Band I Masterarbeit

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Band I Masterarbeit
Elektronische Masterarbeiten
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Masterarbeit
Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen
-
Sind italienische Verhältnisse auch in Deutschland
denkbar?
Band I
Masterarbeit
Vorgelegt von:
Jörg Ziegler
Erstgutachter:
Polizeidirektor Michael Kuchenbecker
Zweitgutachter:
Polizeidirektor Michael Müller
Münster, 30. Juli 2008
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung ............................................................................3
1.1 Problemstellung und Zielsetzung.................................................3
1.2 Vorgehensweise ...........................................................................6
1.3 Forschungsmethoden ...................................................................6
2. Entwicklungen.....................................................................8
2.1 Fußballsport und Fankultur..........................................................8
2.2 Definitionen und Abgrenzungen................................................12
2.3 Kategorisierungen ......................................................................15
2.3.1 Ausdifferenzierung der Fanszenerie nach Wilhelm Heitmeyer ........... 15
2.3.2 Ausdifferenzierung nach Rainer Kübert............................................... 16
2.3.3 Ausdifferenzierung nach ordnungsinstanzlichen Kriterien .................. 17
3. Beschreibung der italienischen Verhältnisse ....................20
3.1 Die italienische Ultrabewegung.................................................20
3.1.1 Geschichtliche Entwicklung................................................................. 20
3.1.2 Ultrabewegung und Gewalt.................................................................. 22
3.1.3 Strukturen der Ultrabewegung ............................................................. 25
3.1.4 Selbstverständnis und Rituale .............................................................. 26
3.1.5 Ultras und die Politik............................................................................ 31
3.2 Maßnahmen zur Verhinderung/Eindämmung der Gewalt.........32
3.2.1 Maßnahmen/Befugnisse der Polizei..................................................... 33
3.2.2 Maßnahmen der Vereine ...................................................................... 35
3.2.3 Maßnahmen der Verbände ................................................................... 36
3.2.4 Maßnahmen der Fans ........................................................................... 36
3.3 Aktuelle Gewaltsituation ...........................................................37
4. Beschreibung der deutschen Verhältnisse.........................39
4.1 Die deutsche Ultrabewegung .....................................................39
4.1.1 Abgrenzung zur italienischen Szene .................................................... 39
4.1.2 Entwicklung und Größe........................................................................ 41
1
4.1.3 Strukturen ............................................................................................. 43
4.1.4 Selbstverständnis, Rituale und Aktionen.............................................. 44
4.2 Gewaltsituation im deutschen Fußball.......................................51
4.2.1 Lagebild allgemein ............................................................................... 51
4.2.2 Aussagen zu Ultras und Gewalt ........................................................... 59
4.2.3 Ultras und die Nationalmannschaft ...................................................... 70
5. Was wird und was muss in Deutschland getan werden, um
auf die Phänomene zu reagieren?..........................................74
5.1 Aus Sicht der Vereine/Fans und Ultras/Fanprojekte .................74
5.2 Aus Sicht der Verbände .............................................................78
5.3 Aus Sicht der Polizei..................................................................82
6. Einordnung der Gewaltphänomene in den europäischen
Kontext ..................................................................................88
6.1 Darstellung der europäischen Vorschriftenlage.........................89
6.2 Durchgeführte und beabsichtige Maßnahmen der UEFA .........90
7. Zusammenfassung .............................................................92
8. Literaturverzeichnis...........................................................98
9. Anhang ............................................................................105
9.1 Abkürzungsverzeichnis............................................................105
9.2 Abbildungsverzeichnis.............................................................106
2
1. Einleitung
1.1 Problemstellung und Zielsetzung
„Der Fußball ist keine Sache auf Leben und Tod. Er ist wichtiger als das.“ 1
Der Ausspruch von Bill Shankly, der sicher keinen Absolutheitsanspruch haben
kann, unterstreicht aber eindrucksvoll, welchen Stellenwert der Fußball,
zumindest in einem großen Teil der Bevölkerung hat. Für einzelne
Fußballanhänger ist der Verein ihr Leben, ihre Familie und ihr zu Hause. Ohne
ihren Verein existieren sie praktisch nicht, ihr Leben, sei es ihr Familien- oder
Berufsleben richtet sich nach Spiel- oder Trainingszeiten ihrer Mannschaft. Es
geht darum keine Minute zu verpassen, sodass auch bisweilen die Arbeit
geschwänzt oder der ganze Jahresurlaub für Besuche von Heim- und
Auswärtsspielen aufgebraucht wird. Das zu Hause gleicht teilweise einer
Fankurve, wo ein Zimmer oder die gesamte Wohnung mit Fanutensilien aller Art
dekoriert wird.
Leider drückt sich dieser Stellenwert nicht nur in Leidenschaft und Begeisterung
aus, sondern schlägt auch vielfach in Gewalt um. Die Bilder vom schwer verletzt
am Boden liegenden französischen Gendarmen Daniel Nivel, der durch deutsche
Hooligans 1998 in Lens niedergeschlagen und getreten wurde und bleibende
Schäden erlitt, sind uns alle noch in schrecklicher Erinnerung. Danach wurden
europaweit Anstrengungen unternommen, um eine Wiederholung ähnlicher
Vorfälle zu verhindern. Vergeblich?
Die Dimension der Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen hat in Italien
eine neue Dimension bekommen.
Am 02.02.2007 wurde der Polizeibeamte Filipo Raciti während eines Einsatzes
beim Spiel der 1. italienischen Liga zwischen Catania Calcio und US Palermo
getötet.
Am 11.11.2007 wurde Gabrielle Sandri, ein Fan des Vereines Lazio Rom, auf
einem Autobahnparkplatz in Norditalien von einem Polizeibeamten erschossen,
während er dort mit anderen Fans eine Pause auf der Fahrt zu einem Fußballspiel
einlegte.
Die Vorfälle zeigen eine neue Dimension von Gewalt.
1
Brändle/Koller(2002): Goal. Vorwort
3
Neben den „Hooligans“ treten die sog. „Ultragruppierungen“ immer mehr in den
Vordergrund des Geschehens.
Die Ultras, die sich als die wahren Fans des Fußballs verstehen, mit sehr
aufwendigen choreografischen Aktionen ihren Verein unterstützen und die
Kommerzialisierung des Fußballs strikt ablehnen, vertreten ihre Ansichten und
Forderungen zunehmend radikaler und gewalttätiger. Sie fordern die staatlichen
Organe, Verbände und Vereine immer mehr zu angepassten sicherheits-, sport-,
vereinspolitischen sowie polizeitaktischen Sichtweisen und Konzeptionen heraus,
da der Druck auf die Verbände und Vereine durch die Ultras ernorm erhöht wurde
und eine Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden förmlich ausgeschlossen
wird.
Die oben aufgeführten Vorfälle in Italien führten, wie später noch zu lesen sein
wird, zu teilweise heftigen Reaktionen.
Vonseiten der Fanszene kam es zu massiven Krawallen, Straßenschlachten mit
der italienischen Polizei bis hin zu gewaltsamen Angriffen auf vereinzelte
Polizeidienststellen. Die Politik reagierte neben institutionellen Änderungen mit
massiven Interventionen, bis hin zur Absetzung kompletter Spieltage. In der
Öffentlichkeit quer durch alle gesellschaftlichen Gruppen, Verbände und
Institutionen entzündete sich eine häufig emotional geführte Debatte um die
Sicherheit bei Fußballspielen. Die Diskussionen beinhalteten unter anderen
Fragen der Sicherheitsstandards von Stadien, Zutrittsbeschränkungen von
Gästefans und der Fanarbeit im Allgemeinen.
Die geführte Diskussion und die kurzfristig ergriffenen Maßnahmen (z. B.
Spielabsagen) erweckten bei dem neutralen Betrachter den Eindruck, dass der
italienische Staat, seine Sicherheitsbehörden und die Sportverbände und -vereine
von den Entwicklungen förmlich überrascht wurden bzw. keine Konzepte
vorgedacht hatten, wie Entwicklungen aufgehalten bzw. verhindert werden
können. Dies bezieht sich sowohl auf Phänomene der Gewalteskalation, die
Stadionsicherheit, als auch auf den Umgang mit den Ultras.
Die Entwicklungen in Italien lassen auch den Blick nach Deutschland richten,
denn die Ultrabewegung ist längst in Deutschland angekommen und hat sich seit
4
einigen Jahren etabliert.2 Auch wenn man nicht von vergleichbaren Vorfällen
sprechen kann, gab es erst jüngst in der abgelaufenen Spielzeit gewalttätige
Ausschreitungen, wie beim Spiel VfL Bochum gegen den Karlsruher SC, die auf
die Ultragruppierungen zurückzuführen waren und zu teils erheblichen
Verletzungen zweier polizeilicher Einsatzkräfte geführt haben.
Einzelne, noch so bedauerliche Vorfälle können nie gänzlich ausgeschlossen
werden, da das absolute Maß an Sicherheit nicht gewährleistet werden kann.
Fraglich ist jedoch, ob deutsche und internationale Sportorganisationen, deutsche
Vereine sowie der deutsche Staat und seine Sicherheitsbehörden schon genug
Kenntnis über die neuen Formen der Gewalt und die Druckmittel der Fanszene
erworben und Konzepte entwickelt bzw. antizipiert haben, mit denen auf diese
Phänomene adäquat reagiert werden kann.
Mit der Masterarbeit soll herausgearbeitet werden, inwieweit sich Parallelen
zwischen der italienischen und der deutschen Ultrabewegung erkennen lassen, wo
sie sich (noch) unterscheiden und welche Entwicklungen zu erwarten sind.
Die
vorliegende
Arbeit
Gesamtentwicklung
des
soll
neben
Fußballs
einer
und
den
kurzen
Einordnung
notwendigen
in
die
definitorischen
Abgrenzungen der Fanszene, die Darstellung der Entwicklung und Ist-Situation
der Fan- und Ultraszene in Italien sowie Deutschland beinhalten. In Bezug auf
Deutschland
soll
insbesondere
herausgearbeitet
werden,
welche
Gewaltphänomene im Zusammenhang mit der Ultraszene aufgetreten sind, wie
man darauf reagiert hat bzw. reagieren will und eine Einschätzung eingeholt
werden, welche Entwicklung die deutsche Ultraszene nimmt. Hierbei soll zwar
die polizeiliche Sicht einen Schwerpunkt bilden, aber zur Abrundung des Bildes
auch die Sichtweise der Fanprojekte, Fanbeauftragten und Verbände dargestellt
werden. Darüber hinaus soll versucht werden, die Ereignisse rund um die
Fanszene und insbesondere die besondere Ultraproblematik in den europäischen
Gesamtkontext einzuordnen.
Abschließend soll der Bezug zu den Ereignissen in Italien hergestellt werden,
indem beleuchtet und beantwortet werden soll, ob die oben geschilderte
Dimension von Gewalt auch für die deutsche Fußballszene denkbar ist.
2
ZIS Jahresbericht 2006/2007, S.5 ff
5
1.2 Vorgehensweise
Nach der Einordnung der Fankultur allgemein und den Entwicklungen des
Fußballs soll geklärt werden, welche verschiedenen Subkulturen von Fußballfans
es gibt. Anhand von Definitionen und Erläuterungen sollen die Unterschiede der
verschiedenen Richtungen aufgezeigt werden. Hierbei soll die Affinität zu Gewalt
herausgearbeitet und daraus abgeleitete Kategorisierungen aufgezeigt werden.
Danach soll über den Begriff Ultra zur Entwicklung der Ultrabewegung in Italien
übergeleitet werden. Bei der Betrachtung geht es um die Strukturen, die gezeigten
Verhaltensweisen, Beispiele von Gewalt hin zu den sicherheits- und
verbandspolitischen Maßnahmen, die getroffen wurden, um Gewaltexzesse in
Italien zu verhindern.
Vor dem Hintergrund der Erkenntnisse aus Italien soll die Entwicklung und die
Erscheinungsformen der deutschen Ultrabewegung aufgezeigt werden. Dies soll
durch aktuelle Beispiele und Erfahrungen und Einschätzungen von am Prozess
beteiligter Experten erfolgen. Am Verhältnis der deutschen Ultras zur
Nationalmannschaft soll aufgrund des brandaktuellen Bezuges in einem kleinen
Exkurs die Gewaltsituation im Zusammenhang mit der Europameisterschaft 2008
in
der
Schweiz
und
Österreich
aufgezeigt
werden.
Bevor
die
Untersuchungsfragestellung „ob italienische Verhältnisse auch in Deutschland
denkbar
sind“
anhand
der
gegenüberstellenden
Darstellung
und
der
Experteneinschätzungen beantwortet werden soll, wird versucht das Thema
Gewalt
im
Zusammenhang
mit
Fußballspielen
in
den
europäischen
Gesamtkontext einzuordnen, in dem die Vorschriftenlage der Europäischen Union
sowie die durch den europäischen Fußballverband UEFA getroffenen und
beabsichtigten Maßnahmen dargestellt werden.
1.3 Forschungsmethoden
Wie schon aus den bisherigen Ausführungen ersichtlich ist die Ultrabewegung ein
Teil der Fankultur und somit schon seit einiger Zeit im Fokus wissenschaftlicher
Betrachtungen. Die Ultrabewegung war u.a. Gegenstand einer Metastudie des
Fanforschers Gunter A. Pilz, u.a. Wissenschaftler, die 2006 veröffentlicht und auf
dessen Befragungsergebnisse größtenteils zurückgegriffen wurde. Daneben ist das
Thema vielfach medial und auch verbands- und behördenmäßig aufbereitet
worden. Demnach bezog sich die Literaturrecherche und -auswertung auf
6
geeignete Publikationen (Bücher, Fachaufsätze, Beiträge in Fanzeitschriften und
Internetveröffentlichungen)
sowie
auf
dienstliche
Unterlagen
(u.a.
Erfahrungsberichte, Jahresberichte, Verlaufsberichte, Einsatzbefehle) und auf
Verbandsregelungen.
Um neben der Literaturauswertung und der Dokumentenanalyse noch tief
greifendere Erkenntnisse in die Masterarbeit einzubringen, wurden zehn
sogenannte leitfadengestützte Experteninterviews3 geführt, wobei bei einem
Interview vier und bei einem weiteren zwei Gesprächspartner Rede und Antwort
standen. Insgesamt wurden bei sieben Interviews Polizeibeamte interviewt, wobei
darauf geachtet wurde, dass unterschiedliche Aufgabenbereiche wahrgenommen
bzw. verschiedene Spielklassen abgedeckt wurden. Darüber hinaus wurden
jeweils mit einem Experten für Verbandsangelegenheiten, Fanprojekte und
Fanwesen allgemein Interviews geführt. Ein Versuch, Interviews mit Angehörigen
der Ultraszenen von Bochum oder Gelsenkirchen zu führen, blieb trotz
Kontaktaufnahmen erfolglos. Die Ergebnisse der Interviews wurden ausführlich
zusammengefasst. Alle Interviewpartner verzichteten auf Anonymität, sodass sie
namentlich als Experten aufgeführt werden konnten. Hierfür und ganz besonders
für die Bereitschaft zur Unterstützung möchte ich mich herzlichst bei allen
bedanken.
Folgende Interviews wurden durch mich geführt:
Experteninterview 1: Leiter der ZIS, Herr POR Piastowski,
am 29.05.2008 beim LZPD NRW in Neuss
Experteninterview 2: Leiter der PI Bochum, Herr PD Grzella,
am 03.06.2008 im PP Bochum
Experteninterview 3: Fanbeauftragter des FC Schalke 04 und Vorsitzender des
Schalker-Fan-Klub-Verbandes e.V., Herr Rojek
am 06.06.2008 in Gelsenkirchen
Experteninterview 4: Leiter StB 1, Direktion 6 beim PP Berlin, Herr PD Richter
am 12.06.2008 bei der Direktion 6 in Berlin
Dazu:
Leiter des Abschnittes 66 Berlin, Herr POR Scharnowski
Mitarbeiter des Stabes in der Dir. 6, Herr PHK Grünebohm
Mitarbeiter des LKA 712 Berlin, Herr Bartelt
3
Schnell/Hill/Esser(2005):Methoden der empirischen Sozialforschung. S.387 f.
7
Experteninterview 5: Leiter des Abschnittes 61 Berlin, Herr POR Henning
am 12.06.2008 beim LA 61 in Berlin
Dazu: PHK Brabandt vom Abschnitt 61
Experteninterview 6: Leiter der PI Mitte/West in Bremen, Herr PD Pusch
am 16.06.2008 bei der PI Mitte/West
Experteninterview 7: SKB der PI Leverkusen, Herr PHK Kommoß
am 23.06.2008 in der PI Leverkusen
Experteninterview 8: Sicherheitsbeauftragter
und
Leiter
Prävention
und
Sicherheit beim DFB, Herr Spahn am 03.07.2008 beim
DFB in Frankfurt
Experteninterview 9: Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte e.V.,
Herr Gabriel am 03.07.2007 bei der KOS in Frankfurt
Experteninterview 10: Leiter des SKB Teams Deutschland, Herr PHK Gössing
am 07.07.2008 bei der ZIS in Neuss
Alle Interviewpartner wurden, vorbehaltlich anderer Einstufungen, darauf
hingewiesen, dass die Masterarbeit öffentlich gemacht werden soll.
Die Interviewerkenntnisse und die Ergebnisse aus der Literaturrecherche und der
Dokumentenanalyse wurden miteinander verbunden, um eine möglichst breite
Informationsbasis zu schaffen und der Zielsetzung gerecht zu werden.
2. Entwicklungen
2.1 Fußballsport und Fankultur
Fußball wird von vielen Menschen als die schönste Nebensache der Welt
bezeichnet. Gerade die Begeisterung, die im Rahmen von Fußballgroßereignissen,
wie der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland oder jüngst bei der
Europameisterschaft 2008 in der Schweiz und Österreich aufbrandete,
unterstreicht diese Behauptung. Neben dem Besuch der Spiele und den Aktionen
in den Spielorten breitet sich die Begeisterung auch mehr und mehr in Richtung
teilnehmender Länder aus. Public Viewing Veranstaltungen, insbesondere in
Deutschland, erfahren steigende Beliebtheit und sind bei Fußballgroßereignissen
nach den Erfahrungen bei der WM 2006 gar nicht mehr aus der Fußballlandschaft
wegzudenken. Alleine zum Halbfinalspiel der EM 2008 Deutschland gegen die
8
Türkei am 25. Juni 2008 fanden sich auf der sogenannten Fanmeile in Berlin mehr
als eine halbe Million Menschen ein.
Um diese Begeisterung zu verstehen, muss man sich kurz die Entwicklung des
Fußballsports ansehen.
Als Mutterland des Fußballs gilt seit jeher England, obwohl schon etwa im 3.
Jahrhundert vor Chr. in China ein fußballähnliches Spiel mit dem Namen „Ts’uhküh“ ausgetragen worden sein soll.4 Die Ursprünge des Fußballs liegen im 10.
Jahrhundert.5 Das dort praktizierte „Village“ oder „ Folk-Football“ wird als
Ursprung des heutigen Fußballs herangezogen. Dabei handelte es sich um einen
Wettkampf zwischen Dörfern oder Stadtteilen, mit dem Ziel den Ball in das
gegnerische Stadttor zu befördern. Dabei war noch keine wirkliche Unterteilung
zwischen Akteuren und Zuschauern zu erkennen, da sich praktisch ganze
Ortschaften beteiligten.6 Es war eher ein Spiel der Unterschicht. Ausgeübt wurde
das Spiel in erster Linie von Bauern und Gesellen, während sich die oberen
Schichten fernhielten.7
Das änderte sich zu Beginn der Industrialisierung, wo Freizeitaktivitäten
größtenteils ein Privileg der Oberschicht geworden waren.8
Dort wurde der Fußball an den Public Schools einer „Zivilisierung“ unterzogen.
D.h., es wurden Regeln entwickelt, Spielfeld sowie Spielerzahl eingegrenzt und
schließlich auch eine Trennung vom Rugby vollzogen.9 Erste Differenzierungen
zwischen Zuschauern und Spielern waren zu erkennen. 1848 waren es Studenten
der Universität Cambridge, die die ersten Fußballregeln verfassten. Danach
bestand eine Mannschaft aus 15-20 Spielern. 1857 wurde der erste Fußballklub
der Welt, Sheffield F.C. gegründet.10
Auch Brändle/Koller beschreiben in ihrem Buch „Goal“, dass Fußball
ursprünglich einmal ein Spiel der Eliten war und sich um 1900 für die
Arbeiterschaft geöffnet und später bis heute zu einem Volkssport entwickelt hat.
4
aus Wikipedia -Geschichte des Fußballs Zugriff am 25.06.2008
Schulze-Marmeling(2000): Fußball: Zur Geschichte eines globalen Sports. S.11
6
Dembowski(2004): Spieler kommen,Trainer gehen-Fans bleiben in Ballbesitz ist Diebstahl S. 9
7
Aschenbeck(1998):Fußballfans im Abseits. S. 11
8
Verma(2006):Kollektives Engagement gegen den modernen Fußball. S. 8
9
Dembowski(2004): Spieler kommen,Trainer gehen-Fans bleiben in Ballbesitz ist Diebstahl S. 10
10
aus Wikipedia Geschichte des Fußball, Zugriff am 25.06.2008
5
9
Aus England herübergeschwappt gelang in Deutschland der massenhafte
Durchbruch des Fußballsports erst in den 1920er Jahren, als sich vermehrt
Arbeiter Torschuss und Tackling widmen konnten.11 Die Entwicklung wurde
durch die in zahlreichen Arbeitskämpfen erstrittenen geänderten Arbeitszeiten in
Europa begünstigt. In den 1920er Jahren entstanden 8-Stunden-Arbeitstage und
freie Sonntage, die den Arbeitern die Möglichkeit gaben, sich dem Spiel und dem
Zuschauen zu widmen.
Waren in der Anfangszeit meist noch Vereinsmitglieder und Mäzene die ersten
Kiebitze12, entwickelte sich parallel dazu nicht nur auf dem Spielfeld, sondern
auch bei den Zuschauern rund um die Sportvereine eine nicht geahnte
Begeisterung.13
Diese Entwicklung lässt sich auch an den Zuschauerzahlen festhalten, die bei den
Endspielen um die Deutsche Fußballmeisterschaft gezählt wurden. Sahen 1903
nur 1200 Zuschauer das erste Endspiel um die Deutsche Meisterschaft, waren es
1920 schon 35.000, 1922 sogar 58.000 Zuschauer.14
Hierbei muss Erwähnung finden, dass um das Ereignis als Zuschauer verfolgen zu
können, in den frühen Anfangsjahren zunächst noch keine Abgaben zu entrichten
waren. Erst allmählich wurden Mauern und Zäune um die Sportanlagen gezogen,
um so den Konsum des Fußballspiels nur noch zahlenden Besuchern zu
ermöglichen. Auch die ersten Tribünen wurden errichtet, waren aber zunächst nur
Gönnern und Vereinsprominenz vorbehalten, während sich das restliche Publikum
zumeist auf aufgeschütteten Sandwällen an den Seiten des Spielfelds verteilte.15
Hier entwickelte sich bereits eine Unterteilung der Zuschauer, die sich in den
folgenden Jahren noch weiter ausdifferenzieren sollte. Mit zunehmendem
Andrang der Arbeiterschicht mussten nun weitere Tribünen errichtet werden.
Dabei wurden zunächst auf den Gegengeraden (also gegenüber der Haupttribüne)
mehr oder weniger provisorische Stehplatztribünen errichtet. Da der massenhafte
Andrang aber nicht nachließ, mussten nun auch die Bereiche hinter den Toren,
von denen die Sicht weitaus schlechter ist, genutzt werden.16 Hier sind seitdem die
billigsten Plätze angesiedelt. Auch dies reichte bei einigen Spielen später nicht aus
11
Dembowski(2004):Spieler kommen,Trainer gehen-Fans bleiben in Ballbesitz ist Diebstahl.S. 14
ebd. S. 10
13
Langner(2005): Die Ultrabewegung in Deutschland. S.4
14
Dembowski(2004):Spieler kommen,Trainer gehen-Fans bleiben in Ballbesitz ist Dienbtahl.S.14
15
Schulze-Marmeling(1995): Vom Spieler zum Fan. S 13
16
Schulze-Marmeling(2000): Fußball: Zur Geschichte eines globalen Sports. S.208
12
10
und so kam es nicht selten vor, dass die Zuschauer bis an die Seitenlinien
vorrückten oder gar auf den Tornetzen lagen, um das Spiel live mitzuverfolgen.
(Abbildung 1)
Spätestens mit dem überraschenden Gewinn der Fußballweltmeisterschaft 1954 in
der Schweiz kannte die Begeisterung für den Fußball in Deutschland keine
Grenzen mehr. Hier wurden die Grundsteine für das gelegt, was Fußball heute
vielen Menschen bedeutet.17 Und es gibt sicher keinen Fußballanhänger in
Deutschland, dem es nicht eiskalt über den Rücken läuft, wenn er den damaligen
Radiokommentar zum Spiel von Herbert Zimmermann hört.
Es prägte sich ein Enthusiasmus für das Spiel und den jeweils bevorzugten Verein
aus. Es entwickelten sich allmählich bestimmte Rituale, wie das Anfeuern der
Mannschaft durch Sprechchöre, das Schwenken von Fahnen und das Tragen von,
damals
noch
größtenteils
selbst
gemachten,
Kleidungsstücken
in
den
Vereinsfarben. Die sogenannten Fan-Kurven waren entstanden.
Eine ähnliche Entwicklung war auch in Italien zu verzeichnen, wo lange Zeit der
Radsport Volkssport Nummer 1 war und erst Anfang der 1960er Jahre vom
Fußball als beliebteste Sportart abgelöst wurde.18 Auch durch den englischen
Einfluss bedingt, trat der Fußballsport seinen Siegeszug an. So wurde der älteste
Fußballklub Italiens, der FC Genua 1893, von Engländern gegründet.19
Die Zuschauerzahlen nahmen eine ähnliche Entwicklung wie in Deutschland.
Beim Finalspiel der Meisterschaft 1923 Lazio gegen Genua sorgten 10.000
Zuschauer für einen neuen Rekord, der indes schnell gebrochen werden sollte.
Zum Länderspiel Italien gegen Spanien kamen 1927 gut 55.000 Menschen.20
Mit welcher Begeisterung die Tifosi21 bei der Sache waren, ergibt sich aus einem
Bericht des Polizeipräsidenten von Neapel zum Spiel gegen den AS Rom, wo es
heißt: “Fast die gesamte Stadt erwartete die Begegnung mit einer Leidenschaft,
die die übliche Sportbegeisterung weit übertraf, als ginge es um die Verteidigung
ihrer neapolitanischen Rasse“.22
17
ebd. S 15
Blaschke (2007):Im Schatten des Spiels.S.172
19
Schönau (2005): Calcio.S.18
20
ebd. S.26
21
Bezeichnung für einen italienischen Fußballfan
22
Schönau (2005):Calcio. S.26
18
11
2.2 Definitionen und Abgrenzungen
Um die Ultrabewegung besser einordnen zu können, ist es wichtig, sie von den
übrigen Fankulturen abzugrenzen. Der folgende Abschnitt soll grob aufzeigen,
welche gängigen Gruppierungen es gibt, wie sie definiert sind und wie sich ihre
Ausprägungen darstellen. Schwerpunktmäßig werden die Gruppierungen näher
betrachtet, denen Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen zugerechnet wird,
nämlich zurzeit den Hooligans und Ultras.
Feststeht, dass es nicht „den einen Fußballfan“ gibt, sondern verschiedenste
Ausprägungen.
Die Unterschiede zeigen sich in der Art des Fußballspielbesuchs, nämlich der
Frage, wie sich der Besucher während des Spiels, womöglich auch während der
gesamten Spielphasen, samt Vor- und Nachspielphase verhält.
Zunächst sei hier der Zuschauer insgesamt angeführt. Der Zuschauer leitet sich
laut Wikipedia vom Publikum ab. Publikum (von lat. Publicus “dem Volk, der
Allgemeinheit gehörig“) ist u.a. der Sammelbegriff für die Zuschauer bei
Veranstaltungen wie dem Fußball. Mit diesem Begriff werden alle Personen
bezeichnet, die sich in einem Stadion oder auch am Fernsehen ein Fußballspiel
ansehen. Weitere Wertungen enthält der Begriff erst einmal nicht.
Als weitere große Gruppierung ist der Fan anzusehen. Ein Fan ist laut Duden ein
begeisterter Anhänger einer Person, einer Gruppe von Personen oder einer Sache.
Hier wird der Zuschauer bezeichnet, der während des Spiels Partei für eine der
Mannschaften nimmt. Diese Parteinahme drückt sich u.a. häufig dadurch aus, dass
er Fanutensilien (Trikot, Schal, Pin, etc.) seines Vereins trägt oder seinen Verein
anfeuert.
Eine eigenständige jugendliche Fankultur mit entsprechen Subkulturen bildete
sich erst mit der Gründung der Bundesliga im Jahr 1963 heraus. Nachdem die
Stadien anlässlich der Weltmeisterschaft 1974 in Deutschland einschneidende
bauliche Veränderungen erfahren hatten, fanden die jungen Anhänger ihren Platz
in der Folge in den Kurvenbereichen, wo sie sich auch bis heute noch verorten.23
Inspiriert von englischen Fußballfans begann man damit die eigene Mannschaft
23
Giesenbauer (2000): Fantradition und sozialintegrative Wirkung des Fußballspiels heute. S. 118
12
lautstark zu unterstützen, in dem Lieder gesungen, Anfeurungstexte gerufen
wurden oder rhythmisch geklatscht wurde. Auch optisch zeigte man die
Vereinszugehörigkeit und die Identifikation mit dem Verein. Es bilden sich
stärker Subkulturen wie z. B. die sogenannten „Kuttenfans“. Unter Kutte
versteht man laut Wikipedia eine vom Fußballfan getragene Weste, die meist mit
Aufnähern seines geliebten Vereins oder auch mit Hassbekundungen gegnerischer
Vereine bestickt ist. In den meisten Fällen ist die Weste aus blauem Jeansstoff.
Synonym wird als „Kutte“ neben dem Kleidungsstück, auch der tragende
Anhänger bezeichnet.24
Gerade in den 70er und 80er Jahren waren die Kutten, die noch heute vereinzelt
im Stadion anzutreffen sind, eine starke Gruppierung, die für die verbale
Unterstützung der Mannschaft verantwortlich zeichnete. Sie waren meist in
Fanklubs organisiert. Ihre Zielrichtung war, sieht man von alkohol- und/oder
situationsbedingten Einzeltaten ab, friedlich.
Daneben etablierte sich ca. Anfang der 80er Jahre bis heute andauernd, wenn auch
mit stark abnehmender Tendenz25 die Hooliganszene heraus. Die Herleitung des
Begriffes ist nicht eindeutig festgelegt, eine Variante leitet das Wort vom irischen
hooley (wild) ab.26
Farin definiert es wie folgt: „Hooliganismus ist eine männliche Form zivilen
Ungehorsams, eine nichtpolitische Rebellion gegen die sinnlose Autorität des
Alltags, ein Versuch, die von montags bis freitags aufgezwungene Rolle
abzustoßen, aus dem langweiligen, abstumpfenden Spießerdasein auszubrechen –
wenigstens für ein paar Stunden.“27
Der Begriff Hooligan steht für die Gewalt bei und im Zusammenhang mit
Fußballspielen. Sie suchen die körperliche Auseinandersetzung mit den Fans der
gegnerischen Szene. War es früher so, dass sich die Gewaltexzesse meist im
Stadion oder im unmittelbaren Stadionbereich (z. B. auf den Marschwegen vom
HBF zum Stadion) abspielten, verlagert sich, nicht zuletzt auch aufgrund der
polizeilichen Konzeptionen, seit einigen Jahren die Gewalt aus dem Stadion
heraus, auch auf sogenannte Drittorte. Schon häufig ohne Bezug zu einem
Fußballspiel verabreden sich Hooligangruppierungen gegnerische Vereine, um in
24
http://de.wikipedia.org/wiki/Kutte_%28Fu%C3%9Fballfan%29 Zugriff am 25.06.2008
Interviews POR Piastowski, Herr Spahn, PHK Kommoß
26
http://de.wikipedia.org/wiki/Hooligan, Zugriff am 17.07.2008
27
Farin (2002): Die 3. Halbzeit. S.13
25
13
einer Schlägerei ihre Kräfte zu messen. Hierbei kommt es nicht selten vor, dass
Koalitionen zwischen einzelnen Vereinen gebildet werden und man gegen eine
oder mehrere andere Hooliganszenen zum Kampf antritt.28
Es wird darüber gestritten, ob es sich überhaupt noch um Fußballfans handelt oder
ob der Fußball nur noch der an sich austauschbare Aufhänger ist, um sich zu
Schlägereien zu treffen.
Wenn man den Ausspruch eines Fans hört “Die ganze Woche müssen wir die
Schnauze halten, zu Hause keinen Ton riskieren, im Betrieb darfste nichts sagen,
dafür geben wir am Wochenende so richtig die Sau ab. … Fußball ist für uns
Krieg. Wir sind die Besten. Der Verein kann ruhig verlieren, wir schlagen alle“29,
muss man wohl zu der Erkenntnis kommen, dass sie am Fußballspiel keinerlei
Interesse haben.
Das wird meines Erachtens auch dadurch unterstrichen, dass sich mittlerweile die
Hooliganszene insgesamt oder anlassbezogen mit Personen aus der Türsteher- und
Kampfsportszene verstärkt.
Der Hooligan lässt sich nicht einer bestimmten Gesellschaftsschicht zuordnen.
Anders als in England, wo die Hooligans meist aus sozial benachteiligten
Schichten
kamen,
sind
in
der
Hooliganszene
in
Deutschland
alle
Gesellschaftsschichten vertreten. Unter ihnen sind nicht mehr Arbeitslose oder
Sozialhilfeempfänger als im Rest der Gesellschaft.30
Aus den zunächst losen Zusammenschlüssen bildeten sich dann auch
„Fangruppen“, wie z. B. „Gelsenszene“, „Borussenfront“ oder „Hertha-Frösche“.
Durch die Zusammenschlüsse wird die Vereinzelung der Fans verhindert. Des
Weiteren ist es so möglich, den Mitgliedern eine soziale Anerkennung und
Bindung zu geben. Ihr Zusammenhalt wird durch gleiche Kleidung und
Aufmachung symbolisiert. Gleichzeitig sorgt man so dafür, dass man sich klar
und deutlich von anderen Fans unterscheidet.31
Die Hooligans grenzten und grenzen sich mit teuerer sportlicher Markenkleidung,
wie z. B. Chevignon, Boss und New Balance insbesondere von den Kutten ab.
Nach Weigelt lässt sich die Hooliganszene strukturell in harten Kern, Mitläufer
und Lutscher unterteilen.
28
Interview Herr Bartelt
Quelle nicht mehr verifizierbar
30
Farin (2001): generation kick.de. S.176 ff
31
Wagner (2002): Fußballfans und Hooligans.S.32
29
14
Der Hooliganismus hat sich spätestens mit den Ausschreitungen im Brüsseler
Heyselstadion 1985 im Rahmen des Finales des Europapokals der Landesmeister
zwischen Juventus Turin und FC Liverpool in den Köpfen der Bevölkerung und in
den Medien manifestiert. Gerade durch die Medien wurde den Hooligans eine
große Aufmerksamkeit und Zuwendung zuteil, die sie als Bestätigung nutzen.
Da sich viele Fans in den herkömmlichen Fanklubs nicht mehr richtig
aufgefunden fühlten, sich mit dem „Kuttendasein“ nicht mehr identifizieren
konnten und die Motive der Hooligans ablehnten, wendete man sich Ende der
90er Jahre der Ultrabewegung zu, die in den südlichen Ländern, insbesondere
Italien vertreten war. Auf die genauen Entwicklungen und Ausprägungen gehe ich
im nächsten Kapitel ein. Hier sei nur noch abschließend die Definition des
Begriffes genannt. Ultra (lat.):Vorsilbe mit der Bedeutung „jenseits von, über –
hinaus“ bzw. Ultra (der; Mz. –s; lat.), politischer Fanatiker, Rechtsextremist.32
2.3 Kategorisierungen
2.3.1 Ausdifferenzierung der Fanszenerie nach Wilhelm Heitmeyer
Hierbei handelt es sich nach wie vor um die gängigste Differenzierung.
Er unterscheidet drei verschiedene Idealtypen von Fans. 33
1. „Die konsumorientierten Fans“
Für die konsumorientierten Fans steht das Erleben von Spannungssituationen, die
von
anderen
dargeboten
werden,
im
engen
Zusammenhang
mit
Leistungsgesichtspunkten, während die soziale Relevanz weitgehend unbedeutend
ist. Fußball ist austauschbar und stellt eine Freizeitbeschäftigung neben anderen
dar. Die Gruppenorientierung ist schwach ausgeprägt, denn man geht allein oder
in wechselnden, vorwiegend aus Gründen des Spielbesuchs zusammengesetzten
Kleingruppen ins Stadion. Sie sitzen im Stadion eher, als dass sie auf den
Stehplätzen anzutreffen sind.
Die neutralen Zuschauer eines Fußballspiels lassen sich gut unter diese Gruppe
subsumieren.
32
33
Duden 21. Auflage, S. 765
Heitmeyer/Peter (1988): Jugendliche Fußballfans. S. 32/33
15
2. „Die fußballzentrierten Fans“
Für den fußballzentrierten Fan steht das Erleben von Spannungssituationen auch
in engem Zusammenhang mit den sportlichen Darbietungen, ist aber auch nicht
ausschließlich leistungsfixiert, sondern die (fast) absolute Treue, selbst bei
sportlichen Misserfolgen, zählt. Hier ist der Fußball nicht austauschbar, hat eine
hohe soziale Relevanz. Der Fußball stellt ein unverzichtbares Präsentationsfeld
dar, über das Anerkennung für den Einzelnen und die Gruppe gesucht wird, indem
u.a. auch eigene Beiträge zur Erhöhung der Spannung geleistet werden. Das
Motto lautet hier: „Fußball ist mein Leben“.
Hierunter kann das Vereinsmitglied und der Fan gefasst werden, für den der
Support seines Teams das Wichtigste ist. Auch Ultras, sofern keine
Gewaltaffinität besteht, sind hier grundsätzlich einzuordnen. Der fußballzentrierte
Fan drückt sich häufig durch Mitgliedschaften in Fanklubs aus und ist meist in
Fan-Blocks anzutreffen.
3. „Die erlebnisorientierten Fans“
Für die erlebnisorientierten Fans erhält bei der Suche nach Spannungssituationen
die sportliche Bedeutung des Fußballspiels einen ambivalenten Akzent. Fußball
als Sinnobjekt zählt eher unter dem Gesichtspunkt des „Spektakels“ und
spannender Situationen, die (notfalls) selbst erzeugt werden. Fußball wird und ist
austauschbar. Wichtig ist der Kontakt zu anderen Jugendlichen, die Situationen
müssen spannend sein. Das Motto lautet „Wir sind die Macht“.
Hierunter lassen sich eindeutig die Hooligans und zumindest die gewaltbereiten
Teile der Ultragruppierungen subsumieren, was ich im Weiteren noch ausführen
werde.
2.3.2 Ausdifferenzierung nach Rainer Kübert
Nach einer weiteren Differenzierung, die eine medienpädagogische Sichtweise
beinhaltet und das Verhalten und die Erwartungen der Zuschauer zum
Klassifizierungsgesichtspunkt hinzunimmt, lässt sich das Gesamtpublikum in
folgende Gruppen gliedern, denen nachfolgende Merkmale zugeschrieben
werden:34
34
Kübert (1994):Fußball, Medien und Gewalt. S. 8/9
16
a)
„Der distanziert-passive Zuschauer“: keine oder gering ausgeprägte
Vereinspräferenz, wenig Identifikationsbereitschaft mit Mannschaft und
Spielern,
beherrschte
und
betont
neutrale
Reaktion
auf
das
Spielgeschehen; Erwartung: interessantes Fußballspiel
b)
„Der engagiert-kontrollierte Zuschauer“: deutliche Vereinspräferenz und
Identifikation mit der Mannschaft, kritische Solidarität mit Spielern,
empathisches
Erleben
des
Spielgeschehens;
vorwiegend
verbaler
Ausdruck der Vereinsfixiertheit; Erwartung: gutes Spiel der eigenen
Mannschaft, wenn möglich Sieg
c)
„Der fanatisch-parteiliche Zuschauer“: totale Identifikation mit Verein
und Mannschaft; einseitiges Miterleben und parteiliches Beurteilen des
Spielgeschehens; Demonstration der Vereinsfixiertheit durch Tragen der
Vereinsfarben und -symbole; aktives Eintreten für Vereinsinteressen;
gezielte Diskriminierung des Gegners; Erwartung: Sieg der eigenen
Mannschaft, wie auch immer
d)
„Der konfliktsuchende - aggressive Zuschauer“: Vereinsfixierung
unterschiedlich ausgeprägt; nicht die Gastmannschaft, sondern ihre Fans
sind die Gegner; Fußballspiel und Umfeld als Aggressionsstimulanz;
Teilnahme am Spielgeschehen stets in Gruppen; Erwartung: eigene
Aktionsmöglichkeiten
2.3.3 Ausdifferenzierung nach ordnungsinstanzlichen Kriterien
a) Deutschland
Trotz
der
mittlerweile
eingeführten
europäischen
Kategorisierung,
die
nachfolgend erläutert wird, wird von den Ordnungsinstanzen, insbesondere der
Polizei in Deutschland, noch die dreiteilige Kategorisierung bundesweit
angewendet. Anlässlich der Fußballeuropameisterschaft 1988 in Deutschland
erfolgte erstmals die Einteilung der Fußballanhänger in die Kategorien A, B und
C. Diese Einteilung entstand aufgrund von Arbeitsergebnissen, auf damaliger EGEbene, durch eine eingesetzte Spezialistenrunde, TREVI II.35
Diese Kategorisierung, die auch im Abschlussbericht der AG “Fußball und
Gewalt“ vom 23.07.1991 festgeschrieben wurde36 und die lediglich unter dem
35
Bernhardt: Fußball und Gewalt- Betrachtungen eigenes Fußballpraktikers, Schriftenreihe PFA
3/91, S. 30
36
ZIS-Jahresbericht 2006/2007, S. 5
17
Aspekt des vermeintlichen Gewaltpotenzials des einzelnen Fans erfolgt,
unterscheidet grob in:
• Fans der Kategorie A (Kat. A-Fans): der friedliche Fan (nicht gewaltbereit)
Der Fantyp ist friedlich und neigt nicht zur Gewalt. Die Fans der Kategorie A
stellen mit über 90% den größten Teil dar. Er stellt -bis auf das
Verkehrsaufkommen- kein Problem für die Sicherheitsbehörden dar.37
• Fans der Kategorie B (Kat. B-Fans): der gewaltbereite/-geneigte Fan
Hierbei handelt es sich um Fans, die zwar keine Gewalt suchen, aber
anlassbezogen
zu
Gewalt
neigen.
Schon
eine
vermeintliche
falsche
Schiedsrichterentscheidung, ein unglücklicher Spielausgang, eine Provokation
durch Gästefans sowie gruppendynamische Prozesse können insbesondere in
Verbindung mit Alkohol dazu führen, dass der Kat. B-Fan gewalttätig wird.
• Fans der Kategorie C (Kat. C-Fans): der gewaltsuchende Fan
Hierbei handelt es sich um die Gruppe, die zwar zahlenmäßig den kleinsten Anteil
der Zuschauer ausmacht, aber das größte Problempotenzial darstellt. Fans der Kat.
C besuchen ein Fußballspiel nur, um dort Gewalttätigkeiten auszuleben. Fußball
ist dabei nur eine Nebensache. Es geht den Fans darum, sich mit den Fans der
gegnerischen Mannschaft körperlich zu messen. Hooligans sind klassische Kat. CFans.
Eine Untersuchung hat ergeben, dass die Fanszene etwa 25% der Zuschauer eines
durchschnittlichen Bundesligaspiels ausmacht. Dieser Anteil verteilt wie folgt:
94 % Kat. A, 4 % Kat. B und 2 % Kat. C.38
b) Europäische Ebene
Mit Entschluss des EU-Rates vom 04. Dezember 2006 wurde ein aktualisiertes
Handbuch mit Empfehlungen für die internationale polizeiliche Zusammenarbeit
und Maßnahmen zur Vorbeugung und Bekämpfung von Gewalttätigkeiten und
37
38
Studienpapier Sport und Gewalt, DHPol, , Stand 12/2007, S. 13
Heck, Fußballfan=Hooligan in: DPolBl 3/2001: S. 2
18
Störungen im Zusammenhang mit Fußballspielen von internationaler Dimension,
die zumindest einen Mitgliedstaat betreffen, in Kraft gesetzt. 39
Anlage I des EU-Handbuches sieht die Einteilung von Fußballfans in Kategorien
vor.
Demnach werden die alten Kategorien A, B, C aufgehoben und es erfolgt eine
Kategorisierung in Nicht-Risiko-Fan (Non-Risk-Fan) und Risiko-Fan (Risk-Fan),
wobei die ehemals unter der Kategorie A subsumierten Fans nun unter NichtRisiko-Fans und als Risiko-Fans, die der Kategorie B+C einzustufen sind.
Als Risiko-Fan wird gemäß der Definition nun eine namentlich bekannte oder
nicht bekannte Person verstanden, von der anzunehmen ist, dass sie
möglicherweise -geplant oder spontan- bei oder im Zusammenhang mit einer
Fußballveranstaltung die öffentliche Ordnung gefährden oder unsoziales
Verhalten an den Tag legen wird. Hierzu ist eine dynamische Risikobewertung
vorzunehmen, die in dem Dokument „8241/05 ENFOPOL 40 – dynamische
Risikobewertung
im
zusammengefasst ist.
Zusammenhang
mit
internationalen
Fußballspielen“
40
Als Nicht-Risiko-Fan wird gemäß Definition eine namentliche oder nicht
bekannte Person bezeichnet, von der anzunehmen ist, das sie weder geplant noch
spontan zu Gewalttätigkeiten oder Unruhen bei oder im Zusammenhang mit einer
Fußballveranstaltung anstiften oder dazu beitragen wird.41
Bewertung/Erkenntnisse aus den Interviews:
Anzumerken ist, dass die Änderung der Kategorisierung auf Vorschlag von
Vertretern aus
Großbritannien erfolgt ist, die die bisherige Unterteilung,
insbesondere die Zuordnung von Fußballfans in die Kategorien B und C für
praxisfremd
erachtet
hatten.
Es
war festzustellen,
dass
vielfach
eine
Unterscheidung nicht mehr erfolgte und die Zahlen europaweit nicht mehr in dem
erforderlichen Maß vergleichbar waren.
39
Amtsblatt der europäischen Union, (2006/C322/01) vom 29.12.2006
ebd. zu Anlage I des EU-Handbuches
41
ebd.
40
19
Es wird erwartet und es zeigt sich bereits, dass die neue Einteilung wieder zu
einem
einheitlichen
europaweiten
polizeilichen
Sprachgebrauch
und
vergleichbarem Datenmaterial über Fans führt.
Diese Regelung ist jedoch bislang nur für internationale Spiele mit Beteiligung
eines EU-Mitgliedstaates verbindlich. In Deutschland wird nach Aussagen der
ZIS
bei
dem
bundesweiten
Spielbetrieb
zunächst
an
der
bisherigen
Kategorisierung festgehalten. Man verspricht sich hiervon eine bessere
Ausdifferenzierung der Fanszene und eine Erleichterung für die Einsatzkräfte, die
erfahren im Umgang mit der bisherigen Kategorisierung sind.
Diese Meinung wird auch vielfach durch Einsatzleiter von Fußballspielen
gestützt,42 Einzelne sehen in der neuen Einteilung jedoch den Vorteil, dass die
Schwierigkeit der Unterscheidung zwischen B+C-Fans der Vergangenheit
angehört, zumal die Grenzen zwischen B und C-Fans fließender werden.43+44 Hier
erfolgte auch der Vorschlag, dass während eines Einsatzes die europäische
Kategorisierung verwendet werden sollte und in der Nachbereitung eine genauere
Ausdifferenzierung anhand der dreiteiligen Kategorisierung von den SKB
vorgenommen werden könnte.
Die Entwicklung wird abzuwarten sein, gravierende Auswirkungen auf das
polizeiliche Einsatzgeschehen wird sie vermutlich nicht haben.
3. Beschreibung der italienischen Verhältnisse
3.1 Die italienische Ultrabewegung
3.1.1 Geschichtliche Entwicklung
Über den genauen Zeitpunkt des Beginns der Ultrabewegung in Italien gibt es
unterschiedliche Auffassungen. Green spricht in seiner Expertise45 davon, dass
Ultra Gruppen erstmals 1960 in italienischen Stadien auf den Plan getreten sind.
Zu dieser Zeit war der Fußball bereits ein Nationalsport, der Tausende für jedes
Spiel mobilisierte, aber bislang hatte es keine organisierte Unterstützung von den
Rängen gegeben. Mit den Ultras änderte sich das Fanverhalten. Viele junge
42
Interview POR Henning
Aussage von PHK Kommoß im Anschluss ans Interview
44
Tessmer, Die Fußballszene – Hooligans in: DPolBl 3/2001. S. 7
45
Pilz, u.a.(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S. 460ff.
43
20
Männer, gewöhnlich zwischen 14 und 18 Jahren alt, beginnen sich in bestimmten
Teilen des Stadions zu gruppieren, meist in der „curva“ (Kurve), um von dort aus
ihre Mannschaft auf ihre Art zu unterstützen: Gesänge werden koordiniert und oft
von Trommeln begleitet. Komplexe Rufchöre werden Teil des Repertoires,
Flaggen und andere choreografische Elemente erscheinen auf den Rängen.46
Der Begriff Ultra wird auf ein Spiel des AC Turin zurückgeführt. Weil
jugendliche Fußballfans die Entscheidungen des Schiedsrichters nicht akzeptieren
wollten, verfolgten sie den Schiedsrichter bis zum Flughafen. Dieses Verhalten
wurde von den italienischen Medien als „Ultra“ bezeichnet.47
Schon früh bildet sich heraus, dass sich die Ultras, die sich schnell von den
ursprünglichen Fanklubs abgewendet hatten, nicht nur auf das Spiel fixiert waren,
sondern auch das Umfeld, sprich den Verein, den Vorstand, den Verband oder die
Medien im Blick hatten.
1968 wird mit der „ Fossa dei Leoni“ ist erste offizielle Ultra-Gruppe gegründet,
die dem AC Milan nahestand. Das Jahr 1969 wird als Geburtsstunde der
Bezeichnung „Ultras“ angesehen. In Genua, wo eine große Rivalität zwischen den
beiden dort beheimateten Vereinen FC und Sampdoria herrscht, wird auf
mehreren Häuserwänden der Spruch
“Uniti Legneremo Tutti Rossoblu a Sangu“,48
vorgefunden, was übersetzt „Gemeinsam schlagen wir die rot-blauen zu Blut“
heißt.
Rot-Blau
waren
die Farben
des
FC
Genua.
Wenn
man
die
Anfangsbuchstaben des Spruchs aneinanderreiht, ergibt sich die Bezeichnung
Ultras.
Schnell gründeten sich weitere Ultragruppierungen, die nun auch teilweise die
Bezeichnung Ultras nutzten oder teils militante oder aggressive Klubnamen
wählten, um sich bewusst von den in den 50er Jahren gegründeten herkömmlichen
Fanklubs zu distanzieren. Als Beispiele können angeführt werden die 1969
gegründeten Ultras Tito Cucchiaroni (Sampdoria Genua), Boys S.A.N (Inter
Mailand) und die Ultras (Juventus Turin) sowie die in den Folgejahren
gegründeten Brigate Gialloblu (Verona) und Boys (AS Rom).
46
ebd. S. 460
Kühl: Die Ultras in Fußballstadien unter http://www.lsb-mv.de/index.phtml?showarchivdata21&Instanz=9&Datensatz=1387&SpecialTop=21 , Zugriff 20.06.2008
48
Pilz, u.a. (2006):Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S. 163
47
21
Die Ultras übernahmen sowohl positive als auch negative Elemente der Politik,
die in den 60er und 70er Jahren eine große Rolle spielte. Es waren politisch
unruhige Zeiten. Der Mangel an Arbeitsplätzen und eine fehlende Perspektive für
Jugendliche führten dazu, dass sich eine Protestkultur entwickelte. Die
Jugendlichen suchten Aufmerksamkeit und sie wurden fündig. Auf den Straßen,
wo Millionen ihr Arbeitsrecht einforderten, zum Teil mit brutaler und Tod
bringender Gewalt – und in den Stadien.49 Allerdings verkörpern viele politische
und ideologische Verweise, was der italienische Soziologe Alessandro Dal Lago
den „bricolage“ Effekt nennt: Symbole und Namen tragen oft zur Identität einer
Gruppe bei, aber meist nur in Opposition zu anderen Gruppen und beziehen sich
nicht notwendigerweise auf echten Inhalt oder Treue zu den jeweiligen politischen
Namensrichtungen.50
In den 70er und 80er Jahren erhielt die Ultrabewegung massiven Zulauf. Bestand
zu Anfang der Bewegung eine Gruppe aus knapp 100 Leuten, verfügten sie in den
80er Jahren zeitweise über 10.000, manche sogar über 20.000 Mitglieder.51
Die
Szene
politisierte
sich
auch
zunehmend.
Nicht
nur
die
Organisationsstrukturen, sondern auch die Art der äußeren Darstellung sind
demnach politisch geprägt.52 Spruchbänder, Doppelhalter sowie das Megafon
wurden von der Straße direkt in die Stadien transferiert. Hinzu kamen Lieder und
Gesänge des antifaschistischen Widerstandes, die ebenfalls zum Repertoire vieler
Ultragruppen gehörten.53
Obwohl sehr viele Ultragruppierungen politisch eher links anzusiedeln waren,
kamen vermehrt und in den 90er Jahren massiv Ultragruppierungen auf, die
faschistische Gesinnungen auslebten.
3.1.2 Ultrabewegung und Gewalt
Auch wenn die Unterstützung der Mannschaft im Vordergrund steht, war und ist
Gewalt ein Thema bei den Ultras. Auch wenn es im Gegensatz zu Hooligans nicht
die
alleinige
Zielsetzung
war,
so
ist
zu
beobachten,
dass
einige
Ultragruppierungen mittlerweile darin ihr Hauptziel sehen.
49
Blaschke (2007): Im Schatten des Spiels. S. 172
Pilz, u.a.(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S. 460
51
Verma (2006): Kollektives Engagement gegen den modernen Fußball. S. 25
52
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S. 165
53
Scheidle (2002): Tatort Stadion, S. 93
50
22
Dies führte auch dazu, die Ultragruppierungen in Italien als großes
Sicherheitsrisiko anzusehen.
Der Fußball in Italien ist immer wieder mit Gewalttaten in Verbindung gebracht
worden, so ist bereits 1905 in Turin ein Spiel zwischen Juventus und FC Genua
wegen Krawallen abgebrochen werden und 1914 kam es erstmals in Rom zu
Ausschreitungen außerhalb eines Stadions.54 Bei der Aufzählung von Gewalttaten
und den damit einhergehenden Konsequenzen im Zusammenhang mit der
italienischen Ultrabewegung beschränke ich mich auf die Gravierendsten.
Gewalthandlungen, die sich auf Spieler oder Klubbesitzer beziehen, werden unter
dem Selbstverständnis der Ultras abgehandelt.
Am 28. Oktober 1979 kam es zur ersten großen Tragödie innerhalb eines
italienischen Stadions. Der Lazio-Fan Vincenco Paparelli wurde durch eine
Leuchtrakete, die ein Roma-Ultra abgefeuert hatte, im Gesicht getroffen und
verstarb an den Verletzungen. Die Folge war ein erhöhtes Sicherheitsaufkommen
in den Stadien, zuvor waren kaum Polizisten für den Fußball abgestellt worden.55
Die Abkehr von ursprünglichen Ultrawerten hin zur Gewalt, ging einher mit
einem Generationswechsel innerhalb der Ultragruppierungen.
Ein deutliches Beispiel für diese gefährliche Tendenz ist der gewaltsame Tod von
Claudio Spagnolo im Jahre 1995. Er wurde vor dem Spiel Genua gegen Milan von
einem 18 Jahre alten AC Milan-Ultra Simone Barbaglia, erstochen. Letzterer war
mit seiner neuen Gruppe Brigate 2 auf dem Weg nach Genua. Diese neue Gruppe
war als Splittergruppe der größeren Brigate Rossonere entstanden und plante
einen Angriff auf die Genua Ultras, um Anerkennung und Bekanntheit in der
Ultraszene zu erlangen.56
Dieser dramatische Todesfall stellte eine Art Wendepunkt in der Ultrabewegung
dar. Erstmalig trafen sich zahlreiche Ultragruppen und verabschiedeten das
Dokument „Basta lame basta infami“ (keine Klingen mehr, keine Ultras, die die
Regeln nicht achten). Das Dokument war ein Aufruf der Ultras, alte Werte neu zu
beleben und stellte eine Ächtung des Einsatzes von Messern, Waffen und Gewalt
dar. Es kann wohl als Meilenstein in der Geschichte der Ultras bezeichnet
werden.57
54
Blaschke (2007): Im Schatten des Spiels. S. 171
ebd. S. 173
56
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S. 463
57
ebd. S. 464
55
23
Am 23. Mai 1999 kam es zu einem schrecklichen Unglück in einem Sonderzug.
Vier Fans von Salerno verbrannten in einem Abteil auf der Rückfahrt vom Spiel
in Piacenza. Das Feuer wurde von einigen jungen Fans gelegt, die die Folgen
ihres Vandalismus im Zug beseitigen wollten.58
Obwohl jeder Einzelfall tragisch ist und eine Wertung eigentlich nicht zulässig
sein sollte, kann der 02.02.2007 wohl als der schwärzeste Tag in der Geschichte
des italienischen Fußballs und somit auch der Ultraszene bezeichnet werden.
Ronny Blaschke beschreibt es in seinem Buch so:“ Es war ein Fußballspiel, eine
Partie zwischen zwei Mannschaften, nichts Außergewöhnliches, doch die Szene
jenseits der Seitenlinie erinnerte an Krieg. Autos brannten, Glasscheiben
splitterten, Rauchbomben flogen, Tränengas verpestete die Luft. Vermummte
Männer stürmten aufeinander los. Sie attackierten die Polizei und warfen mit
allem, was ihnen in die Hände fiel“.
Das Resultat war, dass das sizilianische Derby zwischen Calcio Catania und US
Palermo für 40 Minuten unterbrochen werden musste. Über 100 Verletzte
mussten sich in Krankenhäuser behandeln lassen. Trauriger Höhepunkt war der
Tod des Polizeiinspektors Filipo Raciti, der vermutlich von einem 17 jährigen
Teenager mit einem Waschbecken erschlagen wurde. Nicht zuletzt der
Gegenstand macht deutlich, mit welcher Brutalität die Fans aufeinander und auf
die Polizei losgegangen sind.
Erst Tage vorher war ein Funktionär bei einem Amateurspiel in Kalabrien von
gegnerischen Fans und Spielern totgetreten worden, als er einen Streit schlichten
wollte.59
Es ging ein Aufschrei durch Italien. Politiker reagierten mit Bestürzung. Der
damalige Innenminister Giuliano Amato versicherte: „Ich schicke meine
Polizisten unter diesen Bedingungen nicht mehr in die Stadien“ und
Ministerpräsident Prodi kündigte strenge Maßnahmen an: Spiele ohne Zuschauer,
härtere
Strafen
für
Krawallmacher,
ein
Netzwerk
sozialpädagogischer
Fanprojekte. Auch die Vereine sollten mehr in die Verantwortung genommen
werden.60 Doch letztlich muss man sagen, dass man nach kurzer Zeit wieder zur
Tagesordnung überging. Wie so häufig reagierte die Regierung mit einer Form
von Aktionismus, ohne an die Wurzeln des Problems heranzugehen. Erneut stand,
58
ebd. S. 475
Blaschke (2007): Im Schatten des Spiels. S. 169
60
ebd. S. 170
59
24
wie bei den o.g. Vorfällen die Repression im Vordergrund. Wenn man schaut, was
man gemacht hat, blieben die Unterbrechung des Ligaspielbetriebs, die Absage
eines Länderspiels, sowie der Ausschluss von Zuschauern in elf Stadien der 1. und
2. Liga für einige Spiele übrig. Letztlich blieb die Frage und sonst?
Auch die gesellschaftliche Reaktion ließ zu wünschen übrig. Es herrschte zwar
kurze Zeit Entrüstung, die aber nicht lange anhielt. Eine Demonstration, zu der
anlässlich des Rückspiels einige Monate später von einer Faninitiative aufgerufen
wurde und die an den unnötigen Tod von Raciti erinnern und zur Friedlichkeit bei
Fußballspielen aufrufen sollte, wurde nur von einer Handvoll Menschen
besucht.61 Italien war zur Tagesordnung übergegangen.
Es sollte kurze Zeit später aber wieder aus der Normalität herausgerissen werden,
als es am 11.11.2007 zum Todesfall des Lazio-Anhängers Gabrielle Sandri kam.
Auf einer Raststätte wurde er wohl im Auto sitzend durch eine Pistolenkugel eines
Polizeibeamten erschossen. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen,
jedoch wurde der handelnde Polizeibeamte in Haft genommen und muss sich vor
Gericht verantworten, was sicherlich folgerichtig ist, wenn er falsch gehandelt hat.
In diesen Situationen darf man sich auch nicht hinstellen und Fehler kleinreden.
Die öffentliche Debatte und Berichterstattung in den Medien glich aber einer
Hetzkampagne gegen die Polizei. Eine Zeit lang hatte man selbst in Deutschland
den Eindruck, dass die Ursache der Gewalt nicht durch die Ultras gesetzt wird,
sondern durch die Polizei zu verantworten ist. Die Folge war eine noch
feindseligere Stimmung gegen Ordnungsinstanzen in Italien, die in Übergriffe auf
Polizeistationen mündete.
3.1.3 Strukturen der Ultrabewegung
Nach einer Untersuchung der Polizei aus dem Jahr 2005 gibt es in Italien 445
Ultragruppen mit 74.000 Mitgliedern im gesamten Land.62
Die Untersuchung ist sicherlich als Richtschnur zu nehmen, da es innerhalb der
Ultragruppen
eigentlich
keine
registrierte
Mitgliedschaft
gibt.
Das
Zusammengehören wird meist durch das Tragen der gemeinsamen Fankleidung
ausgedrückt.
61
62
DSF-Reportage: Tod und Spiele-Italiens Fußball am Abgrund, ausgestrahlt am 14.01.2008
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S. 464
25
Fast ohne Ausnahme verfügt jeder Klub über eine organisierte Ultragruppierung.
Mittlerweile ist es so, dass es nicht mehr die Ultragruppierung eines Vereins gibt,
sondern teilweise viele kleine Splittergruppierung, die alle einen gewissen Platz
für sich in der Kurve beanspruchen, die durch das Symbol ihrer Ultrabanner
abgesteckt wird. Durch die Aufsplitterung der Gruppen, die teilweise auch
gegenläufige politische oder ideologische Auffassungen vertreten, kommt es auch
vermehrt zu Spannungen zwischen Ultragruppierungen eines Vereins.
Ultragruppierungen sind streng hierarchisch organisiert.
Jede Gruppe verfügt über eine sogenannte Führungsriege. Unter diesem
Personenkreis, der von der Anzahl her variieren kann, befinden neben den
Anführern, die sich durch ihr Handeln über einen längeren Zeitraum bei den
übrigen Mitgliedern Respekt verschafft haben, Personen, die stets bei den
Aktionen dabei sind.
Eine Person, die meist, aber nicht zwingend zur Führungsriege gehört, ist der
sogenannte Capo, der mittels Megafon den Ton in der Kurve angibt, Auffällig ist
dabei, dass er erhöht vor dem Zaun mit dem Rücken zum Spielfeld steht und den
Takt der Anfeuerung vorgibt (Abbildung 2). Vom Spiel sieht er kaum etwas, was
das Selbstverständnis der Ultras unterstreicht, dass das Spiel nicht so wichtig ist,
wie das Ultrasein selbst.
Neben diesem harten Kern gibt es eine undefinierbare Anzahl von Menschen,
deren Teilnahme sich auf die Spiele beschränkt und welche die eigentliche Größe
der Gruppe ausmachen.63
In der Regel treffen sich die Ultras einmal oder auch mehrfach wöchentlich, um
aktuelle Themen zu besprechen oder Aktionen und Choreografien zu erarbeiten,
meist in Kneipen oder eigenen Gruppenräumen.
Die strenge Hierarchie macht sich insbesondere darin deutlich, dass zwar alle
Themen innerhalb der Mitglieder besprochen werden, die Entscheidungen aber
letztlich von der Führungsriege getroffen werden.
3.1.4 Selbstverständnis und Rituale
Ein großer Teil des Selbstverständnisses, aus dem sich die Dinge ergeben, für die
die Ultras eintreten, ist in dem sogenannten Ultramanifest64 niedergelegt, dem sich
63
ebd. S.465
26
fast alle Gruppierungen verschrieben haben. Dabei lehnen sie die fortschreitende
Kommerzialisierung des Fußballs ab. Das Ultramanifest enthält auch politische
Gesinnungen.
Die Werte und Eigenschaften, die das Ultradasein prägen, kann man mit Aktivität,
Unabhängigkeit, Loyalität und kritischer Auseinandersetzung zusammenfassen.
Die Verbundenheit zu dem jeweiligen Verein ist der zentrale Wert der Ultras,
wobei das Spiel nicht unbedingt im Vordergrund stehen muss, denn „The game
isn’t as important as the performance of the group“.65
Die Verbundenheit kann von bedingungsloser Unterstützung bis hin zur völligen
Ablehnung einzelner Spieler, sogar zu Drohungen und persönlichen Attacken
reichen.
Es geht den Ultras darum, sich deutlich von der normalen Fanszene zu
unterscheiden. Ultrasein ist eine Lebenseinstellung.
Ein
Ultramitglied
der
„Brigate
Rossonere“
beschreibt
das
Ultrasein
folgendermaßen:
„As an ultras I identify myself with a particular way of life. We are different from
ordinary supporters because of enthusiasm and excitement. This means,
obviously, rejoicing and suffering much more acutely than everybody else. So
being ultra means exaggerating feelings, from a lot of points of view.” (Dal Lago,
1994, S. 80)66
Übersetzt bedeutet dies sinngemäß, dass man sich mit einem bestimmten
Lebensstil identifiziert, man sich von den normalen Zuschauern in Form von
Begeisterung unterscheidet, dass man viel mehr jubelt und leidet als sonst jemand.
Ultra bedeutet, übertriebene Gefühle in vielerlei Hinsicht.
Diese Gefühle drücken sich in den verschiedenen Ritualen, Aktionen und
Maßnahmen aus, die von Ultras ausgehen.
Zu nennen wäre da zunächst der „Tifo“, worunter allgemein die Unterstützung der
eigenen Mannschaft verstanden wird.
Italienische Ultras stehen während des Spiels in den Kurven. Den Bereich haben
sie mit großen Bannern abgesteckt. Das Banner ist das Wahrzeichen der
Gruppenidentität.67 Der Verlust des Banners, insbesondere die gewaltsame
64
z.B. http://www.forza-roma.de/asromultras/manifestoitaliano/index.html, Zugriff am 27.06.08
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.174
66
zitiert ebd. S.164
67
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S. 466
65
27
Abnahme durch eine gegnerische Ultragruppierung führt nicht selten dazu, dass
sich eine Gruppierung auflöst.
