständig für die Sicherheit, obwohl die 1. und 2. Liga in die DFL eingebunden sind. Darüber hinaus gibt es 26 regionale Landesverbände, also ein föderales System, die logischerweise an die Richtlinien und Satzungen des DFB gebunden sind, aber nicht im Bereich Sicherheit. Ab Oberliga spielen die regionalen Verbände ihre Staffeln und den Amateurfußball nach eigenen Richtlinien, aber nach den großen Richtlinien des DFB. Sie erlassen aber eigene Sicherheitsrichtlinien, Spielordnungen und Spielausschüsse, etc., aber nach den klassischen Regeln des DFB. Der Bereich Prävention, also die Arbeit mit den Fanprojekten, der KOS läuft zentral über meine Abteilung Prävention und Sicherheit. Der zweite Bereich ist die Funktion des Sicherheitsbeauftragten. In jedem Fußballverband muss es einen geben. Wer also Mitglied in der UEFA/FIFA sein will, muss namentlich einen Sicherheitsbeauftragten benennen. Daraus ergibt sich auch der Aufgabenbereich, nämlich die Pflege und der Ansprechpartner für alle internationalen Fragen, Sicherheitsfragen, Stadionbau, internationale Fanarbeit zu sein. Zusätzlich die Abwicklung von großen Turnieren im Bereich Sicherheit. Die Vorbereitung und Teilnahme an der Vorbereitung von Turnieren. 84 Leitfrage 2: Die Saison 2007/2008 ist beendet. Wie fällt aus Sicht des DFBSicherheitsbeauftragten die abgelaufene Spielzeit aus? Beschreiben Sie dabei aus Ihrer Wahrnehmung heraus, die derzeitige Gewaltsituation rund um den Fußball in Deutschland und wenn es Ihnen aufgrund ihrer Funktion möglich ist, auch darüber hinaus. Gehen Sie bitte darauf ein, welche Gewaltphänomene Ihnen bekannt geworden sind? Antworten: Man muss bei der Einschätzung der Situation von Gewaltphänomenen und Kriminalität im Fußball sehr stark unterscheiden zwischen öffentlicher Wahrnehmung und tatsächlichem Geschehen. Festzuhalten ist, dass wir in den letzten 10 Jahren eine kontinuierliche Steigerung von Straftaten in der 1. und 2. Liga, im Profifußball zu verzeichnen haben, aber außerhalb der Stadien, also im Wesentlichen im Umfeld der Stadien, auf den Bahnhöfen, Kneipen, auf den Anreisewegen insgesamt. Innerhalb gab es eigentlich keinerlei Vorkommnisse mit kleinen Abstrichen, wie in den Medien auch ganz stark berichtet, mit pyrotechnischen Problematiken, angefangen bei Stuttgart-Karlsruhe, dann eskaliert bei Frankfurt-Nürnberg mit den dementsprechenden Strafen, Spielunterbrechung, usw.. Das sind aber Phänomene, die es in der Vergangenheit auch, und vor 5-10 Jahren noch verstärkter gegeben hat. Pyrotechnik spielt noch eine Rolle, aber nicht mehr die große Rolle. Das Problem ist „händelbar“. Man will aber seitens des DFB ein klares Signal setzen. Mit den Urteilen, ich nenne mal Nürnberg 50.000 € und dem Hinweis auf möglichen Punktabzug demnächst, hat auch in der Fanszene ein Umdenken eingesetzt. Die Ultraszene in Nürnberg hat sich auch sofort von dem Vorfall distanziert. Sie wollen auch keinen Schaden für den Verein. Sicherlich kann man streiten, was besser ist: Prävention oder Repression. Wir haben viel gesprochen, viel erklärt, viel Aufklärungsarbeit geleistet, aber ab und zu, muss man wie bei kleinen Kindern zeigen, pass mal auf, die Platte ist heiß, und wenn du den Finger drauflegst, verbrennst du dich. Und wenn die Platte dann nicht heiß ist, dann versuchen sie es beim nächsten Mal wieder, das wäre bei den Gruppierungen auch so. 85 Die Verlagerung der Gewalt in untere Ligen, die immer mal angesprochen wurde, ist in Teilbereichen tatsächlich vorhanden, nicht überall. Es gibt Unterschiede in den regionalen Landesverbänden, auch abhängig von den Mannschaften, die dort spielen. Wenn Traditionsvereine, wie Lok. Leipzig, Saarbrücken, Darmstadt sich plötzlich in der Oberliga oder darunter wiederfinden und bei Auswärtsfahrten trotzdem 2.000 Fans in die Stadien mitbringen, die sonst in der Spitze 150 Zuschauer haben, wird es schon mal schwierig. Die problematischen Fans nutzen dann die Mängel aus, die Mängel in der Infrastruktur, in der polizeilichen Erfahrung, Mängel keinen professionellen Ordnungsdienst zu haben. Deswegen gibt es Situationen, die eskalieren und medial transportiert werden, aber deswegen zu sagen, es gibt eine komplette Verlagerung der Gewalt in untere Liga, kann man so auch nicht stehen lassen. Obwohl es auch klar ist, dass viele 2. Mannschaften von Profiklubs, die in der Regionalliga oder 3. Liga spielen, auch sicherlich problematisches Fanklientel anziehen, insbesondere die, die auch mit Stadionverbot belegt sind. Die sagen sich, da falle ich weniger auf und habe trotzdem noch etwas Fußball. Die verhalten sich in der Regel absolut ruhig, sodass es da, mit wenigen Ausnahmen, eigentlich keine Probleme gibt. Verlagerung von West nach Ost ist gegeben, geben auch die Zahlen her, aber es ist nicht so dramatisch, wie es in der Presse dargestellt wird. Natürlich haben wir bei Dynamo Dresden, Lok. Leipzig, Aue, etc. besondere Herausforderungen, insbesondere wenn sie nach auswärts fahren. Das bedeutet für den Heimverein zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen, die werden angeschrieben, die Spiele werden als Risikospiele eingestuft, Reduzierung der Kartenkontingente, mehr Sicherheitspersonal, was natürlich auch mehr Kosten bedeutet. Mehr Ausgaben, weniger Einnahmen. Die Begeisterung hält sich in Grenzen. Man hat dabei aber verkannt, dass man das tun muss. Wesentlich ist die Hemmschwelle zur Gewaltanwendung im Osten. Es gab zwar jetzt auch den Vorfall mit dem Bochumer Ordner in Bielefeld. Aber das muss man einem Polizeibeamten ja nicht erzählen. Wir haben in Deutschland jeden Tag Gewalt in der Gesellschaft, Gewalt in der Familie, Körperverletzungsdelikte, etc. Da kann so etwas natürlich auch mal am Rande eines Fußballspiels passieren. Es ist bedauerlich, aber keine Eskalation der Gewalt, Verkettung unglücklicher Umstände, eine Einzeltätergeschichte. Die Distanzierung der Bochumer Fans zeigt dies auch. 86 Die Hemmschwelle Gewalt zu überschreiten im Osten, ist bemerkenswert, insbesondere auch die Aggression gegen PVB/Ordnungsdienste vorzugehen. Man muss Phänomen aufmerksam beobachten, muss stringent dagegen vorgehen. Dem Verband sind aber auch wieder schnell die Hände gebunden, nämlich, wenn es sich nach außerhalb verlagert. Im öffentlichen Raum hat man dann relativ wenige Möglichkeiten einzuschreiten, außer durch Fanarbeit, Prävention. Das ist dann ein klassisches Feld, was die Polizei beackern muss. Es kommt hinzu und das ist schwer zu greifen, wo Motivation liegt, dass es für viele gewaltorientierte Fangruppierungen wichtig ist, sich medial richtig darzustellen. Kann man im Internet nach den Spieltagen ablesen. Eine breite Berichterstattung wird als Erfolg gewertet. Es werden Bilder gezeigt, in YouTube eingestellt, eine Art Pressespiegel erstellt. Je mehr Berichterstattung, um so größer ist das, was ich am Wochenende erreicht habe. Und wenn ich 140 akkreditierte Berichterstatter und 4-5 Kamerateams bei einem Spiel in der Oberliga oder Landesliga im Osten sehe, dann will ich zwar nicht sagen, dass es die Leute motiviert, aktiv zu werden, Pyrotechnik abzubrennen oder Schlägereien zu begehen, aber es trägt auch nicht dazu bei, es nicht zu tun. Die Reporter tun ja auch einen Job und müssen was liefern. Man sucht auch nach etwas. Spielt nicht unbedingt die Wirklichkeit wieder. Fans werden gezielt angesprochen, um Szene des Jubels oder der Auseinandersetzung zu stellen. Und dann wird darüber so berichtet, als wenn es überall im Stadion gekracht hätte. Ein wesentliches Problem der Wahrnehmung, dass es im Osten alles viel schlimmer ist. Es ist nicht gut, aber auch nicht so schlimm, wie teilweise dargestellt, dieses geben jedenfalls die Zahlen so nicht wieder. Zusätzliche Anmerkungen außerhalb der Aufnahme: Fußball ist Teil der Gesellschaft, nicht schlimmer oder besser. Alle Beteiligten müssen sich als verlässliche Partner zeigen, seitens der Fans muss auf einen Selbstreinigungsprozess gesetzt werden. Verlässlichkeit und Transparenz bedeuten aber auch, dass auch die Polizei differenzieren muss. Als Beispiel führe ich mal das Spiel Uerdingen gegen Mönchengladbach II an, eine 70er Gruppe von MG-Fans ist geschlossen zum Stadion gegangen. Es wurden seitens der Polizei Personalienfeststellungen 87 vorgenommen und später gegen alle ein Stadionverbot erlassen, obwohl übereinstimmend nach Widerstandshandlungen Auswertung vorgenommen aller wurden, Unterlagen noch weder Passivbewaffnung vorhanden war. Eine differenzierte Sichtweise ist wichtig. Nicht jeder der dunkel gekleidet ist, wird Gewalt anwenden und muss mit Maßnahmen überzogen werden. Es muss auch hier ein Umdenken einsetzen. Erfahrungen prägen, wie bei der ZIS auch, zwar ein Bild und dieses ist nicht immer positiv, gerade, wenn man immer die schlechten Beispiele auf den Tisch bekommt. Aber wenn es bei 80.000 Spielen an den Wochenenden insgesamt und bei fast 600.000 Besuchern nur in den oberen Ligen zu insgesamt 10-20 Vorfällen kommt, dann sind die zwar auch zu viel, aber im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Bereichen sehr gering. Leitfrage 3: Obwohl die reinen Zahlen der ZIS dies nicht ohne Weiteres belegen und eine Verschiebung der Gewalt eher an der Klassenzugehörigkeit traditionsreicher Klubs mit entsprechendem Fanpotenzial festgemacht wird, wird in den Medien häufig davon gesprochen, dass sich die Gewalt in untere Ligen verschiebt. Dies wird neben Zuschauerverhalten auch an einer Steigerung von Ausschreitungen zwischen Spielern, Spieler/Schiedsrichter usw. auf Plätzen unterer Spielklassen festgemacht, was größtenteils mit dem Ansteigen von Spielabbrüchen und Spruchkammersitzungen einhergeht. Häufig werden auch ethnische Unterschiede als Ursache genannt. Wie fällt Ihre Einschätzung dazu aus? Antworten: (Teilweise schon in Frage 2 mitbeantwortet) Ja das stimmt so, das belegen auch die Zahlen, die uns gemeldet werden. Wir erheben seit einem Jahr ein sogenanntes Lagebild. Wir werten alle Urteile der Spruchkammern aus und schauen wo liegen die Schwerpunkte. Festgestellt wird, dass die Hemmschwelle Gewalt anzuwenden, auch Gewalt, die schwerwiegende Folgen hat, absinkend ist. Häufig sind auch Mannschaften mit unterschiedlichen Ethnien beteiligt. Wir versuchen, durch die Einsetzung von Integrationsbeauftragten und Schulungen für Aufklärung zu sorgen. Wissen muss transportiert werden, dann kann das Verständnis sich eher entwickeln, warum der eine oder andere „übliche“ 88 Spruch auf dem Fußballplatz, der bei dem ausländischen Mitbürger zu Reaktionen führt, weil man sich beleidigt fühlt, bei uns eher