Rede für die Abiturientinnen und Abiturienten - Ricarda-Huch

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Rede für die Abiturientinnen und Abiturienten - Ricarda-Huch
Rede für die
Abiturientinnen und
Abiturienten
Jacqueline Sternheimer, Michael Strauch
Rot = Jackie
Schwarz = Michi
[Ich denke, also bin ich]
Descartes
[Ich weiß, dass ich nichts weiß]
Sokrates
[Man muss viel gelernt haben, um über das, was man nicht weiß, fragen zu können]
Rousseau
[Lernen, ohne zu denken, ist eitel; denken, ohne zu lernen, gefährlich]
Konfuzius
[Bildung kann einen sehr glücklich und gelassen machen]
Günther Jauch
[Was wir wissen, ist ein Tropfen; was wir nicht wissen, ein Ozean]
Newton
Die 13 Jahre, die wir zur Schule gegangen sind, machen wohl einen großen Anteil an H 2 O
Molekülen dieses Tropfens aus. Wir haben in Bio etwas über die Kapazitäten unseres
Gehirnes gelernt, selbst das Lernen wurde uns gelehrt und sogar über die Tragödie der
Gelehrten haben wir etwas gelernt. So viel gelernt habe ich. Ich möchte aber noch so viel
mehr lernen. Jeden Tag will ich dazu lernen. Ab jetzt entscheiden wir die Richtung.
Die Schule hat uns Beständigkeit geboten und alles, dem wir uns stellen mussten, war
Leistungsdruck. Dafür durften wir den ganzen Tag mit unseren Freunden zusammen sein.
Ich würde wirklich gerne einen O-Ton besitzen, auf dem all unsere Lacher hintereinander zu
hören sind. (der wäre sehr lang)
Ich habe in der Schule nicht gelernt, wie ich mir die Schuhe binde, ich habe nicht gelernt,
wie ich mir die optimale WG für die Zeit danach aussuche, wie ich meine Steuererklärung
zu machen habe, ob es nun gut ist, rumänischen Straßenkindern Geld zu geben oder es
besser zu lassen, welches Klopapier ich mir - umwelfreundlich betrachtet - kaufen sollte,
aber ich hab gelernt, WIE ich es herausfinde. Ich habe gelernt, mich in einer Gruppe
durchzusetzten. Zu diskutieren- und zwar auch ohne die Killerphrasen. Mich zu
informieren- kritisch, die Quellen abzuwägen und wie man wissenschaftlich arbeitet z.B.
Wie man sein eigenes Bier braut.
Überhaupt war, besonders in der Oberstufe, stets kritisches Denken gefragt. Das schätze ich
und wir tun gut daran, uns in Zukunft wieder daran zu erinnern! Ich meine damit nicht den
stinkenden Meckerer aus der letzten Reihe. Ich meine den kompetenten Zuhörer aus der
ersten, der nicht nur schwachmatisiert, sondern auch selbst tut, sich in unserem Ozean
nicht nur Treiben lässt, sondern das Ruder auch mal selbst in die Hand nimmt. Ja, ich
weiß... - das klingt jetzt so unglaublich idealistisch. Aber das genau ist an dieser Stelle
angebracht, an der man Träume und Ideale verteidigen muss.
[Es ist nicht genug zu wissen - man muss auch anwenden. Es ist nicht genug zu wollen man muss auch tun.]
Goethe
Wir können uns doch alle noch an unseren ersten Schultag erinnern, oder? An unsere
Schultüte, vielleicht sogar noch mit was sie gefüllt war, was wir anhatten (danke Mama, das
werde ich dir nie verzeihen!) und was man zu essen geschenkt bekam. Es ist natürlich kein
Rätsel, warum wir uns heute und auch in 150 Jahren noch an diesen Tag erinnern werden
können, trotz der einen oder anderen Alkoholleber. Es sind die Erwartungen; der Durst, die
Fähigkeit des Schreibens, des Lesens, des Rechnens und die, einer fremden Sprache
mächtig zu sein. Es liegt auch an dem Bedürfnis eines Kindes, von der Gesellschaft für voll
genommen zu werden. Zu lernen, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. (Kant) Für
mich begann an diesem Tag eine vermeintlich „unendliche Geschichte“. Mein Verstand
sagte mir natürlich, dass ich nach 9, 10,
oder 13 Jahren wieder an der nächsten
Anlegestelle dieses Ozeans des Nichtwissens anlegen würde, aber alles andere an mir und
vor allem mein Bewusstsein lasen nun mal lieber in der unendlichen Geschichte, als in der
Tageszeitung.