Die Unterstützung erfolgt akustisch und visuell. Es geht über den weites gehend
geschlossenen Anmarsch zum Stadion, die vom Capo angestimmten Fangesänge,
über gemeinsames Klatschen und Hüpfen, Hochhalten von Doppelhaltern,
einheitliche Bekleidung, Schwenken von Fahnen, bis zu kleinlich ausgearbeiteten
Choreografien, die vor oder während des Spiels gezeigt werden und meist aus
Fahnen oder Kartonagen besteht, die gleichzeitig ausgerollt oder hochgehalten
werden. Die Erarbeitung dieser Choreografien dauert häufig mehrere Tage und
Wochen und erweist sich als besonders identitätsstiftend.
Allein oder die Choreografie unterstützend, werden -obwohl verboten- stets auch
Leuchtraketen und Rauchbomben (fumogeni) eingesetzt (Abbildung 3).68 Um
diesen Reiz zu erleben, schmuggeln die Ultras die pyrotechnischen Gegenstände
ins Stadion, obwohl ihnen dafür Stadionverbot droht.
Durch diese Form der Unterstützung werden auch die Rivalitäten mit den
gegnerischen Ultragruppierungen ausgelebt, die es traditionell im italienischen
Fußball gibt und sich meist über Jahre entwickelt haben. Sie werden durch den
soziologischen Terminus „Bedouin Syndrom“ geschrieben, der besagt, dass „ein
Freund eines Freundes ein Freund ist, ein Freund eines Feindes ein Feind ist und
ein Feind eines Feindes ein Freund ist“.69 Es ist ein regelrechter Wettkampf um
die kreativsten Spruchbänder entbrannt, insbesondere mit dem Ziel im Vorfeld
auszukundschaften, welchen Spruch die Gegenseite vorbereitet hat, um direkt die
Antwort darauf zu präsentieren und einen“ Feldvorteil“ zu erlangen. Die Sprüche,
häufig auch mit beleidigendem Charakter haben das Ziel die gegnerische
Gruppierung zu treffen.
Negativstes Beispiel, was auch um die Welt ging, war sicherlich ein Spruchband
der Lazio-Ultras im Derby gegen AS Rom, auf dem zu lesen war „Ausschwitz ist
eure Heimat, die Öfen sind eure Häuser“ (Abbilddung 4).70
Der Grad der Organisation zeigt sich im Merchandising und in den Formen der
Öffentlichkeitsarbeit.
Viele Ultragruppierungen verkaufen ihre eigenen Fanartikel. Spitzenreiter sind
hier sicherlich die Lazio-Ultras „Irriducibili“ (Die Unbeugsamen), die sich ein
68
ebd. S.467
ebd.
70
Schönau(2005): Calcio.S.148
69
28
blau-weißes Imperium mit 14 Geschäften aufgebaut haben,71wodurch sie sich
auch ihre Unabhängigkeit leisten können. Weitere Einnahmequellen sind neben
Mitgliedsbeiträgen, häufig Zuschüsse von den Vereinen sowie Beteiligungen für
die Abwicklung von Kartenverkäufen.
Die „Öffentlichkeitsarbeit“ der Ultraklubs läuft meist über interne Fan-Magazine,
die im Stadion verkauft oder verteilt werden und über interne Homepages, die fast
jede Gruppierung hat.72
Dass die Unabhängigkeit und kritische Auseinandersetzung Hauptwerte der Ultras
darstellen, zeigt sich besonders bei den Verbindungen zu den Spielern und zum
Klub bzw. zum Vereinsvorstand.
Die Unterstützung der Mannschaft ist im Idealfall bedingungslos, selbst bei
negativen Ergebnissen, solange die Spieler die Mannschaftsfarben ehren und auf
dem Spielfeld Einsatz zeigen.73. Ultras können aber sogar feindselig reagieren,
wenn es Spieler wiederholt an Einsatzbereitschaft fehlen lassen oder
unangebrachte Kommentare oder Verhaltensweisen an den Tag legen.74. In den
Zeiten, wo der Fußball immer professioneller wird, und der Medienboom immer
größere Dimensionen annimmt, entsteht eine größere Distanz zwischen den
Spielern und den Fans. Es gibt heute nur noch wenige Spieler, die von den
Gruppen als „bandiere“ (Banner oder Flagge) gesehen werden.75 Es sind die
Spieler, mit denen sich die Ultras identifizieren, weil sie volle Hingabe zeigen und
über lange treu Zeit zum Verein stehen. Beispiele hierfür sind di Canio (Lazio),
Totti (AS Rom) oder Maldini (AC Milan).
Noch extremer sieht es bei den Beziehungen zwischen den Ultras und den
Präsidenten der Fußballvereine aus, die sich überwiegend im Privatbesitz befinden
und eine Zeit lang mit Millionen versuchten, den Erfolg zu kaufen. Die Ultras, die
den Fußball über alles stellten, war in diesem überdimensionierten MonopolySpiel nur eine Nebenrolle zugeschrieben.76 Sie begannen Widerstand zu leisten.
Sie zeigten, zu was sie als Gruppe fähig sind und setzten die Präsidenten unter
Druck. Es gibt mannigfaltige Beispiele, die den Einfluss der Ultras auf ihren
71
Blaschke (2007): Im Schatten des Spiels. S. 178
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.465/466
73
ebd. S. 470
74
ebd.
75
ebd.
76
Blaschke (2007): Im Schatten des Spiels. S. 176
72
29
Verein zeigt. Die Fans von Inter schmuggelten, weil sie den Ordnerdienst im Griff
hatten, einen Motorroller ins Stadion, den sie in den Unterrang warfen, wobei sich
glücklicherweise niemand verletzte. Die Ultragruppierung des AC Florenz zwang
gleich zwei Präsidenten durch massive Proteste und Stimmungsboykotte zum
Rücktritt.77 In Verona wurde die Verpflichtung eines farbigen Spielers verhindert.
Blaschke schreibt weiter, dass über das Fordern von Freikarten hinaus der Druck
erhöht wird, sollten sich die Besitzer weigern, auf die Forderungen einzugehen.
Man reagiert mit Gewalt und rassistischen Schmähungen. Infolgedessen werden
die Vereine mit Platzsperren, Punktabzügen oder Geldstrafen belegt. Auf
mögliche Spielabbrüche verzichtet man weites gehend, da sie den Fußball noch
erpressbarer machen würden.78
Aber auch hier gibt es Beispiele, wo es Ultragruppierungen mit ihrem Verhalten
bewusst darauf angelegt haben, dass ein Spiel abgebrochen werden musste.
Genannt wird in diesem Zusammenhang der Spielabbruch des Römer-Derbys im
März 2004, als durch die Fans das Gerücht in Umlauf gebracht wurde, dass die
Polizei ein Kind vor dem Stadion überfahren hätte. Die Aggressivität stieg und
der Spielführer von AS Rom bedrängte den Schiedsrichter zum Abbruch, in dem
er gesagt haben soll “Wenn wir weiterspielen, bringen die uns um“. Bei den
anschließenden Auseinandersetzungen wurden 170 Personen verletzt.79 Weitere
Beispiele sind die Spielabbrüche in den Champions League Spielen AS RomDynamo Kiew (Herbst 2004) und Inter Mailand-AC Milan (April 2005), die
aufgrund des Werfens von Gegenständen bzw. dem massiven Abschießen von
Leuchtraketen abgebrochen wurden.
Ganz extrem war der Druck, den die Lazio-Ultras, mit ihrem Anführer Fabrizio
Toffolo an der Spitze, der trotz Stadionverbots die Geschicke der Fanbewegung
von Lazio lenkt, auf die Präsidenten Cragnotti und später Lotito ausübten. Als sie
gegen
die
Unbeugsamen
vorgehen
wollten,
wurde
ihnen
und
ihren
Familienmitgliedern massiv Gewalt angedroht, Lotito erhielt sogar eine
Briefbombe.80
77
ebd. S. 177
ebd.
79
ebd.
80
ebd. S.181
78
30
Der starke Einfluss der Ultras breitet sich auch auf die Medien aus. Es findet
keine neutrale Berichterstattung mehr statt, weil auch die Journalisten meist Angst
vor den organisierten Fangruppen haben.81
3.1.5 Ultras und die Politik
Der Stellenwert des Fußballs in Italien macht auch vor der Politik nicht halt. Die
Verstrickungen von Politik, Verbänden und Vereinen sind in Italien offenkundig.
Nicht nur der jetzige Ministerpräsident Berlusconi, der lange Jahre Präsident des
AC Milan war und das Amt aufgrund der gesetzlichen Lage nur während der
Bekleidung
des
Ministerpräsidentenamtes
ruhen
lässt,
hatte
politische
Ambitionen, auch andere Personen nutzten entweder die politische Bühne um
Einfluss in Vereinen zu bekommen oder nutzen das Sportamt, um eine politische
Karriere zu machen.
Die Politik war es auch, die durch Entscheidungen nicht unerheblich Einfluss auf
den Spielbetrieb nahm. So rettete die Regierung Berlusconi 2003 den SSC Neapel
mit einer Notverordnung vor dem Abstieg in die Drittklassigkeit und 2005
stundete die Regierung mit einem Gesetz vielen hoch verschuldeten Klubs die
Steuerschulden.82
Dies erfolgt, weil der Fußball in Italien eine kaum vorstellbare Bedeutung besitzt
und sich Politiker von ihren Entscheidungen Zustimmung bei Wahlen erhoffen.
Politische Charakteristika waren in der gesamten Entwicklung der italienischen
Ultras-Subkultur von großer Bedeutung. Diese beeinflussten die Symbolik,
Strukturen und sogar anfängliche Beziehungen zwischen den Gruppen.83
Obwohl die Ultrabewegung sich zu Beginn, auch aufgrund der damaligen
gesellschaftspolitischen Situation, eher linksorientiert zeigte, dominieren seit
Anfang der 90er Jahre eindeutig die rechtsorientierten Ultras die Stadien.
Laut einer Untersuchung des Innenministeriums84 weisen 192 von 445 starke
politische Züge auf. Von diesen können 113 als rechts oder extrem rechts (26%)
und 79 als links oder extrem links (18%) eingestuft werden. Die Studie besagt
ferner, dass von 43.000 Ultras, die politischen Gruppierungen zugeordnet werden
81
DSF-Reportage: Tod und Spiele-Italiens Fußball am Abgrund, ausgestrahlt am 14.01.2008
Schönau(2005): Calcio. S.130/131
83
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.468
84
ebd. S. 469
82
31
können, 30.000 dem rechten und 13.000 dem linken Lager zugeschlagen werden
können. Rechts stehende politische Parteien und Organisationen, wie z. B. „Forza
Nuova“ haben tatsächlich in der Vergangenheit Ultras-Gruppen als ihr primäres
Ziel für Propaganda und Unterstützung identifiziert.85
Die rechte Ideologie wird vermehrt auch in Stadien durch Symbole und Zahlen,
wie keltische Kreuze, Hakenkreuze, 88 (steht in rechtsextremen Kreisen für Heil
Hitler) oder durch Spruchbänder deutlich, wie es z. B. 2005 beim Spiel Lazio
gegen Livorno mit „Rom ist faschistisch“ gezeigt wurde.86
Auch der römische Gruß, dem Hitlergruß ähnelnd, wird häufig vor und während
der Spiele aus dem Ultrablock gezeigt. In die weltweite Presse geriet der römische
Gruß des Lazio Spielers Paolo di Canio, der nach einem Tor 2005 im Derby
gegen AS Rom sich so seinen Fans zeigte (Abbildung 5) und sich auch öffentlich
dazu bekennt, rechts zu sein.87
3.2 Maßnahmen zur Verhinderung/Eindämmung der Gewalt
Im Kapitel 3.1 ist zu einigen Auswüchsen der Gewalt schon kurz die Reaktion
angeklungen, mit denen der Staat auf die Gewaltexzesse geantwortet hat. Im
Folgenden soll dargestellt werden, welche Befugnisse der Staat seinen
Ordnungsinstanzen einräumt und eingeräumt hat, um das Gewaltphänomen im
Zusammenhang mit Fußballspielen einzudämmen. Darüber hinaus soll auch
aufgezeigt werden, was Vereine/Verbände auf der einen Seite und die Fanszene
auf der anderen Seite selbst getan haben, um die Konflikte zu entschärfen.
Wie schon angedeutet kommt der Eindruck auf, dass italienische Regierungen
lediglich auf Gewaltexzesse reagieren, statt pro-aktiv tätig zu werden.
In der nationalen Diskussion über Ultras und organisierte Fangruppen spielt der
Aspekt der Gewalt die Hauptrolle.88 Maßnahmen in Bezug auf Ultras waren in
Italien meist nur auf das Problem der Gewalt ausgerichtet, die Ursachen und
Gründe wurden aber vernachlässigt. Repression und Polizeiarbeit waren folglich
die einzigen ergriffenen Maßnahmen, die bislang nur mäßigen Erfolg hatten.89
85
ebd.
siehe hierzu http://www.spiegel.de/sport/fussball/0,1518,350759,00.html Zugriff am 30.06.2008
87
Schönau(2005): Calcio.S.148/149
88
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.475
89
ebd.
86
32
3.2.1 Maßnahmen/Befugnisse der Polizei
Neben den herkömmlichen polizeilichen Standardbefugnissen, auf die hier nicht
näher eingegangen werden soll, wurden durch die Regierung nach Vorfällen mit
Gewalt besondere Gesetze erlassen, die spezielle repressive Maßnahmen für die
Polizei vorsah.
Zu nennen ist das Gesetz 401 aus dem Jahr 1989, welches im Vorgriff auf die in
Italien stattfindende Weltmeisterschaft erlassen wurde.
1999 nach dem Tod der vier Fans im Sonderzug wurde eine Richtlinie erlassen,
die ein Verbot von Sonderzügen vorsieht und noch Bestand hat. Man kann sagen,
dass das Gesetz nicht unbedingt die polizeiliche Arbeit erleichtert hat, da die Fans
nun individuell anreisen, eigene Züge mieten oder Busse nutzen, jedoch weniger
geschlossen anreisen, als noch mit den Sonderzügen. Es ist nun schwieriger, die
Fans lückenlos zu begleiten.
Das Sondergesetz 377 aus dem Jahr 2001 sah das Verbot von Rauchbomben und
anderen pyrotechnischen Gegenständen vor.90 Darüber hinaus wurde das
Stadionverbot verschärft, folgende Handlungen können demnach zu einem
Stadionverbot führen:91
•
Gewalt innerhalb und außerhalb der Stadien
•
Einführen, Anzünden und Werfen von Leuchtkörpern und Rauchbomben
•
Tragen
von
Bannern
mit
aufhetzenden,
gewaltfördernden
oder
rassistischen Inhalten oder das Singen solcher Inhalte
•
Werfen von Gegenständen auf die Spielfläche oder auf Personen (Polizei)
•
Betreten der Spielfläche auch ohne gewalttätige Absicht, Betreten des
Stadions ohne gültige Karte
Das Stadionverbot (diffida), das in Italien direkt durch die Polizeibehörden
verhängt werden kann, stellt die populärste Sanktionsmethode dar.92
Ein Stadionverbot führt möglicherweise auch zu Meldeauflagen (obbligo di
firma), um den Fan vom Stadion fernzuhalten.
Mit dem Sondergesetz 88 aus dem Jahr 2003 wurde eine neue Maßnahme
eingeführt, die zuvor nur im Kampf gegen den Terrorismus angewendet wurde.93
90
ebd. S. 475
ebd.S.476
92
Blaschke(2007): Im Schatten des Spiels. S. 183
93
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S. 475
91
33
Die Maßnahme, genannt „flagranza differita“, räumte der Polizei die Möglichkeit
ein, Übeltäter nach begangener Tat mit Videoauswertung als Beweisführung bis
zu 36 Stunden in Gewahrsam zunehmen.
Obwohl die Maßnahme für verfassungswidrig erklärt wurde, wurde sie weiter
angewendet.
Das im Oktober 2005 verabschiedete „Decreto Pisanu“ sieht Regelungen vor,
wonach nur noch personalisierte Eintrittskarten verkauft werden dürfen. Bei den
Kontrollen am Stadion wird mittels Einsichtnahme in den Personalausweis
geprüft, ob es sich um die Person handelt, für die die Eintrittskarte ausgestellt ist.
Der Fan soll aus seiner Anonymität herausgerissen werden.
Zur repressiven Linie passt es, dass der damals zuständige Abteilungsleiter Sport
im Innenministerium von Rom, Felizi auch nach den Vorfällen mit Raciti und
Sandri lediglich Stadionverbote, Spielabsagen und Zuschauerausschlüsse als
probate Mittel nannte.94
Kartenkontingente an Gästefans werden nicht mehr ausgegeben, Karten sind nur
vor Ort kaufbar.95 Darüber hinaus kann das Innenministerium Mitreiseverbote
aussprechen, wie jüngst bei dem letzten Saisonspiel, als den Fans von AS Rom
die Fahrt nach Catania untersagt wurde. Zuvor hatte am selben Spieltag der
Polizeipräfekt von Parma den Inter-Fans den Zutritt zum Stadion im Vorfeld
verboten.96
Von Spielabsagen, wie am 30. März 2008, als die Partie zwischen Juve und Parma
abgesagt wurde, wird ebenso Gebrauch gemacht, wie noch verstärkter vom
Ausschluss von Zuschauern.
Das Spiel wurde abgesagt, nachdem ein Parma-Fan von einem Turiner-Fan-Bus
überfahren wurde. Der Bus soll zuvor von Parma–Fans auf einem Rastplatz
angegriffen worden sein, der Fahrer wollte wohl flüchten und überrollte mit
seinem Bus den 28jährigen Parma-Fan. Neben der Trauer befürchtete die Polizei
massive Ausschreitungen.97
Um sich aus polizeilicher Sicht besser um die Gewalt im Zusammenhang mit
Fußballspielen kümmern zu können, wurde im italienischen Innenministerium die
94
DSF-Reportage: Tod und Spiele-Italiens Fußball am Abgrund, ausgestrahlt am 14.01.2008
ebd.
96
Bericht der WAZ, Datum nicht ersichtlich (liegt dem Verfasser vor)
97
Bericht der WAZ vom 31.März 2008
95
34
Abteilung „Osservatorio Nazionale sulle Manifestazioni Sportive“ gegründet, die
eine Zentralstellenfunktion einnimmt. Die Aufgabe der Dienststelle besteht darin,
die Situation im Sport und organisierten Fanklubs zu überwachen und Aktivitäten
zu organisieren, die Gewalt vorbeugen sollen sowie Vorschläge zur Verbesserung
der Sicherheit zu machen.98
Ein Vorschlag war u.a. auf die Sicherheit in den Stadien bezogen, die bis auf
wenige Ausnahmen nicht im Vereinsbesitz sind. So wurden 2007 knappe 750
Millionen Euro in neue Sicherheitssysteme investiert.99 Dies ist notwendig
geworden, weil die Stadien häufig marode sind und selbst in denen, die 1990
Weltmeisterschaftsspiele gesehen haben, wurde bis dato eigentlich kein Cent
mehr investiert.
Neben Beamten der drei sachlich zuständigen Polizeieinheiten Polizia di Stato,
Arma del Carabinieri oder Guardia di Finanza, setzt die Polizei in
Fußballstandorten nun sogenannte „Squadre tifoserie“ ein. Dabei handelt es sich
um eine Anzahl von Beamten, die ähnliche Tätigkeiten, wie die deutschen SKB
wahrnehmen. Neben der Gewinnung von Szenekenntnissen, der Begleitung der
Ultras zu Heim- und Auswärtsspielen, geht es ihnen darum, eine Kommunikation
zu den Ultras herzustellen, die in der Polizei das Feindbild sehen und jeden
Kontakt eigentlich ablehnen.100 Es hat sich aber gezeigt, dass Spannungen
abgebaut werden, wenn es den Beamten gelingt, zu den Anführern der Ultras eine
Beziehung aufzubauen, die von gegenseitigem Respekt und Vertrauen geprägt
ist.101
Gewaltgeneigte Fans werden nicht wie in anderen Ländern aus der Anonymität
der Gruppe herausgeholt, sondern können diese ungehindert für ihre Aktionen
nutzen. Eine Datei „Gewalttäter Sport“ gibt es in Italien nicht.102
3.2.2 Maßnahmen der Vereine
Die Vereine haben sich lange nicht um die Fans gekümmert und haben dem
Treiben mehr oder weniger tatenlos zugeschaut. Teilweise tragen sie, wie z. B. der
98
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.477
DSF-Reportage: Tod und Spiele-Italiens Fußball am Abgrund, ausgestrahlt am 14.01.2008
100
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.478/479
101
ebd. S. 479
102
Boge (2006): Vergleichende Darstellung gewaltorientierter Fußballfans von Italien, den
Niederlanden und England am Beispiel der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland. S. 40
99
35
ehemalige Lazio Präsident Cragnotti, eine große Mitschuld, dass die
Ultrabewegung sich bei einzelnen Vereinen so gewalttätig ausgebildet hat. Da das
meiste Geld durch Fernseheinnahmen eingenommen wurde, gerieten die Fans in
den Hintergrund. Als die ersten Proteste losgingen, machte man Zugeständnisse,
u.a. ließ man sie teilweise an Kartenverkäufen partizipieren. Als der Druck zu
groß und die Ultrabewegung mehr Einfluss hatte, war es, wie ich es oben schon
geschildert habe, den Vereinspräsidenten nicht mehr möglich, den Hebel
umzuschalten. Cragnotti sagte in einem Interview: “Die Irriducibili sind ein
Monster, was ich erschaffen habe. Ich hätte mehr Härte zeigen sollen, und ich
hatte tatsächlich einmal die Chance dazu. Doch ich habe sie nicht genutzt“.103
Entscheidende eigenständige Maßnahmen wurden durch die Vereine nicht
getroffen; eine Fanarbeit findet, verglichen mit Deutschland nicht statt.
Zuletzt haben sie das oben beschriebene Ticketing System gemeinsam mit
Verband initiiert, welches vom Parlament dann beschlossen wurde.
3.2.3 Maßnahmen der Verbände
Die beiden maßgeblichen Fußballvereinigungen sind FIGC (Fußballverband
Italiens) und die Lega Calcia (Ligaverband), die ebenfalls ein Feindbild der
Ultragruppierungen
darstellen,
da
sie
im
Wesentlichen
für
die
Kommerzialisierung des italienischen Fußballs verantwortlich gemacht werden.
Sie haben auch lediglich die staatlichen repressiven Maßnahmen unterstützt. Sie
haben ein Null-Toleranz-Konzept104 entwickelt, was es dem Schiedsrichter
erlaubt, bei Ausschreitungen die Partie abzubrechen. Zuletzt haben sich die
Verbände zumindest auf die Fangruppierungen zubewegt und Gespräche mit
Fanvertretern geführt.105
3.2.4 Maßnahmen der Fans
Wie vom Selbstverständnis abzuleiten ist, lehnten die Ultras lange Zeit jegliche
Zusammenarbeit mit allen Institutionen ab. Gewalt war sicherlich nicht Hauptziel,
aber zwischenzeitlich ein legitimes Mittel geworden, um ihre Interessen
103
Blaschke (2007): Im Schatten des Spiels. S. 180
Boge (2006): Vergleichende Darstellung gewaltorientierter Fußballfans von Italien, den
Niederlanden und England am Beispiel der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland. S. 49
105
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.473
104
36
durchzusetzen. Mit dem oben erwähnten Dokument „Basta lame basta infami“
kam es zu ersten Annäherungen zwischen den Ultragruppierungen. 1995 gründet
sich mit Progetto Ultra, ein Zusammenschluss mehrerer Ultras, auf deren
Initiative 2002 das Movimento Ultras, ein gemeinsames Netzwerk verschiedener
Ultragruppierungen, entstand. Das Movimento Ultras unterbreitet, wie auch im
Programm 2003, Vorschläge, wie der italienische Fußball wieder sicherer werden
kann.
Ein Problem ist sicher, dass einige Gruppen die Ultravereinigungen nicht
anerkennen und auch die nationalen Behörden sich weigern, diese als offizielle
Fanorganisation anzuerkennen.106
Zu erwähnen ist sicher abschließend, dass Progetto Ultras, sich an dem von der
UEFA
ins
Leben
gerufene
Projekt
FARE107
beteiligt
und
u.a.
die
Weltmeisterschaften gegen Rassismus austrägt.
3.3 Aktuelle Gewaltsituation
Auch wenn man es angesichts der Schilderungen aus Italien und insbesondere der
schrecklichen
Gewalthöhepunkte
nicht
glauben
mag,
ist
gemäß
der
Veröffentlichungen des Osservatorios die Gewalt im Zusammenhang mit Fußball
rückläufig.108 Die abschließenden differenzierten aktuellen Daten aus der Saison
2007/2008 sind noch nicht veröffentlicht.
Bislang kann nur auf eine Übersicht zurückgegriffen werden, die die ersten 11
Spieltage der Serie A, die ersten 13 Spieltage der Serie B und die ersten 12
Spieltage der 3 Ligen der Serie C der Spielzeit 2007/2008 umfassen.
Vergleichszahlen aus dem Vorjahr bzw. aus einer 5-Jahres-Übersicht beziehen
sich auf die entsprechenden Zeiträume der Spielzeiten:109
Demnach verbuchten die Vereine der Serie A in dem betreffenden Zeitraum der
Spielzeit 2007/2008 erstmals wieder einen Zuschaueranstieg und zwar um 19 %.
Die Serie B hat einen beträchtlichen Zuschauerrückgang um ca. 32 % zu
verzeichnen. Die Entwicklungen werden darauf zurückgeführt, dass Vereine, wie
106
Boge (2006): Vergleichende Darstellung gewaltorientierter Fußballfans von Italien, den
Niederlanden und England am Beispiel der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland.
S. 47/48
107
ausführliche Informationen hierzu unter http://www.farenet.org/ Zugriff am 16.07.2008
108
ONsM: http://www.osservatoriosport.interno.it/allegati/Dati/situazione_5_novembre.pdf
Zugriff 03.06.2008
109
ebd.
37
Turin, Genua und Neapel mit entsprechenden Zuschaueraufkommen in die Serie
A aufgestiegen sind. Der Zuschauerschnitt lag in der Serie A bei knapp über
25.000 Zuschauern pro Partie, in der Serie B bei knapp 7.200. Sehr auffällig ist
die geringe Zahl der Gästefans, die bei den Spielen registriert wurden und die
nicht zuletzt auf die bereits beschriebenen Restriktionen für Gästefans
zurückzuführen sein dürften. Bei den aufgeführten 110 Spielen der Serie A sind
87.557 Gästefans gezählt worden, was einen Schnitt von knapp 796 ausmacht. Bei
der Serie B waren es bei bislang 141 Spielen, 44.617 Gästezuschauer, was einen
Schnitt von ca. 316 ausmacht.
Der Personalaufwand der Polizei ist gerechnet auf die Serien A-C ebenfalls
rückläufig und zwar von der Saison 2003/2004 von 79.038 auf 66.114 in der
Saison 2007/2008. Insgesamt konnte mit Ausnahme der Spielzeit 2006/2007 ein
konstanter Rückgang der eingesetzten Polizeikräfte festgestellt werden. Auffällig
ist jedoch, dass der Personalaufwand in der Serie A über die Jahre relativ konstant
geblieben ist und in der Spielzeit 2007/2008 einen deutlichen Anstieg um über
20% auf 28.263 zur Vorsaison erfahren hat. Auch hier dürfte der Aufstieg
traditionsreicher Vereine mitentscheidend gewesen sein. Auch der Anteil zur
Verstärkung angeforderter Polizeikräfte sank in den Serien A-C um über 23% auf
27.581, blieb in der Serie A aber auch relativ konstant.
Wie schon angedeutet, sind die Daten, die die Gewalt im Zusammenhang mit
Fußballspielen aufzeigen in den Spielklassen rückläufig. Die Zahl der Spiele, wo
es Verletzte gab, sank im entsprechenden Zeitraum von 133 (2006/2007) auf 53
(2007/2008). Die Anzahl verletzter Polizeibeamter sank ebenfalls von 108
(2006/2007) auf 22 (2007/2008). Die Anzahl der verletzten Fans ist mit 31 etwas
höher als in der Vorsaison, aber bedeutend geringer als noch 2004/2005, wo 75
verletzte Fans registriert wurden.
Die Anzahl der Festnahmen sank ebenfalls und zwar um 18 % auf 73, liegt aber
höher als noch in den Spielzeiten 04/05 und 05/06. Die Anzahl der Anzeigen/
Beschwerden ist um 9 % auf 326 gesunken. In dem genannten Zeitraum der
Spielzeit 2007/2008 sind insgesamt 554 Maßnahmen durch die Polizei getroffen
worden, wovon 499 auf die staatliche Polizei, 54 auf die Carabinieri und 1 auf
eine andere Polizeidienststelle entfallen.
Eine Analyse der Monitoring-Daten durch das Nationale Zentrum für
Informationen über Sportveranstaltungen, am Ende der abgelaufenen Spielzeit
38
der nationalen Meisterschaften der 3 Profiklassen (Serie A-C), im Vergleich mit
dem vergleichbaren Zeitraum der vorangegangenen Saison, unterstreicht die
deutliche Verbesserung der Situation. Dort sind folgenden Daten aufgeführt:110
•
Spiele mit Verletzten: Rückgang um 35 % (von 60 auf 39)
•
Verletzte zwischen Fans: Rückgang um 6,06 % (von 66 auf 62)
•
Verletzte Polizeibeamte: Rückgang um 45,26 % (von 190 auf 104)
•
Verhaftungen: Anstieg um 3,20 % (von 125 auf 129)
•
Anzeigen/Beschwerden: Rückgang um 28,29 % (von 576 auf 409)
Besondere Erwähnung findet, dass der Einsatz von Tränengas“ um 62,50 %
reduziert wurde und der Einsatz „nur noch“ bei 6 Spielen, statt wie im Vergleich
zum Vorsaisonzeitraum bei 16 Spielen notwendig war.
Sicher ein sich abzeichnender erfreulicher Trend. Es bleibt abzuwarten, ob er von
Dauer ist, zumal keine große Bewusstseinsänderung bei den Ultras und auch nicht
bei den staatlichen Instanzen festzustellen, ist. Es kann zwar sein, dass die
repressiven Maßnahmen greifen, es erscheint jedoch, dass ohne präventive Arbeit
eine Bewusstseinsänderung nicht eintreten kann und es nur den nächsten Konflikt
braucht, um die Lage wieder ins Gegenteil umzukehren.
4. Beschreibung der deutschen Verhältnisse
4.1 Die deutsche Ultrabewegung
4.1.1 Abgrenzung zur italienischen Szene
Im Kapitel 3 habe ich ausführlich die italienische Ultrabewegung beschrieben.
Wenn man sie mit der deutschen Szene vergleichen bzw. zu ihr abgrenzen will, so
kann vorausschickend gesagt werden, dass Ultra nicht gleich Ultra ist, und die
deutsche Szene nicht mit der in Italien vergleichbar ist, da zum einen die äußeren,
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verschieden sind, zum anderen in der
110
ONsM: http://www.osservatoriosport.interno.it/allegati/Dati/dati_girone_andata.pdf Zugriff am
03.06.2008
39
wissenschaftlichen Fanforschung die Fanszene nicht gleichermaßen differenziert
betrachtet und behandelt wird wie in Deutschland.111
Wesentliche Erkenntnisse zur deutschen Ultraszene ergeben sich aus der
Teilstudie „Ultraszene in Deutschland“ zur Metastudie „Die Wandlungen des
Zuschauerverhaltens im Profifußball - Notwendigkeiten, Möglichkeiten und
Grenzen gesellschaftlicher Reaktion“, die 2004 von dem Fanforscher Gunter A.
Pilz, u.a. begonnen und 2006 abgeschlossen wurde. Hierauf werde ich neben
anderen Quellen häufig Bezug nehmen. Da es sich um eine sehr umfassende
Studie handelt, werde ich mich bei der Beschreibung der Szene auf die Teile
beschränken, die ich für wesentlich charakteristisch für die deutsche Szene halte.
Festgehalten werden kann, dass die Fanszenen sehr heterogen sind, in denen aber
nachfolgende Charakteristiken für fast alle Ultraszenen gelten:
•
Selbstdarstellung und Inszenierung
•
Organisation
•
Optischer und akustischer Fan-(Dauer-)Support
•
Aktionen vor, während und nach dem Spiel
•
Lokalpatriotismus
•
Konkurrenzkampf
•
Provokation
•
Kritik
•
Rivalität
•
„Wir“ vs. „Andere“
•
Hass auf die Polizei.112
Die Kultur der Ultras kann als eine Zuneigungs-, Demonstrations- und
Provokationskultur verstanden werden, die ihre Wurzeln in der italienischen,
linksgerichteten Protest-, Studenten- und politischen Widerstandsbewegung hat.113
Die vorhandenen Unterschiede, die durch die nachfolgenden Ausführungen zur
deutschen Ultrabewegung belegt werden, lassen sich im Wesentlichen an
folgenden Kriterien festmachen:
111
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.212
ebd.
113
ebd.
112
40
•
jünger
•
kleiner
•
unpolitischer
Auf der Internetseite der Ultras von 1860 München werden die Unterschiede wie
folgt beschrieben:
„Dennoch gibt es nennenswerte Unterschiede zwischen Original und Imitat.
Straffe Organisation und ausgeprägte Hierarchie-Ebenen sind typische Merkmale
der südeuropäischen Ultras, in deren Reihen dem Individuum wenig
Handlungsspielraum gelassen wird. Vielmehr muss der Einzelne seine Loyalität
immer wieder neu beweisen, indem er die ihm von der Gruppe oder ihren
Anführern gestellten Aufgaben so gut wie möglich erfüllt. Neue Mitglieder
werden vorzugsweise unter Einheimischen rekrutiert. Nur wer sich voll und ganz
mit seiner Heimatregion identifiziert, findet in der Gruppe die gewünschte
Akzeptanz
und
Anerkennung.
Manchmal
schlägt
harmlos
anmutender
Lokalpatriotismus in aggressiven Chauvinismus um - neben der guten
Organisation ein weiterer Grund, warum sich Neonazis die Szene als lohnendes
Ziel
ausgeguckt
haben
und
sie
zu
unterwandern
suchen.“114
Während in Italien die politische Orientierung und deren Artikulation im Stadion
eine große Rolle spielen, steht bei den deutschen Ultras die Anfeuerung im
Vordergrund.115
Italien hat, wie schon dargestellt und im Folgenden an den Daten ablesbar, einen
Vorsprung von knapp 30 Jahren. Die deutsche Szene befindet sich immer noch in
der Entwicklung und ist von der Größe auch deshalb geringer, weil sich die
Traditionen noch nicht so verwurzelt haben, wie in Italien.
4.1.2 Entwicklung und Größe
In Deutschland breitete sich Anfang der 90er Jahre die Ultrabewegung aus. Die
ersten kleineren Gruppen bildeten sich in Köln, Leverkusen, Nürnberg und
München.116 Als erste Gruppierungen werden der Fortuna Köln Fanclub „Eagles
Supporters“ oder die „Mad Boyz“ aus Leverkusen genannt.117 Als etabliert kann
die Ultraszene ab ca. Mitte der 90er Jahre bezeichnet werden. Seit dieser Zeit
114
http://www.ultras1860.de/unterschiede-ultras.html, Zugriff am 02.07.2008
Gabriel(2004):Ultra-Bewegungen in Deutschland in Ballbesitz ist Diebstahl. S.183
116
Blaschke (2007): Im Schatten des Spiels. S. 84
117
Boge(2006): Vergleichende Darstellung gewaltorientierter Fußballfans von Italien, den
Niederlanden und England am Beispiel der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland S. 15
115
41
wächst trotz mehrfacher Auflösungen die Szene durch Neugründungen und
Mitgliederzuwächse. Eine von mir anhand von vereinseigenen Internetseiten, der
Seite
http://www.forza-roma.de/index.html
sowie
bei
der
Durchsicht
verschiedener Forenkommentare durchgeführten Recherche ergab, dass eigentlich
alle Vereine, die in der Spielzeit 2008/2009 in der 1-3 Liga spielen, mittlerweile
über mindestens eine Ultragruppierung verfügen.118 Lediglich eine Recherche für
Rot-Weiß Ahlen führte zunächst nicht zu einem Ergebnis. Eine per Email
durchgeführte Nachfrage bei dem Fanbeauftragten von RW Ahlen, Herrn Peter
Schulz ergab, dass es bislang keine Gruppierung gab, sich zurzeit jedoch eine
gründet, die momentan zwar nur 7-8 Personen umfasst, sich aber für die neue
Spielzeit angemeldet hat.119
Einige Vereine, meist Bundesligisten verfügen über mehrere Ultragruppierungen,
verschiedener Größen, beispielhaft sei hier Frankfurt genannt, die mit „UltrasFrankfurt“, „Adlerfront“ und „Droogs“ über mindestens drei Gruppierungen
verfügen,120
Die Stärken der verschiedenen Gruppierungen sind unterschiedlich ausgeprägt.
Die kleinsten Szenen sind ca 10-20 Mann/Frau stark, die stärksten Gruppierungen,
wie z. B. die Frankfurter Szene kann bis knapp über 1.000 Mitglieder stark sein,
setzt sich dann aber aus allen Ultraklubs zusammen.
Nach Polizeischätzungen umfassen die Dortmunder und die Schalker Szenen 800
bzw. 700 Personen.121
Die Gesamtzahl aller ultraorientierten Fußballfans im engeren Sinne, d.h. der
Personen, die auch als informelle Mitglieder in den verschiedenen Gruppen
namentlich geführt werden und regelmäßig an Heim- und Auswärtsspielen
teilnehmen, wurde in der Pilz-Studie auf knapp 7.000 Personen geschätzt.
122
Heutzutage dürfte die Anzahl bereits höher liegen. Die Zahl sich beteiligender
Fans liegt ferner deutlich höher.
118
siehe u.a. http://www.forza-roma.de/ultrasineuropa/ultrasfansindeutschland/index.html, Zugriff
vom 30.06.2008
119
telefonische Auskunft des Fanbeauftragten von RW Ahlen, Herrn Peter Schulz vom 30.06.2008
120
http://www.forza-roma.de/ultrasineuropa/ultrasfansindeutschland/frankfurt.html, Zugriff am
02.07.2008
121
aus den Berichten der Behörden zur Vorbereitung auf die Fachbesprechung des LZPD NRW
mit den NRW-Fußballstandorten vom 28.01.2008 in Neuss
122
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.71
42
Trotzdem bleibt festzuhalten, gerade vor dem Hintergrund, dass die Ultras sich als
die „einzig wahren Fans“ verstehen, dass sie nur etwa 1-2 im Maximum bis zu 7
Prozent der Gesamtzuschauerzahlen eines Spiels ausmachen.123
4.1.3 Strukturen
Auch hier ist eine umfassende Aussage zu allen Gruppierungen nicht möglich, da
es keine einheitliche Szene gibt.
Der Organisationsgrad variiert stark und ist u.a. auch von der Mitgliederstärke
abhängig.
Auch wenn man es nicht für alle sagen kann und der Strukturierungsgrad sicher
noch nicht die Dimensionen der italienischen Gruppierungen erreicht, kann man
gerade für die größeren und gewachsenen Gruppierungen festhalten, dass sie
straff durchorganisiert sind, teils mit informellen, teils mit formellen
Strukturen.124 Die Organisation der einzelnen Ultra-Gruppen erfolgt überwiegend
durch eine gewachsene Fanhierarchie.125 Ämter werden nicht durch Wahlen
vergeben, sondern durch Mitarbeit und Leistung innerhalb der Gruppierung
„erdient“. Die Organigramme sind basisdemokratische Modelle. Die Leitung
erfolgt durch ein Führungsgremium von drei bis vier Personen, die jeweils für
einen bestimmten Bereich, wie z. B. Vorsänger, Finanzen, Organisation, Fotos
oder Texte zuständig sind126 oder je nach Größe der Gruppe durch eine
sogenannte Direktive, eine Art Vorstand von 10-15 Personen.127 Diejenigen die
sich am meisten engagieren haben die meiste Macht. Ähnlich wie in Italien muss
der Vorsänger hier auch nicht identisch mit dem Anführer sein. Neben der
Direktive haben die Ultras einen Ältestenrat, einen Kassenprüfer und einen
Sprecher.128
Die Finanzierung erfolgt über Mitgliedsbeträge, Verkauf von klubeigenen
Fanartikeln und Fanzines129 sowie Spenden.
123
ebd. S. 72
ebd. S.94
125
ebd.
126
ebd.
127
Blaschke (2007): Im Schatten des Spiels. S. 85
128
ebd. S. 86
129
exemplarisch hierzu „Löwenmut“ von 1860 München unter http://www.fanzine-loewenmut.de/
oder „Im Zeichen des Brustrings“(VFB Stuttgart) unter http://www.cc97.de/med_fanzines.php ,
Zugriff am 22.07.2008
124
43
Sie verstehen sich der Studie von Pilz nach als Fanklub des Vereins, ohne im
überwiegenden Maße ein eingetragener Verein zu sein.130
Die Zusammensetzung der Klubs ist sehr unterschiedlich, jedoch scheinen gerade
Personen, die die verschiedenen Gruppen organisieren oder leiten, einer höheren
sozialen Schicht anzugehören und häufig Schüler, Studenten oder Azubis mit
höherer Schulbildung zu sein.131
Die Altersstruktur liegt im Durchschnitt zwischen 15-25 Jahren,132 wobei gerade
auch bei den Interviewpartnern der Eindruck aufkam, dass die Szenemitglieder
immer jünger werden.133
Die Studie von Pilz hat auch gezeigt, dass neben der mehrheitlichen männlichen
Dominanz der Szene, auch Frauen grundsätzlich Mitglied in den Gruppierungen
werden können. Von Gleichberechtigung kann aber sicher nicht gesprochen
werden.134
Die Organisation und der Austausch von Informationen erfolgt neben
persönlichen Treffen auch über das Internet und gruppeneigenen Homepages135,
die zum Teil auffallend professionell gestaltet sind.136 Neben öffentlichen
Bereichen werden bestimmte Seiten und Foren nur für registrierte Mitglieder
freigeschaltet.
4.1.4 Selbstverständnis, Rituale und Aktionen
Das Ultra-Selbstverständnis lautet: „Wir sind das Spiel, wir sind die
Hauptsache!“137 Über die Hälfte, der in der Teilstudie genannten Ultras gaben an,
dass Ultra ihr Leben sei und andere Dinge, wie Beruf oder Familie sich dem
Fußball unterzuordnen haben.138 Der Support der Mannschaft ist wichtiger als der
Sieg der Mannschaft und deckt sich mit dem Selbstverständnis aus der
italienischen Szene.
Der Sieg über die gegnerischen Fans, nämlich das Niedersingen, die besseren,
kreativeren Choreografien oder Transparente, steht auch bei der deutschen Szene
130
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball.S.95
ebd. S. 96
132
ebd. S. 77
133
Interviews PHK Kommoß und Herr Bartelt
134
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball.S.86-94
135
exemplarisch hierzu z.B. http://www.ultras-hannover.de/ (Hannover 96), http://www.ultrasfrankfurt.de (Eintracht Frankfurt) oder http://www.schickeria-muenchen.de (Bayern München),
Zugriffe am 01.07.2008
136
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S. 99
137
ebd. S. 72
138
ebd. S. 72ff
131
44
im Vordergrund. In diesem Zusammenhang spielen auch Rivalitäten eine große
Rolle. Durch die Ultras scheint das Thema „Freundschaft und Feindschaft“ in der
Fankultur wieder mehr an Bedeutung zu gewinnen.139 Die Feindschaften zu Fans
gegnerischer Vereine, die teilweise in Hass münden, werden durch Banner,
Plakate mit häufig diffamierenden Inhalten zum Ausdruck gebracht. Als Beispiele
für Fanfeindschaften kann man Bremen-Hamburg oder Schalke-Dortmund
nennen. Eine Fanfreundschaft besteht u.a. zwischen Nürnberg und Schalke. Der
Pilz-Studie zur Folge werden die Rivalitäten und der Hass im Osten Deutschlands
noch intensiver ausgelebt. Hier wurden Gästefans durch die Erfurter Ultras mit
dem Transparent: „Wir würden nicht einmal auf euch pissen, wenn ihr brennt“
„begrüßt“.140 Diese Rivalitäten leben die Ultras auch in übergreifenden Fanzines,
wie dem Blickfang Ultra oder Erlebnis Fußball, um nur zwei zu nennen. Hier wird
geschildert, wie die Unterstützung aussah und wer den Spieltag gewonnen hat,
wobei man auch „Niederlagen“ eingesteht, wie z. B. die Ultras von The Unity
Dortmund, die den ernüchternden Derbytag gegen Schalke so beenden:
„Niederlage auf allen Ebenen für den BVB, manche Tage muss es einfach nicht
geben“.141 Die Mediendarstellung, wenn auch nur in internen Fanzines oder Foren
gehört auch zum wesentlichen Bestandteil der Ultrabewegung. Schon kurz nach
den Spielen werden Aktionen beschrieben und bewertet. Jede noch so gelungene
Aktion oder kleines Zugeständnis der Polizei wird als Erfolg verkauft,
Repressionen werden ausschmückend beklagt, wobei das eigene Verhalten häufig
bagatellisiert wird. Bei den Fanzines zeigt sich auch, dass die Angehörigen
seltener aus bildungsarmen Schichten kommen, da die Darstellungen vielfach von
ausgeprägten rhetorischen Fähigkeiten zeugen. Um den Supportsieg Spieltag für
Spieltag davon zu tragen, nehmen die Mitglieder, für den normalen Fan
unvorstellbare Mühen auf sich, die aber die Liebe zum Verein symbolisiert. Für
die Vorbereitung einer Intro-Choreografie z. B., die vielleicht maximal 20
Sekunden bei einem Spiel zu sehen ist, arbeiten die Ultras meist mehrere Wochen,
geben dafür knapp 4.500 € aus und verwenden schon mal 200 Liter Farbe, 7.000
Papptafeln, 500 Fähnchen oder Doppelhalter, 90 Meter Kassenrolle und eine 30
mal 50 Meter große Blockfahne.142
139
ebd. 122
ebd. 123/124
141
Erlebnis Fußball, Ausgabe 38, April 2008, S. 40
142
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.84
140
45
Eine besondere Begeisterung der Ultras liegt in den Choreografien und
grundsätzlich im Abbrennen von Pyrotechnik, wie Bengalos und Rauchpulver.
Hierauf werde ich später noch eingehen, kann aber schon vorwegnehmen, dass es
einhergehend mit dem Verbot auch insgesamt rückläufig ist.
Für die Ultras zählen Werte wie Stärke, Macht, Durchsetzungsvermögen und
Männlichkeit.143 Dies wird häufig durch sexistische und diskriminierende Sprüche
unterstrichen, die von den Ultras selbst aber meist auch bagatellisiert werden.
Die Werte werden charakteristisch durch einen Georg der Ultragruppe Schickeria
München wie folgt beschrieben:144 „Im Blickfang Ultra konnte man lesen, Ultra
ist Respekt, Liebe, Freundschaft und Freiheit. Dem kann ich nur zustimmen und
die Liste ergänzen um Entbehrung, Leidenschaft, Emotionen, Konsequenz,
Verantwortung, Ausflippen und Kontinuität.(...) Ultra ist für mich, wenn es weh
tut, dass Familie, Freundin und Freunde darunter leiden, wenn es keine
Alternative ist, nicht zum Spiel zu fahren.“
Von der italienischen Szene weites gehend übernommen, drücken sich das
Selbstverständnis, die Werte und Ziele der Ultras in dem Ultramanifest aus.145
Als Ziele können der Erhalt der Fankultur und Fußballtraditionen sowie die
Bekämpfung
der
Kommerzialisierung146
genannt
werden.
Neben
der
Zuneigungskultur zu ihrem Verein und den Spielern, zeichnen sie sich durch eine
Protest- und Demonstrationskultur aus (Abbildung 5).
Im Zeitalter der „Eventisierung“ des Fußballs verstehen Ultras sich als einen
kritischen Gegenpol, kämpfen für den Erhalt der traditionellen Fankultur, gegen
Stadionverbote und gegen reine Sitzplatzstadien in Deutschland.147
„DFB, DFL, DSF- die Achse des Bösen“148 ein Spruch bei der Fandemo in Berlin
2002 bringt in mehrfacher Hinsicht das Protestpotenzial zum Ausdruck. Neben
den bereits erwähnten Themen ist die Zersplitterung der Ligenspielpläne den
143
ebd. S. 103
Blickfang Ultra, Heft 6, März 2008. S. 12
145
Biermann,(2006): Fast alles über Fußball. S. 30/31
146
Das Ausmaß der Kommerzialisierung lässt sich sicher an dem erneuten Rekordumsatz der 36
Erst- und Zweitligavereinen in der Saison 2006/2007 ablesen, der durch die DFL auf fast 1,75
Milliarden € veranschlagt wurde. Hierzu DFL-Bundesligareport 2008 unter
http://www.bundesliga.de/de/dfl/report2008/index.php Zugriff am 20.07.2008
147
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.106
148
Gabriel(2004):Ultra-Bewegungen in Deutschland in Ballbesitz ist Diebstahl. S.186
144
46
Ultras ein Dorn im Auge. Die Spielansetzungen an Freitagen und Montagen
erschweren aufgrund beruflicher oder familiärer Verpflichtungen häufig die
Anreise.
Für die Spieltagzerplitterung werden hauptsächlich die Fußballverbände DFB,
DFL und die Medienunternehmen, aber auch die Vereinsvorstände verantwortlich
gemacht, da alle immer darum buhlen, die „Marke Fußball“ noch stärker zu
vermarkten, indem so viele Spiele wie möglich live im Fernsehen übertragen
werden und alle Seiten mehr Profit schlagen können. Die Fans werden vom
Fußballanhänger zum Kunden „degradiert“, der Fußball als Ware bezeichnet.149
Zurückliegend haben es die Ultras geschafft, mit Demos und im Internet
organisierten Aktionen wie Pro 15:30 (ab 2003 umbenannt in ProFans) auf ihre
Sorgen und Ziele aufmerksam zu machen. Die Fankurven haben neben den
Zusammenschlüssen wie B.A.F.F. oder ProFans durch die Ultras eine Stimme
bekommen, die wie ein Seismograf auf vereins- oder ligapolitische Probleme und
Missstimmungen aufmerksam macht.150
Die durchgeführten Demonstrationen, wie die im Vorfeld des Pokalfinales 2002
in Berlin, die durch die Berliner Ultras „Harlekins“ organisiert und von 2.500
Teilnehmern besucht wurde, war sogar Inspiration für die italienischen Vorbilder,
wo 5.000 Ultras aus 72 Gruppierungen im Mai 2003 ebenfalls für ihre Ziele
demonstrierten.151
Diese kritische Haltung und das Demonstrieren, dass man nicht alles undiskutiert
hinnehmen wird, haben auch zu einigen Erfolgen geführt. Die Einführung eines
Fanbeauftragten bei der DFL, der seit 2006 die Interessen der Fans beim
Ligaverband vertritt, die Novellierung der Stadionverbote und die kommunikative
Auseinandersetzung der Vereine und Verbände mit ihren Fans bei Fankongressen
wie zuletzt Anfang Juni in Leipzig oder in Runden Tischen vor Ort kann sich die
Ultrabewegung und ihre Sprachrohre als Erfolge auf die Fahnen schreiben.
Feststeht, dass die Ultras weiter für ihre Ziele streiten werden. Spannend wird
sein, wie sie ihren Unmut über die neuerliche für die Spielzeit 2009/2010 geplante
Spielplanzersplitterung äußern werden. Auf verschiedenen Internetseiten und
Diskussionsforen ist das Thema schon sehr kontrovers und ablehnend diskutiert
worden. Eine aktuelle online Befragung beim Magazin Stadionwelt hat ergeben,
149
Jünger(2004): Der neue Ort des Fußballs in Ballbesitz ist Diebstahl. S. 37
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball.S.106
151
Gabriel(2004):Ultra-Bewegungen in Deutschland in Ballbesitz ist Diebstahl. S.187/188
150
47
dass 45 % der Zweitligafans mit der Verlegung der Sonntagspiele auf 12.30 Uhr
nicht einverstanden sind. Über 40 % lehnen eine Änderung der Anstoßzeiten
kategorisch ab.152 Wenn man argwöhnisch wäre, müsste selbst der unbeteiligte
Zuschauer sich fragen, warum der DFB und die DFL dieses heikle Thema gerade
in der Sommerpause veröffentlicht haben. Man könnte zu dem Schluss kommen,
dass man sofortigen Widerstand in den Stadien meiden und auf den Faktor Zeit
setzen wollte. Es wird interessant sein zu sehen, wie die Ultras in der neuen
Saison mit diesem Thema öffentlich umgehen werden.
Auch der Kampf gegen das meist diskutierte Thema unter den Ultras, das
Stadionverbot, wird trotz der Anpassung der Richtlinien vom 31. März 2008
weiter gehen, da sie seitens der Ultras als nicht weitgehend genug erachtet wird.
Neben den bundesweiten Aktionen gegen Stadionverbote kommt es auch immer
wieder
zu
Demonstrationen
einzelner
Ultragruppierungen
gegen
das
Stadionverbot. So demonstrierten im Frühjahr 2008 1.000 Schalker Ultras und
Sympathisanten beim Oberligaspiel in Herne gegen das Stadionverbot.153 Sie
wichen gerade zu einem Oberligaspiel aus, da dort die Stadienverbote nicht
greifen.
Auch die deutsche Ultrabewegung will sich deutlich von den anderen Fans
abgrenzen. Sie verfügen über eine einheitliche Kleidung, teilweise über ihre
eigene Klubkollektion. Der Stil der Kleidung ist insgesamt betrachtet eher dunkel
und sportlich orientiert.154 Die Vereinszugehörigkeit wird meist nur durch einige
Utensilien, wie den Vereinspin oder -schal symbolisiert.
Diese Abgrenzung zu anderen Fankulturen, insbesondere den Kuttenfans wird
auch durch das Selbstverständnis charakterisiert. Die Ultras haben einen
Absolutheitsanspruch. Sie verstehen sich als die einzig wahren Fans, da sie den
Support in die Kurve zurückgebracht haben und für den Erhalt des traditionellen
Fußballs und der Fankultur eintreten. Das stößt in der Fanszene häufig auf Unmut,
da viele Fans, die schon 20, 30 oder mehr Jahre zu ihrem Verein pilgern und
diesen unterstützen, sich ungern von einem 14jährigen Ultra sagen lassen, dass er
der einzig wahre Fan wäre, was auch zu Spannungen in den Kurven führt. Trotz
152
Stadionwelt unter http://stadionwelt.de/neu/sw_fans, Zugriff am 30.06.2008 ( Auszug liegt
Verfasser vor)
153
Blickfang Ultra, Ausgabe 7, April 2008, S. 16/17
154
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.105
48
vieler interner Diskussionen zwischen Fanvertretern und Versuchen die Haltungen
aufzuweichen, bleiben die Ultras bei ihrem Absolutheitsanspruch.155
Die deutsche Ultraszene unterscheidet sich in der Politisierung deutlich von der
italienischen Ultrabewegung. Während im deutschsprachigen Ultramanifest
vereinspolitische Dinge, wie die Abwicklung von Spielertransfers in den
Saisonpausen, als Punkte aufgenommen sind und den Ultras Vereinspolitik sehr
wichtig ist, sprachen sich laut der Studie von Pilz zwei Drittel der Befragten
gegen allgemeine Politik im Stadion aus.156 Dies bedeutet aber nicht, dass
politisch motivierte Gruppen es nicht versuchen, sich in die Ultrablocks zu
mischen. Die Studie hat ergeben, dass sich in den Ultragruppierungen sehr wohl
links-, als auch noch etwas stärker rechtsorientierte Mitglieder befinden.157
Gerade in den neuen Bundesländern gibt es Szenen, die ihre rechten Einstellungen
sehr viel offener und direkter zeigen,158 was vielfach auf die immer noch
unterschiedlichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Perspektiven für
junge Leute zurückgeführt wird.
Von einer flächendeckende Politisierung der Szene, wie sie in Italien von
Ausnahmen abgesehen, vorzufinden ist, kann in Deutschland nicht die Rede sein.
Die Absicht, die Politik aus dem Stadion heraus halten zu wollen, wird auch
dadurch unterstrichen, dass man politische Aussagen aus dem italienischen
Manifest nicht übernommen hat.
In der Entwicklung der Ultrakultur hat sich eine Veränderung ergeben, die gerade
aus polizeilicher Sicht zunehmend für Probleme sorgt. Die Ultras waren
angetreten, den Support zurück ins Stadion zu bringen und wollten sich von den
Kuttenfans und insbesondere auch von dem gewalttätigen Verhalten der
Hooligans deutlich abgrenzen. Ihrem Selbstverständnis in diesem Punkt nach
sollte ihre Bewegung gewaltfrei sein. Sie wollten sich da auch von den
italienischen Vorreitern unterscheiden und nur die positiven Elemente, die sich
auf die Unterstützung ihres Vereins bezogen, übernehmen.
155
Interview Herr Rojek
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.113 ff.
157
ebd. S. 115/116
158
ebd. S. 117
156
49
Mittlerweile hat, wie im folgenden Kapitel noch ausführlicher dargestellt wird,
gewalttätiges Verhalten auch bei den Ultras Einzug gehalten, was durch die
Ergebnisse der Pilz-Studie unterstrichen wird.159
Bevor ich nun auf die konkrete Gewaltsituation eingehe, muss noch ein
Selbstverständnis genauer dargelegt werden, das für viele Experten auch mit ein
Grund, wenn nicht der Grund, für die vorherrschende oder gar gestiegene
Gewaltbereitschaft ist. Hier handelt es sich um die Feindbilder der Ultras. Die
diesbezügliche Rolle, die den Verbänden und Medien in diesem Zusammenhang
zugeschrieben wird, habe ich schon unter dem Punkt Demonstrationskultur
beschrieben.
Wir oben schon mit „Hass auf die Polizei“ aufgezeigt, ist das Feindbild Nummer
1 der Ultras die Polizei. Die Befragung von Pilz sagt dazu, dass nur 4,9% der
Befragten kein Problem mit der Polizei hätte. 97 % der befragten Ultras aus den
neuen Bundesländern und fast 72 % der Ultras aus den alten Bundesländern gaben
an, dass ihr Verhältnis zur Polizei schlecht sei. Jegliche Zusammenarbeit wird
entsprechend von 78 % bzw. 59,3 % abgelehnt.160 In Sprüchen, wie „wenn mein
Kind Bulle werden würde, würde ich es glaube ich umbringen“,161 kommt der
Hass sicherlich treffend und bedenklich zum Ausdruck.162 Die Ultras mit ihrem
Alleinvertretungsanspruch und mit dem Anspruch über die Kurven hinaus
Einfluss nehmen zu wollen, geraten vielfach mit der Polizei in Konflikt, weil die
Zielsetzungen sich nicht mit dem Wertekonstrukt der Gesellschaft, welches die
Polizei umzusetzen hat, decken.163 Die vorgenommenen Handlungen der Polizei
werden dann als Willkür und ungerechtfertigte Repression angesehen. Die Ultras
lassen andere Regeln nicht gelten und möchten auch definieren, was Gewalt ist
und was nicht.164 Hier stoßen unterschiedliche Sichtweisen aufeinander. Die
Ultras wollen ihre Positionen nicht aufgeben, die Polizei kann vor dem
Hintergrund ihres gesellschaftlichen Auftrages ihre Position nicht aufgeben. Als
Beispiel wäre das Abbrennen von Pyrotechnik zu nennen, welches eine große
Bedeutung für die Ultras hat. Aus sicherheitspolizeilichen Gründen ist es durch
159
ebd. S. 127
ebd. S. 137 ff.
161
ebd. S. 138
162
Vielfach wird der Hass auch auf Transparenten und T-Shirts mit der Aufschrift A.C.A.B. (All
Cops Are Bastards) zum Ausdruck gebracht.
163
Interview POR Piastowski
164
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.130
160
50
die Stadionverordnungen165 untersagt, zumal es zu Verletzungen führen kann, wie
es das Beispiel in Bielefeld beim Spiel gegen Bochum in der letzten Saison
gezeigt hat, auch wenn es sicher nicht immer zu Verletzungen kommen muss und
vielfach auch der Situation geschuldet ist, dass man sie unvorsichtig abbrennt,
weil man nicht identifiziert werden soll. Die konträren Sichtweisen führen dazu,
dass das schon vorhandene Feinbild nicht abgebaut werden kann bzw. sich noch
verstärkt. Es wird durch die Ultras alles versucht, sich den polizeilichen Blicken
und Maßnahmen zu entziehen. Sie gehen konspirativ und abgeschottet vor, was
eine besondere Herausforderung für die Einsatzkräfte darstellt.166 Eine
Kommunikation findet fast nicht statt, selbst Angebote für Gespräche
anlassbezogen oder anlassunabhängig werden seitens der Ultras abgelehnt.167
Fairerweise darf man nicht unterschlagen, dass „provokatives“ Verhalten von
Einsatzkräften, wie symbolhaftes Anziehen von mit Quarzsand gefüllten
Handschuhen, etc. nicht zur Befriedung des Verhältnisses beiträgt und unterlassen
werden sollte.168 Dieses unangemessene Verhalten wird meist mit der Polizei bei
Auswärtsspielen in Verbindung gebracht, wo man sich ungerecht behandelt fühlt,
weil man u.a. Dinge, die in der eigenen Stadt und im eigenen Stadion
abgesprochen und selbstverständlich sind, an fremden Orten nicht machen darf.
Diese „Ungerechtigkeiten“ werden dann auch den Ordnungsdiensten bei
Auswärtsspielen zugeschrieben, die laut den Ultras und manchmal kann man sich
dem tatsächlichen Eindruck nicht widersetzen, den Auswärtsfans nicht die
gleichen Supportmöglichkeiten einräumen, wie den Heimfans, da ihnen vielfach
Unterstützungsgegenstände, wie Trommeln, bestimmte Fahne, etc. vor dem Block
abgenommen werden.
4.2 Gewaltsituation im deutschen Fußball
4.2.1 Lagebild allgemein
a) Lagebild zur Spielzeit 2006/2007
Bei der Darstellung eines Lagebildes muss auf die Daten aus der Spielzeit
2006/2007 zurückgegriffen werden, die sich aus dem ZIS-Jahresbericht
2006/2007 ergeben. Der ZIS-Jahresbericht zur abgelaufenen Spielzeit erscheint
165
siehe bspw. Stadionordnung des BVB, § 6 g mit Stand von März 2004(liegt Verfasser vor)
Interview Herr Bartelt
167
Interviews PD Pusch und PD Grzella
168
Interview POR Piastowski
166
51
erst Anfang 2009, verständlicherweise konnten vorab keine Daten zur Verfügung
gestellt werden. Neben den harten Daten aus 2006/2007, wobei ich mich auf die
wesentlichen Aussagen beschränken werde, da der Bericht öffentlich einsehbar
ist, werde ich anhand der Inhalte der durchgeführten Interviews und von in
Medien veröffentlichter Beispiele versuchen, einen Trend für die abgelaufene
Spielzeit aufzuzeigen.
Die
Grundaussage
des
Berichts,
der
Einjahres-,
Dreijahres-
und
Zwölfjahresvergleiche darstellt, ist, dass gewalttätige Ausschreitungen durch
sogenannte Fußballfans sich seit Jahren auf einem seit der Spielzeit 1995/1996
saisonal schwankenden, hohen Niveau halten.169 Gerade in Abgrenzung zu Italien
ist festzuhalten, dass die Spiele in Deutschland deutlich stärker frequentiert sind.
In der Spielzeit 2006/2007 gab es einen neuerlichen Zuschaueranstieg um
insgesamt 800.000 Zuschauer auf 16, 2 Millionen Zuschauer bei den Spielen der
ersten beiden Ligen. Die beiden Regionalligen verbuchten 1.824.042 (RL Nord)
und 690.037 (RL Süd) Zuschauer.170 Die Zuschauerschnitte lagen somit bei ca.
37.6000 (1. Bundesliga), 15.300 (2. Bundesliga), 5.330 (RL Nord) und 2.250 (RL
Süd).
Bei insgesamt 750 Spielen in den beiden Profiligen sowie in den Standorten der
Bundesliga und der 2. Bundesliga ausgetragenen Begegnungen des DFB-Pokals,
der UEFA-Klub-Wettbewerbe und Länderspielen wurden folgende Fakten
festgehalten, die die nachfolgende Entwicklung zur Vorsaison ausmachen:
•
Reduzierung eingeleiteter Strafverfahren von 4.576 auf 4.394
•
Steigerung der freiheitsentziehenden Maßnahmen von 5.876 auf 6.414
•
Zunahme verletzter Personen (keine Unfallopfer) von 371 auf 494, die
sich auf 71 Polizeibeamte, 198 Störer und 225 Unbeteiligte verteilen
•
Abnahme der polizeilichen Arbeitsstunden der Polizeien der Länder und
des Bundes zur unmittelbaren Einsatzbelastung von 1.315.424 auf
1.248.064
•
Zunahme des Störerpotenzials (Fans der Kategorien B+C) von 7.865 auf
8.413
Um eine in etwa gleiche Lesbarkeit und somit Vergleichbarkeit herzustellen,
dürfen die Zahlen nicht losgelöst betrachtet werden, da die italienische
169
170
ZIS- Jahresbericht 2006/2007 S. 3
http://www.weltfussball.de/zuschauer, Zugriff am 09.07.2008
52
Zentralstelle zwar auch die Zahlen der übrigen Spiele, wie Pokal, UEFA CupSpiele, Länderspiele, usw. auswertet, aber die Vergleiche sich nur auf die Serien
A-C, insbesondere A und B beziehen. Ich werde im Folgenden nochmals diese
Zahlen aus dem ZIS-Jahresbericht gesondert aufzeigen.
Hinsichtlich der eingeleiteten Strafverfahren ist festzuhalten, dass 1.777 (5,8 pro
Spiel)
auf die 1. und 1.264 auf die 2. Liga (4,1 pro Spiel) entfallen.
Hinzukommen aus der damaligen 3. Liga, nämlich den beiden Regionalligen Nord
(656) und Süd (227) 883 eingeleitete Strafverfahren.
Über die Hälfte aller Strafverfahren sind auf anlasstypische Gewaltdelikte
(Körperverletzung, Widerstand, Landfriedensbruch und Sachbeschädigung)
zurückzuführen.171
Die freiheitsentziehenden Maßnahmen, die einen Höchststand der letzten zehn
Jahre erreicht haben, verteilten sich, wie folgt auf die Ligen, wobei auf eine
Unterscheidung
zwischen
strafverfolgenden
und
gefahrenabwehrenden
Gesichtspunkten hier verzichtet wird:
•
1. Bundesliga: 3.451 (ca. 11,2 pro Spiel)
•
2. Bundesliga: 1.916 (ca. 6,3 pro Spiel)
•
Regionalligen: 1.629 (ca. 2,5 pro Spiel)
Das Gewaltpotenzial der insgesamt etwas über 11700 Problemfans (Vorsaison
10500) stellt sich aufgeteilt wie folgt dar:
Kat. B
Kat. C
Summe
1. Bundesliga
3.445
1.410
4.855
2. Bundesliga
2.660
898
3.558
Regionalliga Nord
1.945
652
2.597
Regionalliga Süd
500
226
726
Gesamt
8.550
3.186
11.736
Nur für die Aufrechterhaltung der Sicherheit bei Ligaspielen in den obersten
3 Spielklassen wurden seitens der Länderpolizeien 1.176.564 Arbeitsstunden
geleistet, die sich wie folgt verteilen:
171
•
1. Bundesliga: 442.021
•
2. Bundesliga: 341.719
•
Regionalligen: 392.824
ZIS-Jahresbericht 2006/2007, S. 9/10
53
Dazu kommen 236.862 Arbeitsstunden, die die Bundespolizei für Spiele der
ersten beiden Ligen gemeldet hat.