abgetan wird. Es wird bei allem was wir tun, nicht dazu führen, dass wir einen gewaltfreien Fußball haben werden. Bei der Sportgerichtsbarkeit ist es ja die Besonderheit, dass neben der normalen Gerichtsbarkeit bei Körperverletzungen oder so noch eine zweite Stelle, das Verhalten diszipliniert. Alles spiegelt aber das wieder, was wir in anderen gesellschaftlichen Bereichen auch erleben. Beim Männerfußball, Frauenfußball ist eher noch unauffällig, treffen sich 22 häufig heranwachsende Männer oder Jugendliche, wo in dem Entwicklungspotenzial schon eine gewisse Gefahr liegt, die sich aber auch in Discos, auf Unigeländen oder so zeigt. Beim Fußball kommt noch die Bündelung des Konkurrenzkampfes dazu. Sieg oder Niederlage, das besser sein fördert Aggressionen, die beim Fußball besser ausgelebt werden können. Wenn dann noch eine Beleidigung oder so hinzukommt, dann sind beim Fußball die Rahmenbedingungen optimal für Gewalt. Gewalt herrscht nicht, weil es Fußball gibt, sondern der Fußball bietet Bühne. Hätte man den Fußball nicht, würde sich das Ventil woanders entladen. Ich glaube, dass der Fußball kein besonderes Problem mit Gewalt hat. Er hat damit genauso ein Problem, wie jede andere gesellschaftliche Schicht und Form auch und beim Fußball wird es besonders augenfällig. Der Fußball hat große Möglichkeiten Einfluss zu nehmen. Trainer, Betreuer haben eine große Macht an die Spieler bestimmte Werte und Verhaltensweisen, wie den Fair-Play-Gedanken, die Wichtigkeit von Integration und Miteinander weiterzugeben. Gerade in unteren Mannschaften spielt Gewalt ja keine Rolle, da spielen Jungs und Mädchen zusammen oder schon mal bis zu 10 Nationen in einer Mannschaft. Umso näher man ans Erwachsenenalter herankommt, umso mehr kommen die Probleme, z. B. ab B/A-Jugend, wo auch der Leistungsgedanke hinzukommt, wo Vereine gewechselt werden, weil Leistungsstärke nicht mehr ausreicht oder ein türkischer oder griechischer Spieler sich eher mal einem türkisch oder griechisch geprägten Verein anschließt. Im sportlichen Eifer kommt es dann bei dem einen 89 oder anderen Wort, was da nicht hingehört, mal zu so einer Situation. Aber so etwas habe ich fast jeden Abend in der Frankfurter Innenstadt, wo z. B. Türsteher, Leuten einer anderen Nationalität sagen, du kommst hier heute nicht rein, oder ähnliches und es daraufhin zu Auseinandersetzungen kommt. Ich würde es nicht als Fußballproblem klassifizieren. Ich würde es als Brennglas sehen. Die Probleme, die sich in der Gesellschaft ergeben, sehe ich beim Fußball. Anmerkung: Antwort nach Frage um Herausgabe des Lagebildes: Der DFB möchte das Lagebild noch nicht herausgeben, da die Qualität und Quantität der Meldungen aus den Regionalverbänden in der Anfangsphase noch zu unterschiedlich war, sodass man noch nicht von einem verlässlichen Lagebild sprechen kann. Als erste Prognose kann gesagt werden, dass wir ein Problem haben, aber es nicht riesig ist. Leitfrage 4: Seit einigen Jahren ist die Ultrabewegung in den Mittelpunkt fansicherheitspolitischer Debatten geraten. Neben leidenschaftlichem Support wird vorrangig von der Polizei, aber auch von anderen Institutionen eine gesteigerte Gewaltbereitschaft und Aggressivität beobachtet. Eine Zusammenarbeit und Kommunikation wird durch die Ultras meist völlig abgelehnt oder gestaltet sich sehr schwierig. Polizei, Verbände und die Medien werden als Feindbilder bezeichnet. Selbst Fanbeauftragte oder Fanprojekte kommen vereinzelt nicht mehr ohne Weiteres an die Ultras ran. Stimmen sie den Wahrnehmungen zu? Erläutern Sie bitte, wie Sie die Ultraproblematik und die Zusammenarbeit zwischen Ultras und dem DFB sehen. Antworten: Die Wahrnehmung ist in Teilbereichen sicherlich korrekt. Das Problem ist, dass bestimmte Ultragruppierungen sich allein schon dadurch definieren, ein Feindbild haben zu müssen. Es macht relativ wenig Sinn, mit inhaltlicher Überzeugungsarbeit diese Ultragruppierungen umzustimmen. Die Masse der Vernünftigen muss erreicht, ein Selbstreinigungsprozess angesteuert werden. Es sind gerade die kleineren Gruppierungen, die sich dadurch definieren, gegen Verband, Polizei, Verein, Kommerzialisierung von Fußball, Vermarktung und 90 Regulierung zu sein. Sie fordern Freiräume, weil sie sagen, dass sie diejenigen sind, die die Vereine zu dem machen, was sie sind und daher auch den Support machen, wie sie es wollen. Sie sind auf dem Irrweg. Fußball findet so statt. Vereine sind Wirtschaftsunternehmen. Zuschauer zahlt Geld, um es zu sehen, wie im Theater. Das akzeptieren Ultras nicht, weil sie sagen, Fußball ist anders. Zielrichtung muss sein, ihnen die Feindbilder zu nehmen. Das kann ich nur, wenn ich mich korrekt verhalte, keine Angriffsfläche biete. Sicherlich bei Anstoßzeiten, TV-Vermarktung, etc. können sie sich weiter aufregen. Wenn ich mich aber als Polizei, Verband korrekt verhalte, Stichwort Stadionverbote und plötzlich keine Angriffsfläche biete, da ich die Maßnahme nicht willkürlich treffe, sondern transparent, einzelfallbezogen anwende, lässt der Gedanke auch bei den Ultras nach. Auch die Polizei hat scheinbar einen Umdenkungsprozess eingeleitet, wie man z. B. bei Hannover mit den Konfliktbeamten sieht, wo Maßnahmen besonders erklärt werden, wie man es früher schon aus dem Demonstrationsgeschehen kannte. Polizei zieht sich vermehrt aus Stadion zurück und schon hat man kaum noch ein Feindbild. Man hat es schon noch z. B. in unteren Ligen, wenn Polizei einen Block räumt, weil ein Transparent weggeräumt wird. Aber auch hier wird schon mehr auf Beweissicherung gesetzt. Wenn man so weiter vorgeht, wird man einige erreichen. Sicherlich nicht alle, viele bleiben unerreichbar. Diese müssen isoliert werden. Man muss ihnen den Spaß am Fußball nehmen, in dem die anderen Zuschauer sagen, mit euch wollen wir nichts mehr zu tun haben. Dieses Phänomen haben wir zurzeit bei der Nationalmannschaft. Celje und Bratislava, wo diese Problemgruppen Ausschreitungen gab. Die haben da eigentlich waren, keinen wo es Spaß erhebliche mehr zur Nationalmannschaft zu gehen, da sie sagen, da sind ja nur noch Familien, Frauen, Kinder, die auch noch die Merchandising-Artikel kaufen, das ist nicht mehr meine Welt. Früher konnten sie sich noch im Block zelebrieren, was heute nicht mehr geht. Richtig so, alle Karten werden trotzdem verkauft, Stimmung ist super und es gibt kaum Probleme. Dies muss bei den Vereinen auch gelingen. Das geht aber nur, wenn man verlässlich ist. Als ehrlicher Partner auftritt. 91 Zusätzlich ohne Aufnahme: Es wird zudem helfen, wie es auch in Nürnberg und bei Vorfällen in Rostock gemacht wurde, die verhängten Strafen 1:1 an den Verursacher weiterzureichen, ihn in Regress zu nehmen. Wenn man dies in die Fanszene transportiert, wird es auch abschrecken, zumal auch der soziale Druck, was sagt z. B. meine Frau, wenn ich 1.500 € bezahlen muss, weil ich Pyrotechnik abgebrannt habe. Auch Polizei muss immer schauen, was ist mir die Maßnahme wert. Kündige ich wie z. B. bei dem Spiel Frankfurt-Nürnberg angedacht an, dass der Block geräumt wird, wenn weitere Kanonenschläge abgefeuert werden. Bringt mir das was oder setzt man eher auf Beweissicherung. Auch ein Spielabbruch kann mehr schaden, als nützen. Zudem hat eine sicherheitsinterne Überprüfung beim DFB ergeben, dass er wegen dieser Verstöße auch fraglich gewesen wäre. Leitfrage 5: Was hat der DFB bereits getan und was können die internationalen und nationalen Institutionen und Fußballverbände, vorrangig der DFB tun, um den Gewaltphänomenen im Fußball insgesamt und insbesondere im Zusammenhang mit der Ultrabewegung entgegenzuwirken? Gehen Sie bitte dabei auch darauf ein, ob Sie die vorhandenen Regelungen und Richtlinien für ausreichend und aktuell genug erachten. Antworten: (Teilweise schon beantwortet) Eine Zusammenarbeit und Kommunikation mit den Fans/bereits getroffene Maßnahmen: - Fankongress in Leipzig - diverse Gesprächszirkel - Expertengruppe Länderspiele, ausschließlich aus Fanvertretern besetzt - AG Fandialog, mit 7-10 Fanvertretern unterschiedlicher Gruppierungen besetzt - Anpassung der Richtlinien zum Stadionverbot - Entwicklung einer Musterstadionordnung - Installation von Fanbeauftragten in jedem Verein - mittlerweile 40 Fanprojekte - Fanbeauftragter bei der DFL, also eine Anlaufstelle für Fans (logischerweise hat hiermit auch der DFB einen Fanbeauftragten, da es in Personalunion wahrgenommen wird; ein weiterer ist nicht notwendig) 92 - regelmäßige Treffen zwischen DFB/DFL, um sich abzustimmen Alle Gespräche/Maßnahmen werden gemeinsam mit der DFL durchgeführt. Das NKSS wird zurzeit überarbeitet. Maßnahmen sollen auf untere Ligen übertragen werden. Das 1992/1993 entwickelte Konzept hat die Hooligans im Fokus, die ein Auslaufmodell darstellen. Das neue Konzept muss die Ultraproblematik in den Vordergrund rücken. Wird für technisch-organisatorische Abläufe, strukturelle Abläufe und taktisches Vorgehen keine großen Unterschiede bringen. Jedoch hat sich seit 1992/1993 einiges getan. Wir haben eine veränderte Fansituation, Fanzusammensetzung, verändere Polizei, Modelle und Vereine. Anpassung macht Sinn. Wir haben auch andere Stadien, die gewaltbereites Verhalten kaum noch zulassen. Nachfrage nach konkreten Änderungspunkten im NKSS/Stadionverbote: Örtliche Ausschüsse sollen zwingend gemacht werden. Eine Anpassung der Fanprojektarbeit, was die materiellen und personellen Rahmenbedingungen betrifft, soll erfolgen. Dann wird es im Bereich "Empfehlungen an die Vereine", wie z. B. die Zusammenarbeit mit der Polizei auszusehen hat, sicher die ein oder andere Veränderung geben. Beim heiß diskutierten Thema Stadionverbot wird es sicher keine weiteren Zugeständnisse geben, wobei ich die Anpassung nicht als Zugeständnis werte. Wir haben Formulierungen klarer gefasst, um einer willkürlichen Anwendung der Richtlinien Einhalt zu gebieten. Es wurde reingeschrieben, dass wenn ein Fehlverhalten festgestellt wird, der ganze Fall betrachtet werden muss. Es muss dann mit Polizei, Ordnungsdienst, eventuell mit dem anderen Verein mal gesprochen werden und der Betroffene ist halt anzuhören. Ich weiß, dass die Forderung der Polizei meist eine andere ist, nach dem Motto was soll der Aufwand. Wir bewegen uns aber immer noch in einem Rechtsstaat. Wenn dann gesagt wird, es handelt sich um eine privat-rechtliche Maßnahme, dann muss ich auch sagen, dann haltet euch da raus. Wenn man es aber gemeinsam machen will, dann muss man sich an bestimmte Regularien halten. Auch hinsichtlich der Reduzierung der Dauer von 5 auf 3 Jahre sehe ich es nicht so kritisch. Es