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ZEITGESCHEHEN | 3 Jüdische Allgemeine Nr. 10/10 | 11. März 2010 v o n To r s t e n H a s e l b a u e r geplante Reise vom Deutschen FußballBund (DFB) unterstützt werde. Dem Innenministerium versicherte Anders, dass eine Einladung aus Israel vorliege; was fehle, sei lediglich die finanzielle Unterstützung. Der Plan ging auf: Am 5. Juli 1969 setzte sich das Team von Bayern Hof in eine ElAl-Maschine von München nach Tel Aviv. Im Gepäck eine Einladung des israelischen Fußballverbandes für zwei Freundschaftsspiele. Die gut gefüllte Reisekasse spendierte das deutsche Innenministerium. D ie Reise ist schön. Und unbeschwert. Doch erst, als der Rückflug ansteht, beschleicht Walter Greim das leise Gefühl, dass es vielleicht eine ganz besondere Tour ist. Hinter dem Mannschaftskapitän von Bayern Hof und seinem Team liegt eine zweiwöchige Israel-Rundfahrt. Am 12. Juli 1969 hat das Team aus Bayern zunächst gegen Nahariya und zwei Tage später gegen Hapoel Petah Tikwa gekickt. »Wir haben die Zeit genossen, vor allem vor und zwischen den Matches«, erzählt Greim, den alle »Waldi« rufen, in die Kamera des Filmemachers Götz Gemeinhardt. Auf der Reise von Bayern Hof durch Israel fand das erste Spiel einer deutschen Fußballmannschaft im jüdischen Staat statt. Gemeinhardt hat darüber den Dokumentarfilm 08397B gedreht, der jetzt in Berlin uraufgeführt wird. FRAUEN Die 14 Tage im Juli 1969 sind für Bayern Hof das, was man heute als eine ausgelassene Saisonabschlussfahrt bezeichnen würde. Die Spieler haben sich diese Belohnung redlich verdient. Die anstrengende Saison der Regionalliga Süd, damals war das die zweite Liga, hat die Mannschaft als Tabellendritter abgeschlossen. Anschließend mussten sie noch im Alpenpokal ran, eine Art Vorläufer des UEFACups für Klubs aus dem Alpenraum. Dann endlich geht es nach Israel. Die Stimmung ist ausgelassen, das Wetter sonnig und heiß, das Essen schmeckt. Das Mittelmeer ist immer in Reichweite, die Frauen Israels sind ebenso schön wie unerreichbar, und ausreichend Bier gibt es in diesem fernen Land für die deutschen Fußballer auch noch. Die beiden Fußballspiele meistert der Besuch aus Hof ganz gut. Dem 2:0-Erfolg in Nahariya gegen eine Auswahl Nordisraels folgt zwar eine 0:3-Schlappe gegen Hapoel Petah Tikwa. Aber der Verein war damals schließlich gemeinsam mit Maccabi Tel Aviv israelischer Rekordmeister, hatte bis 1969 sechs israelische Meisterschaften gewonnen und zahlreiche Nationalspieler in seinen Reihen. WITZE Fast am Ende dieser fröhlichen Reise, das erzählt »Waldi« Greim im Film, fährt er mit seinem Team noch einmal im Bus durch Tel Aviv. Die Spieler reißen Witze, vielleicht eine Spur zu laut. Aber wen soll das hier stören? Ein Israeli lacht sogar mit, das sieht Greim aus dem Augenwinkel. Der Mann umfasst mit seinen Händen fest die Stange oben im Bus, um in den Kurven Halt zu finden. Seine Hemdärmel hat er hochgekrempelt. Da erkennt der Fußballer Greim aus Hof eine eintätowierte Nummer am Unterarm des Israelis. »Ich dachte, was für ein Mann. Der kann über unsere Witze lachen. Der muss doch eigentlich denken, jetzt bin ich schon so weit weg, und nun kommen die Deutschen auch noch hier hin«, erinnert sich Greim. Götz Gemeinhardt, Journalist aus der bayerischen Kleinstadt Hof, hat einen halbstündigen Dokumentarfilm über diesen besonderen Fußballausflug gedreht. Im vergangenen Jahr ist Gemeinhardt zusammen mit dem damaligen Vereinspräsidenten Der besondere Kick GESCHICHTE 1969 spielte erstmals ein deutscher Fußballklub in Israel. Nun gibt es einen Film über dieses historische Match Unter Männern: Die Fußballer aus dem israelischen Nahariya und dem deutschen Hof von Bayern Hof, Franz Anders, und »Waldi« Greim nach Israel gereist. Sie sind die Strecke von 1969 noch einmal abgefahren, haben die Schauplätze von damals besucht, die Städte, die Strände, die Hotels