Im Berichtszeitraum wurden 166 örtliche und 1.153 bundesweite Stadionverbote
ausgesprochen. Zum Ende der Saison 2006/2007 waren somit 3.158 Personen
erfasst, die mit einem Stadionverbot belegt wurden.
Neben diesen Zahlenwerken zeigt der ZIS-Jahresbericht 2006/2007 folgende
verkürzt dargestellte Trends auf:
Erstmals seit fünf Jahren stieg die Anzahl der freiheitsentziehenden Maßnahmen
bei Personen aus den Altersklassen 14-17 Jahre und 18-20 Jahre wieder an. Die
Taten werden sowohl von Heim-, als auch von Auswärtsfans begangen. Die Taten
finden im Stadion, im unmittelbaren Stadion und auf den Anreisewegen statt.
Darüber hinaus hält der Trend auf hohem Niveau an, dass Fangruppen
(Hooligans) sich zu Auseinandersetzungen an sogenannten Drittorten, abgesetzt
und losgelöst von Spielen, zu gewalttätigen Auseinandersetzungen treffen.
b) Lagebild zur Spielzeit 2007/2008
Für die aktuell abgelaufene Spielzeit 2007/2008 ist festzuhalten, dass die
Gewalttaten sich weiter auf einem relativ hohen Niveau befinden.172 Im
Verhältnis zur steigenden Zuschauerzahl haben sie sich aber stabilisiert und
pendeln sich bei ca. 4.000 Straftaten ein.
Die Gewalt wird weiterhin von unterschiedlichen Beteiligten begangen, wobei
u.a. die klassischen Hooligans und Mitglieder der Ultras zu nennen wären. Die
meisten Straftaten ereignen sich mittlerweile im Stadionumfeld (Innenstadt,
Bahnhof),
im
Stadion
weniger,
da
aufgrund
der
Möglichkeiten
der
Videografierung das Entdeckungsrisiko dort am größten ist.173 Auch der
beschriebene Trend zu Drittortauseinandersetzungen hält an, wobei neben der
Fußballszene verstärkt Gruppierungen aus der Fitness- und Türsteherszene an den
Auseinandersetzungen teilnehmen und sich die Frage stellt, ob man hier noch von
Gewalt bei Fußballspielen sprechen kann.174
Dieser durch den Leiter der ZIS aufgezeigte Trend hinsichtlich der Gewalt im
Fußball deckt sich weites gehend folgerichtig mit den Erkenntnissen der übrigen
interviewten Einsatzleiter der Fußballstandorte. Beispielsweise seien hierzu einige
172
Interview POR Piastowski
ebd.
174
ebd.
173
54
Zitate angeführt. „Wir haben eigentlich alles gehabt. Ultras, die hooligantypisch
agierten“175 oder „Der Grad gegen PVB vorzugehen ist sehr stark ausgeprägt;
ebenfalls ist eine Solidarisierung sehr stark, bei Festnahmen stehen sofort 30-100
BFC-Hools bereit, um sich zu wehren“.176 „Festzuhalten ist, dass wir in den
letzten 10 Jahren eine kontinuierliche Steigerung von Straftaten in der 1 und 2.
Liga, im Profifußball zu verzeichnen haben, aber außerhalb der Stadien, also im
Wesentlichen im Umfeld der Stadien, auf den Bahnhöfen, Kneipen, auf den
Anreisewegen insgesamt.“177
Hierbei muss natürlich festgehalten werden, dass das Lagebild und die damit
einhergehenden Entwicklungen standortabhängig zu sehen sind. So konnte z. B.
aus Leverkusen berichtet werden, dass es eine ruhige Saison war.178 Ferner ist es
schwierig eine einheitliche Aussage darüber zu treffen, von welchen
Problemgruppen, d.h. Auswärts- oder Heimfans die Probleme ausgehen. Während
in Bremen zu beobachten ist, dass die größten Probleme zurzeit die heimischen
Ultras machen,179 ist es z. B. beim BFC Dynamo so, dass es kaum zu
Auseinandersetzungen mit gegnerischen Fans kommt, da die heimische Szene zu
stark ist und Gästefans kaum anreisen. Wiederum zeigt sich, dass BFC-Fans auf
Auswärtsfahrten auffällig werden und bei Heimspielen mangels gegnerischer Fans
oftmals die Auseinandersetzung mit der Polizei suchen.180
Die Spielzeit 2007/2008 erlebte neben den herkömmlichen Ausschreitungen
vereinzelte gravierende Beispiele für gewalttätige Aktionen. Bei dem Spiel VfL
Bochum-Karlsruher SC erlitt ein Polizeibeamter beim Einschreiten im Fanblock
einen Wirbelbruch, nachdem er von Fans gestoßen wurde und über ein Hindernis
fiel.181 Glücklicherweise erlitt der Beamte keine bleibenden Schäden. Das Spiel
Frankfurt gegen Nürnberg musste für mehrere Minuten unterbrochen werden,
stand kurz vor dem Spielabbruch, weil aus dem Block der Nürnberger anhaltend
Feuerwerkskörper und Pyrotechnik gezündet wurde. Im Spiel des 31. Spieltages
zwischen Bielefeld-Bochum wurden im Stehplatzbereich der Gäste ein
Rauchkörper und ein Kanonenschlag mit intensiver Sprengwirkung gezündet. Der
175
Interview PD Grzella
Interview POR Henning
177
Interview Herr Spahn
178
Interview PHK Kommoß
179
Interview PD Pusch
180
Interview POR Henning
181
Interview PD Grzella
176
55
Kanonenschlag führte zu teilweise schweren Verbrennungen und offenen Wunden
bei 5 Personen. Zeitgleich wurde ein Ordner des Heimvereins niedergeschlagen/gestoßen und in der Folge weiterhin auf das hilflos (bewusstlos) am Boden
liegende Opfer derart massiv eingewirkt u.a. durch Schläge, Tritte gegen den
Kopf und Springen auf den Körper, sodass dieses erhebliche Verletzungen erlitt
und stationär im Krankenhaus verblieb.182
c) Sonstige Auffälligkeiten
ca) Verschiebung der Gewalt in untere Ligen
In den Medien und von einigen Autoren wird oftmals berichtet, dass sich die
Gewalt tendenziell mehr und mehr in untere Ligen verschiebt.183 Auch
polizeiliche Autoren berichten, dass Ausschreitungen bei Fußballspielen der
unteren Ligen leider keine bedauerlichen Einzelfälle, sondern regelmäßig
wiederkehrende Sachverhalte sind.184 Auch den Worten von NRW Innenminister
Dr. Wolf, der bei der Gründungsveranstaltung des regionalen Ausschusses Sport
und Sicherheit in Duisburg am 02.April 2008 sagte, „Die Fußballverbände, die
örtlichen Vereine und die Polizei werden stärker zusammenarbeiten, um die
Gewaltbereitschaft bei Oberligaspielen einzudämmen“,185 ist zu entnehmen, dass
in den unteren Ligen Gewalt bei Fußballspielen nicht nur bedauerliche Einzelfälle
sind. Verlässliche Aussagen dazu sind zurzeit jedoch schwierig zu treffen, da
noch kaum gesichertes Datenmaterial vorliegt, was diese These stützen oder
widerlegen kann. Feststeht, dass es eine Reihe von Spielen in der Regionalliga
oder darunter gibt, die mit immensen Polizeikräften gesichert werden müssen. So
wurden beim Spiel Union Berlin - Dynamo Dresden am 28.04.2007 1.386
Einsatzkräfte186 eingesetzt, um Ausschreitungen möglichst zu verhindern. Kräfte
in ähnlicher Größenordnung wurden jüngst beim selben Spiel am 08.05.2008
benötigt.
Der ZIS-Jahresbericht 2006/2007 hielt aufgrund der Verlaufsberichte fest, dass
das in der Regionalliga, insbesondere der Regionalliga Nord vorherrschende
Gewaltpotenzial von Anzahl und Intensität des anlassbezogenen Auftretens, dem
der Bundesliga gleicht.
182
Verlaufsbericht der ZIS zum 31. Spieltag der Saison 2007/2008 (liegt Verfasser vor)
Siehe u.a. http://www.woz.ch/artikel/inhalt/2006/nr44/Sport/14037.html
184
Knape/Klös:Oberste Priorität für untere Fußballligen? In: Die Polizei, Heft 9, S. 241
185
Pressemitteilung des IM NRW vom 02.04.2008 (liegt Verfasser vor)
186
Knape/Klös:Oberste Priorität für untere Fußballligen? In: Die Polizei, Heft 9, S. 241
183
56
Die Aussage kann so plakativ nicht stehen gelassen werden. Sie ist in
Teilbereichen stimmig, aber nicht überall.187 Hier muss erstens zwischen den
Spielklassen und zweitens zwischen den dort spielenden Vereinen differenziert
werden.
Bei Vereinen, die nicht über Gewaltpotenzial verfügen, wie z. B. Bonner SC sind
auch keine Gewalttätigkeiten festzustellen.188 Probleme gibt es bei Vereinen, die
über gewaltbereites Potenzial verfügen, weil sie früher hochklassig gespielt haben
oder Traditionsvereine sind (Wuppertal, Münster, Union, BFC, Dresden, etc.)
Es ist ferner festzustellen, dass es zu keinen Auseinandersetzungen kommt, wenn
der Verein keine Hooligans hat, der Gegner also fehlt. Anders sieht es aus, wenn
in den unteren Ligen die 2. Mannschaften der Bundesligisten spielen. Es handelt
sich bei den
gewaltbereiten
Fans dann
um dieselben wie bei den
Bundesligaspielen.189 Sie nutzen die Bühne, das Spiel ist ihnen egal, wie auch der
Angriff auf Dortmunder Fans durch Schalke-Anhänger beim Spiel der A-Jugend
zwischen Wattenscheid 09 und Borussia Dortmund im Jahr 2007 zeigt.190
Etwas davon abgesetzt muss sicherlich die Gewalt betrachtet werden, die sich auf
den Spielplätzen der unteren
Ligen zwischen Spielern, Spielern und
Schiedsrichtern, aber auch zwischen Zuschauern und/oder Spielern, etc. ereignet.
Auch hier sind verlässliche Daten derzeit nicht zusammengeführt abgreifbar. Der
DFB verfügt aber seit einem Jahr über ein diesbezügliches Lagebild, wozu alle
Urteile der Sportkreisspruchkammern nach Schwerpunkten ausgewertet werden.
Das Lagebild kann derzeit noch nicht öffentlich gemacht werden, da das
Meldeverhalten der Landesverbände noch zu unterschiedlich ist und kein
einheitliches Bild ergibt. Als Tendenz aus den bisher an den DFB gemeldeten
Zahlen lässt sich jedoch festhalten, dass die Wahrnehmung richtig scheint.191
Erkennbar ist, dass die Hemmschwelle Gewalt anzuwenden, auch Gewalt, die
schwerwiegende Folgen hat, absinkend ist. Häufig sind daran auch Mannschaften
mit unterschiedlichen Ethnien beteiligt.192 Diese Beobachtung wurde auch in
Berlin gemacht, wo es bei Spielen mit ausländischer Beteiligung häufiger zu
187
Interview Herr Spahn
Interview POR Piastowski
189
Interview POR Piastowski
190
Interviews PD Grzella und Herr Rojek
191
Interview Herr Spahn
192
ebd.
188
57
Spielabbrüchen kam.193 Die Aussagen sollen nicht den Eindruck vermitteln, dass
es grundsätzlich bei Beteiligung von ausländischen Vereinen oder durch Spieler
anderer Ethnien beim Fußball zu Problemen kommt. Das wäre eine nicht gewollte
und unzulässige Schlussfolgerung, aber dass sie vielfach beteiligt sind, zeigen
medienwirksam ausgeschlachtete Beispiele wie Gewalttätigkeiten bei einem
Mülheimer Hallenturnier im letzten Winter194 oder durch Ausschreitungen
bedingte Spielabsagen im Fußballkreis Siegen-Wittgenstein, wo die ansässigen
Vereine gegen eine Mannschaft albanischer Herkunft nicht mehr angetreten sind,
die
Spiele
extra
verloren
gegeben
haben,
weil
es
zuvor
häufig
Auseinandersetzungen gegeben hat.195 Es wäre im Rahmen der Masterarbeit zu
viel über Gründe und Ursachen zu sprechen, zumal es nicht Gegenstand der
Masterarbeit sein soll, sicher ist aber zu sagen, dass gegnerische Spieler auch
nicht selten die ausländische Mentalität nutzen, um zu provozieren.
Die Gewalt in unteren Ligen wird auch vielfach durch die mangelnde
Infrastruktur
in
und
rund
um
die
Stadien
begünstigt.
Fehlende
Fantrennungsmöglichkeiten, unerfahrene oder zu schwach besetzte Ordnerdienste,
wenig Polizei sind hier als Faktoren zu nennen. Und Fakt ist, bieten sich in den
unteren Klassen Gelegenheiten, werden sie häufig genutzt.196 So bedauerlich und
nicht zu entschuldigen eigentlich jeder Einzelfall ist und die Zahlen auch steigend
sind
und
daher
alles
unternommen
werden
muss,
der
Entwicklung
entgegenzuwirken, so verweist Helmut Spahn auch darauf, Fußball nicht isoliert
von der Gesellschaft zu betrachten. Wenn es bei 80.000 Spielen an den
Wochenenden insgesamt und bei fast 600.000 Besuchern nur in den oberen Ligen
zu insgesamt 10-20 Vorfällen kommt, dann sind die zwar auch zu viel, aber im
Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Bereichen sehr gering.197
cb) Ost/West-Gefälle
Eine weitere Auffälligkeit, die in der Literatur, Presse aber auch in der Fanszene
transportiert wird, ist, dass es zum einen in den neuen Bundesländern mehr
Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen gibt und zum anderen die Ost-Fans
193
Interview POR Henning
http://www.rp-online.de/public/article/sport/fussball/518058/Abbruch-nachMassenschlaegerei.html Zugriff am 10.07.2008
195
Blaschke (2007): Im Schatten des Spiels. S.47
196
Interview POR Scharnowski
197
nachträgliche Anmerkungen von Herrn Spahn, zur Leitfrage 2
194
58
extremer oder gewalttätiger auftreten.198 Aufgrund der unterschiedlichen Fanszene
ist eine allgemeingültige Aussage sicherlich schwierig zu treffen. Die Aussagen
von Experten sind diesbezüglich auch nicht einheitlich. Während die ZIS die
Situation so einschätzt, dass man nicht sagen könne, dass die Szene im Osten
grundsätzlich gewalttätiger wäre, als die im Westen,199 räumt der DFB ein, dass
die Zahlen es schon belegen würden, es nur nicht so dramatisch sei, wie in der
Presse dargestellt.200 Am Beispiel Berlin festgemacht, kann nicht gesagt werden,
dass es im Osten der Stadt mehr Gewalt gibt, als im Westen.201
Nach Schätzungen der Polizei jedoch kommen deutlich über die Hälfte der
gewaltbereiten Fans aus den neuen Bundesländern.202
Übereinstimmend lässt sich feststellen, dass gerade besondere Probleme mit
Gewalt bei Spielen mit Ost-Derby vorherrschen, wo die teilweise alten Rivalitäten
aus der DDR-Oberliga am Leben gehalten und ausgelebt werden.
Die Hemmschwelle Gewalt zu überschreiten im Osten der Republik, ist
bemerkenswert, insbesondere auch die Aggression gegen PVB/Ordnungsdienst
vorzugehen. 203
4.2.2 Aussagen zu Ultras und Gewalt
a) Ist-Stand
Einleitend möchte ich zwei Aspekte vorausschicken, die mir im Gesamtkontext
sehr wichtig erscheinen.
Erstens soll durch die Beschreibung der Gewalt im Zusammenhang mit der
Ultrabewegung nicht der Eindruck entstehen, dass nur noch von dieser
Gruppierung Gewalt ausgeht. Es gibt, wenn auch mit stark rückläufigen
Tendenzen den klassischen Hooligan, der nach wie vor im erheblichen Maße
Gewalt verübt, ebenso wie meist alkoholbedingt, der sogenannte Kuttenfan.
Neben Gewalt, durch die so bezeichneten Fansubkulturen, ereignet sich Gewalt
auch häufig situationsbedingt, gerade auch in Abhängigkeit der sportlichen
Geschehnisse. PD Grzella beschreibt es im Interview wie folgt: “Bei einem Spiel
198
exemplarisch hierzu http://www.welt.de/sport/article736342/Zwanziger_entsetzt__Es_ist_beaengstigend.html Zugriff am 20.07.2008
199
Interview POR Piastowski
200
Interview Herr Spahn
201
Interview mit POR Henning
202
Scheer, High Noon im Hinterland in Polizei heute; Heft 1/2008, S. 2
203
Interview Herr Spahn
59
gegen die Schwarz-Gelben vor zwei Jahren habe ich erlebt, das Leute, die
unzweideutig, als A-Fans einzustufen waren, für einige Minuten heftigste C-Fans
waren“. In diesem Zusammenhang soll auch nicht der Eindruck entstehen, als
wenn Gewalt die Fußballspiele bestimmt. Es ist eine Randerscheinung, die die
polizeiliche Arbeit bestimmt, aber
Probleme,
204
95 % der Zuschauer machen keine
was auch das von Herrn Spahn angeführte Verhältnis von der
verschwindend geringen Anzahl von Konflikten bei der riesigen Anzahl von
Fußballspielen an jedem Wochenende verdeutlicht.
Zweitens dürfen in diesem Zusammenhang nicht alle Ultras über einen Kamm
geschoren werden. Der überwiegende Teil der Ultras verhält sich nach wie vor
friedlich. Jedoch lässt sich auch nicht verleugnen, dass mittlerweile bei einzelnen
Ultras bzw. einzelnen Ultragruppierungen eine Gewaltaffinität vorhanden ist.
In der Studie von Pilz konnte festgestellt werden, dass die überwiegende Mehrheit
der Ultras sich zwar gegen Gewalt ausspricht, aber sich nur die wenigsten
dagegen bewusst wehren.205
In der Befragung von Pilz gaben 63,1 % an, dass es in ihren Ultragruppen sowohl
friedliche, als auch gewaltbereite Mitglieder gibt und fast die Hälfte gab
zusätzlich an, dass es in Deutschland Ultraszenen gäbe, die mit der
Hooligankultur überlappen würden.206
Für die zur Gewalt neigenden Ultras hat der Soziologe Pilz den Begriff der
„Hooltras“ geprägt, also einer Mischform von Hooligan und Ultra, die
hooligantypisches Verhalten zeigt, gepaart mit ultraspezifischen Aktionen.207 Der
Begriff wurde zunächst sehr kritisch gesehen. Der überwiegende Teil der Ultras
lehnte ihn ab, da sie mit Gewalt nicht in Verbindung gebracht werden wollten.
Der Begriff Hooltras scheint aber das zurzeit vorherrschende Problem am
exaktesten zu charakterisieren und trifft auch zunehmend auf Zustimmung aus
Reihen der Polizei.208
Bei der Befragung zu der persönlichen Einschätzung sagten zwar nur 1,8 %, dass
sie sich als gewalttätig bezeichnen würden, jedoch stuften sich 45 % tendenziell
204
Interview PD Pusch
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.127
206
ebd. S. 127
207
Pilz(2006): Ultras und Supporter auf
http://www.bpb.de/themen/WPFOXF,,0,Ultras_und_Supporter.html Zugriff am 07.02.2008
208
Interview PD Grzella
205
60
in bestimmten Situationen als gewaltbereit ein.209 Die Frage, die sich dann stellt,
ist, welche Situationen müssen es sein, dass diese Teile der Ultras bereit sind,
Gewalt anzuwenden. Die Ultraszene sieht Gewalt eher als Mittel zum Zweck,
z. B. zur Verteidigung ihres Reviers oder gegen persönliche Angriffe.210 Die
Gewaltbereitschaft wird vielfach als Antwort auf die von Ultras empfundene
steigende Polizeiwillkür und Repression gesehen. Auch wenn man es von
Polizeiseite nicht gerne hört und es auch nicht allgemeingültig stehen gelassen
werden kann, so kann man auch nicht verleugnen, dass polizeiliche Maßnahmen
zumindest teilweise schlecht transportiert und transparent gemacht werden, sodass
auf Fanseite der Eindruck entsteht, dass willkürlich gehandelt wird. Es ist
manchmal selbst aus Polizeisicht nicht einzusehen, warum z. B. die Fans nach
Ankunft am Bahnhof nicht in die Stadt dürfen, um sich zu verpflegen, o.ä..211 Hier
erscheint es wichtig, dass polizeiliche Einsatzmaßnahmen transparent gemacht
werden. Es ist schwierig, in einen Diskurs einzutreten, nach dem Motto was war
eher da, die „Henne oder das Ei“. Es geht vielmehr darum, die hier
gegensätzlichen Auffassungen darzustellen. Vonseiten der Polizei wird das der
Natur der Sache folgend anders gesehen, die polizeilichen Maßnahmen begründen
sich auf dem gewalttätigen Verhalten der Ultras. Die Interviews mit den
Polizeiexperten
haben
durchgängig
ergeben,
dass
die
Ultras
durch
Gewalttätigkeiten auffallen. Als Ausnahme muss hier sicherlich der BFC Dynamo
Berlin genannt werden, der über keine etablierte Ultragruppierung, sondern über
eine klassische Hooliganszene verfügt, die erhebliche Verbindungen zur Rockerund Türsteherszene hat und über enormes Gewaltpotenzial verfügt.212 Die
Übrigen verfügen meist über mehrere unterschiedlich große Gruppierungen, wie
Bremen, u.a. mit „The Wanderes“ „Recaille Verte“, „Infamous Youth“ oder
„Roland’s Erben“.
Das vorhandene Gewaltpotenzial wird als sehr hoch bezeichnet.213 Die
Einsatzleiter in Bochum und Bremen werten die Ultras als ihr derzeit größtes
Problem bzw. als ihre größte Herausforderung.214 Auch in Berlin wird als eine der
vordringlichsten Aufgaben gesehen, die Aufklärung über die Ultraszene zu
209
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball.S.128/129
ebd. S. 129
211
Interview PHK Kommoß
212
Interviews POR Henning und PHK Brabandt
213
Interview PD Grzella
214
Interviews PD Pusch und PD Grzella
210
61
verbessern.215 Die Entwicklung der Szene hin zur Gewalt, die zumindest aus
polizeilicher Sicht schon fortgeschritten scheint, drückt sich auch verstärkt in den
polizeilichen Kategorisierungen aus. Waren vor einigen Jahren die meisten Ultras
aufgrund ihrer Stimmungskultur als Kategorie A-Fans und nur vereinzelt in
Kategorie B-Fans eingestuft worden, so hat sich das Bild verschoben. Die
überwiegende Mehrheit wird heute (noch) in die Kategorie A eingestuft, gerade
aber aufgrund zuletzt vermehrt gezeigter Verhaltensweisen, wie gestiegener
Aggressivität gegenüber Einsatzkräften der Polizei und Mitarbeitern von
Ordnungsdiensten sind Teile der Ultragruppierung ohne Einschränkung in die
Kategorien B und C einzustufen.216 Dies dürfte auch nur folgerichtig sein, da es
hooligantypische Angriffe gegeben hat, die unzweideutig von Ultras ausgegangen
sind.217 Auch in Bremen haben Ultras versucht, trotz Polizeikette die gegnerischen
Ultras zu attackieren. Die Auseinandersetzungen ergeben sich aber auch nicht
mehr ausschließlich aus der Situation heraus, sondern werden zunehmend gezielt
gesucht. So konnte aus Bremen berichtet werden, dass gezielte Verabredungen zu
Auseinandersetzungen zwischen Bremer und Hannoveraner Ultragruppen
wahrgenommen wurden, wobei sogar ein direktes Zusammenwirken zwischen
Bremer Ultra- und Hooligangruppen abgesprochen wurde.218 Analog zur bereits
abgehandelten Gewaltentwicklung ergibt die Studie von Pilz, dass die
Gewaltbereitschaft der Ultras im Osten der Republik höher ist, als die der Ultras
in den alten Bundesländern.219 Der Ausspruch220, “124 sensationsgeile
Journalisten und 14 Kamerateams waren bei diesem Event anwesend und hofften
auf bürgerkriegsähnliche Zustände in und um das Stadion“ eines Mitglied des
Leipziger Ultragruppe „Blue Side“ anlässlich des Stadtderbys 2007, unterstreicht
aber im Kern die Aussage von Herrn Spahn, dass hinsichtlich der Gewalt in den
neuen Bundesländern vielfach auch eine verzerrte Medienarbeit erfolgt. Die
Gewaltanwendung, sei es physisch oder psychisch, hat verschiedene Formen, die
ich nun darstellen werde. Hierbei geht es neben Gewaltphänomenen auch um
Auffälligkeiten, die nicht ohne weiteres unter den Begriff Gewalt zu subsumieren
sind, aber nicht losgelöst davon betrachtet werden sollten.
215
Interview Herr Bartelt
ZIS-Jahresbericht 2006/2007, S. 6
217
Interview PD Grzella
218
Interview PD Pusch
219
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.131-135
220
Blickfang Ultra, Heft 5, Dezember 2007. S.26/27
216
62
b) Gewaltphänomene und sonstige Auffälligkeiten
ba) „Alkoholbedingte“ Straftaten
Alkoholbedingte Straftaten sind kein typisches Ultraphänomen, sondern eines, das
mit vielen Fußballzuschauern unterschiedlichster Zugehörigkeit in Verbindung zu
bringen ist. Es handelt sich hier um Becherwürfe, Beleidigungen und Formen von
Vandalismus, die häufig im Zusammenhang erhöhten Alkoholkonsums begangen
werden. Hinsichtlich der Ultras ist festzuhalten, dass sie im Vergleich zu
Hooligans
sehr
Alkoholkonsum
häufig
auf
alkoholisiert
Auswärtsfahrten
auftreten.
gehört
Gerade
schon
zu
der
immense
den
üblichen
Verhaltensweisen der Ultras.221
Nicht ausschließlich im Zusammenhang mit Alkohol sind Sachbeschädigungs-,
Raub- und Diebstahldelikte zu sehen. Es wird berichtet, dass gerade wenn die
Polizei nicht präsent ist, vermehrt Läden aufgesucht und Alkoholika oder andere
Sachen gestohlen werden.222 Aufgrund dieser gezeigten Verhaltensweisen, die
sich auch häufig bei Auswärtsfahrten auf Raststätten zeigen, lehnen es
Busunternehmer vielfach ab, noch Ultrareisegruppen zu transportieren.223
Vereinzelt werden auch Geschäfte entglast.224
In diesem Zusammenhang muss auch das Gruppenverhalten beleuchtet werden.
Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Ultras geschlossen auftreten. Entweder als
eigene
Gruppe
oder
je
nach
Anlass
auch
gemeinsam
mit
anderen
Ultragruppierungen, sofern keine Dissonanzen vorhanden sind. So konnte z. B.
für Bremen beobachtet werden, dass man etwa ab einer Größe von 50 aktiv
wird.225 Darüber hinaus fällt auf, dass sie zuletzt häufig in Kleingruppen- oder
Guerillataktik226 vorgehen. Gerade wenn sie sich zu Aktionen verabredet haben,
entfernen sie sich in Gruppen von 5-6 Personen vom Stadion weg. Dies ist auch
eine Reaktion auf das polizeiliche Vorgehen, bei dem die Gruppen geschlossen
begleitet wurden. Die Ultras wollen sich so Freiräume verschaffen. Es erleichtert
die polizeiliche Arbeit nicht unbedingt, erschwert sie aber auch nicht, da sie dann
nicht als kompakte Einheit auftreten.227
221
Vereinsbeschreibung VfL Bochum, Punkt 7.10
Interview PD Pusch
223
Vereinsbeschreibung VfL Bochum, Punkt 10
224
Interviews PD Pusch und POR Piastowski
225
Interview PD Pusch
226
Interview Herr Bartelt
227
Interview PD Grzella
222
63
bb) „Fantypische“ Straftaten und Auffälligkeiten
Unter diese Bezeichnung fasse ich die Dinge, die eindeutig Straftaten und Gewalt
darstellen,
aber
durch
die
Ultra
verharmlost
werden,
da
sie
diese
Verhaltensweisen als Teil des Ultraseins verstehen.
Hierunter ist zum einen der sogenannte Fahnen- und Schalklau zu fassen.
Besonderes
Ziel
der
Ultragruppierungen,
insbesondere
bei
erklärten
Feindschaften, ist es, an Symbole des „Gegners“ zu kommen. Höchstes Gut ist
hierbei die Zaunfahne einer Ultragruppe. Sie symbolisiert die Gruppe, wird
gepflegt und geschützt wie ein Heiligtum. Wird dieses Symbol von gegnerischen
Ultras entwendet, kommt es einer enormen Blamage und Erniedrigung gleich.228
Es kann dazu führen, orientiert an den italienischen Vorbildern, dass eine
Ultragruppierung sich auflöst, wenn ihr die Fahne verloren geht. Dies ist zuletzt in
Deutschland auch passiert. Eine Ultravereinigung aus Mönchengladbach hat sich
aufgelöst, nachdem ihr Kölner Ultras die Fahne entwendet hatten.229 Bei einer
aktuellen Umfrage im Online Magazin Stadionwelt sprachen sich fast 40 % der
Befragten dafür aus, dass eine Gruppe sich auflösen solle, wenn ihnen die
Heimspielzaunfahne entwendet würde.230 Nachdem dies zwar häufig versucht
wird, aber in der Regel seltener klappt, werden vielfach Schals einzelner
Ultramitglieder gestohlen bzw. geraubt. Diese Schals werden dann häufig wie
eine Trophäe umgekehrt im Fanblock aufgehängt, um die gegnerischen Ultras zu
provozieren und zu demütigen. Bei den Schal- und gerade bei FahnenklauAktionen kommt es nicht selten zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen
den Fans.
Zum anderen sind hier die Graffitis (Abbildung 6) und das Anbringen von
Aufklebern zu nennen. Hiermit wollen die Ultras ihre Stärke vor den gegnerischen
Ultras bekunden, wenn es ihnen unerkannt gelingt, die fremde Stadt mit den
Symbolen und Schriftzügen des Gegners zu übersähen. Ein Beispiel hierzu ist,
dass vor dem Spiel Bochum-Dortmund in der vorletzten Saison alle erdenkbaren
Flächen im Innenstadt- und Stadionbereich mit sogenannten „Spukies“ der BVBUltras beklebt wurden. Das bedeutet nicht zuletzt für die Kommune einen
immensen
Reinigungsaufwand
und
provoziert
gerade
am
Spieltag
228
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball.S.126
„Auflösung leicht gemacht“ unter http://www.fuenfzehndreissig.de/?p=355, Zugriff am
10.07.2008
230
http://stadionwelt.de/neu/sw_fans, Zugriff am 30.06.2008 (Auszug liegt Verfasser vor)
229
64
Ausschreitungen. Gerade die Delikte der Sachbeschädigung werden häufig von
den Ultras bagatellisiert.231
Hierunter ist auch die Gewaltanwendung zwischen den Ultragruppierungen zu
fassen,
die
wie
oben
bereits
unter
a)
beschrieben,
hooligantypische
Erscheinungsformen annimmt.
bc) Abbrennen von Pyrotechnik
Neben dem Support durch Singen und Transparente ist die Verwendung von
pyrotechnischen Gegenständen sicher das Herzstück der Ultras. In der letzten
Umfrage des Online Magazines Stadionwelt, die nach den Vorfällen beim Spiel
Frankfurt-Nürnberg durchgeführt wurde, sprachen sich ca. 90 % der Befragten für
Pyrotechnik im Stadion aus. Nur ca 4 % waren dagegen, weil es gefährlich sei.232
Vielfach wird, da die Bengalos schwierig abzubrennen sind, ohne dass man
identifiziert wird, auf Rauchpulver umgestiegen. Es ist besonders zu beobachten,
dass gerade in eigenen Stadien das Zünden von Pyrotechnik merklich
nachgelassen hat. Grund ist sicherlich das aufs Zünden folgende Stadionverbot.
Trotzdem: Gänzlich verzichtet wird auf das Abbrennen nicht.233 Vielfach wird der
Schutz unter einer Fahne gesucht oder man vermummt sich, um der
Identifizierung durch die Videoanlagen im Stadion zu entgehen.
bd) Vermummung/Schwarze Blöcke/Bannermärsche
Die Ultragruppierungen haben einen einheitlichen Dresscode: Meist sportliche
Freizeitkleidung, die dunkel bis schwarz orientiert ist. Viele Polizeibehörden von
Fußballstandorten, gerade in NRW, haben im Vorfeld zu einer Fachbesprechung
am 28.01.2008 in Neuss auf dieses Phänomen aufmerksam gemacht. Durch
Tragen von Sonnenbrillen, Schals, die bei Aktionen bis über die Nase gezogen
werden sowie dem Tragen von Kappen oder Kapuzen wird versucht, sich einer
Identifizierung durch die Sicherheitskräfte zu entziehen.234 Hier ist auch eine
231
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.124
http://stadionwelt.de/neu/sw_fans , Zugriff am 30.06.2008(Auszug liegt Verfasser vor)
233
Vereinsbeschreibung VfL Bochum, Punkt 8
234
aus den Berichten der Behörden zur Vorbereitung auf die Fachbesprechung des LZPD NRW
mit den NRW-Fußballstandorten vom 28.01.2008 in Neuss (liegen Verfasser vor)
232
65
Abgrenzung zu Hooligans, wie denen vom BFC – Dynamo zu erkennen, die sich
nicht vermummen.235
Durch das Auftreten in der Gruppe (Abbildung 7), geschlossen an bestimmten
Orten bzw. durch das Marschieren in der Gruppe entsteht der Eindruck eines
schwarzen Blockes, wie man ihn sonst aus „Links-Rechts-Demonstrationen“
kennt. Obwohl nicht großartig politisiert, sind aufgrund einer Eventkultur
vereinzelt, wie in Bremen, Überschneidungen zwischen der Antifa-Szene und der
Ultraszene zu beobachten.236 Auch in Leverkusen wird beobachtet, dass sich
zurzeit ein Schwarzer Block von etwa 15-20 Personen bildet.237 Dieses Phänomen
wird auch durch die oftmals veranstalteten Bannermärsche unterstützt. Meist von
den Ultragruppen organisiert, treffen sich Ultras und andere Fans des Vereins an
einem zentralen Treffpunkt, um meist geschlossen zum Stadion zu gehen, wobei
die Zahnfaune der Ultras meist vorne voran und über die Seiten gehend getragen
wird.
Häufig
reagiert
die
gegnerische
Fanszene
ebenfalls
mit
einem
Bannermarsch. Beeindruckenste Beispiele waren sicherlich die Bannermärsche
2007 und 2008 jeweils in Dortmund, anlässlich des Derbys BVB-S04. Nach
ersten Bewertungen, die auch durch die Deutsche Hochschule der Polizei
vorgenommen wurden, handelt es sich bei diesen Bannermärschen nicht um
Demonstrationen
im
Sinne
des
Versammlungsgesetzes.238
Auch
durch
Einsatzleiter, wie PD Grzella, wird dies so bewertet, da im Kern keine Aussage
getroffen wird.239
be) Freipressen
In der jüngeren Vergangenheit und aktuell kann bei den Ultras eine
Verhaltensweise beobachtet werden, die sich als Freipressen von Festgenommen
bezeichnen lässt. Größere Ultragruppierungen, insbesondere natürlich von
Auswärts-Ultras weigern sich die Heimreise in vorgesehenen Zügen und Bussen
anzutreten, wenn Mitglieder von ihnen sich noch im Polizeigewahrsam befinden.
Dieses Phänomen konnte zurückliegend u.a. in Dortmund und Gelsenkirchen
beobachtet werden240 und wurde in den Interviews, wenn auch teilweise in
235
Interview POR Henning
Interview PD Pusch
237
Interview PHK Kommoß
238
Bewertung liegt der DHPol, Fachbereich Einsatzlehre vor
239
Interview PD Grzella
240
aus den Berichten der Behörden zur Vorbereitung auf die Fachbesprechung des LZPD NRW
mit den NRW-Fußballstandorten vom 28.01.2008 in Neuss (liegen Verfasser vor)
236
66
abgeschwächter Form auch durch die Standorte Bochum, Bremen und Leverkusen
bestätigt. 241
Hier gerät die Polizei ab und zu in eine Dilemma-Situation, da der polizeiliche
Einsatz zum großen Teil beendet ist, wenn die auswärtigen Fans das Stadtgebiet
verlassen haben. Durch das Verweigern der Abfahrt verbleiben die Fans im
Stadtgebiet und der Einsatz muss fortgesetzt werden. In einigen Fällen wurde bei
Entlassungen der Eindruck erweckt, dass man dem Druck der Ultras nachgeben
hätte. Dies wurde durch die Interviews so nicht bestätigt.242 Es wurde deutlich
gemacht, dass man sehr wohl prüft, da man an entsprechende gesetzliche
Regelungen gebunden sei, ob der Grund der Ingewahrsamnahme entfallen sei.
Dies ist in der Regel der Fall, wenn das Spiel beendet ist und die Fans die
Heimreise
antreten.
Aus
diesen
Gründen
werden
vielfach
die
Ingewahrsamgenommenen vor der Abfahrt von Sonderzügen, etc. entlassen.
Anders sei es bei Personen, die im Zusammenhang mit erheblichen Straftaten
festgenommen würden. Hier erfolge eine ordnungsgemäße Bearbeitung und erst
danach würden die Personen entlassen. Um dem Eindruck auch bei den
Einsatzkräften entgegenzuwirken, ist es daher wichtig, Gründe auch nach innen zu
kommunizieren und transparent zu machen.243
bf) Gewalt gegen Polizeibeamte/Mitarbeiter von Ordnungsdiensten
Wie schon erwähnt ist das Feindbild Nr. 1 der Ultras die Polizei bzw. die
Sicherheitsinstanzen überhaupt, wozu auch die Ordnerkräfte zu zählen sind. Nicht
nur die schon beschriebenen spektakulären Vorfälle in Bochum und Bielefeld sind
in diesem Zusammenhang zu nennen. Insgesamt kann festgestellt werden, dass die
Hemmschwelle auch gezielt Polizeibeamte und Ordner anzugehen, sinkt. Es muss
aber auch festgestellt werden, dass Polizeibeamte, von einigen Vorfällen vielleicht
abgesehen, von Ultras noch nicht gezielt als Gegner gesucht werden, sondern eher
bei günstiger Gelegenheit zu Gegnern werden.244 Eine günstige Gelegenheit bietet
sich meist, wenn die Polizeipräsenz nicht sonderlich groß ist, keine Fans eines
anderen Vereins als Gegner vorhanden sind oder bei Polizeiaktionen in den
Blöcken. Gerade hier erfährt die Szene eine hohe Solidarisierung durch die
241
Interviews PD Grzella, PD Pusch und PHK Kommoß
Interviews POR Piastowski, PD Grzella, PD Pusch
243
Interview POR Piastowski
244
Interview POR Piastowski
242
67
eigenen Leute und andere Zuschauer, die sich mit den Ideen der Ultras
solidarisiert haben. Hier entstehen für einschreitende PVB in der letzten Zeit
erhebliche Probleme, wenn sie einen identifizierten Straftäter oder ein Banner mit
verbotenen Inhalten aus dem Block holen oder holen lassen wollen. Es kommt
vor, dass die Beamten oder Ordner getreten, geschlagen, bespuckt und beleidigt
werden. Da die Videotechnik eine Identifizierung in vielen Fällen ermöglicht und
somit eine beweiserhebliche Strafverfolgung gewährleistet ist, sehen die meisten
Einsatzleiter aus Deeskalations- und Eigensicherungsgründen von einem
sofortigen Einschreiten im Block ab.245
PD Grzella vertritt in diesem Zusammenhang die Einschätzung, dass Ultras nicht
gezielt losfahren, um etwas zu machen, sondern das aufgrund der Struktur das
latente Restrisiko hoch bleibt. Es sei den Fans selbst irgendwie aus dem Ruder
gelaufen.246
bh) Ausübung von Druck auf Vereine/Spieler
Die Ultras sind vereinsfixiert und haben, wie schon dargelegt, großes Interesse an
vereinspolitischen Dingen. Sie unterstützen auf der einen Seite leidenschaftlich
ihren Verein und deren Spieler, auf der anderen Seite hinterfragen sie die
Handlungen und Leistungen jedoch sehr kritisch und positionieren sich
zunehmender bei Vereinsentscheidungen bzw. fordern ein Mitspracherecht. Bei
den Forderungen geht es meist um Rücknahmen von Stadionverboten, Zuweisung
von bestimmten Plätzen im Stadion oder Kartenkontingente. Die Rostocker
Ultragruppe "Subtras", der vom Rostocker Vorstand die Legitimation aberkannt
wurde, wollte den Vorstand insoweit zum Einlenken bringen, indem man ihm
angedroht hat, in fremden Stadien Krawalle anzuzetteln, die Strafen durch den
DFB nach sich ziehen würden. Dies hat man auch in die Tat umgesetzt, verfehlte
aber das Ziel, da der DFB die Situation richtig eingeschätzt und von größeren
Bestrafungen des Vereins abgesehen hat.247 In Dresden wurden die Spieler bei
einem Training massiv durch die Fans bedroht und angegangen, weil ihrer
Meinung nach die Leistung zu schlecht war.248 Hier muss aber angeführt werden,
dass größtenteils auch Hooligans beteiligt waren. Bei RW Essen kam es ebenfalls
245
Interviews PD Grzella und PD Pusch
Interview PD Grzella
247
Interview Herr Spahn
248
http://www.stern.de/sport-motor/fussball/:Dynamo-Dresden-Hooligans-Spieler/583416.html
246
68
schon zu einer Trainingsstörung.249 Beim HSV nahmen die Gruppierungen
Einfluss auf die Jahreshauptversammlung und erwirkten, dass die Presse nicht
zugelassen wurde.250 Die Frankfurt Ultras drohten in einem Positionspapier u.a.
den
Boykott
der
Stimmung
im
Stadion
an.251
Trotz
der
genannten
Negativbeispiele und dem grundsätzlichen Bestreben auf Einflussnahme steht das
Ausmaß noch in keinem Verhältnis zu den im Kapitel 3 beschriebenen
italienischen Auswüchsen. Im Rahmen der Interviews konnten mit Ausnahme
vom BFC, wo die Einflussnahme aber eindeutig von der Hooligangruppierung
ausgeht und vereinsimmanent zu sein scheint, keine Erkenntnisse gewonnen
werden, die auf konkreten Druck schließen ließen.
bg) Sonstige Phänomene
Abschließend will ich im Zusammenhang mit der Ultraszene noch zwei Punkte
abhandeln, die sich nicht unbedingt der Gewalt zuordnen lassen, jedoch auffällig
und auch ultratypisch sind.
Zum einen fällt auf, wie früher bei den Hooligans auch, dass sehr viele Ultras, die
mit Stadionverboten belegt sind, mit ihren Gruppierungen zum Auswärtsspiel
fahren.252 Sie leben die Ultrakultur und möchten bei ihrer Gruppe sein. An den
Spielorten begeben sie sich dann meist allein oder in Kleingruppen in Gaststätten,
die im Stadionnah- oder Innenstadtbereich liegen, um sich das Spiel im TV
anzusehen. Dies führt meist nicht direkt zu Problemen mit den Ultras, kann aber
Auswirkungen auf die polizeiliche Einsatzlage haben, da es auch in den
Gaststätten oder auf den Zugangswegen zu Auseinandersetzungen kommen kann.
Der zweite Punkt ist mit einem Wort schwierig zu umschreiben und betrifft die
Punkte Mediendarstellung und Rechtsbeistand. Nicht zuletzt aufgrund des
teilweise nicht niedrigen Bildungsniveaus der Ultras ist zu beobachten, dass sie
sich gut mit den Medien auskennen und sie geschickt für ihre Interessen
einsetzen. Sie nutzen die Medien häufig, um sich gerade auch nach polizeilichen
Maßnahmen oder im Zuge der Stadienverbote als Opfer darzustellen.253 Gerade
249
aus den Berichten der Behörden zur Vorbereitung auf die Fachbesprechung des LZPD NRW
mit den NRW-Fußballstandorten vom 28.01.2008 in Neuss (liegen Verfasser vor)
250
http://www.zeit.de/online/2006/50/RUND-hsv Zugriff 07.07.2008
251
ZIS-Jahresbericht 2006/2007, S. 6/7
252
aus den Berichten der Behörden zur Vorbereitung auf die Fachbesprechung des LZPD NRW
mit den NRW-Fußballstandorten vom 28.01.2008 in Neuss (liegt Verfasser vor)
253
Interview POR Piastowski
69
bei Auftreten als Gruppe ist in der letzten Zeit mehrfach beobachtet worden, dass
bei polizeilichen Einsatzmaßnahmen, wie man es sonst nur von gewalttätigen
Demonstrationen kennt, direkt Rechtsanwälte mitgeführt werden oder vor Ort
sind.254 Die Rechtsanwälte versuchen Druck auf die Einsatzkräfte auszuüben,
indem rechtliche Zulässigkeiten getroffener oder zu treffender Maßnahmen in
Frage gestellt werden.
4.2.3 Ultras und die Nationalmannschaft
Abschließend will ich das Thema Gewalt noch aus einer anderen Perspektive
beleuchten, was fast eine Art Exkurs darstellen wird.
Ähnlich wie die italienischen Ultras, die vom Grundsatz abweichend aber
zumindest eine Gruppierung „Ultras Italia“ ins Leben gerufen haben, zeigen die
deutschen Ultras Distanz zur Nationalmannschaft.255 Wenn überhaupt reisen sie
als fußballinteressierte Zuschauer in losen Gruppen oder einzeln zu den Spielen
der Nationalmannschaft, jedoch ohne Ultracharakter. Durch die Vereinsfixierung
ist es schier undenkbar, das sich Ultras für die Nationalmannschaft engagieren, da
sie damit auch einen ihrer Feinde, nämlich den DFB unterstützen müssten.256 Eine
entsprechende Ultragruppierung Deutschland existiert nicht und wird es nach
Einschätzung der Experten auch in absehbarer Zeit nicht geben.257 Wie die
Erfahrungen zeigen, spielten die Ultras auch jüngst bei der Europameisterschaft
2008
in
Österreich
und
der
Schweiz
keine
Rolle.
Die
Fans
der
Nationalmannschaft haben mit ihren Choreografien ein Zeichen gesetzt.258 Sie
wurden durch den Fanklub Nationalmannschaft, der mittlerweile über 50.000
Angehörige zählt, organisiert.
Der eigentliche Exkurs dieses Unterkapitels bezieht sich auf die Gewalt im
Zusammenhang mit der Fußball-Europameisterschaft 2008, die erst Ende Juni
beendet wurde. Wie immer vor großen internationalen Turnieren ist gerade nach
den Ausschreitungen 1990 in Italien259 und den Vorfällen in Frankreich 1998, mit
254
ebd.
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.15
256
Interview PHK Gössing
257
Interviews Herr Spahn, Herr Gabriel und PHK Gössing.
258
Interview Herr Spahn
259
siehe hierzu auch die Beschreibung in Bill Buford „Geil auf Gewalt“, S. 303 ff.
255
70
dem schon geschilderten Angriff auf Nivel sowie weiteren Erfahrungen mit
Länderspielen
und
internationalen
Klubwettbewerben,
die
Befürchtung
vorhanden, dass es zu Ausschreitungen kommt. Der Befürchtung vorgreifend sind
unter Federführung der jeweiligen Wohnortbehörden in Deutschland erneut gegen
bekannte Störer sogenannte Vorfeldmaßnahmen getroffen worden.260 Die
Maßnahmen, die zurückliegend in einschlägiger Literatur261 rechtlich beurteilt
und für anwendbar gehalten wurden, gingen von Gefährderansprachen, über
Meldeauflagen bis zu passbeschränkenden Maßnahmen262 und sollten Störer
weites gehend abhalten in die Austragungsorte einzureisen. Neben der
inländischen Polizei waren zudem geschlossene deutsche Einheiten in den
Spielorten, vermehrt in Klagenfurt eingesetzt. Darüber hinaus war die deutsche
Delegation unter der Leitung der ZIS vor Ort. Neben der Delegationsleitung und
den Verbindungsbeamten waren 14 Beamte des „SKB Team Deutschland“ bei der
EM im Einsatz. Den SKB geht es darum ansprechbar und bekannt zu sein, aber
insbesondere auch das Störerpotenzial zu kennen und wenn nötig aus der
Anonymität der Masse herausholen zu können.263
Das Sicherheitsfazit zur EM 2008 fällt insgesamt sehr positiv aus. Die Anzahl der
Ausschreitungen und damit verbundener Festnahmen hielt sich objektiv in
Grenzen und wurde auch nicht, wie in der Vergangenheit, z. B. bei der EM 2000
in Belgien und Holland
264
medial ausgeschlachtet. Kleinere Ausschreitungen soll
es nur bei türkischen Spielen, jedoch aufgrund der internen Kurdenfrage und beim
Spiel Kroatien gegen die Türkei gegeben haben.265
Aus deutscher Sicht war es, abgesehen von den ca. 180-190 Festnahmen am
Vortag und Spieltag des Polen-Spiels, wo aus der Gruppe heraus rechtsradikales
Liedgut gesungen wurde, eine Nulllage. Es wird davon ausgegangen, dass diese
Festnahmen, neben den als erfolgskritisch eingestuften Vorfeldmaßnahmen, eine
Signalwirkung auf die noch in Deutschland befindlichen Problemfans gehabt
haben.266
260
Interview PHK Gössing
siehe u.a. Dr. Krahm(2008):Polizeiliche Maßnahmen zur Eindämmung von Hooligangewalt.
S. 272 ff.
262
Interview PHK Gössing
263
ebd.
264
B.A.F.F.(2004): Chaoten und Wahnsinnige in Ballbesitz ist Diebstahl. S. 175/176
265
Interview PHK Gössing
266
Interviews PHK Gössing und Herr Spahn
261
71
Aus „Fansicht“ wurde der Eindruck bestätigt.
267
Als erfolgskritisch wird hier das
Angebot der Fanbetreuung vor Ort gesehen. Die Fanbetreuung, durch den DFB
und teilweise die UEFA finanziert, sieht bei großen Turnieren die Einrichtung
einer sogenannten mobilen „Fan-Botschaft“ an den Spielorten vor. Das Fahrzeug,
was an zentralen Plätzen aufgestellt wird, gilt als ständige Ansprechstelle für
ratsuchende Fans. Die Betreuung der Fans wurde durch 10 Mitarbeiter
gewährleistet, die von der KOS und örtlichen Fanprojekten gestellt wurden.
Darüber hinaus waren zwei Mitarbeiter für die Aktualisierung der eigens
eingerichteten Homepage und Helpline verantwortlich.
Als Ausblick wurde durch den Sicherheitsbeauftragten des DFB, Herrn Spahn,
den Leiter der KOS Fanprojekte Herr Gabriel und den Leiter des SKB Team
Deutschland übereinstimmend geschätzt, dass die Entwicklung zu weniger oder
keiner Gewalt im Zusammenhang mit Spielen der Nationalmannschaft anhalten
wird.268 Als Gründe wurden hier angeführt, dass die Spiele für Hooligans
zunehmend uninteressanter werden, da die Zuschauerzusammensetzung sich
verstärkt auf Familien ausrichtet. Wesentlich wird aber auch sein, ob es gelingt,
die Fanbetreuung auch weiter und noch verstärkter durchzuführen.269
Im Rahmen von großen Turnieren ist jedoch ein weiterer Faktor verstärkt in den
polizeilichen Fokus geraten, den man schon bei der WM 2006 beobachten konnte
und der sich auch bei der EM 2008 fortgesetzt hat. POR Piastowski machte schon
bei seinem Interview vor der EM 2008 darauf aufmerksam, dass nicht unbedingt
die Gewalttätigkeiten in den Ausrichterstaaten ein Problem darstellen könnten,
sondern vielmehr auch Situationen, die durch und beim Public Viewing sowie bei
Jubelfeiern entstehen können, gerade wenn es zu Spielen von Ländern kommt,
von denen auch viele Mitbürger in Deutschland leben. Es gab während der EM
2008 in Deutschland über 7.700 der Polizei bekannt gewordene Public Viewing
Veranstaltungen, mit insgesamt über 9 Millionen Besuchern. Für die
Einsatzbewältigung wurden bundesweit über 135.000 Polizeibeamte eingesetzt,
die über 3.000 Straftaten verfolgen mussten.270 Neben den Public Viewing
Veranstaltungen kam es nach den Spielen zu zahlreichen Jubelfeiern, verstärkt als
Autokorsos veranstaltet.
267
Interview Herr Gabriel
Interviews Herr Spahn, Herr Gabriel und PHK Gössing
269
Interview Herr Gabriel
270
ZIS- Statistik zur Fußballeuropameisterschaft 2008 (liegen Verfasser vor)
268
72
Insgesamt muss festgestellt werden, dass die Events das polizeiliche
Einsatzgeschehen stark bestimmen, wie es die Zahlen verdeutlichen. Trotz der
ausgelassenen Feiern der deutschen und ausländischen Fans und der zahlreichen
Einsatzmaßnahmen liefen die Veranstaltungen insgesamt noch relativ friedlich ab.
Gerade das „Brisanzspiel“ zwischen Deutschland und der Türkei am 25.06.2008
ließ größere Ausschreitungen erwarten. Nicht zuletzt einer besonnenen
Berichterstattung der deutschen und türkischen Medien, es gab u.a. eine
entsprechende Kooperation zwischen der BILD und der Hürriyet271 und
wahrscheinlich dem Spielausgang ist es zu verdanken, dass es zu keinen
nennenswerten Ausschreitungen gekommen ist.
Bei den Autokorsos hat es sich gezeigt, dass mehr oder weniger ein rechtsfreier
Raum entsteht. Aufgrund der Gefahren im Straßenverkehr und der Masse, der die
Polizeikräfte gegenüberstehen, ist ein polizeiliches Einschreiten nur sehr bedingt
und meist unter überhöhtem Risiko möglich.
Die ZIS und ihr Leiter POR Piastowski gehen davon aus, dass vor dem
Hintergrund, dass sich gerade bei diesen Anlässen die Gesellschaft und
insbesondere die Jugend immer stärker zu einer Eventkultur entwickelt, die
Probleme im Zusammenhang mit Public Viewing Veranstaltungen und
Jubelfeiern zunehmen werden. Da sich auch gezeigt hat, dass vermehrt Personen
mit Stadionverboten oder Einträgen in die Datei Gewalttäter Sport bei diesen
Veranstaltungen anzutreffen sind, geht es darum, polizeiliche Konzepte für den
Umgang mit den Veranstaltungen vorzudenken. Neben Konzepten, die auf
Verhinderung
von
Panik
und
Ausschreitungen
bei
Public
Viewing
Veranstaltungen abzielen, geht es zukünftig auch darum, ob man bestimmte
Maßnahmen, die man zurzeit im Zusammenhang mit Fußballspielen trifft, wie
z.B. Bereichsbetretungsverbote für bekannte Gewalttäter, auch auf Public
Viewing Veranstaltungen ausweiten kann. Auch Konzepte für den Umgang mit
Jubelfeiern und Autokorsos sollen angedacht werden. Aktuell bereitet die ZIS
eine Stellungnahme zum Gesamtthema für den UA FEK vor.
271
siehe hierzu http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/806490/ Zugriff am 23.07.2008
73
5. Was wird und was muss in Deutschland getan werden, um
auf die Phänomene zu reagieren?
Im Rahmen der Masterarbeit kann sicherlich nicht die gesamte Bandbreite der
Maßnahmen aufgezeigt werden, die unternommen wurden oder angedacht sind,
um den Gewaltphänomenen im Zusammenhang mit der Ultrabewegung zu
begegnen. Es wird sich daher auf eine Übersichtsdarstellung beschränken müssen.
Hierbei muss Erwähnung finden, dass nicht alle Maßnahmen exakt auf die Ultras,
sondern vielmehr auf das Gewaltphänomen im Zusammenhang mit Fußballspielen
allgemein zugeschnitten wurden.
Bei der Bearbeitung des Themenkomplexes soll es vordergründig darum gehen,
anhand der Erkenntnisse aus den Interviews aufzuzeigen, was zurückliegend
bereits getan wurde und aktuell für erstrebenswert gehalten wird.
Vorausschickend sei gesagt, dass die Interviews gezeigt haben, dass die
Erkenntnisse, die sich durch die Untersuchung von Pilz ergeben haben und durch
ihn in den drei Eckpfeilern der Gewaltprävention (Selbstregulierung, Prävention
und
polizeirechtliche
Maßnahmen)
und
Handlungsempfehlungen niedergelegt wurden,
272
den
daraus
abgeleiteten
noch im Wesentlichen Bestand
haben. Vielfach hat sich auch gezeigt, dass zahlreiche Handlungsempfehlungen
nicht umfassend genug oder noch gar nicht umgesetzt wurden.
5.1 Aus Sicht der Vereine/Fans und Ultras/Fanprojekte
Als wesentliches Ergebnis kann schon jetzt festgestellt werden, dass niemand der
Beteiligten das „Problem“ selbst lösen kann. Es gelingt nur gemeinsam und auch
nur dann, wenn alle Beteiligte sich und ihre Vorgehensweise kritisch hinterfragen
und bereit sind, im Rahmen ihrer Aufträge auf die jeweils andere Seite zuzugehen.
Gelingt ein Zusammenwirken aller Kräfte nicht, wird die Gewalt im
Zusammenhang mit der Ultraszene eskalieren.
Bei den Vereinen ist ein Umdenkungsprozess bereits zu beobachten. Die Zeiten,
in denen der Fan nur noch als Kunde betrachtet wurde, sind zwar nicht vorbei, da
die Entwicklung des Fußballs sich nicht zurückdrehen lässt und wirtschaftliche
Interessen weiter im Vordergrund stehen werden, aber der Fan wird wieder als
272
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.227 ff.
74
solcher mit seinen Bedürfnissen wahrgenommen. Auch wenn für die Masterarbeit
nicht direkt mit Vereinsvorständen gesprochen werden konnte, lässt sich das
Bemühen aus den übrigen Interviews herauslesen. Es ist zu beobachten, dass die
Vereine mit den Ultras in Kommunikation treten. Ein Austausch wird angestrebt
findet teilweise statt und kann auch als gut bezeichnet werden.273 Es muss aber
auch festgestellt werden, dass es nicht durchgängig der Fall ist. So findet in
Leverkusen eigentlich keine Zusammenarbeit statt274 und in Bremen wurde ein
Austausch nahezu eingestellt, nachdem das Verhalten der Ultras durch den Verein
moniert wurde und man einen Ethik-Kodex einführen will, dem die Ultras nicht
beitreten wollen.275
Als positiv muss die Arbeit der Fanbeauftragten bewertet werden. Die im NKSS
geforderten hauptamtlichen Fanbeauftragten sind nach schleppendem Beginn
mittlerweile in allen Standorten der Bundesliga eingesetzt, manchmal gibt es auch
zwei hauptamtliche Fanbeauftragte.276 Der Fanbeauftragte als Sprecher des
Vereins gegenüber seinen Fans277 ist ein wichtiges Bindeglied zwischen dem
Verein und seinen Fans. Wenn sie ihre Aufgabe richtig wahrnehmen und sich mit
den Fans und Ultras austauschen, kennen sie ihre Wünsche und Sorgen und
können sie an die Vorstände transportieren und Änderungen anregen. Umgekehrt
ist es natürlich auch wichtig, dass Sichtweisen des Vereins durch die
Fanbeauftragten in die Fanszene transportiert werden. Sowohl von Herrn Gabriel
als auch von Herrn Rojek wird als Problem die Ansiedlung des Fanbeauftragten in
der Vereinshierarchie gesehen. Sie sind zu weit unten angesiedelt, die Vereine
legen zu wenig Wert auf die Qualität der Fanbeauftragten. Eine direkte
Vorsprachemöglichkeit beim geschäftsführenden Vorstand, wie von Herrn Rojek
am Beispiel Schalke 04 aufgezeigt, müsste für die Fanbeauftragten eigentlich
obligatorisch sein.
Ein anderer Bereich, der im Verantwortungsbereich der Vereine liegt und als
erfolgskritisch anzusehen ist, ist die Qualität der Ordnerdienste, die durch die
Vereine beauftragt sind.278 Hier sollte es gelingen, ein einheitliches Vorgehen zu
erreichen. Entsprechende Rahmenvorgaben existieren im Bereich des NKSS und
273
Interview PD Grzella, PD Richter, u.a., POR Henning und Herr Rojek
telefonische Notiz zum Interview PHK Kommoß
275
Interview PD Pusch.
276
Interview Herr Gabriel
277
Interview Herr Rojek
278
Interview Herr Gabriel
274
75
der Richtlinie über die Sicherheit bei Bundesspielen. Jedoch gibt es Beispiele in
denen Ordner eingesetzt werden, die selbst als Gewalttäter in Erscheinung
getreten sind.279 Auch wird vielfach die unterschiedliche Behandlung von Heimund Auswärtsfans beklagt. Das Beispiel St. Pauli, wo den Gästefans dieselben
Rechte wie den Heimfans, was die Mitnahme von Supportmaterial anbelangt,
eingeräumt werden,280 erscheint ein sinnvoller Weg. Auch der Weg der Schaffung
von „Fan-Kodexen“, wie in Bremen angestrebt,281 sollte fortgesetzt werden, um
das Verhältnis zwischen Verein und seinen Fans auf eine transparente und
glaubwürdige Basis zu stellen. Es sollte aber auf jeden Fall gemeinsam entwickelt
werden, da sonst keine Akzeptanz entsteht, was vielleicht zurzeit in Bremen
geschieht, wenn die Ultras der Vereinbarung nicht beitreten. Bei der gemeinsamen
Erarbeitung muss natürlich klar sein, dass alle Seiten, soweit möglich,
kompromissbereit sind.
In diesem Bereich fällt auch die Verantwortung der Fanklubs, -organisationen,
-abteilungen oder -verbände. Hier handelt es sich um die „organisierte Stimme“
der Fans, die wie einzelne Ultragruppierungen selbstverständlich Gehör beim
Verein finden müssen. Hier ist auch als sehr positives Beispiel Schalke 04 zu
nennen,
die
dem
Vorsitzenden
des
Fanklubdachverbandes
einen
stimmberechtigten Sitz im Aufsichtsrat einräumen.282 Die Fanklubs und ihre
Dachverbände
können
neben
Anti-Gewalt-Aktionen,
wie
in
Schalke
zurückliegend mit „Spieler und Fans gegen Gewalt“283 auch auf die Fans
einwirken, gewalttätiges Verhalten im Stadion und auf Reisewegen zu
unterlassen. Sie müssen verstärkt in eine Diskussion mit den Ultragruppierungen
eintreten, um notfalls sich auch deutlich von möglichem Fehlverhalten der Ultras
zu distanzieren. Falsche Solidarisierungen führen höchstens in eine Sackgasse.
Bei
den
Ultras
selbst
muss
der
auch
schon
von
Pilz
geforderte
Selbstregulierungsprozess einsetzen.284 Es geht insbesondere darum, Feindbilder
abzubauen, sich von Gewalt zu distanzieren und gewalttätige Teile in den
Gruppen zu isolieren. Sie müssen erkennen, dass sie nie eine Chance haben
279
Interviews POR Henning und Herr Gabriel
Interview Herr Spahn
281
Interview PD Pusch
282
siehe http://www.schalke04.de/vereinsorgane.html , Zugriff am 12.07.2008 bzw. Interview
Herr Rojek
283
Interview Herr Rojek
284
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.227-230
280
76
werden, wenn sie sich gegen die Polizei wenden.285 Sie sollen ihre Fankultur
ausleben, sich aber im Rahmen der Gesetze bewegen. Rechtsfreie Räume dürfen
Ultras nicht für sich reklamieren. Als Beitrag zur Abkehr von Gewalt können
sicherlich die Distanzierungsbekundungen der Bochumer und Nürnberger Ultras
nach den Vorfällen in Bielefeld und Frankfurt gewertet werden.286
Eine wichtige Funktion gerade in diesem Selbstregulierungsprozess und der
Abkehr von Gewalt kommt den Fanprojekten zu. Wie sagte es zusammenfassend
PD Grzella „ohne Fanarbeit wären wir arm“.
Nahezu übereinstimmend wurde der Fanprojektarbeit zur Verhinderung von
Gewaltphänomen eine Schlüsselfunktion zugeordnet.
Die Fanprojekte wurden 1992/1993 mit dem NKSS ins Leben gerufen, nachdem
bereits 1981 in Bremen das erste Fanprojekt gegründet wurde. Nachdem es bei
der Gründung 12 Fanprojekte gab, die gemäß der Drittelfinanzierung vom DFB,
der Kommune und den Vereinen finanziert werden, sind es aktuell 39, die durch
die Koordinationsstelle Fanprojekte e.V. als Dachorganisation unterstützt, beraten
und begleitet werden.287 Zurzeit stehen noch ca 5 Fanprojekte kurz vor ihrer
Gründung. Der BFC Dynamo soll zudem ein Sonderprojekt erhalten. Man kann
sicherlich
Herrn
Gabriel
zustimmen,
wenn
er
die
Entwicklung
als
Erfolgsgeschichte bezeichnet. Die strukturellen Bedingungen in den einzelnen
Fanprojekten sind, was die personelle und materielle Ausstattung anbetrifft, in den
Standorten
unterschiedlich,
sicher
auch
nicht
überall
optimal
und
vorschriftsgemäß, aber im Vergleich zur Gründungszeit zufriedenstellend.288
Nachdem auch jüngst das Bundesland Sachsen in die Projektfinanzierung
eingestiegen ist und überhaupt seit Anfang Januar aktiv Zeichen gegen Gewalt im
Fußball setzt, ist es nur noch Baden-Württemberg, welches sich nicht finanziell
beteiligt.289
Neben der ständigen Ansprechbarkeit der Mitarbeiter von Fanprojekten und Hilfe
bei fast allen Lebensproblemen von Fans, stehen pädagogische Inhalte auf der
285
Interview Herr Gabriel
siehe hierzu http://www.ub99.org/ + http://www.ultras.ws/nuerberger-fans-in-frankfurt-t4385s192.html Zugriffe am 22.07.2008
287
Interview Herr Gabriel; zusätzlich: Übersicht über bestehende Fanprojekte unter
http://www.kos-fanprojekte.info/
288
Interview Herr Gabriel
289
Sachstandbericht der KOS 2007, S. 6
286
77
Agenda, die den Weg für die Jugendlichen in die Gesellschaft bereiten sollen. Ein
Ziel neben dem Auftrag stellt natürlich auch die Verhinderung von Gewalt dar.