mag vielleicht ein Zugeständnis sein, aber ein symbolhaftes. Von Zeit zu Zeit muss ich mich auf die andere Seite zu bewegen, wenn ich was erreichen will. Man muss dieses Zugeständnis natürlich mit Forderungen 93 verbinden und das Verhalten der Szene intensiv beobachten. Sollte das Zugeständnis nicht angenommen werden, muss man wieder zur alten Verfahrensweise zurückkehren. Die Szene hat es auch begriffen. Ein Wandel hat eingesetzt. Verfahren wurde eigentlich nur deutlicher beschrieben. Es gibt Sicherheitsrichtlinien der UEFA und der FIFA, die aber sehr abstrakt sind. Beide sind aber im Wesentlichen durch den DFB mitinitiiert worden. Der ehemalige Generalsekretär Horst R. Schmidt hat sie mehr oder weniger 1:1 in die damalige Kommission eingebracht, sodass sie von der Intention auf jeden Fall deckungsgleich sind, wenn auch abstrakter. Im Bereich Rassismus fahren sie eine stringente Linie. Die Paragrafen sehen vor, dass bei rassistischen Sprüchen und 2-3 maligem Ansprechen ein Spielabbruch droht. Die UEFA und FIFA sind weit fortgeschritten, man muss aber auch sagen, dass sich einzelne Ideen in der Realität nur schwer umsetzen lassen. Die Urteile der UEFA und FIFA sind sehr pauschal. Bei Verstößen der Fans in internationalen Spielen wird der Verein verantwortlich gemacht, bedingt natürlich, dass die Vereine es akzeptieren, was sie auch machen. In Deutschland gilt auch die verschuldensunabhängige Haftung des Vereins für seine Fans. In der Bundesliga schauen wir aber auch, was tut der Verein denn für die Sicherheit, Aufklärung, etc.. Wenn er was tut, muss es sich auch im Urteil positiv wiederfinden. Bei den internationalen Verbänden ist es natürlich schwierig alle Ideen flächendeckend umzusetzen, da die Rahmenbedingungen in den Mitgliedsstaaten zu unterschiedlich sind. Im Rassismus ist es natürlich was anderes, da sollten wir uns auch nicht auseinanderdividieren lassen. Leitfrage 6: Wo sehen Sie neben der Arbeit des DFB und seiner Verbände erfolgskritische Faktoren, um Gewaltphänomene insbesondere in Bezug auf die Ultrabewegung zu minimieren? Wo sehen Sie Optimierungspotenzial? 94 Antworten: Teilweise schon angesprochen. Alle Beteiligten müssen die Fanprojektarbeit stärken. Man muss in einen Dialog treten und verlässlich diskutieren. Es war ja schon ein Erfolg, das man überhaupt redet. War ja auch früher beim DFB undenkbar, sie zu sich einzuladen und sich alles vorurteilsfrei anzuhören. Der DFB-Präsident trifft sich alle 4 Wochen mit Fanvertretern, ohne Beisein von Abteilungsleitern, weil er ein Feeling aufnehmen will. Das kommt draußen natürlich auch an. Die Fans sehen, man nimmt uns ernst, als gleichwertigen Partner wahr, und wenn was vereinbart wurde, wird es auch eingehalten. Einheitliche Standards was Polizei betrifft sind wünschenswert, war ja auch unsere Philosophie bei der WM 2006. Sind im föderalen System aber schwierig, weil andere Mentalitäten und Strukturen in den Bundesländern vorherrschen, die man auch nicht ohne weiteres geändert bekommt. Was man aber erreichen kann, wären einheitliche Vorgaben und Richtlinien, wie man Spiele abwickeln sollte, wie die Aufgaben der Polizei sind. Das kann auch mit unterschiedlichen Philosophien verwirklicht werden, ebenso beim Ordnungsdienst, wo es ja schon gewisse Vorgaben gibt, trotzdem arbeiten alle etwas anders. Fanbeauftragten gibt es schon, Fanprojekte soll es geben, wo sie erforderlich sind. Ein Fan-Kodex soll auch eingeführt werden. Derzeit gibt es eine AG beim DFB, die sich mit dem Thema beschäftigt. Als Beispiel kann der Kodex von St. Pauli angeführt werden, der den Auswärtsfans gestattet, sämtliche erlaubten Gegenstände (Fahnen, Trommeln, Doppelhalter, etc.) mit ins Stadion zu nehmen und nicht irgendwie zu begrenzen. Es muss nur vorher gesagt werden, was man mitbringt. Sollte jedoch jemand im Schutz der Fahnen zündeln o.ä. dürfen die Fans in den nächsten 5 Jahren nichts mehr mitbringen. Wird sehr positiv von den Fans bisher aufgenommen und das Vertrauen nicht missbraucht. Ein Ehren-Kodex kann dazu führen, dass die Fans sich auf Auswärtsfahrten genauso verhalten, wie zu Hause. Möglichkeit wäre auch die Erstellung eines Leitbildes, wo einzelne Fans oder Gruppen Grundwerte einfach mal ausformulieren. Man kann, wie bei der Polizei vor einigen Jahren, sicher über Sinn und Zweck streiten, aber die Teilnahme an so einem Prozess kann sicherlich zu einem Umdenken bei dem ein oder anderen Fan führen. 95 Alle Maßnahmen können helfen, werden aber auch nicht dazu führen, dass wir nur noch friedliche und gewaltfreie Fans haben. Leitfrage 7: Wie sieht Ihre Prognose hinsichtlich der Entwicklungen im Fanverhalten allgemein und des Ultraphänomens im Besonderen kurz-/mittel-/langfristig aus? Geben Sie diesbezüglich auch eine Einschätzung über die Entwicklung von Gewalteskalationen ab. Antworten: Ich glaube, dass es in der BRD bestimmt eine Handvoll sehr kritische Ultrabewegungen gibt, wo wir sehr genau aufpassen müssen, dass die Situation da nicht außer Kontrolle gerät. In der Masse ist aber eine positive Entwicklung festzustellen. Es wird immer von italienischen Verhältnissen gesprochen, ich glaube, da sind wir weit von weg. Man darf nicht immer sagen, das kann bei uns nicht passieren, sondern man muss Entwicklungen frühzeitig erkennen. Wir erkennen sie Frankfurt, wir haben sie auch erkannt in Dortmund und Gelsenkirchen, nur um mal drei zu nennen. Da müssen wir mit dem Verein, mit dem Geschäftsführer, mit dem kompletten Umfeld, mit den Fanbeauftragten, aber auch mit dem Ultraführer in Kontakt treten. Man muss ihnen sagen, dass bestimmte Dinge nicht gehen und wenn sie für den Verein sein wollen, sie bestimmte Rahmenbedingungen beachten müssen. Im Gegenzug gestattet der Verein ihnen etwas. Aber Druck auszuüben, nach dem Motto: „Wenn du uns bestimmte Freiräume nicht bietest, werden wir dich als Verein schädigen“, geht nicht. Es gibt z. B. Forderungen nach bestimmten Kurvenplätzen, Kartenkontingenten verbunden mit der Drohung, ansonsten zeigen wir dir mal, was wir können und fahren auswärts mit, werfen Pyrotechnik aufs Spielfeld, etc. und du -Verein- musst die Geldstrafen zahlen und Punktabzug hinnehmen. Wird so deutlich nicht gesagt, aber die Macht wird suggeriert. Wir als Verband müssen aufpassen, dass wir mit der Sportgerichtsbarkeit verantwortungsvoll umgehen, um nicht plötzlich Steigbügelhalter für solche Gruppierungen zu sein. Darum ist für mich die Beweissicherung und das Überführen des Täters das wesentliche Mittel. Weil wenn ich eine Gruppierung habe, wie in Rostock, die Subtras, die vom Verein ausgeschlossen waren, die dann mit dem klaren Hintergedanken zu Auswärtsspielen fahren, um den Verein zu 96 schädigen, dann muss ich sensibler sei. Dann kann ich nicht immer den Verein bestrafen. Wenn alle zusammenarbeiten, kann man solche Phänomene verhindern. Beispiele in Italien, wo an Trainerentlassungen, etc. mitgewirkt wurde. Wenn wir das hier nur im Ansatz sehen, müssen wir die Bremse treten. Leitfrage 8: In Italien ist die Gewalt im Fußball teilweise eskaliert. Es kam u.a. zurückliegend zu den Todesfällen des Polizeibeamten Filipo Raciti, des Fans Gabrielle Sandri und jüngst zu einem Todesfall eines Fans im Zuge eines Busunfalls auf einer Auswärtsfahrt. Die Tragweite des Einflusses der Ultraszene in Italien hat eine Dimension erreicht, die von einigen Autoren in den Bereich der organisierten Kriminalität gerückt wird. Bitte führen Sie aus, ob Sie italienische Verhältnisse in Deutschland für denkbar halten? Antworten: Schon in Frage 7 mitbeantwortet Leitfrage 9: Seit einigen Tagen ist auch die EM 2008 schon wieder passe. Internationale Fußballspiele/Fußballgroßereignisse werfen nicht erst seit der Katastrophe im Heysel-Stadion 1985 oder dem feigen Angriff deutscher Hooligans auf Daniel Nivel im Jahr 1998 Sicherheitsprobleme auf. Sie waren bei der EM 2008 als Sicherheitsbeauftragter des DFB vor Ort. Wie fällt ihr „Sicherheitsfazit“ über die EM 2008, insbesondere in Bezug auf deutsche Fußballfans aus? Bitte beziehen sie die Erforderlichkeit von Vorfeldmaßnahmen mit ein. Antworten: Mein Fazit fällt durchgängig sehr, sehr positiv aus. Ich war, gerade wenn man, wie ich, aus dem Bereich Polizei kommt, im Vorfeld schon etwas kritisch eingestellt und hatte mit dem ein oder anderen Problem gerechnet. Nimmt man mal das Spiel in Klagenfurt zwischen Deutschland und Polen heraus, hatten wir null Vorkommnisse, außer natürlich mal alkoholbedingte Ausschreitungen (Kneipenschlägereien), was auch ohne Fußball vorkommt. 97 Bei dem Polenspiel gab es 140-170 Festnahmen, eine präventive Geschichte. Aus der Gruppierung, sicherlich von Einzelnen, wurde rechtsradikales Liedgut gesungen. Sie wurden dann dementsprechend als Gruppe eingestuft. In Klagenfurt war sehr viel Polizei auf der Straße, die Öffentlichkeit hatte fast Angst auf die Straße zu gehen. Teilweise bedrückend. Beim Public Viewing kamen auf 300 Zuschauer 800 Polizisten. Vielleicht hat so eine Situation aber auch dazu beigetragen, dass die Information Richtung Heimat getragen wurde und andere Gewaltbereite vom Kommen abgehalten hat. Man musste sich im Turnierverlauf schon ab und zu kneifen, und wir hatten ja auch Kontakt zur ZIS, zur heimischen Polizei und haben zwei Tage vor den Spielen mit den Sicherheitsverantwortlichen gesprochen und an den Sicherheitsgesprächen teilgenommen, dass das Lagebild am Spieltag immer eine Nulllage hergab. Es gab zwar mal Einreiseuntersagen von Personengruppen, auch die Vorfeldmaßnahmen, wie Gefährderansprache, Ausreiseuntersagungen haben dazu beigetragen, wie auch das Ticketing und Voucher System, die kontrollierte Abgabe der Karten an organisierte Busreisen haben sicherlich zur Nulllage beigetragen. Einige Gegner wie Portugal und Spanien, da war schon seitens der Fans nichts zu erwarten. Bei dem Türkeispiel hat man schon gedacht, jetzt könnte was passieren, da hat natürlich auch die Presse mitgespielt und ein gemeinsames Fußballfest propagiert, obwohl die türkische und die polnische Presse schon mal über das Ziel hinausschießen. Unsere größte Tageszeitung und die Hürriyet haben sich verbrüdert und gemeinsam gute Stimmung verbreitet. Fazit kann positiver nicht sein. Ich hatte eigentlich nach der Vorrunde nichts mehr zu tun. Nachdem ich vielfach sagen konnte, dass alles friedlich ist, ließ das Presseinteresse nach. 98 Leitfrage 10: Die Hooligans sind zahlenmäßig rückläufig, die Ultras sind vereinsfixiert und haben sich bislang noch nicht groß für die Nationalmannschaft interessiert. Wird diese Entwicklung anhalten und wird es zukünftig