Gut ausgebildet, jung und ungebunden
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Gut ausgebildet, jung und ungebunden
Mittwoch, 20. Juli 2011 Kölner Stadt-Anzeiger MENSCHEN •• • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •• Ein liberaler Terror-Ankläger ¬ ¬ BUNDESAGENTUR WILL FACHKRÄFTE AUS SÜDEUROPA ANWERBEN Kräfte aus Krisengebieten FDP-Mann Johannes Schmalzl dürfte WelcheAnreizeundHindernisseGriechenoderSpanieraufdemdeutschenArbeitsmarkthaben wohl neuer Generalbundesanwalt werden VON EVA ROTH Noch hält sich die Bundesregierung bedeckt. Doch seit dem Wochenende häufen sich die Indizien: Der Stuttgarter Regierungspräsident Johannes Schmalzl (FDP) wird wohl neuer Generalbundesanwalt. Die endgültige Entscheidung soll in diesen Tagen fallen. Schmalz wäre eine interessante Besetzung für das Amt des obersten Anklägers der Republik. Er gilt als liberal, transparent und verwaltungserfahren. Der 46-Jährige mit jugendlicher Ausstrahlung wäre damit ein echtes Kontrastpro- Johannes Schmalzl BILD: DAPD gramm zur jetzigen Amtsinhaberin Monika Harms (64, CDU), die Ende September die Altersgrenze erreicht. Schmalzl ist FDP-Mitglied und in Baden-Württemberg damit bisher gut gefahren. Im Stuttgarter Justizministerium leitete er unter Minister Ulrich Goll (FDP) den Führungsstab. 2005 wurde Schmalzl Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz. Der nächste Karrieresprung kam 2008, als er das Regierungspräsidium Stuttgart übernahm – eine Behörde mit fast 3000 Mitarbeitern. Vor der Landtagswahl war er bereits als neuer Landesjustizminister im Gespräch. Nach dem grünroten Wahlsieg konnte Schmalzl zwar Regierungspräsident bleiben, die weiteren Perspektiven im Land waren aber nicht mehr so rosig wie früher. Da Schmalzl seine Posten bisher aber immer klug und effizient ausgefüllt hat, war er auch überregional im Gespräch, etwa als neuer Chef des Bundesnachrichtendienst. Nun also die Bundesanwaltschaft. Wie aus FDP-, CDU- und Justizkreisen zu hören ist, hat sich Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) mit der Union auf Schmalzl geeinigt. In Karlsruhe wäre er nicht nur oberster Terror-Ermittler und -Ankläger, sondern auch für Spionage, Kriegsverbrechen und strafrechtliche Revisionsverfahren am BGH zuständig. Die Bundesanwaltschaft ist an fast allen grundsätzlichen Strafverfahren beteiligt, etwa wenn es um den Wettbetrug von Schiedsrichtern geht oder Gentests an künstlich erzeugten Embryonen. Die größte Aufmerksamkeit bekommt die Karlsruher Behörde allerdings, wenn sie alte und neue Terroristen anklagt, etwa im Prozess um den Buback-Mord von 1977 oder gegen die islamistische Sauerland-Gruppe, die Autobomben bauen wollte. Hier müsste sich Schmalzl dann mit dem mächtigen Terror-Abteilungsleiter Rainer Griesbach verständigen, den Monika Harms einfach gewähren ließ. Als Ex-Verfassungsschützer kennt sich allerdings auch Schmalzl mit Sicherheitsfragen aus. Den Islamismus analysierte er damals nüchtern und sachkundig. Zugleich hielt er sogar als Ge- heimdienst-Chef den Datenschutz für wichtig. Etwas ruhiger wurde es um ihn, als er das Stuttgarter Regierungspräsidium übernahm. Er stand zwar offen zum Bahnhofsprojekt Stuttgart 21, das er „alternativlos“ nannte. Trotzdem wurde er nicht zur Hassfigur der