Doku "Willkommen auf Deutsch": "Wir müssen diese verkrusteten
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Doku "Willkommen auf Deutsch": "Wir müssen diese verkrusteten
KULTUR DOKU "WILLKOMMEN AUF DEUTSCH" "Wir müssen diese verkrusteten Standpunkte verlassen" Die Kino-Doku "Willkommen auf Deutsch" zeigt, wie zwei Dörfer bei Hamburg mit Flüchtlingen umgehen. Regisseur Hauke Wendler meint, dass gerade Städter viel dabei lernen. VON Johan Dehoust | 11. März 2015 - 17:12 Uhr © Boris Mahlau/ Pier 53 Protest der Bürgerinitiative Appel Herr Wendler, Sie arbeiten und leben mitten in Hamburg, auf St. Pauli. Warum sind Sie rausgefahren in den Landkreis Harburg, um einen Film über die Flüchtlingssituation zu drehen? Wendler: Wir, also mein Kompagnon Carsten Rau und ich, haben festgestellt, dass die Berichterstattung zu diesem Thema oft einseitig ist: Entweder sie konzentriert sich auf kleine, urbane Räume oder auf ländliche Gegenden im Osten, in denen die NPD besonders stark ist. Dem wollten wir ein Stück Normalität entgegensetzen und uns anschauen, wie mit Flüchtlingen in der westdeutschen Mehrheitsgesellschaft umgegangen wird. ZEIT ONLINE: Und dafür steht der Landkreis Harburg südlich von Hamburg? Wendler: Ja, auf jeden Fall. In unserem Film tauchen viele Menschen auf, die für die etwa 81 Millionen Menschen in Deutschland sehr viel eher stehen, als es Konflikte in Städten widerspiegeln könnten. Einer der beiden zentralen Handlungsorte ihrer Doku "Willkommen auf Deutsch" ist Tespe, eine 4.000-Einwohner-Gemeinde in der Elbmarsch. Wie sind Sie auf diesen Ort gekommen? 1 KULTUR Wendler: Das hatte viel mit Zufall zu tun. Über Carstens Schwiegermutter haben wir von einer tschetschenischen Familie erfahren, die in Tespe in einer ehemaligen Sparkasse untergekommen ist. Eine Mutter mit sechs Kindern. Die Familie musste ständig befürchten, abgeschoben zu werden. Diese Geschichte hat uns so stark berührt, dass wir gesagt haben: Ok, damit wollen wir einsteigen. HAUKE WENDLER hat gemeinsam mit seinem Kompagnon Carsten Rau dokumentiert, wie die Bewohner zweier kleiner Dörfer bei Hamburg mit Flüchtlingen umgehen – Tespe und Appel. Das Ergebnis der über einjährigen Dreharbeiten: Die Doku "Willkommen auf Deutsch". © privat ZEIT ONLINE: Sie haben die Familie dann ein Jahr lang dabei begleitet, wie sie versucht, sich in Deutschland eine neue Existenz aufzubauen. Wie war der erste Kontakt? Wendler: Die Mutter und ihre Kinder waren wahnsinnig nett, aber auch misstrauisch. Schließlich haben sie in ihrer Heimat und auf der Flucht grauenhafte Dinge erlebt. Erst nach und nach haben wir ihr Vertrauen gewonnen und sie haben uns von den Anfeindungen erzählt, denen sie in Tespe ausgesetzt waren. Von Einwohnern, die die Straßenseite wechselten, wenn sie ihnen begegneten. Oder Jugendlichen, die nachts Knallkörper vor ihrem Haus zündeten, bis die kleinen Kinder der Familie weinten. ZEIT ONLINE: In ihrem Film taucht aber auch eine sehr hilfsbereite Anwohnerin auf. Eine Seniorin, die zu Besuch kommt und mit den Kindern Deutsch lernt. Wendler: Richtig. Und darüber waren wir sehr glücklich. Diese 80-jährige Dame kümmert sich auf einem ganz normalen menschlichen Niveau um die Familie aus Tschetschenien. Daran sieht man unserer Meinung nach auch, dass es nicht immer darum geht, auf einen Schlag die Welt zu retten. Man kann auch erst mal anfangen, ganz normal miteinander zu kommunizieren. Dann finden sich schon Wege. ZEIT ONLINE: Neben Tespe handelt ihr Film von Appel, in dessen Zentrum rund 250 Menschen leben. Warum dieser zweite