weniger Gewalt in Zusammenhang mit Spielen der Nationalmannschaft geben? Worauf wird es nach Ihrer Sicht ankommen? Antworten: Entwicklung wird anhalten, da sich die beiden genannten Phänomene intensiv weiter entwickeln werden. Der Hooliganismus im klassischen Sinne ist rückläufig und Ultras sind vereinsfixiert und nehmen Nationalmannschaft als Verein so nicht wahr. Es gibt den Fanklub Nationalmannschaft, mit mittlerweile 50.000 Mitgliedern, die eigentlich keine Mitglieder sind, sondern man zahlt einen Betrag, um dabei zu sein. Fanklub wird von Ultragruppierungen kritisch gesehen, weil er zu steril ist und sich nicht aus einer Szene heraus gebildet hat. Jeder Ultra kann gerne zu Spielen der Nationalmannschaft kommen oder es auch sein lassen. Die Fans der Nationalmannschaft haben während der EM mit ihren Choreografien symbolisch Zeichen gesetzt. Die Ultragruppierungen würden diese riesige Organisationsleistung in der kurzen Zeit mit ihrem kleinen Ressourcen überhaupt nicht hinbekommen. Die Zuschauerzusammensetzung bei Spielen sollte eigentlich so sein, wie sie bei Länderspielen ist, nämlich Familien und Kinder, etc. Da macht es Spaß, jeder fühlt sich sicher. Man sollte sich auch nicht zu viele Gedanken machen, warum sich die Ultras nicht für die Nationalmannschaft interessieren. Weitere Bemerkungen nach dem Interview: Fanprojekte müssen sich auch hinterfragen, auch die Mitarbeiter: Angefangen vom Aussehen (Kleidung bei Besprechungen), sie bedienen teilweise alle Vorurteile, wollen aber ernst genommen werden. Eine Zusammenarbeit geht nur mit Vertrauen und Neutralität. 95 % der Ultras sind positiv. 99 1.9 Experteninterview 9: Herr Gabriel Datum: 03.07.2008 Länge: 65:36 Minuten Leitfrage 1: Skizzieren Sie bitte eingangs kurz die Zielsetzungen und wesentlichen Tätigkeitsfelder der Koordinationsstelle Fanprojekte bzw. ihres Leiters. Antworten: Die KOS kann man als Dachorganisation der zurzeit 39 existierenden Fanprojekte verstehen. Wir haben keinen direkten Zugriff auf die Fanprojekte, sondern sind ein beratendes, begleitendes und unterstützendes Instrumentarium, um die Arbeit der Fanprojekte zu unterstützen und zu verbessern. Deswegen hat ein Teil unserer Arbeit sehr stark mit Fortbildung zu tun. Konferenzen und Fortbildungsmaßnahmen für die Fanprojekte und für die Mitarbeiter der Fanprojekte. Im zweiten wichtigen Teil kann die KOS als politisches Unterstützungsinstrumentarium in die gesellschaftlichen Institutionen hinein verstanden werden, in Richtung DFB, DFL und Politik. Die Arbeit der Fanprojekte transparent zu machen. Als 3. Tätigkeitsfeld ist es die Fachstelle in Deutschland für Fankultur und im weiteren die Möglichkeit für pädagogische Maßnahmen im Rahmen der Fankultur. Ein weiterer Bereich, der sich immer mehr herauskristallisiert und 1993 bei der Gründung noch nicht so gesehen wurde, ist die internationale Zusammenarbeit. Fußball als globaler Sport, schon allein dadurch, dass es Europapokalspiele, EM und WM- Spiele und das internationale Transfergeschehen gibt. Ein Tätigkeitsfeld, was bei der Gründung festgeschrieben wurde, war die Fanbetreuung bei Länderspielen und beim Pokalendspiel. Wir sind gerade von der EM 2008 zurückgekommen mit einem ganz umfassenden Fanbetreuungskonzept zum größten Teil vom DFB finanziert, teilweise auch von der UEFA teilfinanziert. Wir haben bei der WM 2006 in allen 12 Standorten die Fanbetreuung organisiert. Ein Tätigkeitsfeld was enorm an Bedeutung hinzugewonnen hat. 100 Leitfrage 2: Die Saison 2007/2008 ist beendet. Wie fällt aus Sicht der KOS-Fanprojekte die abgelaufene Spielzeit aus? Beschreiben Sie dabei aus Ihrer Wahrnehmung heraus das derzeitige Fanverhalten insgesamt und die Gewaltsituation rund um den Fußball in Deutschland und wenn es Ihnen aufgrund ihrer Funktion möglich ist, auch darüber hinaus. Antworten: Ich mache es mal mit einer Verbindung zu Frage 1. Mit Einrichtung der KOS war die Hoffnung verbunden, mit der Beratungstätigkeit in die Kommunen, Verbände, Vereinen hinein, dass vermehrt Fanprojekte installiert werden. Bei der Gründung 1993 gab es 12 Standorte unter sehr prekären Bedingungen. Nun gibt es 39 Fanprojekte. Das kann man schon als Erfolgsgeschichte sehen. Ist auch ein Beleg dafür, dass der Arbeitsansatz sich mehr und mehr etabliert hat und ist nicht mehr so exotisch ist, wie früher. Nach der WM 2006 war unsere Perspektive geprägt von der immer stärker werdenden Unterstützung für diesen Arbeitsansatz und die Arbeit der Fanprojekte sowohl auf politischer als auch auf verbandlicher Ebene. Mit der Präsidentschaftsübernahme beim DFB von Theo Zwanziger, und der damit verbundenen Ausrichtung, auch mehr außersportliche, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, wurden die Fanprojekte nachhaltiger unterstützt. Hat dazu geführt, dass nach der WM eine Reihe neuer Fanprojekte entstanden sind und jetzt auch wieder 4-5 potenzielle Neubeginner anfangen können zu arbeiten. Seit der WM hat sich unsere ureigenste Arbeit, nämlich Fanprojekte zu installieren, positiv entwickelt. Was das Fanverhalten anbetrifft, sind es mehrere Parameter, die betrachtet werden müssen. Zum einen hat es in der 1. und 2. Liga zum 6. mal in Folge einen Zuschauerrekord, wohl auch europa- und weltweit, gegeben, obwohl die Ligen sportlich nicht so stark eingeschätzt werden, wie die in England oder Spanien. Es muss also ungemein attraktiv sein, in Deutschland zum Fußball zu gehen. Es kann also nicht gefährlich sein. Menschen müssen das Gefühl haben, sicher zu sein, wenn sie zum Fußball gehen. Da es sportlich nicht so attraktiv scheint, muss es noch andere Gründe geben und da meine ich, dass auch die Anfeuerungskultur der Ultras dazu beigetragen hat. Eine sehr positive Entwicklung. 101 Was wir noch beobachten, um auf die negative Seite zu kommen, ist die bei den Ultras seit einigen Jahren, etwa 3-4 Jahren anhaltende Tendenz zur Unruhe und Gewalt. Die Ansprechbarkeit von Ultragruppierungen durch die Polizei lässt nach. Und was wir noch wahrnehmen seit einigen Jahren ist das durch die Ultras klar formulierte Feindbild in Richtung Polizei und Sicherheitsdienste allgemein. Nicht bei allen Ultras, aber bei Teilen. Leitfrage 3: Spätestens mit den NKSS im Jahr 1992 wurde die Fanarbeit auf professionellere Beine gestellt und „verpflichtend“ gemacht. Trotzdem werden die Vorgaben nicht flächendeckend umgesetzt. Skizzieren Sie bitte den derzeitigen Ist-Stand der Fanprojektarbeit in Deutschland und nennen sie feststellbare Problembereiche. Antworten: Aus Sicht der Fanprojekte ist, nachdem das Land Sachsen ja im letzten Monat eingestiegen ist, das Land Baden-Württemberg zu nennen, was keine Zahlungen leistet. Im Vergleich zu 1993 ist die Situation aber, was die Finanzierung und Akzeptanz der Fanprojekte anbelangt, befriedigend. Trotzdem wird in Kommunen vielfach bei der Förderung das immense Potenzial, das in den Fanprojekten liegt, nicht genügend wahrgenommen und gefördert. Durch die große Kommunikationsleistung in alle gesellschaftlichen Bereiche hinein haben die Fanprojekte ein Alleinstellungsmerkmal. Es gibt kaum einen, der in alle Bereiche, wie Fanszene, Vereine, wie Polizei so unabhängig arbeiten und argumentieren kann. Die Kommunikationsleistung wird nicht genug Wert geschätzt, gerade in Standorten mit den größten Ultragruppen, wie Frankfurt und Nürnberg, die die meisten Themen zu behandeln haben, arbeiten die Fanprojekte mit 1,5 Mann in prekären Bedingungen und es besteht die Gefahr, zu einer Alibi-Funktion zu verkommen. Die Kommunen sich aus der Verantwortung entziehen, in dem man darauf verweisen kann, wir haben ja ein Fanprojekt. Beim NKSS ist das größte Defizit die örtlichen Ausschüsse Sport und Sicherheit. Der Kern des NKSS ist die Zusammenarbeit/Kommunikation aller Beteiligter. Das müsste sich in den Ausschüssen manifestieren, die es jedoch in den wenigsten 102 Standorten gibt und nicht gepflegt werden. Hier wären die Kommunen in der Verantwortung sie einzurichten und am Leben zu halten. Deswegen ist die Zusammenarbeit nicht eng und transparent genug. Hier gibt es bestimmt ein großes Verbesserungspotenzial. Auf Nachfrage ohne Aufnahme: Neue FP in Braunschweig, Chemnitz, Kaiserslautern, Augsburg, Rostock, Lübeck, (München wird wegen Bayern und München 60 durch die KOS immer doppelt gezählt, obwohl so in den Jahresberichten nicht ausgeworfen, sodass es manchmal zu abweichenden Zahlen kommen kann). Beim BFC Dynamo Berlin soll in Kürze ein Sonderprojekt aufgelegt werden. Leitfrage 4: Seit einigen Jahren ist die Ultrabewegung in den Mittelpunkt fan- und sicherheitspolitischer Debatten geraten. Sie zeichnet sich durch leidenschaftlichen Support aus und erhält gerade von jugendlichen Fußballfans einen erheblichen Zuwachs. Dem gegenüberstehend wird bei ihnen vorrangig von der Polizei, aber auch von anderen Institutionen, eine gesteigerte Gewaltbereitschaft und Aggressivität beobachtet. Eine Zusammenarbeit und Kommunikation wird durch die Ultras meist völlig abgelehnt oder gestaltet sich sehr schwierig. Polizei, Verbände und die Medien werden als Feindbilder bezeichnet. Selbst Fanbeauftragte oder Fanprojekte kommen vereinzelt nicht mehr ohne Weiteres an die Ultras ran. Stimmen sie den Wahrnehmungen zu? Erläutern Sie bitte, wie Sie die Ultraproblematik sehen und wie die Zusammenarbeit zwischen Ultras und dem Fanprojekten/KOS funktioniert. Antworten: Antwort bezieht sich mehr auf Fanprojekte, da die KOS nicht direkt mit Ultras arbeitet. Man kann die Sicht nur verstehen, wenn man 10 Jahre zurückschaut, zum Anfang der Ultrabewegung. Wir als KOS haben im Januar 2002 eine Ultrakonferenz gemacht, wo wir über 40 Ultragruppierungen nach Frankfurt eingeladen haben, um über Perspektiven zu reden, ihnen ein Forum zur Verfügung zu stellen, dass sie miteinander reden können. Hintergrund war, dass wir festgestellt hatten, dass auf Seiten von Vereinen, aber insbesondere auch der 103 Polizei ein großes Unwissen über die Ultras vorherrschte. Was sie ausmacht, wer ihre Träger, was ihre Interessen und Ziele sind. Damals sind Beschwerden der Ultras rasant gestiegen, dass sie von der Polizei behandelt würden, als seien sie ein Gewaltproblem, was sie Anfang der 90er Jahre definitiv nicht waren. Sie sind angetreten, um die Stimmung zu verbessern. Es gab zwar mal hier oder da Tendenzen, mehr aber nicht. Natürlich orientiert an Italien auch an den dortigen Umgang mit Pyrotechnik und den Feindschaften. Sie haben aber bewusst gesagt, dass sie einen einheitlichen Support haben wollen und auf die Politik, die in Italien maßgeblich ist und die Gewalt