und die Fußballstadien. Sie haben sich mit ihren damaligen Gegenspielern und Schiedsrichter Abraham Klein, der die Spiele leitete, getroffen (vgl. das Interview auf dieser Seite). Beim Drehen merkten sie plötzlich: Wir haben vor 40 Jahren Fuß- ballgeschichte geschrieben. Das war am Samstag, dem 12. Juli 1969, um 16.30 Uhr im Stadion von Nahariya. LISTIG »Der Sport war vor den Diplomaten da«, sagt der Kölner Historiker Manfred Lämmer in dem Film. Dabei hatte es der deutsche Fußball in den 60er-Jahren kaum leichter als die deutsche Politik, in Israel Fuß zu fassen. Ein früherer Spieler von Bayern Hof, der jüdische Unternehmer Os- Foto: Stephan Pramme (o.), Verleih kar Weissmann, machte dem Präsidenten Franz Anders den Vorschlag, es doch einfach mit Israel zu versuchen. Anders, dessen Großmutter Paula Jakoby 1941 die letzte lebende Jüdin der Stadt Hof war und die Schoa überlebte, gefiel die Idee. Er ersann eine List und schickte gleichzeitig einen Brief an den israelischen Fußballverband und einen an das Bundesministerium des Inneren. Den Israelis schrieb der gewitzte Fußballfunktionär, dass die GEFÜHLE »Sie waren echte Pioniere, und wir wussten überhaupt nicht, wie wir mit denen umgehen sollten«, erinnert sich der Hapoel-Petah-Tikwa-Spieler Schimon Harusch in Gemeinhardts Film. »Vielleicht hatten sie sogar Eltern oder Großeltern, die in der SS oder Wehrmacht waren«, schildert der Fußballer seine Gefühlslage vor dem ersten Aufeinandertreffen seiner israelischen mit der deutschen Mannschaft. Gemeinhardts Film – warum der Titel 08397B lautet, will der Regisseur nicht vorab verraten – schildert eindrucksvoll, wie höchst unterschiedlich die Interessenlagen der Fußballer im Juli 1969 sind. Auf der einen Seite stehen die deutschen Kicker aus Bayern, die sich als »unpolitisch« verstehen, ihren Saisonabschluss unbeschwert genießen wollen und für die Israel ein mehr oder weniger normales Reiseland ist. Nur 24 Jahre nach Befreiung der Konzentrationslager haben die Kicker nicht viel mehr im Sinn als Fußball und Strand. ÄNGSTE Auf der anderen Seite die Israelis. Die Fußballer und auch Schiedsrichter Abraham Klein zermartern sich schon Tage vor dem Anpfiff das Hirn: Wie soll man den Deutschen in diesen »Freundschaftsspielen« gegenübertreten. Mordechai Spiegler, damals Israels Spitzenspieler und extra ausgeliehen vom Erstligisten Maccabi Netanya, schildert in dem Film genau, welch große emotionale Anstrengung ihn das Match gegen Hof kostete – abseits des Platzes. Waren es am Ende aber vielleicht doch nur zwei Fußballspiele in einer anderen Zeit? Nein, denn sie wirken bis heute. Am Ende des Films wird noch einmal Mordechai Spiegler gezeigt. Er legt da fast zärtlich einen Bayern-Hof-Fanschal über seine und Anders’ Schultern. »Ist es nicht wunderbar, wie wir damals gegeneinander Fußball gespielt haben und 40 Jahre später wieder hier als Freunde zusammensitzen?«, fragt Spiegler. Dann will der Israeli noch etwas von Franz Anders wissen: »Wunderbar, so heißt es doch auf Deutsch, oder?« »Ja, das sagt man so. Wunderbar!«, antwortet Anders. Der Film »08397B« wird am Sonntag, 14. März, auf dem Fußballfilmfestival »11mm« um 15.30 Uhr im Berliner Kino Babylon uraufgeführt. Anschließend gibt es ein Gespräch mit Filmemacher Götz Gemeinhardt, Sporthistoriker Manfred Lämmer, Schiedsrichter Abraham Klein, Franz Anders und dem ersten deutschen Fußballtrainer in Israel, Uwe Klimaschewski. Weitere Infos: www.11-mm.de »Der größte Tag in meinem Schiedsrichterleben« FUSSBALL Abraham Klein über das erste deutsch-israelische Spiel, jüdische Proteste, Weltmeisterschaften und Günter Netzer Abraham Klein gilt als bester FußballSchiedsrichter, den Israel je hervorgebracht hat. Am 29. März 1934 im rumänischen Temesvar geboren, begann er 1964 seine Karriere. Er war WM-Schiedsrichter in Mexiko 1970, Argentinien 1978 und Spanien 1982. In diesem Monat erscheint im israelischen