S-21-Gegner. Auch das zeugt von Geschick. Kritik gab es bisher nur von der Linken. Deren Justiziar Wolfgang Neskovic monierte etwas kleinlich, dass Schmalzl noch nie eine Staatsanwaltschaft geleitet hat. Tatsächlich war er im Jahr 2000 nur kurz als einfacher Staatsanwalt in Stuttgart tätig. Vielleicht ist die Kritik Neskovics auch nur eine Retourkutsche, denn als Verfassungsschützer befürwortete Schmazl ganz unliberal die umstrittene Überwachung der Linkspartei. CHRISTIAN RATH •• • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •• Demut und Ruhe BILD: DAPD Ursula von der Leyen (CDU), Bundesarbeitsministerin, hat die Demenzerkrankung ihres Vaters nach eigener Aussage demütiger und ruhiger gemacht. Unterm Strich zählten nur „die großen Linien“ wie zum Beispiel die eigene Familie, sagte die Politikerin der Zeitschrift „Frau im Spiegel“. In einem Interview sprach die 52- von Parteien und Verbänden will die Bundesagentur für Arbeit (BA) am Anwerben von Fachkräften im Ausland festhalten. Wegen des drohenden Fachkräftemangels in den kommenden Jahren könne darauf keinesfalls verzichtet werden, betonte die Behörde in Nürnberg. Die Experten erhoffen sich hoch qualifizierte Bewerber unter anderem aus krisengeschüttelten Ländern wie Griechenland, Spanien oder Portugal. Allerdings: Gerade einmal 1400 Spanier haben sich im vorigen Jahr in Deutschland niedergelassen. Gut möglich, dass künftig mehr Arbeitssuchende hierher kommen. Gerade junge Spanier sind gut ausgebildet, und die Perspektiven im eigenen Land sind schlecht. Über 40 Prozent der unter 25-Jährigen sind arbeitslos. Mit einer Massenzuwanderung aus Spanien Hier lebende Ausländer verlieren, Deutsche gewinnen rechnet, die seit Mai ohne Beschränkung hierzulande arbeiten können. Auch aus diesen Ländern ist bislang nichts von einer Massenzuwanderung zu spüren, in diesem Jahr dürften um die 60 000 Osteuropäer ihr Glück bei uns suchen, prophezeit Baas. Eine derart mäßige Migration wird keinen nennenswerten Einfluss auf das deutsche Lohnniveau insge- Er wurde als Regierungspräsident nicht zur Hassfigur der S-21-Gegner – auch das zeugt von Geschick KÖPFE Ursula von der Leyen Frankfurt. Ungeachtet der Kritik nicht gerade einen Riesenanreiz, sich auf den Weg zu machen. Insgesamt kommen künftig vielleicht 100 000 Zuwanderer nach Deutschland, schätzt der Migrationsexperte Timo Baas vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Dabei sind die Bürger aus den ost- und mitteleuropäischen Staaten schon einge- Jährige über die Alzheimer-Erkrankung ihres Vaters, des ehemaligen niedersächsischen CDU-Ministerpräsidenten Ernst Albrecht. Ihr 81-jähriger Vater verhalte sich manchmal wie ein kleines Kind. Zwar lebe er inmitten der Großfamilie, doch gleichzeitig befinde der ehemalige Politiker sich in einer begrenzten Welt. „Er kümmert sich um seine Hühner und füttert mit sehr viel Spaß unsere Ziegen“, erzählte von der Leyen. In letzter Zeit beschäftige sich ihr Vater häufig mit dem Sterben. „Er fragt mich, ob er nach dem Tod zu Gott kommt, ob er meine Mutter dort wiedersieht, und wie man stirbt“, sagte von der Leyen. Über Politik könne sie mit ihm nicht sprechen. (epd) ILLUSTRATION: KRISCHKER und anderen südeuropäischen Krisenländern rechnen Forscher allerdings nicht. Die Sprachprobleme