verzichtet. Was uns damals schon aufgefallen ist, dass die Szene entproletarisiert war. Es waren viele Studenten, viele, die schon im Berufsleben standen in der Szene, die sich gut artikulieren konnten und auch ein großes Bedürfnis an Kommunikation hatten. Einer hat auch mal gesagt, dass sie die Hools verdrängt hätten und die Polizei jetzt keinen Feind mehr hätte und das ganze Arsenal auf uns anwenden würde. Aus Sicht eines jungen Ultras war die Perspektive nachzuvollziehen. Unsere Intention mit der Konferenz war, die Kommunikation auch in die Vereine zu bringen, da die auch nicht damit umgehen konnten. Bei der Konferenz ist auch die Entscheidung für die Demo beim Pokalfinale 2002 in Berlin gefallen, die für Fankultur, gegen Kommerz und Kriminalisierung hieß. 2.500 Teilnehmer, absolut friedlich. Viele Kommunikationsversuche, gerade mit den Vereinen, die immer an erster Stelle zu nennen sind, da sie in der maßgeblichen Verantwortung stehen, sind gescheitert, und nicht weil die Ultras nicht wollten, sondern weil die Vereine nicht darauf reagiert haben. Auch die Polizei nicht, die ich aber bewusst erst an 2. oder 3. Stelle nenne, da sie einen anderen Auftrag hat. Sie hat keinen pädagogischen Auftrag, jedoch auch die Verpflichtung sich sozialwissenschaftlich so zu schulen, dass sie um die Szene weiß, welche Mechanismen von ihr ausgehen und welche Reaktionen auf Aktionen folgen können. Aber andere sind eher in der Verpflichtung. Symbolisch kann man die Stadionverbotsdiskussion nennen. Hier sind auch die 3 Mitspieler im Boot. Es ist ein Instrument der Vereine, sie haben die Verantwortung. Aber die Realität hat gezeigt, dass die Polizei es häufig als ihr Instrument ansieht. Die Richtlinien haben es ja dann auch so vorgesehen, dass die 104 Vereine, wenn sie von einem Ermittlungsverfahren erfuhren, ein Stadionverbot auszusprechen hatten. Es war nicht selten so, dass Fans subjektiv und objektiv zu Unrecht bestraft wurden. Dieser Umgang ist auch eine Kommunikation mit der Fanszene, oftmals die einzige. Die Vereine dürfen sich nicht wundern, wenn sie die Fans abstrafen, sie nicht anhören, dass keine Kommunikation mehr gesucht wird. Hat auch sicher mit der Entwicklung zu tun, dass sich die Gruppen immer mehr mit sich beschäftigen. Ich wüsste keinen Standort, wo es keine Kommunikation zwischen Ultras und örtlichem Fanprojekt gibt. Bei Gruppen um die 100 Personen gibt es keine einheitliche Zielsetzungen. Es gibt die, die für Stimmung stehen, die für Choreografien stehen und es gibt auch die, die dafür stehen, „was auf der Straße abgeht“. Die Frage ist immer, wer die Hoheit gewinnt. Es ist festzustellen, dass die, die sich später auch vermummen, zurzeit an Einfluss gewinnen. Insgesamt, vielleicht von 1-2 Standorten abgesehen, funktioniert die Kommunikation super. Fanprojekt ist einzige Institution die Kommunikation gewährleistet. Leitfrage 5: Was haben die KOS/Fanprojekte bereits konkret getan und was können die internationalen und nationalen Fanprojekte und die KOS tun, um den Gewaltphänomen im Fußball insgesamt und insbesondere im Zusammenhang mit der Ultrabewegung entgegenzuwirken? Wo liegt bei den Fanprojekten Optimierungspotenzial? Gehen Sie bitte dabei auch darauf ein, ob Sie die vorhandenen Regelungen und Richtlinien für ausreichend und aktuell genug erachten. Antworten: Was sich geändert hat, im Vergleich zu Hooligans und Kutten, ist dass die Bedeutung der einzelfallbezogenen Sozialarbeit deutlich zurückgegangen ist. Die Größe der Ultragruppierungen macht es schwierig, sich langfristig mit Einzelnen zu beschäftigen. Der Organisationsaufwand wird für Fanprojekte größer. Vor dem Hintergrund knapper Ressourcen müssen sie sinnvolle Maßnahmen anbieten, die die Rahmenbedingungen der Ultras berücksichtigen. 105 Was alle Fanprojekte machen, sind U 16/U 18- Fahrten, also ganz gezielt, Arbeit mit jungen Fußballfans, die neu in die Kurven kommen. Wo auch bei Fahrten ohne Nikotin und Alkohol Merkmale der Fankultur in Frage gestellt werden. Man muss nicht betrunken sein, um Spaß am Fußball zu haben. Und das Zusammentreffen mit anderen Fangruppen, wo auch das Wir und Ihr aufgezeigt und überbrückt werden soll. Ultra ist die jüngste attraktivste Szene, worauf mit diesen Angeboten reagiert wird. Die Ultraszene bietet, gerade weil sie schlauer, interessierter sind, ein großes Potenzial für Bildungsinitiativen und -arbeit. Auch vor dem Hintergrund der Anregung von Dieter Bott, und aktueller Umfragen der Friedrich-Ebert-Stiftung müssen die Fanprojekte vor Ort überlegen, ob es für sie nicht auch ein Weg ist, dort einzusteigen. Die Zahlen von Heitmeyer zeigen, dass immer mehr junge Menschen den Glauben in die Demokratie, an demokratischen Aushandlungsprozessen verlieren. Es gewinnt immer mehr der Ruf nach einer starken Hand, autoritären Führungsstrukturen an Bedeutung. Hier ist ein Ansatzpunkt für Fanprojekte, um Demokratie, Menschenwürde zu platzieren. Hier gibt es bei Fanprojekten sicherlich noch Optimierungspotenzial. Gerade weil sie von Geldgebern nur auf Gewaltverhinderung reduziert werden, was zwar ein Ziel, aber nicht der Auftrag ist. Der Auftrag ist die Fans in die Gesellschaft zu begleiten. Bedeutet natürlich Konfliktpotenzial, weil die Vereine nicht immer Interesse haben, einer aufgeweckten Fanszene gegenüberzustehen, die Bedarf nach Erklärungen hat. Stört vielfach den Geschäftsablauf, wo es um kommerzielle Dinge geht. Auf Nachfrage zu Regelungen: Es gibt 3 Bereiche, die zu erwähnen sind: Bei der Datei Gewalttäter Sport sehe ich dringenden Handlungs- und Optimierungspotenzial dahin gehend, dass derjenige, der dort eingetragen wird, auch darüber Kenntnis erhält, damit er Widerspruch einlegen oder sich auf die Situation einstellen kann. Es ist oftmals kein Spaß, wenn man bei Urlaubsfahrten an der Grenze 4 Stunden verhört wird. Das kann man vermeiden. Ist für mich so der zentrale Optimierungsbedarf. Wäre demokratischer, transparenter. 106 Fußballbezogen ist positiv, dass der Verband, die UEFA klar Position bezogen hat, was das Thema Rassismus, Diskriminierung anbelangt. Fußball muss frei sein davon. Verbote sind das eine, aber die Vereine müssen es noch glaubwürdiger vermitteln. Es nutzt nichts, wenn der Kapitän einmal im Jahr eine Botschaft vom Zettel abliest, das glaubt letztlich keiner. Was die Stadionverbote anbetrifft, sehe ich zwar noch Verbesserungspotenzial, aber das Signal vom Fußball in die Fanszene, dass man sich gemeinsam mit Fanorganisationen hingesetzt und darüber gesprochen hat und die Richtlinien demokratischer und transparenter zu gestalten, ist nicht hoch genug zu bewerten. Wir bekommen jetzt auch konkret von einzelnen Standort Umsetzungsbeispiele herein, wie z. B. KSC, wo mit Fanprojekt und Verein unter Einbeziehung der Fans festgelegt wird, wie damit umzugehen ist, was positiv aufgenommen wird. Leitfrage 6: Wo sehen Sie neben der Arbeit der Fanprojekte erfolgskritische Faktoren, um Gewaltphänomene insbesondere in Bezug auf die Ultrabewegung zu minimieren? Wo sehen Sie Optimierungspotenzial? Bitte gehen Sie auch darauf ein, was die Ultras selbst unternehmen müssen, wenn sie den Weg nicht weitergehen wollen. Antworten: Ich glaube, es ist fast eine unauflösbare Situation, in der sich der jugendliche Fußballfan im Rahmen des professionellen Fußballs befindet. Es ist mir kein Verein, mit Ausnahme von St. Pauli, bekannt, der die Fanarbeit für so wichtig erachtet, wie sie für die Interessen des Vereins sind. Es hat sich insoweit strukturell verbessert, dass alle Bundesligavereine mindestens einen hauptamtlichen Fanbeauftragten (FB), manchmal zwei haben. Die FB sind aber zu weit unten in der Hierarchie angesiedelt, Bedeutung der FB wird von Vereinen nicht richtig eingeschätzt und die Vereine legen zu wenig Wert auf die Qualität der FB. Vereine haben hier Verantwortung und Chance, weil Vereine das emotionale Ziel der Ultras sind. Es sind ja weniger die Spieler, sondern das Umfeld, das Stadion, dem sich die Ultras verpflichtet fühlen. Es wird ja symbolischer, teilweise verliert man das Herz schon an die Stadt. Vereine gehen sehr instrumentell mit der Szene um, Kommunikation müsste glaubwürdiger gestaltet werden. 107 Es ist unauflösbar, weil Lage im globalen Wettbewerb immer schwieriger wird. Im Vergleich zu ausländischen Ligen will man wettbewerbsfähig bleiben und Geld verdienen. Da spielen Anstoßzeiten, Vermarktung, etc. eine riesengroße Rolle. Leute, die dafür eingestellt werden, sind immer mehr Manager und kommen nicht aus dem Fußball, sondern z. B. aus der Unterhaltungsbranche. Da frage ich mich schon, wie soll eine Kommunikation überhaupt noch möglich sein. Man darf Erwartungen der Fans nicht nur kalt und instrumentell begegnen. Das hat auch Auswirkungen auf Sicherheit rund um den Fußball. Wenn Fans nur auf Desinteresse stoßen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Fans auch verantwortungslos mit ihrem Verein umgehen. Die Verantwortung des Vereins spielt auch bei den Privaten Sicherheitsdiensten eine große Rolle. Die Vereine beauftragen diese und setzen die Rahmenbedingungen, unter denen diese im Stadion arbeiten. Vereine haben Verantwortung, dass Qualität entsprechend ist. Ist laut Rückmeldungen der Polizei oftmals nicht der Fall. Bestes Beispiel EM 2008. Hier waren 18-20 Ordner in der Fanzone eingeteilt, die in der Datei Gewalttäter Sport waren. Was dem DFB mit Unterstützung der KOS, mit den Fankongressen gelungen ist, muss auch die Polizei versuchen. Es ist zwar strukturell schwieriger aufgrund der verschiedenen Zuständigkeiten, sollte aber eh eher auf örtlicher Ebene passieren. Bestes Beispiel ist z. B. das Konzept Hannover, was uns bei der letzten Bundeskonferenz vorgestellt wurde. Wie Fans dort begrüßt werden und welche hohe Kommunikationsleitung gegenüber Fans schon weit im Vorfeld erbracht wird. Wird aus Fanszene positiv selbst bei Risikospielen zurückgemeldet. Kann aber auch sein, dass es nur bei Risikospielen eingesetzt wird. Würde mir wünschen, dass es Schule macht. Es gibt viele in den Ultraszenen, die ein Bedürfnis haben ernst genommen und gut behandelt zu werden. Es gibt nur kleine Teile, wo die hooligantypischen Aspekte im Vordergrund stehen. Die nur wegen Krawall irgendwo hinfahren. Das ist aber die Verantwortung der Ultras. Die maßgeblichen Leute müssen mehr in die Verantwortung gehen für die Gruppe. Es wird häufig aus den Gruppen gesagt, „Jeder ist für sich selbst verantwortlich“ und es wird bei Attacken kleiner Gruppen nicht gesehen, dass sie das Ansehen der ganzen Gruppe in 108 Mitleidenschaft ziehen. Oftmals wird diese Kultur, zwar nicht mitgemacht, aber emotional mitgetragen. Die Ultrabewegung wird nie eine Chance haben, wenn sie sich gegen die Polizei wendet. Über die Ultras hinaus müssen sich alle Fans, Fanabteilungen, Kutten, etc. in Sachen interner Kommunikation anstrengen. Darüber, „was ist Fankultur, was wollen wir in unserer Kurve haben und was nicht?