Bestimmt wurdet ihr dann auch kurz nach eurer Einschulung reihum gefragt, was ihr später
einmal werden wollt. Da waren dann meist ganz interessante Berufswünsche dabei, wie
Astronaut, Feuerwehrmann Tierärztin, Fußballer oder Prinzessin oder nur Prima Ballerina
dabei und die Raudis wollten wie goldig immer Polizisten werden. Doch liebe Lehrer/innen,
liebe Eltern und liebe Schüler/innen, was sind sie nun geworden, was wollt ihr nun
werden? Wenn ich mir aber tatsächlich mal vorstelle, was ich damals werden wollte, hatte
ich gar keinen Beruf vor Augen. O.k. schon, aber mein sich asymptotisch dem Nichts
annähernde Chemie Talent ließ die Apothekerin leider nicht zu. Nein, es ging mehr darum,
wie ich später mal sein werde, als was. Egal, welchen Weg wir jetzt nehmen, welche
Ausbildung wir erlernen, oder für welchen Studiengang wir uns entscheiden. Genau jetzt
haben wir noch einmal die Chance, den oder die Astronautin heraus zu packen -oder eben
für was er oder sie steht: Werden wir doch mal kitschig und nennen es buchstäblich nach
den Sternen zu greifen.
Unsere Stufe erfüllt alle Klischees: Die coolen Jogginghosen unterm Hintern tragenden
Sport LK’ler, den Mädchen dominierenden und motivierten Franz LK, den Powi LK mit
genialen Köpfen in der letzten Reihe, die zwar meistens ein „Ich bin dagegen Stempel“ auf
der Stirn trugen, aber ihre Ansichten meisterhaft vertreten können, wenn man sie
herausfordert. Der Chemie LK mit seiner großen Begeisterung für Experimente. Die
Abizeitungen verraten es euch: Wir hatten Weltverbesserer unter uns, Kaffeetrinker,
schlechte und gute Autofahrer bzw. Innen, Schleimer und Pöbler. Aber als individuelle
Menschen stehen wir natürlich nicht auf Klischees und ganz ehrlich: Diese Stufe hat mir
bewiesen, dass Klischees und damit verbundene Vorurteile Stempel und Schubladen sind,
wo offene regale und Spiegel viel gefragter sein sollten.
[Die Unwissenheit kommt der Wahrheit näher als das Vorurteil.]
Lenin
Fast alle von uns sind spätestens seit der 11. Klasse zusammen in einer Stufe. Das war
etwas ganz Neues: Man wurde neu zusammengewürfelt. Viele unserer Freunde sind ins
Ausland gegangen -nach Bolivien, Schottland, oder in die USA. Nun sprach man nicht mehr
von Arbeiten, sondern ganz wichtig von Klausuren und Punkte gab es nun anstatt der guten
alten Noten. Ich hatte damals das Gefühl, dass sich die Stufe sehr fremd war. Es war doch
sehr zweckmäßig und viele Vorurteile gab es natürlich auch. Aber dann kamen damals
Ereignisse, die einen an den Vorurteilen haben zweifeln lassen. Erst hatten wir das
Methodentraining, dann den Reflexionstag, der auch sehr wichtig war, später kamen die
Projektwochen in der 12 mit Projekten wie Bier brauen, Safe the world, Engel und
Relativitätstheorie, als nächstes dann ein echtes Highlight: Die Abschlussfahrt zu Beginn der
13. Ein Teil fuhr nach London, der andere nach Kroatien. Jeder von uns verbindet an dieser
Stelle seine ganz eigenen Erinnerungen und Eindrücke. Meer, Großstadt; Überseefahrt,
Busfahrt mit Zwen; BBC, Big Ben und Kultur pur, Meeresschule und historische
Stadtführungen mit Boris; hippe englische Szeneparties in einer Scheune, alkohollastige
Trinkspiele in der Ferieanlage. Ja..., wie wir alle sehen, war das wohl spätestens
gewissermaßen ein Wendepunkt. Ich habe mich mit vielen das erste Mal ganz anders
wahrgenommen. Ja und dann brach die Zeit unserer "genialen" Abiparties an. Bevorzugt im
Haarlem, auch mal im Havanna Club und sogar im Enjoy. LK Treffen, z.B. bei Hr. Dr. Kopp im
Garten gab es dann auch noch.