sind eine große Hürde, und die deutschen Löhne bieten in vielen Berufen samt haben, betont Baas. Dazu ist die Zahl der Zuwanderer einfach zu gering. Das schließt nicht aus, dass einzelne Gruppen eine wachsende Konkurrenz spüren. Forschern zu- folge lehrt die Erfahrung: Bereits hier lebende Ausländer verlieren, alteingesessene Deutsche gewinnen. Der größte Gewinner sei das Sozialsystem, meint IAB-Forscher Herbert Brücker. Denn Zuwanderer sind im Schnitt jünger als Bundesbürger und entlasten die Rentenversicherung. Dass sich Deutschland um Fachkräfte aus dem Ausland bemühen sollte, ist unter Forschern relativ unstrittig. Grund ist die demografische Entwicklung: Bis 2025 wird die Zahl der erwerbsfähigen Menschen hierzulande um 6,5 Millionen zurückgehen, wenn niemand zuwandert, berichtet die Bundesagentur für Arbeit (BA). Um spürbare Engpässe bei Fachkräften zu vermeiden, sei ein ganzes Bündel von Änderungen nötig. So müsse die Zahl der Schulabbrecher sinken, ältere Menschen und Frauen sollten besser in den Arbeitsmarkt integriert werden, und Geringqualifizierte müssten stärker gefördert werden. Zusätzlich sei eine Zuwanderung von rund 200 000 Menschen pro Jahr nötig. Der Eindruck, die BA setze vor allem auf Zuwanderung, sei falsch. Aber tut die BA wirklich genug für arbeitslose Deutsche und Migranten, die schon hier leben? Die Bundesagentur habe immerhin Anregungen der Gewerkschaften aufgegriffen und zwei Sonderpro- gramme zur Weiterbildung eingerichtet, sagt DGB-Arbeitsmarktexperte Wilhelm Adamy. Gefördert würden insbesondere gering qualifizierte Beschäftigte und Arbeitslo- sengeld-I-Bezieher, die eine Berufsausbildung nachholen wollen. Das sei aber nicht genug. Das Arbeitsministerium sollte ähnliche Hilfen auch für Hartz-IV-Empfänger anbieten, fordert Adamy. Klar ist jedoch auch, dass die Arbeitsmarktpolitik nicht alle Defizite im Bildungsbereich ausgleichen kann. Gerade in der Altenpflege hätten Bund, Länder und die Pflegebranche versagt und es nicht geschafft, den Fachkräftebedarf rechtzeitig zu sichern, kritisiert der DGB-Experte. Einen flächendeckenden Fachkräftemangel gibt es zurzeit noch nicht. Die Engpässe sind auf bestimmte Berufe und Regionen begrenzt, betont der IAB-Arbeitsmarktexperte Alexander Kubis. Dies gilt etwa für Ingenieure. Pfleger sind gerade in ländlichen Gebieten gefragt. Gerade im sozialen Bereich wird der Bedarf also weiter steigen. „Man fühlt sich fremd, aber das Gehalt ist ein Plus“ Jährlich verlassen 800 Ärzte ihre Heimat Polen Warschau. Die Personalnot muss groß sein. Deutsche Kliniken setzen immer häufiger Headhunter ein. Die „Kopfjäger“ werben im Internet mit „4000 Euro Anfangsgehalt plus Schichtzulagen und Überstundenvergütung“. Ihre Zielgruppe: polnische Ärzte. Eine bezahlte sechsmonatige Hospitationszeit „zur Erlangung notwendiger Sprachkenntnisse“ gibt es inklusive. Es muss wie ein Lockruf aus dem Paradies klingen. Junge Mediziner verdienen in ihrer Heimat trotz deutlicher Einkommenszuwächse in den vergangenen Jahren maximal 2000 Euro. Der 27-jährige Janek bekommt als frisch approbierter Allgemeinmediziner in einer Warschauer Klinik gerade einmal 800 Euro. „In Polen müssen die Eltern einen jungenArzt finanzieren. Ich werde mir früher oder später etwas anderes suchen müssen.