“ Beispiel Nürnberg, wo nach dem „Fast-Abbruch“ in Frankfurt das Fanprojekt zwei faninterne Runden organisiert hat, wo das Unbehagen der normalen Fanszene auf die Ultraszene getroffen ist und ein Austausch stattgefunden hat. Der Grundkonflikt liegt darin, dass die Fans früher ins Stadion gegangen sind, um das Spiel zu sehen und mit der Vorstellung die Anfeuerung hilft der Mannschaft, das Spiel zu gewinnen. Natürlich auch um Leute zu treffen, sich „volllaufen zu lassen“, aber das Spiel stand im Mittelpunkt. Bei den Ultras hat es sich vom Spiel gelöst, dadurch, dass der Anfeuerer mit dem Rücken zum Spiel steht. Ist praktisch das Symbol dafür. Anfeuerungen haben sich vom Spiel gelöst. Der Grundkonflikt, der die ganze Zeit unterschwellig da war, muss artikuliert werden. Wenn Kommunikation darüber da ist, was man als Fankultur haben will, dann wird man auch Einigkeit bei anderen Punkten erzeugen. Geht es bei einfachen Punkten, wie der Fankultur nicht, wird es bei Themen wie Gewalt und Rassismus noch schwieriger. Leitfrage 7: Wie sieht Ihre Prognose hinsichtlich der Entwicklungen im Fanverhalten allgemein und des Ultraphänomens im Besonderen kurz-/mittel-/langfristig aus? Geben Sie diesbezüglich auch eine Einschätzung über die Entwicklung von Gewalteskalationen ab. Antworten: Eine Einschätzung zur Gewalteskalation kann ich nicht abgeben. Wenn man die Situation rum um den Fußball als Spannungsfeld begreift, wobei ich als die 3 größten Spannungsfelder Kommerzialisierung, Repression und Fankultur bezeichnen würde. Fankultur mit all den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen unter den Jugendliche heutzutage aufwachsen, die zunehmend prekärer werden. 109 Hier steckt eine hohe Spannung drin. Einerseits die durch die Kommerzialisierung hohen Anforderungen an die Vereine, die in der Regel zulasten der Fans gehen, die zu wenig Geld bringen, andererseits die gesellschaftlichen Entwicklungen, die zunehmend für Law and Order attraktiv werden. Beispiel U-Bahn-Überfall in München. Trotz des verlorenen Wahlkampfes von Koch in Hessen zeigt sich eine Tendenz eher auf polizeiliche, strafende, als auf resozialisierende, pädagogische Maßnahmen zu setzen. Ein Spannungsfeld, was Einfluss auf die Fankultur hat und Potenziale für richtige Konflikte birgt. Alle Beteiligte müssen um globale Entwicklungen wissen, um vor Ort weise Entscheidungen zu treffen, z. B. Verzicht auf einem weiteren Sponsorennamen oder so. Die Vereine müssen wissen, dass selbst kleine symbolische Zeichen eine große Bedeutung gewinnen können. Die Vereine müssen eine ehrliche und glaubhafte Kommunikation pflegen. Fans wollen keinen „Honig um den Mund geschmiert bekommen“, sie wollen eine klare Ansage und das ihre Interessen wahrgenommen werden. Der Fußball hat bei den gesellschaftlichen Entwicklungen (bröckelnde Familienstrukturen, Orientierungslosigkeit durch den Wegfall der Kirche oder von Arbeitsplätzen) die riesige Chance, denen, die durch das Rost zu fallen drohen, das Gefühl zu vermitteln, dazuzugehören. Ich finde es klasse, dass Theo Zwanziger auch die Verantwortung sieht, die der Fußball hat. Die Vereine sollten sich am DFB-Präsidenten ein Vorbild nehmen. Leitfrage 8: In Italien ist die Gewalt im Fußball teilweise eskaliert. Es kam u.a. zurückliegend zu den Todesfällen des Polizeibeamten Filipo Raciti, des Fans Gabrielle Sandri und jüngst zu einem Todesfall eines Fans im Zuge eines Busunfalls auf einer Auswärtsfahrt. Die Tragweite des Einflusses der Ultraszene in Italien hat eine Dimension erreicht, die von einigen Autoren in den Bereich der Organisierten Kriminalität gerückt wird. Bitte führen Sie aus, ob Sie italienische Verhältnisse in Deutschland für denkbar halten? Antworten: Ich halte es in Deutschland für undenkbar. Da ist das NKSS das Hauptargument, in dem die Zusammenarbeit und Kommunikation aller Beteiligten angelegt ist, mit der Kritik, dass die örtlichen Ausschüsse in den wenigsten Orten funktionieren. 110 Spätestens seit den 90er Jahren findet in Deutschland eine intensive Fanarbeit, mindestens immer Kommunikation statt, was in Italien nie der Fall war. Die einzige Reaktion in Italien auf Fankultur sind Ignoranz der Vereine und strafverschärfende Gesetze. Erschreckend ist, dass Tote nicht als Skandal wahrgenommen werden. Es gehört dazu. Das wäre in Deutschland undenkbar. Ich kann nicht ausschließen, dass es in Deutschland auch mal zu einem Unglücksfall kommt. Es ist dann aber ein Unglücksfall und nicht wie in Italien eher ein Regelfall. Es gibt natürlich in Deutschland Standorte, wo die Strukturen rund um Vereine schwach sind und wenn man von der 2. Liga heruntergeht, nehmen die Orte zu, wo auch eine vergleichbare Ignoranz da ist. Ich lehne mich mal aus dem Fenster und sage, dass Leipzig so ein Standort ist. Es besteht rund um Lok insbesondere eine große Ignoranz und Tendenz, die Augen zu zu machen und alles der Polizei zu überlassen. Lokal ist es vielleicht ansatzweise denkbar, auf Deutschland bezogen undenkbar. Leitfrage 9: Seit einigen Tagen ist auch die EM 2008 schon wieder passe. Internationale Fußballspiele/Fußballgroßereignisse werfen auf der einen Seite nicht erst seit der Katastrophe im Heysel-Stadion 1985 oder dem feigen Angriff deutscher Hooligans auf Daniel Nivel im Jahr 1998 Sicherheitsprobleme auf. Auf der anderen Seite werden von den Fans „Sommermärchen“ zelebriert. Sie waren bei der EM 2008 als Leiter der KOS „vor Ort am Fan“. Wie lautet ihr Fazit zur EM 2008? Antworten: Die EM 2008 hat eine Entwicklung bestätigt, die wir seit Frankreich 1998 beobachten konnten. Es fahren mehr Menschen zu den Turnieren, als Eintrittskarten vorhanden sind. Demzufolge ist die Verantwortung der Organisatoren für die Situation außerhalb der Stadien gestiegen. Da wo Fans als Gäste willkommen geheißen werden, sind die Vorfälle zurückgegangen oder gar nicht mehr vorgekommen. Es gibt eine Reihe von Faktoren dafür. Die Turniere sind für die kleine Hooliganszene immer mehr uninteressant. Ich würde mal die Prognose wagen, dass es bei großen internationalen Turnieren nicht mehr zu größeren 111 Sicherheitsproblemen kommt, wenn die gastfreundlichen Rahmenbedingungen, wie in Portugal 2004, bei der WM 2006 und jetzt bei der EM 2008 beibehalten werden und auch die polizeilichen Konzepte nicht wie in Belgien 2000 nur auf Stärke setzen. Auf Nachfrage zur konkreter Arbeit bei der EM 2008 vor Ort: Wir sind mit der Fanbetreuung seit 1990 im Einsatz. Wir haben 1992 unabhängig von den Engländern, aber zeitgleich das Instrument der Fanbotschaft erfunden, das wir bis heute verfeinert haben. Es geht um Information, Service und Unterstützung für reisende Fußballfans. Es soll auch ein Signal der Gastfreundschaft sein. Wir waren jetzt bei der EM 2008 mit einer sichtbaren mobilen Fanbotschaft, einem alten Feuerwehrwagen, an allen Spielorten, auf zentralen Plätzen vor Ort, sodass jeder Fan eine Anlaufstelle hatte und Antworten auf seine Fragen erhalten konnte. Wir hatten im Vorfeld schon eine Webseite lanciert, wo Fans Reisewege, Entfernungen, etc. erkunden konnten. Wir haben einen Fan-Guide gedruckt.. Wir waren mit 12 Leuten vor Ort, 10 aus den Fanprojekten und 2, die für die Homepage verantwortlich waren, die tagesaktuell gehalten wurde. Wir hatten eine Helpline geschaltet, sodass wir rund um die Uhr erreichbar waren. Es gab eine internationale Zusammenarbeit. Zehn weitere Nationen hatten ähnliche Fanbotschaften vor Ort und wir haben die Chance genutzt, z. B. bei dem Spiel gegen die Türkei gemeinsam mit den türkischen Fanbetreuern eine gemeinsame deutsch-türkische Fanbotschaft zu machen. Haben auch noch ein gemeinsames Transparent gemacht, um auf den Begegnungscharakter hinzuweisen. Haben das im Endspiel mit den Spaniern auch getan, um zu unterstreichen, dass Fußball ein Ort der Begegnung und nicht der Konfrontation ist. Leitfrage 10: Die Hooligans sind zahlenmäßig rückläufig, die Ultras sind vereinsfixiert und haben sich bislang noch nicht groß für die Nationalmannschaft interessiert. Wird diese Entwicklung anhalten und wird es zukünftig weniger Gewalt in Zusammenhang mit Spielen der Nationalmannschaft geben? Worauf wird es nach Ihrer Sicht ankommen? 112 Antworten: Ist schwierig zu prognostizieren. Die Ultras sind vereinsfixiert. Es gibt auch große Animositäten zwischen einzelnen Ultragruppen, sodass es schwer vorstellbar scheint, dass diese Animositäten im Rahmen der Nationalmannschaft nach hinten treten werden. Ähnlich wie es bei der Hooliganszene Anfang der 80er Jahre auch der Fall war. Da war ja dann die bevorstehende EM 88 der Anlass den sogenannten „Deutschland-Mob“ zu bilden, da man befürchtete, gegen die englischen Hooligans auf verlorenem Posten zu sein. Sehe ich bei den Ultras momentan nicht. Die Spiele rund um die Nationalmannschaft sind zunehmend uninteressanter geworden. Die Häufigkeit von Problemen war noch vor 5-10 Jahren wesentlich größer. Dazu beigetragen haben auch strukturelle Verbesserungen der Rahmenbedingen beim DFB. Es gibt einen Fanbeauftragten dort, die Fanprojekte sind auch regelmäßig bei Spielen vor Ort im Einsatz, die Fanbeauftragten der Vereine werden auch durch den DFB eingebunden, ein Ordnungsdienst, der von Bayer 04 Leverkusen, wird mitgenommen. Es gibt gewachsene Zusammenarbeitsstrukturen, die die Rahmenbedingungen verändert haben. Auch bei Spielen im Ausland ist es für Hooligans uninteressanter geworden. Es gibt immer noch die Bereiche, wenn es nach Osteuropa geht, dass diese Spiele dann auch politisch von rechten Hools oder Rechten genutzt werden wollen. Das ist immer noch eine Problematik, die sich auch weniger im Stadion abspielt, sondern auf den Straßen. Da gibt es noch einen ziemlichen Bedarf. Wir würden es begrüßen, wenn man sich in Deutschland an den positiven Erfahrungen orientiert, die in England gemacht wurden. Weil sich dort die Szene und England war ja noch stärker gestraft, als Deutschland, absolut zum Positiven gewandelt hat. Ich glaube, es gibt seit 2002 in Japan keinen einzigen negativen Vorfall mit Engländern bei einem internationalen Turnier. Dazu beigetragen hat meiner Meinung nach auch, dass sie kontinuierlich bei allen Länderspielen im Ausland und nicht wie wir bei nur bei internationalen Turnieren, eine Fanbotschaft einsetzen, unabhängig davon in welchem Land das Spiel stattfindet. Auch in Trinidad&Tobago waren sie mit einer Fanbotschaft vor Ort. Die Kontinuität ist entscheidend und das Signal wir tun immer was für euch, auch wenn ihr mal keine Probleme macht. Das wäre ein Bereich, wo es auch in 113 Deutschland noch Entwicklungspotenzial gibt, aber es kostet Geld und da ist immer die Frage, ob es gelingt. Anmerkung nach dem Interview: Mit dem Fankongress, der am Wochenende stattfindet, möchte die UEFA eine Organisation schaffen, die als Ansprechpartner für Fans fungiert. Im Bereich Schiedsrichter, Medien und Spieler gibt es entsprechende Ansprechpartnerstellen, nur für die Fanbelange nicht. Das soll jetzt mit Hilfe der FSI auf den Weg gebracht werden. 