Auch wenn die Angebote der einzelnen Fanprojekte variieren, gehören die
Begleitung der Fans zu den Spielen, Klubabende, sozialpräventive Gruppenreisen
sowie freizeit- und kulturpädagogische Aktivitäten, wie Kicker, Internet,
Fotowettbewerbe, wöchentliche Sportprojekte und spezielle U16 Reisen oder
Stammtische zum Repertoire von Fanprojekten. 290
Den Fanprojekten kommt gerade bei Ultras eine besondere Bedeutung zu, sind es
doch fast die Einzigen, mit denen eine regelmäßige Kommunikation und somit ein
Austausch stattfindet. Sie können die Wünsche und Anregungen der Ultras somit
zu anderen Beteiligten transportieren und eben auf die Gruppe einwirken und auf
Gewaltverhinderung
hinwirken.
Die
Ultras
stellen
aber
auch
eine
Herausforderung dar, weil aufgrund der Gruppengrößen die Bedeutung der
einzelfallbezogenen
Sozialarbeit
deutlich
zurückgegangen
ist.
Der
Organisationsaufwand wird immer größer. Aufgrund des meist vorhandenen
Bildungsniveaus bietet sich aber die Chance auf Bildungsinitiativen in Richtung
der Ultras. Ein Bereich, der zukünftig verstärkt durch die Fanprojekte
aufgenommen werden sollte.291
Was auf jeden Fall vermieden werden sollte, ist ein Ablehnen der
Zusammenarbeit mit der Polizei, wie sie aus Berlin vonseiten der Polizei
wahrgenommen wird, wo Mitarbeiter der Fanprojekte, aus Befürchtung als
„Verräter“ zu gelten, es sogar ablehnen, den eingesetzten Szenebeamten die Hand
zu schütteln.292 Hier ist die Kommunikation äußerst wichtig, die helfen soll, wie
in den meisten Standorten auch praktiziert, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit
zu gestalten.
5.2 Aus Sicht der Verbände
Das Verbandssystem in Deutschland ist föderal ausgerichtet. Neben dem
Dachverband DFB gibt es 26 regionale Landesverbände, wie z. B. den
Westdeutschen
Fußball-
und
Leichtathletikverband
(WFLV)
oder
den
Nordostdeutschen Fußballverband (NOFV). Die regionalen Landesverbände
290
Beschreibung des FP Energie Cottbus, KOS Sachstandbericht 2007, S. 13
Interview Herr Gabriel
292
Interview Herr Bartelt
291
78
erlassen für ihren Zuständigkeitsbereich eigene Sicherheitsrichtlinien, die sich
natürlich an den Rahmenvorgaben des DFB orientieren.293
Neben dem DFB gibt es dann noch die für den Spielbetrieb der ersten beiden
Ligen zuständige Deutsche Fußball Liga (DFL).
In der Folge wird es im Wesentlichen um die Maßnahmen gehen, die vom DFB
bzw. in Kooperation mit der DFL durchgeführt wurden bzw. angedacht sind.
Obwohl der DFB sich intensiv mit der Entwicklung der Ultrabewegung und auch
den damit zusammenhängenden Sicherheitsaspekten beschäftigt, fokussieren sich
die Maßnahmen und Rahmenvorgaben stets auf die Gewaltphänomene im Fußball
allgemein und sind weniger gruppenspezifisch ausgelegt.
Bevor ich auf konkrete Maßnahmen eingehe, stelle ich zunächst die wichtigsten
Richtlinien bzw. Rahmenvorgaben vor, die die Sicherheit bei Fußballspielen
gewährleisten sollen.
Die einzelnen Richtlinien fußen auf dem NKSS, dessen Ergebnisbericht im
Dezember 1992 verabschiedet wurde und heute noch Gültigkeit besitzt. Anlass für
das NKSS war, dass vor dem Hintergrund der Ausschreitungen im Heysel-Stadion
und den aktuellen Vorfällen bei mehreren Europapokalspielen mit deutscher
Beteiligung, insbesondere nach den Krawallen im Rahmen der Europapokalspiele
Dynamo Dresden gegen Roter Stern Belgrad 1990 die Gefahr bestand, dass
deutsche Mannschaften
an der Teilnahme von internationalen Spielen
ausgeschlossen werden könnten. Die Politik und der Sport wollten gegensteuern
und setzen eine Arbeitsgruppe ein, die das Konzept entwickelte. Das Konzept
umfasste sechs grundlegende Handlungsfelder, die durch ergänzende Richtlinien
und Verordnungen in der Folge und aktualisierend ausgestaltet wurden. Demnach
wurde im NKSS festgeschrieben, dass eine Fanbetreuung im Rahmen von
Sozialarbeit zu erfolgen hat, was die Errichtung von Fanprojekten auf örtlicher
Ebene und die Schaffung der KOS auf überörtlicher Ebene nach sich zog. Das
Konzept schrieb darüber hinaus Stadionordnungen vor, führte die Stadionverbote
ein, traf Regelungen zur einheitlichen Wahrnehmung von Ordnerdiensten, machte
Aussagen zur Stadionsicherheit und sah Regelungen zur Zusammenarbeit aller
Beteiligten vor.294 Mit diesem Mix aus präventiven, repressiven und allgemeinen
293
294
Interview Herr Spahn
NKKS, Ergebnisbericht von Dezember 1992
79
sicherheitspolitischen Gesichtspunkten konnte die Grundlage für eine sinnvolle
Bekämpfung und Verhinderung der Gewalt bei Fußballspielen geschaffen werden.
Die
allgemeinen
Sicherheitsaspekte
wurden
durch
die
„Richtlinie
zur
Verbesserung der Sicherheit bei Bundesspielen“,295 die Stadionverbote durch die
„Richtlinie zur einheitlichen Behandlung von Stadionverboten“296 und die
Fanarbeit durch die „Empfehlung zur Betreuung von Fußballfans“297 konkreter
ausgestaltet. Da das Konzept mit all seinen Anlagen und den daraus abgeleiteten
Richtlinien und Empfehlungen eine eigene Thematik für eine Masterarbeit
darstellen könnte und ich die Fan- und Fanprojektarbeit schon kurz dargestellt
habe, möchte ich hier vor dem Hintergrund der Maßnahmen des Verbandes nur
das Thema Stadionverbote etwas ausführlicher betrachten. Derzeit wird es seitens
der Polizei als probates Mittel gesehen, dass potenzielle Störer von
Fußballveranstaltungen ausgeschlossen werden. Derzeit sind ca. 3200 Personen
mit Stadionverboten belegt.298 Die Fans und insbesondere die Ultras lehnen
Stadionverbote weitgehend ab299 oder wehren sich zumindest gegen die aus ihrer
Sicht willkürlichen Verhängungen bzw. fehlenden Beteiligungsmöglichkeiten.
Nicht zuletzt die Protestaktionen der Ultras gegen den Umgang mit den örtlichen
und überörtlichen Stadionverboten haben zu mehreren Anpassungen geführt. Mit
der jüngsten Anpassung im März 2008 wurden eine niedrigere Höchstdauer und
verbesserte Anhörungsrechte eingeführt. Die Höchstgrenze wurde auf 3 Jahre
reduziert. Die Diskussionen und Statements in Fanforen und von Fanverbänden
zeigen, dass die Ultras zwar immer noch nicht zufrieden sind, da sie das
Instrument weiter grundsätzlich in Frage stellen, jedoch das Signal des Verbandes,
was auch insbesondere durch die Fankongresse zustande kam, als positiv
bewerten.300 Die vielfach von der Polizei geäußerten Bedenken und Einwände,
dass eine Reduzierung der Höchstdauer ein falsches Signal wäre,301 weisen Herr
Gabriel und Herr Spahn in ihren Interviews zurück. Herr Spahn wertet die
295
aktuellste Fassung datiert vom 31. Mai 2007
aktuellste Fassung datiert vom 31. März 2008
297
http://www.dfb.de/uploads/media/betreuung_03.pdf Zugriff am 22.07.2008
298
Aussage POR Piastowski im Anschluss an das Interviews am 29.05.2008
299
Bei einer Umfrage zum Thema Ausweitung der Stadionverbote auf die neuen 4. Ligen im
Online-Magazin Stadionwelt vom 27.05.2008 lehnten fast 57 % Stadionverbote generell ab; siehe
http://www.stadionwelt.de/neu/sw_fans/ Zugriff am 30.06.2008 ( Ausdruck liegt Verfasser vor)
300
http://www.bag-fanprojekte.de/index.php?option=com_content&task=view&id=150&Itemid=2
Zugriff am 15.06.2008
301
Interview POR Piastowski sowie Jahresbericht 2007des Inspekteurs der Bereitschaftspolizeien
der Länder, S. 24
296
80
Anpassungen auch nicht unbedingt als Zugeständnis, sondern stellt auf das
Erfordernis ab, das die Formulierungen klarer zu fassen waren, um einer
willkürlichen Anwendung der Richtlinie Einhalt zu gebieten. Auch die Polizei
sieht die Notwendigkeit, dass bundesweit ein einheitlicher Umgang mit den
Richtlinien anzustreben ist.302
Über das Thema hinaus unternimmt der DFB in enger und regelmäßiger
Abstimmung mit der DFL alles, um mit den Fans und den Ultras in
Kommunikation zu treten und einen Austausch zu gewährleisten. In der jüngeren
Vergangenheit können hierzu neben der Ausrichtung regelmäßiger, mindestens
einmal jährlich stattfindender, Fankongresse und diverser Gesprächszirkel
vordergründig die Einrichtung, der ausschließlich aus Fanvertretern besetzten
„Expertengruppe
Länderspiele“
sowie
die
aus
7-10
Fanvertretern
unterschiedlicher Fangruppierungen besetzte „AG Fandialog“ genannt werden.
Der
DFB/die
DFL
waren
ebenso
daran
beteiligt,
dass
eine
Musterstadionverordnung entwickelt, Fanbeauftragte in jedem Verein installiert
und neue Fanprojekte ins Leben gerufen wurden.303 Wie auch in der Studie von
Pilz gefordert304 wurde mittlerweile bei der DFL auch das Amt des
Fanbeauftragten besetzt, also eine Anlaufstelle für Fans, geschaffen. Mit dem
ehemaligen Leiter, der KOS Fanprojekte, Herrn Thomas Schneider wurde, auch
eine Person für den Posten ausgewählt, der die Fansorgen und- wünsche bestens
kennt. Ein Fanbeauftragter muss beim DFB nicht installiert werden, da das Amt
bei der DFL in Personalunion wahrgenommen wird.305
Nicht zuletzt durch die alleinige Übernahme des Präsidentenamtes durch Herrn
Dr. Theo Zwanziger nach der WM 2006 hat ein Prozess hin zum Fan
stattgefunden, der auf breite Zustimmung trifft. Der DFB-Präsident trifft sich alle
vier Wochen, ohne Beisein von Abteilungsleitern, mit Fanvertretern, um die
Stimmungen aufnehmen zu können.306 Der durch Dr. Zwanziger eingeleitete
Prozess, wonach der Fußball seiner Verantwortung für die Gesellschaft gerecht
werden soll, wird auch durch die KOS als absolut vorbildlich bewertet.307
302
Interview PD Pusch
Interview Herr Spahn
304
Pilz, u.a(2006): Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball. S.234
305
Interview Herr Spahn
306
ebd.
307
Interview Herr Gabriel
303
81
Der Weg zu mehr Sicherheit im Zusammenhang mit Fußballspielen soll
kontinuierlich fortgesetzt werden. Das NKSS wird zurzeit überarbeitet. Bei der
Schaffung 1992 war der Hooligan im Fokus der Betrachtung, der aber seine
Bedeutung eingebüßt hat. Beim neuen NKSS soll die Ultraproblematik in den
Vordergrund rücken. Zu konkreten Änderungen wurde vorab angemerkt, dass die
örtlichen Ausschüsse Sport und Sicherheit zwingend gemacht, die materiellen und
personellen Rahmenbedingungen bei der Fanprojektarbeit angepasst und
Empfehlungen an die Vereine, u.a. die Zusammenarbeit mit der Polizei
betreffend, ausgesprochen werden sollen. Weitere Anpassungen im Bereich
Stadionverbote sind dagegen nicht vorgesehen.308
5.3 Aus Sicht der Polizei
Da die Polizei als Feindbild angesehen wird, ist es natürlich wichtig, wie sie mit
der Situation umgeht. Dabei ist anzuführen, dass die Polizei sich schon 2001
intensiv mit der Ultraproblematik und der Frage auseinandergesetzt hat, ob eine
neue Gewalttäterszene heranwächst, was heute mit Ja beantwortet werden
muss.309
Die Frage ist, wie hat die Polizei auf die Ultraproblematik reagiert und wie wird
sie zukünftig weiterhin darauf reagieren. Hierbei muss sicher zwischen der
praktischen Arbeit der Polizei vor Ort, insbesondere der täglichen Arbeit der SKB
und der Einsatzbewältigung an den Spieltagen sowie den Aufgaben der ZIS
unterschieden werden.
Die taktischen Konzepte an den Spieltagen orientieren sich an den allgemeinen
Grundsätzen der PDV 100 zu Maßnahmen aus besonderen Anlässen bei
Veranstaltungen (Nr 4.1) und ggf. auch bei Ansammlungen (Nr. 4.2) sowie an
diversen speziellen Regelungen, wie u.a den Landesteil NRW zur PDV 100, Teil
E: „Leitlinien für den Einsatz der Polizei bei Sportveranstaltungen, insbesondere
bei Fußballbundesligaspielen“. Einsätze aus Anlass von Fußballspielen sind als
ständig wiederkehrende und vorhersehbare Ereignisse durch Planentscheidungen
308
309
Interview Herr Spahn
Interview POR Piastowski
82
vorzubereiten.310 Die Polizeibehörden fertigen zu Beginn einer Spielzeit einen
Rahmenbefehl und zu jedem Spiel einen gesonderten Einsatzbefehl.
Die
taktischen
Konzepte
sind
grundsätzlich
auf
Verhinderung
von
Gewalttätigkeiten ausgerichtet, sodass es aufgrund der Ultraproblematik nicht zu
grundsätzlichen Änderungen der Einsatzkonzeptionen kommen musste. Die
Einsatz tragenden Abschnitte in einer Besonderen Aufbauorganisation sind
nahezu gleich geblieben, sodass hier nicht näher darauf eingegangen werden
muss. Die Anpassungen, die es gegeben hat, waren zum einen im Wesentlichen
der Situation geschuldet, dass das polizeiliche Gegenüber sich verändert hat.
Waren es zurückliegend meist die Hooligans, die im Fokus polizeilicher
Überlegungen standen, sind es nach deren Rückgang nun die Ultragruppierungen,
auf die sich Polizei fokussiert.311 Zum anderen waren die Anpassungen den
Verhaltensweisen der Ultras geschuldet. Auf die bereits beschriebenen
Phänomene wurde seitens der Polizei reagiert. Wo man früher noch fast
zwangsläufig in den Block ging, um erkannte Straftäter herauszuholen, sieht man
heute weites gehend aufgrund verbesserter Infrastrukturen, aber auch vor dem
Hintergrund, der mit der Solidarisierung verbundenen Gefahr für die körperliche
Unversehrtheit der Einsatzkräfte von einer direkten Festnahme im Block ab.
Weitere Probleme bei der Einsatzbewältigung durch die Ultras haben sich aus
Sicht der Einsatzleiter bzw. der Hundertschaftsführer der Fußballstandorte in
NRW durch die kaum vorhandene Kommunikation, der besonderen Entziehung
der Strafverfolgung durch Vermummung, Nutzen der Banner oder Mitführen von
Wechselkleidung sowie das Ausweichen auf untere Ligen ergeben, wo meist
weniger Personal eingesetzt ist.312 Moniert wurden aber auch polizeiinterne
Schwächen. Hier wurden fehlende einheitliche Maßnahmenkonzepte, teilweise
mangelnde Absprachen sowie eine unterschiedliche Qualität der SKB genannt.313
Letzteres zeigte sich darin, dass Informationen unzureichend weitergegeben
wurden,
diese
teilweise
nicht
gesichert
waren
und
so
zu
einer
Handlungsunsicherheit bei den Einsatzkräften beitrugen.
310
DHPol Studienpapier „Sport und Gewalt“, Stand 12/2007, S. 27
Interview PD Grzella
312
aus den Berichten der Behörden zur Vorbereitung auf die Fachbesprechung des LZPD NRW
mit den NRW-Fußballstandorten vom 28.01.2008 in Neuss (liegen Verfasser vor)
313
ebd.
311
83
Probleme ergeben sich aber vielfach aus der Abschottung bzw. konspirativen
Verhaltensweise der Ultras.314 Trotz nach wie vor qualitativ hochwertiger
Aufklärungsarbeit der SKB sind die Erkenntnisse über die Szene noch nicht so
umfassend, wie zuvor über die Hooliganszenen.315
Weitere Probleme ergeben sich aus der häufig starken Alkoholisierung der Ultras,
deren Unberechenbarkeit316 und der teilweise schlechten Zusammenarbeit mit
Vereinen und Ordnungsdiensten, was zur Folge hat, dass Informationen teilweise
im Vorfeld nicht an die Gästefans weitergegeben werden oder das aufgrund von
Verflechtungen zwischen Ordnerdienst und Ultras Pyrotechnik ins Stadion
gelangen kann.317
Die Maßnahmen und erfolgskritischen Faktoren orientieren sich an den gültigen
Gremienbeschlüssen im Zusammenhang mit Gewalt bei Fußballspielen, wie z. B.
dem IMK-Beschluss vom 25.05.2005 und dem Bericht des UA FEK vom
27.12.2006.318
Bei den in den Interviews genannten Maßnahmen, wie bei den erfolgskritischen
Faktoren
zur
Minimierung
bzw.
Verhinderung
von
Gewaltphänomen,
insbesondere im Zusammenhang mit der Ultraszene, muss man immer
berücksichtigen, dass sie sich an den jeweils spezifischen örtlichen Gegebenheiten
ausgerichtet haben und daher teilweise variieren.
In Bochum hat man u.a. auf eine „lebende Gefährdersprache“ gesetzt. Den Ultras
sollte durch ständige Polizeipräsenz gezeigt werden, dass man sie als Problem
erkannt hat. Einsatzkräfte wurden in Zug- oder Gruppenstärke an die Gruppe
herangebracht (Klettenkräfte).319 Hier zeigte sich ein Phänomen, dass auch
Auswirkungen auf die polizeiliche Einsatzbewältigung hat. Die Ultras reagieren
sehr schnell auf das polizeiliche Vorgehen und ändern ihr Verhalten. In Bochum
zeigte es sich, dass sie dann auf Kleingruppentaktik auswichen, was wiederum
bedeutete, dass mehrere Gruppen aufgenommen werden mussten.
314
Interview Herr Bartelt,
Interview PHK Kommoß
316
Interview POR Henning
317
Interview PHK Brabandt
318
DHPol Studienpapier „Sport und Gewalt“, Stand 12/2007, S. 28/29
319
Interview PD Grzella
315
84
Überhaupt wird auch in Berlin und Bremen auf eine starke Polizeipräsenz
gesetzt,320 nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Erfordernisses der strikten
Fantrennung321 sowie dem Umstand, dass die Ultras oder auch die Hooligans es
sofort für Aktionen ausnutzen, wenn die Polizei personell schwach aufgestellt
ist.322 Vor diesem Hintergrund wird auch die bereits gestiegene und im Kapitel
4.2.1 aufgeführte Einsatzbelastung der Polizei zukünftig zu messen sein. Kein
Einsatzleiter hat in dem Interview die Einschätzung abgegeben, dass sich der
Kräfteansatz zeitnah reduzieren wird, eher von einem erhöhten Kräfteansatz wird
ausgegangen.323 Da aber die Einsatzbelastung der Polizei durch Fußballspiele ein
Höchstmaß erreicht zu haben scheint, da alleine 9 Hundertschaften im
Jahresschnitt nur für Fußballspiele eingesetzt werden,324 möchte die ZIS eine
Reduzierung
erreichen.
Sie
möchte
darauf
hinwirken,
dass
bei
der
Lagebeurteilung nicht die reine Spielpaarung, sondern tatsächlich zu erwartende
Probleme im Vordergrund stehen.325
Als weitere erfolgskritische Faktoren wurden in den Interviews und den Berichten
der NRW-Fußballbehörden im Wesentlichen genannt:
•
Niedrige Einschreitschwelle
•
Konsequentes polizeiliches Handeln
•
Intensive Beweissicherungsmaßnahmen
•
Gefährderansprache
und
Bereichsbetretungsverbote
gegen
erkannte
Rädelsführer
•
Initiierung von Stadionverboten, aber mit dem Schwerpunkt Qualität vor
Quantität
•
Intensivierung der Aufklärung
•
Angebote zur Kommunikation mit den Ultras; Ansprechen der
Rädelsführer
•
Enge Zusammenarbeit mit dem Vereinen
•
Engere Zusammenarbeit mit und Qualifizierung der Ordnerdienste
In Berlin wurden noch die in den Leitlinien für Polizeiführer festgelegten
Regelungen
für
erfolgskritisch
erachtet.
Dort
ist
u.a.
ein
abgestufter
320
Interview PD Pusch, PD Richter, u.a., POR Henning
Interview PHK Grünebohm
322
Interview PD Pusch, POR Henning
323
Interview PD Grzella
324
Interview PO Piastowski
325
ebd.
321
85
Maßnahmenkatalog aufgeführt, welche Schritte unter Verbindungsaufnahme zum
Schiedsrichter
zu
erfolgen
haben,
wenn
Fälle
von
Rassismus,
Fremdenfeindlichkeit und Gewalt auftreten. Als Ultima Ratio ist der Spielabbruch
durch die Polizei vorgesehen.326 Ebenfalls wird das Verbot von Vollbierausschank
in Berlin als erfolgskritisch, insbesondere bei Brisanzspielen angesehen.327
Aufgrund der Erkenntnisse im Zuge der Fachbesprechung der NRWFußballstandortbehörden hat das zuständige LZPD NRW mit Datum vom 12.
März 2008 Leitlinien für den Einsatz aus Anlass von Sportveranstaltungen für
NRW herausgegeben,328 die einige Faktoren der Interviews unterstreicht, jedoch
im Punkt Polizeipräsenz abweichend ist.
Auf die wachsenden Anforderungen durch die Ultragruppierungen schreibt sie
Grundsätze vor, wie u.a. die umfassende Information aller eingesetzten Kräfte,
das Zeigen von Polizeipräsenz nur bei erforderlichen polizeilichen Maßnahmen
und die Vornahme von Ingewahrsamnahmen gegen reisende Fußballfans bei
Vorliegen begründeter Tatsachen für das Begehen von Straftaten.
Die Reduzierung der Polizeipräsenz im Stadion wird auch durch Herrn Spahn als
erfolgskritisch angesehen, da es helfen könnte, das Feindbild bei den Ultras
abzubauen. Hierbei ist aber anzumerken, dass es im Stadion sicher möglich ist,
wie es das Konzept u.a. in Gelsenkirchen vorsieht, wo die Einsatzkräfte sich
während des Spiels weites gehend in gesonderten Bereitstellungsräumen
aufhalten. Im Einsatzraum kann es jedoch zu Problemen führen, wenn Kräfte bei
Störungen möglicherweise nicht schnell genug herangeführt werden können.
Ebenfalls als eine Möglichkeit das Feindbild abzubauen wird in einer ordentlichen
und ehrlichen Kommunikation mit den Ultras gesehen. Wie schon durch viele
Behörden geschehen, sollte den Vereinen anreisender Fans im Vorfeld mitgeteilt
werden, was erlaubt ist und was nicht, damit die Ultras sich vor der Abreise schon
darauf einstellen können und vor Ort nicht von Maßnahmen überrascht werden.
Vielfach wird es schon durch Anschreiben an die Gastvereine oder besonders in
Sicherheitsgesprächen praktiziert.329 Darüber hinaus kommt der Kommunikation
am Spieltag eine große Bedeutung zu. Auch wenn es von Teilen der Polizei noch
326
Leitlinien für Polizeiführer im Zusammenhang mit Heimspielen des BFC Dynamo im
Sportforum Hohenschönhausen, Stand vom 12.Februar 2008 ( liegen Verfasser vor)
327
Interview PD Richter
328
Schreiben der LZPB vom 12.03.2008, Dez. 42, Az. 60.11.26
329
Interviews PD Grzella und POR Scharnowski
86
kritisch gesehen wird,330 können die sogenannten Konfliktmanager, die zurzeit
vor allem in Hannover eingesetzt werden, einen erfolgsversprechenden Weg
bieten.331 Laut Pilz können Konfliktmanager durch Einflussnahme auf die
richtigen Leute die Situation entschärfen, was in 80 Prozent der Fälle zum Erfolg
geführt hat.332
Gerade vor dem Hintergrund transparenten und glaubwürdigen Handelns sind
auch einheitliche Maßnahmenkonzepte diskutiert und größtenteils befürwortet
worden, jedoch lässt sich dieses bei einem föderalen System nicht ohne weiteres
umsetzen und reduziert sich auf empfehlenden Charakter.
Ein weiteres Thema, was zu großen Diskussionen innerhalb der Fan- und
Ultraszene führt und auch bei der Polizei nicht undifferenziert gesehen wird, ist
das Thema „Datei Gewalttäter Sport“, einer seit dem 01.02.1995 bestehenden
Datei im INPOL. In der automatisierten Datenbank werden die Daten solcher
Personen gespeichert, gegen die im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen
wegen
in
einem
Katalog
festgelegten
Straftaten
ein
strafrechtliches
Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, oder die deswegen rechtskräftig verurteilt
worden sind. Darüber hinaus werden auch Daten von Personen gespeichert, gegen
die
von
der
Polizei
Personalienfeststellungen,
Platzverweise
und
Ingewahrsamnahmen angeordnet wurden, wenn bestimmte Tatsachen die
Annahme rechtfertigen, dass sich diese Personen zukünftig im Zusammenhang
mit Sportveranstaltungen an Straftaten von erheblicher Bedeutung beteiligen
werden.333 Derzeit sind bei ca 13.000 Datensätzen, in der Datei ca. 9000
Gewalttäter gespeichert.334
Von den Fans wird häufig der Vorwurf geäußert, dass man möglicherweise erst an
der Grenze von einem Eintrag erfährt und unnötige Wartezeiten und Repressalien
in Kauf nehmen muss. Pikanterweise ist dies jüngst sogar dem Torwart des S04,
Manuel Neuer, widerfahren, als er anlässlich des Besuchs eines Länderspiels
330
Interview PHK Kommoß
Interview Herr Spahn
332
zitiert aus Hofmann, Andre in „Die Herrscher der singenden Masse“ vom 24.04.2008 unter
http://www.sportal.de/sportal/generated/article/fussball/2008/04/24/9360900000.html Zugriff am
23.07.2008
333
http://www1.polizei-nrw.de/lzpd/organisation/zentrale-Informationsstelle-sporteinsaetze
Zugriff am 20.05.2008 ( Auszug liegt Verfasser vor)
334
Aussage POR Piastowski im Anschluss an das Interview am 29.05.2008
331
87
während der EM 2008 am 19.06.2008 die Grenze passieren wollte und dort
aufgrund eines Eintrages für einige Stunden aufgehalten und überprüft wurde. Der
Eintrag wurde durch PHK Kommoß vor etwa 3 Jahren vorgenommen, nachdem
Manuel Neuer noch als Fan von Schalke im Leverkusener Stadion im
Zusammenhang mit dem Abbrennen von Pyrotechnik auffällig geworden war.335
In einzelnen Fällen mag die Kritik gerechtfertigt sein, aber die Polizeisicht hierzu
ist eindeutig. Die Datei wird als positiv und erforderlich erachtet, da sie
Polizeibeamten bei Überprüfungen zeigt, dass sein Gegenüber im Zusammenhang
mit Fußballspielen auffällig geworden ist und hilft Sachverhalte richtig
einzuordnen.336
Abschließend ist festzuhalten, dass auch die Polizei nicht die Meinung vertritt, sie
könnte mit repressiven Maßnahmen die besonderen Herausforderungen, die sich
zu den Ultras ergeben, alleine lösen. Dies geht auch nach übereinstimmender
Ansicht aller Interviewpartner nur im Schulterschluss aller Beteiligten.337
6. Einordnung der Gewaltphänomene in den europäischen
Kontext
Wie schon durch die gegenüberstellende Darstellung der italienischen und
deutschen Ultraszene angeklungen, handelt es sich nicht um ein Problem eines
einzelnen Staates. Das Problem mit Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen
herrscht, mit Ausnahme der skandinavischen Länder, in vielen europäischen
Staaten vor. Neben Deutschland fallen Polen, Tschechien Frankreich, Belgien,
Italien und die Niederlande durch gewalttätige Ausschreitungen auf.338 Erst am
12.07.2008 ist es zu Ausschreitungen am Rande des Fußballfreundschaftsspiels
zwischen Borussia Dortmund und dem FC Basel im schweizerischen Grenchen
gekommen. Neben handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Fangruppen
wurden Rauchfackeln abgebrannt und Feuerwerkskörper auf das Spielfeld
geworfen.339 Das Spiel stand kurz vor dem Abbruch.
335
Interview PHK Kommoß
Interviews PHK Kommoß und PHK Gössing
337
stellvertretend hierfür Interview POR Piastowski
338
Interview POR Piastowski
339
Artikel in der WAZ vom 14.07.2008(liegt Verfasser vor)
336
88
Vor diesem Hintergrund soll dargestellt werden, was in Europa zur Verhinderung
von Gewaltphänomen getan wird.
6.1 Darstellung der europäischen Vorschriftenlage
Nicht zuletzt durch die steigende Zahl von Ausschreitungen im Zusammenhang
mit Fußballspielen haben sich auch die Gremien der europäischen Politik mit dem
Thema befasst, um eine Einheitlichkeit herzustellen. Im Bereich der
internationalen Zusammenarbeit gewinnt die EU-weite Kooperation in Bezug auf
Sportgroßveranstaltungen insbesondere auf die Phänomene „Hooliganismus“ und
„Ultrabewegung“ beim Fußball immer mehr an Bedeutung.340
Hier wäre zunächst die Empfehlung Nr. R(84) 8 des Europarates zur Reduzierung
der Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen zu nennen, die der europäischen
Konvention zur Reduzierung von Gewalt anlässlich von Fußballspielen vom
23.07.1985 vorausgeht.341 In der Folge kam es zu weiteren Resolutionen und
Empfehlungen, beispielhaft seien die Resolution No. 3/1989 sowie die
Empfehlungen von 1989, 1991 und 1993 genannt, die sich zum Teil mit
besonderen Pflichten von Veranstaltern von Fußballspielen befassen.342
Die Aktivitäten der Europäischen Union betreffen die Resolution vom 13. April
1984, in der eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten zur
Bekämpfung des Hooliganismus gefordert wird.343 Neben weiteren Beschlüssen
und Empfehlungen wird mit Entschließung des Europäischen Rates vom 21. Juni
1999 (C 196,13.7.1999) sowie vom 6.Dezember 2001 (C22, 24.1.2002) die
Erstellung
und
Fortführung
eines
Handbuches
für
die
internationale
Zusammenarbeit und Maßnahmen zur Vorbeugung und Bekämpfung von
Gewalttätigkeiten und Störungen im Zusammenhang mit internationaler
Dimension, die zumindest einen Mitgliedsstaat betreffen, beschlossen.344 Mit
Beschluss des Europäischen Rates vom 25. April 2002 über die Sicherheit bei
Fußballspielen von internationaler Bedeutung (2002/348/JI), wurden die
Mitgliedsstaaten
verpflichtet,
nationale
Fußballinformationsstellen
340
Jahresbericht 2007 des Inspekteurs der Bereitschaftspolizeien der Länder, S. 25
Albrecht, Fußball und Gewalt, Entwicklungen, Erklärungsansätze und Prävention in
Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform: Heft 3/2006, S. 160
342
ebd.
343
ebd.
344
ebd. S.161
341
89
einzurichten.345 Jedes Teilnehmerland ist demnach verpflichtet einen sogenannten
National Football Information Point (NFIP) einzurichten, in Deutschland wird
diese Aufgabe von der ZIS wahrgenommen.
Mit Beschluss des Europäischen Rates vom 17. November 2003 über den Erlass
von Zugangsverboten zum Austragungsort von Fußballspielen von internationaler
Bedeutung durch die Mitgliedsstaaten (2003/C 281/01) wurden Regelungen über
Reise- und Stadionverbote bei internationalen Spielen erlassen.346
Das aktuelle EU-Handbuch datiert vom 04. Dezember 2006 (2006/C322/01)347
beinhaltet, neben den in Anlage I aufgeführten und oben beschriebenen
Änderungen
in
der
Kategorisierung
der
Fans,
Regelungen
zum
Informationsmanagement durch die Polizeidienststellen, zur Vorbereitung der
Polizeidienststellen, zur Organisation der Zusammenarbeit zwischen den
Dienststellen, zur Zusammenarbeit zwischen den Polizeidienststellen und den
Ordnern, und zur Rolle der Veranstalter. Es enthält ferner eine Checkliste
„Medienpolitik und Kommunikationsstrategie“ für Polizei/Behörden bei großen
(internationalen) Meisterschaften und Fußballspielen sowie eine Übersicht, der
bereits früher vom Rat der Europäischen Union verabschiedeten Dokumente.348
Für 2008 ist eine weitere Evaluierung des EU-Handbuches vorgesehen.
Die Polizeien der Mitgliedsstaaten und die Vereine und Verbände arbeiten im
europäischen Kontext eng zusammen. Es werden Vorschläge erarbeitet, wie man
mit Gewalt umgeht. Als Gremien wäre hierfür die Arbeitsgruppe polizeiliche
Zusammenarbeit, ein Expertengremium, das u.a. mit Vertretern der NFIP besetzt
ist und die beim Europarat ansässige Ständige Gewaltkommission unter Beteilung
der UEFA und der einzelnen Mitgliedsstaaten zu nennen.349
Die Arbeitsgruppe, in der neben der ZIS auch das BMI vertreten ist, firmiert unter
der Bezeichnung Police Cooperation Working Party (PCWP).350
6.2 Durchgeführte und beabsichtige Maßnahmen der UEFA
Zuallererst müssen in diesem Zusammenhang die Sicherheitsrichtlinien der UEFA
genannt werden. Die sogenannten „Verbindlichen Sicherheitsvorkehrungen“
345
Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 08.05.2002, L 121/1
Amtsblatt der Europäischen Union vom 22.11.2003, C 281/1
347
Amtsblatt der Europäischen Union vom 29.12.2006, C 322/1
348
DHPol Studienpapier „Sport und Gewalt“, Stand 12/2007, S. 25
349
Interview POR Piastowski
350
Jahresbericht 2007 des Inspekteurs der Bereitschaftspolizeien der Länder, S. 25
346
90
datieren aus dem Jahr 2004. Angelehnt an die DFB-Sicherheitsrichtlinien regeln
sie allgemeine Fragen der Sicherheit bei Fußballspielen und behandeln die
Aspekte Plätze für Zuschauer, Eintrittskarten, Maßnahmen im Stadion,
Maßnahmen im Zusammenhang mit den Anhängern und Zusammenarbeit mit
öffentlichen Behörden.351
Die Richtlinien orientieren sich an den DFB-Sicherheitsrichtlinien, da der
ehemalige Generalsekretär Horst R. Schmidt sie mehr oder weniger 1:1 in die
damalige Kommission eingebracht hat. Sie sind aber abstrakter gehalten als die
deutschen Sicherheitsrichtlinien.352
Ein Schwerpunkt neben der Verhinderung von Gewalt im Zusammenhang mit
Fußballspielen ist bei der UEFA die Ächtung jeder Form von Rassismus. Neben
befristeten Projekten, wie zuletzt bei der EM 2008 mit „Vereint gegen
Rassismus“, als u.a. die Spielführer vor dem Halbfinalspiel Deutschland-Türkei
entsprechende Botschaften verlasen, oder der Kampagne „Respekt“353 wurde
durch die UEFA das zeitlich nicht befristete Projekt FARE initiiert, auf das
thematisch hier nicht weiter eingegangen werden kann. Für den Kampf gegen
Rassismus hat die UEFA auch einen 10-Punkte-Aktionsplan für Profifußballklubs
erlassen.354
Bei
der
Bekämpfung
der
Gewalt
setzt
die
UEFA
auch
auf
die
verschuldensunabhängige Haftung der Vereine.355 Bei Ausschreitungen von
Fußballfans werden demnach die Vereine bestraft. Kritisiert wird, dass dies durch
die UEFA meist sehr pauschal passiert und in Sportgerichtsurteilen nicht
berücksichtigt wird, welche Anstrengungen Vereine unternommen haben, um
Gewalt durch Fußballfans zu verhindern, wie es in Deutschland gemacht wird.356
Seit der Übernahme des UEFA-Präsidentenamtes durch Michel Platini am
26.01.2007, versucht dieser mit einer Null-Toleranz-Politik gegen die Gewalt in
und außerhalb der Stadien in Europa vorzugehen. Er versucht das Thema auf
höchste EU-Ebenen zu heben und traf sich am 21.03.2007 zum ersten Mal mit
dem EU-Präsidenten Barroso, um für das Vorhaben der UEFA zu werben und um
Unterstützung zu bitten. Diese Bestrebungen mündeten in einem gemeinsamen
351
Verbindliche Sicherheitsvorkehrungen der UEFA, Ausgabe 2004
Interview Herr Spahn
353
http://de.uefa.com/news/newsid=697747.html Zugriff am 26.05.2008
354
Verbindliche Sicherheitsvorkehrungen der UEFA, Ausgabe 2004, Anlage I
355
Interview Herr Spahn
356
ebd.
352
91
Aktionsplan EU/UEFA gegen Gewalt, der am 28. November 2007 verabschiedet
wurde und u.a. polizeiliche Trainingsprogramme für mit Fußballspielen
beschäftigte Polizeibeamte vorsieht.357 Man versucht, nach best-practisePrinzipien Fortschritte zu erreichen. Mit einer Vielzahl von Workshops und
Seminaren zum Thema Sicherheit versucht die UEFA, gerade die strukturärmeren
Mitgliedsstaaten von der Wichtigkeit der Thematik zu überzeugen.
Michel Platini denkt über die Installierung einer Art von Fußballpolizei nach, um
den Sport besser schützen zu können.358 Erst jüngst hat er der Europäischen Union
in Brest sein „Weißbuch des Sports“ erläutert, durch das Missstände im Fußball
minimiert werden sollen.359 Wichtig ist dabei zu erwähnen, dass auch die Fans an
dem Prozess beteiligt werden. Am 06.Juli 2008 fand im London der erste durch
das Netzwerk FSI, in dem auch die KOS vertreten ist, organisierte europäische
Fankongress statt. Ein auch von der UEFA unterstütztes Ziel soll es sein, eine
europaweite Fanorganisation zu gründen, um die Kommunikation mit dem
Dachverband zu verbessern.360
Auch wenn die UEFA sicher nur begrenzte Möglichkeiten hat, auf politische
Entscheidungen innerhalb der Europäischen Union Einfluss zu nehmen,
erscheinen die Denkanstöße und Initiativen der UEFA und ihres Präsidenten eine
Chance die Gewalt im Fußball weiter zu ächten und so zu minimieren bzw. zu
verhindern, denn wie sagte es der UEFA-Präsident: „Fußball ist ein
wunderschönes Spiel, ein Schatz. Aber wir müssen Sicherheit in unseren Stadien
haben“.361
7. Zusammenfassung
Bei der Zusammenfassung soll es im Wesentlichen um einen Ausblick, eine
Prognose gehen, wie sich die Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen,
insbesondere auf die Ultrabewegung bezogen, entwicklen wird. Die Arbeit hat bei
der gegenüberstellenden Darstellung, meines Erachtens gezeigt, dass die
Ultrabewegung in Deutschland, wenn auch aus Italien übernommen, noch große
357
http://de.uefa.com/uefa/keytopics/kind=2048/newsid=629553.html Zugriff am 15.07.2008
http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/1670354_0_2147_interview-mit-uefa-praesidentenplatini-ich-stehe-fuer-die-werte-des-fussballs-nicht-fuer-das-gescha.html Zugriff am 15.07.2008
359
Artikel in WAZ vom 14.07.2008 (liegt Verfasser vor)
360
http://de.uefa.com/uefa/keytopics/kind=64/newsid=730787.html Zugriff am 15.07.2008
361
http://de.uefa.com/news/newsid=506433.html Zugriff am 26.05.2008
358
92
Unterschiede zur italienischen Ultraszene aufweist, was insbesondere die Größe
der Gruppen, die Politisierung, die wirtschaftlichen Aspekte der einzelnen
Gruppierungen und auch den Druck angeht, den Gruppierungen auf Vereine und
Spieler ausüben. Auch die Gewalt, die insgesamt ausgeübt wird und gerade
gegenüber Polizeibeamten und Sicherheitskräften an den Tag gelegt wird, hat eine
andere Dimension als in Deutschland. Das ist zwar grundsätzlich ermutigend,
jedoch muss man sagen, dass über 10 Jahre nach der Gründung einer
Ultrabewegung in Deutschland die Bilder sich verändert haben. Die anfangs
ausschließlich positive Darstellung der Ultras, die durch ihre Choreografien und
Gesänge dafür gesorgt haben, dass Stimmung und Leidenschaft ins Stadion
zurückkehrten, hat ein zweites Gesicht bekommen, nämlich das der Gewalt. Vor
dem Hintergrund, dass die Ultrabewegung sich eigentlich nach wie vor in den
Kinderschuhen befindet,362 ist es schwierig zu sagen, welche Teile der
Ultrabewegung sich durchsetzen werden. Bei allen Gewaltphänomenen, die in der
Arbeit dargestellt wurden, ist trotzdem festzustellen, dass noch der überwiegende
Teil der Bewegung friedlich ist und lediglich fantypische Absichten verfolgt.
Um
eine
mögliche
Entwicklung
aufzeigen
zu
können,
wurden
die
Interviewpartner zunächst gebeten, eine Prognose abzugeben, wie sich die Gewalt
kurz-/mittel- und langfristig entwickeln wird. Da die Antworten sich häufig mit
den Antworten zu der Frage decken, ob in Deutschland italienische Verhältnisse
denkbar
sind,
werde
ich
bei
der
Darstellung
in
einigen
Bereichen
zusammenfassende Darstellungen machen.
Es zeigte sich, dass trotz mannigfaltiger Erfahrungen das Abgeben einer
gesicherten Prognose schwierig ist, da es einem „Blick in die Glaskugel“
gleichkommt.363 Die Meinungen gehen insgesamt zwar in die gleiche Richtung,
unterscheiden sich aber gerade vor dem Hintergrund lokaler Bewertungen.
Übereinstimmend kann jedoch festgehalten werden, dass keiner der Befragten die
Auffassung vertritt, dass die Gewaltsituation sich entspannen wird. Es wird zwar
die Hoffnung geäußert, dass eine Trendwende einsetzt, aber auch nur, weil man
bereits schon ein Höchststand erreicht hat.364 Grundsätzlich wird eher die Sorge
geäußert, dass sich die Gewalt auf weiterhin hohem Niveau stabilisiert bzw. noch
362
Interview POR Piastowski
Interview PD Grzella
364
ebd.
363
93
ansteigen könnte.365 Es wird erwartet, dass die Ultras immer jünger werden und
die Gruppierungen weiter an Zulauf gewinnen werden.366 PD Pusch erwartet, dass
die Ultras der Polizei weiter Ärger machen werden. Er sieht hier einen
Zusammenhang mit der Unzufriedenheit die vielfach bei den Jugendlichen in
unserer Gesellschaft zu beobachten ist und mit der Entwicklung hin zu einer
Eventgesellschaft zusammenhängt. Der Spaß steht im Vordergrund. Es wird als
das Höchste bezeichnet, wenn man auf der Straße gewonnen hat.367 Sollten keine
gegnerischen Fans da sein, wird man auf Polizeibeamte ausweichen, um Spaß zu
haben.
PD Richter sieht das Problem in der Masse der Ultras, er erwartet einen weiteren
Zulauf und glaubt auch, dass die Masse dann eingesetzt wird, um Druck auf
Vereine, Verbände, aber auch auf die Polizei zu erhöhen. Änderungen in der
Gewaltanwendung bzw. neue Gewaltphänomene, über die bereits bekannten
hinaus, erwartet POR Henning nicht. Er geht von einer weiteren Verschiebung der
Gewalt in untere Ligen aus. Da die Gewalt, gerade in Berlin häufig durch die OstIdeologie geprägt ist, wird durch ihn auch hier keine Verhaltensänderung erwartet.
Auch der Fanbeauftragte und Fanklub-Dachverbandsvorsitzende vom FC Schalke
04 sieht die Gefahr, dass die Gewalt steigen wird, weil mit den Ultras eine neue
Generation erlebnisorientierter Fans heranwächst.
Die Entwicklung wird davon abhängen, wie die Polizei, die Vereine und
Verbände, die Politik und die Medien auf der einen Seite und die Fans und Ultras
auf der anderen Seite mit der Problematik umgehen.
Der Politik kommt hierbei die Verantwortung zu, den Jugendlichen Perspektiven
zu bieten.
Es muss darum gehen, wie es Herr Spahn auch beschreibt, Feindbilder abzubauen
bzw. keine entstehen zu lassen. Für die Polizei ist es nicht einfach, da sie sich aus
dem Prozess nicht zurückziehen kann. Sie muss in einem gewissen Maße präsent
sein, um öffentliche Störungen unterbinden zu können. Jedoch ist ein
deeskalierendes Verhalten bei allen Belastungen, der die Einsatzkräfte ausgesetzt
sind, anzustreben. Provokationen, wie das Anziehen von Quarzhandschuhen zur
„Begrüßung“ müssen unterlassen werden.368 Hier würde die Polizei auch ihre
365
Interviews PD Pusch, POR Henning, Herr Rojek
Interviews PD Pusch, Herr Bartelt
367
Interview PD Pusch
368
Interview POR Piastowski
366
94
professionelle Linie verlassen. Wichtig ist, dass die Beteiligten in einem
kommunikativen Austausch kommen. Auch wenn vielfach, wie in Bremen oder
Bochum, die Angebote ausgeschlagen werden, sollte die Polizei weiter versuchen,
mit den Ultras ins Gespräch zu kommen. Der vom DFB beschrittene Weg, den
Dialog zu suchen und die Verantwortung des Fußballs für die Gesellschaft
herauszustellen, ist sicher gewinnbringend. Wichtig ist ferner, dass die Vereine
den Weg fortsetzen, die Fans und Ultras wieder als solche zu sehen und trotz
wirtschaftlicher Zwänge, auch sensibel mit Fansorgen und -wünschen umgehen.
Insgesamt wird es darauf ankommen, wie es allen Beteiligten gelingt, einen
Schulterschluss hinzubekommen und eine konstruktive Zusammenarbeit zu
erreichen. Hier sind als ein wesentliches Gesprächsgremium sicher die örtlichen
Ausschüsse Sport und Sicherheit zu nennen, wo alle Entscheidungsträger an
einem Tisch sitzen. Daher ist die Entscheidung, diese mit einer Änderung des
NKSS verbindlich festzuschreiben, sicher ein guter Ansatz, der aber dann auch
zwingend mit Leben gefüllt werden muss.
Eine besondere Verantwortung kommt im Gesamtprozess gerade den Medien zu.
Niemand will ihr Recht auf Berichterstattung einschränken, aber mit einer
verherrlichenden Darstellung von Gewalttaten aus der Ultraszene heraus,369 wird
man nicht zu einer Befriedung der Situation beitragen.
Seitens der Fans muss der schon beschriebene Selbstregulierungsprozess
einsetzen, um gewalttätige Ultras von dem überwiegenden Teil der Friedlichen zu
isolieren.
Die genannten Punkte spielen auch eine wesentliche Rolle bei der Beantwortung
der Untersuchungsfragestellung zur Masterarbeit „Sind italienische Verhältnisse
auch in Deutschland denkbar?“
Da die Meinungen der Interviewpartner hierzu weites gehend in eine Richtung
gehen, wird wie oben darauf verzichtet, jedes einzelne Statement wiederzugeben.
Übereinstimmend kann gesagt werden, dass die Interviewten italienische
Verhältnisse zumindest in der Form, wie es durch die beschriebenen Todesfälle
zum Ausdruck gekommen ist, in Deutschland eigentlich nicht für möglich,
teilweise für undenkbar halten. Hierbei wird nicht ausgeschlossen, dass es in
Einzelfällen, wie zurückliegend auch in Deutschland schon passiert, leider auch
369
Interview PD Grzella
95
einmal tödlich enden kann.370 Auswüchse wie in Italien werden die
Gewaltexzesse aber nicht annehmen, wobei PD Grzella deutlich gemacht hat, dass
es 5 vor 12 ist und gerade vor dem Hintergrund der Abschottung und der
Gegenaufklärung, das Verhalten der Ultras schon Dimensionen erreicht hat, die in
Richtung Organisierte Kriminalität gehen. Als Gründe für die Meinung, dass
italienische Verhältnisse in Deutschland nicht bzw. noch nicht denkbar sind, wird
u.a durch Herrn Gabriel das NKSS genannt. Es ist auf Zusammenarbeit und
Kommunikation angelegt und funktioniert, mit Ausnahme der örtlichen
Ausschüsse gut. Als weiterer Punkt wird die intensive Fanarbeit genannt, die in
Deutschland spätestens seit den 90er Jahren praktiziert wird. Das war und ist in
Italien nicht der Fall, wo man laut Herrn Gabriel als einzige Reaktion auf
Fankultur mit Ignoranz und strafverschärfenden Gesetzen reagiert hat. Auch Herr
Rojek schließt Gewalt, auch gegen Polizeibeamte, nicht aus, aber italienische
Verhältnisse hält er aufgrund der Zusammenarbeit für undenkbar.
Als
weitere
Gründe
werden
die
unterschiedlichen
politischen
und
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen371 und verschiedenen Mentalitäten372
genannt.
Der
deutsche
Fußballfan
neigt
grundsätzlich
nicht
so
zur
Radikalisierung, wie der italienische Ultra.
Auch andere Experten haben sich zu dem Thema geäußert. Der Präsident der
DFL, Dr. Rauball, hat nach dem Tod von Sandri gesagt, dass es bei uns nicht
ansatzweise italienische Verhältnisse gibt, da sich die Fankultur positiv entwickelt
hätte und es einen viel stärkeren Dialog zwischen den Vereinen und den Fans
geben würde.373 Auch der Fanforscher Pilz erklärte in einem Interview gegenüber
Sport1.de, auf die Frage, ob er die Befürchtungen teilen würde, dass im deutschen
Fußball italienische Verhältnisse drohen: “Das ist absurdes Geschwätz und ein
Horrorszenario. Italienische Verhältnisse können wir in Deutschland gar nicht
haben, weil der dortige Fußballverband und die Politik jahrzehntelang nur
weggeschaut und die eingeführten Gesetze nur halbherzig kontrolliert haben.“374
370
Interview PD Pusch
Interview Herr Bartelt
372
Interview POR Piastowski
373
siehe FAZ.net
http://193.227.146.1/s/Rub2F5FF18A5D5747FEA1F352B6A0758EE4/Doc~E0FFB9DA7B5134F
FC81E4C28BDC503680~ATpl~Ecommon~Scontent.html Zugriff am 29.04.2008
374
Sport1.de, Interview vom 10.04.2008, (liegt dem Verfasser in ausgedruckter Form vor)
371
96
Nach der intensiven Auseinandersetzung mit der Thematik und den Erkenntnissen
aus den Interviews möchte ich mich den Worten des Autors Ronny Blaschke
anschließen, der angibt „In Deutschland steckt die Ultrabewegung noch in der
Pubertät. Sie sitzt auf einer Mauer. Wo sie hinfällt, ist ungewiss und von äußeren
Faktoren abhängig.“ 375 Wir sind an einem Punkt angekommen, wo die Waage zu
der einen oder anderen Seite ausschlagen kann. Wir dürfen die Ultrabewegung
nicht als Monster verteufeln, aber auch nicht verharmlosen. Man muss sich mit
der Szene, ihren Zielen und Motiven auseinandersetzen. Die Szene und gerade die
kritischen Ultragruppierungen müssen, wie es POR Scharnowski und Herr Spahn
auch sagen, genaustens beobachtet werden. Es muss den Ultras zwar glaubhaft
vermittelt und vorgelebt werden, dass man sie ernst nimmt, es muss ihnen aber
auch klar werden, welche Forderungen an sie gestellt werden. Wichtig ist es, dass
Feindbilder durch transparente Kommunikationsprozesse abgebaut werden.
Wenn es gelingt, den Dialog, da wo er funktioniert, fortzusetzen oder ihn wie in
Bezug auf die Polizei wieder ans Laufen zu bringen, glaube ich, dass wir in
Deutschland auf der besseren Seite der Mauer landen werden, obwohl so oder so
ein gewaltfreier Fußball nur eine Illusion bleiben wird.
375
Blaschke (2007): Im Schatten des Spiels. S. 94
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Internetquellen:
www.bag-fanprojekte.de, www.bundesliga.de, www.cc97.de
www.dfb.de, www.kos-fanprojekte.info, www.fanzine-loewenmut.de,
www.farenet.org, www.forza-roma.de, www.gazetta.it,
http://www.osservatoriosport.interno.it/dati.html, www.schalke04.de,
www.schickeria-muenchen.de, www.spiegel.de, www.sportal.de,
www.stadionwelt.de, www.ub99.org/, www.uefa.com, www.ultras1860.de,
www.ultras-hannover.de, www.ultras-frankfurt.de, www.ultras.ws, www.welt.de,
www.weltfussball.de, http://de.wikipedia.org
weitere Medien:
DSF-Reportage „Tod und Spiele-Italiens Fußball am Abgrund“, ausgestrahlt am
14.01.2008
Dienstliche und sonstige Unterlagen:
Berichte der Behörden zur Vorbereitung auf die Fachbesprechung des LZPD
NRW mit den NRW-Fußballstandorten vom 28.01.2008 in Neuss
(Bezug: Vfg. LZPD NRW, Dez. 42,-60.11.26- vom 17.12.2007)
Bericht Osservatorio Nazionale sulle Manifestazioni Sportive: I dati statistici,
Stagione
2007/2008,
dati
girone
di
andata.
Online
verfügbar
unter
http://www.osservatoriosport.interno.it/allegati/Dati/dati_girone_andata.pdf,
zuletzt geprüft am 26.07.2008
Bericht Osservatorio Nazionale sulle Manifestazioni Sportive: I dati statistici,
Stagione 2007/2008, Punto di Situazione Del 5 Novembre 2007. Online verfügbar
unter
http://www.osservatoriosport.interno.it/allegati/Dati/situazione_5_novembre.pdf,
zuletzt geprüft am 26.07.2008
DFB Richtlinien zur Verbesserung der Sicherheit bei Bundesspielen vom
31. Mai 2007
103
DFB Richtlinien zur einheitlichen Behandlung von Stadionverboten vom
31. März 2008
Empfehlungen des DFB für die Betreuung von Fußballfans
Ergebnisbericht der Arbeitsgruppe Nationales Konzept Sport und Sicherheit,
Dezember 1992
EU-Handbuch, Entschließung des Rates vom 04.12.2006 (Amtsblatt der
europäischen Union, vom 29.12.2006, 2006/C322/01)
EU-Ratsbeschluss über die Sicherheit bei Fußballspielen mit internationaler
Beteiligung vom 25.04.2002 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom
08.05.2002, L 121/1)
EU-Ratsentschliessung über den Erlass von Zugangsverboten vom 17.11.2003
(Amtsblatt der Europäischen Union vom 22.11.2003, C 281/1)
Fan-Projekt 2007, Sachstandsbericht zum Stand der sozialen Arbeit mit
Fußballfans, 1993-2007, Herausgeber: Koordinationsstelle Fan-Projekte bei
der dsj
Jahresbericht Fußball Saison 2006/2007 des LZPD NRW, ZIS (gekürzte
Fassung).
Online
verfügbar
unter
http://www1.polizei-
nrw.de/lzpd/stepone/data/downloads/15/00/00/2006_07jahresbericht-kurz.pdf,
zuletzt geprüft am 26.07.2008
Jahresbericht 2007 des Inspekteurs der Bereitschaftspolizeien der Länder
Lagebericht EURO 2008 Nr. 38 des LZPD NRW, ZIS mit Stand vom
30.06.2008
Leitlinien für den Einsatz der Polizei aus Anlass von Sportveranstaltungen,
Schreiben des LZPD NRW an alle KPB NRW vom 12.03.2008, Dez. 42,
Az. 60.11.26
Leitlinien für Polizeiführer im Zusammenhang mit Heimspielen des BFC
Dynamo im Sportforum Hohenschönhausen, Stand 12. Februar 2008
Stadionordnung „Westfalenstadion Dortmund“, Stand März 2004
Studienpapier: „Sport und Gewalt“, Deutsche Hochschule der Polizei,
Fachbereich II, Lehrgebiet 8, 9. Auflage, Dezember 2007
Verbindliche Sicherheitsvorkehrungen der UEFA, Ausgabe 2004
Vereinsbeschreibung VfL Bochum, LZPD NRW, ZIS 42.2, Stand 7/2008
Zusammenfassung der Verlaufsberichte zu einzelnen Spieltagen (31.-34
Spieltag) der Saison 2007/2008
104
9. Anhang
9.1 Abkürzungsverzeichnis
B.A.F.F
Bündnis aktiver Fußballfans
BAG
Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte
BAO
Besondere Aufbauorganisation
DFB
Deutscher Fußballbund
DFL
Deutsche Fußball-Liga
EU
Europäische Union
FARE
Football against Racism in Europe
FIFA
Federation Internationale de Football Association
FIGC
Federazione Italiana Giuoco Calcio
FSI
Football Supporters Association
IMK
Innenministerkonferenz
INPOL
Informationssystem der Polizei
KOS
Koordinationsstelle Fanprojekte
LZPB
Landesamt für Zentrale polizeiliche Dienste
NKSS
Nationales Konzept Sicherheit und Sport
NOFV
Nordostdeutscher Fußballverband
NRW
Nordrhein-Westfalen
ONsM
Osservatorio Nazionale sulle Manifestazioni Sportive
PCWP
Police Cooperation Working Party
PHK
Polizeihauptkommissar
PI
Polizeiinspektion
PP
Polizeipräsidium
PVB
Polizeivollzugsbeamter/Polizeivollzugsbeamtin
SKB
Szenekundiger Beamter/Szenekundige Beamtin
StB
Stabsbereich
TREVI
Terrorisme, Radicalisme, Extremisme, Violance International
UEFA
Union des Associations Européennes de Football
UA FEK
Unterausschuss Führung, Einsatz und Kriminalitätsbekämpfung
WFLV
Westdeutscher Fußball- und Leichtathletikverband
ZIS
Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze
105
9.2 Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1:
Bild vom Spiel Schalke 04 - Fortuna Düsseldorf am 31.05.1931 in der
Glückaufkampfbahn unter http://www.schalke04.de/mythos_s04.html, Zugriff am
20.07.2008
Abbildung 2:
Beispiel für einen Capo; Vorsänger Simon der Ultras Gelsenkirchen
http://www.bild.de/BILD/sport/fussball/bundesliga/vereine/schalke/2008/04/07/fa
n-vorsaenger/stasi-verhoer.html Zugriff am 22.07.2008
106
Abbildung 3:
Choreografie mit Pyrotechnik der Ultras vom AS Rom
http://www.spiegel.de/fotostrecke/0,5538,PB64SUQ9MjI2MDkmbnI9Mw_3_3,00.html Zugriff am 21.07.2008
Abbildung 4:
Transparent der Lazio Ultras beim Derby gegen AS Rom
http://www.spiegel.de/sport/fussball/0,1518,54731,00.html Zugriff am 22.07.2008
107
Abbildung 5:
Römischer Gruß des Spielers Paolo di Canio
http://www.gazzetta.it/Foto%20Hermes/2005/01-Gennaio/07/dicanio-310x210.jpg, Zugriff am 21.07.2008
Abbildung 6:
Beispiele für Protest- und Demonstrationskultur (aus Blickfang Ultra, Heft Nr. 3,
S. 48/49)
108
Abbildung 7:
Beispiele für Graffitis der Ultras (aus Blickfang Ultra, Heft Nr. 5, S. 44/45)
Abbildung 8:
Beispiel für geschlossenes Auftreten (aus Blickfang Ultra, Heft5, S. 24/25)
109
Masterarbeit
Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen
-
Sind italienische Verhältnisse auch in Deutschland
denkbar?
Band II
Anlagenband zur Masterarbeit
Vorgelegt von:
Jörg Ziegler
Erstgutachter:
Polizeidirektor Michael Kuchenbecker
Zweitgutachter:
Polizeidirektor Michael Müller
Münster, 30. Juli 2008
Inhaltsverzeichnis
1. Interviewzusammenfassungen ............................................2
1.1 Experteninterview 1: POR Piastowski ...................................................... 3
1.2 Experteninterview 2: PD Grzella ............................................................ 13
1.3 Experteninterview 3: Herr Rojek ............................................................ 25
1.4 Experteninterview 4: PD Richter, POR Scharnowski, PHK Grünebohm
und Herr Bartelt............................................................................................. 36
1.5 Experteninterview 5: POR Henning und PHK Brabandt ........................ 49
1.6 Experteninterview 6: PD Pusch............................................................... 59
1.7 Experteninterview 7: PHK Kommoß ...................................................... 69
1.8 Experteninterview 8: Herr Spahn ............................................................ 84
1.9 Experteninterview 9: Herr Gabriel ........................................................ 100
1.10 Experteninterview 10: PHK Gössing .................................................. 115
2. Einverständniserklärungen ..............................................124
2.1 Polizeiintern........................................................................................... 124
2.2 Polizeiextern.......................................................................................... 125
1
1. Interviewzusammenfassungen
Die
Interviews
wurden
durch
den
Verfasser der Masterarbeit
digital
aufgezeichnet. Für die Aufzeichnung wurde die Software „Audiograbber 1.83
Special Edition“ verwendet. Die Aufnahmen liegen dem Verfasser vor. Sämtliche
Interviews wurden durch den Verfasser der Masterarbeit selbstständig
zusammengefasst.
Die
Zusammenfassungen
beinhalten
die
wesentlichen
Aussagen der Interviewpartner, wobei die Aussagen teils wörtlich, teils
sinngemäß zusammengefasst wurden. Auf eine Transkription der Interviews
wurde verzichtet. Je nach Funktion der Interviewpartner wurden unterschiedliche
Leitfäden verwendet. Die jeweiligen Leitfragen sind den Antworten vorangestellt.
2
1.1 Experteninterview 1: POR Piastowski
Datum:
29.05.2008
Länge:
47:21 Minuten
Leitfrage 1:
Die Fußballsaison 2007/2008 ist bereits beendet bzw. steht in den unteren
Ligen unmittelbar vor dem Abschluss. Wie fällt ihr Urteil über die
abgelaufene Spielzeit aus? Beschreiben Sie dabei aus Sicht der ZIS die
derzeitige Gewaltsituation rund um den Fußball in Deutschland und
benennen sie, wenn möglich, aktuelle Beispiele.
Antworten:
Gewalttaten der abgelaufenen Spielzeit sind weiter auf einem relativ hohen
Niveau. Im Verhältnis zu den fast 60 Millionen Zuschauern haben sie sich aber
stabilisiert und pendeln sich bei ca. 4.000 Straftaten ein.
Es gibt nach wie vor Gewalt, die von unterschiedlichen Beteiligten begangen
wird.
a) Klassischer Hooliganismus: Gezielt zu Spielen anreisen, um Gewalttaten
zu begehen.
b) Ultrabewegung: Gewalttaten von Einzelnen (KV; Widerstand, Raub,
Verstoß WaffG (Pyrotechnik).
Die meisten Gewalttaten ereignen sich im Stadionumfeld (Innenstadt; Bahnhof);
weniger im Stadion, da durch die Videografierung dort das Entdeckungsrisiko am
größten ist. Daneben gibt es die sog. Drittortauseinandersetzungen (außerhalb der
Spielorte/-zeiten). Schlägereien auf der grünen Wiese. Das Klientel setzt sich
neben der Fußballszene aus Gruppierungen der Fitness- und Türsteherszene, usw.
zusammen. Hier muss man sich die Frage stellen, ob es sich noch um
Fußballgewalt handelt oder ob die Zugehörigkeit zu einem Verein nur Mittel zum
Zweck ist. Der Fußball nur als Deckmantel benutzt wird; eine neue Form der
Jugendgewalt?
Reisewege: Hier wird man die neue Spielzeit mit der eingleisigen 3. Liga
beobachten müssen; es gibt nun weitere bundesweite Reisewege; Wege von
Zuschauer und Gewalttäter kreuzen sich an den Spielwochenenden häufiger; es
sind leichter Verabredungen möglich.
3
Aufzeigen von Beispielen: Hinweis auf Lageberichte der ZIS von den Spieltagen;
Ausschreitungen in Kaiserslautern, Minden-Lübbecke.
Untere Ligen: Die Aussage, dass sich die Gewalt in untere Ligen verschiebt, ist
so nicht ganz richtig. Bei Vereinen, die nicht über Gewaltpotenzial verfügen, z. B.
Bonner SC lassen sich auch keine Gewalttätigkeiten feststellen.
Probleme gibt es bei Vereinen, die über gewaltbereites Potenzial verfügen, weil
sie mal hochklassig gespielt haben oder Traditionsvereine sind (Wuppertal,
Münster, Dresden, etc.). Es ist ferner festzustellen, dass es zu keinen
Auseinandersetzungen kommt, wenn der Verein keine Hooligans hat, der Gegner
also fehlt. Anders sieht es aus, wenn in den unteren Ligen (Regionalliga, etc.) die
2. Mannschaften der Bundesligisten spielen. Es handelt sich bei den
gewaltbereiten Fans um dieselben wie bei den Bundesligaspielen; das Spiel ist
denen egal.
Ost/West: Man kann nicht sagen, dass es im Osten eine gewalttätigere Szene als
im Westen gibt. Der Osten ist nicht grundsätzlich gewalttätiger; hier fußen die
Rivalitäten meist aus DDR-Oberligazeiten und auch nur bei Spielen, wo DerbyCharakter oder eine traditionelle Rivalität vorhanden ist.
Leitfrage 2a:
Sehen Sie im Zusammenhang mit der seit jetzt ca. 9/10 Jahre andauernden
Ultraproblematik Veränderungen in der Quantität oder Qualität? Würden
Sie bitte aus Sicht der ZIS die besondere Problematik im Umgang mit den
Ultras beschreiben, wenn möglich in Abgrenzung zu Hooligans?
Antworten:
Vorausschickend ist zu sagen, dass die Begriffe Hooligans und Ultras, etc.
unscharf sind und für polizeiliche Maßnahmen eigentlich ungeeignet. Für die
Polizei sind es daher Störer oder Straftäter. Es ist wichtig zu wissen, wer macht
was.
Die Ultrabewegung ist 2000/2001 erstmals in Deutschland aufgetreten; kam aus
Italien und beruhte auf dem Ultra-Manifest.
Es handelt sich im Großen und Ganzen um Personen zwischen 16-23 Jahren, die
zunächst als Ziel hatten, Stimmung in die Kurve zu bringen und zwar mit Shows,
Bannern, Gesängen, etc.. Es wurde zunächst positiv bewertet, weil auch das
4
rechtsradikale Element des italienischen Ultramanifestes nicht übernommen
wurde. Es wurde zunächst als neue lebendige Fankultur angesehen.