Sportverlag Glory seine Biografie Herr der Pfeife. Eine Übersetzung ins Englische soll folgen, auch eine deutsche Ausgabe ist geplant. Herr Klein, Sie überlebten als Kind im rumänischen Temesvar den Holocaust und reisten 1947 mit Ihrer Mutter über die Niederlande nach Palästina aus. 1969 pfiffen Sie das erste Spiel einer deutschen Mannschaft in Israel. Das war kein leichtes Match, oder? Ich erinnere mich genau. Es war Nahariya gegen Bayern Hof. Israels Fußballverband hatte mich gefragt, ob ich Probleme damit hätte, dieses Spiel zu pfeifen. Nach kurzer Bedenkzeit sagte ich: »Nein, überhaupt nicht.« Damit hatte wohl keiner gerechnet. Aber ich bin nun mal Fußballschiedsrichter und nicht Richter in einem Tribunal gegen Deutschland. Das sah aber ein Großteil der israelischen Öffentlichkeit damals ganz anders. Ja, es gab wütende Proteste, und ich wurde für meine Entscheidung offen angefeindet. Ein Mann, der als Kind den gelben Stern tragen musste und einen Großteil seiner Familie in der Schoa verloren hat, darf doch nicht einem deutschen Fußballer vor dem Anpfiff die Hand schütteln, hieß es. Und dass ich dann auf dem Platz neutral zu sein habe, die deutsche und die israelische Mannschaft gleich behandeln muss, das ging damals erst recht nicht in viele israelische Köpfe hinein. Ich habe es trotzdem gemacht und erst viel später gemerkt: Das Spiel war der größte Tag in meinem Schiedsrichterleben. bach, die in den 70er-Jahren oft zu Freundschaftsspielen nach Israel reisten. Der damalige Gladbacher Kapitän Günter Netzer hatte sogar ausdrücklich gewünscht, dass ich diese Spiele leite. Dann wurde ich 1978 in dem legendären WM-Match Österreich gegen Deutschland in Argentinien eingesetzt. Und beim Weltmeisterschafts-Endspiel Deutschland gegen Italien 1982 in Spanien amtierte ich als Linienrichter. Beide Spiele haben die Deutschen übrigens verloren. Wie haben Ihre Eltern reagiert, als die erfuhren, dass Sie freiwillig bei einem Spiel mit deutscher Beteiligung pfeifen? Gar nicht, Sie haben geschwiegen. Und das war für beide Seiten wohl das Beste. Mit dem Spiel von Bayern Hof begann Ihre fast schon wundersame SchiedsrichterBeziehung zu Deutschland. Das kann man wohl sagen. Ich pfiff danach fast alle Spiele von Borussia Mönchenglad- Unparteiisch: Abraham Klein Foto: privat Was aber nichts mit Ihnen zu tun hatte. Ihre Leistungen galten als tadellos. Aber stellte Sie ein Match Deutschland gegen Österreich nicht vor ganz besondere Herausforderungen? Ja, denn ich hatte ein Spiel zu pfeifen, in dem gleich zwei Täterländer gegeneinander kickten. Zudem fand es im argentinischen Cordoba statt. Ich bekam dort schnell zu spüren, dass die starke jüdische Gemeinde von Buenos Aires nicht wirklich glücklich damit war, dass gerade ich diese Auseinandersetzung zu leiten hatte, nach dem Motto: »Wie kannst du nur?« Aber ich war vom Fußballweltverband FIFA nominiert worden und musste meinen Job machen. Hatten Sie eine Strategie, damit Sie nicht Gefahr laufen, »politisch« zu pfeifen? Für mich als Schiedsrichter galt immer: Politik und Gefühle lasse ich zu Hause. Wenn ich auf dem Platz stehe, muss ich alle Spieler gleich behandeln, egal woher sie kommen. Ich sehe die Fußballer immer nur als Fußballer, nicht als Repräsentanten einer Täter- oder Opfernation. Dennoch holte Sie bei der Fußball-WM 1974 in Deutschland die Politik ein. Leider. Ich rechnete fest mit meiner Nominierung für dieses große Turnier. Ich hatte international einen guten Namen und war ja bei der WM in Mexiko 1970 auch schon dabei. Anfang 1974 teilte mir die FIFA jedoch mit, mich nicht zu berücksichtigen. Und zwar, weil sie wegen des Anschlags auf das israelische Olympiateam in München zwei Jahre zuvor nicht für meine Sicherheit garantieren konnte und wohl auch wollte. Wie haben Sie reagiert? Ich habe das akzeptiert. Es blieb mir ja auch gar nichts anderes übrig. Das Gespräch führte Torsten Haselbauer.