114 1.10 Experteninterview 10: PHK Gössing Datum: 07.07.2008 Länge: 24:12 Minuten Leitfrage 1: Bitte skizzieren Sie eingangs kurz die wesentlichen Tätigkeiten und Aufgabenfelder eines SKB Team Deutschland bzw. des Leiters SKB Team Deutschland. Antworten: Grundsätzlich gibt es keine Unterschiede zwischen den SKB-Tätigkeiten in der Bundesliga, Ligaalltag oder bei der Nationalmannschaft. Wesentliche Aufgabe ist, bei den operativen Einsätzen das Motto „Sehen und Gesehen werden“. Was festgestellt wurde, dass es bei der Nationalmannschaft sogenannte Länderspielfahrer gibt, die nahezu ausschließlich die Begegnungen der Nationalmannschaft im In- und Ausland besuchen. Hier sollte derselbe Effekt erzielt werden, wie er im Ligaalltag erzielt wird, nämlich dass die Fans die szenekundigen Beamten kennen und die SKB die Problemfans ebenfalls kennen. Das Kennen ist wichtig, um sie dann, wenn sie vor Ort agieren, aus der Anonymität herausholen zu können. Ihnen soll deutlich gemacht werden, wir kennen euch, ihr kennt uns, bitte bewegt euch im Rahmen der Gesetzes, sonst müssen polizeiliche Maßnahmen angeregt werden. Das ist unser Job, auch im Ligaalltag, wir werden in den seltensten Fällen selber aktiv, sondern in Beratung mit dem Polizeiführer, mit den uniformierten Kräften. Es werden dann, wenn persönliche Gefährderansprachen nicht ausreichen, präventive oder repressive Maßnahmen durchgeführt und angeregt und das in enger Zusammenarbeit mit den uniformierten Kräften im Inland, aber insbesondere auch im Ausland. Leitfrage 2: Sie waren als Leiter des SKB Teams Deutschland bei der EM 2008 in der Schweiz und Österreich eingesetzt. In dieser Funktion waren Sie auch in die deutschen Vorbereitungen eingebunden. Bitte stellen Sie kurz dar, wie sich die Vorbereitungen gestaltet haben. Bitte geben Sie an, welche Vorfeldmaßnahmen, in welcher Größenordnung getroffen wurden. 115 Antworten: Die Vorbereitungen des SKB Team Deutschland fußen auf vielen Erfahrungen im Zusammenhang mit Freundschafts- bzw. Qualifikationsspielen der Nationalmannschaft. Das unterscheidet sich von den vielen Vorfeldmaßnahmen, die an den Standorten durchgeführt wurden. Hierfür ist das SBK Team Deutschland nicht verantwortlich, das obliegt ausschließlich den jeweiligen Standorten. Entweder sind die Behörden zuständig, in denen die Problemfans wohnen oder es kommt vor, dass die Standorte von Vereinen mit Problemfans Empfehlungen an die Wohnortbehörden abgeben bzw. Maßnahmen anregen. Wir haben uns operativ bei Qualifikations- und Freundschaftsspielen sowie im Zusammenhang mit dem Pokalendspiel in Berlin vorbereitet. Das Pokalspiel nutzen wir alljährlich als 2tägige Aus- und Fortbildungsmaßnahme. Wir haben uns in einem Dreitagesseminar auf die beiden Ausrichterstaaten Österreich und Schweiz vorbereitet. Dem Team SKB Deutschland gehören insgesamt 14 SKB an, die im Alltag bestimmte Standorte abdecken von Nord nach Süd, von Ost nach West, auch ligenunabhängig. Wir haben bis runter zur Oberliga Kollegen in diesem Team, können so flächendeckend in ganz Deutschland die Szene abdecken bzw. haben über die Kollegen, die Möglichkeit, in die einzelnen Regionen telefonische Rückfragen zu stellen bzw. auch Szenehinweise zu erhalten. Leitfrage 3: Wie viele Kräfte waren bei der EM 2008 insgesamt und von deutscher Seite eingesetzt? Antworten: Die insgesamte Zahl der Kollegen in den drei Standorten, in den wir eingesetzt waren, Klagenfurt, Basel und Wien kann ich nicht benennen. Es war eine Vielzahl uniformierter Kräfte im Einsatz, bedingt durch die angefragte Unterstützung von geschlossenen Einheiten. Wo ich etwas zu sagen kann, ist die Stärke der deutschen Polizeidelegation unter Leitung der ZIS. So war der offizielle Namen unserer Delegation bei der EM 2008. Diese Delegation bestand aus einem Delegationsleiter, einem Pressesprecher, jeweils einem Verbindungsbeamten in diesem Zentralstellen in Österreich und der Schweiz. Dann hatten wir 2 Kollegen an den Spielstätten als 116 Verbindungsbeamte in den jeweiligen Einsatz führenden Einsatzstäben. Dann hatten wir 10 uniformierte Kollegen, mich als Einsatzkoordinator der 14 szenekundigen Beamten, die das Gerippe des SKB Teams Deutschland bilden. Leitfrage 4: Welche Maßnahmen wurden während des Turniers aus deutscher Sicht getroffen? Antworten: Es gab vielschichtige Maßnahmen, sowohl im Inland, wie im Ausland. Da wir jeweils vor Ort tätig waren, möchte ich hier nur zu den Maßnahmen vor Ort konkret Stellung nehmen. Das war die Sammlung von Informationen, die uns von der ZIS in Form von Lagemitteilungen übermittelt wurden. Das war die Bündelung von Informationen von bundespolizeilichen Maßnahmen an den Grenzen, aber auch Abfahrtsüberwachungen an Bahnhöfen und Flughäfen. Dann war es die Bündelung der Informationen der 14 SKB, die zu unserem Team gehörten. Und die Summe, Sammlung und Bewertung wurde dann an die Einsatz führenden Dienststellen übermittelt. Insbesondere bei dem Polenspiel führte es dazu, dass eine Gruppe von ca. 150-200 deutschen Störern am Spieltage ausgemacht werden konnte. Mit unserer Hilfe, unserem Zusprechen und mit der entsprechenden Beratung der Einsatz führenden Dienststelle wurden insgesamt 144 Personen festgenommen. Festgenommen ist nicht richtig, weil das österreichische Recht etwas abweicht. Sie sind also zur Identitätsfeststellung angehalten und dann zur Arreststelle verbracht worden. Weiterhin sind dann in den nächsten Tagen intensive Personalienüberprüfungen vor Ort vorgenommen worden, die wir angeregt haben und die dann durch österreichischen Kollegen durchgeführt wurden. Mit den grenzpolizeilichen Maßnahmen, den Meldeauflagen und passbeschränkenden Maßnahmen führte es dazu, dass der deutsche Hooligan aufgegeben hat und keine Lust mehr hatte, irgendwo, sei es von Polizei, Bundespolizei oder von uns auf die Füße getreten zu werden. Hat sich mehr oder weniger zurückgezogen, sodass wir dann nach dem Polenspiel, wo die richtigen Signale gesetzt wurden, ein relativ überschaubares Störerpotenzial hatten und wir unsere „Schäflein“ an sicheren deutschen Orten wussten. 117 Leitfrage 5: Wie fällt ihr „Sicherheitsfazit“ über die EM 2008, insbesondere in Bezug auf deutsche Fußballfans aus? Schildern Sie bitte, wie sich das Einsatzgeschehen dargestellt hat. Bitte beziehen Sie die Erforderlichkeit von Vorfeldmaßnahmen mit ein. Wenn möglich, versuchen sie einen Vergleich zu vorherigen Turnieren, insbesondere der WM 2006/ Euro 2004 herzustellen. Antworten: Die Vorfeldmaßnahmen sind mit ein wesentlicher Mosaikstein für ein ordentliches positives Gesamtbild. Die jeweiligen Standorte, die für diese Vorfeldmaßnahmen verantwortlich sind, müssen wirklich sehr frühzeitig und intensiv ihre Hausaufgaben machen und zielgenau die Personen mit Maßnahmen belegen. Es beginnt ja bei der Gefährderansprache, geht über Meldeauflagen bis hin zu passbeschränkenden Maßnahmen. Wo es möglich ist, auch zu präventivpolizeilichen Maßnahmen. Das sind die A und O-Maßnahmen, die schon frühzeitig für das Störerpotenzial Signale aussenden „Halt Stopp, die Polizei ist aktiv, wir haben eigentlich keine Chance ins Ausland zu reisen und dem deutschen Staate da Schaden zuzufügen“. Wenn dann die Einsatztage gekommen sind, also relativ zeitnah zu den Turnieren oder zu Spielen, dann muss die Bundespolizei funktionieren, an den noch verbliebenen Grenzen, an Bahnhöfen, Flughäfen. Dann müssen auch der SKB/die SKB funktionieren, die vor Ort als Einsatzunterstützung angefordert sind. Sie müssen offensiv an die Leute herantreten, immer in Verbindung mit den ausländischen Kollegen, um zu sagen, „Halt Stopp, ihr seid hier erkannt, macht bitte keine Dummheiten, dann seid ihr gern gesehene Gäste. Solltet ihr euch daneben benehmen, dann werden wir sicherlich gegen euch Maßnahmen anregen“. EM 2004 war sicherlich ein spezieller Fall. Portugal, sehr weit abgesetzt und über Spanien erreichbar, war sicher nicht das attraktive Land für Hooligans. Es hat auch relativ wenige Störungen gegeben. Nur beim ersten Spiel gegen Holland hat es ein kleines Scharmützel in einer Gaststätte gegeben, das aber überhaupt nicht nennenswert war. Von daher muss man Portugal aufgrund der Entfernung zu Deutschland ausgrenzen. Die WM 2006 war auch ein „Fall für sich“, wo man durch Bereichsbetretungsverbote, Meldeauflagen, etc. sicher noch mehr machen konnte. 