Nicht nur spontan, sondern strukturiert, vereinsmäßige organisierte Strukturen
(man zahlte Beiträge, man traf sich unter der Woche, etc.).
Die Polizei hat sich auch 2001 schon mit dem Problem befasst, wollte die Szene
beobachten und hat sich gefragt: „Was kommt auf uns zu; wächst eine neue
Gewalttäterszene heran?“ Heute muss man sagen, ja das ist so!
Es gibt eine Menge Leute da, die gewalttätig sind aus zwei Gründen:
a) Absolutheitsanspruch: alles was sie tun ist gut und richtig. Lassen andere Werte
und Regeln nicht gelten. Hohe Solidarisierung beim polizeilichen Einschreiten
(man
muss
eigentlich
gegen
alle
vorgehen).
Viel
passiert
durch
Einschmuggeln/Abbrennen der Pyrotechnik.
b) Anspruch über die Kurve hinaus, sich in den Verein einzubringen, z. B. in
Vereinsvorstände, wo Interessen der Ultras durchgesetzt werden.
Neben dem klassischen Hool, der nur am Wochenende was gemacht hat, geht es
nun organisiert von statten:
- Bannermärsche vom Bahnhof zum Stadion
- Banner im Stadion (PF, PVB werden namhaft gemacht)
- Demonstrationen für Anstoßzeiten
Über Hooliganismus hinaus entwickelt sich eine Struktur, die sich mit Medien
auskennt, weiß, wie man eigene Interessen bewusst durchsetzt.
Strukturiertes Vorgehen muss grundsätzlich nicht schlecht sein, wenn man aber
gewalttätige Interessen durchsetzen will (wie bspw. in Hamburg, Freiburg); im
Schutz der Bannermärsche versucht rechtsfreie Räume zu schaffen, um
Gewalttaten
zu
begehen,
Schaufenster
zu
entglasen,
Passanten
zu
belästigen/schlagen, kann es nicht richtig sein. Es lässt sich eine Tendenz
feststellen, dass was Abbrennen von Pyrotechnik, was Gewalttätigkeit angeht,
man sich in den meisten Ultraszenen der Gewalttätigkeit annähert. Macht
zunehmend Probleme, was auch die Fanprojekte zugeben. (Hinweis auf
Fankongress). Auch die Fanprojekte, durch die positiven Aspekte überlagert,
haben die Entwicklung, was Gewalt angeht, falsch eingeschätzt. Man wird sehen,
wie es mit der Ultraszene weitergeht.
5
Abgrenzung:
Ultra: organisiert; nimmt grundsätzlich am Vereinsleben teil.
Klassische Hooligans: als Konsument zum Spiel, nicht unbedingt, um das Spiel zu
sehen, sondern eher um sich mit den gegnerischen Fans zu messen; danach ist
man eigentlich nach Hause gefahren. Es war also keine kohärente Gruppe, wie die
Ultras.
Die Ultras zeichnen sich auch durch eigene Symbole aus. (Ultra/Vereinsfahne,
Schals, etc.), wo der Diebstahl des Banners auch die sofortige Auflösung der
Gruppierung nach sich ziehen kann (bspw. Gladbach, Köln). Mit hoher
krimineller Energie wurden Fahnen jüngst entwendet, um sie öffentlich zu
zerreißen o.ä., was natürlich Rachegedanken nach sich zieht. Auch das führt zu
polizeilichen Problemen.
Kategorisierung:
ABC wird durch uns verwendet; vieles hängt von Definition ab, kann
unterschiedlich sein, je nachdem, wie sie jemand versteht.
Die Engländer haben C anders verstanden, als der Rest Europa. Darum ist eine
Einteilung in Risiko-Fans und Nicht-Risiko-Fans insoweit gut, dass man wieder
einen gemeinsamen Sprachgebrauch hinbekommt. Auf die reine Bezeichnung darf
man sich nicht beschränken, sondern wichtig ist, dass man es mit einer Definition
hinterlegt und eine Verhaltensbeschreibung vornimmt, da es für polizeiliche
Einsatzmaßnahmen wichtig ist, zu wissen, ob es sich um einen gewaltbereiten Fan
handelt oder nur um einen der alkoholisiert zu Gewalttätigkeiten neigt.
Leitfrage 2b:
Die Ultrabewegung gründete sich in den 60er Jahren in Italien, wo sie heute
sehr stark ausgeprägt ist. Wo sehen Sie die wesentlichen Unterschiede
zwischen der Ultraszene in Deutschland und Italien?
Antworten:
Wesentlicher Unterschied: Rechtslastigkeit wird im italienischen Manifest
postuliert. Politisierung ist jahrelanger Streitpunkt. Einige wie z. B. St. Pauli, sind
linksorientiert. Ob es sich aber um bewusste Politisierungen handelt oder nur um
Schnittmengen ist vielfach nicht klar. Da muss man sehen, wie es sich entwickelt.
Ansonsten wenige Unterschiede erkennbar.
6
Die Ultrabewegung in Deutschland steckt noch in den Kinderschuhen (erst seit 10
Jahren). Es herrschen auch andere Rahmenbedingungen vor. (Hinweis auf eine
Seminarteilnahme). Die Vorstellungen, die in Deutschland durch das
NKSS
vorherrschen, wo Beteiligte zusammenwirken, ist in Italien nicht so weit
verbreitet; kein funktionierender Ordnungsdienst; Ultras finden in Italien andere
Bedingungen zum Thema Sicherheit im Stadion vor als in Deutschland.
Nationalcharakter; anderes Temperament; BRD nicht südländisch.
Ob es sich zu einem eigenständigen Weg entwickelt, muss abgewartet werden.
Leitfrage 3:
Als wesentliches Problem wird in der Literatur und in Aussagen von
polizeilichen Einsatzleitern immer genannt, das die Polizei das Feindbild Nr.
1 der Ultras ist und eine Kommunikation kaum möglich ist, was das
polizeiliche Einwirken auf die Ultraszene schwierig bis unmöglich macht.
Würden Sie dieser Behauptung zustimmen? Gehen die polizeilichen
Konzepte ausreichend auf die genannten, teilweise neuen Gewaltphänomene
ein? Wo sehen Sie erfolgskritische Faktoren, um Gewaltphänomene zu
minimieren?
Antworten:
Polizei/Verein/Verband (DFB) sind aus Sicht der Ultras die Feindbilder.
Hängt
mit
Vorstellung
zusammen,
die
einzigen
wahren
Fans
zu
sein/Absolutheitsanspruch.
Dies deckt sich häufig nicht mit dem Wertekonstrukt der Gesellschaft, was auch
die Polizei umsetzen muss.
Alles hat hinter den Interessen der Ultras zurückzustehen, wenn sie Widerstand
dagegen spüren, gehen sie massiv dagegen vor, was auch die Kommunikation
schwierig macht.
Kommunikation muss Sinn/Ziel haben, kann nicht immer gleichberechtigt sein.
Polizei kann Wertesystem nicht aufgeben, regeln können nicht zur Disposition
gestellt werden, was Ultras nicht akzeptieren wollen und die Kommunikation
schnell am Ende ist.
Ultras wollen Grundvoraussetzungen nicht akzeptieren; andere Sicht/Zwänge will
man nicht sehen.
7
Man muss an die Entscheidungsträger heran (Capo, etc.); Entwicklung hängt
vielfach auch mit den Erfahrungen zusammen, die sie mit der Polizei gewonnen
haben. Die Polizei ist örtlich strukturiert: Bahnpolizei/ örtliche Polizei
Unterschiede in der Einsatzwahrnehmung werden als Willkür / Wortbruch
wahrgenommen.
Daher ist es für die Polizei eine Aufgabe, bundesweite Standards zu schaffen. Es
muss eine Verlässlichkeit polizeilicher Maßnahmen hergestellt werden (auch aus
Gesamtzuschauersicht).
Konzepte:
Teilweise erinnern Erscheinungsformen an Rechts/Links-Demos der 80/90 Jahre.
Bannermärsche; Bekleidung (Kapuzenpullover, etc.) erinnert an schwarze Blöcke.
Sie kennen sich mit Medien aus. Leute bezeichnen sich als Opfer von
Polizeiwillkür. Rechtsanwälte vor Ort: Klientel wird vor Ort akquiriert.
Sind sie auf dem Weg zu einer strukturierten Vorgehensweise / Politisierung?
Kann man noch nicht sagen, würde Fußball schädigen.
Die Konzepte müssen dann darauf angepasst werden; im Umfeld mit RS arbeiten
reicht nicht, wenn sie geschlossen vom Bhf. zum Stadion gehen.
Erfolgskritische Faktoren:
Zusammenwirken aller Beteiligten: Schulterschluss Aller ist erforderlich.
Nachfolgegeneration: Problem minimiert sich nicht (Hools weniger, dafür Ultras
gewalttätig). Ultras nutzen Öffentlichkeit, ihre Strukturen und Vereinsstrukturen,
um ihre Interessen durchzusetzen. Vereine müssen sensibilisiert werden; auch
Fanprojekte. Die Polizei ist gut vorbereitet.
Kürzung der Stadionverbotszeiten sieht Polizei als falsches Signal; basiert auf
Druck der Faninitiativen, dem auch die Ultras angehören.
Zeigt denen, dass sie auf dem richtigen Weg sind.
Fußball als Spielwiese für Gewalttäter, wie früher; kann nicht Ziel der Vereine
und Verbände sein.
Nachfrage zum Freipressen:
Freipressen kann nicht sein, man darf dem Druck nicht weichen. Liegt im
Problem der Sache, nämlich wie versteht es der Betroffene. Polizei ist an
8
gesetzliche Regelungen gebunden; wenn Grund weggefallen ist, ist der Betroffene
zu entlassen. Es mag das Sieggefühl bei den Ultras aufkommen, polizeiliche
Maßnahmen müssen daher besser kommuniziert werden (Entlasszeiten).
Leitfrage 4:
Wie
sieht
Ihre
Prognose
hinsichtlich
der
Entwicklungen
von
Gewaltphänomen insgesamt und besonders im Zusammenhang mit der
Ultraszene kurz-/mittel-/langfristig aus?
Antworten:
Auf hohem Niveau stabilisiert.
Phänomen Gewaltdelikte: 53 % jedes Jahr (KV; Raub, etc.) steht im Vordergrund,
nicht Mitführen von Waffen, etc.
Gewalt gegen PVB:Gezielte Gewalt gegen PVB hat es gegeben; aber keine
Signifikanz feststellbar. Der Anteil bleibt über die Jahre gleich. Es lässt sich keine
Tendenz feststellen, dass PVB gezielt als Gegner gesucht werden, eher bei
günstiger Gelegenheit. Ist aber auch vom Verhalten der PVB abhängig.
Handschuhe im Sommer oder Wiedersehensgrüße provozieren unnötig.
Die Einsatzkräfte müssen daher hinsichtlich der Wirkung ihres Verhaltens
beschult werden.
Insgesamt hängt Gewaltentwicklung davon ab, wie es uns im Schulterschluss aller
Beteiligten gelingt, sich dem Problem zu nähern.
Jahrestagung im Januar: Gespräche mit Fanprojekten: Wie kommt man zu einer
Kommunikation, Verbindlichkeit, bundeseinheitliche Standards des polizeilichen
Einsatzes (neu beleben)
Einsatzbelastung:
Wie kann man zwischen Dichtung und Wahrheit unterscheiden (Goethe).
Behörde möchte sicherstellen, dass der Einsatz gelingt, wenn Spiele anstehen.
Die Aufgabe der ZIS ist es, ein Gleichgewicht herzustellen zwischen einer
vernünftigen Lagebeurteilung und einem angemessenen Kräfteeinsatz.
Die Einsatzbelastung soll reduziert werden. 9 Hundertschaften, nur für Fußball im
Jahresschnitt eingesetzt (am meisten NRW), sind eindeutig zu viel.
Nicht die Spielpaarung (Vereinsname), sondern die Frage, ob Probleme zu
erwarten sind, muss im Vordergrund stehen.
9
Leitfrage 5:
In Italien ist die Gewalt im Fußball teilweise eskaliert. Es kam u.a.
zurückliegend zu den Todesfällen des Polizeibeamten Filipo Raciti, des Fans
Gabrielle Sandri und jüngst zu einem Todesfall eines Fans im Zuge eines
Busunfalls auf einer Auswärtsfahrt. Die Tragweite des Einflusses der
Ultraszene in Italien hat eine Dimension erreicht, die von einigen Autoren in
den Bereich der organisierten Kriminalität gerückt wird. Bitte führen Sie
aus, ob Sie italienische Verhältnisse in Deutschland für denkbar halten?
Antworten:
Die Mentalitäten sind unterschiedlich. Aber:
Wenn man sieht, welcher Einfluss auf Vereine ausgeübt wird, welche Strukturen
bestehen und es sich um eine „Art lernende Organisation“ handelt, muss man
sagen, dass wir mit einem erheblichen Zeitverzug auf dem Weg dorthin sind.
Gerade weil es, anders als bei den Hooligans Strukturen gibt, sich am
Vereinsleben zu beteiligen.
Es muss nicht schlecht sein, kann aber dazu führen, wenn wesentliche Positionen
im Verein mit eigenem Klientel besetzt werden, die sich den Idealen auch
verpflichtet fühlen, dass man sich in die Richtung bewegt, in die die Ultras wollen
und dass man sich dann auch schützend vor Gewalttäter stellt.
Wir hoffen, dass es uns durch die Bestimmungen des NKSS und der guten
Zusammenarbeit seit 1992 gelingt, mit den Vereinen und dem DFB bewusst
dagegen zu steuern und Entwicklung zu verhindern.
Leitfrage 6:
Die ZIS ist gleichzeitig auch der National Football Information Point (NFIP)
Deutschlands.
Der Präsident der UEFA, Michel Platini, hat die Sicherheit und den Kampf
gegen Gewalt und Rassismus zum zentralen Thema der UEFA erklärt. Wie
würden Sie vor dem Hintergrund Ihrer Informationen aus anderen
europäischen Ländern und von der UEFA das Gewaltphänomen in den
europäischen Kontext einordnen?
Antworten:
Aussage von Platini ist nicht nur auf Zustimmung gestoßen. UEFA ist ähnlich wie
der DFB ein Dachverband. Polizei freut es, wenn Verbände sich dem Thema
10
Sicherheit annehmen. Sie haben vielfach auch wesentliche Karten hierbei, z. B.
beim
Ordnerdienst
oder
Ticketverkauf.
(Personalisierung
von
Karten,
Schwarzmarktverkauf). Wenn es kein Lippenbekenntnis bleibt, freut es uns, weil
wir für Zusammenarbeit zur Verfügung stehen.
Gewalt in Europa: Viele Staaten verfügen über das Hooligan-Problem, daher sind
auch NFIP in allen EU-Ländern eingerichtet worden. Eine Ausnahme sind sicher
die skandinavischen Länder, wo kaum Gewalt herrscht.
Gewalttätige Auseinandersetzungen lassen sich in Mittel/Osteuropa, Tschechien,
Polen, Frankreich, NL, Italien, Belgien feststellen. Gewalttätigkeiten im Fußball
stellen ein europäisches Problem dar. Das Problem wird durch internationale
Spiele auch mehr und mehr exportiert.
Polizei, Vereine und Verbände arbeiten auch im europäischen Kontext zusammen.
Sie erarbeiten Vorschläge, wie mit Gewalt umzugehen ist. Die Zusammenarbeit
erfolgt in:
a)
Der
Arbeitsgruppe
polizeiliche
Zusammenarbeit
(u.a.
NIFP):
ein
Expertengremium
b) Dem Europarat: ständige Gewaltkommission unter Beteiligung der UEFA und
der einzelnen Mitgliedsstaaten
Welchen Platz Deutschlands beim Thema Gewalt im Zusammenhang mit
Fußballspielen innerhalb von Europa einnimmt, kann nicht bestimmt werden.
Es gibt keine entsprechenden Vergleiche. Sie wären auch nicht möglich, da
einzelne Taten das Bild verzerren würden. Nach dem Vorfall um Nivel wäre
Deutschland sicher ganz oben im Ranking gewesen, obwohl die Anzahl von Taten
vielleicht geringer war, als in anderen Staaten..
Fakt ist, es gibt das Problem, und wir versuchen, eigentlich im europäischen
Vergleich durch best-practise voneinander zu lernen.
11
Leitfrage 7:
Bei Spielen der deutschen Nationalmannschaft, gerade im Ausland fallen,
zwar weniger die Ultras, aber eher deutsche „Hooligans“ immer wieder
negativ durch gewalttätige Aktionen auf. Wie sind Ihre diesbezüglichen
Erwartungen kurz vor der Europameisterschaft in Österreich und der
Schweiz?
Antworten:
Prognosen sind schwierig: Wir haben seit geraumer Zeit mit der Infogewinnung
begonnen.
Das
Maßnahmenpaket
(Gefährderansprachen,
Meldeauflagen,
Passmaßnahmen) greift. Erste Rückmeldungen deuten auf eine Verunsicherung
der deutschen Szene hin. Es herrscht Unsicherheit darüber, ob man ausreisen darf.
Inwieweit es damit gelingt, gewalttätiges Klientel aus der Schweiz/Österreich
fernzuhalten, bleibt abzuwarten. Gegner für Gewalttäter sind mit Polen und
Kroatien zu erwarten.
Hinsichtlich Österreich haben wir beim Freundschaftsspiel gute Erfahrungen
gemacht. Die Infosteuerung und der -austausch werden erfolgen. Es gilt das
Motto: „Stets das Beste hoffen und das Schlimmste annehmen“. Von unserer Seite
aus werden wir alles unternehmen, um Gewalt zu verhindern. Wir entsenden eine
Delegation und Einsatzkräfte.
Darüber hinaus ist die heimische Situation besorgniserregend.
Es leben in Deutschland viele Menschen, deren Herkunftsländer auch bei der
Europameisterschaft beteiligt sind, z. B. Türken und Kroaten. Bei Jubelfeiern und
Autokorsos könnte sich daher, ähnlich der Ereignisse rund um die WM 2002, ein
Gewaltproblem abzeichnen.
12
1.2 Experteninterview 2: PD Grzella
Datum:
03.06.2008
Länge:
59:07 Minuten
Themenkomplex 1: Beschreibung der Ist-Situation
Leitfrage 1:
Die
Fußballsaison
2007/2008
ist
bereits
beendet.
In
Ihren
Zuständigkeitsbereich fallen die Spiele sowohl der Bundesligamannschaft, als
auch der Oberligamannschaft des VFL Bochum. Wie fällt ihr Urteil über die
abgelaufene Spielzeit aus? Beschreiben Sie dabei aus Ihrer Wahrnehmung
heraus die derzeitige Gewaltsituation rund um den Fußball in Bochum und
wenn es ihnen aus der Funktion heraus möglich ist, auch darüber hinaus.
Antworten:
Oberliga:
Sehr unauffällig. Wenige Spiele mit Brisanz, Ausnahmen, Spiele, wo es
traditionell Animositäten gibt, wie z. B. Preußen Münster. Die meisten Spiele
wurden nicht im Rahmen einer BAO abgearbeitet, sondern durch den normalen
Dienstbetrieb geregelt und durch DGL bzw. in 2-3 Fällen durch den Wachleiter
geführt und durch Einsatz von SKB begleitet. Das Interesse der Bochumfans
fokussiert sich nur auf die 1. Mannschaft. Mag sein, dass sich das in der
kommenden Regionalligasaison bei Spielen gegen Münster und Essen ändert.
Die ruhige Bilanz schließt nicht aus, dass es mal Ausrutscher gibt. Eine Gruppe
von Fans, sei es Ultras oder andere auch am Rand solcher Spiele oder
Freundschaftsspiele auftreten.
Manchmal vereinbart der Verein aus sportlichen Gründen Spiele, wie z. B. gegen
RWE und denkt, dass zu Nachmittagszeiten o.ä. nichts passiert.
Anderes Beispiel ist ein A-Jugend-Spiel in Wattenscheid gegen BVB, wo sich
eine versprengte Anzahl von Schalker Ultras zeigte. Gottseidank konnten durch
eine parallele BAO im Rahmen einer Demo mittel bis schwere Probleme
verhindert werden.
13
Bundesliga:
Nach meiner hier 2. kompletten Saison habe ich immer gesagt, „eigentlich ist hier
wenig los, aber dafür, dass hier wenig los, ist eine Menge passiert“. Ich hoffe,
dass es nicht an mir oder der Konzeption liegt, sondern mit der Entwicklung des
Fußballs insgesamt zusammenhängt.
Wir haben eigentlich alles gehabt. Ultras, die hooligantypisch agierten. Eigene
Ultras die Gästefans, hier HSV, massiv angegriffen haben. Abläufe, die man in
Bochum nicht kannte oder lange nicht da waren. Es gab Ausschreitungen mit
auswärtigen Fans. Das Spektakulärste war sicherlich die Partie VfL-KSC, mit 1
bzw. 2 verletzten Kollegen. Dies möchte ich als Gewaltexzess bezeichnen.
Fans fahren nicht mit dem Ziel los, so etwas zu machen, aber aufgrund der
Struktur ist das latente Restrisiko hoch. Ich glaube auch, dass es den Fans selbst,
etwas aus dem Ruder läuft.
Ich glaube, es war ein Unglücksfall, der immer mal wieder passieren kann, wenn
man jemanden stößt, aber hier ist noch hinzugekommen, dass der Kollege über ein
Hindernis fiel. Gottseidank hat sich aus dem Wirbelbruch kein bleibender
Schaden entwickelt, sodass es noch einigermaßen glimpflich ausgegangen ist.
Bei den heimischen Fans haben uns in aller erster Linie die Ultras die Probleme
gemacht. Hierzu einige Ausführungen:
Ultras sind Supporter, jeder Polizeiführer (PF) müsste sich eigentlich freuen, weil
sie Stimmung ins Stadion bringen und in der Grundannahme sympathisch sind.
Es ist aber so, dass die Spielregeln an vielen Stellen nicht eingehalten werden.
Das trifft für Bochum insbesondere für Auswärtsspiele zu, Stichworte hier
Pyrotechnik und Drittorte.
Ich glaube, dass es immer noch einen Ultra-Block gibt, der blauäugig ist, der
seinen Fußball die ganze Woche lebt. Ich fürchte aber, dass die Struktur
mittlerweile so ist, dass diese eigentlichen Anhänger mehr und mehr unterlaufen
werden. In der Gruppierung sich auch andere Leute finden. Kategorisierung ist
das eine, Etiketten helfen uns eh nur sprachlich. Wer wann A, B, C oder nach dem
neuen Sprachgebrauch Risk oder Non-Risk-Fan ist, ist sehr temporär festlegbar
und von Zufallen abhängig.
Bei einem Spiel gegen die Schwarz-Gelben vor zwei Jahren habe ich erlebt, das
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Leute, die unzweideutig, als A-Fans einzustufen waren, für einige Minuten
heftigste C-Fans waren. Sportliche Situation spielte da sicher eine Rolle.
Die Wahrscheinlichkeit von solchen Exzessen wird immer größer. Einhalt
gebieten kann man kaum noch. Dass die Ultra-Führer noch Einfluss nehmen
können, auf die die nach ihnen kommen, scheint ihnen aus dem Ruder gelaufen zu
sein. Ist traurig für Fans, die sich als die einzig wahren Fans verstehen. Die einen
Allgemeinvertretungsanspruch haben.
Es hat hooligantypische Angriffe gegeben, die unzweideutig von Ultras kamen.
Leider aber nicht mit dem Festnahmedruck. Ein SKB ist getreten worden, es
konnte aber nur einer festgenommen werden. Angriff der Bochumer Ultras.
Festgenommen habe ich dann 90 HSV-Fans. Die sind angegriffen worden, haben
sich sofort gewehrt, weil sie einem Kampf natürlich nicht aus dem Wege gehen.
Ist eine Schieflage, die einem natürlich nicht gefällt. Die Ultras sind hier also das
Problem, dem wir uns gezielt widmen müssen.
Leitfrage 1a:
Wo sehen Sie derzeit für die polizeiliche Einsatzbewältigung die größten
Probleme bzw. Herausforderungen?
Antworten:
Größtes Problem sind die Ultras.
Wir haben unsere Einsatzkonzeption darauf umgestellt, nachdem es als Problem
erkannt wurde, und haben auf „konsequente Manndeckung“, ständige Präsenz
gesetzt. Wir haben Einsatzkräfte in Gruppen- oder Zugstärke an die Gruppe
herangeführt, so verdeutlicht, dass sie als Problem erkannt sind. Die sogenannte
„lebende Gefährderansprache“.
Da hat Wirkung gezeigt, insoweit dass die Ultras in Kleingruppentaktik vorgehen,
sich zersplittern. Erleichtert uns natürlich nicht unbedingt die Arbeit, aber
erschwert sie anderseits auch nicht, weil sie nicht als kompakte Einheit auftreten.
Es ist die größte Herausforderung, weil von der Gruppe die größte Unsicherheit
ausgeht, was passiert. Die Abschottung ist enorm. Es ist auch für die SKB, nicht
nur in Bochum schwierig. Eine Erkenntnislage bekommt man nicht mehr.
Herausforderung war für mich, mit ihnen ins Gespräch zu kommen.
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Die Zusammenarbeit mit Fanprojekt und Fanbeauftragten in Bochum ist gut. Wir
haben gemeinsam auch einen Workshop durchgeführt. Hierzu waren auch die
Ultras eingeladen, denen ich vorurteilsfrei ein Gesprächsangebot unterbreitet
habe. Die ablehnende Antwort kam später lediglich über die Medien, dass man
nach anwaltlichem Rat von einer Teilnahme abgesehen habe, da dort ja nur die
Personalien festgestellt würden.
Ist für mich ein pathologischer Befund. Strukturen sind verhärtet, wenn man nicht
mehr miteinander spricht, ist es schwer, eine Kerbe reinzuschlagen. Wird mich
aber von weiteren Versuchen nicht abhalten.
Hinsichtlich der auswärtigen Szene (Fanvertreter, -projekte) versuche ich diese in
den Einsatz mit einzubinden. Die auswärtige Szene bekommt neben einem
Schreiben des Vereins auch ein Schreiben der PI, in dem man sich vorstellt und
erwartete Verhaltensweisen mitgeteilt werden. Hat sich bewährt und ist gut
aufgenommen
worden.
Selbst
bei
belastenden
Maßnahmen
(Personalienfeststellungen) konnte man noch gut zusammenarbeiten.
Ich setzte viel auf Kommunikation und Transparenz. Dass man vorhersehbar ist,
warum macht Polizei dieses oder jenes. Gehört sich heute so.
Kommt bis auf die eigene Szene gut an.
Ich selbst bin zuletzt auf dem Fankongress gewesen, sitze also auch mal in
Zukunftswerkstätten mit Hools oder Ultras. Da erlebt man, dass sie abseits ihrer
Kampfumgebung ganz normale Jungs sind, die ab und zu einen Defekt haben. Wir
müssen aber versuchen, die Gruppe zu sprengen, um wieder ins Gespräch zu
kommen.
Ansonsten vertrete ich eine klare Leitlinie. Bei Brisanzspielen habe ich ganz
konsequent gegen Rädelsführer Bereichsvertretungsverbote ausgesprochen. Hat
sie gepiesackt, wurde aber ganz dosiert angewendet, immer bei einer
überschaubaren Zahl, ca. 10 Personen.
Wenn man Rädelsführer rausnimmt, sind sie nicht mal mehr die Hälfte mehr.
Wenn es bei den Reizobjekten zu einem Vorbeimarsch auswärtiger Fans kommt,
sind unter Einbeziehung der Ordnungspartner und in zahlreichen Gesprächen mit
den Pächtern klare Regeln festgelegt worden. Die Rollladen sind runter und keiner
steht mehr vor der Kneipe. Werden konsequent im Rahmen der rechtlichen
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Möglichkeiten weggesprochen, mit Platzverweisen belegt oder festgenommen.
Die Sprache haben sie mittlerweile verstanden.
Für eine optische Begegnung sind alle beteiligten Gruppen nicht reif genug,
besonders die Eigenen nicht. Es kommt immer mal zu Würfen von Flaschen und
gefährlichen Gegenständen. Wir versuchen mit Flugblattaktionen, zusätzlichen
Müllbehältern, etc. die Gesamtsituation zu verbessern. Ist ein langer Weg.
Leitfrage 1b:
In den Jahresberichten der ZIS gerät die Ultraproblematik seit einigen
Jahren verstärkt in den Fokus. Auch Bochum verfügt über eine
Ultragruppierung. Bitte beschreiben Sie die Bochumer Ultraszene in ihrer
Entwicklung, Organisation, Zielsetzung, wenn möglich auch in Abgrenzung
zu Hooligans.
Antworten:
Einige wesentliche Punkte habe ich schon unter 1 b beantwortet. Darüber hinaus
stelle ich das „upgedatete“ Infopaket zur Verfügung, wo sich die meisten
relevanten Daten herauslesen lassen.
Wir haben eine Ultragruppierung und wir haben Alt-Hooligans. Mit den Begriffen
kann ich manchmal wenig anfangen. Die Grenzen sind fließend. Wir haben
Ultras, die hooligantypische Aktionen machen und Hooligans, sodass ich die
Definition von Pilz, der diese Überschneidungen von Ultras und Hools als
Hooltras bezeichnet, nur unterstreichen kann. Es ist treffend.
Leitfrage 1c:
Welche Formen der Gewalt bzw. Gewaltphänomene haben sich in Bochum
gezeigt und wie hoch schätzen Sie das vorhandene Gewaltpotenzial ein?
Antworten:
Grundsätzlich ist das latent vorhandene Gewaltpotenzial sehr hoch. Bei
dynamischen Situationen wird es unkontrollierbar, eben Gewaltexzesse. Es sind
wie beim KSC bedauerliche Einzelfälle. Es wird aber auch nicht davor
zurückgeschreckt, PVB massiv anzugreifen.
Fakt ist, dass aus dem Spektrum der Ultras Gewalt angewendet wird. Man greift
zu allen Gegenständen, ist meist in dynamischen Situationen nicht vorbereitet,
aber beim Abbrennen von Pyrotechnik sehr wohl. Es wird von Einzelnen
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definiert, was gut ist. Verbotenes wird für sich dann legalisiert. Es stoßen
Erlebniswelten aufeinander, zum einen die der Ultras und zum anderen die der
Obrigkeit. Die Diskussionen über unkontrolliertes/kontrolliertes Abbrennen wird
es weiter geben. Wir werden uns nicht bewegen können, da wir rechtliche Fesseln
haben.
Hierbei ist anzumerken, dass es zunehmend schwieriger wird, Kräfte in den Block
zu bringen. Ich will zwar nicht vom rechtsfreien Raum sprechen, aber man muss
sich ganz genau überlegen, ob man Kräfte hineinschickt. Hier werden PVB
massiv aus der Anonymität heraus angegriffen. Ist eine Art Harakiri. Es ist trotz
nicht optimaler Videotechnik in Bochum vielfach besser auf eine günstige
Gelegenheit zur Festnahme in der Folge zu setzen.
Bannermärsche:
Hat hier seit 25 Jahren mehr oder weniger Tradition. Lässt sich aber aufgrund der
örtlichen Gegebenheiten nicht verhindern. Es wird im Kern keine Aussage
getroffen, sodass es für mich keine Demo ist. Es ist hier mehr ein Ritual, wo es
gilt, die eigenen Fans „luftdicht zu verschließen", also von der Fangruppe der
Auswärtigen fernzuhalten.
Freipressen.
Ist hier gang und gäbe. Bei freiheitsentziehenden Maßnahmen ist man gut beraten,
zu prüfen, ob man eine Maßnahme zeitgerecht beenden kann, weil es meist eh
nicht zu Anschlussmaßnahmen, wie Vorführung, etc. kommt. Und die Fans noch
ihre Verkehrsmittel erreichen können.
Ansonsten kann es zum Problem kommen, dass eine größere Gruppe sich nicht
aus Bochum wegbewegt.
Wenn weitergehende Maßnahmen getroffen werden müssen, werden sie
vorgenommen. Rechtsfreie Räume entstehen nicht. Wenn aber nichts anliegt,
kommt man dem Ansinnen nach, um die BAO auch zu beenden. Aber auch die
Nachspielphase wird immer schwieriger; erst letztens ist ein Pfarrerssohn noch
zwei Stunden nach dem Spiel von einer zersprengten Gruppe im Stadtgebiet
zusammengeschlagen worden.
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Leitfrage 1d:
Bei Pilz und anderen Autoren wird als wesentliches Problem meist genannt,
das die Polizei das Feindbild Nr. 1 der Ultras ist und eine Kommunikation
kaum möglich ist, was das polizeiliche Einwirken auf die Ultraszene
schwierig bis unmöglich macht. Würden Sie dieser Behauptung zustimmen?
Wie gestaltet sich in Bochum die Zusammenarbeit zwischen Polizei und den
Ultras
sowie
zwischen
Polizei
und
Fanprojekt,
Fanbeauftragten,
Fanabteilungen und Verein?
Gehen Sie bitte darüber hinaus darauf ein, wie in Bochum die
Zusammenarbeit aller Institutionen im örtlichen Ausschuss Sport und
Sicherheit abläuft.
Antworten:
Kann These nur unterstreichen. Kommunikation ist schwierig. Es gilt für die
Zukunft, die Bretter zu bohren.
Es herrscht seitens der Ultras ein großes Misstrauen gegen die Polizei, was aus
unserer Sicht völlig unbegründet ist, da wir stets transparent gehandelt und unsere
Maßnahmen erklärt haben.
Die Zusammenarbeit mit Fanprojekten und Fanbeauftragten ist gut. Wobei man
aber auch feststellen muss, dass auch sie immer größere Schwierigkeiten haben,
Zugang zu den Problemfans zu finden.
„Wir wären arm ohne Fanarbeit“.
Meines Wissens nach ist der Verein noch nicht erpresst worden. Es besteht aber
gewisser Druck, da man aufgrund nicht rosiger Zuschauerzahlen auch keine Fans
verlieren will.
Bei negativen und die Polizei verunglimpfenden Aktionen und Spruchbändern
wurde durch mich
eine Reaktion eingefordert. Man hat den
Ultras
zwischenzeitlich ihre Räumlichkeiten wieder entzogen. Hier fordere ich aber, dass
der Verein auch immer weitere Überprüfungen der Aktionen vornimmt.
Der örtliche Ausschuss wurde durch mich wiederbelebt. Er existierte seit 2000
eigentlich nicht mehr, obwohl zusammengearbeitet wurde, jedoch nicht in der
formal vorgesehenen Form.
Dies wurde durch mich mit einer Infoveranstaltung initiiert. Es geht darum, dass
die Polizei nicht alleine die Triebfeder für einen Fußballeinsatz ist, sondern, dass
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alle Verantwortlichen an den Tisch geholt werden. Die Institutionen müssen
gerade bei Zuständigkeiten Eigendynamik entwickeln und Probleme möglichst
zur Zufriedenheit aller zu lösen versuchen.
Bsp: Zusätzliche Müllbehälter am Hbf. wurden seitens der Stadtentsorgung nicht
als deren Problem gesehen.
Leitfrage 1e:
Haben Sie Erkenntnisse darüber, ob und inwieweit zwischen dem Verein
VFL Bochum und den Ultras eine Zusammenarbeit bzw. ein Austausch
stattfindet? Kam es Ihres Wissens nach vor, dass die Ultras konkret Druck
auf den Verein ausgeübt bzw. dies versucht haben?
Antworten:
Wie gerade ausgeführt. Zusammenarbeit und Austausch zwischen Verein,
Fanbeauftragten und Ultras finden statt. Aber zunehmend schwieriger. Exzesse
erfreuen Verein nicht, weil es auch Bestrafungen nach sich zieht. Auch wir sind
da mit tätig geworden, mit proaktiven Maßnamen, speziellen Ordnerdiensten,
spezielle Beweissicherung an den Plätzen. Man kann nicht sagen, dass die Ultras
die Oberhand gewonnen haben.
Druck haben sie nicht ausgeübt, außer dem Umstand das Ultras versuchen, den
Verein, als auch die Obrigkeit zu diffamieren bzw. zu stigmatisieren. War aber
nicht von großem Erfolg gekrönt.
Themenkomplex 2: Einsatzkonzeption / polizeiliches Vorgehen
Leitfrage 2:
Wie begegnen Sie in Bochum der gestiegenen Aggressivität und der
besonderen Ultraproblematik? Sind Änderungen in der Einsatzkonzeption
erforderlich, bereits vorgenommen worden oder geplant?
Gehen Sie bitte darauf ein, wo sie in der polizeilichen Einsatzbewältigung
erfolgskritische Faktoren sehen, um die Gewaltphänomene zu minimieren.
Antworten:
Einsatzkonzeption hat sich bewährt, wurde konsequent fortgeschrieben.
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Niedrige
Einschreitschwelle
Gefährderansprache
gegenüber
Schwellen
erkannten
der
Problemfans,
Verhältnismäßigkeit,
Bereichsbetretungsverbote
Leitlinie darf nicht verlassen werden: Kommunikation/Transparenz; nicht
angreifbar sein.
Frustpotenzial der eingesetzten Kollegen steigt auch immer mehr; man kann nicht
mehr immer die Hand ins Feuer legen, dass es sich nicht mal entlädt, was
natürlich nicht passieren darf. Man muss sich um die Umstände bewusst sein.
Transparenz wichtig.
Einsatzkonzeption insoweit geändert, dass Klettenkräfte für Ultras abgestellt
wurden.
Initiierung von Stadionverboten, wobei hier eindeutig Wert auf Qualität und nicht
auf Quantität gelegt wird, was auch die überschaubare Anzahl von
Stadionverboten in Bochum beweist. Ich halte es eh nicht per se für ein
Zaubermittel, da man das Phänomen hat, das die meisten Ausschreitungen eh
nicht im Stadion, sondern abgelegt davon passieren und man die Mitfahrer hat, die
trotz Stadionfahrt mitkommen und sich das Spiel in einer Kneipe ansehen, da auf
den Fahrtstrecken oder an Rastplätzen die Auseinandersetzung gesucht wird.
Festzustellen ist der Trend, dass in der abgelaufenen Spielzeit, ohne schon Zahlen
nennen zu können, gefühlt deutlich mehr Kräfte in Bochum eingesetzt wurden.
Dies hat zum einen infrastrukturelle Gründe, die bei der Beurteilung der Lage
berücksichtigt werden müssen. Bsp.: Weg zum Stadion, Innenstadtlage, bauliche
Situation
im
Stadion,
Schwierigkeiten
bei
Fantrennung,
Verkehrswege,
Entfernungen erschweren Kräfteverlagerungen. Einrichtung von Halteverboten
auf Castroper Straße um Agitationsraum fernzuhalten. Gegebenheiten auch
schlechter als in vielen anderen Standorten.
Daneben ist ein Umstand zu benennen, der sich Weites gehend aus den
Erfahrungen zur WM 2006 ergibt, wo aufgrund der besonderen Lage teilweise
“Nulllagen mit Kräften erdrückt wurden“. Die hat in der Folge dazu geführt, dass
ohne sie diffamieren zu wollen, gerade jüngere Einsatzleiter, einen sehr starken
Kräfteansatz wählen und man als benachbarter Einsatzleiter in einen Sog und
Erklärungsnot gerät, warum in dem eigenen Zuständigkeitsbereich mit
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schwächeren Kräften gefahren wird und man sich der Gefahr aussetzt, vor dem
Hintergrund der gestiegenen Einsatzproblematik zu schwach aufgestellt zu sein.
Kräftelage sollte mit EA-Führern abgesprochen werden, was aber schwierig ist, da
bei Anforderung die EA-Führer meist noch nicht feststehen.
Erhöhung der Kräftelage scheint sich bundesweit abzuzeichnen.
Diese Phänomene plus die Gesamtsituation bestimmen die Kräfteanforderung.
Geschätzt wurden in der abgelaufenen Spielzeit in Bochum ca. 1/3 mehr an
Kräften eingesetzt, zurzeit etwa 400-500 pro Spieltag.
Leitfrage 2a:
Wie wichtig erachten Sie ein einheitliches Vorgehen bzw. abgestimmte
Maßnahmenkonzepte
in
allen
Fußballbundesligastandorten
für
die
Akzeptanz polizeilichen Handelns?
Antworten:
Ich halte es für wichtig, in der Tendenz eine gemeinsame Strategie zu entwickeln.
Die so aussehen könnte, wie ich es schon beschrieben habe.
Kommunizieren, niedrige Einschreitschwellen, unnachgiebiges Einschreiten
gegen erkannte Gewalttäter, konsequente Strafverfolgung, Beweissicherung, heißt
Qualität vor Quantität.
Prägender Bestandteil des Gesamtproblems muss sein, dass jeder Standort eine
eigene Lösung findet. Es wird nicht wesentliche Unterschiede geben, aber es gibt
nun mal unterschiedliche infrastrukturelle Gegebenheiten, die berücksichtigt
werden müssen. Bsp. Kräfteansatz/-vergleich Ahlen/S04)
Es kommt auf lokale Lösungen an. Die eigentlichen Konzeptionen unterscheiden
sich wenig. Entscheidend sind aber mehr als die Konzeptionen auf Papier die
tatsächlich getroffenen Maßnahmen. Es gilt entscheidend ist auf dem Platz. Noch
so salbungsvolle Leitlinien können Maßnahmen nicht ersetzen.
Differenzierte Lösungen vor Ort.
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Themenkomplex 3: Einschätzung / Bewertung
Leitfrage 3:
Wie
sieht
Ihre
Prognose
hinsichtlich
der
Entwicklungen
von
Gewaltphänomen insgesamt und besonders im Zusammenhang mit der
Ultraszene kurz-/mittel-/langfristig aus?
Antworten:
Ist wie ein Blick in die Glaskuppel und somit schwierig.
Ich habe Hoffnung auf eine Trendwende, weil viel Raum nach oben, was die
Gewalt anbelangt, nicht mehr ist. Es wird weiter Exzesse geben.
Meine Hoffnung ist, dass der überwiegende Teil nicht gewaltbereit, bestenfalls
gewaltgeneigt ist. Aber am wichtigsten ist, dass die normalen Fußballanhänger die
Gewalt ächten, weil die Verhaltensweisen dem Sport schaden und das
Sicherheitsgefühl gefährden. Man muss angstfrei ins Stadion gehen können. Es
darf keine Sympathie für Gewalt geben. Es sollte auch immer die Ursache für
Gewalt im Vordergrund stehen und nicht etwa der Umstand, dass es Polizeigewalt
gegeben hat.
Auch der Berichterstattung in den Medien kommt eine wichtige Aufgabe zu.
Meiner Meinung nach wird in den Medien immer noch zu viel zu verherrlichend
über Ausschreitungen berichtet. Ein Eiertanz zwischen Infoanspruch der Medien/
Öffentlichkeit und dem, was man nicht zeigt. Berichterstattung ist eine Art
Ritterschlag. Berichte sind Errungenschaften der Szene, die Maßnahmen noch
glorifizieren. Verbände und Ministerien sind hier gefordert, politisches Gewicht in
die Debatte zu werfen. Minutenlang brennende Kurven, Schlägereien dürften
nicht in der Form gezeigt werden.
Leitfrage 3a:
Hat sich die Fanarbeit in Deutschland Ihrer Meinung nach bewährt oder
sehen sie vor dem Hintergrund der steigenden Aggressivität und der
besonderen
Ultraproblematik
Ansatzpunkte
oder
Optimierungsmöglichkeiten?
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Antworten:
Konsequente Fortsetzung von Fanarbeit, gerade auch um den Nachwuchs in die
richtigen Bahnen zu lenken. Auch weitere finanzielle Unterstützung. Rad muss
nicht neu erfunden werden. Wesentliche Schritte sind belegt. Sprachlosigkeit zum
Verband ist schon durchbrochen, muss nur fortgesetzt werden.
Leitfrage 3b:
In Italien ist die Gewalt im Fußball teilweise eskaliert. Es kam u.a.
zurückliegend zu den Todesfällen des Polizeibeamten Filipo Raciti, des Fans
Gabrielle Sandri und jüngst zu einem Todesfall eines Fans im Zuge eines
Busunfalls auf einer Auswärtsfahrt. Die Tragweite des Einflusses der
Ultraszene in Italien hat eine Dimension erreicht, die von einigen Autoren in
den Bereich der organisierten Kriminalität gerückt wird. Bitte führen Sie
aus, ob Sie italienische Verhältnisse in Bochum bzw. Deutschland für
denkbar halten?
Antworten:
Würde ich nicht völlig ausschließen. Ich kann Autoren beipflichten. Es sind
Entwicklungen zu erkennen, die in Richtung organisierte Kriminalität (OK)
gehen, wenn ich an Abschottung, Gegenaufklärung denke. Strukturen sind zwar
noch zart, aber latent vorhanden.
Ich habe die Hoffnung, dass die meisten Gewaltgeneigten vor Exzessen
zurückweichen. Verweis auf Bochumer Ultra-Stellungnahme zum Vorfall in
Bielefeld.
Die Erlebnisorientierung bleibt Ungewissheit, gerade die Dynamik und
Anonymität wird es mit sich bringen, das solche Situationen schwer zu
kontrollieren sind. Bsp. Bannermärsche mit 5000 Personen wecken das Gefühl,
dass solche Gruppen nur schwer zu stoppen sein werden, wenn die Masse in
Bewegung kommt. Ohne uns anzubiedern, sollten wir uns anbieten. Es geht
darum, Vertrauen zu gewinnen.
Es bedarf aller Anstrengungen die Verhärtungen aufzuweichen. Kommunikation
ist nachhaltig gestört, ich würde sogar sagen, im gesamten europäischen Umfeld.
Es ist 5 vor 12.
Fazit: Ausschließen kann man es nicht, aber Wahrscheinlichkeit ist deutlich
geringer aufgrund der Bemühungen der letzten 25 Jahre.
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1.3 Experteninterview 3: Herr Rojek
Datum:
10.06.2008
Länge:
39:46 Minuten
Themenkomplex I: Sichtweise Fanbeauftragter
Leitfrage 1:
Sie sind bereits seit einigen Jahren hauptamtlicher Fanbeauftragter des FC
Schalke
04.
Beschreiben
Sie
bitte
kurz
die
Zielsetzungen
und
Aufgabenbereiche eines Fanbeauftragten am Beispiel des S04 sowie Ihre
Stellung als Fanbeauftragter im Verein.
Antworten:
Es gibt unterschiedliche Sichtweisen über die die Arbeit eines Fanbeauftragten
(FB). Ich übe die Funktion seit 27 Jahren aus, da gab es die Bezeichnung FB noch
gar nicht. Die Richtlinien des DFB sehen vor, dass der FB der Sprecher des
Vereins gegenüber seinen Fans ist. Viele FB sehen sich eher als Sprecher der Fans
beim Verein. Durch meine Funktion im Aufsichtsrat des FC Schalke 04 und als
Vorsitzender des Fanklubdachverbandes mache ich eigentlich beides.
Meine Hauptaufgabe ist es für jeden Schalkefan Ansprechpartner und Betreuer zu
sein. Hier mache ich auch keinen Unterschied zwischen dem Fan, dem Allesfahrer
oder dem 62-jährigen in der Eifel, der die Spiele im Radio verfolgt. Ich versuche
jedes Problem, was einer hat, zu lösen.
Leitfrage 2:
Die Saison 2007/2008 ist beendet. Wie fällt aus Sicht eines Fanbeauftragten
ihr Urteil über die abgelaufene Spielzeit aus? Gehen Sie dabei bitte
insbesondere auf das Fanverhalten insgesamt und auf die Gewaltsituationen
im und rund um das Stadion allgemein und am Beispiel der Mannschaften
des S04 ein.
Antworten:
Da kann ich sicher mehr sagen, als zur sportlichen Situation.
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Wir haben in Schalke eigentlich gute Verhältnisse. Die Gewalt im Stadion ist
gegen null heruntergefahren worden. Wir haben einen guten Kontakt zu unseren
Alt-Hooligans, der „Gelsenszene“. Wir haben auch einen guten Kontakt zu den
Ultras, obwohl man sagen muss, dass er in der abgelaufenen Spielzeit schwächer
geworden ist, sie haben sich abgenabelt und aus der großen Gruppe der Ultras
heraus sind mehr Straftaten begangen worden.
In Zusammenarbeit mit den SKB und den Sicherheitsdiensten, mit denen wir in
Schalke eng zusammenarbeiten, beschäftigen wir uns viel mit dem Thema, was
uns auch ein bisschen Sorge bereitet. Durch die Ultras hat sogar die Gelsenszene,
die sich eigentlich auf Ü-40-Partys rumtreibt, wieder Zulauf bekommen.
Auf Nachfrage zur Differenzierung nach Ligenzugehörigkeit:
Ja, das ist der Punkt, der etwas schockiert. Früher hat man die Rivalitäten nur auf
dem Platz bei der 1. Mannschaft ausgelebt. Die Ultras haben sich auch auf untere
Mannschaften, Amateure und Jugendmannschaften spezialisiert und begleiten die
Mannschaften auch auswärts.
Sie treffen sich immer wieder mit andern Fangruppen, besonders wenn eine
Rivalität, wie bei Dortmund besteht, was erheblich zugenommen hat.
Wenn ein B-Jugend-Spiel schon von einer Hundertschaft begleitet werden muss,
macht mir das Angst.
Ich will mal den Vorfall in Wattenscheid nennen, wo ein A-Jugend-Spiel ohne
Schalker Beteiligung von Schalker Ultras aufgesucht wurde und Straftaten auf
dem Platz begangen wurden. Ich will sicher nicht alle Ultras über einen Kamm
scheren, aber der harte Kern war da beteiligt. Ist ein hohes Kaliber. Das hat nichts
mit dem Fußball S04 mehr zu tun.
Wiederholt passiert ja sehr viel mit den Fans, die anreisen. Der durchschnittliche
Schalke Fan hat einen Anreiseweg von 120 km.
Die Bahnhöfe Bad Oeynhausen, Dortmund, Haltern, Münster sind beliebte
Treffpunkte, gerade von Schalker und BVB Gruppierungen. Mit den anderen
Ultragruppierungen, wie denen des KSC und Frankfurt gibt es auch Konflikte,
aber dann nur an den Spieltagen.
Bei BVB-Schalke muss man fast täglich damit rechnen, dass bei irgendeinem
Spiel was passiert.
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Leitfrage 3:
Die Ultrabewegung gründete sich in den 60er Jahren in Italien und ist etwa
seit Anfang der 90er Jahre auch in Deutschland präsent. Auf der einen Seite
zeichnen sich die Ultras durch leidenschaftliche und abwechslungsreiche
Choreografien aus. Auf der anderen Seite wird vorrangig gerade auch durch
die Polizei kritisiert, dass die Ultragruppierungen jegliche Kommunikation
und Zusammenarbeit mit der Polizei ablehnen. Die Polizei nimmt eine
gesteigerte Aggressivität bzw. ein gesteigertes Gewaltpotenzial seitens der
Ultras wahr. Stimmen Sie diesen Wahrnehmungen zu? Beschreiben Sie aus
Sicht eines Fanbeauftragten das Ultraphänomen allgemein und am Beispiel
S04. Bitte beschreiben sie auch, ob und in welcher Form eine
Zusammenarbeit zwischen Fanbeauftragten, Verein und Ultras funktioniert.
Antworten:
Ich kann die Aussage der Polizei nur unterstreichen. Durch meine Tätigkeit kann
ich auch sagen, dass die Ultras uns in allen Stadien in Deutschland Probleme
bereiten.
In Gelsenkirchen ist es ziemlich ruhig, aber es werden zunehmend Straftaten aus
dem Pulk der Ultras heraus begangen.
Man kann die Jugend insoweit verstehen, dass es immer schwieriger wird, ein
vernünftiges Freizeitangebot zu finden. Schalke ist die Nummer 1 in
Gelsenkirchen und der Umgebung und ein Magnet für Jugendliche, die was
erleben wollen.
Früher war das sicherlich auch so, wir haben uns auch getroffen, um Spiele
anzusehen, aber wir haben nur den Verein unterstützt. Aber da gab es den
Kommerz
noch
nicht.
Die
Ultras
wehren
sich
ja
auch
gegen
die
Kommerzialisierung. Problem ist, dass sie sich zu einer eigenen Gruppe
entwickeln, die keinen braucht. Sie suchen keinen Kontakt zum Verein und den
Fanbeauftragten, sie wollen unabhängig sein. Sie verstehen aber nicht, dass es
heute bei 62.000 Zuschauern nicht mehr alleine geht.
Der Verein sorgte bislang immer dafür, dass der Dachverband der starke
Ansprechpartner bleib. Es ist vorbildlich in der Bundesliga, dass egal ob
Fanprojekt, Faninitiativen, Hooligans oder Sponsoren sich alle an den
Dachverband wenden, wo versucht wird, Probleme zu lösen.
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Die Ultras kommen nur bei großen Problemen, ansonsten lehnen sie
Zusammenarbeit ab.
Ganz krass ist mir aufgefallen, dass sie jeglichen Kontakt zur Polizei ablehnen.
Selbst bei Fällen, wo sie Betroffene sind, geben sie keine Auskünfte und wollen
es unter sich regeln.
Hier in Schalke arbeiten alle eng zusammen, Wachdienst Bremen, Fanverband,
Sicherheitsbeauftragter, SBK. Wir sind eine starke Einheit.
Es findet ein stetiger Austausch vor Heim- und Auswärtsspielen statt. Lediglich
die Ultras schließen sich nicht an.
Der Dachverband setzt bei Fahrten eigene Fanordner in den Bussen ein, die der
Polizei mitteilen, wo sich der Bus gerade befindet, wie viele Personen mitreisen.
Die Ultras reisen alleine an. Sie verschleiern ihre Strecken. Sie machen uns hier
große Probleme. Wir versuchen in Gesprächen, dieses Problem in den Griff zu
bekommen. Erst kürzlich hat mit Blick auf die neue Saison wieder ein runder
Tisch stattgefunden, aber auch hier machen die Ultras kaum Zugeständnisse und
halten sich bedeckt. Vielleicht lag es daran, dass SKB am Tisch waren.
Leitfrage 4:
Was können Sie als Fanbeauftragter bzw. was kann der Verein S04 konkret
tun, um Gewaltphänomene zu minimieren? Nehmen Sie diesbezüglich auch
dazu Stellung, ob Sie die vorhandenen Regelungen und Richtlinien für
ausreichend erachten und wie Sie zum Umgang mit Stadionverboten stehen.
Antworten:
Am Thema Stadionverbot ziehen sich die Ultras besonders hoch. Stadionverbote
halten uns nicht auf, ist deren Spruch.
Ich muss dazu sagen, dass ich auch gegen ein Stadionverbot von 5 Jahren war,
was ja auch jetzt nach dem Leipziger Kongress geändert wurde und die
Höchstdauer 3 Jahre beträgt. In Schalke hatten wir es schon immer geändert. Ich
bin ein Verfechter von Bewährungsstrafen.
Ich finde auch, dass 3 Jahre bei Ersttätern, sofern sie keine Gewaltverbrechen
begangen haben, zu hoch sind. Fußball ist Emotion. Es kann bei einem Tor schon
mal vorkommen, dass ein Bierbecher fliegt. Wenn es dann zu Beschwerden
kommt, kann es nicht sein, dass dafür jemand ein Stadionverbot bekommt.
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In Zusammenarbeit mit S04 haben wir daher folgendes System entwickelt:
Beim 1. Verstoß gibt es eine schwere Ermahnung; beim 2. Verstoß wird der
Dachverband als Bewährungshelfer eingesetzt und der Betroffene muss in der
Fanarbeit mitmachen, beim 3. Verstoß kommt es zum Stadionverbot.
Die Ultras sehen das anders, für sie gehört das Verhalten dazu, genau, wie das
Anbringen von Aufkleber, die kaum abgehen. Das können wir nicht akzeptieren.
Dass es anders geht, sieht man bei der Gelsenszene, hier klappt die Arbeit sehr
gut. Sie bekommen Karten von uns und halten sich an unsere Richtlinien. Es
kommt kaum zu Problemen.
Auf Nachfrage zu konkreten Maßnahmen der Gewaltminimierung:
Wir setzen auf Selbstreinigungsprozesse in der Gruppe und auf Gespräche
untereinander. Darum wurde ein runder Tisch eingerichtet, wo alle Fangruppen
vertreten sind. Es wird sich ausgetauscht und Richtlinien werden festgelegt.
Darüber hinaus werden Eintrittskarten für Auswärtsspiele nur noch an registrierte
Mitglieder des Verbandes abgegeben. So bleibt uns auch die Möglichkeit zu
Sanktionen bei Fehlverhalten. Weil ein Stadionverbot für einen Fan halt das
Schlimmste ist. Wenn jemand nur Gewalt ausüben will, kann er das überall.
Weiter werden gemeinsame Aktionen gefahren. Wir fahren mit Spielern oder
Vorstandsmitgliedern zu den Gruppen und stellen uns.
Der Verein lässt ihnen die Freiheit für Choreografien. Inhalte werden nicht
vorgeschrieben. Der Sicherheitsbeauftragte prüft sie natürlich. Es bestehen aber
keine Probleme, solange die Inhalte nicht unter die Gürtellinie zielen.
Der Verein unterstützt, wo er kann, stellt Räumlichkeiten zur Verfügung. Man
kann sagen, es ist ein Geben und Nehmen.
Leitfrage 5:
Die Fanbeauftragten sind im Rahmen des Konzeptes NKSS für die oberen
Ligen zwingend einzusetzen. Wie sehen Sie insgesamt den Qualitätsstand und
wie funktioniert die Zusammenarbeit untereinander?
Antworten:
Ein Thema, was mich schon ewig beschäftigt. Kann man nicht pauschal sagen. So
wie Polizei in 16 Bundesländern Richtlinien hat und diese umsetzt, müsste es
auch bei Fanbeauftragten sein. Aber das was ich mir hier in 27 Jahren erarbeitet
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habe, davon können FB in Karlsruhe, Mainz oder Dortmund nur träumen. Es ist
schwer eine Idee umzusetzen, wenn man die Akzeptanz im Verein nicht hat. Hier
würde ich mir wünschen, dass die Vereine viel enger mit den FB
zusammenarbeiten oder ihnen mehr Gehör schenken.
Über die Fanprojekte, die Sozialarbeiter sind, wird viel gesprochen, jedoch sind
eigentlich alle Vorsitzende von Fanklubs Sozialarbeiter. Ich würde mir mehr
Ausbildung für FB wünschen, als nur ein Treffen.
Man sieht bei den Treffen aber immer wie groß die Unterschiede sind.
In Schalke z. B. kann ich jederzeit ohne Anmeldung mit meinem Ansinnen
persönlich an den Vorstand herantreten, wo für andere FB bei der Sekretärin
Schluss ist.
Ich bin in der Kurve vor Ort und kümmere mich um die Probleme, sehe kaum
noch was vom Spiel. Bei anderen FB beschränkt es sich darauf, dass sie in der
Kurve etwas mitsingen.
Hier müsste es mehr Zusammenarbeit geben, dem FB müsste mehr Einfluss im
Verein zugestanden werden.
Auf Nachfrage:
Es kommt zu 3-4 Treffen im Jahr.
Ich habe die Region West mal einberufen, wo auch Oberhausen, Essen, Duisburg
beteiligt wurden, wobei Essen noch nie erschienen ist. In Duisburg muss der FB
noch nebenbei arbeiten. In Dortmund wechseln die Verantwortlichen häufig und
haben die Philosophie auch Interessen gegen den Verein durchzusetzen. Mit
Bochum ist die Zusammenarbeit sehr gut.
Man kann die Arbeit der FB eigentlich nicht untereinander messen, weil die
Rahmenbedingungen zu unterschiedlich sind.
Bsp.: Verschaffen von Parkkarten Bremen oder Schalke durch den FB
30
Themenkomplex II: Sichtweise Fan-Club-Verbandsvorsitzender
Leitfrage 6:
Sie bekleiden ebenfalls seit einigen Jahren das Amt des Vorsitzenden des
Schalker Fan-Klub-Verbandes. Beschreiben Sie kurz die Funktion, Ziele und
Aufgaben des Fanverbandes sowie Ihre die Aufgaben und Stellung als
Vorsitzender, wenn möglich in Abgrenzung zum Amt des Fanbeauftragten.
Antworten:
Es gibt da immer Überschneidungen. Der Dachverband feiert nun 30jähriges
Bestehen, wobei ich 27 Jahre im Vorstand mitwirke. Früher gab es 40 Fanklubs,
heute gibt es 1450 Klubs mit 70000 Mitgliedern im Dachverband und die Zahl
wächst.
Der Fan muss sich bei aller Kritik, die immer mal aufkommt, mit der Arbeit des
Dachverbandes identifizieren können. Wir wollen loyal zum Verein sein.
Es kommen zwar immer mal wieder Kleinstansinnen, um die wir uns natürlich
nicht immer kümmern können, da die Leute auch vergessen, dass wir mittlerweile
26 hauptamtliche Mitarbeiter haben und Millionenumsätze im Dachverband
machen.
Neben der Vertretung waren der Fair-Play-Gedanke, Zivilcourage und
Bekämpfung von Ausländerfeindlichkeit immer wichtig.
Wenn man davon ausgeht, dass von den 10%-Auswärtskarten, die S04 zustehen,
70 % an Mitglieder des Dachverbandes gehen, passiert wenig. Auch die SKB
sagen, dass bei Auswärtsfahrten zu 99 % alles in Ordnung ist.
Ich selbst spreche auch die Bezirksvorsitzenden an, wenn ich sehe, dass
Mitglieder sich auf Fahrten daneben benehmen. Wenn nach Gesprächen keine
Änderung zu erkennen ist, werden auch Kartensperren ausgesprochen. Dann setzt
meist auch ein Selbstreinigungsprozess bei dem Fanklub ein, wenn Viele wegen
Einzelnen keine Karten mehr bekommen.
Auch die Jugendarbeit steht im Fokus. Kann zwar aufgrund der weiten
Verflechtungen nicht so, wie bei Sportvereinen, ausgeübt werden. Es wird aber
z. B. jedes Jahr ein Gelsenkirchener bei uns eingestellt mit der Zielrichtung der
Übernahme.
31
Auf Nachfrage:
Die
Tätigkeit
beim
Aufsichtsrat
entstammt
der
Arbeit
des
Dachverbandsvorsitzenden.
Meine Fanarbeit wird hier auch sehr geschätzt, meinen Vorschlägen aus Sicht der
Fans stimmt man zu und ich habe Mitstimmrecht bei allen Entscheidungen.
Leitfrage 7:
Von ihrem in zahlreichen Ultramanifesten postulierten Selbstverständnis
bezeichnen sich die Ultras als die „einzig wahren Fans“. Inwieweit spielt die
Ultraproblematik in die Fanklubs und den Dachverband hinein?
Antworten:
Bezeichnen sich als die einzig wahren Fans. Was ja fast alle Fans tun.
Bei den Ultras stört es mich ungemein, da sie ja ein Durchschnittsalter von 18-20
Jahren haben, viele sind erst 14 oder 15 Jahre alt.
Sie reden über Traditionen, viele waren noch gar nicht da, als die andern, wie ich,
schon in der Glückaufkampfbahn standen und den Verein unterstützt haben. Ich
halte jemanden für einen wahren Fan, wenn er alles Gute für den Verein tut. Es
kommt auch u.a. auf das Erscheinungsbild der Gruppe an, dass es zu keinen
Straftaten kommt. Auch wenn man einige Vereine nicht leiden mag, muss der
Respekt vor dem gegnerischen Verein da sein. Dies fehlt bei einigen Fans.
Fans sind wichtig, Fans zahlen Eintrittspreise und machen den Verein interessant.
Siehe Leverkusen und Wolfsburg, für die sich die Medien kaum interessieren, da
sie über keine Fankultur verfügen.
Ultras nehmen sich einfach raus, die einzig wahren Fans zu sein und gehen auch
nach Gesprächen nicht davon ab.
Leitfrage 8:
Was machen die Fanklubs bzw. der Dachverband, um Gewaltphänomenen
zu begegnen?
Antworten:
Das, was in der Satzung steht, nämlich der Fair-Play-Gedanke steht an 1. Stelle.
Fanklubs machen besondere Aktionen und wir fahren dann mit Spielern dorthin
und nehmen teil oder stellen uns für Gespräche zur Verfügung.
32
Wir machen auch selbst Aktionen, wie z. B. zurückliegend gemeinsam mit der
Bogestra „Spieler und Fans gegen Gewalt“, die sich auf Straßenbahnen und Busse
bezog, in denen keine Gewalt stattfinden sollte. Die Spieler standen als Paten zur
Verfügung. So etwas wollen wir jetzt zum 30jährigen Bestehen auch wieder
aufleben lassen. Gespräche sind schon geführt.
Darüber hinaus werden Aktionen der Fanklubs durch Verein und Sponsoren
honoriert. Wir richten auch Fußballturniere aus. Es muss klar sein, dass der
Fußball im Vordergrund steht, wichtig ist und Gewalt dort nichts zu suchen hat.
Themenkomplex III: Allgemeine Einschätzungen/Bewertungen
Leitfrage 9:
Wie sieht Ihre Prognose hinsichtlich der Entwicklungen im Fanverhalten
allgemein und des Ultraphänomens im Besonderen kurz-/mittel-/langfristig
aus? Geben Sie diesbezüglich auch eine Einschätzung über die Entwicklung
von Gewalteskalationen ab.
Antworten:
Die Entwicklung sehe ich mit Sorge. Anfangs wurden die Ultras noch von den
Fanklubs unterstützt, auch heute sind noch viele doppelt tätig. Aber es ist nicht
mehr wie vor 2-3 Jahren. Es ist eine neue Generation herangewachsen, die
erlebnisorientierte Fans werden wollen. Ich schließe mich daher der Prognose
unserer SKB an, wonach die Gewalt und die Anzahl der Straftaten zunehmen
werden.
Als Beispiel sei genannt, ein Vorfall, der in der Presse gar nicht thematisiert
wurde. Bei dem letzten Spiel wurden drei Busse mit Nürnbergfans an der
Glückaufkampfbahn von BVB-Anhängern überfallen. Das wird man nicht
hinnehmen. Es gibt sicher Rache und so wird es eine Schraube der Gewalt geben.
Meine Sorge ist, dass dann wieder Hooligangruppierungen aufleben.
Man hat ja auch in dieser Saison schon gesehen, was sich in Karlsruhe, Frankfurt
und Stuttgart ereignet hat. Meine Sorge ist, dass sich der DFB das nicht lange
ansieht, die Gewalt den Stehrängen zuschreibt und wie in England nur Sitzplätze
zulässt. Die Fans machen sich hierüber keine Gedanken.
Wir in Schalke haben auch keine Fangnetze. Wir haben es jetzt über Jahre
geschafft, dass durch Schalkefans nicht gezündelt wurde. Aber ich weiß nicht, wie
33
die Entwicklung sein wird und wie der Verein dann darauf reagiert. Teilweise
sind die alten Fans, die den Ehren-Kodex noch gelebt haben, nicht mehr da.
Ich weiß auch nicht, wie man die Gewalt eindämmen kann. Stadionverbote
schrecken zwar kurzfristig ab, aber sind nicht von Dauer. Es geht nur, wenn
zusammengearbeitet wird und man sich gegenseitig versteht. Alle müssen an
einem Strang in der Bundesliga ziehen. Da wird es auch nicht helfen, dem
Fanprojekt einen zusätzlichen Mitarbeiter zur Verfügung zu stellen.