“ Janeks Altersgenossin und Kollegin Joanna hat schon konkretere Pläne. „Ich kann mir gut vorstellen, für einige Jahre nach Deutschland zu gehen.“ Die Internistin hat vor kurzem ein Austauschjahr in Düsseldorf absolviert. „Es war sehr nützlich, aber man fühlt sich auch fremd. Das Gehalt ist natürlich ein riesiges Plus.“ Joanna liegt mit ihren Plänen im polnischen Trend. Seit dem EUBeitritt 2004 zieht es vor allem junge, gut ausgebildete Ärzte aus dem Osten in den Westen. Rund 800 Mediziner verlassen Polen jährlich, die meisten mit dem Ziel Bundesrepublik. Dort werden vor allem Spezialisten wie Chirurgen und Kardiologen gesucht, zunehmend aber auchAllgemeinmediziner auf dem Land. Mit der seit Mai geltenden Arbeitnehmerfreizügigkeit sind nun auch die letzten bürokratischen Hürden gefallen. Zum wichtigsten Kennzeichen von Schul- und Studienabgängern jenseits der Oder ist längst ihre Flexibilität geworden. 70 Prozent der 19- bis 26-Jährigen sind dort bereit, für einen lukrativen Arbeitsplatz den Wohnort zu wechseln oder ins Ausland zu gehen – und dies, obwohl die Jugendarbeitslosigkeit in dem Wirtschaftswunderland deutlich gesunken ist. „Unsere Jugendlichen sind äußerst rational. Sie wissen, dass es auf Berufserfahrung und Kompetenz ankommt. Deshalb gehen sie dorthin, wo sie die besten Chancen haben“, analysiert der Warschauer Wirtschaftswissenschaftler Mateusz Walewski. In Deutschland fallen neben den finanziellen Vorteilen die besseren Fortbildungsmöglichkeiten und die Chance zum Spracherwerb ins Gewicht. Abschreckend wirken dagegen die Arbeitszeiten. „ZwölfStundenSchichten kennen wir in Polen nicht“, sagt Joanna aus Danzig. Zudem sind die Gehaltssprünge auch in Polen groß. Mehrfach wurden die Ärzteeinkommen in den vergangenen Jahren im zweistelligen Prozentbereich angehoben. Wie lange das Werben deutscher Kliniken im Osten noch erfolgreich sein kann, ist deshalb ungewiss. jung und ungebunden Nena Polychronidou sieht keine Chance, in der Heimat Arbeit zu finden. Karrierebewusste Spanier zieht es nach Deutschland wir wohnen, bekommt man davon nicht so viel mit, ganz ehrlich“, sagt Polychronidou. Selbst demonstriert hat sie nicht, weil sie neben den Abschlussprüfungen jobben musste. „Ich hatte einfach keine Zeit.“ Nur wenn sie nach Thessaloniki oder Athen fuhr, sah sie, wie schlecht es vielen geht. „Leute haben Hunger oder können ihre Heizung nicht bezahlen – da kann ich es kaum ertragen, wenn Leute hier oben sich beschweren.“ Hundert Euro weniger im Monat, das sei eben schlimmer, wenn man nur 500 und nicht 2000 Euro im Monat verdiene, sagt sie. Wütend ist Polychronidou auf die großen Parteien, die sie für die gegenwärtige Krise verantwort- Oraiokastro. Gedanklich hat Nena Polychronidou ihre Koffer schon gepackt. Ein paar Wochen noch, dann wird die Kommunikationswissenschaftlerin das Haus ihrer Eltern im Norden Griechenlands auf unbestimmte Zeit verlassen und nach Berlin ziehen. „Ich wollte nie hier weggehen, aber ich sehe für mich keine andere Chance“, sagt die schlanke, leger gekleidete 25-Jährige. „Mit dem, was ich studiert habe, sind die Arbeitschancen in Deutschland definitiv besser.