118 Durch die Masse an Leuten, die in Deutschland auf den Straßen war, waren großartige Auseinandersetzungen gar nicht möglich. In Klagenfurt, bedingt durch die geringe Anzahl von österreichischen Kollegen, war imposant zu sehen, wie viele deutsche Kräfte dort unterwegs waren. Das ist von der Öffentlichkeit aber auch sehr angenehm aufgenommen worden. Die österreichischen Kollegen, die uns zur Unterstützung an die Seite gestellt wurden, waren sehr offen. Sie haben offen und ehrlich zugegeben, dass sie dieses Phänomen Fußball überhaupt nicht kennen, haben sich beraten lassen; haben dann aber aufgrund unserer Erfahrungen ihre eigenen Entscheidungen getroffen. Ich glaube, es ist auch wichtig, dass ein Land so das eigene Gesicht bewahrt. Für mich war in beiden Ausrichterstaaten prägnant, dass beide vor dem Hintergrund ihrer rechtlichen Möglichkeiten und kulturellen Hintergründe ein sehr ordentliches Einsatzkonzept vorgelegt haben. Ich glaube, die geringe Anzahl von Zwischenfällen, gibt auch beiden Ausrichterstaaten recht, das sie gute Vorbereitungsarbeit geleistet und gute praktische Arbeit an den Einsatztagen hingelegt haben. Ich kann nur zu den deutschen Spielen Stellung nehmen. Hier waren die insgesamt ca. 180-190 Maßnahmen am Vortag und am Tag des Polenspiels das richtige Signal. Außer den ca. 40-50 am Vorspieltag und ca.140-150 am Spieltag, ist bei deutschen Spielen gar nichts passiert. Es soll in Basel bei türkischen Spielen Probleme mit Kurden gegeben haben, also eine rein inländische Lage. Und es hat natürlich bei dem Spiel Kroatien gegen die Türkei in Wien Probleme zwischen den Gruppen gegeben. Da es nicht unsere Baustelle war, kann ich nur vom Hörensagen reden und das ist immer gefährlich. Aus deutscher Sicht Null Probleme. Leitfrage 6: Ist es Ihnen aus ihrer Funktion heraus möglich, ein „Sicherheitsfazit“ über die Einsatzlage in Deutschland während der EM 2008 abzugeben? Antworten: Ein gesamtes Sicherheitsfazit ist sicherlich schwer zu ziehen, insbesondere wenn man nur ein ganz kleiner Teil des Sicherheitssystems ist. 119 Mit den Erfahrungen vor Ort muss man sagen, dass mit den Signalwirkungen, den Präventivmaßnahmen vor Ort und der jetzt fast 3jährigen Begleitung von Länderspielen, das System zurzeit funktioniert. Fußball ist aber nur eine Momentaufnahme. Was auffällig ist, sind die mannigfaltigen inländischen Störungen bei Public Viewing Veranstaltungen, wo man sicherlich zukünftig auch ein Auge drauf haben muss. Wie geht man da konzeptionell vor, kann man gegebenenfalls auch im Vorfeld schon weitere Maßnahmen treffen? Denn nachdem was wir hören durften, hat es nicht wenige, auch extreme Sicherheitsstörungen gegeben. Das bedarf der Beobachtung und konzeptionellen Bearbeitung. Leitfrage 7: Die Ultras sind vereinsfixiert und halten bislang Distanz zur Nationalmannschaft? Decken sich die Aussagen mit Ihren Erfahrungen? Wo liegen bei Spielen der Nationalmannschaft die Probleme im Bereich Sicherheit? Antworten: Die erste These ist auf jeden Fall richtig, dass die Ultras vereinsfixiert sind und nur in einem Promillebereich Interesse an der Nationalmannschaft haben. Wenn sie es haben, führt es nicht zu Sicherheitsstörungen, weil sie dort fußballinteressiert sind. Die Probleme lagen sicher darin, dass wir nicht immer wussten, woher unsere Problemfans kamen bzw. wer unsere Länderspielfahrer sind. Die Bekämpfung der möglichen Sicherheitsprobleme bezieht sich häufig auf falsch verstandenen Nationalstolz im Ausland. Wir kennen mittlerweile die Problemfans und sie uns. Vielfach ist es falsch verstandener Nationalstolz, sicher nicht absolut rechtsradikal. Ein Problem ergibt sich aus der Mobbildung. Teilweise finden sich 150-200 Personen zusammen. Bei Spielen in Osteuropa haben wir es auch mit Mobs von 400-500 Leuten zutun gehabt, die dann durch Sachbeschädigungen, durch Körperverletzungen, falsche Gesänge im Stadion ein schlechtes Bild auf Deutschland geworfen haben. Die Mobbildung ist schon zu erkennen. 120 Leitfrage 8: Wird die Distanz der Ultras zur Nationalmannschaft anhalten oder erwarten Sie, dass sich auch „Ultras Deutschland“ bilden? Wie sieht Ihre Prognose hinsichtlich der Entwicklungen von Gewaltphänomen im Zusammenhang mit Spielen der Nationalmannschaft kurz-/mittel-/langfristig aus? Antworten: Dass sich sogenannte „Ultras Deutschland“ bilden, glaube ich eher weniger, weil sie damit ja den DFB unterstützen müssten, neben der Polizei und dem Kommerz einem erklärten Gegner der Ultras. Das passt einfach nicht zu der Philosophie der Ultras. Das Ultraproblem so wie es derzeit in allen Ligen stark verbreitet ist, wird sich nicht auf die Spiele der Nationalmannschaft niederschlagen. Das Gewaltphänomen im Zusammenhang mit Spielen der Nationalmannschaft ist nur eine Momentaufnahme. Wir haben im Herbst 2008 ein Länderspiel DeutschlandEngland in Berlin, was sicherlich aus polizeilicher Sicht ein ganz interessantes wird, weil es auch für Hooligans interessant ist. Die Engländer waren nicht auf dem Medienmarkt bei der EM, die Deutschen konnten sich wieder einmal nicht ausleben, ob der guten polizeilichen Arbeit. Langfristig gesehen wird die WM in Südafrika kein Hooliganproblem mit sich bringen. Wenn überhaupt wird Gewalt sich auf Qualifikationsspiele beziehen. Die Länderspiele im Inland sind absolute Familienfeste geworden mit kaum feststellbaren Hooligangruppierungen. Und wenn festgestellt, waren sie rein fußballorientiert. Eine Prognose im Fußball abzugeben, sollte man nie machen. Es sind aber wohl die Gründe genannt, warum nichts passieren dürfte. Leitfrage 9: Die Datei Gewalttäter Sport wird von den Ultras heftig kritisiert. Beschreiben Sie bitte kurz den Sinn, Zweck und Inhalt der Datei. Können Sie die Kritik an der Datei nachvollziehen? Erfüllt Sie noch ihren Sinn, muss sie ausgebaut oder angepasst werden? Antworten: Viele Fragen in einer Leitfrage. Sinn und Zweck der Datei ist sicherlich, dass bestimmte Personen, die im Zusammenhang mit Fußballspielen auffällig geworden sind, indem sie bestimmte Katalogstraftaten begangen haben dort erfasst und abfragbar sind. 121 Außerhalb von Fußballspielen hilft es auch Polizeibeamten, dass sie wissen, dass ihr Gegenüber als Störer im Zusammenhang mit Fußballspielen auffällig geworden ist. Störer werden so erkannt. Es hilft insbesondere bei Grenzübertritten. Wie bei jeder personenbezogenen Datei in Deutschland ist es ein Kriterium, um dann die Lage vor Ort, wie sie sich gerade ergibt, richtig einordnen zu können. Diese Signalwirkung, die dadurch erzielt wird, ist ein Sinn und Zweck der Datei. Als Kritik wird ja häufig angeführt, dass wenn ich in der Datei bin, ich in Deutschland eigentlich gar nicht mehr lebensfähig bin, weil ich tagein und tagaus von der Datei verfolgt werde. Für mich völliger Schwachsinn. Es gibt bei Tausenden von Einträgen sicherlich Fälle, wo ein oder zweimal falsche Entscheidungen getroffen wurden. Dann leben wir aber in einem Rechtsstaat, es ist überprüfbar und es werden entsprechende Maßnahmen getroffen. Ich gehe persönlich 35 Jahre zum Fußball, ich bin noch nicht mal ansatzweise in die Gefahr gekommen, in diese Datei zu kommen und ich lebe schon leidenschaftlich Fußball. Kritik ist überhaupt nicht nachvollziehbar, die Datei absolut sinnvoll. Leitfrage 10: In Italien ist die Gewalt im Fußball teilweise eskaliert. Es kam u.a. zurückliegend zu den Todesfällen des Polizeibeamten Filipo Raciti, des Fans Gabrielle Sandri und jüngst zu einem Todesfall eines Fans im Zuge eines Busunfalls auf einer Auswärtsfahrt. Die Tragweite des Einflusses der Ultraszene in Italien hat eine Dimension erreicht, die von einigen Autoren in den Bereich der Organisierten Kriminalität gerückt wird. Bitte führen Sie aus, ob Sie italienische Verhältnisse in Deutschland für denkbar halten? Antworten: Zu Italien fällt es schwer, als deutscher Polizist etwas zu sagen. Wir haben meist auch nur Medienberichte. Wir erleben natürlich bei Spielen in Italien auch Dinge, die uns zu denken geben, aber es sollte uns genauso der Ultra in Deutschland zu denken geben. Nicht der, der Tradition leben lassen will, der Stimmung im Stadion machen will, der vielen Jugendlichen an 7 Tagen in der Woche Freizeitaktivitäten ermöglicht. Der Ultra sollte uns genehm sein. Mit denen sollte man kooperieren, in reger Kommunikation bleiben, weil nicht alles, was der 122 Verein, was die Polizei aber auch die Ultras machen, ist richtig, aber man muss zusammen funktionieren, weil man ein vernünftiges Fußballspiel haben will. Was in der Ultrabewegung zu verurteilen ist, sind die kommerziellen Gesichtspunkte. Sie schreiben sich zwar immer auf ihre Fahnen gegen den Kommerz zu sein, wenn man aber mal in das Merchandising, in das Ticketing schaut, was teilweise schon völlig autark durch Ultragruppierungen erfüllt wird, dann muss man sich fragen, ob das alles in die richtige Richtung geht. Man muss mal beobachten, wie viele Zugeständnisse diesen Gruppierungen mittlerweile gemacht werden und dann sehen, wie gesprächsbereit sie gegenüber der Polizei sind. Man kommt dann zu einem deutlichem Missverhältnis. Da müssen die Sicherheitsinstitutionen, auch die Vereine und Verbände nachlegen, um den Ultras deutlich zu machen, das Leben ist nicht nur „Nehmen, sondern auch Geben“ heißt. Das Phänomen, das sie immer in der Masse auftreten, ist sicher ein ganz großes Problem, weil die Polizei dieser Masse oftmals hilflos gegenübersteht. Da gibt es relativ wenige Konzepte gegen. Der Hooliganismus ist lange Jahre bekannt, es gibt hierfür Konzepte, die auch greifen. Die Ultrabewegung in ihrer Ausdehnung, Masse und Macht ist ein Phänomen, das dringend von der obersten politischen und polizeilichen Ebene angegangen werden muss. Auf Nachfrage: Italienische Verhältnisse in Deutschland, brasilianische Verhältnisse in Deutschland. Fußball ist Ländersache. Wir haben unsere eigenen Probleme. Bei den Ultras in Italien ist auch viel Politik dabei, das bei uns im großen Maße nicht feststellbar ist. Von daher darf man die Ultras und das Problem der Ultras nicht unterschätzen, aber ob es jetzt italienisch, brasilianisch oder amerikanisch wird, dass weiß ich nicht. 123 2. Einverständniserklärungen 2.1 Polizeiintern Fußball und Gewalt Sind italienische Verhältnisse in Deutschland denkbar? Interviewleitfaden für Experteninterviews mit polizeiinternen Interviewpartnern Experte: Funktion, Name, Dienststelle/Behörde Hinweis: Auf Wunsch kann dem Experten Anonymität zugesichert werden (Name nur für interne Dokumentation; Persönliche Daten werden ebenso anonymisiert) Ich wünsche Anonymität / Ich wünsche keine Anonymität (Nichtzutreffendes bitte streichen) Einverständniserklärung: Der Interviewpartner erklärt sich mit der Aufnahme des Interviews auf Tonträger bzw. Datenträger einverstanden. Die Aufnahme kann der Masterarbeit in elektronischer Form beigegeben werden kann der Masterarbeit in Abschrift beigegeben werden soll beim Ersteller der Masterarbeit verwahrt bleiben und dient nur der Dokumentation soll nach Erstellung der Masterarbeit gelöscht werden ______________________________ Unterschrift des Interviewpartners 124 2.2 Polizeiextern Fußball und Gewalt Sind italienische Verhältnisse in Deutschland denkbar? Interviewleitfaden für Experteninterviews mit polizeiexternen Interviewpartnern Experte: Funktion, Name Hinweis: Auf Wunsch kann dem Experten Anonymität zugesichert werden (Name nur für interne Dokumentation; Persönliche Daten werden ebenso anonymisiert) Ich wünsche Anonymität / Ich wünsche keine Anonymität (Nichtzutreffendes bitte streichen) Einverständniserklärung: Der Interviewpartner erklärt sich mit der Aufnahme des Interviews auf Tonträger bzw. Datenträger einverstanden. Die Aufnahme kann der Masterarbeit in elektronischer Form beigegeben werden kann der Masterarbeit in Abschrift beigegeben werden soll beim Ersteller der Masterarbeit verwahrt bleiben und dient nur der Dokumentation soll nach Erstellung der Masterarbeit gelöscht werden ______________________________ Unterschrift des Interviewpartners 125