Leitfrage 10:
Wo sehen Sie insgesamt erfolgskritische Faktoren um Gewaltphänomene zu
minimieren? Gehen Sie dabei bitte auch auf die Verantwortung der anderen
Bedarfsträger, wie Polizei, Ordnungsdienste, Kommunen, DFB, etc. ein.
Wo sehen sie Optimierungspotenzial?
Antworten:
Am Beispiel vom Freundschaftsspiel Magdeburg-Schalke, was unter dem Namen
„Gas gegen Gewalt“ vom Schalker Hauptsponsor organisiert wurde, kam es nach
Provokationen durch die Magdeburger Fans zu Ausschreitungen, die im
Fernsehen zu sehen waren.
Das hätte bei besserer Zusammenarbeit verhindert werden können, da feststand,
dass Schalke mit Problemfans kommen wird. Trotz der Erkenntnisse und
aufgrund einer anderen Lage im Stadtgebiet gab es kaum Polizei im Stadion und
auch nur einen unzureichenden Ordnerdienst.
Hier müsste die Zusammenarbeit aller Beteiligten so gut wie in Gelsenkirchen
sein. Hier muss der ehemalige Einsatzleiter Grzella mal gelobt werden, der das
Grundkonzept entwickelt hat.
Alle kümmern sich, ohne das der Fan das Gefühl hat, überwacht zu werden.
Auch wenn es für die Gästefans nicht immer angenehm ist, ist der Bustransport
zum Stadion eine notwendige Sache, um sie zu schützen und um auch die
Bevölkerung zu schützen. Es ist auch eine Serviceleistung.
In Schalke setzen wir auch an den Eingängen Fanordner ein, die einschreiten
können, z. B. Betrunkene aus dem Verkehr ziehen, bevor es zu einem
Einschreiten durch die Polizei kommen muss.
Es werden auch Verbindungspersonen für Fanbeauftragte abgestellt.
34
Leitfrage 11:
In Italien ist die Gewalt im Fußball teilweise eskaliert. Es kam u.a.
zurückliegend zu den Todesfällen des Polizeibeamten Filipo Raciti, des Fans
Gabrielle Sandri und jüngst zu einem Todesfall eines Fans im Zuge eines
Busunfalls auf einer Auswärtsfahrt. Die Tragweite des Einflusses der
Ultraszene in Italien hat eine Dimension erreicht, die von einigen Autoren in
den Bereich der organisierten Kriminalität gerückt wird. Bitte führen Sie
aus, ob Sie italienische Verhältnisse in Deutschland für denkbar halten?
Antworten:
Eigentlich ganz klar nein! In dem Ausmaß wie in Italien nicht.
Dass es an Gewaltbereitschaft zunimmt, haben wir ja schon besprochen. PVB
können auch mal bedroht werden, wenn sie alleine in einen Block gehen. Aber so
wie in Italien wird es nicht kommen, dafür arbeiten alle zu gut zusammen.
35
1.4 Experteninterview 4: PD Richter, POR Scharnowski, PHK Grünebohm und
Herr Bartelt
Datum:
12.06.2008
Länge:
78:03 Minuten
Themenkomplex 1: Beschreibung der Ist- Situation
Leitfrage 1:
Die
Fußballsaison
2007/2008
ist
mittlerweile
beendet.
In
Ihren
Zuständigkeitsbereich fallen die Heimspiele des 1. FC Union Berlin in der
Regionalliga Nord. Wie fällt ihr Urteil über die abgelaufene Spielzeit aus?
Beschreiben Sie dabei aus Ihrer Wahrnehmung heraus die derzeitige
Gewaltsituation rund um die Spiele von Union Berlin und wenn es ihnen aus
der Funktion heraus möglich ist, auch darüber hinaus.
Antworten:
Bartelt:
Ultraszene hat immer mehr jugendlichen Zulauf, meist aus Sprayerszene.
Tendenz: C-Fans abnehmend / B-Fans weiter steigend. Polizei muss sich vermehrt
mit größeren Personengruppen auseinandersetzen. Gegenseite richtet Verhalten
zunehmend mehr auf polizeiliche Verhaltensweise aus. Man kann sagen, das
Verhalten ändert sich quartalsweise. Sie agieren nicht offen, sondern abgeschottet
und konspirativ; sie sind meist nicht dort, wo wir sie erwarten (verabreden sich
vorher oder telefonisch).
Sie agieren in Guerillataktik (in Gruppen von 5-6 Personen entfernen sie sich vom
Stadion). Gewaltsituation lässt sich nicht allgemein beantworten; ist abhängig von
Gästeverein
(Anzahl/Potenzial
der
Fans)
und
von
sportlicher
Situation/Tabellensituation. Fans sind sehr gewaltbereit und Gewalt suchend, aber
nicht unbedingt in der Öffentlichkeit. Polizei ist es meist gelungen, sie von
Gewalttätigkeiten abzuhalten. 50-100 Personen haben es immer wieder mal
versucht, in die Nähe der Gästefans zu gelangen.
36
Scharnowski:
Im Abgleich zur Vorsaison, was das Fanverhalten und die Anzahl der Straftaten
nur auf Heimspiele bezogen betrifft, lässt sich feststellen einschließlich der Ultras
und dem Wuhlesyndikat, dass sie sehr vereinsorientiert sind; der Verein hatte
große Probleme, Bsp.: Stadionumbau. Führt dazu, dass die Fans dem Verein
offensichtlich nicht schaden wollen, halten sich strikt an Absprachen, was
Abbrennen von Pyrotechnik und Gewaltdelikte betrifft.
Anders als bei Dynamo Dresden, die ebenfalls erhebliche Probleme haben, wo
diese aber am Präsidium festgemacht werden.
In der abgelaufenen Spielzeit Straftaten im dreistelligen Bereich, viele, die an den
Gästefans festgemacht werden müssen.
KV-Delikte unter 20 (Heimspiele/Pokal und FS gegen Leeds)
Widerstandsdelikte 13-14 (überschaubar)
Sachbeschädigungen unter 20. In Relation zur Vorsaison weniger.
Polizei gut aufgestellt durch Differenzierung und Arbeit der Fachdienststellen,
wie LKA 712, die die Szene bestens kennen und Gefährderansprachen
vornehmen.
Differenzierung in Normal, Risiko- und High-Risk-Spielen (Dresden, Magdeburg)
In Relation zur abgelaufenen Spielzeit kann man feststellen, dass die Gästefans,
einschließlich Erfurt ein anderes Klientel sind; meist sehr alkoholisiert; permanent
Bereitschaft, KV–Delikte o.ä. zu begehen. Suchen die Konfrontation mit Polizei
und Fans.
Gerade bei Risikospielen lässt sich im Vorfeld durch Sicherheitsbesprechungen,
Gespräche mit Fanbeauftragten viel abschöpfen. Man ist auf einem guten Weg.
Dadurch ist Mitnahme von Pyrotechnik, Vermummungsgegenständen, etc. rapide
zurückgegangen.
Man darf aber nicht verhehlen, dass es wichtig ist, weiter am Ball zu bleiben.
Professionelle Ordnerdienste + vereinseigene Ordnerdienste, die sich aus
ehemaligen B/C-Fans rekrutieren. Professioneller Ordnerdienst eingesetzt bei
Gästefans, hier werden die Kontrollmaßnahmen weiter durch Polizei begleitet, da
eine Krähe der anderen kein Auge aushackt. Bei Union ist man aber auf einem
guten Weg zu einer normalen Fußballszene zu verfallen.
37
Grünebohm:
Gästefans sind das Problem, genauso wie wenn Union auswärts spielt. Die
Gästefans in Verbindung mit den Problemfans des Heimvereins bestimmen sie
Sicherheitslage.
Richter:
Ost-Derbys sind die problematischeren Spiele; Ausnahme: Spiel gegen
Braunschweig, wo man auch Gewalttätigkeiten einplanen kann.
Die zur Vorsaison ruhigere Situation ist der Situation geschuldet, dass Polizei
lernt. Man hat z. B. bei Trennung von Fanströmen, Anreise mit Bahn usw. anders
gehandelt.
Durch
vernünftigen
Ansatz
konnten
problematische
Überkreuzsituationen in der Abstromphase verhindert werden; Nutzen von anders
gelegenen Bahnhöfen.
Erfurt – Spiel: 1 Bahnhof: Gewalt konnte nur durch erhöhte Polizeipräsenz
verhindert werden.
Durch unsere Maßnahmen wird latent vorhandene
Gewaltbereitschaft einfach nur unterdrückt.
Wir hatten günstige Situation, Stadionneubau war im Fokus. Aufrufe zum
Vernünftigsein. In den Sicherheitsbesprechungen wurden auch Daumenschrauben
angelegt, wie Androhung von Verbot von Vollbierausschank. Dresden – Spiel war
Quantensprung. Skript liegt bei.
Leitfrage 1a:
Wo sehen Sie derzeit für die polizeiliche Einsatzbewältigung die größten
Probleme bzw. Herausforderungen?
Antworten:
Grünebohm:
Fantrennung ist das eigentliche Problem. Abhängig von den Faktoren:
Einsatzraum (Anbindung an ÖPNV); Anzahl Gästefans/Art der Anreise.
Wenn es gelingt, die Fans in Phase 1 (Zustrom) und Phase 3 (Abstrom) zu
trennen, gibt es keine Probleme.
Einsatzraum Köpenick aufgrund der Infrastruktur problematisch. Es ist gelungen,
durch Ausweichen auf einem anderen Bahnhof die Fans zu trennen.
38
Scharnowski:
Herausforderung ist der enge Kontakt zum Verein und zu den Gästefans.
Infoweitergabe an Gästefans. Die Vorphase der Einsatzvorbereitung ist wichtig.
Die Berliner Linie wird den Gästeverein mitgeteilt, damit sie im Vorfeld wissen,
was passiert, wenn man das oder das macht, z. B. polizeiliche Begleitung, kein
Vollbierausschank, Art der Anreise, was darf mitgenommen werden.
Wichtig:
Unterstützung
des
Vereins
bei
Wahrnehmung
der
Ordnertätigkeit;
ist
Vereinsangelegenheit, aber, um so professioneller sie arbeiten, um so mehr kann
sich Polizei etwas zurücklehnen, weil weniger Gegenstände (Pyro, waffenähnliche
Gegenstände) mit ins Stadion kommen.
Stadionneubau. Ist auch wichtig für Polizei, weil im alten Stadion die
Befehlsstelle, Notwege und Möglichkeiten zur Fantrennung nicht gut sind.
Bsp: Freihalten der Rettungsstufen
- Fantrennung
Richter:
Union ist eine Art Wirtschaftsunternehmen; oftmals geht Wirtschaft vor
Sicherheit. Zeigt sich bei Fragen, wie Vollbierausschank, Kontingentierung von
Karten; Einflussnahme auf Anreise der Fans (geschlossen mit Bahn, individuell).
Bartelt:
Bezogen auf Herausforderungen für Fachdienststelle LKA:
- Schlechte Infrastruktur im Stadion (keine Räumlichkeiten für Sachbearbeitung)
- Aufklärung: nicht nur noch im Stadionnahbereich; meist stadtweit; Anreise der
Fans erfolgt häufig schon weit vor polizeilichem Einsatzbeginn, um sich
möglichen Maßnahmen zu entziehen und anonym bleiben zu können.
- Ablehnen einer direkten Zusammenarbeit; keine Ansprechbarkeit; es können
kaum Infos gewonnen, Absprachen getroffen werden.
-
Internetnutzung
BRD/europaweit;
durch
Vernetzung
wissen
die
Ultragruppierungen besser Bescheid, als die Polizei; Infoaustausch findet ohne
Polizei statt.
39
Leitfrage 1b:
In den Jahresberichten der ZIS gerät die Ultraproblematik seit einigen
Jahren verstärkt in den Fokus. Union verfügt u.a. mit dem „Wühlesyndikat“
auch über eine Ultragruppierung? Bitte beschreiben Sie die Union
Ultraszene in ihrer Entwicklung, Zusammensetzung, Organisation und
Zielsetzung, wenn möglich auch in Abgrenzung zu Hooligans.
Antworten:
Bartelt:
3 Ultragruppierungen:
- Wuhlesyndikat: ca 100 Personen Kat. B, vereinzelt Kat. C; 18-21 J.
- Team Spirit: Ca. 100 Personen, zu 80 % Kat. B, 16-18 Jahre; existieren seit
etwa 2 Jahren, kamen schlagartig; sind vom Erscheinungsbild völlig unauffällig;
eine Art Nachwuchsorganisation vom Wuhlesyndikat, handeln nicht autark,
abhängig von Führungspersonen des WS.
- East Devils: ca. 20 Personen; Marzahner Organisation; örtlich beschränkt; eher
seltener auftretend.
Insgesamt: ca. 250 Personen, davon 200 Kat. B und vereinzelt Kat. C; zu 99 %
Deutsche; im jugendlichen und heranwachsenden Alter, Ältere verschwinden
entweder ganz oder schließen sich den Hooligans der Brigade Köpenick an.
Organisation: enorm diszipliniert und organisiert über alle Kommunikationswege
hinweg.
Union ist wie eine große Familie, alle kennen sich, Funktionsträger sind entweder
alte Sportler oder entstammen der Fanszene; man verfügt so über alle
Möglichkeiten sich frei zu bewegen.
Ziele: dem Ultramanifest verschrieben (gegen Kommerz, etc.).
Vereinsunterstützung: verbal (Heim/Auswärts) + finanziell; ab und zu will man
sich ausleben durch Gewalt, teilweise Gewaltfantasien.
Scharnowski:
Bereitschaft zur Vereinsunterstützung zeigt sich im Stadionneubau, wo viele Fans
ihren Urlaub opfern, um mitzuhelfen.
40
Aus den LIS-Berichten lässt sich als höchste Zahl herauslesen 370 Fans Kat. B
und 50 Kat. C, ist aber die höchste je wahrgenommene Zahl und beschränkt sich
nicht nur aufs Wuhlesyndikat. Keine Vergleichbarkeit von Hools und Ultras.
Hools: Gewalt- und nicht spielorientiert
Ultras: Spielorientiert, aber latent gewaltbereit
Leitfrage 1c:
Welche Formen der Gewalt bzw. Gewaltphänomene haben sich in Berlin und
speziell bei Union gezeigt und wie hoch schätzen Sie das vorhandene
Gewaltpotenzial ein?
Antworten:
Bartelt:
Gewaltphänomene/Formen der Gewalt unterscheiden sich nicht wesentlich von
den Phänomenen im Bundesgebiet.
Hinsichtlich der Problemfans:
Hooligans agieren bei Heimspielen kaum, da von den 25-30 Kat. C-Fans, etwa die
Hälfte als Ordner eingesetzt sind.
Ultras: Ab und zu KV-Delikte: Bewegen sich in Kleingruppen (4-5) teilweise im
Gästeblock oder versuchen schon im Vorfeld die Gästefans aufzuklären.
Bei Heimspielen eigentlich keine besonderen Gewaltphänomene, wenn schon mal
eher bei Auswärtsspielen, aber dann die normalen Delikte.
Potenzial:
Enormes Kat. B-Potenzial: ca. 400 bei Heimspielen
Bei Auswärtsspielen ähnlich; einmal in Dresden 500 Kat. B
Hooliganszene ist eigentlich auch zu vernachlässigen.
Teilweise
vereinzelte
Beteiligungen
von
Union-Fans
an
Drittortauseinandersetzungen, aber nie allein, sondern nur in Koalitionen mit
BFC; Hertha oder Magdeburg und Braunschweig (Bsp.: Briesen), meist mit
Bezug zur Türsteherszene.
Scharnowski:
Bsp.: letztes Spiel gegen Oberhausen (sportlich brisant)
41
Es gab Absprachen zum Betreten des Rasens nach dem Spiel. Nachdem die
Oberhausenfans aus ihrem Block sind, haben Ordner absprachewidrig die Tore zu
früh geöffnet; trotz Absperrgitter und Polizeikräfte versuchten Union-Anhänger,
auch Wuhlesyndikat zum Block der Oberhausener zu kommen; nur durch
Einschreiten konnte Direktkonfrontation verhindert werden. Wenn Polizei nicht
gut aufgestellt ist, gibt es Ärger.
Leitfrage 1d:
In Berlin gibt es die einmalige Situation, dass es sowohl ehemalige Westklubs
als auch Ostklubs, wie z. B. Union gibt. Sehen Sie diesbezügliche
Unterschiede im Fanverhalten und wie drücken sich diese aus?
Gehen Sie bitte auch darauf ein, ob sich grundsätzlich eine Verschiebung der
Gewalt in untere Spielklassen feststellen lässt.
Antworten:
Bartelt:
Die Hertha ist eigentlich ein West-Klub, kann man aber nicht mehr so sagen; eher
„Gesamt-Berliner-Verein“.
Union ist ein Ost-Klub; Fans kommen aus Köpenick bzw. Umland Brandenburgs.
Verhalten der Ultras von Hertha und Union unterscheiden sich kaum.
Der BFC muss anders bewertet werden; eindeutig ein Ost-Klub; haben nur noch
500-600 Zuschauer. Sie haben bei Heimspielen kaum Probleme, weil kaum
Gästefans anreisen. Die Hälfte der BFC-Zuschauer sind Kat. B+C.
Sind aggressiver und unzugänglicher als andere Fans, gerade unter Alkohol; auch
für Polizei kaum lenkbar.
Verschiebung der Gewalt in untere Ligen: Grundsätzlich zusammenhängend mit
Alt-Traditionen. Am Beispiel Cottbus zeigt sich aber, dass die Personen, die mit
Stadionverboten belegt sind, häufig ausweichen und da auftreten, wo die Polizei
sie nicht erwartet, sei es bei Spielen ohne Cottbus Beteiligung oder an Bahnhöfen.
Es ist auch festzustellen, das schon A-Jugend-Spiele besucht werden.
Scharnowski:
Prognose ist vermessen. Grundsätzlich ist Infrastruktur entscheidend und die ist in
den unteren Klassen aufgrund der baulichen Situationen und den damit
einhergehenden Problemen in der Einsatzbewältigung (Fantrennung, etc.)
42
schlechter als in den Bundesligen, wo eine gute Infrastruktur und ein
professioneller Ordnerdienst vorhanden sind. Fakt ist, bieten sich in unteren
Klassen Gelegenheiten, werden sie häufig genutzt.
Leitfrage 1e:
Bei Pilz und anderen Autoren wird als wesentliches Problem meist genannt,
das die Polizei das Feindbild Nr. 1 der Ultras ist und eine Kommunikation
kaum möglich ist, was das polizeiliche Einwirken auf die Ultraszene
schwierig bis unmöglich macht. Würden Sie dieser Behauptung zustimmen?
Wie gestaltet sich in Berlin und speziell bei Union die Zusammenarbeit
zwischen Polizei und den Fans/Ultras sowie zwischen Polizei und Fanprojekt,
Fanbeauftragten, Fanabteilungen und Verein?
Gehen Sie bitte darüber hinaus darauf ein, wie aus Ihrer Sicht in Berlin die
Zusammenarbeit aller Institutionen im örtlichen Ausschuss Sport und
Sicherheit abläuft.
Antworten:
Bartelt:
-grundsätzlich Zustimmung
Bei Union muss aber differenziert werden, Polizei ist nicht gleich Polizei.
Bundespolizei ist Feindbild Nr. 1; örtliche Polizei eher nicht.
Grund: häufig aus Sicht der Fans negative Berührungspunkte mit Bundespolizei
Ultras grundsätzlich fast nicht ansprechbar; machen eher das Gegenteil von dem,
was Polizei will; wenn Personenmenge vorhanden ist, versuchen sie auch die
Polizei zu Maßnahmen zu nötigen; unternehmen alles, was die Polizei ärgern
könnte, z. B. häufiger Wechsel vom Bahnsteig auf Straße, da man um
unterschiedliche Zuständigkeiten weiß; werden aktiv, gerade auch auswärts in
Orten, wo Polizei nicht so gut aufgestellt ist.
Eine Ansprechbarkeit durch LKA 712 ist auch nur ganz bedingt möglich.
Die Zusammenarbeit mit dem Verein ist gut. Ansprechpartner vorhanden,
Selbstreinigungsprozesse greifen.
Eine Zusammenarbeit mit dem Berliner Fanprojekt gibt es praktisch nicht, da sie
vehement trotz häufiger Versuche von den Mitarbeitern des Fanprojekts abgelehnt
wird. Sie reichen einem nicht mal mehr die Hand zum Gruß, weil sie ihre Arbeit
43
sonst verraten sehen. Das ist bei Hertha und Union der Fall, bei BFC findet
praktisch keine Fanprojektarbeit statt.
Scharnowski:
Die
Zusammenarbeit
Sicherheitsbesprechungen
mit
Verein,
werden
Fanbeauftragten
Anregungen
ist
der
gut.
In
Polizei,
den
wie
Vollbierausschankverbot trotz kontroverser Meinung mitgetragen.
Es werden auch Fahnenpässe ausgestellt. Also eine personifizierte Legitimation
gewisse Fahnen über 1,50 m, etc. mit ins Stadion nehmen zu dürfen.
Leitfrage 1f:
Haben Sie Erkenntnisse darüber, ob und inwieweit zwischen dem Verein
Union Berlin und den Fans speziell den Ultras eine Zusammenarbeit bzw. ein
Austausch stattfindet? Kam es Ihres Wissens nach vor, dass die Fans/Ultras
konkret Druck auf den Verein ausgeübt bzw. dies versucht haben?
Antworten:
Bartelt:
Verhältnis zwischen Fans und Verein ist sehr gut. Ausübung von konkretem
Druck ist nicht bekannt. Es läuft Hand in Hand.
Scharnowski:
Verein hat Baracken zur Verfügung gestellt, um Fanarbeit des Wuhlesyndikat zu
unterstützen.
Themenkomplex 2: Einsatzkonzeption / polizeiliches Vorgehen
Leitfrage 2:
Wie begegnen Sie in Berlin der gestiegenen Aggressivität und der besonderen
Fan-/Ultraproblematik?
Sind
Änderungen
in
der
Einsatzkonzeption
erforderlich, bereits vorgenommen worden oder geplant? Gibt es einheitliche
Standards für sämtliche größere Fußballspiele in Berlin oder sind die
Konzepte einzelfallabhängig?
Gehen Sie bitte darauf ein, wo sie in der polizeilichen Einsatzbewältigung
erfolgskritische Faktoren sehen, um die Gewaltphänomene zu minimieren.
44
Antworten: (Anmerkung: Einsatzbefehle sind exemplarisch beigefügt worden):
Grünebohm:
In Berlin gibt es einheitliche Standards, was die Führung von Fußballspielen
betrifft. Es soll möglichst eine begrenzte Anzahl von PF geben, um eingespielt zu
sein.
Es führt meist der zuständige Abschnitt, hier für Köpenick der Abschnitt 66; bei
größerem Personalansatz führt die Direktion, ab und zu führen auch PF der
Bereitschaftspolizei, die aber einsatzerfahren sind.
Darüber hinaus gibt es Grundsatzbefehle für alle Spielorte, die sich eigentlich nur
in den Einsatzräumen unterscheiden, was Auswirkungen auf das polizeiliche
Einsatzkonzept hat.
Im Olympiastadion wird ein reines Raumschutzkonzept gefahren. Bei Union liegt
der Schwerpunkt auf dem EA Gästefans und dem EA Heimfans, die in der Zuund Abstromphase auch begleitet werden.
Leitfrage 2a:
Wie wichtig erachten Sie ein einheitliches Vorgehen bzw. abgestimmte
Maßnahmenkonzepte in allen bedeutsameren Fußballstandorten für die
Akzeptanz polizeilichen Handelns?
Antworten:
Scharnowski:
Gewisse
Maßnahmen
sollten
einheitlich
sein,
u.a.
Durchsetzung
der
Stadionverbote. Der Infoaustausch/-fluss auch zwischen Polizei und Gästeverein
sollte intensiviert werden. Es sollten zumindest für die Fans die gleichen
Rahmenbedingungen vorherrschen. Die Linie der Polizei sollte bekannt sein.
Grünebohm:
Es wurden in Berlin für den BFC Einsatzleitlinien entwickelt (dem Interviewer
ausgedruckt übergeben), die, weil sinnvoll auch für Union-Spiele übernommen
wurden. Sie geben an, welche Verhaltensweise, die auch unterhalb der
Strafbarkeit liegen können, nicht geduldet werden, u.a. ausländerfeindliche
Sprüche. Darüber hinaus beinhaltet es ein Maßnahmenkonzept, was ein Gespräch
mit dem Schiedsrichter umfasst, wo ihm erklärt wird, was Polizei erwartet und
45
über Spielunterbrechungen bis zum Spielabbruch führen kann. Hier wäre es
anzustreben, so etwas bundesweit umzusetzen.
Themenkomplex 3: Einschätzung / Bewertung
Leitfrage 3:
Wie
sieht
Ihre
Prognose
hinsichtlich
der
Entwicklungen
von
Gewaltphänomen insgesamt und besonders im Zusammenhang mit der
Ultraszene kurz-/mittel-/langfristig aus?
Antworten:
Bartelt:
Ultra Szene bekommt Zulauf; Szene wird immer jünger werden (jetzt schon
teilweise 14-15 Jahre alt). Gewalt/Gewaltphänomen wird abhängig von Masse
sein (Anzahl von Personengruppen, etc.). Sollte die Ultrabewegung weiter
zunehmen, wird es schon als Druckmittel eingesetzt, um auf Polizei und Vereine,
Verbände einzuwirken.
Leitfrage 3a:
Hat sich die Fanarbeit in Deutschland Ihrer Meinung nach bewährt oder
sehen sie vor dem Hintergrund der steigenden Aggressivität und der
besonderen
Ultraproblematik
Ansatzpunkte
oder
Optimierungsmöglichkeiten?
Antworten:
Bartelt:
Aussage beschränkt sich auf Berlin.
Union: Fanarbeit bei Union sehr gut, obwohl sie nur ehrenamtlich erfolgt.
Hertha: Einfluss der Fanbetreuer auf die Ultras nicht optimal, obwohl 3 oder 4
hauptamtliche Mitarbeiter dort tätig sind. Eine Optimierungsmöglichkeit wird im
Zusammenwirken mit dem Fanprojekt gesehen, welche eigentlich nicht
stattfindet. Aggressivität ist vorhanden, aber Gewaltbereitschaft wird nicht als
steigend bezeichnet.
46
Leitfrage 3b:
In Italien ist die Gewalt im Fußball teilweise eskaliert. Es kam u.a.
zurückliegend zu den Todesfällen des Polizeibeamten Filipo Raciti, des Fans
Gabrielle Sandri und jüngst zu einem Todesfall eines Fans im Zuge eines
Busunfalls auf einer Auswärtsfahrt. Die Tragweite des Einflusses der
Ultraszene in Italien hat eine Dimension erreicht, die von einigen Autoren in
den Bereich der organisierten Kriminalität gerückt wird. Bitte führen Sie
aus, ob Sie italienische Verhältnisse in Berlin bzw. Deutschland für denkbar
halten?
Antworten:
Richter:
Es gibt 3 Parameter, die wichtig erscheinen:
-
Bei
problematischeren
Spielen
(High-Risk-Spiele)
sind
bei
den
Sicherheitsgesprächen der StA oder gar OStA anwesend, die anschaulich
verdeutlichen, welche Strafen folgen können.
- Berliner Polizei Linie ist sehr konsequent; Gästefans wissen im Vorfeld, was sie
erwartet.
- Verstärktes Anwenden des Berliner Sicherheits- und Ordnungsgesetzes
(BASOG): Maßnahmen des NOFV/DFB sollen mit gesetzlichen Regelungen
untermauert werden: Teilanschlüsse von Fans, Spielunterbrechungen; Bsp:
Sicherheitsgesetz Dresden: Geldstrafen angedroht
Scharnowski:
Niemals nie sagen. Einzelsituationen, wie aktuell Bochum, haben gezeigt, dass
stets der Einzelfall sowie die sportliche Situation, etc. professionell beurteilt
werden müssen. Italienische Verhältnisse kann ich mir nicht vorstellen.
Lebt aber von Vereinen, Ordnerdiensten. Sicherheitsaspekt muss noch deutlicher
werden.
Bestreben ist, dass Kräfteansatz im Vergleich zu den Vorjahren reduziert werden
kann.
47
Bartelt:
Die politischen/gesellschaftlichen Verhältnisse sind so unterschiedlich, dass sie
kaum vergleichbar sind.
Szene in Italien links und rechts stark politisiert, auch die organisierte Kriminalität
ist anders aufgestellt.
In Deutschland undenkbar.
Polizei, DFB, Vereine sind in Deutschland schon zu weit fortgeschritten/gut
aufgestellt. Ausnahmen können natürlich nicht ausgeschlossen werden.
48
1.5 Experteninterview 5: POR Henning und PHK Brabandt
Datum:
12.06.2008
Länge:
49:07 Minuten
Themenkomplex 1: Beschreibung der Ist- Situation
Leitfrage 1:
Die
Fußballsaison
2007/2008
ist
mittlerweile
beendet.
In
Ihren
Zuständigkeitsbereich fallen die Heimspiele des BFC Dynamo in der
Oberliga NOFV- Nord. Wie fällt ihr Urteil über die abgelaufene Spielzeit
aus? Beschreiben Sie dabei aus Ihrer Wahrnehmung heraus die derzeitige
Gewaltsituation rund um die Spiele des BFC Dynamo und wenn es ihnen aus
der Funktion heraus möglich ist, auch darüber hinaus.
Antworten:
Henning:
Zum Glück ist BFC nicht aufgestiegen, ansonsten hätte es zukünftig mehr
Brisanzspiele gegeben, was in der abgelaufenen Spielzeit schon einige Male der
Fall war. Heimspiele: ca 1000-1200 Zuschauer, davon nur ca. 20 bis maximal 100
Auswärtsfans; bei Auswärtsfahrten ca. 700-800 BFC-Fans. Differenzierung nach
Auswärts-/Heimspielen:
Auswärtsspiele:
Begleitung durch SKB.
Gerade in fremden Stadien wird durch BFC-Fans Gewalt ausgeübt.
Bsp.: Türkiyem, Tennis Borussia Berlin, Ludwigsfelder FC, Rostock
Teilweise
werden
gezielt
PVB
angegangen,
Präsident
provoziert
im
angetrunkenen Zustand selbst, es wird vonseiten der Fans gepöbelt und geschubst.
Viele Strafanzeigen nach Spielen z. B. 8 in Türkiyem/ 24 Strafanzeigen in
Ludwigsfelde/ 7 in „Yessilow“. Mangels Gegnerschaft im Fanbereich wird
bewusst Auseinandersetzung mit der Polizei gesucht.
Nicht-Berliner Einsatzkräfte erkennen häufig Tragweite nicht und gehen zu
sorglos an die Spiele heran; Fans nutzen das sofort aus und testen Grenzen aus.
49
Heimspiele:
Verlaufen relativ ruhig, da keine Gästefans vor Ort. Trotzdem wurde als taktische
Variante stets eine starke Polizeipräsenz (1 Einsatzeinheit) aufgeboten, da zu
beobachten war, dass sobald Polizei schwächer aufgestellt ist, Gewalttätigkeiten
versucht werden.
Verein hat sich hierüber beschwert, fühlte sich stigmatisiert. Gaben an, die Fans
im Griff zu haben, was natürlich nicht der Fall ist. Da zurückliegend keine
Feststellungen getroffen wurden, wurde in Absprache mit den Verantwortlichen
der Kräfteansatz reduziert. Spiele waren danach geprägt von fanorientiertem
Verhalten, teilweise von rassistischen Rufen, die unterhalb der Strafbarkeit lagen.
Ausnahme war das Rückspiel gegen Rostock, wo es im Hinspiel zu
Ausschreitungen kam. Hier wurde eine Einsatzeinheit eingesetzt. Es kamen 115
Fans aus Rostock. Es ist nur um Haaresbreite gut gegangen. Direkt nach dem
Schlusspfiff verfolgten 50-60 B/C-Fans die Rostocker bis zum Fernsehturm Alex.
Auseinandersetzung wurde gesucht. Konnte nur durch Präsenz verhindert werden.
Auch wenn der Verein Besserung gelobt, ist das nicht so, Fans haben nur eins im
Sinn, sie sind erlebnisorientiert, sie wollen ihrem Verein die Treue halten; die
Liga ist ihnen egal. Sie suchen die Auseinandersetzungen.
In der letzten Zeit ist zu beobachten, dass eine Gruppe Nachwuchs-Hools
heranwächst.
Zusammengefasst:
Heimspiele relativ ruhig, bei Auswärtsspielen zeigen sie ihr wahres Gesicht und
suchen die Gewalt, machen auch vor SKB nicht halt.
Brabandt:
Der Fanbeauftragte Lüdke gehört seit 25 Jahren zum festen Hoolbestand, auch
wenn er sich äußerlich anders gibt, ist er innerlich ein Hool geblieben. Er zieht die
Fäden und hat alles in der Hand. Ein vorheriger Präsident, der den Verein in
normale Fahrwasser führen wollte, ist daran gescheitert.
Das Fanpotenzial liegt bei etwa 700-1000 Fans. Es bleibt eigentlich immer stabil.
Es handelt sich seit 20-25 Jahren um dieselben Führenden, mittlerweile sind schon
die Kinder dabei.
50
Teilweise mischen sich unter die Hools Jugendliche, die mit Fußball nichts am
Hut haben, sondern nur gehört haben, dass beim BFC was los ist. Vielfach ist der
Sicherheitsdienst machtlos.
Es heißt zwar, dass im Stadion seit 2 Jahren Ruhe herrscht. Ruhe heißt aber, dass
auf der anderen Seite eine „drohende Masse“ steht und der Funke fehlt, damit die
Situation eskaliert. Sollte dies der Fall sein, werden die Kräfte nicht ausreichen,
um die Lage zu beruhigen.
Leitfrage 1a:
Wo sehen Sie derzeit für die polizeiliche Einsatzbewältigung die größten
Probleme bzw. Herausforderungen?
Antworten:
Henning:
- Unberechenbarkeit der Fans; BdL kann sich nicht auf Anzahl der Gästefans
stützen, sondern man muss immer damit rechnen, dass BFC-Fans was planen.
- angespannte Personalsituation in Berlin und damit einhergehend das Problem,
dass man häufig nicht so viele Kräfte bekommt, wie es die BdL ergibt.
- Glaubwürdigkeit des Vereins: Sind zwar um Glaubwürdigkeit bemüht, erreichen
aber ihre Problemfans nicht.
-Jung Hools, sehr erlebnisorientiert; auf Ärger aus
Brabandt:
Zusammenarbeit mit dem Verein: nicht verlässlich; Absprachen werden nicht
oder nicht so eingehalten, wie besprochen, da der komplette Sicherheitsdienst, etc.
mit den Problemfans verbunden und nicht einschreitet oder machtlos ist
Leitfrage 1b:
In den Jahresberichten der ZIS gerät die Ultraproblematik seit einigen
Jahren
verstärkt
in
den
Fokus.
Verfügt
der
BFC
über
eine
Ultragruppierung? Wenn ja, bitte beschreiben Sie die BFC-Ultraszene in
ihrer Entwicklung, Zusammensetzung, Organisation und Zielsetzung, wenn
möglich auch in Abgrenzung zu BFC Hooligans.
Wenn nicht, beschreiben Sie bitte ihre problematische Fanszene.
51
Antworten:
Henning:
Keine etablierte Ultragruppierung
Es gibt „Rio Sport“, jedoch machen sie keine Choreografien, o.ä.; vielmehr ist
der Übergang zu den BFC-Hools (Kat B/C) fließend.
Problemgruppen sind:
Alt-Hools auf der Ehrentribüne (30-45 Jahre alt), schon lange dabei, harte Jungs
aus dem Osten; lassen sich bei den Spielen von einem Sicherheitsdienst
bewachen, obwohl sie nicht gefährdet sind, um ihre Wichtigkeit und Macht zu
demonstrieren. Es bestehen bei dem Sicherheitsdienst Verbindungen zur Rockerund Türsteherszene (näher möchte Herr Henning darauf nicht eingehen)
Der Polizei, auch den SKB wird vielfach der Zugang zur Tribüne verwehrt, sodass
man sich den Zugang erzwingen muss. Es wird also vonseiten der Hools
provoziert. Die übrigen Hools (ca. 600-800), davon viele Nachwuchs-Hools
befinden sich auf der Gegentribüne. Sie tun sich immer mehr hervor, versuchen zu
provozieren und suchen die Auseinandersetzung (Bsp.: Spiel gegen Tennis
Borussia).
Leitfrage 1c:
Welche Formen der Gewalt bzw. Gewaltphänomene haben sich in Berlin und
speziell beim BFC gezeigt und wie hoch schätzen Sie das vorhandene
Gewaltpotenzial ein?
Antworten:
Henning:
Die
Gewaltsituation
wurde
schon
beschrieben.
Es
wurden
keine
Drittortauseinandersetzungen in Berlin festgestellt. Wir haben aber eine
Absprache für das Spiel in Rostock mitbekommen. Es herrscht insgesamt eine
abgeschottete Vorgehensweise. Besondere Gewaltphänomene, wie Abbrennen
von Pyrotechnik, Vermummung, Bannermärsche finden nicht statt.
Vorgehensweise: Kommen alkoholisiert, saufen weiter, pöbeln, gucken Fußball,
pöbeln, schlagen.
Der Grad gegen PVB vorzugehen ist stark ausgeprägt; ebenfalls ist eine
Solidarisierung sehr stark; bei Festnahmen stehen sofort 30-100 BFC-Hools
bereit, um sich zu wehren.
52
Brabandt:
Man hat in den zurückliegenden Jahren die Erfahrung gemacht, dass die Hools
auch gezielt einzelne PVB angegangen sind, wenn sich die Gelegenheit bot.
Leitfrage 1d:
In Berlin gibt es die einmalige Situation, dass es sowohl ehemalige Westklubs
als auch Ostklubs, wie z. B. den BFC gibt. Sehen Sie diesbezügliche
Unterschiede im Fanverhalten und wie drücken sich diese aus?
Gehen Sie bitte auch darauf ein, ob sich grundsätzlich eine Verschiebung der
Gewalt in untere Spielklassen feststellen lässt.
Antworten:
Henning:
Als interessierter Fußballbeobachter fällt schon auf, dass es in den unteren Ligen
häufiger zu Spielabbrüchen kommt. Das liegt aber auch daran, dass die
Infrastruktur nicht so optimal ist. Anders als im Olympiastadion, im JahnSportpark, in der Alten Försterei und im Sportforum ist dort eine Fantrennung
nicht möglich, weil der Platz nur mit Handlauf versehen ist, über den man leicht
springen kann.
Von den 130 Vereinen in Berlin gibt es auch zahlreiche ausländische Vereine, wo
Emotionen
eine
Rolle
spielen.
Es
kommt
daher
häufiger
zu
Auseinandersetzungen, die zu Spielabbrüchen führen. In Regional- oder Oberliga
war das nicht der Fall.
Auffällig ist, dass schon den A-Jugendlichen des BFC Aggressivität entgegen
schlägt, nur weil sie das Logo des BFC auf der Brust tragen.
Was Ost/West-Gefälle angeht, kann nicht gesagt werden, dass es im Westen der
Stadt weniger Gewalt gibt. Gewalt kommt hier eher in Spielen gegen ausländische
Vereine vor und dann auch häufig eher von Spielerseite, als von Zuschauerseite.
53
Leitfrage 1e:
Bei Pilz und anderen Autoren wird als wesentliches Problem meist genannt,
das die Polizei das Feindbild Nr. 1 der Ultras ist und eine Kommunikation
kaum möglich ist, was das polizeiliche Einwirken auf die Ultraszene
schwierig bis unmöglich macht. Würden Sie dieser Behauptung zustimmen?
Wie gestaltet sich in Berlin und speziell beim BFC die Zusammenarbeit
zwischen Polizei und den Fans/Ultras sowie zwischen Polizei und Fanprojekt,
Fanbeauftragten, Fanabteilungen und Verein?
Gehen Sie bitte darüber hinaus darauf ein, wie in Berlin die Zusammenarbeit
aller Institutionen im örtlichen Ausschuss Sport und Sicherheit abläuft.
Antworten:
Henning:
Der örtliche Ausschuss Sport und Sicherheit ist mir nicht bekannt. Er wird nicht
durch BFC bedient bzw. es ist seitens der Polizeiverantwortlichen für das
Sportforum niemand vertreten. Ultras sind nicht vorhanden.
Mit dem Fanbeauftragten Herr Lüdke, dem Alt-Hool ist eine Zusammenarbeit
nicht möglich, auch nicht gewünscht. Der „BFC-Fan“ ist ideologisch behaftet
(„Ost-Vergangenheit“), das schweißt zusammen.
Es findet ein Sicherheitsgespräch vor jedem Spiel statt; wo man versucht zu
kooperieren;
alle
weiteren
Gesprächsangebote
werden
unter
Ausreden
abgeschlagen.
Leitfrage 1f:
Haben Sie Erkenntnisse darüber, ob und inwieweit zwischen dem Verein
BFC Dynamo und den Fans speziell den Ultras eine Zusammenarbeit bzw.
ein Austausch stattfindet? Kam es Ihres Wissens nach vor, dass die
Fans/Ultras konkret Druck auf den Verein ausgeübt bzw. dies versucht
haben?
Antworten:
Brabandt:
Erkenntnisse darüber liegen konkret nicht vor.
Aber es ist bekannt, dass die Fangemeinde und der Fanbeauftragte, Herr Lüdke,
mit Verbindungen zur organisierten Kriminalität auf den letzten Präsidenten, der
den Verein normalisieren wollte, Druck ausgeübt hat, mit der Konsequenz, dass
54
nachher kein Geld mehr da war und der Präsident zurücktrat und eine Person in
den Wirtschaftsrat gewählt wurde, die ebenfalls Verbindungen zur OK hat.
Themenkomplex 2: Einsatzkonzeption / polizeiliches Vorgehen
Leitfrage 2:
Wie begegnen Sie in Berlin der gestiegenen Aggressivität und der besonderen
Fan-/Ultraproblematik?
Sind
Änderungen
in
der
Einsatzkonzeption
erforderlich, bereits vorgenommen worden oder geplant? Gibt es einheitliche
Standards für sämtliche größere Fußballspiele in Berlin oder sind die
Konzepte einzelfallabhängig?
Gehen Sie bitte darauf ein, wo sie in der polizeilichen Einsatzbewältigung
erfolgskritische Faktoren sehen, um die Gewaltphänomene zu minimieren.
Antworten:
Henning:
Jeder PF nimmt seine Beurteilung der Lage vor, die somit einzelfallabhängig ist;
einheitliche Standards für Fußballspiele gibt es in Berlin so nicht.
Als erfolgskritischer Faktor wird ein starker Kräfteansatz gesehen, um eine
mögliche Gegenwehr durch Präsenz zu ersticken.
Der Befehl sieht BAO vor mit:
EA Stadion, EA Eingreifkräften, verstärkte Bedo-Maßnahmen sowie Aufklärung
durch das LKA 712/SKB.
Darüber hinaus gibt es in Berlin Leitlinien für PF.
Die
sehen
u.a.
an
die
Vorgaben
des
Fußballverbandes
anknüpfend,
Sicherheitsbesprechungen mit dem Schiedsrichter vor. Es wird auch ein
Verbindungsbeamter zum Schiedsrichter eingesetzt.
Ihm werden die Erwartungen mitgeteilt, wenn es zu Ausschreitungen oder
rassistischen Rufen kommen sollte. Hier werden auch nur Richtlinien des NOFV
beachtet. Die Maßnahmen gehen von Spielunterbrechung, Durchsagen bis hin
zum Spielabbruch. Sollte der Schiedsrichter dem nicht nachkommen, würde als
letzte Maßnahme die Polizei aufgrund gefahrenabwehrender Gründe das Spiel
abbrechen.
55
Darüber hinaus sollte mehr Gebrauch von Stadionverboten gemacht werden. In
Berlin werden die Regelungen des NOFV und des DFB übernommen und
angewendet, obwohl sie eigentlich nicht für die 5. Liga gelten.
Vor jedem Spiel findet eine Sicherheitsbesprechung statt, wo LIS / 1 SKB/
PF/Führungsgehilfe PF/ Verein/ Stadionverwalter und Gastverein vertreten sind.
Hier kommt es dann auch dazu, das manchmal der Alkoholausschank untersagt
wird (bei Risikospielen sowieso).
Nachfrage zu Stadionverboten:
Brabandt:
Stadionverbotsverordnung des DFB wurde für alle Spiele des NOFV
übernommen. Beim BFC auf Nachdruck der Polizei letztlich auch. Es gibt
natürlich Unterschiede, je nachdem, wen es in der Hierarchie trifft. Dann werden
die Regelungen auch durch Verein oder auch mal durch den Verband aufgeweicht
bzw. die Situationen verharmlost.
Leitfrage 2a:
Wie wichtig erachten Sie ein einheitliches Vorgehen bzw. abgestimmte
Maßnahmenkonzepte in allen bedeutsameren Fußballstandorten für die
Akzeptanz polizeilichen Handelns?
Antworten:
Henning:
Taktische Konzepte werden immer einzelfallabhängig sein, da jeder PF die BdL
für seine Lage machen muss.
Einheitliche Konzepte halte ich für wichtig und sinnvoll, z. B. bei der
Einflussnahme auf den Schiedsrichter. Hier wäre es auch ein Signal an die
Fußballöffentlichkeit. Ähnliches ist ja in dieser Saison durch Herrn Gagelmann
gemacht worden, der bei einem Nürnbergspiel wegen Abbrennen von Pyrotechnik
das Spiel unterbrochen hatte.
56
Themenkomplex 3: Einschätzung / Bewertung
Leitfrage 3:
Wie
sieht
Ihre
Prognose
hinsichtlich
der
Entwicklungen
von
Gewaltphänomen insgesamt und besonders im Zusammenhang mit der
Fan-/Ultraszene kurz-/mittel-/langfristig aus?
Antworten:
Henning:
Keine Änderungen zu erwarten, man stößt auf taube Ohren. Die Ost-Ideologie ist
maßgeblich. Wir werden also keine Änderungen in der Gewalt erleben, höchstens
in der Einsatzbewältigung. Neue Gewaltphänomene werden nicht erwartet.
Es wird weiter zur Verschiebung der Gewalt in untere Ligen kommen, u.a. wegen
der Ausländersituation, die ich schon beschrieben habe.
Grundsätzlich erwarte ich auch keine Probleme in der Einsatzbelastung, höchstens
kann es in Ausnahmefällen mal aufgrund knapper Ressourcen zu Problemen
kommen.
Leitfrage 3a:
Hat sich die Fanarbeit in Deutschland Ihrer Meinung nach bewährt oder
sehen sie vor dem Hintergrund der steigenden Aggressivität und der
besonderen
Ultraproblematik
Ansatzpunkte
oder
Optimierungsmöglichkeiten?
Antworten:
Henning:
Kein Statement
57
Leitfrage 3b:
In Italien ist die Gewalt im Fußball teilweise eskaliert. Es kam u.a.
zurückliegend zu den Todesfällen des Polizeibeamten Filipo Raciti, des Fans
Gabrielle Sandri und jüngst zu einem Todesfall eines Fans im Zuge eines
Busunfalls auf einer Auswärtsfahrt. Die Tragweite des Einflusses der
Ultraszene in Italien hat eine Dimension erreicht, die von einigen Autoren in
den Bereich der organisierten Kriminalität gerückt wird. Bitte führen Sie
aus, ob Sie italienische Verhältnisse in Berlin bzw. Deutschland für denkbar
halten?
Antworten:
Henning:
Die Ultraszene darf nicht unterschätzt werden, muss genau durch Polizei/SKB
beobachtet werden (Gefahrenradar muss ausgefahren werden). Man muss
jederzeit aktuelle Erkenntnisse über die Fans haben.
Momentan glaube ich aber nicht, dass sich italienische Verhältnisse in
Deutschland entwickeln.
Anmerkung außerhalb der Aufnahme:
Alte Kategorisierung von A/B/C-Fans wird für besser erachtet: Jeder in
Deutschland weiß, was damit gemeint ist.
„International“: Das Mike Polley1-Gedächtnisturnier mit 16-17 Fan-Mannschaften
aus Europa wird durch den BFC ausgerichtet. Gewaltbereite Szene Europas trifft
sich somit einmal jährlich in Berlin.
1
Mike Polley war ein 18jähriger Fan des BFC Dynamo, der am 03.11.1990 bei schweren
Krawallen am Rande des Spiels BFC Dynamo Berlin-Sachsen Leipzig durch einen Polizeibeamten
erschossen wurde
58
1.6 Experteninterview 6: PD Pusch
Datum:
16.06.2008
Länge:
51:15 Minuten
Themenkomplex 1: Beschreibung der Ist-Situation
Leitfrage 1:
Die
Fußballsaison
2007/2008
ist
bereits
beendet.
In
Ihren
Zuständigkeitsbereich fallen die Spiele der Bundesligamannschaft, die auch
in der Champions League angetreten ist und möglicherweise auch die der
Regionalligamannschaft von Werder Bremen. Wie fällt ihr Urteil über die
abgelaufene Spielzeit aus? Beschreiben Sie dabei aus Ihrer Wahrnehmung
heraus die derzeitige Gewaltsituation rund um den Fußball in Bremen und
wenn es ihnen aus der Funktion heraus möglich ist, auch darüber hinaus.
Antworten:
Daten/Fakten aus abgelaufener Spielzeit:
Bundesliga:
90 % der Spiele und 95 % der Zuschauer unproblematisch.
B+C Fans machen Probleme, wobei die C – Fans bei Fußballspielen nicht im
Stadion und Umfeld auffällig sind.
Bremer Hools sind reisefaul, sind nur eigentlich nur 2-mal auffällig geworden und
zwar beim KSC und einmal im Westen, mehr aber aufgrund Alkoholisierung.
Beteiligungen an Drittortsauseinandersetzungen sind nicht bekannt geworden.
Problem sind die Ultras: 50, manchmal bis zu 150 Personen
Verhalten nimmt hooligantypische Züge an.
Vor/nach dem Spiel (Stadionumfeld/HBF) versuchen sie auf Ultras des
Gästevereins einzuwirken; in Kleingruppentaktik gehen sie auch Unbeteiligte an
(Rauben von Fanartikeln; Körperverletzungen).
Besonderes Phänomen war beim letzten Heimspiel gegen Hannover 96 zu
beobachten: Zwischen zwei Ultra- und einer Hooligangruppierung (C+B-Fans)
kam es im Vorfeld des Spiels zu Telefonkontaktaufnahmen und mit der
Gästegruppierung
zu
Verabredungen
zu
Auseinandersetzungen.
Von
59
verschiedenen Treffpunkten aus begab man sich zu einem verabredeten
Treffpunkt, um gewalttätige Auseinandersetzungen zu suchen.
International:
Mit gewaltbereiten/-suchenden Gästefans sucht man die Auseinandersetzung,
z. B. niederländischen oder belgischen. Es kam zu entsprechenden Vorfällen bei
Spielen gegen Basel, Anderlecht, Amsterdam und Chelsea. Wenn Klientel
vorhanden ist, wird Versuch unternommen. Auch schon durch Verabredungen
unter den Ultragruppierungen.
Regionalliga (Werder Bremen II):
Ca. 30-50 Ultras sind bei Heimspielen, begleiten auch nach auswärts; es werden
Event-Wochenenden veranstaltet (Samstag Bundesliga; Sonntag Regionalliga).
Bei Spielen gegen Preußen Münster, Berliner Vereine, Dresden, Magdeburg,
entspricht die Zahl der Problemfans und dementsprechend dann auch die Zahl der
Einsatzkräfte denen der Bundesligaspiele.
Da eine Fanfreundschaft mit RW Essen besteht, kommt es zudem häufig vor, dass
Essener Problemfans Spiele von Werder besuchen und umgekehrt.
Leitfrage 1a:
Wo sehen Sie derzeit für die polizeiliche Einsatzbewältigung die größten
Probleme bzw. Herausforderungen?
Antworten:
Für Bremen sind das die Ultras. Es wird versucht, gemeinsam mit Werder Bremen
und dem Fanprojekt Einfluss zu nehmen.
Vor ca einem halben Jahr wurde ein „Ethik-Fan-Kodex“ verabschiedet, der u.a.
beinhaltet, dass man Gewalt und Abbrennen von Pyrotechnik abschwört. Eine Art
Leitbild wird vermittelt. Der Verein hat von den Fanklubs Beachtung eingefordert
und für den Fall der Nichtbeachtung/-beteiligung negative Auswirkungen (z. B.
bei
Kartenverteilung,
Raumnutzung,
Wegnahme
von
Megafonen,
etc.)
angekündigt. Ultragruppierungen, die den Fanklubs so nicht angehören, aber sehr
stark organisiert sind, zögern noch mit der Unterschrift und haben die anderen
Fanklubs aufgefordert, sich dem zu widersetzen. Viele haben aber bereits
unterschrieben. Entwicklung bleibt abzuwarten. Es besteht aber polizeilich die
60
Erwartung, dass bei Nichtannahme, die Aggressivität, besonders bei negativen
Auswirkungen für die Ultraszene, steigen könnte und es zu mehr Gewalt kommt.
Nicht nur ein Problem der Polizei wird sich auch auf die Ordnertätigkeit
auswirken.
Leitfrage 1b:
In den Jahresberichten der ZIS gerät die Ultraproblematik seit einigen
Jahren verstärkt in den Fokus. Auch Bremen verfügt mit den "Wanderers"
über eine Ultragruppierung. Bitte beschreiben Sie die Bremer Ultraszene in
ihrer Entwicklung, Organisation, Zielsetzung, wenn möglich auch in
Abgrenzung zu Hooligans.
Antworten:
Ursprünglich gab es die Ultragruppierung "Eastside", die aus ca. 250-300 Ultras
bestand. Die Zielsetzung war, fanatische Anhänger zu sein und den Verein durch
Gesänge, Kurvenshows zu unterstützen. Vor mehr als zwei Jahren löste sich die
"Eastside" auf, da es immer unterschiedlichere Strömungen gab. Vielen
Mitgliedern reichte die Form der Unterstützung nicht aus, man provozierte und für
einige wurden Gewalttätigkeiten schon fast Ziel des Ultraseins. Es bildeten sich
mit
RECAILLEVERTE,
Rolands
Erben,
Wanderes,
etc.
verschiedenen
Splittergruppierungen. Einige schworen der Gewalt ab, einige nicht. Die Gruppen
sind,
auch
was
die
handelnden
Personen
anbelangen,
nur
schwer
auseinanderzuhalten. Vor dem Spiel gibt es einen Treffpunkt am Stadion. Bei
manchen Spielen gehen dann geschlossen 100-200 Personen zum Stadion,
nachdem man sich in der Stadtmitte eingesungen hat.
In einem ersten Fall wurde man überrascht, wo Ultras danach einen Supermarkt
halbwegs geplündert haben.
Es handelt sich in Bremen eher um ein linkes Spektrum. Teilweise sind sie
personengleich mit der hiesigen Antifa-Szene und beteiligen sich bei Anti-NPDDemonstrationen und bei Aktionen in Bremen, wie „Freiräume zurückerobern“.
61
Leitfrage 1c:
Welche Formen der Gewalt bzw. Gewaltphänomene haben sich in Bremen
gezeigt und wie hoch schätzen Sie das vorhandene Gewaltpotenzial ein?
Antworten:
Vor dem Spiel:
Gruppentaktik: Werden ab einer Stärke von 50 aktiv.
Einsingen, Märsche in Richtung Stadion mit Verkehrsbehinderungen, teilweise
werden Läden aufgesucht und Alkoholika gestohlen (wenn keine Polizei vor Ort).
Provozieren der Gäste bei Ankunft am Hbf..
Teilweise wird versucht, sie anzugreifen, insbesondere bei den erklärten
Feindschaften (96, HSV, Frankfurt); teilweise Gruppenangriffe.
Während:
In den letzten zwei Jahren keine Pyrotechnik im Stadion, eher mal bei
Auswärtsfahrten, auch international, Rauchpulver und Bengalos.
Nach dem Spiel:
Szene sammelt sich hinter der Fankurve, man versucht Einfluss auf abreisende
Fans zu nehmen, die auf dem Weg zum Busparkplatz dort vorbei müssen. Meist
Provokationen; trotz Absperrlinie durch PVB wird provoziert und teilweise
versucht, Angriffe zu unternehmen (Anspringen, Gruppenangriffe).
Auf dem Weg zwischen Hbf. und Stadion werden immer wieder körperliche
Auseinandersetzungen gesucht, insbesondere bei den Spielen gegen verfeindete
Mannschaften. Vereinzelt werden einzelne Fans in Nebenstraßen attackiert und
die Fanutensilien werden geraubt.
Nachfrage zum Phänomen Freipressen:
Ist durch die Bremer Szene noch nicht praktiziert worden; in Bremen ist es durch
Rostocker Ultras versucht worden. Die Maßnahmen bewegen sich innerhalb der
rechtlichen Vorgaben. Wenn die Fußballfans weg sind, ist der Einsatz beendet.
Auf
der
anderen
Seite
steht
die
beweissichere
Strafverfolgung
und
Folgemaßnahmen zu initiieren. Es kann schon sein, dass auch bei Kollegen mal
der Eindruck entsteht, die Polizei würde nachgeben. Man muss aber auch
abwägen, die Begleitung der Fans durch die BuPo. Auch hier müssen für den
Rücktransport Ressourcen vorhanden sein, sodass es Sinn machen kann, die
62
Ingewahrsamgenommenen zeitig zu entlassen, damit sie den bestimmten Zug
noch bekommen.
Leitfrage 1d:
Bei Pilz und anderen Autoren wird als wesentliches Problem meist genannt,
das die Polizei das Feindbild Nr. 1 der Ultras ist und eine Kommunikation
kaum möglich ist, was das polizeiliche Einwirken auf die Ultraszene
schwierig bis unmöglich macht. Würden Sie dieser Behauptung zustimmen?
Wie gestaltet sich in Bremen die Zusammenarbeit zwischen Polizei und den
Ultras
sowie
zwischen
Polizei
und
Fanprojekt,
Fanbeauftragten,
Fanabteilungen und Verein?
Gehen Sie bitte darüber hinaus darauf ein, wie in Bremen die
Zusammenarbeit aller Institutionen im örtlichen Ausschuss Sport und
Sicherheit abläuft.
Antworten:
Der Behauptung wird zugestimmt. Es findet eigentlich keine Kommunikation
zwischen Polizei und Ultras statt. Zahleiche Angebote, generell oder auch zu
einzelnen Anlässen, auch durch den Polizeiführer unterbreitet, wurden abgelehnt.
Eine Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten findet in Form der
Sicherheitsbesprechungen
anlassbezogen
statt.
vor
Beteiligt
der
sind
Saison,
neben
vor
der
den
Spielen
Polizei
u.a.
und/oder
Verein,
Sicherheitsbeauftragter, Fanbeauftragter, Stadionbetreiber, Caterer, Feuerwehr,
DRK, Ticketing, Ordnerdienst.
Es findet ein fast wöchentlicher Austausch statt. Die Zusammenarbeit mit dem
Verein ist gut. Auf Wünsche der Polizei, z. B. Einsatz von Sonderbahnen zum
Fantransport, Veränderungen von Parksituationen, etc. wird eingegangen.
Der Fanbeauftragte transportiert einiges zur Fanszene, kommt aber auch kaum an
die Ultraszene ran. Kommen nur angelaufen, wenn Sie bei Auswärtsfahrten
Unterstützung brauchen.
63
Leitfrage 1e:
Haben Sie Erkenntnisse darüber, ob und inwieweit zwischen dem Verein
Werder Bremen und den Ultras eine Zusammenarbeit bzw. ein Austausch
stattfindet? Kam es Ihres Wissens nach vor, dass die Ultras konkret Druck
auf den Verein ausgeübt bzw. dies versucht haben?
Antworten:
Anfangs war die Zusammenarbeit zwischen dem Verein und den Ultras gut. Der
Verein unterstützte die Kurvenshows, auch finanziell und stellte mit dem
Ostkurvensaal einen Treffpunkt am Stadion zur Verfügung, der als Gruppenraum
genutzt werden kann.
In
den letzten Jahren kaum
Zusammenarbeit, aufgrund der erhöhten
Gewaltbereitschaft und weil einige Shows, z. B. beim HSV dem Verein
missfielen.
Es gab Gesprächsversuche, man hat sich vonseiten der Ultras teilweise taub
gestellt. In Zusammenhang mit dem Ethik-Kodex wurde ein Sprecher der Ultras
gewählt. Es kam auch zu Gesprächen. Der Geschäftsführer Herr Fischer von
Bremen ist sehr bemüht. Es werden jedoch immer wieder Bedingungen durch die
Ultras gestellt (mehr Karten, früher ins Stadion, etc.), die der Verein bislang
konsequent nicht erfüllt.
Themenkomplex 2: Einsatzkonzeption / polizeiliches Vorgehen
Leitfrage 2:
Wie begegnen Sie in Bremen der gestiegenen Aggressivität und der
besonderen Ultraproblematik? Sind Änderungen in der Einsatzkonzeption
erforderlich, bereits vorgenommen worden oder geplant?
Gehen Sie bitte darauf ein, wo sie in der polizeilichen Einsatzbewältigung
erfolgskritische Faktoren sehen, um die Gewaltphänomene zu minimieren.
Antworten:
Einsatzkonzept für Fußballspiele Weserstadion:
Spiele werden im Vorfeld klassifiziert: Spiele ohne Risiko, normale Spiele, Spiele
mit besonderem Risiko.
Daran orientiert sich die Kräftelage, die zwischen 4-6 Zügen variiert, wobei
mittlerweile 4 Züge die Ausnahme sind. Der Einsatz von 5 Zügen ist normal.
64
Häufig sind jedoch 6 Züge nicht mehr ausreichend, insbesondere bei
internationalen Spielen sowie gegen 96 und den HSV. Aufgrund der
Personalsituation in Bremen wird dann auf auswärtige Kräfte zurückgegriffen.
Dienstpferde werden seit 2 Jahren aus Niedersachsen angefordert. Es werden
zudem verstärkt die Bremer BFE eingesetzt um beweissichere Festnahmen zu
gewährleisten und später die Stadionverbote zu initiieren. Man will Zeichen
setzen. Bremen verfügt über 3 SKB, darüber hinaus setzt man verstärkt auf
Zivilkräfte. Man will alle Plätze, Treffpunkte im Auge behalten, wo sich
Risikofans treffen könnten.
Es wird ein Raumschutzkonzept mit starken Kräften gefahren, da die Ultras sofort
die Gelegenheit nutzen, wenn Polizei nicht präsent ist.
Erfolgskritische Faktoren demnach:
Aufklärung + Raumschutzkonzept mit starken Kräften. Starke Polizeipräsenz.
Gewährleisten einer beweissicheren Strafverfolgung und Initiierung von
Stadionverboten.
Leitfrage 2a:
Wie wichtig erachten Sie ein einheitliches Vorgehen bzw. abgestimmte
Maßnahmenkonzepte
in
allen
Fußballbundesligastandorten
für
die
Akzeptanz polizeilichen Handelns?
Antworten:
Einheitliches Vorgehen, gerade bei Durchführung von Stadionverboten wird für
wichtig erachtet, da man häufig auf Ungleichheiten von Ultras angesprochen wird.
Länderunterschiede lassen sich aber ohne Weiteres bei 16 Bundesländern nicht
verhindern. Der Grundtenor, ein einheitliches Vorgehen ist gegeben. Was auch
durch den Erfahrungsaustausch in den jährlichen Treffen der PF 1+2 BL und SKB
durch die ZIS organisiert Weites gehend gewährleistet wird.
Unterschiede sind weniger im polizeilichen Einschreiten, sondern eher wie sich
ein Verein, ein Sicherheitsdienst, ein Ordnerdienst gibt und wie da die
Zusammenarbeiten sind. Länderpolizeien und Bundespolizeien ziehen Weites
gehend an einem Strang.
65
Themenkomplex 3: Einschätzung / Bewertung
Leitfrage 3:
Wie
sieht
Ihre
Prognose
hinsichtlich
der
Entwicklungen
von
Gewaltphänomen insgesamt und besonders im Zusammenhang mit der
Ultraszene kurz-/mittel-/langfristig aus?
Antworten:
Ultras werden noch viel Ärger bescheren. Hängt zusammen mit der
Unzufriedenheit bei Jugendlichen und Heranwachsenden insgesamt und der
Entwicklung zur Eventgesellschaft und dem Verbringen von Eventwochenenden.
Das wird auch durch Aussagen in den Foren und durch Erkenntnisse der SKB
bestätigt. Es wird demnach als das Höchste bezeichnet, „wenn man auf der Straße
gewonnen hat“, „einen Schal erobert zu haben“. Ist wie ein großes Spiel.
Die Zahl der Ultras in Bremen wird steigen. Die politische Richtung ist
unbedeutend nur der Spaß steht im Vordergrund. Spaß haben sie beim Saufen, bei
Auseinandersetzungen, etc.. Wenn keine Gästefans da sind, wird man Spaß mit
Ordnerdiensten oder der Polizei haben.
Neben den polizeilichen Konzepten ist das Kräfteproblem vordergründig. Das
Einsatzmaximum besteht in 7 Zügen. Wenn wir nicht konsequent auf der Straße
sind, die Ultras auf der Straße noch Erfolge verbuchen, bekommen sie noch mehr
Zulauf.
Es wird ein Problem Kräfte auf die Straße zu bekommen. Lagebereinigung hilft
nicht, sondern nur die Personalienfeststellung, Zuordnung von Straftaten und im
Nachgang die Durchsetzung von bundesweiten Stadionverboten, da sie es
beeindruckt und beeinträchtigt. Dazu kommt noch das Problem der Reise von
Personen, die mit Stadionverboten belegt sind. Hauptsache man kann zusammen
das Wochenende verbringen. Ausleben des Gemeinsamkeitsgefühls.
Gesellschaft ist gefordert. Reichen die Strafen aus? Beispiel Niederlande. Dort
werden Fußballgewalttäter am Arbeitsplatz öffentlich gemacht. Werden aus
Anonymität herausgeholt. Vielleicht ein Weg, wenn der Datenschutz nicht so
hoch hängen würde.
Man muss sich vielleicht Wege überlegen, wie man härter vorgehen kann. Genau
weiß ich auch keine Lösung.
66
Zusatzfrage: Gewalt gegen PVB:
Nur Einzelfälle.
Verbal auf jeden Fall; auch zunehmend; körperliche Auseinandersetzungen in der
Regel nicht; Beispiel: Polizeikette - man nimmt auch auf Polizei keine Rücksicht.
Man nimmt billigend in Kauf, dass sie was abbekommen.
Solidarisierungseffekte beim Einschreiten im Stadion; ist noch schwieriger als auf
der Straße, wenn eine gesamte Kurve in Stimmung ist. Bisher gab es keine
Probleme, wenn man wegen Pyrotechnik einschreiten musste. Bei der Entfernung
eines polizeifeindlichen Transparents wurde dem Ordnerdienst massiver passiver
Widerstand entgegengebracht. Ich sehe den Tag, dass es auch zu aktiver Gewalt
kommt.
Bei Einlasskontrollen ab und zu mal Ärger, meist mit Alkoholisierten.
Kleinere Versuche von Gefangenenbefreiungen, aber sonst weniger in diesem
Bereich, keine Gewaltanwendungen.
Leitfrage 3a:
Hat sich die Fanarbeit in Deutschland Ihrer Meinung nach bewährt oder
sehen sie vor dem Hintergrund der steigenden Aggressivität und der
besonderen
Ultraproblematik
Ansatzpunkte
oder
Optimierungsmöglichkeiten?