“ Die vergangenen anderthalb Jahre hat Polychronidou an der angesehenen Aristoteles-Universität von Thessaloniki ihren MBA gemacht. Doch derzeit stellt kein griechisches Unternehmen ein. „Wir waren fünfzehn Stipendiaten, sieben davon gehen jetzt ins Ausland, nach Japan, England, Holland oder nach Deutschland.“ Auch in Oraiokastro, einer Mittelstandsgemeinde am Rand von Thessaloniki, wo stets ein kühler Wind die weiß getünchten Einfamilienhäuser umweht, herrscht Krisenstimmung. „Obwohl da, wo Nena Polychronidou BILD: ENGELHARDT lich macht. „Die Menschen, die im alltäglichen Leben kämpfen, haben damit nichts zu tun.“ Lange habe die Regierung die Menschen ermuntert, auf Pump zu leben. „Und jetzt, wo die Blase geplatzt ist, lässt sie die Leute im Regen stehen.“ Polychronidou wollte ursprünglich Journalistin werden und solche Missstände anprangern. „Aber in den großen Zeitungen hier darf nur berichtet werden, was den Sponsoren und Anzeigenkunden in den Kram passt – deshalb habe ich meine journalistische Arbeit aufgegeben.“ Vorwürfen, Griechen seien faul, widerspricht sie energisch. „Die Leute arbeiten sehr hart – und wenn man überlegt für wie wenig Geld, dann ist das schon tragisch.“ Nena Polychronidou ist ein Kind von Gastarbeitern, ihr Abitur hat sie in Dortmund gemacht. „In Deutschland würde für diese Löhne keiner den Allerwertesten hochbekommen“, glaubt sie. „Als Kellner macht man pro Stunde 3,50 Euro und muss dafür nebenher noch die Toiletten putzen – da arbeiten die Leute hier eben 12, 13 Stunden, um durchzukommen.“ VON MARTIN DAHMS Madrid. „In einer anderen Sprache zu arbeiten, das macht sich sehr gut im Lebenslauf“, sagt José Sánchez. „Wenn du später in den USA oder in Dubai arbeiten willst, wird alle Welt anerkennend denken: Dieser Typ ist in Deutschland gewesen!“, ergänzt Nicolás Giménez. Die beiden sind jung – Sánchez 30 Jahre alt, Giménez 27. Sie sind gut ausgebildet – der Ältere ist Physiker, der Jüngere Betriebswirt. Sie sind ungebunden. Und vor allem sind sie karrierebewusst. Was sie sonst noch vom gewöhnlichen Spanier unterscheidet: Sie sprechen fließend Deutsch. Demnächst machen sie José Sánchez, Nicolás Giménez sich auf den Weg nach Deutschland. Ab 1. September werden sie bei der Abat AG in Bremen als SAP-Berater arbeiten. Deutschland sucht Fachkräfte, manche Betriebe händeringend. Das hat sich in Spanien, wo nach dem Zusammenbruch des Immobilienmarkts fast fünf Millionen Menschen arbeitslos sind, herumgesprochen. Als Angela Merkel Anfang Februar den spanischen Regierungschef Zapatero besuchte, geisterte die Nachricht durch die Medien, sie bringe eine Mappe voll Jobangeboten mit. Eine Frau aus dem südspanischen Almería fuhr mit dem Auto zur deutschen Botschaft nach Madrid, weil sie gehört hatte, dort könne man sich um einen Arbeitsplatz in Deutschland bewerben. Das Interesse an Deutschland war geweckt. In Bremen hörte Hinrich Meisterknecht, Personalchef der Abat AG – spezialisiert auf die Einführung von SAP-Software in der Auto- und Logistikbranche –, von der neuen spanischen Lust auf Deutschland. Im Mai ging er mit einer Anzeige bei Spaniens größter Internet-Jobbörse auf die Suche nach zehn neuen Mitarbeitern. 