Man muss an dieser Stelle... nicht nur um etwas Schönes zu sagen, behaupten, dass wir alle
total eng zusammengewachsen sind. Ja..., natürlich gab es viele Differenzen, aber wenn wir
alle mit einem Schmunzeln an diese Aktionen zurückdenken, muss man doch feststellen,
dass die Oberstufe, die ja durchaus eher ein steiniger Weg ist, einem viele tolle Menschen
geschenkt hat, wertvolle Erfahrungen und hoffentlich ein Stück Papier, das für uns ein Stück
Zukunft bedeutet. Nicht alle, die mit uns am Anfang der 11 diesen Weg begonnen haben,
nehmen dieses Papier heute entgegen. Aber sie haben uns gezeigt, dass das Abitur nicht
den einzigen Weg darstellt und dass die mutige Entscheidung, manchmal eine Abzweigung
zu nehmen, sich dann als genau die richtige Entscheidung erweisen kann.
Wir wollen aber auch betonen, dass wir nicht nur als Schüler untereinander unser
Schulleben gestaltet haben, sondern die Lehrer und Lehrerinnen waren natürlich auch ein
prägender Part.
Da gab es Spanischlehrerinnen, die es entzückt hat, wenn man französisch sprach, oder
Mathelehrer, die mittlerweile die Karriereleiter etwas hochgeklettert sind und sich selbst
als „natural high“ bezeichneten (ja Hr. Nissel, wir meinen Sie), breakdancende Sportlehrer
waren immer beliebt und engagierte Powilehrer, die freies Arbeiten stets förderten, um
unsere vielfältig vertretenen Politikpositionen nicht zu untergraben. Es soll sogar
Chemielehrer gegeben haben, die mit einer Knallgasprobe die Schule auf den Kopf gestellt
haben.
So wie Lehrer leider in der Position sind, einen Schüler aufgeben zu können, so liegt es auch
an ihnen, an einen Schüler zu glauben, Ich bin nicht bei jedem im Bilde. Aber, in unseren
beiden Fällen und auch in anderen Fällen, die mir bekannt sind, gab es diese Lehrer, die an
uns geglaubt haben und dieses Vertrauen scheint uns gut getan zu haben. Seit heute haben
wir offiziell unser Abitur- also liebe Lehrer: Haben Sie weiterhin den Mut, zu glauben und
liebe Schüler: Zeigt, dass ihr an euch selbst glaubt... Die Ricarda ist für mich eine ganz
besondere Schule. Natürlich mit GANZ vielen Ecken und Kanten, aber mit diesen wird hier
stilvoll umgegangen- nämlich mit Jugendstil.
Ja, ich bin dankbar dafür, dass ich 13 Jahre in diese Schule gehen durfte. Auch wenn ich den
Leistungsdruck manchmal als belastend empfand und das Bewertungssystem als
ungerecht, so fühl ich mich doch gewappnet für das, was jetzt kommt... -die unbekannte
nächste Anlegestelle.
[Solange man selbst redet, erfährt man nichts.]
Marie von Ebner-Eschenbach
[Sprächen die Menschen nur von Dingen, von denen sie etwas verstehen, die Stille wäre
unerträglich.]
Anonym