Antworten:
Fanarbeit hat sich grundsätzlich bewährt; gemeinsame Projekte; Sprachlosigkeit
hätte zu einer größeren Polarisierung geführt, so hat es dazu geführt, dass der
Großteil friedlich bleibt.
Verbesserungswürdig: konsequentes Vorgehen bei Auffälligen: Stadionverbote
bei polizeilichem Auffälligwerden oder aufgrund polizeilichen Erfahrungswissens
Vielleicht auch präventiv Kurzstrafen bei kleineren Verstößen: z. B. 3 Spiele
Stadionverbot, wenn es die Rechtsordnung hergibt, was schwierig ist.
Der Anti-Gewalt-Kodex kann ein Weg sein, um die Leute einzuschwören.
Es muss gefördert werden, dass es Solidarisierungseffekte der Gesamtheit gegen
Ultras gibt.
67
Leitfrage 3b:
In Italien ist die Gewalt im Fußball teilweise eskaliert. Es kam u.a.
zurückliegend zu den Todesfällen des Polizeibeamten Filipo Raciti, des Fans
Gabrielle Sandri und jüngst zu einem Todesfall eines Fans im Zuge eines
Busunfalls auf einer Auswärtsfahrt. Die Tragweite des Einflusses der
Ultraszene in Italien hat eine Dimension erreicht, die von einigen Autoren in
den Bereich der organisierten Kriminalität gerückt wird. Bitte führen Sie
aus, ob Sie italienische Verhältnisse in Bremen bzw. Deutschland für
denkbar halten?
Antworten:
Italienische Verhältnisse werden nicht erwartet.
Es mag Teilbereiche geben, z. B. Ausschreitungen, brennende Autos; Einzelfälle,
wie vor Jahren auch der Messertod des Bremer Fans in Hamburg, können nie
gänzlich ausgeschlossen werden. 42.000 Zuschauer lassen sich durch die absolute
Minderheit von 250 Personen, mit Gästerisikofans von 500 Personen nicht
solidarisieren.
Außerdem ist Polizei so eng am Geschehen. Die Zusammenarbeit mit den
Vereinen, den Fanprojekten und allen Institutionen ist gut, der Infoaustausch über
Fanverhalten durch die SBK läuft gut.
Einsatzverlauf ist nur die Konsequenz der guten Vorbereitung. Wenn man gut
vorbereitet ist, kann eigentlich nichts passieren.
68
1.7 Experteninterview 7: PHK Kommoß
Datum:
23.06.2008
Länge:
60:19 Minuten
Themenkomplex 1: Beschreibung der Ist-Situation
Leitfrage 1:
Die
Fußballsaison
2007/2008
ist
bereits
beendet.
In
Ihren
Zuständigkeitsbereich fallen die Spiele sowohl der Bundesligamannschaft,
die auch international vertreten war, als auch der Oberligamannschaft von
Bayer 04 Leverkusen. Wie fällt ihr Urteil über die abgelaufene Spielzeit aus?
Beschreiben Sie dabei aus Ihrer Wahrnehmung heraus die derzeitige
Gewaltsituation rund um den Fußball in Leverkusen und wenn es ihnen aus
der Funktion heraus möglich ist, auch darüber hinaus.
Antworten:
2007/2008 war eine aus polizeilicher Sicht, zumindest Leverkusen betreffend
ruhige Saison. Man muss generell zwischen internationalen Spielen, Bundesligaund Oberligaspielen unterscheiden.
Oberliga:
Die Oberligamannschaft konnte sich in der Leverkusener Problemfanszene
keinerlei Interesse erarbeiten.
Ausnahme: Spiel der 2. Mannschaft beim 1. FC Köln II
Hohe Mobilisierung von 150 Problemfans, die als Gruppe geschlossen nach Köln
reisten und dort auch auffällig wurden und auf ein starkes Gegenüber trafen.
Aufgrund der Vorfelderkenntnisse war man polizeilich gut vorbereitet und konnte
agieren.
Internationale Spiele:
Bei Heimspielen starke Leverkusener Problemszene; auswärts weniger, auch
aufgrund der Kostenfrage.
Früher, als es noch günstiger war und zu Hochzeiten von Bayer fuhren auch ca.
100 Problemfans zu internationalen Auswärtsspielen.
Unterscheidung zwischen Champions League und UEFA-Cup, letztere Spiele
sportlich, wie von der Stadt selbst, meist nicht so interessant.
69
Je nach Spielort, wie zuletzt in Petersburg kann man auch auf ein starkes
Gegenüber stoßen und man läuft Gefahr, fürchterlich Haue zu bekommen.
Bundesliga: Es herrschte, mit einer Ausnahme, wo es aber nur zu einem zufälligen
Aufeinandertreffen der Problemfanszenen kam, Ruhe.
Liegt auch an örtlich gut gelegener Arena, die es gestattet, die Fans diagonal
zueinander ans Stadion heranzuführen. Es besteht eine gute Möglichkeit, die
Problemfans zu trennen.
Leitfrage 1a:
Wo sehen Sie derzeit aus Sicht eines SKB für die polizeiliche
Einsatzbewältigung und für Ihre Tätigkeit die größten Probleme bzw.
Herausforderungen? Bitte skizzieren Sie im Vorfeld die Tätigkeitsfelder
eines SKB und stellen Sie dar, wie Sie ihre Aufgabe interpretieren.
Antworten:
Die Tätigkeit des SKB besteht darin die jeweilige Szene so zu kennen, dass eine
Anonymität in der Gruppe nicht gegeben ist. Dies bedingt kontinuierliches
Arbeiten mit der Szene.
Rotationsprinzip wird daher abgelehnt, da durchaus 3-5 Jahre vergehen, um
Personenkenntnisse zu erlangen sowie die nötige Akzeptanz in der Szene zu
erreichen.
Szene muss mit gleichen handelnden Personen zu tun haben.
Das ist die Hauptaufgabe neben den erlassmäßig geregelten Tätigkeiten wie
Sachbearbeitung und Vorbereitung eines Einsatzes, was als sehr wichtig erachtet
wird.
Dies bedingt dass genügend Informationen gesammelt werden, genannt
Vorauslage, damit die jeweilige Behörde die Lage sinnvoll und ökonomisch
planen kann.
Anmerkung kritischer Punkt:
Erwartung an SKB Informationen zu sammeln (wo fahren sie her, wie viele/ was
haben sie vor?) versus PVB mit allen Verpflichtungen zur Strafverfolgung zu
sein. Es ist nicht leicht es in Einklang zu bringen, Informationen zu sammeln,
Vertrauen zu gewinnen und die Weitergabe der Informationen an die
Polizeidienststellen sicherzustellen, ohne Vertrauen einzubüßen.
70
Darüber hinaus das Entwickeln von Konzepten, Einsätze so zu planen, wie sich
die Szene entwickelt.
Probleme liegen in der schmalen Gratwanderung zwischen notwendiger
Infosammlung und der Durchführung von Repressalien. Ich wende konsequent
Repressalien an, da Straftaten zwingend verfolgungspflichtig sind, bei kleineren
OWI-Tatbeständen kann man sicherlich mal ein Auge zudrücken.
Neben diesem Problem gibt es auch innerhalb der Polizei das Problem der
Akzeptanz von SKB.
Bei Einführung der SKB 1991 sollten Experten herangebildet werden, aber man
greift zu wenig darauf zurück. Gerade geschlossene Einheiten in einzelnen
Standorten nehmen für sich in Anspruch, selbst Experten in der Szene zu sein,
bilden selber fort. Ich würde mir wünschen, es so wie die Bundespolizei zu
machen, die SKB zu den Vorträgen ihrer Einheiten einlädt.
Als Manko wird gesehen, am Beispiel der Begleitung der Auswärtsspiele
angeführt, dass er bei 17 Auswärtsspielen und es ist, mittlerweile Standard, dass
man zu den auswärtigen Spielen angefordert wird, nur maximal an 3
Einsatzbesprechungen teilgenommen hat. Dies müsste grundsätzlich der Fall sein,
um aktuelle Erkenntnisse weitergeben zu können und damit die Einsatzkräfte das
Gesicht des SKB kennen.
Es gibt also nach all den Jahren noch Optimierungsmöglichkeiten.
Leitfrage 1b:
In den Jahresberichten der ZIS gerät die Ultraproblematik seit einigen
Jahren verstärkt in den Fokus. Auch Leverkusen verfügt über eine
Ultragruppierung. Bitte beschreiben Sie die Leverkusener Ultraszene in
ihrer Entwicklung, Organisation/Hierarchien, Zielsetzung, wenn möglich
auch in Abgrenzung zu Hooligans.
Antworten:
Wie jede Bundesligabehörde verfügt auch Leverkusen über eine Ultraszene,
wobei sich die Szene in den letzten 3-4 Jahren sehr negativ entwickelt hat.
Bei den Ultras handelt es sich an sich ja um eine positiv dem Verein gegenüber
eingestellte Fangemeinde, die das Bild im Stadion belebt, wobei es eine schmale
Gratwanderung ist zwischen Stimmung und Straftaten (bspw. Pyrotechnik).
71
Es hat sich eine negative Zielrichtung ergeben, in dem die Ultras ihre Meinung
aggressiv, auch nach außen, vertreten.
Leverkusener Ultraszene umfasst ca. 150 Personen, verteilt auf verschiedenste
Fanklubs. Zusätzlich gibt es einen Dachverband. Dazu gehören 6-8 führende
Köpfe der Szene, die bestimmen die Zielrichtung, was in der Saison abläuft oder
am jeweiligen Spieltag für Meinungsäußerungen getätigt werden sollen.
Die Altersstruktur liegt bei ca. 15-22 Jahren.
In den letzten 2-3 Jahren muss die Grenze tiefer gesetzt weiter; früher eigentlich
16-17 Jahre, mittlerweile beginnt eine größere Gruppierung schon mit 15-16.
Wie in allen Bundesligastandorten lässt sich gerade bei den Jungen negative
Einstellung gegenüber der Polizei beobachten.
Im Gegensatz zu früher bei den Hooligans, die wir eher als Problemfans, anstatt
als Hooligans bezeichnen, wo dass Verhältnis sachlich vernünftig geprägt war und
man meist auf die Polizei hörte, lehnen die Ultras jeglichen Kontakt ab, drehen
einem den Rücken zu, spielen den Gelangweilten. Zugang zu ihnen ist sehr
schwierig.
Ich mache es in Leverkusen so, dass ich bestimmte Ultras anspreche, die auch
Einfluss haben. Ich hebe sie auf eine Plattform und erreiche so, dass sie sich
wichtig fühlen. Dieses wichtig fühlen nutzt mir insoweit, dass sie sich Weites
gehend auf meine Seite schlagen und zumindest die Informationen der Polizei
weitergeben.
Von den 150 Ultras sind so 20-30 Hools. Das merken wir daran, dass sie sich
nicht mehr an den Treffpunkten der Ultras aufhalten, sondern eher an den
Treffpunkten der Alt-Hooligans. Sie würden sich auch an Auseinandersetzungen
beteiligen, wenn es denn welche gäbe.
Im Abgleich ist zu sagen, dass es bei den Ultras eine Zunahme gibt, wogegen bei
den Hools eine deutliche Abnahme zu verzeichnen ist. Es ist eine kontinuierliche
Abnahme, deutlich weniger Kat. C-Fans als vor 3-4 Jahren.
Über Gründe lässt sich lange diskutieren, ein Grund ist sicher auch der
professionelle Umgang der Polizei innerhalb eines Einsatzes.
Aufgrund der jetzt 17 jährigen Tätigkeit als SKB lässt sich feststellen, dass nicht
mehr so viele quantitative Maßnahmen (so viele Ingewahrsamnahmen,
Einkesslungen) wie früher durchgeführt werden, sondern mehr Wert auf
qualitative Arbeit gelegt wird. Es wird gegen die vorgegangen, die sich aktiv
72
beteiligen und es ist dann auch leichter qualifizierte Aussagen gegenüber der StA
zu treffen und man erreicht mehr Verurteilungen.
Wenn es uns jetzt gelingt, auch den Ultras qualifizierter entgegen zu treten und sie
nicht nur als Masse betrachten, sondern uns um die kümmern, die es wert sind
beobachtet zu werden, werden wir das Problem sicher nicht vollständig in den
Griff bekommen, aber in vernünftige Bahnen lenken können.
Leitfrage 1c:
Welche Formen der Gewalt bzw. Gewaltphänomene haben sich in
Leverkusen
gezeigt
und
wie
hoch
schätzen
Sie
das
vorhandene
Gewaltpotenzial ein?
Antworten:
Letzten beiden Spielzeiten waren relativ ruhig, was Formen von Gewalt angeht.
In anderen Bundesligastandorten gibt es die Besonderheiten von Schwarzen
Blöcken, Bannermärschen und Freipressen.
In Leverkusen gibt es traditionell nur den Marsch am letzten Heimspiel. Eine Art
Frühschoppen der gesamten Fanszene (auch normale Zuschauer), die dann
gemeinsam zum Stadion gehen. Regelmäßig geht man am Block des Gegners
vorbei und zeigt sich, es beschränkt sich aber auf verbale Provokationen.
Das sogenannte Freipressen aus der Ultraszene heraus gibt es in Leverkusen nur
in ganz schwacher Form, äußert sich aber nicht in körperliche Aggressivität gegen
PVB, sondern eher verbal.
Es erfolgt eine hohe Solidarisierung durch Angehörige der Ultraszene, wenn es zu
Maßnahmen gegen Szenemitgliedern kommt. Es kommen schnell 20-30
Angehörige zusammen, brüllen herum und blockieren die Straßen. Wollen immer
erst weggehen, wenn Freund wieder frei ist. Dies ist auch bei Busreisen zu
beobachten, dass Szenen erst abreisen, wenn alle im Bus sind. Kann als kleine
Form der Gewalt bezeichnet werden.
Schwarzer Block beginnt sich auch in Leverkusen zu bilden, ca. 15-20 Ultras.
Treten in schwarzer Oberbekleidung auf, wo zurzeit noch der Fanklubname
darauf steht. Ziehen sich in bestimmten Situationen Kapuzen ins Gesicht,
vermummen sich also, um Identifizierung auch durch die SKB zu entgehen.
73
Aus Gesprächen mit Kollegen der BuPo ist zu sagen, dass sie auch bei
Entlastungs- bzw. Sambazügen noch keine Probleme, was die direkte Gewalt
betrifft, haben. Es lässt sich aber eine deutlich gesteigerte verbale Aggressivität
gegen PVB feststellen.
SKB-Problem: Viele Ultraszeneangehörige kennt man nur vom Sehen, aber nicht
von den Personalien her, da rechtliche Möglichkeiten zur IF noch nicht gegeben
waren, was eine Identifizierung schwierig macht. Es ist nach Videografierung von
Tatbeständen aufwendig mit dem Bildmaterial beim nächsten Spieltag
herumzulaufen und zu schauen, ob man jemanden wieder erkennt. Es dauert auch
lange, weil nicht immer alle 150 Ultras bei allen Spielen sind. Es tun sich einige
Kollegen damit noch schwer.
Wunsch:
Bessere rechtliche Möglichkeiten zur IF verbunden mit der Fertigung von
Lichtbildern.
Nur verbunden macht es Sinn, wenn man der Aufgabe des SKB Szene- und
Personenkenntnisse zu gewinnen gerecht werden will.
Das war bei den Hooligans erfolgreich, die zu 100% identifiziert werden konnten.
Leitfrage 1d:
Bei Pilz und anderen Autoren wird als wesentliches Problem meist genannt,
das die Polizei das Feindbild Nr. 1 der Ultras ist und eine Kommunikation
kaum möglich ist, was das polizeiliche Einwirken auf die Ultraszene
schwierig bis unmöglich macht. Würden Sie dieser Behauptung zustimmen?
Wie gestaltet sich in Leverkusen die Zusammenarbeit zwischen Polizei,
insbesondere aus der Funktion des SKB heraus und den Ultras sowie
zwischen Polizei (SKB) und Fanprojekt, Fanbeauftragten, Fanabteilungen
und Verein?
Gehen Sie bitte darüber hinaus darauf ein, wie in Leverkusen die
Zusammenarbeit aller Institutionen im örtlichen Ausschuss Sport und
Sicherheit abläuft.
74
Antworten:
Pilz kann in einigen Punkten zugestimmt werden, aber nicht in allen. Nicht
zustimmen, wenn gesagt wird, Polizei wäre Feindbild Nr. 1.
Polizei ist sicher kein Liebling, Feindbild wäre aber zu übertrieben.
Polizei hat es schwierig, aber das hat nicht unbedingt was mit der Sache Fußball
zu tun, sondern eher mit der Generation. Es sind 15-22 Jährige und mit denen
haben wir auch im Alltäglichen Probleme, nicht nur im Fußball.
Ultras können und werden dazulernen, und zwar wenn Polizei rechtlich saubere
Maßnahmen trifft und keine Kollektivmaßnahmen vornimmt. Ich bin kein Freund
sog. Busingewahrsamnahmen, wo man alle einsperrt, weil 2-3 Mann was gemacht
haben. Ich halte auch nichts davon, Angehörigen von Ultraszenen grundsätzlich
das Betreten der Innenstädte zu verbieten.
Ich denke auch Polizei muss dazu lernen. Es ist Fußball und man sollte nicht von
kriegsähnlichen Zuständen sprechen. Ein anderes Verhalten erreicht dann auch
eine höhere Akzeptanz bei den Ultras, weil getroffene Maßnahmen dann eher für
notwendig erachtet werden.
Vorteile in Leverkusen:
1. Im bundesrepublikanischen Vergleich relativ kleine Szene (Frankfurt hat
es mit fast 1000 ungleich schwerer Zugang zu finden)
2. Lokale Szene; man trifft sich auch schon mal in der Stadt, man ist nicht
der anonyme SKB.
Zustimmen muss man Pilz sicher, was die uniformierten Kollegen anbetrifft. Sie
sind das Feindbild. Gegen Maßnahmen der uniformierten Kollegen werden sich
die Ultras zumindest passiv solange wehren wie es geht. Der SKB in Zivil genießt
höhere Akzeptanz.
Zusammenarbeit mit Fanprojekt kann als vorbildhaft bezeichnet werden.
Der Leiter Fanprojekt kann sachgerecht polizeilichen Dingen folgen und sieht
Notwendigkeit polizeilicher Maßnahmen ein.
Man sieht auch schmale Gratwanderung, was Zusammenarbeit angeht. Ich sehe
meine Aufgabe so, dass ich dem Fanprojekt rechtzeitig den Hinweis auf eine
Person gebe, die dazu tendiert, sich zum Hooltra zu entwickeln. Fanprojekt und
Fanbeauftragter nehmen sich der Person dann an und versuchen ihn wieder auf die
richtige Bahn zu bringen.
75
Das bedingt Vertrauen, was gewachsen sein muss und auf Gegenseitigkeit beruht
(daher keine Rotation).
Örtliche Ausschuss Sport und Sicht würde man auch gerne mal kennenlernen. Hat
zurückliegend ohne Leute der Praxis (nur mit Leitern, wie PP und Leiter
Ordnungsamt) einmal getagt, danach nie wieder und dürfte auch nicht mehr
existent sein.
Leitfrage 1e:
Haben Sie Erkenntnisse darüber, ob und inwieweit zwischen dem Verein
Bayer 04 Leverkusen und den Ultras eine Zusammenarbeit bzw. ein
Austausch stattfindet? Kam es Ihres Wissens nach vor, dass die Ultras
konkret Druck auf den Verein ausgeübt bzw. dies versucht haben?
Anmerkung des Verfassers: Da bei der Zusammenfassung bemerkt wurde,
dass aus unerklärlichen Gründen beim Interview die Frage 1 e nicht gestellt
wurde, wurde die Frage am 23.06.2008, um 14.00 Uhr ergänzend telefonisch
gestellt und wie folgt von PHK Kommoß beantwortet.
Antworten:
Meines Wissens nach wurde, anders als bei anderen Bundesligavereinen, seitens
der Ultras noch kein Druck auf den Verein Bayer 04 Leverkusen ausgeübt oder
dies versucht. Von einer Zusammenarbeit zwischen Ultras und Verein kann nicht
die Rede sein, höchstens eine kleine Gilde steht im Kontakt zum Verein.
Eine Zusammenarbeit würde auch den Idealen der Ultras widersprechen, die sich
ja gegen Kommerzialisierung, etc. aussprechen. Sie wollen den Verein eher
überzeugen, gerade auch beim Ausbau des Stadions, etc. auf den Bau von VIPLogen, usw. zu verzichten. Also eher eine kritische Auseinandersetzung, als eine
Zusammenarbeit.
76
Themenkomplex 2: Einsatzkonzeption / polizeiliches Vorgehen
Leitfrage 2:
Wie begegnen Sie in Leverkusen der gestiegenen Aggressivität und der
besonderen Ultraproblematik? Sind Änderungen in der Einsatzkonzeption
erforderlich, bereits vorgenommen worden oder geplant? Hat sich
hinsichtlich der Ultraproblematik die Arbeitsweise eines SKB geändert?
Gehen Sie bitte darauf ein, wo sie in der polizeilichen Einsatzbewältigung / in
der
Tätigkeit
des
SKB
erfolgskritische
Faktoren
sehen,
um
die
Gewaltphänomene zu minimieren?
Antworten:
Änderung in Einsatzkonzeption hat in Leverkusen stattgefunden. Die war
notwendig geworden, da sich das polizeiliche Gegenüber geändert hat. Bis vor ca.
2 Jahren lag die Konzentration noch auf den Hooligans und ihren Treffpunkten,
dies hat sich nun auf Treffpunkte der Ultras ausgeweitet. Man hat sich neu
aufgestellt, ohne jedoch mehr „Men-Power“ zu investieren, sondern nur anders
verteilt.
Der BAO-Aufbau hat sich nicht verändert. Es gibt immer noch die gleichen
Einsatzabschnitte, mit der gleichen Personalstärke, eben nur auf Orte ausgedehnt,
wo sich Ultras aufhalten.
Die Tätigkeit des SKB hat keine Änderung erfahren. Einziger Unterschied ist,
dass das Klientel jünger und der Umgang anders geworden ist.
Während bei den Hools gegenseitig deutliche Ansprachen möglich waren,
beklagen und beschweren sich Ultras darüber sofort in Foren oder gegenüber dem
Verein. Man kann sagen, sie sind gut im Austeilen, aber schlecht im Einstecken.
Die Ultras werden sehr eng an den Treffpunkten beobachtet. Wenn sie dann zum
Stadion gehen, wird es als normaler Vorgang betrachtet. Es wird ihnen nicht mehr
Aufmerksamkeit geschenkt, als polizeilich notwendig.
Werden nicht permanent polizeilich begleitet. Wenn sie sich den Regeln
unterwerfen, können sie sich frei bewegen. Begleitung erfolgt dann nur durch
SKB.
77
Intensivierung der Fortbildung:
Bislang findet einmal (neben einer Veranstaltung in Wertheim für vordergründig
neue SKB) jährlich eine Austauschveranstaltung durch die ZIS organisiert, statt.
Sehr sinnvoll, wenn im Ergebnis auch häufig Vorgaben des IM umgesetzt werden
müssen.
Wünschenswert wäre ein mehrfacher regelmäßiger Austausch, eventuell
quartalsweise. Die Veränderungen insbesondere in der Ultraszene sind sehr
rasant. Man kann immer dazulernen und von den Erfahrungen der anderen SKB
hinsichtlich Einschreit-/Ansprachemöglichkeiten positiv wie negativ profitieren.
Hier ist neben allen Kommunikationsmitteln das persönliche Wort immer noch
das Wichtigste.
Darüber hinaus wäre auch mindestens einmal im Jahr ein Treffen gemeinsam mit
Fanprojekten und Fanbeauftragten wünschenswert. Sollte nicht isoliert betrachtet
werden. Jede Seite hat Erwartungen, die im Einsatz nicht kundgetan werden
können. Hier würde sich die Gelegenheit bieten.
Konfliktmanager:
Gibt es in Hannover („Communicators“). Wir haben keine guten Erfahrungen
gemacht. Gehen nicht gezielt auf Ultras ein, zumindest nicht auf auswärtige, die
wie Leverkusen nur einmal im Jahr kommen. Sprechen falsche Leute an,
erreichen nicht, werden belächelt.
Überschneidung mit der Aufgabe des SKB, die eigentlich Konflikte verhindern
sollen. Doppelte Tätigkeit mit der Gefahr, dass man nicht gemeinsam, sondern
aneinander
vorbei
arbeitet.
Nichts
ist
schlimmer,
als
unterschiedliche
Vorgehensweise. Es wird sofort von den Ultras ausgenutzt, wenn man sich nicht
einig ist.
Leitfrage 2a:
Wie wichtig erachten Sie ein einheitliches Vorgehen der SKB bzw.
abgestimmte Maßnahmenkonzepte in allen Fußballbundesligastandorten für
die Akzeptanz polizeilichen Handelns?
Antworten:
Einheitliches Vorgehen sollte sich nicht nur auf SKB, sondern auf alle
Einsatzkräfte beziehen. Man stößt natürlich an Grenzen, wo örtliche
78
Einsatzkonzeptionen an örtlichen Gegebenheiten ausgerichtet sind, was auch so
sein muss. Bei polizeilichen Maßnahmen als solche wären einheitliche
Regelungen wünschenswert.
Selbst als SKB ist manchmal nicht nachvollziehbar, warum man in der einen Stadt
in die Innenstadt darf und an dem anderen Standort nicht.
Wenn Gründe dafür vorhanden sind, sollten sie mitgeteilt werden. Sollten
transparent sein. Man erreicht bei der breiten Masse eine höhere Akzeptanz.
Themenkomplex 3: Einschätzung / Bewertung
Leitfrage 3:
Wie sieht aus Sicht eines SKB Ihre Prognose hinsichtlich der Entwicklungen
von Gewaltphänomen insgesamt und besonders im Zusammenhang mit der
Ultraszene kurz-/mittel-/langfristig aus?
Antworten:
In Leverkusen kurz-/mittel-/langfristig keine Zunahme an Gewalt, was der guten
Zusammenarbeit aller Institutionen, insbesondere auch mit dem Verein
zugeschrieben wird, die den Ultra zwar als Kunden betrachten, aber polizeilichen
Ratschlägen aufgeschlossen gegenüberstehen. Szene steht somit unter guter
Beobachtung alle Seiten.
Verschiebung in untere Ligen:
Ist in Leverkusen kein Problem. Meist der Situation geschuldet, dass es sich um 1.
Mannschaften handelt, wie auch beim festzustellenden Ost/West-Gefälle, wo auch
bedingt durch 1. Mannschaften ein höheres Zuschauerinteresse herrscht.
Darüber hinaus liegen Gründe in der baulichen Ausstattung der Stadien, im
Ordnerdienst und überhaupt in den finanziellen Möglichkeiten der unterklassigen
Vereine (Bsp. VfL Leverkusen, die sportlich zwar in die neue NRW-Liga
aufgestiegen sind, aber aus finanziellen Gründen die erforderlichen baulichen
Auflagen nicht erfüllen können).
Weiteres Beispiel ist die Anzahl der Ordner. In Leverkusen sind es ca. 400 pro
Spieltag. Ist bei unterklassigen Vereinen bei 7,- € Stundenlohn und 6-8
Arbeitsstunden gar nicht leistbar.
79
Intern muss man auch sagen, dass 1. Liga auch „1. Liga Polizei“ bedeutet und
ohne es böse zu meinen, 4-5 Liga auch „4-5 Liga Polizei“ heißt. Die Kollegen
sind auf die besonderen Gewaltphänomene gar nicht eingestellt, werden
überrascht, können damit gar nicht umgehen. Hier ist auch Optimierungsbedarf
hinsichtlich Fortbildungen vorhanden.
Polizeiliche Einsatzbelastung:
Die Mannstunden in Leverkusen pro Saison liegen im Durchschnitt bei 17.000
Stunden; enormer Kostenfaktor; die Stunden sind teilweise von auswärtigen
Kräften zu leisten; riesige Belastung.
Im Moment wird es nicht weniger; wird eher mehr, auch abhängig von sportlichen
Gegebenheiten (z. B. durch den Aufstieg von Köln).
Leitfrage 3a:
Hat sich die Fanarbeit in Leverkusen/Deutschland Ihrer Meinung nach
bewährt oder sehen sie vor dem Hintergrund der steigenden Aggressivität
und
der
besonderen
Ultraproblematik
Ansatzpunkte
oder
Optimierungsmöglichkeiten?
Antworten:
Fanarbeit hat sich in Leverkusen eindeutig bewährt. Festgemacht am Beispiel der
neuen Stadionverbotsrichtlinien. Hier hat der DFB nun eine Idee übernommen,
die in Leverkusen vor ca. 4-5 Jahren geboren wurde und zwar das Absolvieren
einer Bewährungszeit. Ein bundesweit ausgesprochenes Stadionverbot kann
demnach verringert werden, wenn er die Hälfte abgebrummt, sich gebessert hat
und in einem Bewährungsprojekt der Fanarbeit mitwirkt (ähnlich dem Strafrecht).
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Leitfrage 3b:
In Italien ist die Gewalt im Fußball teilweise eskaliert. Es kam u.a.
zurückliegend zu den Todesfällen des Polizeibeamten Filipo Raciti, des Fans
Gabrielle Sandri und jüngst zu einem Todesfall eines Fans im Zuge eines
Busunfalls auf einer Auswärtsfahrt. Die Tragweite des Einflusses der
Ultraszene in Italien hat eine Dimension erreicht, die von einigen Autoren in
den Bereich der organisierten Kriminalität gerückt wird. Bitte führen Sie
aus, ob Sie italienische Verhältnisse in Leverkusen bzw. Deutschland für
denkbar halten?
Antworten:
Aufgrund internationaler, freundschaftlicher Kontakte zu einem Mailänder
Kollegen. Einige Mal auch dort tätig gewesen.
In Italien wird mit Ultras / Problemfans ganz anders umgegangen.
Keine Systeme der Fanprojekte, keine Verantwortlichkeit der Vereine, politische
Prägung. Polizeiliche Vorgehensweise überraschte schon.
Wie in den Medien aus Italien geschildert, wird es in Deutschland nicht für
möglich gehalten. In Leverkusen auf keinen Fall, auch aufgrund der guten
Zusammenarbeit.
Wenn es Standorte geben wird, wo jeder isoliert arbeitet, werden die Verhältnisse
anders als in Leverkusen sein, aber auch nicht wie in Italien, da man doch noch
ganz anders auf die Szenen eingeht.
Bei gemeinsamer Betrachtung des Problems ist es undenkbar.
Nachfrage zur Sinnhaftigkeit der Datei Gewalttäter Sport in Zusammenhang
mit den Stadionverbotsrichtlinien
Antworten:
Datei Gewalttäter Sport:
Vom Namen her nicht als glücklich, als solche aber als sinnvoll erachtet.
Richtlinien von 1994 müssten angepasst werden. Vielfach wird dahinter vermutet,
dass dort nur Hooligans aufgeführt sind, so ist es nicht, es befinden, sich auch eine
Vielzahl weicher Daten darunter.
Bsp: Manuel Neuer, Torwart von S04. Wurde vor ca. 3 Jahren in Leverkusen als
noch normaler Fan beim Abbrennen eines bengalischen Feuers auffällig und
81
wurde daher, weil es auch keinen Ermessensspielraum gibt, in die Datei durch
mich aufgenommen.
Am Donnerstag der letzten Woche (also der 19. Juni) fuhr Herr Neuer gemeinsam
mit Freunden per Auto in die Schweiz, um das Länderspiel der deutschen
Mannschaft zu sehen und wurde nach Überprüfung 4 Stunden an der Grenze
aufgrund des Eintrags festgehalten.
Hier besteht sicher Optimierungsbedarf, der aber auch von mir nicht deutlich
formuliert werden kann.
Für Kollegen auf jeden Fall sinnvoll für eine vernünftige Lageeinschätzung, da es
zumindest zeigt, dass derjenige mal im Zusammenhang mit Fußballspielen
auffällig geworden ist.
Stadionverbote:
Kritisches Schreiben der ZIS an den DFB bekannt; kritische Haltung kann in
einigen Punkten geteilt werden; nicht was die Dauer betrifft.
Höchstmaß von 5 Jahren, auch wenn nicht für jeden Anlass verhängt, ist fast
höher als jede gerichtliche Strafe. Eine Verringerung daher sinnvoll in
Verbindung
mit
Bewährungsmöglichkeiten,
zumal
es
auch
ein
rein
privatrechtliches Instrumentarium ist. Polizei hat nur Mitteilungspflicht; Rest ist
dem Hausherrn überlassen, was die Polizei dann auch tun sollte.
Nachfrage zur Gewalt in Deutschland anlässlich der EM 2008:
Antworten:
Jubelfeiern fanden fast jeden Tag statt, Polizei hatte sich auch darauf vorbereitet.
Eindruck ist, dass es mittlerweile bei jedem Sieg gemacht wird und nicht mehr
wie früher bei Titelgewinnen. Eigentlich mit einer Ausnahme des Spiels BRDPolen sehr friedlich, wobei es sich hier auch nur um Streitigkeiten zwischen
Einzelpersonen handelte.
Der Knaller kommt aber erst am Mittwoch mit dem Spiel BRD-Türkei. Danach
wird man sicherlich ein Fazit ziehen können.
Im Gespräch nach der Aufnahme: Personal wird für Mittwoch aufgestockt.
Andere Tage wurden in Gruppenstärke gefahren, da meist nur Verkehrsprobleme
82
zu erwarten waren und auch auftraten, sodass mal eine Straße gesperrt werden
musste. Mittwoch wird das Personal verdoppelt.
Anmerkung nach dem Interview:
Kategorisierung der EU in Risk und Non-Risk-Fans wird für den Einsatzverlauf
eindeutig befürwortet. Es kann kaum jemand den B-Fan genau erklären bzw.
einteilen. Die Einsatzkräfte müssen auch nur wissen, mit wem kann ich Probleme
bekommen und wo halten sich die Personen auf. Später nach Einsatzende können
die SKB die Feststellungen „auseinanderpflücken“ und Kategorisierungen nach
A-C vornehmen.
83
1.8 Experteninterview 8: Herr Spahn
Datum:
03.07.2008
Länge:
57:35 Minuten
Leitfrage 1:
Skizzieren Sie bitte eingangs kurz die Zielsetzungen und wesentlichen
Tätigkeitsfelder
eines
Leiters
Prävention
&
Sicherheit
/
Sicherheitsbeauftragten beim DFB.
Antworten:
Kurz zusammengefasst bin ich zuständig für alle Sicherheitsfragen, die den
deutschen Fußball betreffen. Operativ für die Kompetenz Richtlinien und
Vorschriften zu erlassen für die 1-3 Liga und neu für die dreigeteilte Regionalliga.
Hier ist der DFB zuständig für die Sicherheit, obwohl die 1. und 2. Liga in die
DFL eingebunden sind.
Darüber hinaus gibt es 26 regionale Landesverbände, also ein föderales System,
die logischerweise an die Richtlinien und Satzungen des DFB gebunden sind, aber
nicht im Bereich Sicherheit. Ab Oberliga spielen die regionalen Verbände ihre
Staffeln und den Amateurfußball nach eigenen Richtlinien, aber nach den großen
Richtlinien
des
DFB.
Sie
erlassen
aber
eigene
Sicherheitsrichtlinien,
Spielordnungen und Spielausschüsse, etc., aber nach den klassischen Regeln des
DFB. Der Bereich Prävention, also die Arbeit mit den Fanprojekten, der KOS
läuft zentral über meine Abteilung Prävention und Sicherheit.
Der zweite Bereich ist die Funktion des Sicherheitsbeauftragten. In jedem
Fußballverband muss es einen geben. Wer also Mitglied in der UEFA/FIFA sein
will, muss namentlich einen Sicherheitsbeauftragten benennen. Daraus ergibt sich
auch der Aufgabenbereich, nämlich die Pflege und der Ansprechpartner für alle
internationalen Fragen, Sicherheitsfragen, Stadionbau, internationale Fanarbeit zu
sein. Zusätzlich die Abwicklung von großen Turnieren im Bereich Sicherheit. Die
Vorbereitung und Teilnahme an der Vorbereitung von Turnieren.
84
Leitfrage 2:
Die Saison 2007/2008 ist beendet. Wie fällt aus Sicht des DFBSicherheitsbeauftragten die abgelaufene Spielzeit aus? Beschreiben Sie dabei
aus Ihrer Wahrnehmung heraus, die derzeitige Gewaltsituation rund um den
Fußball in Deutschland und wenn es Ihnen aufgrund ihrer Funktion möglich
ist,
auch
darüber
hinaus.
Gehen
Sie
bitte
darauf
ein,
welche
Gewaltphänomene Ihnen bekannt geworden sind?
Antworten:
Man muss bei der Einschätzung der Situation von Gewaltphänomenen und
Kriminalität im Fußball sehr stark unterscheiden zwischen öffentlicher
Wahrnehmung und tatsächlichem Geschehen.
Festzuhalten ist, dass wir in den letzten 10 Jahren eine kontinuierliche Steigerung
von Straftaten in der 1. und 2. Liga, im Profifußball zu verzeichnen haben, aber
außerhalb der Stadien, also im Wesentlichen im Umfeld der Stadien, auf den
Bahnhöfen, Kneipen, auf den Anreisewegen insgesamt.
Innerhalb gab es eigentlich keinerlei Vorkommnisse mit kleinen Abstrichen, wie
in den Medien auch ganz stark berichtet, mit pyrotechnischen Problematiken,
angefangen bei Stuttgart-Karlsruhe, dann eskaliert bei Frankfurt-Nürnberg mit
den dementsprechenden Strafen, Spielunterbrechung, usw.. Das sind aber
Phänomene, die es in der Vergangenheit auch, und vor 5-10 Jahren noch
verstärkter gegeben hat. Pyrotechnik spielt noch eine Rolle, aber nicht mehr die
große Rolle. Das Problem ist „händelbar“. Man will aber seitens des DFB ein
klares Signal setzen.
Mit den Urteilen, ich nenne mal Nürnberg 50.000 € und dem Hinweis auf
möglichen Punktabzug demnächst, hat auch in der Fanszene ein Umdenken
eingesetzt. Die Ultraszene in Nürnberg hat sich auch sofort von dem Vorfall
distanziert. Sie wollen auch keinen Schaden für den Verein. Sicherlich kann man
streiten, was besser ist: Prävention oder Repression. Wir haben viel gesprochen,
viel erklärt, viel Aufklärungsarbeit geleistet, aber ab und zu, muss man wie bei
kleinen Kindern zeigen, pass mal auf, die Platte ist heiß, und wenn du den Finger
drauflegst, verbrennst du dich. Und wenn die Platte dann nicht heiß ist, dann
versuchen sie es beim nächsten Mal wieder, das wäre bei den Gruppierungen auch
so.
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Die Verlagerung der Gewalt in untere Ligen, die immer mal angesprochen wurde,
ist in Teilbereichen tatsächlich vorhanden, nicht überall. Es gibt Unterschiede in
den regionalen Landesverbänden, auch abhängig von den Mannschaften, die dort
spielen. Wenn Traditionsvereine, wie Lok. Leipzig, Saarbrücken, Darmstadt sich
plötzlich in der Oberliga oder darunter wiederfinden und bei Auswärtsfahrten
trotzdem 2.000 Fans in die Stadien mitbringen, die sonst in der Spitze 150
Zuschauer haben, wird es schon mal schwierig. Die problematischen Fans nutzen
dann die Mängel aus, die Mängel in der Infrastruktur, in der polizeilichen
Erfahrung, Mängel keinen professionellen Ordnungsdienst zu haben.
Deswegen gibt es Situationen, die eskalieren und medial transportiert werden,
aber deswegen zu sagen, es gibt eine komplette Verlagerung der Gewalt in untere
Liga, kann man so auch nicht stehen lassen. Obwohl es auch klar ist, dass viele 2.
Mannschaften von Profiklubs, die in der Regionalliga oder 3. Liga spielen, auch
sicherlich problematisches Fanklientel anziehen, insbesondere die, die auch mit
Stadionverbot belegt sind. Die sagen sich, da falle ich weniger auf und habe
trotzdem noch etwas Fußball. Die verhalten sich in der Regel absolut ruhig,
sodass es da, mit wenigen Ausnahmen, eigentlich keine Probleme gibt.
Verlagerung von West nach Ost ist gegeben, geben auch die Zahlen her, aber es
ist nicht so dramatisch, wie es in der Presse dargestellt wird. Natürlich haben wir
bei Dynamo Dresden, Lok. Leipzig, Aue, etc. besondere Herausforderungen,
insbesondere wenn sie nach auswärts fahren. Das bedeutet für den Heimverein
zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen, die werden angeschrieben, die Spiele werden
als
Risikospiele
eingestuft,
Reduzierung
der
Kartenkontingente,
mehr
Sicherheitspersonal, was natürlich auch mehr Kosten bedeutet. Mehr Ausgaben,
weniger Einnahmen. Die Begeisterung hält sich in Grenzen. Man hat dabei aber
verkannt, dass man das tun muss.
Wesentlich ist die Hemmschwelle zur Gewaltanwendung im Osten. Es gab zwar
jetzt auch den Vorfall mit dem Bochumer Ordner in Bielefeld. Aber das muss man
einem Polizeibeamten ja nicht erzählen. Wir haben in Deutschland jeden Tag
Gewalt in der Gesellschaft, Gewalt in der Familie, Körperverletzungsdelikte, etc.
Da kann so etwas natürlich auch mal am Rande eines Fußballspiels passieren. Es
ist bedauerlich, aber keine Eskalation der Gewalt, Verkettung unglücklicher
Umstände, eine Einzeltätergeschichte. Die Distanzierung der Bochumer Fans
zeigt dies auch.
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Die Hemmschwelle Gewalt zu überschreiten im Osten, ist bemerkenswert,
insbesondere auch die Aggression gegen PVB/Ordnungsdienste vorzugehen. Man
muss Phänomen aufmerksam beobachten, muss stringent dagegen vorgehen. Dem
Verband sind aber auch wieder schnell die Hände gebunden, nämlich, wenn es
sich nach außerhalb verlagert. Im öffentlichen Raum hat man dann relativ wenige
Möglichkeiten einzuschreiten, außer durch Fanarbeit, Prävention.
Das ist dann ein klassisches Feld, was die Polizei beackern muss.
Es kommt hinzu und das ist schwer zu greifen, wo Motivation liegt, dass es für
viele gewaltorientierte Fangruppierungen wichtig ist, sich medial richtig
darzustellen. Kann man im Internet nach den Spieltagen ablesen.
Eine breite Berichterstattung wird als Erfolg gewertet. Es werden Bilder gezeigt,
in YouTube eingestellt, eine Art Pressespiegel erstellt. Je mehr Berichterstattung,
um so größer ist das, was ich am Wochenende erreicht habe.
Und wenn ich 140 akkreditierte Berichterstatter und 4-5 Kamerateams bei einem
Spiel in der Oberliga oder Landesliga im Osten sehe, dann will ich zwar nicht
sagen, dass es die Leute motiviert, aktiv zu werden, Pyrotechnik abzubrennen
oder Schlägereien zu begehen, aber es trägt auch nicht dazu bei, es nicht zu tun.
Die Reporter tun ja auch einen Job und müssen was liefern.
Man sucht auch nach etwas. Spielt nicht unbedingt die Wirklichkeit wieder. Fans
werden gezielt angesprochen, um Szene des Jubels oder der Auseinandersetzung
zu stellen. Und dann wird darüber so berichtet, als wenn es überall im Stadion
gekracht hätte.
Ein wesentliches Problem der Wahrnehmung, dass es im Osten alles viel
schlimmer ist. Es ist nicht gut, aber auch nicht so schlimm, wie teilweise
dargestellt, dieses geben jedenfalls die Zahlen so nicht wieder.
Zusätzliche Anmerkungen außerhalb der Aufnahme:
Fußball ist Teil der Gesellschaft, nicht schlimmer oder besser.
Alle Beteiligten müssen sich als verlässliche Partner zeigen, seitens der Fans muss
auf einen Selbstreinigungsprozess gesetzt werden.
Verlässlichkeit und Transparenz bedeuten aber auch, dass auch die Polizei
differenzieren muss. Als Beispiel führe ich mal das Spiel Uerdingen gegen
Mönchengladbach II an, eine 70er Gruppe von MG-Fans ist geschlossen zum
Stadion gegangen. Es wurden seitens der Polizei Personalienfeststellungen
87
vorgenommen und später gegen alle ein Stadionverbot erlassen, obwohl
übereinstimmend
nach
Widerstandshandlungen
Auswertung
vorgenommen
aller
wurden,
Unterlagen
noch
weder
Passivbewaffnung
vorhanden war. Eine differenzierte Sichtweise ist wichtig. Nicht jeder der dunkel
gekleidet ist, wird Gewalt anwenden und muss mit Maßnahmen überzogen
werden. Es muss auch hier ein Umdenken einsetzen. Erfahrungen prägen, wie bei
der ZIS auch, zwar ein Bild und dieses ist nicht immer positiv, gerade, wenn man
immer die schlechten Beispiele auf den Tisch bekommt. Aber wenn es bei 80.000
Spielen an den Wochenenden insgesamt und bei fast 600.000 Besuchern nur in
den oberen Ligen zu insgesamt 10-20 Vorfällen kommt, dann sind die zwar auch
zu viel, aber im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Bereichen sehr gering.
Leitfrage 3:
Obwohl die reinen Zahlen der ZIS dies nicht ohne Weiteres belegen und eine
Verschiebung der Gewalt eher an der Klassenzugehörigkeit traditionsreicher
Klubs mit entsprechendem Fanpotenzial festgemacht wird, wird in den
Medien häufig davon gesprochen, dass sich die Gewalt in untere Ligen
verschiebt. Dies wird neben Zuschauerverhalten auch an einer Steigerung
von Ausschreitungen zwischen Spielern, Spieler/Schiedsrichter usw. auf
Plätzen unterer Spielklassen festgemacht, was größtenteils mit dem
Ansteigen von Spielabbrüchen und Spruchkammersitzungen einhergeht.
Häufig werden auch ethnische Unterschiede als Ursache genannt. Wie fällt
Ihre Einschätzung dazu aus?
Antworten: (Teilweise schon in Frage 2 mitbeantwortet)
Ja das stimmt so, das belegen auch die Zahlen, die uns gemeldet werden. Wir
erheben seit einem Jahr ein sogenanntes Lagebild. Wir werten alle Urteile der
Spruchkammern aus und schauen wo liegen die Schwerpunkte. Festgestellt wird,
dass die Hemmschwelle Gewalt anzuwenden, auch Gewalt, die schwerwiegende
Folgen hat, absinkend ist. Häufig sind auch Mannschaften mit unterschiedlichen
Ethnien beteiligt.
Wir versuchen, durch die Einsetzung von Integrationsbeauftragten und
Schulungen für Aufklärung zu sorgen. Wissen muss transportiert werden, dann
kann das Verständnis sich eher entwickeln, warum der eine oder andere „übliche“
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Spruch auf dem Fußballplatz, der bei dem ausländischen Mitbürger zu Reaktionen
führt, weil man sich beleidigt fühlt, bei uns eher abgetan wird.
Es wird bei allem was wir tun, nicht dazu führen, dass wir einen gewaltfreien
Fußball haben werden.
Bei der Sportgerichtsbarkeit ist es ja die Besonderheit, dass neben der normalen
Gerichtsbarkeit bei Körperverletzungen oder so noch eine zweite Stelle, das
Verhalten diszipliniert.
Alles spiegelt aber das wieder, was wir in anderen gesellschaftlichen Bereichen
auch erleben.
Beim Männerfußball, Frauenfußball ist eher noch unauffällig, treffen sich 22
häufig
heranwachsende
Männer
oder
Jugendliche,
wo
in
dem
Entwicklungspotenzial schon eine gewisse Gefahr liegt, die sich aber auch in
Discos, auf Unigeländen oder so zeigt.
Beim Fußball kommt noch die Bündelung des Konkurrenzkampfes dazu. Sieg
oder Niederlage, das besser sein fördert Aggressionen, die beim Fußball besser
ausgelebt werden können. Wenn dann noch eine Beleidigung oder so
hinzukommt, dann sind beim Fußball die Rahmenbedingungen optimal für
Gewalt. Gewalt herrscht nicht, weil es Fußball gibt, sondern der Fußball bietet
Bühne. Hätte man den Fußball nicht, würde sich das Ventil woanders entladen.
Ich glaube, dass der Fußball kein besonderes Problem mit Gewalt hat. Er hat
damit genauso ein Problem, wie jede andere gesellschaftliche Schicht und Form
auch und beim Fußball wird es besonders augenfällig.
Der Fußball hat große Möglichkeiten Einfluss zu nehmen. Trainer, Betreuer haben
eine große Macht an die Spieler bestimmte Werte und Verhaltensweisen, wie den
Fair-Play-Gedanken,
die
Wichtigkeit
von
Integration
und
Miteinander
weiterzugeben.
Gerade in unteren Mannschaften spielt Gewalt ja keine Rolle, da spielen Jungs
und Mädchen zusammen oder schon mal bis zu 10 Nationen in einer Mannschaft.
Umso näher man ans Erwachsenenalter herankommt, umso mehr kommen die
Probleme, z. B. ab B/A-Jugend, wo auch der Leistungsgedanke hinzukommt, wo
Vereine gewechselt werden, weil Leistungsstärke nicht mehr ausreicht oder ein
türkischer oder griechischer Spieler sich eher mal einem türkisch oder griechisch
geprägten Verein anschließt. Im sportlichen Eifer kommt es dann bei dem einen
89
oder anderen Wort, was da nicht hingehört, mal zu so einer Situation. Aber so
etwas habe ich fast jeden Abend in der Frankfurter Innenstadt, wo z. B. Türsteher,
Leuten einer anderen Nationalität sagen, du kommst hier heute nicht rein, oder
ähnliches und es daraufhin zu Auseinandersetzungen kommt.
Ich würde es nicht als Fußballproblem klassifizieren. Ich würde es als Brennglas
sehen. Die Probleme, die sich in der Gesellschaft ergeben, sehe ich beim Fußball.
Anmerkung: Antwort nach Frage um Herausgabe des Lagebildes:
Der DFB möchte das Lagebild noch nicht herausgeben, da die Qualität und
Quantität der Meldungen aus den Regionalverbänden in der Anfangsphase noch
zu unterschiedlich war, sodass man noch nicht von einem verlässlichen Lagebild
sprechen kann. Als erste Prognose kann gesagt werden, dass wir ein Problem
haben, aber es nicht riesig ist.
Leitfrage 4:
Seit einigen Jahren ist die Ultrabewegung in den Mittelpunkt fansicherheitspolitischer Debatten geraten. Neben leidenschaftlichem Support
wird vorrangig von der Polizei, aber auch von anderen Institutionen eine
gesteigerte
Gewaltbereitschaft
und
Aggressivität
beobachtet.
Eine
Zusammenarbeit und Kommunikation wird durch die Ultras meist völlig
abgelehnt oder gestaltet sich sehr schwierig. Polizei, Verbände und die
Medien werden als Feindbilder bezeichnet. Selbst Fanbeauftragte oder
Fanprojekte kommen vereinzelt nicht mehr ohne Weiteres an die Ultras ran.
Stimmen sie den Wahrnehmungen zu? Erläutern Sie bitte, wie Sie die
Ultraproblematik und die Zusammenarbeit zwischen Ultras und dem DFB
sehen.
Antworten:
Die Wahrnehmung ist in Teilbereichen sicherlich korrekt. Das Problem ist, dass
bestimmte Ultragruppierungen sich allein schon dadurch definieren, ein Feindbild
haben
zu
müssen.
Es
macht
relativ
wenig
Sinn,
mit
inhaltlicher
Überzeugungsarbeit diese Ultragruppierungen umzustimmen. Die Masse der
Vernünftigen muss erreicht, ein Selbstreinigungsprozess angesteuert werden. Es
sind gerade die kleineren Gruppierungen, die sich dadurch definieren, gegen
Verband, Polizei, Verein, Kommerzialisierung von Fußball, Vermarktung und
90
Regulierung zu sein. Sie fordern Freiräume, weil sie sagen, dass sie diejenigen
sind, die die Vereine zu dem machen, was sie sind und daher auch den Support
machen, wie sie es wollen.
Sie
sind
auf
dem
Irrweg.
Fußball
findet
so
statt.
Vereine
sind
Wirtschaftsunternehmen. Zuschauer zahlt Geld, um es zu sehen, wie im Theater.
Das akzeptieren Ultras nicht, weil sie sagen, Fußball ist anders.
Zielrichtung muss sein, ihnen die Feindbilder zu nehmen. Das kann ich nur, wenn
ich mich korrekt verhalte, keine Angriffsfläche biete. Sicherlich bei Anstoßzeiten,
TV-Vermarktung, etc. können sie sich weiter aufregen. Wenn ich mich aber als
Polizei, Verband korrekt verhalte, Stichwort Stadionverbote und plötzlich keine
Angriffsfläche biete, da ich die Maßnahme nicht willkürlich treffe, sondern
transparent, einzelfallbezogen anwende, lässt der Gedanke auch bei den Ultras
nach.
Auch die Polizei hat scheinbar einen Umdenkungsprozess eingeleitet, wie man
z. B. bei Hannover mit den Konfliktbeamten sieht, wo Maßnahmen besonders
erklärt werden, wie man es früher schon aus dem Demonstrationsgeschehen
kannte. Polizei zieht sich vermehrt aus Stadion zurück und schon hat man kaum
noch ein Feindbild. Man hat es schon noch z. B. in unteren Ligen, wenn Polizei
einen Block räumt, weil ein Transparent weggeräumt wird. Aber auch hier wird
schon mehr auf Beweissicherung gesetzt. Wenn man so weiter vorgeht, wird man
einige erreichen. Sicherlich nicht alle, viele bleiben unerreichbar. Diese müssen
isoliert werden. Man muss ihnen den Spaß am Fußball nehmen, in dem die
anderen Zuschauer sagen, mit euch wollen wir nichts mehr zu tun haben.
Dieses Phänomen haben wir zurzeit bei der Nationalmannschaft. Celje und
Bratislava,
wo
diese
Problemgruppen
Ausschreitungen
gab.
Die
haben
da
eigentlich
waren,
keinen
wo
es
Spaß
erhebliche
mehr
zur
Nationalmannschaft zu gehen, da sie sagen, da sind ja nur noch Familien, Frauen,
Kinder, die auch noch die Merchandising-Artikel kaufen, das ist nicht mehr meine
Welt. Früher konnten sie sich noch im Block zelebrieren, was heute nicht mehr
geht. Richtig so, alle Karten werden trotzdem verkauft, Stimmung ist super und es
gibt kaum Probleme. Dies muss bei den Vereinen auch gelingen.
Das geht aber nur, wenn man verlässlich ist. Als ehrlicher Partner auftritt.
91
Zusätzlich ohne Aufnahme:
Es wird zudem helfen, wie es auch in Nürnberg und bei Vorfällen in Rostock
gemacht wurde, die verhängten Strafen 1:1 an den Verursacher weiterzureichen,
ihn in Regress zu nehmen. Wenn man dies in die Fanszene transportiert, wird es
auch abschrecken, zumal auch der soziale Druck, was sagt z. B. meine Frau, wenn
ich 1.500 € bezahlen muss, weil ich Pyrotechnik abgebrannt habe.
Auch Polizei muss immer schauen, was ist mir die Maßnahme wert. Kündige ich
wie z. B. bei dem Spiel Frankfurt-Nürnberg angedacht an, dass der Block geräumt
wird, wenn weitere Kanonenschläge abgefeuert werden. Bringt mir das was oder
setzt man eher auf Beweissicherung. Auch ein Spielabbruch kann mehr schaden,
als nützen. Zudem hat eine sicherheitsinterne Überprüfung beim DFB ergeben,
dass er wegen dieser Verstöße auch fraglich gewesen wäre.
Leitfrage 5:
Was hat der DFB bereits getan und was können die internationalen und
nationalen Institutionen und Fußballverbände, vorrangig der DFB tun, um
den Gewaltphänomenen im Fußball insgesamt und insbesondere im
Zusammenhang mit der Ultrabewegung entgegenzuwirken?
Gehen Sie bitte dabei auch darauf ein, ob Sie die vorhandenen Regelungen
und Richtlinien für ausreichend und aktuell genug erachten.
Antworten: (Teilweise schon beantwortet)
Eine Zusammenarbeit und Kommunikation mit den Fans/bereits getroffene
Maßnahmen:
- Fankongress in Leipzig
- diverse Gesprächszirkel
- Expertengruppe Länderspiele, ausschließlich aus Fanvertretern besetzt
- AG Fandialog, mit 7-10 Fanvertretern unterschiedlicher Gruppierungen besetzt
- Anpassung der Richtlinien zum Stadionverbot
- Entwicklung einer Musterstadionordnung
- Installation von Fanbeauftragten in jedem Verein
- mittlerweile 40 Fanprojekte
- Fanbeauftragter bei der DFL, also eine Anlaufstelle für Fans (logischerweise hat
hiermit auch der DFB einen Fanbeauftragten, da es in Personalunion
wahrgenommen wird; ein weiterer ist nicht notwendig)
92
- regelmäßige Treffen zwischen DFB/DFL, um sich abzustimmen
Alle Gespräche/Maßnahmen werden gemeinsam mit der DFL durchgeführt.
Das NKSS wird zurzeit überarbeitet. Maßnahmen sollen auf untere Ligen
übertragen werden. Das 1992/1993 entwickelte Konzept hat die Hooligans im
Fokus, die ein Auslaufmodell darstellen. Das neue Konzept muss die
Ultraproblematik in den Vordergrund rücken. Wird für technisch-organisatorische
Abläufe, strukturelle Abläufe und taktisches Vorgehen keine großen Unterschiede
bringen. Jedoch hat sich seit 1992/1993 einiges getan. Wir haben eine veränderte
Fansituation, Fanzusammensetzung, verändere Polizei, Modelle und Vereine.
Anpassung macht Sinn. Wir haben auch andere Stadien, die gewaltbereites
Verhalten kaum noch zulassen.
Nachfrage nach konkreten Änderungspunkten im NKSS/Stadionverbote:
Örtliche Ausschüsse sollen zwingend gemacht werden. Eine Anpassung der
Fanprojektarbeit, was die materiellen und personellen Rahmenbedingungen
betrifft, soll erfolgen. Dann wird es im Bereich "Empfehlungen an die Vereine",
wie z. B. die Zusammenarbeit mit der Polizei auszusehen hat, sicher die ein oder
andere Veränderung geben.
Beim heiß diskutierten Thema Stadionverbot wird es sicher keine weiteren
Zugeständnisse geben, wobei ich die Anpassung nicht als Zugeständnis werte.
Wir haben Formulierungen klarer gefasst, um einer willkürlichen Anwendung der
Richtlinien Einhalt zu gebieten. Es wurde reingeschrieben, dass wenn ein
Fehlverhalten festgestellt wird, der ganze Fall betrachtet werden muss. Es muss
dann mit Polizei, Ordnungsdienst, eventuell mit dem anderen Verein mal
gesprochen werden und der Betroffene ist halt anzuhören.
Ich weiß, dass die Forderung der Polizei meist eine andere ist, nach dem Motto
was soll der Aufwand. Wir bewegen uns aber immer noch in einem Rechtsstaat.
Wenn dann gesagt wird, es handelt sich um eine privat-rechtliche Maßnahme,
dann muss ich auch sagen, dann haltet euch da raus. Wenn man es aber
gemeinsam machen will, dann muss man sich an bestimmte Regularien halten.
Auch hinsichtlich der Reduzierung der Dauer von 5 auf 3 Jahre sehe ich es nicht
so kritisch. Es mag vielleicht ein Zugeständnis sein, aber ein symbolhaftes. Von
Zeit zu Zeit muss ich mich auf die andere Seite zu bewegen, wenn ich was
erreichen will. Man muss dieses Zugeständnis natürlich mit Forderungen
93
verbinden und das Verhalten der Szene intensiv beobachten. Sollte das
Zugeständnis nicht angenommen werden, muss man wieder zur alten
Verfahrensweise zurückkehren.
Die Szene hat es auch begriffen. Ein Wandel hat eingesetzt. Verfahren wurde
eigentlich nur deutlicher beschrieben.
Es gibt Sicherheitsrichtlinien der UEFA und der FIFA, die aber sehr abstrakt sind.
Beide sind aber im Wesentlichen durch den DFB mitinitiiert worden. Der
ehemalige Generalsekretär Horst R. Schmidt hat sie mehr oder weniger 1:1 in die
damalige Kommission eingebracht, sodass sie von der Intention auf jeden Fall
deckungsgleich sind, wenn auch abstrakter.
Im Bereich Rassismus fahren sie eine stringente Linie. Die Paragrafen sehen vor,
dass bei rassistischen Sprüchen und 2-3 maligem Ansprechen ein Spielabbruch
droht. Die UEFA und FIFA sind weit fortgeschritten, man muss aber auch sagen,
dass sich einzelne Ideen in der Realität nur schwer umsetzen lassen. Die Urteile
der UEFA und FIFA sind sehr pauschal. Bei Verstößen der Fans in
internationalen Spielen wird der Verein verantwortlich gemacht, bedingt
natürlich, dass die Vereine es akzeptieren, was sie auch machen. In Deutschland
gilt auch die verschuldensunabhängige Haftung des Vereins für seine Fans. In der
Bundesliga schauen wir aber auch, was tut der Verein denn für die Sicherheit,
Aufklärung, etc.. Wenn er was tut, muss es sich auch im Urteil positiv
wiederfinden.
Bei den internationalen Verbänden ist es natürlich schwierig alle Ideen
flächendeckend umzusetzen, da die Rahmenbedingungen in den Mitgliedsstaaten
zu unterschiedlich sind.
Im Rassismus ist es natürlich was anderes, da sollten wir uns auch nicht
auseinanderdividieren lassen.
Leitfrage 6:
Wo sehen Sie neben der Arbeit des DFB und seiner Verbände
erfolgskritische Faktoren, um Gewaltphänomene insbesondere in Bezug auf
die Ultrabewegung zu minimieren? Wo sehen Sie Optimierungspotenzial?
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Antworten:
Teilweise schon angesprochen. Alle Beteiligten müssen die Fanprojektarbeit
stärken. Man muss in einen Dialog treten und verlässlich diskutieren.
Es war ja schon ein Erfolg, das man überhaupt redet. War ja auch früher beim
DFB undenkbar, sie zu sich einzuladen und sich alles vorurteilsfrei anzuhören.
Der DFB-Präsident trifft sich alle 4 Wochen mit Fanvertretern, ohne Beisein von
Abteilungsleitern, weil er ein Feeling aufnehmen will. Das kommt draußen
natürlich auch an. Die Fans sehen, man nimmt uns ernst, als gleichwertigen
Partner wahr, und wenn was vereinbart wurde, wird es auch eingehalten.
Einheitliche Standards was Polizei betrifft sind wünschenswert, war ja auch
unsere Philosophie bei der WM 2006. Sind im föderalen System aber schwierig,
weil andere Mentalitäten und Strukturen in den Bundesländern vorherrschen, die
man auch nicht ohne weiteres geändert bekommt.
Was man aber erreichen kann, wären einheitliche Vorgaben und Richtlinien, wie
man Spiele abwickeln sollte, wie die Aufgaben der Polizei sind. Das kann auch
mit
unterschiedlichen
Philosophien
verwirklicht
werden,
ebenso
beim
Ordnungsdienst, wo es ja schon gewisse Vorgaben gibt, trotzdem arbeiten alle
etwas anders. Fanbeauftragten gibt es schon, Fanprojekte soll es geben, wo sie
erforderlich sind. Ein Fan-Kodex soll auch eingeführt werden. Derzeit gibt es eine
AG beim DFB, die sich mit dem Thema beschäftigt. Als Beispiel kann der Kodex
von St. Pauli angeführt werden, der den Auswärtsfans gestattet, sämtliche
erlaubten Gegenstände (Fahnen, Trommeln, Doppelhalter, etc.) mit ins Stadion zu
nehmen und nicht irgendwie zu begrenzen. Es muss nur vorher gesagt werden,
was man mitbringt. Sollte jedoch jemand im Schutz der Fahnen zündeln o.ä.
dürfen die Fans in den nächsten 5 Jahren nichts mehr mitbringen. Wird sehr
positiv von den Fans bisher aufgenommen und das Vertrauen nicht missbraucht.
Ein Ehren-Kodex kann dazu führen, dass die Fans sich auf Auswärtsfahrten
genauso verhalten, wie zu Hause.
Möglichkeit wäre auch die Erstellung eines Leitbildes, wo einzelne Fans oder
Gruppen Grundwerte einfach mal ausformulieren. Man kann, wie bei der Polizei
vor einigen Jahren, sicher über Sinn und Zweck streiten, aber die Teilnahme an so
einem Prozess kann sicherlich zu einem Umdenken bei dem ein oder anderen Fan
führen.
95
Alle Maßnahmen können helfen, werden aber auch nicht dazu führen, dass wir
nur noch friedliche und gewaltfreie Fans haben.
Leitfrage 7:
Wie sieht Ihre Prognose hinsichtlich der Entwicklungen im Fanverhalten
allgemein und des Ultraphänomens im Besonderen kurz-/mittel-/langfristig
aus? Geben Sie diesbezüglich auch eine Einschätzung über die Entwicklung
von Gewalteskalationen ab.
Antworten:
Ich glaube, dass es in der BRD bestimmt eine Handvoll sehr kritische
Ultrabewegungen gibt, wo wir sehr genau aufpassen müssen, dass die Situation da
nicht außer Kontrolle gerät. In der Masse ist aber eine positive Entwicklung
festzustellen. Es wird immer von italienischen Verhältnissen gesprochen, ich
glaube, da sind wir weit von weg.
Man darf nicht immer sagen, das kann bei uns nicht passieren, sondern man muss
Entwicklungen frühzeitig erkennen. Wir erkennen sie Frankfurt, wir haben sie
auch erkannt in Dortmund und Gelsenkirchen, nur um mal drei zu nennen. Da
müssen wir mit dem Verein, mit dem Geschäftsführer, mit dem kompletten
Umfeld, mit den Fanbeauftragten, aber auch mit dem Ultraführer in Kontakt
treten. Man muss ihnen sagen, dass bestimmte Dinge nicht gehen und wenn sie
für den Verein sein wollen, sie bestimmte Rahmenbedingungen beachten müssen.
Im Gegenzug gestattet der Verein ihnen etwas. Aber Druck auszuüben, nach dem
Motto: „Wenn du uns bestimmte Freiräume nicht bietest, werden wir dich als
Verein schädigen“, geht nicht. Es gibt z. B. Forderungen nach bestimmten
Kurvenplätzen, Kartenkontingenten verbunden mit der Drohung, ansonsten zeigen
wir dir mal, was wir können und fahren auswärts mit, werfen Pyrotechnik aufs
Spielfeld, etc. und du -Verein- musst die Geldstrafen zahlen und Punktabzug
hinnehmen. Wird so deutlich nicht gesagt, aber die Macht wird suggeriert.