39 Leute meldeten sich. Die meisten kamen wegen fehlender Deutschkenntnisse nicht in Frage. Aber von zehn offenen Stellen hatte die Abat AG drei besetzen können. Personalchef Meisterknecht war ziemlich zufrieden. Zwischen 1960 und 1973 warb die Bundesrepublik Deutschland 600 000 Spanier als billige Hilfskräfte in der Industrie an. Die Sprache war egal. Heute sucht Deutschland gut ausgebildete Fachleute. Diese wären in Spanien zu finden, aber nur wenige von ihnen sprechen Deutsch: Etwa 1,7 Prozent der Erwachsenen laut einer Studie. Die Sprache ist die größte Hürde auf dem Weg nach Deutschland. Giménez und Sánchez sind beide als ErasmusStudenten in Deutschland gewesen. Sie gehören nicht zu den fast fünf Millionen Spaniern ohne Job – „Leute mit guter Ausbildung haben hier keine Probleme, Arbeit zu finden“, sagt Sánchez. Aber sie wollen beruflich vorankommen, und Deutschland scheint ihnen auf dem Weg nach oben eine nützliche Station zu sein. NACHRICHTEN ENDE DES BILDUNGSSTREITS IN NRW In bester Stimmung Gelöst präsentieren Kraft, Löhrmann und Röttgen den Schulfrieden VON GÜNTHER M. WIEDEMANN VON ULRICH KRÖKEL Flucht vor der griechischen Trostlosigkeit Gut ausgebildet, VON MARC ENGELHARDT THEMEN DES TAGES 03 Mittwoch, 20. Juli 2011 Kölner Stadt-Anzeiger •• • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •• 02 THEMEN DES TAGES Düsseldorf. Sie freuen sich wie kleine Kinder, denen ein guter Streich gelungen ist. Auf den ersten Blick sind sie auch richtig stolz. Ausgesprochen locker und harmonisch präsentieren am Dienstagmittag Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), CDULandeschef Norbert Röttgen, Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) und CDU-Fraktionschef Karl-Josef Laumann ihre schulpolitische Sensation: Der jahrzehntelange Streit über die Schulformen in NRW ist Vergangenheit. Lehrerverbände sprechen von einem historischen Tag. Dass aus den sich über Wochen hinziehenden Verhandlungen bis zuletzt rein gar nichts nach draußen drang, freut nicht nur die Ministerpräsidentin, wie sie bekennt. Laumann stimmt mit einem lauten Lachen zu und schaut die Medienvertreter mit erkennbarer Scha- denfreude an. Die vier Politikerinnen und Politiker haben keine Scheu, ihr Ergebnis kräftig zu loben. Vor allem aber strahlen sie um die Wette. Und sie plaudern so entspannt miteinander, dass man gar nicht glauben mag, dass vor knapp drei Wochen nach dem Abstimmungsdebakel in Sachen WestLB eine politische Eiszeit zwischen dem Regierungslager und der CDU ausgebrochen sein soll. Die Regierungschefin und ihre Stellvertreterin sind erkennbar lockerer und fröhlicher als bei ihrer Jahresbilanz-Pressekonferenz am letzten Mittwoch. Da war ja auch der Schulfriede noch nicht gesichert. Und so gelöst wie an diesem bedeutsamen Tag für die Landespolitik hat man auch Norbert Röttgen noch nie in Düsseldorf erlebt. Der oft als kühler Intellektueller beschriebene Bundesumweltminister ist ungewohnt witzig. Als er beispielsweise darauf hinweist, dass der Schulfrieden bis 2023 gelte, fügt er hinzu: „Mit Laufzeiten kenne ich mich aus. Das ist eine wirklich gute Laufzeit.“ Da lacht nicht nur Kraft herzhaft über die Selbstironie Röttgens; der hatte vor dem Atomunfall in Japan vergeblich versucht, eine zwölfjährige Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke abzuwehren. Als die Schulministerin bekennt, in ihrer Partei habe man ihr unterstellt, koalitionspolitische Überlegungen seien ihr wichtiger als bildungspolitische Ziele, fällt ihr Röttgen schmunzelnd ins Wort: „Unglaublich, was einem alles unterstellt wird. Das gibt es bei uns nicht.