Schauplatz? Wendler: Weil wir in Appel von Anfang an dokumentieren konnten, wie sich so eine Diskussion in einem Dorf entwickelt. Der Landkreis hatte damals den Plan, hier in einem ehemaligen Pflegeheim 53 Flüchtlinge unterzubringen. Damit waren die Bewohner Appels gar nicht einverstanden und haben sich zusammengeschlossen. ZEIT ONLINE: Eine Bürgerinitiative ist aber jetzt nicht unbedingt nur ein ländliches Phänomen, das kennen wir aus der Hamburger Innenstadt auch. 2 KULTUR Wendler: Das schon. Aber in kleinen Orten wie Appel werden solche Konflikte trotzdem viel direkter ausgetragen. In den meisten Städten gibt es zahlreiche Aktivisten, die sich für Flüchtlinge einsetzen, aber eben auch eine große Anonymität. Wenn Stadtbewohner nicht gerade zufällig neben einem Platz wohnen, auf dem Flüchtlingscontainer stehen, kommen sie selten mit dem Thema in Kontakt. ZEIT ONLINE: Die Einwohner Appels reagieren anfangs ziemlich heftig auf die Pläne des Landkreises. Ein Einwohner etwa sagt, er sei gegen die Flüchtlingsunterkunft, weil die Mütter ihre Töchter sonst nicht mehr allein auf die Straße lassen könnten. Wendler: Das sind natürlich ganz eindeutig rassistische Vorurteile. Aber solche Ressentiments tragen auch Menschen in Hamburg mit sich herum. Das Gros der Einwohner dieses Landes hätte, glaube ich, ernsthafte Probleme, wenn ihnen mitgeteilt würde, dass in wenigen Monaten 53 Asylbewerber in ihre direkte Nachbarschaft ziehen. ZEIT ONLINE: Nach langen, zornigen Debatten zwischen Bewohnern, Bürgermeister und Landkreisabgeordnetem kommt es in Appel zu einem Kompromiss: Das Dorf nimmt nicht 53, sondern elf Flüchtlinge auf. Ihre Unterkunft: der Landgasthof. Haben Sie Verständnis dafür? Wendler: Ich kann durchaus nachvollziehen, dass die Appeler sagen: 53 Flüchtlinge sind zu viel für uns. In einem Ort, der keine Infrastruktur hat, keinen Laden, keine Tankstelle, wäre das vielleicht tatsächlich schwierig gewesen. ZEIT ONLINE: Aber irgendwo müssen die vielen Flüchtlinge doch hin. Sollte man da wirklich auf solche Ängste Rücksicht nehmen? Wendler: Es bringt nichts, zu fordern, dass alle Bewohner dieses Landes jetzt grundsätzlich glücklich über neue Nachbarn, fremde Sprachen und Kulturen in ihrem Leben sein sollen. Wir müssen diese verkrusteten Standpunkte verlassen. Besonders in städtischen Räumen gibt es bei Flüchtlingsfragen ein viel zu starres Lagerdenken. ZEIT ONLINE: Wie kann man das ändern? Wendler: Ganz einfach: Wir müssen uns offener austauschen. ZEIT ONLINE: So wie in Appel. Wendler: Vom Prinzip her schon. Die Argumente für oder gegen Flüchtlingsunterkünfte müssen vom Stammtisch in die Öffentlichkeit. Nur so wird dem Einzelnen klar, dass es nichts bringt, sich hinzustellen und zu sagen: Ich hab grundsätzlich nichts gegen Ausländer, aber bei mir sollen sie bitte nicht wohnen. ZEIT ONLINE: Und das haben die Einwohner Appels am Ende ja begriffen. 3 KULTUR Wendler: Zumindest hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass es global ein akutes Problem gibt, dem wir uns als Gesellschaft stellen müssen. Egal ob in der Stadt oder auf dem Dorf. Die elf Flüchtlinge, die am Ende in Appel unterkommen, werden sehr gut betreut. Die Nachbarn fahren sie zu Ärzten und helfen bei Behördengängen. Das ist doch schon mal ein Anfang, finde ich. Der Film "Willkommen auf Deutsch" ist ab dem 12. März bundesweit in zahlreichen Kinos zu sehen. Mehr Informationen erhalten Sie hier . COPYRIGHT: ZEIT ONLINE ADRESSE: http://www.zeit.de/hamburg/kultur/2015-03/fluechtlingsdoku-willkommen-auf-deutsch-interview- hauke-wendler 4