Wir als Verband müssen aufpassen, dass wir mit der Sportgerichtsbarkeit
verantwortungsvoll umgehen, um nicht plötzlich Steigbügelhalter für solche
Gruppierungen zu sein. Darum ist für mich die Beweissicherung und das
Überführen des Täters das wesentliche Mittel. Weil wenn ich eine Gruppierung
habe, wie in Rostock, die Subtras, die vom Verein ausgeschlossen waren, die dann
mit dem klaren Hintergedanken zu Auswärtsspielen fahren, um den Verein zu
96
schädigen, dann muss ich sensibler sei. Dann kann ich nicht immer den Verein
bestrafen. Wenn alle zusammenarbeiten, kann man solche Phänomene verhindern.
Beispiele in Italien, wo an Trainerentlassungen, etc. mitgewirkt wurde. Wenn wir
das hier nur im Ansatz sehen, müssen wir die Bremse treten.
Leitfrage 8:
In Italien ist die Gewalt im Fußball teilweise eskaliert. Es kam u.a.
zurückliegend zu den Todesfällen des Polizeibeamten Filipo Raciti, des Fans
Gabrielle Sandri und jüngst zu einem Todesfall eines Fans im Zuge eines
Busunfalls auf einer Auswärtsfahrt. Die Tragweite des Einflusses der
Ultraszene in Italien hat eine Dimension erreicht, die von einigen Autoren in
den Bereich der organisierten Kriminalität gerückt wird. Bitte führen Sie
aus, ob Sie italienische Verhältnisse in Deutschland für denkbar halten?
Antworten:
Schon in Frage 7 mitbeantwortet
Leitfrage 9:
Seit einigen Tagen ist auch die EM 2008 schon wieder passe. Internationale
Fußballspiele/Fußballgroßereignisse werfen nicht erst seit der Katastrophe
im Heysel-Stadion 1985 oder dem feigen Angriff deutscher Hooligans auf
Daniel Nivel im Jahr 1998 Sicherheitsprobleme auf. Sie waren bei der EM
2008 als Sicherheitsbeauftragter des DFB vor Ort. Wie fällt ihr
„Sicherheitsfazit“ über die EM 2008, insbesondere in Bezug auf deutsche
Fußballfans
aus?
Bitte
beziehen
sie
die
Erforderlichkeit
von
Vorfeldmaßnahmen mit ein.
Antworten:
Mein Fazit fällt durchgängig sehr, sehr positiv aus. Ich war, gerade wenn man,
wie ich, aus dem Bereich Polizei kommt, im Vorfeld schon etwas kritisch
eingestellt und hatte mit dem ein oder anderen Problem gerechnet. Nimmt man
mal das Spiel in Klagenfurt zwischen Deutschland und Polen heraus, hatten wir
null Vorkommnisse, außer natürlich mal alkoholbedingte Ausschreitungen
(Kneipenschlägereien), was auch ohne Fußball vorkommt.
97
Bei dem Polenspiel gab es 140-170 Festnahmen, eine präventive Geschichte. Aus
der Gruppierung, sicherlich von Einzelnen, wurde rechtsradikales Liedgut
gesungen. Sie wurden dann dementsprechend als Gruppe eingestuft.
In Klagenfurt war sehr viel Polizei auf der Straße, die Öffentlichkeit hatte fast
Angst auf die Straße zu gehen. Teilweise bedrückend. Beim Public Viewing
kamen auf 300 Zuschauer 800 Polizisten.
Vielleicht hat so eine Situation aber auch dazu beigetragen, dass die Information
Richtung Heimat getragen wurde und andere Gewaltbereite vom Kommen
abgehalten hat.
Man musste sich im Turnierverlauf schon ab und zu kneifen, und wir hatten ja
auch Kontakt zur ZIS, zur heimischen Polizei und haben zwei Tage vor den
Spielen
mit
den
Sicherheitsverantwortlichen
gesprochen
und
an
den
Sicherheitsgesprächen teilgenommen, dass das Lagebild am Spieltag immer eine
Nulllage hergab.
Es gab zwar mal Einreiseuntersagen von Personengruppen, auch die
Vorfeldmaßnahmen, wie Gefährderansprache, Ausreiseuntersagungen haben dazu
beigetragen, wie auch das Ticketing und Voucher System, die kontrollierte
Abgabe der Karten an organisierte Busreisen haben sicherlich zur Nulllage
beigetragen.
Einige Gegner wie Portugal und Spanien, da war schon seitens der Fans nichts zu
erwarten. Bei dem Türkeispiel hat man schon gedacht, jetzt könnte was passieren,
da hat natürlich auch die Presse mitgespielt und ein gemeinsames Fußballfest
propagiert, obwohl die türkische und die polnische Presse schon mal über das Ziel
hinausschießen. Unsere größte Tageszeitung und die Hürriyet haben sich
verbrüdert und gemeinsam gute Stimmung verbreitet.
Fazit kann positiver nicht sein. Ich hatte eigentlich nach der Vorrunde nichts mehr
zu tun. Nachdem ich vielfach sagen konnte, dass alles friedlich ist, ließ das
Presseinteresse nach.
98
Leitfrage 10:
Die Hooligans sind zahlenmäßig rückläufig, die Ultras sind vereinsfixiert und
haben sich bislang noch nicht groß für die Nationalmannschaft interessiert.
Wird diese Entwicklung anhalten und wird es zukünftig weniger Gewalt in
Zusammenhang mit Spielen der Nationalmannschaft geben? Worauf wird es
nach Ihrer Sicht ankommen?
Antworten:
Entwicklung wird anhalten, da sich die beiden genannten Phänomene intensiv
weiter entwickeln werden. Der Hooliganismus im klassischen Sinne ist rückläufig
und Ultras sind vereinsfixiert und nehmen Nationalmannschaft als Verein so nicht
wahr.
Es gibt den Fanklub Nationalmannschaft, mit mittlerweile 50.000 Mitgliedern, die
eigentlich keine Mitglieder sind, sondern man zahlt einen Betrag, um dabei zu
sein.
Fanklub wird von Ultragruppierungen kritisch gesehen, weil er zu steril ist und
sich nicht aus einer Szene heraus gebildet hat. Jeder Ultra kann gerne zu Spielen
der Nationalmannschaft kommen oder es auch sein lassen.
Die Fans der Nationalmannschaft haben während der EM mit ihren Choreografien
symbolisch Zeichen gesetzt.
Die Ultragruppierungen würden diese riesige Organisationsleistung in der kurzen
Zeit mit ihrem kleinen Ressourcen überhaupt nicht hinbekommen.
Die Zuschauerzusammensetzung bei Spielen sollte eigentlich so sein, wie sie bei
Länderspielen ist, nämlich Familien und Kinder, etc. Da macht es Spaß, jeder
fühlt sich sicher.
Man sollte sich auch nicht zu viele Gedanken machen, warum sich die Ultras
nicht für die Nationalmannschaft interessieren.
Weitere Bemerkungen nach dem Interview:
Fanprojekte müssen sich auch hinterfragen, auch die Mitarbeiter: Angefangen
vom Aussehen (Kleidung bei Besprechungen), sie bedienen teilweise alle
Vorurteile, wollen aber ernst genommen werden. Eine Zusammenarbeit geht nur
mit Vertrauen und Neutralität. 95 % der Ultras sind positiv.
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1.9 Experteninterview 9: Herr Gabriel
Datum:
03.07.2008
Länge:
65:36 Minuten
Leitfrage 1:
Skizzieren Sie bitte eingangs kurz die Zielsetzungen und wesentlichen
Tätigkeitsfelder der Koordinationsstelle Fanprojekte bzw. ihres Leiters.
Antworten:
Die KOS kann man als Dachorganisation der zurzeit 39 existierenden Fanprojekte
verstehen. Wir haben keinen direkten Zugriff auf die Fanprojekte, sondern sind
ein beratendes, begleitendes und unterstützendes Instrumentarium, um die Arbeit
der Fanprojekte zu unterstützen und zu verbessern. Deswegen hat ein Teil unserer
Arbeit
sehr
stark
mit
Fortbildung
zu
tun.
Konferenzen
und
Fortbildungsmaßnahmen für die Fanprojekte und für die Mitarbeiter der
Fanprojekte. Im zweiten wichtigen Teil kann die KOS als politisches
Unterstützungsinstrumentarium in die gesellschaftlichen Institutionen hinein
verstanden werden, in Richtung DFB, DFL und Politik. Die Arbeit der
Fanprojekte transparent zu machen. Als 3. Tätigkeitsfeld ist es die Fachstelle in
Deutschland für Fankultur und im weiteren die Möglichkeit für pädagogische
Maßnahmen im Rahmen der Fankultur. Ein weiterer Bereich, der sich immer
mehr herauskristallisiert und 1993 bei der Gründung noch nicht so gesehen wurde,
ist die internationale Zusammenarbeit. Fußball als globaler Sport, schon allein
dadurch, dass es Europapokalspiele, EM und WM- Spiele und das internationale
Transfergeschehen gibt.
Ein Tätigkeitsfeld, was bei der Gründung festgeschrieben wurde, war die
Fanbetreuung bei Länderspielen und beim Pokalendspiel. Wir sind gerade von der
EM 2008 zurückgekommen mit einem ganz umfassenden Fanbetreuungskonzept
zum größten Teil vom DFB finanziert, teilweise auch von der UEFA
teilfinanziert. Wir haben bei der WM 2006 in allen 12 Standorten die
Fanbetreuung organisiert. Ein Tätigkeitsfeld was enorm an Bedeutung
hinzugewonnen hat.
100
Leitfrage 2:
Die Saison 2007/2008 ist beendet. Wie fällt aus Sicht der KOS-Fanprojekte
die
abgelaufene
Spielzeit
aus?
Beschreiben
Sie
dabei
aus
Ihrer
Wahrnehmung heraus das derzeitige Fanverhalten insgesamt und die
Gewaltsituation rund um den Fußball in Deutschland und wenn es Ihnen
aufgrund ihrer Funktion möglich ist, auch darüber hinaus.
Antworten:
Ich mache es mal mit einer Verbindung zu Frage 1. Mit Einrichtung der KOS war
die Hoffnung verbunden, mit der Beratungstätigkeit in die Kommunen, Verbände,
Vereinen hinein, dass vermehrt Fanprojekte installiert werden. Bei der Gründung
1993 gab es 12 Standorte unter sehr prekären Bedingungen. Nun gibt es 39
Fanprojekte. Das kann man schon als Erfolgsgeschichte sehen. Ist auch ein Beleg
dafür, dass der Arbeitsansatz sich mehr und mehr etabliert hat und ist nicht mehr
so exotisch ist, wie früher.
Nach der WM 2006 war unsere Perspektive geprägt von der immer stärker
werdenden Unterstützung für diesen Arbeitsansatz und die Arbeit der Fanprojekte
sowohl
auf
politischer
als
auch
auf
verbandlicher
Ebene.
Mit
der
Präsidentschaftsübernahme beim DFB von Theo Zwanziger, und der damit
verbundenen
Ausrichtung,
auch
mehr
außersportliche,
gesellschaftliche
Verantwortung zu übernehmen, wurden die Fanprojekte nachhaltiger unterstützt.
Hat dazu geführt, dass nach der WM eine Reihe neuer Fanprojekte entstanden
sind und jetzt auch wieder 4-5 potenzielle Neubeginner anfangen können zu
arbeiten. Seit der WM hat sich unsere ureigenste Arbeit, nämlich Fanprojekte zu
installieren, positiv entwickelt.
Was das Fanverhalten anbetrifft, sind es mehrere Parameter, die betrachtet werden
müssen. Zum einen hat es in der 1. und 2. Liga zum 6. mal in Folge einen
Zuschauerrekord, wohl auch europa- und weltweit, gegeben, obwohl die Ligen
sportlich nicht so stark eingeschätzt werden, wie die in England oder Spanien. Es
muss also ungemein attraktiv sein, in Deutschland zum Fußball zu gehen. Es kann
also nicht gefährlich sein. Menschen müssen das Gefühl haben, sicher zu sein,
wenn sie zum Fußball gehen.
Da es sportlich nicht so attraktiv scheint, muss es noch andere Gründe geben und
da meine ich, dass auch die Anfeuerungskultur der Ultras dazu beigetragen hat.
Eine sehr positive Entwicklung.
101
Was wir noch beobachten, um auf die negative Seite zu kommen, ist die bei den
Ultras seit einigen Jahren, etwa 3-4 Jahren anhaltende Tendenz zur Unruhe und
Gewalt.
Die Ansprechbarkeit von Ultragruppierungen durch die Polizei lässt nach. Und
was wir noch wahrnehmen seit einigen Jahren ist das durch die Ultras klar
formulierte Feindbild in Richtung Polizei und Sicherheitsdienste allgemein. Nicht
bei allen Ultras, aber bei Teilen.
Leitfrage 3:
Spätestens mit den NKSS im Jahr 1992 wurde die Fanarbeit auf
professionellere Beine gestellt und „verpflichtend“ gemacht. Trotzdem
werden die Vorgaben nicht flächendeckend umgesetzt. Skizzieren Sie bitte
den derzeitigen Ist-Stand der Fanprojektarbeit in Deutschland und nennen
sie feststellbare Problembereiche.
Antworten:
Aus Sicht der Fanprojekte ist, nachdem das Land Sachsen ja im letzten Monat
eingestiegen ist, das Land Baden-Württemberg zu nennen, was keine Zahlungen
leistet. Im Vergleich zu 1993 ist die Situation aber, was die Finanzierung und
Akzeptanz der Fanprojekte anbelangt, befriedigend.
Trotzdem wird in Kommunen vielfach bei der Förderung das immense Potenzial,
das in den Fanprojekten liegt, nicht genügend wahrgenommen und gefördert.
Durch die große Kommunikationsleistung in alle gesellschaftlichen Bereiche
hinein haben die Fanprojekte ein Alleinstellungsmerkmal. Es gibt kaum einen, der
in alle Bereiche, wie Fanszene, Vereine, wie Polizei so unabhängig arbeiten und
argumentieren kann.
Die Kommunikationsleistung wird nicht genug Wert geschätzt, gerade in
Standorten mit den größten Ultragruppen, wie Frankfurt und Nürnberg, die die
meisten Themen zu behandeln haben, arbeiten die Fanprojekte mit 1,5 Mann in
prekären Bedingungen und es besteht die Gefahr, zu einer Alibi-Funktion zu
verkommen. Die Kommunen sich aus der Verantwortung entziehen, in dem man
darauf verweisen kann, wir haben ja ein Fanprojekt.
Beim NKSS ist das größte Defizit die örtlichen Ausschüsse Sport und Sicherheit.
Der Kern des NKSS ist die Zusammenarbeit/Kommunikation aller Beteiligter.
Das müsste sich in den Ausschüssen manifestieren, die es jedoch in den wenigsten
102
Standorten gibt und nicht gepflegt werden. Hier wären die Kommunen in der
Verantwortung sie einzurichten und am Leben zu halten. Deswegen ist die
Zusammenarbeit nicht eng und transparent genug. Hier gibt es bestimmt ein
großes Verbesserungspotenzial.
Auf Nachfrage ohne Aufnahme:
Neue FP in Braunschweig, Chemnitz, Kaiserslautern, Augsburg, Rostock,
Lübeck, (München wird wegen Bayern und München 60 durch die KOS immer
doppelt gezählt, obwohl so in den Jahresberichten nicht ausgeworfen, sodass es
manchmal zu abweichenden Zahlen kommen kann).
Beim BFC Dynamo Berlin soll in Kürze ein Sonderprojekt aufgelegt werden.
Leitfrage 4:
Seit einigen Jahren ist die Ultrabewegung in den Mittelpunkt fan- und
sicherheitspolitischer
Debatten
geraten.
Sie
zeichnet
sich
durch
leidenschaftlichen Support aus und erhält gerade von jugendlichen
Fußballfans einen erheblichen Zuwachs. Dem gegenüberstehend wird bei
ihnen vorrangig von der Polizei, aber auch von anderen Institutionen, eine
gesteigerte
Gewaltbereitschaft
und
Aggressivität
beobachtet.
Eine
Zusammenarbeit und Kommunikation wird durch die Ultras meist völlig
abgelehnt oder gestaltet sich sehr schwierig. Polizei, Verbände und die
Medien werden als Feindbilder bezeichnet. Selbst Fanbeauftragte oder
Fanprojekte kommen vereinzelt nicht mehr ohne Weiteres an die Ultras ran.
Stimmen sie den Wahrnehmungen zu? Erläutern Sie bitte, wie Sie die
Ultraproblematik sehen und wie die Zusammenarbeit zwischen Ultras und
dem Fanprojekten/KOS funktioniert.
Antworten:
Antwort bezieht sich mehr auf Fanprojekte, da die KOS nicht direkt mit Ultras
arbeitet. Man kann die Sicht nur verstehen, wenn man 10 Jahre zurückschaut, zum
Anfang der Ultrabewegung. Wir als KOS haben im Januar 2002 eine
Ultrakonferenz gemacht, wo wir über 40 Ultragruppierungen nach Frankfurt
eingeladen haben, um über Perspektiven zu reden, ihnen ein Forum zur
Verfügung zu stellen, dass sie miteinander reden können. Hintergrund war, dass
wir festgestellt hatten, dass auf Seiten von Vereinen, aber insbesondere auch der
103
Polizei ein großes Unwissen über die Ultras vorherrschte. Was sie ausmacht, wer
ihre Träger, was ihre Interessen und Ziele sind. Damals sind Beschwerden der
Ultras rasant gestiegen, dass sie von der Polizei behandelt würden, als seien sie
ein Gewaltproblem, was sie Anfang der 90er Jahre definitiv nicht waren. Sie sind
angetreten, um die Stimmung zu verbessern. Es gab zwar mal hier oder da
Tendenzen, mehr aber nicht.
Natürlich orientiert an Italien auch an den dortigen Umgang mit Pyrotechnik und
den Feindschaften. Sie haben aber bewusst gesagt, dass sie einen einheitlichen
Support haben wollen und auf die Politik, die in Italien maßgeblich ist und die
Gewalt verzichtet.
Was uns damals schon aufgefallen ist, dass die Szene entproletarisiert war. Es
waren viele Studenten, viele, die schon im Berufsleben standen in der Szene, die
sich gut artikulieren konnten und auch ein großes Bedürfnis an Kommunikation
hatten. Einer hat auch mal gesagt, dass sie die Hools verdrängt hätten und die
Polizei jetzt keinen Feind mehr hätte und das ganze Arsenal auf uns anwenden
würde. Aus Sicht eines jungen Ultras war die Perspektive nachzuvollziehen.
Unsere Intention mit der Konferenz war, die Kommunikation auch in die Vereine
zu bringen, da die auch nicht damit umgehen konnten. Bei der Konferenz ist auch
die Entscheidung für die Demo beim Pokalfinale 2002 in Berlin gefallen, die für
Fankultur, gegen Kommerz und Kriminalisierung hieß. 2.500 Teilnehmer, absolut
friedlich.
Viele Kommunikationsversuche, gerade mit den Vereinen, die immer an erster
Stelle zu nennen sind, da sie in der maßgeblichen Verantwortung stehen, sind
gescheitert, und nicht weil die Ultras nicht wollten, sondern weil die Vereine nicht
darauf reagiert haben. Auch die Polizei nicht, die ich aber bewusst erst an 2. oder
3. Stelle nenne, da sie einen anderen Auftrag hat. Sie hat keinen pädagogischen
Auftrag, jedoch auch die Verpflichtung sich sozialwissenschaftlich so zu schulen,
dass sie um die Szene weiß, welche Mechanismen von ihr ausgehen und welche
Reaktionen auf Aktionen folgen können. Aber andere sind eher in der
Verpflichtung.
Symbolisch kann man die Stadionverbotsdiskussion nennen. Hier sind auch die 3
Mitspieler im Boot. Es ist ein Instrument der Vereine, sie haben die
Verantwortung. Aber die Realität hat gezeigt, dass die Polizei es häufig als ihr
Instrument ansieht. Die Richtlinien haben es ja dann auch so vorgesehen, dass die
104
Vereine, wenn sie von einem Ermittlungsverfahren erfuhren, ein Stadionverbot
auszusprechen hatten. Es war nicht selten so, dass Fans subjektiv und objektiv zu
Unrecht bestraft wurden.
Dieser Umgang ist auch eine Kommunikation mit der Fanszene, oftmals die
einzige. Die Vereine dürfen sich nicht wundern, wenn sie die Fans abstrafen, sie
nicht anhören, dass keine Kommunikation mehr gesucht wird.
Hat auch sicher mit der Entwicklung zu tun, dass sich die Gruppen immer mehr
mit sich beschäftigen.
Ich wüsste keinen Standort, wo es keine Kommunikation zwischen Ultras und
örtlichem Fanprojekt gibt. Bei Gruppen um die 100 Personen gibt es keine
einheitliche Zielsetzungen. Es gibt die, die für Stimmung stehen, die für
Choreografien stehen und es gibt auch die, die dafür stehen, „was auf der Straße
abgeht“. Die Frage ist immer, wer die Hoheit gewinnt. Es ist festzustellen, dass
die, die sich später auch vermummen, zurzeit an Einfluss gewinnen.
Insgesamt,
vielleicht
von
1-2
Standorten
abgesehen,
funktioniert
die
Kommunikation super. Fanprojekt ist einzige Institution die Kommunikation
gewährleistet.
Leitfrage 5:
Was haben die KOS/Fanprojekte bereits konkret getan und was können die
internationalen und nationalen Fanprojekte und die KOS tun, um den
Gewaltphänomen
im
Fußball
insgesamt
und
insbesondere
im
Zusammenhang mit der Ultrabewegung entgegenzuwirken? Wo liegt bei den
Fanprojekten Optimierungspotenzial?
Gehen Sie bitte dabei auch darauf ein, ob Sie die vorhandenen Regelungen
und Richtlinien für ausreichend und aktuell genug erachten.
Antworten:
Was sich geändert hat, im Vergleich zu Hooligans und Kutten, ist dass die
Bedeutung der einzelfallbezogenen Sozialarbeit deutlich zurückgegangen ist. Die
Größe der Ultragruppierungen macht es schwierig, sich langfristig mit Einzelnen
zu beschäftigen. Der Organisationsaufwand wird für Fanprojekte größer. Vor dem
Hintergrund knapper Ressourcen müssen sie sinnvolle Maßnahmen anbieten, die
die Rahmenbedingungen der Ultras berücksichtigen.
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Was alle Fanprojekte machen, sind U 16/U 18- Fahrten, also ganz gezielt, Arbeit
mit jungen Fußballfans, die neu in die Kurven kommen. Wo auch bei Fahrten
ohne Nikotin und Alkohol Merkmale der Fankultur in Frage gestellt werden. Man
muss nicht betrunken sein, um Spaß am Fußball zu haben. Und das
Zusammentreffen mit anderen Fangruppen, wo auch das Wir und Ihr aufgezeigt
und überbrückt werden soll. Ultra ist die jüngste attraktivste Szene, worauf mit
diesen Angeboten reagiert wird.
Die Ultraszene bietet, gerade weil sie schlauer, interessierter sind, ein großes
Potenzial für Bildungsinitiativen und -arbeit. Auch vor dem Hintergrund der
Anregung von Dieter Bott, und aktueller Umfragen der Friedrich-Ebert-Stiftung
müssen die Fanprojekte vor Ort überlegen, ob es für sie nicht auch ein Weg ist,
dort einzusteigen. Die Zahlen von Heitmeyer zeigen, dass immer mehr junge
Menschen
den
Glauben
in
die
Demokratie,
an
demokratischen
Aushandlungsprozessen verlieren. Es gewinnt immer mehr der Ruf nach einer
starken Hand, autoritären Führungsstrukturen an Bedeutung. Hier ist ein
Ansatzpunkt für Fanprojekte, um Demokratie, Menschenwürde zu platzieren. Hier
gibt es bei Fanprojekten sicherlich noch Optimierungspotenzial. Gerade weil sie
von Geldgebern nur auf Gewaltverhinderung reduziert werden, was zwar ein Ziel,
aber nicht der Auftrag ist. Der Auftrag ist die Fans in die Gesellschaft zu
begleiten.
Bedeutet natürlich Konfliktpotenzial, weil die Vereine nicht immer Interesse
haben, einer aufgeweckten Fanszene gegenüberzustehen, die Bedarf nach
Erklärungen hat. Stört vielfach den Geschäftsablauf, wo es um kommerzielle
Dinge geht.
Auf Nachfrage zu Regelungen:
Es gibt 3 Bereiche, die zu erwähnen sind:
Bei der Datei Gewalttäter Sport sehe ich dringenden Handlungs- und
Optimierungspotenzial dahin gehend, dass derjenige, der dort eingetragen wird,
auch darüber Kenntnis erhält, damit er Widerspruch einlegen oder sich auf die
Situation einstellen kann. Es ist oftmals kein Spaß, wenn man bei Urlaubsfahrten
an der Grenze 4 Stunden verhört wird. Das kann man vermeiden. Ist für mich so
der zentrale Optimierungsbedarf. Wäre demokratischer, transparenter.
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Fußballbezogen ist positiv, dass der Verband, die UEFA klar Position bezogen
hat, was das Thema Rassismus, Diskriminierung anbelangt. Fußball muss frei sein
davon. Verbote sind das eine, aber die Vereine müssen es noch glaubwürdiger
vermitteln. Es nutzt nichts, wenn der Kapitän einmal im Jahr eine Botschaft vom
Zettel abliest, das glaubt letztlich keiner.
Was die Stadionverbote anbetrifft, sehe ich zwar noch Verbesserungspotenzial,
aber das Signal vom Fußball in die Fanszene, dass man sich gemeinsam mit
Fanorganisationen hingesetzt und darüber gesprochen hat und die Richtlinien
demokratischer und transparenter zu gestalten, ist nicht hoch genug zu bewerten.
Wir bekommen jetzt auch konkret von einzelnen Standort Umsetzungsbeispiele
herein, wie z. B. KSC, wo mit Fanprojekt und Verein unter Einbeziehung der
Fans festgelegt wird, wie damit umzugehen ist, was positiv aufgenommen wird.
Leitfrage 6:
Wo sehen Sie neben der Arbeit der Fanprojekte erfolgskritische Faktoren,
um Gewaltphänomene insbesondere in Bezug auf die Ultrabewegung zu
minimieren? Wo sehen Sie Optimierungspotenzial?
Bitte gehen Sie auch darauf ein, was die Ultras selbst unternehmen müssen,
wenn sie den Weg nicht weitergehen wollen.
Antworten:
Ich glaube, es ist fast eine unauflösbare Situation, in der sich der jugendliche
Fußballfan im Rahmen des professionellen Fußballs befindet.
Es ist mir kein Verein, mit Ausnahme von St. Pauli, bekannt, der die Fanarbeit für
so wichtig erachtet, wie sie für die Interessen des Vereins sind.
Es hat sich insoweit strukturell verbessert, dass alle Bundesligavereine mindestens
einen hauptamtlichen Fanbeauftragten (FB), manchmal zwei haben. Die FB sind
aber zu weit unten in der Hierarchie angesiedelt, Bedeutung der FB wird von
Vereinen nicht richtig eingeschätzt und die Vereine legen zu wenig Wert auf die
Qualität der FB.
Vereine haben hier Verantwortung und Chance, weil Vereine das emotionale Ziel
der Ultras sind. Es sind ja weniger die Spieler, sondern das Umfeld, das Stadion,
dem sich die Ultras verpflichtet fühlen. Es wird ja symbolischer, teilweise verliert
man das Herz schon an die Stadt. Vereine gehen sehr instrumentell mit der Szene
um, Kommunikation müsste glaubwürdiger gestaltet werden.
107
Es ist unauflösbar, weil Lage im globalen Wettbewerb immer schwieriger wird.
Im Vergleich zu ausländischen Ligen will man wettbewerbsfähig bleiben und
Geld verdienen. Da spielen Anstoßzeiten, Vermarktung, etc. eine riesengroße
Rolle. Leute, die dafür eingestellt werden, sind immer mehr Manager und
kommen nicht aus dem Fußball, sondern z. B. aus der Unterhaltungsbranche. Da
frage ich mich schon, wie soll eine Kommunikation überhaupt noch möglich sein.
Man darf Erwartungen der Fans nicht nur kalt und instrumentell begegnen. Das
hat auch Auswirkungen auf Sicherheit rund um den Fußball. Wenn Fans nur auf
Desinteresse
stoßen,
steigt
die
Wahrscheinlichkeit,
dass
Fans
auch
verantwortungslos mit ihrem Verein umgehen.
Die Verantwortung des Vereins spielt auch bei den Privaten Sicherheitsdiensten
eine
große
Rolle.
Die
Vereine
beauftragen
diese
und
setzen
die
Rahmenbedingungen, unter denen diese im Stadion arbeiten. Vereine haben
Verantwortung, dass Qualität entsprechend ist. Ist laut Rückmeldungen der
Polizei oftmals nicht der Fall.
Bestes Beispiel EM 2008. Hier waren 18-20 Ordner in der Fanzone eingeteilt, die
in der Datei Gewalttäter Sport waren.
Was dem DFB mit Unterstützung der KOS, mit den Fankongressen gelungen ist,
muss auch die Polizei versuchen. Es ist zwar strukturell schwieriger aufgrund der
verschiedenen Zuständigkeiten, sollte aber eh eher auf örtlicher Ebene passieren.
Bestes Beispiel ist z. B. das Konzept Hannover, was uns bei der letzten
Bundeskonferenz vorgestellt wurde. Wie Fans dort begrüßt werden und welche
hohe Kommunikationsleitung gegenüber Fans schon weit im Vorfeld erbracht
wird. Wird aus Fanszene positiv selbst bei Risikospielen zurückgemeldet. Kann
aber auch sein, dass es nur bei Risikospielen eingesetzt wird. Würde mir
wünschen, dass es Schule macht. Es gibt viele in den Ultraszenen, die ein
Bedürfnis haben ernst genommen und gut behandelt zu werden. Es gibt nur kleine
Teile, wo die hooligantypischen Aspekte im Vordergrund stehen. Die nur wegen
Krawall irgendwo hinfahren.
Das ist aber die Verantwortung der Ultras. Die maßgeblichen Leute müssen mehr
in die Verantwortung gehen für die Gruppe. Es wird häufig aus den Gruppen
gesagt, „Jeder ist für sich selbst verantwortlich“ und es wird bei Attacken kleiner
Gruppen nicht gesehen, dass sie das Ansehen der ganzen Gruppe in
108
Mitleidenschaft ziehen. Oftmals wird diese Kultur, zwar nicht mitgemacht, aber
emotional mitgetragen.
Die Ultrabewegung wird nie eine Chance haben, wenn sie sich gegen die Polizei
wendet.
Über die Ultras hinaus müssen sich alle Fans, Fanabteilungen, Kutten, etc. in
Sachen interner Kommunikation anstrengen. Darüber, „was ist Fankultur, was
wollen wir in unserer Kurve haben und was nicht?“
Beispiel Nürnberg, wo nach dem „Fast-Abbruch“ in Frankfurt das Fanprojekt
zwei faninterne Runden organisiert hat, wo das Unbehagen der normalen
Fanszene auf die Ultraszene getroffen ist und ein Austausch stattgefunden hat.
Der Grundkonflikt liegt darin, dass die Fans früher ins Stadion gegangen sind, um
das Spiel zu sehen und mit der Vorstellung die Anfeuerung hilft der Mannschaft,
das Spiel zu gewinnen. Natürlich auch um Leute zu treffen, sich „volllaufen zu
lassen“, aber das Spiel stand im Mittelpunkt. Bei den Ultras hat es sich vom Spiel
gelöst, dadurch, dass der Anfeuerer mit dem Rücken zum Spiel steht. Ist praktisch
das Symbol dafür. Anfeuerungen haben sich vom Spiel gelöst.
Der Grundkonflikt, der die ganze Zeit unterschwellig da war, muss artikuliert
werden. Wenn Kommunikation darüber da ist, was man als Fankultur haben will,
dann wird man auch Einigkeit bei anderen Punkten erzeugen. Geht es bei
einfachen Punkten, wie der Fankultur nicht, wird es bei Themen wie Gewalt und
Rassismus noch schwieriger.
Leitfrage 7:
Wie sieht Ihre Prognose hinsichtlich der Entwicklungen im Fanverhalten
allgemein und des Ultraphänomens im Besonderen kurz-/mittel-/langfristig
aus? Geben Sie diesbezüglich auch eine Einschätzung über die Entwicklung
von Gewalteskalationen ab.
Antworten:
Eine Einschätzung zur Gewalteskalation kann ich nicht abgeben.
Wenn man die Situation rum um den Fußball als Spannungsfeld begreift, wobei
ich als die 3 größten Spannungsfelder Kommerzialisierung, Repression und
Fankultur
bezeichnen
würde.
Fankultur
mit
all
den
gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen unter den Jugendliche heutzutage aufwachsen, die
zunehmend prekärer werden.
109
Hier steckt eine hohe Spannung drin. Einerseits die durch die Kommerzialisierung
hohen Anforderungen an die Vereine, die in der Regel zulasten der Fans gehen,
die zu wenig Geld bringen, andererseits die gesellschaftlichen Entwicklungen, die
zunehmend für Law and Order attraktiv werden. Beispiel U-Bahn-Überfall in
München. Trotz des verlorenen Wahlkampfes von Koch in Hessen zeigt sich eine
Tendenz eher auf polizeiliche, strafende, als auf resozialisierende, pädagogische
Maßnahmen zu setzen. Ein Spannungsfeld, was Einfluss auf die Fankultur hat und
Potenziale für richtige Konflikte birgt. Alle Beteiligte müssen um globale
Entwicklungen wissen, um vor Ort weise Entscheidungen zu treffen, z. B.
Verzicht auf einem weiteren Sponsorennamen oder so. Die Vereine müssen
wissen, dass selbst kleine symbolische Zeichen eine große Bedeutung gewinnen
können. Die Vereine müssen eine ehrliche und glaubhafte Kommunikation
pflegen. Fans wollen keinen „Honig um den Mund geschmiert bekommen“, sie
wollen eine klare Ansage und das ihre Interessen wahrgenommen werden. Der
Fußball
hat
bei
den
gesellschaftlichen
Entwicklungen
(bröckelnde
Familienstrukturen, Orientierungslosigkeit durch den Wegfall der Kirche oder von
Arbeitsplätzen) die riesige Chance, denen, die durch das Rost zu fallen drohen,
das Gefühl zu vermitteln, dazuzugehören.
Ich finde es klasse, dass Theo Zwanziger auch die Verantwortung sieht, die der
Fußball hat. Die Vereine sollten sich am DFB-Präsidenten ein Vorbild nehmen.
Leitfrage 8:
In Italien ist die Gewalt im Fußball teilweise eskaliert. Es kam u.a.
zurückliegend zu den Todesfällen des Polizeibeamten Filipo Raciti, des Fans
Gabrielle Sandri und jüngst zu einem Todesfall eines Fans im Zuge eines
Busunfalls auf einer Auswärtsfahrt. Die Tragweite des Einflusses der
Ultraszene in Italien hat eine Dimension erreicht, die von einigen Autoren in
den Bereich der Organisierten Kriminalität gerückt wird. Bitte führen Sie
aus, ob Sie italienische Verhältnisse in Deutschland für denkbar halten?
Antworten:
Ich halte es in Deutschland für undenkbar. Da ist das NKSS das Hauptargument,
in dem die Zusammenarbeit und Kommunikation aller Beteiligten angelegt ist,
mit der Kritik, dass die örtlichen Ausschüsse in den wenigsten Orten
funktionieren.
110
Spätestens seit den 90er Jahren findet in Deutschland eine intensive Fanarbeit,
mindestens immer Kommunikation statt, was in Italien nie der Fall war.
Die einzige Reaktion in Italien auf Fankultur sind Ignoranz der Vereine und
strafverschärfende Gesetze. Erschreckend ist, dass Tote nicht als Skandal
wahrgenommen werden. Es gehört dazu. Das wäre in Deutschland undenkbar. Ich
kann nicht ausschließen, dass es in Deutschland auch mal zu einem Unglücksfall
kommt. Es ist dann aber ein Unglücksfall und nicht wie in Italien eher ein
Regelfall.
Es gibt natürlich in Deutschland Standorte, wo die Strukturen rund um Vereine
schwach sind und wenn man von der 2. Liga heruntergeht, nehmen die Orte zu,
wo auch eine vergleichbare Ignoranz da ist. Ich lehne mich mal aus dem Fenster
und sage, dass Leipzig so ein Standort ist. Es besteht rund um Lok insbesondere
eine große Ignoranz und Tendenz, die Augen zu zu machen und alles der Polizei
zu überlassen.
Lokal ist es vielleicht ansatzweise denkbar, auf Deutschland bezogen undenkbar.
Leitfrage 9:
Seit einigen Tagen ist auch die EM 2008 schon wieder passe. Internationale
Fußballspiele/Fußballgroßereignisse werfen auf der einen Seite nicht erst seit
der Katastrophe im Heysel-Stadion 1985 oder dem feigen Angriff deutscher
Hooligans auf Daniel Nivel im Jahr 1998 Sicherheitsprobleme auf. Auf der
anderen Seite werden von den Fans „Sommermärchen“ zelebriert. Sie waren
bei der EM 2008 als Leiter der KOS „vor Ort am Fan“. Wie lautet ihr Fazit
zur EM 2008?
Antworten:
Die EM 2008 hat eine Entwicklung bestätigt, die wir seit Frankreich 1998
beobachten konnten. Es fahren mehr Menschen zu den Turnieren, als
Eintrittskarten vorhanden sind. Demzufolge ist die Verantwortung der
Organisatoren für die Situation außerhalb der Stadien gestiegen. Da wo Fans als
Gäste willkommen geheißen werden, sind die Vorfälle zurückgegangen oder gar
nicht mehr vorgekommen.
Es gibt eine Reihe von Faktoren dafür. Die Turniere sind für die kleine
Hooliganszene immer mehr uninteressant. Ich würde mal die Prognose wagen,
dass es bei großen internationalen Turnieren nicht mehr zu größeren
111
Sicherheitsproblemen kommt, wenn die gastfreundlichen Rahmenbedingungen,
wie in Portugal 2004, bei der WM 2006 und jetzt bei der EM 2008 beibehalten
werden und auch die polizeilichen Konzepte nicht wie in Belgien 2000 nur auf
Stärke setzen.
Auf Nachfrage zur konkreter Arbeit bei der EM 2008 vor Ort:
Wir sind mit der Fanbetreuung seit 1990 im Einsatz. Wir haben 1992 unabhängig
von den Engländern, aber zeitgleich das Instrument der Fanbotschaft erfunden,
das wir bis heute verfeinert haben. Es geht um Information, Service und
Unterstützung für reisende Fußballfans. Es soll auch ein Signal der
Gastfreundschaft sein. Wir waren jetzt bei der EM 2008 mit einer sichtbaren
mobilen Fanbotschaft, einem alten Feuerwehrwagen, an allen Spielorten, auf
zentralen Plätzen vor Ort, sodass jeder Fan eine Anlaufstelle hatte und Antworten
auf seine Fragen erhalten konnte.
Wir hatten im Vorfeld schon eine Webseite lanciert, wo Fans Reisewege,
Entfernungen, etc. erkunden konnten. Wir haben einen Fan-Guide gedruckt.. Wir
waren mit 12 Leuten vor Ort, 10 aus den Fanprojekten und 2, die für die
Homepage verantwortlich waren, die tagesaktuell gehalten wurde. Wir hatten eine
Helpline geschaltet, sodass wir rund um die Uhr erreichbar waren.
Es gab eine internationale Zusammenarbeit. Zehn weitere Nationen hatten
ähnliche Fanbotschaften vor Ort und wir haben die Chance genutzt, z. B. bei dem
Spiel gegen die Türkei gemeinsam mit den türkischen Fanbetreuern eine
gemeinsame deutsch-türkische Fanbotschaft zu machen. Haben auch noch ein
gemeinsames
Transparent
gemacht,
um
auf
den
Begegnungscharakter
hinzuweisen. Haben das im Endspiel mit den Spaniern auch getan, um zu
unterstreichen, dass Fußball ein Ort der Begegnung und nicht der Konfrontation
ist.
Leitfrage 10:
Die Hooligans sind zahlenmäßig rückläufig, die Ultras sind vereinsfixiert und
haben sich bislang noch nicht groß für die Nationalmannschaft interessiert.
Wird diese Entwicklung anhalten und wird es zukünftig weniger Gewalt in
Zusammenhang mit Spielen der Nationalmannschaft geben? Worauf wird es
nach Ihrer Sicht ankommen?
112
Antworten:
Ist schwierig zu prognostizieren. Die Ultras sind vereinsfixiert. Es gibt auch große
Animositäten zwischen einzelnen Ultragruppen, sodass es schwer vorstellbar
scheint, dass diese Animositäten im Rahmen der Nationalmannschaft nach hinten
treten werden.
Ähnlich wie es bei der Hooliganszene Anfang der 80er Jahre auch der Fall war.
Da war ja dann die bevorstehende EM 88 der Anlass den sogenannten
„Deutschland-Mob“ zu bilden, da man befürchtete, gegen die englischen
Hooligans auf verlorenem Posten zu sein. Sehe ich bei den Ultras momentan
nicht.
Die Spiele rund um die Nationalmannschaft sind zunehmend uninteressanter
geworden. Die Häufigkeit von Problemen war noch vor 5-10 Jahren wesentlich
größer. Dazu beigetragen haben auch strukturelle Verbesserungen der
Rahmenbedingen beim DFB. Es gibt einen Fanbeauftragten dort, die Fanprojekte
sind auch regelmäßig bei Spielen vor Ort im Einsatz, die Fanbeauftragten der
Vereine werden auch durch den DFB eingebunden, ein Ordnungsdienst, der von
Bayer
04
Leverkusen,
wird
mitgenommen.
Es
gibt
gewachsene
Zusammenarbeitsstrukturen, die die Rahmenbedingungen verändert haben. Auch
bei Spielen im Ausland ist es für Hooligans uninteressanter geworden. Es gibt
immer noch die Bereiche, wenn es nach Osteuropa geht, dass diese Spiele dann
auch politisch von rechten Hools oder Rechten genutzt werden wollen. Das ist
immer noch eine Problematik, die sich auch weniger im Stadion abspielt, sondern
auf den Straßen. Da gibt es noch einen ziemlichen Bedarf.
Wir würden es begrüßen, wenn man sich in Deutschland an den positiven
Erfahrungen orientiert, die in England gemacht wurden. Weil sich dort die Szene
und England war ja noch stärker gestraft, als Deutschland, absolut zum Positiven
gewandelt hat. Ich glaube, es gibt seit 2002 in Japan keinen einzigen negativen
Vorfall mit Engländern bei einem internationalen Turnier. Dazu beigetragen hat
meiner Meinung nach auch, dass sie kontinuierlich bei allen Länderspielen im
Ausland und nicht wie wir bei nur bei internationalen Turnieren, eine
Fanbotschaft einsetzen, unabhängig davon in welchem Land das Spiel stattfindet.
Auch in Trinidad&Tobago waren sie mit einer Fanbotschaft vor Ort. Die
Kontinuität ist entscheidend und das Signal wir tun immer was für euch, auch
wenn ihr mal keine Probleme macht. Das wäre ein Bereich, wo es auch in
113
Deutschland noch Entwicklungspotenzial gibt, aber es kostet Geld und da ist
immer die Frage, ob es gelingt.
Anmerkung nach dem Interview:
Mit dem Fankongress, der am Wochenende stattfindet, möchte die UEFA eine
Organisation schaffen, die als Ansprechpartner für Fans fungiert. Im Bereich
Schiedsrichter, Medien und Spieler gibt es entsprechende Ansprechpartnerstellen,
nur für die Fanbelange nicht. Das soll jetzt mit Hilfe der FSI auf den Weg
gebracht werden.
114
1.10 Experteninterview 10: PHK Gössing
Datum:
07.07.2008
Länge:
24:12 Minuten
Leitfrage 1:
Bitte skizzieren Sie eingangs kurz die wesentlichen Tätigkeiten und
Aufgabenfelder eines SKB Team Deutschland bzw. des Leiters SKB Team
Deutschland.
Antworten:
Grundsätzlich gibt es keine Unterschiede zwischen den SKB-Tätigkeiten in der
Bundesliga, Ligaalltag oder bei der Nationalmannschaft. Wesentliche Aufgabe ist,
bei den operativen Einsätzen das Motto „Sehen und Gesehen werden“.
Was festgestellt wurde, dass es bei der Nationalmannschaft sogenannte
Länderspielfahrer gibt, die nahezu ausschließlich die Begegnungen der
Nationalmannschaft im In- und Ausland besuchen. Hier sollte derselbe Effekt
erzielt werden, wie er im Ligaalltag erzielt wird, nämlich dass die Fans die
szenekundigen Beamten kennen und die SKB die Problemfans ebenfalls kennen.
Das Kennen ist wichtig, um sie dann, wenn sie vor Ort agieren, aus der
Anonymität herausholen zu können. Ihnen soll deutlich gemacht werden, wir
kennen euch, ihr kennt uns, bitte bewegt euch im Rahmen der Gesetzes, sonst
müssen polizeiliche Maßnahmen angeregt werden. Das ist unser Job, auch im
Ligaalltag, wir werden in den seltensten Fällen selber aktiv, sondern in Beratung
mit dem Polizeiführer, mit den uniformierten Kräften. Es werden dann, wenn
persönliche Gefährderansprachen nicht ausreichen, präventive oder repressive
Maßnahmen durchgeführt und angeregt und das in enger Zusammenarbeit mit den
uniformierten Kräften im Inland, aber insbesondere auch im Ausland.
Leitfrage 2:
Sie waren als Leiter des SKB Teams Deutschland bei der EM 2008 in der
Schweiz und Österreich eingesetzt. In dieser Funktion waren Sie auch in die
deutschen Vorbereitungen eingebunden. Bitte stellen Sie kurz dar, wie sich
die
Vorbereitungen
gestaltet
haben.
Bitte
geben
Sie
an,
welche
Vorfeldmaßnahmen, in welcher Größenordnung getroffen wurden.
115
Antworten:
Die Vorbereitungen des SKB Team Deutschland fußen auf vielen Erfahrungen im
Zusammenhang
mit
Freundschafts-
bzw.
Qualifikationsspielen
der
Nationalmannschaft. Das unterscheidet sich von den vielen Vorfeldmaßnahmen,
die an den Standorten durchgeführt wurden. Hierfür ist das SBK Team
Deutschland nicht verantwortlich, das obliegt ausschließlich den jeweiligen
Standorten. Entweder sind die Behörden zuständig, in denen die Problemfans
wohnen oder es kommt vor, dass die Standorte von Vereinen mit Problemfans
Empfehlungen an die Wohnortbehörden abgeben bzw. Maßnahmen anregen.
Wir haben uns operativ bei Qualifikations- und Freundschaftsspielen sowie im
Zusammenhang mit dem Pokalendspiel in Berlin vorbereitet. Das Pokalspiel
nutzen wir alljährlich als 2tägige Aus- und Fortbildungsmaßnahme. Wir haben
uns in einem Dreitagesseminar auf die beiden Ausrichterstaaten Österreich und
Schweiz vorbereitet.
Dem Team SKB Deutschland gehören insgesamt 14 SKB an, die im Alltag
bestimmte Standorte abdecken von Nord nach Süd, von Ost nach West, auch
ligenunabhängig. Wir haben bis runter zur Oberliga Kollegen in diesem Team,
können so flächendeckend in ganz Deutschland die Szene abdecken bzw. haben
über die Kollegen, die Möglichkeit, in die einzelnen Regionen telefonische
Rückfragen zu stellen bzw. auch Szenehinweise zu erhalten.
Leitfrage 3:
Wie viele Kräfte waren bei der EM 2008 insgesamt und von deutscher Seite
eingesetzt?
Antworten:
Die insgesamte Zahl der Kollegen in den drei Standorten, in den wir eingesetzt
waren, Klagenfurt, Basel und Wien kann ich nicht benennen. Es war eine Vielzahl
uniformierter Kräfte im Einsatz, bedingt durch die angefragte Unterstützung von
geschlossenen Einheiten.
Wo ich etwas zu sagen kann, ist die Stärke der deutschen Polizeidelegation unter
Leitung der ZIS. So war der offizielle Namen unserer Delegation bei der EM
2008.
Diese
Delegation
bestand
aus
einem
Delegationsleiter,
einem
Pressesprecher, jeweils einem Verbindungsbeamten in diesem Zentralstellen in
Österreich und der Schweiz. Dann hatten wir 2 Kollegen an den Spielstätten als
116
Verbindungsbeamte in den jeweiligen Einsatz führenden Einsatzstäben. Dann
hatten wir 10 uniformierte Kollegen, mich als Einsatzkoordinator der 14
szenekundigen Beamten, die das Gerippe des SKB Teams Deutschland bilden.
Leitfrage 4:
Welche Maßnahmen wurden während des Turniers aus deutscher Sicht
getroffen?
Antworten:
Es gab vielschichtige Maßnahmen, sowohl im Inland, wie im Ausland. Da wir
jeweils vor Ort tätig waren, möchte ich hier nur zu den Maßnahmen vor Ort
konkret Stellung nehmen.
Das war die Sammlung von Informationen, die uns von der ZIS in Form von
Lagemitteilungen übermittelt wurden. Das war die Bündelung von Informationen
von
bundespolizeilichen
Maßnahmen
an
den
Grenzen,
aber
auch
Abfahrtsüberwachungen an Bahnhöfen und Flughäfen. Dann war es die
Bündelung der Informationen der 14 SKB, die zu unserem Team gehörten. Und
die Summe, Sammlung und Bewertung wurde dann an die Einsatz führenden
Dienststellen übermittelt. Insbesondere bei dem Polenspiel führte es dazu, dass
eine Gruppe von ca. 150-200 deutschen Störern am Spieltage ausgemacht werden
konnte. Mit unserer Hilfe, unserem Zusprechen und mit der entsprechenden
Beratung der Einsatz führenden Dienststelle wurden insgesamt 144 Personen
festgenommen. Festgenommen ist nicht richtig, weil das österreichische Recht
etwas abweicht. Sie sind also zur Identitätsfeststellung angehalten und dann zur
Arreststelle verbracht worden. Weiterhin sind dann in den nächsten Tagen
intensive Personalienüberprüfungen vor Ort vorgenommen worden, die wir
angeregt haben und die dann durch österreichischen Kollegen durchgeführt
wurden. Mit den grenzpolizeilichen Maßnahmen, den Meldeauflagen und
passbeschränkenden Maßnahmen führte es dazu, dass der deutsche Hooligan
aufgegeben hat und keine Lust mehr hatte, irgendwo, sei es von Polizei,
Bundespolizei oder von uns auf die Füße getreten zu werden. Hat sich mehr oder
weniger zurückgezogen, sodass wir dann nach dem Polenspiel, wo die richtigen
Signale gesetzt wurden, ein relativ überschaubares Störerpotenzial hatten und wir
unsere „Schäflein“ an sicheren deutschen Orten wussten.
117
Leitfrage 5:
Wie fällt ihr „Sicherheitsfazit“ über die EM 2008, insbesondere in Bezug auf
deutsche Fußballfans aus? Schildern Sie bitte, wie sich das Einsatzgeschehen
dargestellt
hat.
Bitte
beziehen
Sie
die
Erforderlichkeit
von
Vorfeldmaßnahmen mit ein. Wenn möglich, versuchen sie einen Vergleich zu
vorherigen Turnieren, insbesondere der WM 2006/ Euro 2004 herzustellen.
Antworten:
Die Vorfeldmaßnahmen sind mit ein wesentlicher Mosaikstein für ein
ordentliches positives Gesamtbild. Die jeweiligen Standorte, die für diese
Vorfeldmaßnahmen verantwortlich sind, müssen wirklich sehr frühzeitig und
intensiv ihre Hausaufgaben machen und zielgenau die Personen mit Maßnahmen
belegen. Es beginnt ja bei der Gefährderansprache, geht über Meldeauflagen bis
hin zu passbeschränkenden Maßnahmen. Wo es möglich ist, auch zu präventivpolizeilichen Maßnahmen.
Das sind die A und O-Maßnahmen, die schon frühzeitig für das Störerpotenzial
Signale aussenden „Halt Stopp, die Polizei ist aktiv, wir haben eigentlich keine
Chance ins Ausland zu reisen und dem deutschen Staate da Schaden zuzufügen“.
Wenn dann die Einsatztage gekommen sind, also relativ zeitnah zu den Turnieren
oder zu Spielen, dann muss die Bundespolizei funktionieren, an den noch
verbliebenen Grenzen, an Bahnhöfen, Flughäfen. Dann müssen auch der SKB/die
SKB funktionieren, die vor Ort als Einsatzunterstützung angefordert sind. Sie
müssen offensiv an die Leute herantreten, immer in Verbindung mit den
ausländischen Kollegen, um zu sagen, „Halt Stopp, ihr seid hier erkannt, macht
bitte keine Dummheiten, dann seid ihr gern gesehene Gäste. Solltet ihr euch
daneben benehmen, dann werden wir sicherlich gegen euch Maßnahmen
anregen“.
EM 2004 war sicherlich ein spezieller Fall. Portugal, sehr weit abgesetzt und über
Spanien erreichbar, war sicher nicht das attraktive Land für Hooligans. Es hat
auch relativ wenige Störungen gegeben. Nur beim ersten Spiel gegen Holland hat
es ein kleines Scharmützel in einer Gaststätte gegeben, das aber überhaupt nicht
nennenswert war. Von daher muss man Portugal aufgrund der Entfernung zu
Deutschland ausgrenzen.
Die
WM
2006
war
auch
ein
„Fall
für
sich“,
wo
man
durch
Bereichsbetretungsverbote, Meldeauflagen, etc. sicher noch mehr machen konnte.
118
Durch die Masse an Leuten, die in Deutschland auf den Straßen war, waren
großartige Auseinandersetzungen gar nicht möglich.
In Klagenfurt, bedingt durch die geringe Anzahl von österreichischen Kollegen,
war imposant zu sehen, wie viele deutsche Kräfte dort unterwegs waren. Das ist
von der Öffentlichkeit aber auch sehr angenehm aufgenommen worden. Die
österreichischen Kollegen, die uns zur Unterstützung an die Seite gestellt wurden,
waren sehr offen. Sie haben offen und ehrlich zugegeben, dass sie dieses
Phänomen Fußball überhaupt nicht kennen, haben sich beraten lassen; haben dann
aber aufgrund unserer Erfahrungen ihre eigenen Entscheidungen getroffen. Ich
glaube, es ist auch wichtig, dass ein Land so das eigene Gesicht bewahrt. Für
mich war in beiden Ausrichterstaaten prägnant, dass beide vor dem Hintergrund
ihrer rechtlichen Möglichkeiten und kulturellen Hintergründe ein sehr
ordentliches Einsatzkonzept vorgelegt haben. Ich glaube, die geringe Anzahl von
Zwischenfällen, gibt auch beiden Ausrichterstaaten recht, das sie gute
Vorbereitungsarbeit geleistet und gute praktische Arbeit an den Einsatztagen
hingelegt haben.
Ich kann nur zu den deutschen Spielen Stellung nehmen. Hier waren die
insgesamt ca. 180-190 Maßnahmen am Vortag und am Tag des Polenspiels das
richtige Signal. Außer den ca. 40-50 am Vorspieltag und ca.140-150 am Spieltag,
ist bei deutschen Spielen gar nichts passiert.
Es soll in Basel bei türkischen Spielen Probleme mit Kurden gegeben haben, also
eine rein inländische Lage. Und es hat natürlich bei dem Spiel Kroatien gegen die
Türkei in Wien Probleme zwischen den Gruppen gegeben. Da es nicht unsere
Baustelle war, kann ich nur vom Hörensagen reden und das ist immer gefährlich.
Aus deutscher Sicht Null Probleme.
Leitfrage 6:
Ist es Ihnen aus ihrer Funktion heraus möglich, ein „Sicherheitsfazit“ über
die Einsatzlage in Deutschland während der EM 2008 abzugeben?
Antworten:
Ein gesamtes Sicherheitsfazit ist sicherlich schwer zu ziehen, insbesondere wenn
man nur ein ganz kleiner Teil des Sicherheitssystems ist.
119
Mit den Erfahrungen vor Ort muss man sagen, dass mit den Signalwirkungen, den
Präventivmaßnahmen vor Ort und der jetzt fast 3jährigen Begleitung von
Länderspielen, das System zurzeit funktioniert.
Fußball ist aber nur eine Momentaufnahme.
Was auffällig ist, sind die mannigfaltigen inländischen Störungen bei Public
Viewing Veranstaltungen, wo man sicherlich zukünftig auch ein Auge drauf
haben muss. Wie geht man da konzeptionell vor, kann man gegebenenfalls auch
im Vorfeld schon weitere Maßnahmen treffen? Denn nachdem was wir hören
durften, hat es nicht wenige, auch extreme Sicherheitsstörungen gegeben. Das
bedarf der Beobachtung und konzeptionellen Bearbeitung.
Leitfrage 7:
Die
Ultras
sind
vereinsfixiert
und
halten
bislang
Distanz
zur
Nationalmannschaft? Decken sich die Aussagen mit Ihren Erfahrungen? Wo
liegen bei Spielen der Nationalmannschaft die Probleme im Bereich
Sicherheit?
Antworten:
Die erste These ist auf jeden Fall richtig, dass die Ultras vereinsfixiert sind und
nur in einem Promillebereich Interesse an der Nationalmannschaft haben. Wenn
sie es haben, führt es nicht zu Sicherheitsstörungen, weil sie dort
fußballinteressiert sind.
Die Probleme lagen sicher darin, dass wir nicht immer wussten, woher unsere
Problemfans kamen bzw. wer unsere Länderspielfahrer sind.
Die Bekämpfung der möglichen Sicherheitsprobleme bezieht sich häufig auf
falsch verstandenen Nationalstolz im Ausland. Wir kennen mittlerweile die
Problemfans und sie uns. Vielfach ist es falsch verstandener Nationalstolz, sicher
nicht absolut rechtsradikal.
Ein Problem ergibt sich aus der Mobbildung. Teilweise finden sich 150-200
Personen zusammen. Bei Spielen in Osteuropa haben wir es auch mit Mobs von
400-500 Leuten zutun gehabt, die dann durch Sachbeschädigungen, durch
Körperverletzungen, falsche Gesänge im Stadion ein schlechtes Bild auf
Deutschland geworfen haben. Die Mobbildung ist schon zu erkennen.
120
Leitfrage 8:
Wird die Distanz der Ultras zur Nationalmannschaft anhalten oder erwarten
Sie, dass sich auch „Ultras Deutschland“ bilden? Wie sieht Ihre Prognose
hinsichtlich der Entwicklungen von Gewaltphänomen im Zusammenhang
mit Spielen der Nationalmannschaft kurz-/mittel-/langfristig aus?
Antworten:
Dass sich sogenannte „Ultras Deutschland“ bilden, glaube ich eher weniger, weil
sie damit ja den DFB unterstützen müssten, neben der Polizei und dem Kommerz
einem erklärten Gegner der Ultras. Das passt einfach nicht zu der Philosophie der
Ultras. Das Ultraproblem so wie es derzeit in allen Ligen stark verbreitet ist, wird
sich nicht auf die Spiele der Nationalmannschaft niederschlagen. Das
Gewaltphänomen im Zusammenhang mit Spielen der Nationalmannschaft ist nur
eine Momentaufnahme. Wir haben im Herbst 2008 ein Länderspiel DeutschlandEngland in Berlin, was sicherlich aus polizeilicher Sicht ein ganz interessantes
wird, weil es auch für Hooligans interessant ist. Die Engländer waren nicht auf
dem Medienmarkt bei der EM, die Deutschen konnten sich wieder einmal nicht
ausleben, ob der guten polizeilichen Arbeit. Langfristig gesehen wird die WM in
Südafrika kein Hooliganproblem mit sich bringen. Wenn überhaupt wird Gewalt
sich auf Qualifikationsspiele beziehen. Die Länderspiele im Inland sind absolute
Familienfeste geworden mit kaum feststellbaren Hooligangruppierungen. Und
wenn festgestellt, waren sie rein fußballorientiert.
Eine Prognose im Fußball abzugeben, sollte man nie machen. Es sind aber wohl
die Gründe genannt, warum nichts passieren dürfte.
Leitfrage 9:
Die Datei Gewalttäter Sport wird von den Ultras heftig kritisiert.
Beschreiben Sie bitte kurz den Sinn, Zweck und Inhalt der Datei.
Können Sie die Kritik an der Datei nachvollziehen? Erfüllt Sie noch ihren
Sinn, muss sie ausgebaut oder angepasst werden?
Antworten:
Viele Fragen in einer Leitfrage.
Sinn und Zweck der Datei ist sicherlich, dass bestimmte Personen, die im
Zusammenhang mit Fußballspielen auffällig geworden sind, indem sie bestimmte
Katalogstraftaten begangen haben dort erfasst und abfragbar sind.
121
Außerhalb von Fußballspielen hilft es auch Polizeibeamten, dass sie wissen, dass
ihr Gegenüber als Störer im Zusammenhang mit Fußballspielen auffällig
geworden
ist.
Störer
werden
so
erkannt.
Es
hilft
insbesondere
bei
Grenzübertritten. Wie bei jeder personenbezogenen Datei in Deutschland ist es
ein Kriterium, um dann die Lage vor Ort, wie sie sich gerade ergibt, richtig
einordnen zu können.
Diese Signalwirkung, die dadurch erzielt wird, ist ein Sinn und Zweck der Datei.
Als Kritik wird ja häufig angeführt, dass wenn ich in der Datei bin, ich in
Deutschland eigentlich gar nicht mehr lebensfähig bin, weil ich tagein und tagaus
von der Datei verfolgt werde. Für mich völliger Schwachsinn. Es gibt bei
Tausenden von Einträgen sicherlich Fälle, wo ein oder zweimal falsche
Entscheidungen getroffen wurden. Dann leben wir aber in einem Rechtsstaat, es
ist überprüfbar und es werden entsprechende Maßnahmen getroffen. Ich gehe
persönlich 35 Jahre zum Fußball, ich bin noch nicht mal ansatzweise in die Gefahr
gekommen, in diese Datei zu kommen und ich lebe schon leidenschaftlich
Fußball. Kritik ist überhaupt nicht nachvollziehbar, die Datei absolut sinnvoll.
Leitfrage 10:
In Italien ist die Gewalt im Fußball teilweise eskaliert. Es kam u.a.
zurückliegend zu den Todesfällen des Polizeibeamten Filipo Raciti, des Fans
Gabrielle Sandri und jüngst zu einem Todesfall eines Fans im Zuge eines
Busunfalls auf einer Auswärtsfahrt. Die Tragweite des Einflusses der
Ultraszene in Italien hat eine Dimension erreicht, die von einigen Autoren in
den Bereich der Organisierten Kriminalität gerückt wird. Bitte führen Sie
aus, ob Sie italienische Verhältnisse in Deutschland für denkbar halten?
Antworten:
Zu Italien fällt es schwer, als deutscher Polizist etwas zu sagen. Wir haben meist
auch nur Medienberichte. Wir erleben natürlich bei Spielen in Italien auch Dinge,
die uns zu denken geben, aber es sollte uns genauso der Ultra in Deutschland zu
denken geben. Nicht der, der Tradition leben lassen will, der Stimmung im
Stadion machen will, der vielen Jugendlichen an 7 Tagen in der Woche
Freizeitaktivitäten ermöglicht. Der Ultra sollte uns genehm sein. Mit denen sollte
man kooperieren, in reger Kommunikation bleiben, weil nicht alles, was der
122
Verein, was die Polizei aber auch die Ultras machen, ist richtig, aber man muss
zusammen funktionieren, weil man ein vernünftiges Fußballspiel haben will.
Was in der Ultrabewegung zu verurteilen ist, sind die kommerziellen
Gesichtspunkte. Sie schreiben sich zwar immer auf ihre Fahnen gegen den
Kommerz zu sein, wenn man aber mal in das Merchandising, in das Ticketing
schaut, was teilweise schon völlig autark durch Ultragruppierungen erfüllt wird,
dann muss man sich fragen, ob das alles in die richtige Richtung geht. Man muss
mal beobachten, wie viele Zugeständnisse diesen Gruppierungen mittlerweile
gemacht werden und dann sehen, wie gesprächsbereit sie gegenüber der Polizei
sind. Man kommt dann zu einem deutlichem Missverhältnis.
Da müssen die Sicherheitsinstitutionen, auch die Vereine und Verbände
nachlegen, um den Ultras deutlich zu machen, das Leben ist nicht nur „Nehmen,
sondern auch Geben“ heißt. Das Phänomen, das sie immer in der Masse auftreten,
ist sicher ein ganz großes Problem, weil die Polizei dieser Masse oftmals hilflos
gegenübersteht. Da gibt es relativ wenige Konzepte gegen. Der Hooliganismus ist
lange Jahre bekannt, es gibt hierfür Konzepte, die auch greifen. Die
Ultrabewegung in ihrer Ausdehnung, Masse und Macht ist ein Phänomen, das
dringend von der obersten politischen und polizeilichen Ebene angegangen
werden muss.
Auf Nachfrage:
Italienische
Verhältnisse
in
Deutschland,
brasilianische
Verhältnisse
in
Deutschland. Fußball ist Ländersache. Wir haben unsere eigenen Probleme. Bei
den Ultras in Italien ist auch viel Politik dabei, das bei uns im großen Maße nicht
feststellbar ist. Von daher darf man die Ultras und das Problem der Ultras nicht
unterschätzen, aber ob es jetzt italienisch, brasilianisch oder amerikanisch wird,
dass weiß ich nicht.
123
2. Einverständniserklärungen
2.1 Polizeiintern
Fußball und Gewalt
Sind italienische Verhältnisse in Deutschland denkbar?
Interviewleitfaden
für
Experteninterviews
mit
polizeiinternen
Interviewpartnern
Experte: Funktion, Name, Dienststelle/Behörde
Hinweis:
Auf Wunsch kann dem Experten Anonymität zugesichert werden (Name nur für
interne Dokumentation; Persönliche Daten werden ebenso anonymisiert)
Ich wünsche Anonymität / Ich wünsche keine Anonymität
(Nichtzutreffendes bitte streichen)
Einverständniserklärung:
Der Interviewpartner erklärt sich mit der Aufnahme des Interviews auf Tonträger
bzw. Datenträger einverstanden. Die Aufnahme
kann der Masterarbeit in elektronischer Form beigegeben werden
kann der Masterarbeit in Abschrift beigegeben werden
soll beim Ersteller der Masterarbeit verwahrt bleiben und dient nur der
Dokumentation
soll nach Erstellung der Masterarbeit gelöscht werden
______________________________
Unterschrift des Interviewpartners
124
2.2 Polizeiextern
Fußball und Gewalt
Sind italienische Verhältnisse in Deutschland denkbar?
Interviewleitfaden
für
Experteninterviews
mit
polizeiexternen
Interviewpartnern
Experte: Funktion, Name
Hinweis:
Auf Wunsch kann dem Experten Anonymität zugesichert werden (Name nur für
interne Dokumentation; Persönliche Daten werden ebenso anonymisiert)
Ich wünsche Anonymität / Ich wünsche keine Anonymität
(Nichtzutreffendes bitte streichen)
Einverständniserklärung:
Der Interviewpartner erklärt sich mit der Aufnahme des Interviews auf Tonträger
bzw. Datenträger einverstanden. Die Aufnahme
kann der Masterarbeit in elektronischer Form beigegeben werden
kann der Masterarbeit in Abschrift beigegeben werden
soll beim Ersteller der Masterarbeit verwahrt bleiben und dient nur der
Dokumentation
soll nach Erstellung der Masterarbeit gelöscht werden
______________________________
Unterschrift des Interviewpartners
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