“ Auch damit hat sich der CDU-Mann wieder selbst auf den Arm genommen; denn einige in seiner Partei hatten ihm unterstellt, er suche eine schnelle Einigung mit der Regierung, allein um das Thema abzuräumen. Umso mehr ist die CDU positiv überrascht vom Ergebnis. > Leitartikel Seite 4 Anne Mansouret BILD: DAPD STRAUSS-KAHN Neue Verwicklungen bekannt geworden Paris. In der Pariser Sex-Affäre des ehemaligen IWF-Chefs Dominique Strauss-Kahn sind bei den Vorermittlungen überraschende Details ans Licht gekommen: Die Mutter der Autorin, die Strauss-Kahn versuchte Vergewaltigung vorwirft, habe bei ihrem Verhör eingeräumt, selber eine Affäre mit dem Politiker gehabt zu haben. „Einvernehmlich, aber durchaus brutal“ sei ihr Verhältnis gewesen, sagte Anne Mansouret der Polizei laut der Website lexpress.fr. (dpa) IRAN Schnelle Zentrifugen zur Urananreicherung Teheran. Der Iran hat weitere Fort- schritte in seinem umstrittenen Atomprogramm verkündet. In der Anlage zur Urananreicherung wurde eine neue Generation von Zentrifugen installiert. Sie sollen schneller als die bisher verwendeten sein. Experten nehmen an, dass die neuen Zentrifugen der dritten Generation das für Atombrennstäbe benötigte Isotop Uran-235 bis zu sechsmal effizienter aus dem Gas Uranhexafluorid filtern können. (dpa) Hannelore Kraft (SPD, r.), Norbert Röttgen (CDU) und Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) Länger gemeinsam lernen wollt, bleiben sie bestehen. Faktisch läuft der Kompromiss aber Mit dem Konsens zwischen CDU, darauf hinaus, dass viele HauptSPD und Grünen im Streit um die und Realschulen zusammengelegt richtige Schulstruktur soll jetzt ein werden. zwölfjähriger Schulfrieden in NRW einkehren. Kernstück ist die Gibt es künftig noch GymVerständigung auf eine neue nasien und Gesamtschulen? Schulform: Sekundarschule. Ja. Die Gründung von Gesamtschulen, die wie Gymnasien direkt Was ist die Sekundarschule? zum Abitur führen können, wird Sie schließt sich an die Grund- sogar erleichtert, weil die Zahl der schule an und umfasst die Jahrgän- notwendigen Schüler-Anmeldunge 5 bis 10. Die Sekundarschule gen von 122 auf 100 gesenkt wird. hat keine gymnasiale Oberstufe, muss aber mit einem Gymnasium Gibt es noch andere Schuloder einer Gesamtschule koope- formen? rieren. In den Klassen fünf und Berufskollegs, Weiterbildungssechs wird gemeinsam gelernt (in- kollegs und Förderschulen bleiben tegrierte Schule); in den Klassen erhalten, soweit diese trotz Inkludanach kann der Unterricht weiter sion (gemeinsames Lernen von integrativ oder differenziert zwi- Kindern mit und ohne Behindeschen guten und weniger guten rung) erforderlich sind. Die zwölf Schülern erfolgen. Darüber ent- Gemeinschaftsschulen, die nach scheidet der Schulträger mit der den Ferien starten, haben BeSchulkonferenz. Eine zweite standsschutz für den vorgeseheFremdsprache wird in der sechsten nen Versuchszeitraum und werden Klasse angeboten und dann noch danach wohl als Sekundarschulen einmal in der achten Klasse, damit weitergeführt. Das gilt auch für den Schülern der Weg zum Abitur Verbundschulen aus Haupt- und offen bleibt. Nach Abschluss der Realschulen. Sekundarschule können sie zum gymnasialen Kooperationspartner Warum Schulfrieden bis wechseln und sich dort nach drei 2023? Jahren der Abiturprüfung stellen. Kinder, die 2012 die Grundschule Auch zwischendurch soll ein verlassen, sollen ihre SchullaufWechsel möglich sein. Die Schule bahn ohne eine neue Schulformwird in der Regel eine Ganztags- debatte beenden können. Das sind schule sein. für Kinder der Sekundarschule ohne „Ehrenrunden“ maximal neun Was wird jetzt aus Haupt- Jahre (bis zum Abitur). Danach und Realschulen? soll der Konsens überprüft („evaGibt es genügend Anmeldungen luiert“) werden, was ebenso Zeit und sind sie vom Schulträger ge- erfordert wie die Verständigung US-ATOMWAFFEN Friedensaktivistin scheitert mit Klage Köln. Eine Friedensaktivistin ist mit ihrer Klage gegen die Stationierung von US-Atomwaffen im Eifelort Büchel gescheitert. Das Verwaltungsauf eventuelle Korrekturen an dem gericht Köln wies die Klage der 68jährigen Apothekerin ab. Die Frau Modell. wollte den Abzug der möglicherWer entscheidet, welche weise 20 dort gelagerten Atombomben erzwingen. (dapd) Schule wo angeboten wird? Nicht das Land, sondern die Kommunen als Träger öffentlicher Schulen entscheiden über das VEREINTE NATIONEN Schulangebot. Dabei müssen sie sich mit den Schulkonferenzen Immer mehr Menschen und Nachbargemeinden abspre- verlassen Somalia chen. Mit Letzterem soll verhindert werden, dass Kommunen sich Genf/Bonn. Die Lage in dem von eiSchüler „abjagen“. Gibt es keine ner schweren Dürre heimgesuchEinigung, entscheidet der jeweili- ten Somalia spitzt sich weiter zu. Wie das Flüchtlingshilfswerk der ge Regierungspräsident. Vereinten Nationen mitteilte, verWie finden Eltern die richti- lassen immer mehr Menschen ihre Heimat in Richtung Äthiopien und ge Schulform für ihre Kinder? Gespräche mit den Lehrern helfen Kenia. Bereits jetzt platzten die meist weiter. Die Sekundarschule Aufnahmelager in den beiden, bereitet einerseits auf die berufli- ebenfalls von der Dürre betroffeche Ausbildung vor, lässt aber nen Nachbarstaaten Somalias aus allen Nähten, hieß es. Hilfsorganisaauch den Weg zum Abitur offen. tionen sprechen derweil von der Wer musste bei denVerhand- schlimmsten Hungerkatastrophe seit 60 Jahren. (kna) lungen nachgeben? Die CDU hat ihre Verbundschule (Haupt- und Realschule unter ge- TERRORISMUS meinsamer Leitung) aufgegeben. Die Union hat ferner akzeptiert, Festnahmen am dass mindestens in den Klassen Flughafen Düsseldorf fünf und sechs der Sekundarschule gemeinsam gelernt wird. SPD und Düsseldorf. Zwei mutmaßliche MitGrüne haben die Gemeinschafts- glieder der „Arbeiterpartei Kurdisschule geopfert, weil an der Se- tans“ (PKK) sind am Düsseldorfer kundarschule nicht nach gymna- Flughafen festgenommen worden. sialen Standards unterrichtet wird. .Den beiden 28-jährigen Türken So ist beispielsweise die zweite wird vorgeworfen, maßgeblich daFremdsprache nicht Pflicht, son- ran mitgewirkt zu haben, Jugendlidern ein Angebot. Das Regie- che und Heranwachsende für den rungslager hat akzeptiert, dass in Guerillakampf der PKK in der Türder Verfassung ein gegliedertes kei oder eine Kadertätigkeit in Europa anzuwerben. (dapd) Schulsystem verankert wird. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum neuen Modell in NRW VON GÜNTHER M. WIEDEMANN BILD:DAPD