zeitungen - Horizont
Transcrição
zeitungen - Horizont
HORIZONT 25/2014 25 18. Juni 2014 REPORT www.horizont.net/report ZEITUNGEN FOTO: MAJIVECKA / FOTOLIA ZUM THEMA Kundendialog Fortschritt durch Zuschnitt Von Roland Karle Generalist sein reicht nicht mehr: Die Zeitung muss ihre Kernfunktion neu bestimmen und ihr Angebot gezielter auf Zielgruppen und Plattformen abstimmen A ls Sebastian Turner zu Jahresbeginn 20 Prozent der Anteile am Berliner „Tagesspiegel“ erwarb und Herausgeber wurde, zeigte er sich „fasziniert von deren Ausbaumöglichkeiten“. Seinen Worten hat er Taten folgen lassen. Ende Mai startete der werktägliche Newsletter „Tagesspiegel Morgenlage“, der an 30000 politische Entscheider versandt wird und einen Überblick über die wichtigsten Nachrichten aus Politik und Wirtschaft gibt. Bereits seit Februar erscheint, ebenfalls für Politprofis, die „Tagesspiegel Agenda“ zu den 22 Sitzungswochen als eigenes Buch in der gedruckten Ausgabe. Der „Tagesspiegel“ werde von mehr Politikentscheidern in der Hauptstadt (54 Prozent) gelesen als jede überregionale Abo-Zeitung, sagt Turner. Mit so viel Elite in der Leserschaft lässt sich was anstellen: Seine gedruckte „Agenda“ und die digitale „Morgenlage“ positioniert der Verlag forsch als „hochspezialisierte Monitoring-Dienste“ und Fachinformation für das politische Berlin. Abwarten, ob sie sich durchsetzen. Denn Publikumsmedium und Fachtitel zu sein, das ist ein Spagat. Intelligent gesteuert, kann daraus aber auch eine große Chance für die Gattung der Tagespresse entstehen. Denn die Frage drängt sich auf: Taugt die Zeitung noch zum Generalisten? Oder muss sie sich spezialisieren? Oder gar beides tun? „Historisch betrachtet ist die regionale Tageszeitung ein Breitenmedium, für alles und jeden“, erklärt Nadja Vernimb, Geschäftsführerin der Agentur JOM Jäschke Operational Media. „Aber in Sachen Aktualität muss sie sich den digitalen Medien geschlagen geben.“ Die Auflage der gedruckten Tagespresse ist hierzulande binnen zehn Jahren um rund 30 Prozent zurückgegangen, und sie wird weiter schrumpfen. „Eine unumkehrbare Entwicklung“, sagt Vernimb. Das führt schon heute dazu, dass die Zeitung als Werbeträger für Markenartikler und den Handel öfter durchs Belegungsraster fällt. „Der langfristige Trend zeigt nach unten“, sagt Godo Röben, Marketingchef Rügenwalder Mühle (siehe Interview Seite 28). „Die Zeitung bedient das Bedürfnis nach abgeschlossenen Formaten, deshalb hat sie Zukunft – aber nicht auf Papier“, prognostiziert er mit Blick auf die Nutzungsmuster der jüngeren Generation. Von imposanten Zahlen aus der MA, die den Zeitungen eine Reichweite von 69 Prozent attestiert, sollte sich niemand blenden lassen. „Wir erleben gerade bei allen Mediengattungen das Ende der ,großen Samstagabend-Show für alle‘, da bilden die Zeitungen keine Ausnahme“, sagt Thomas Breyer-Mayländer, Professor für Medienmanagement an der Hochschule Offenburg. „Das Universalmedium, das die Zeitung per se darstellt, muss sich deshalb verändern.“ Es gehe darum, Kernfunktion und -kompetenzen neu zu bewerten. „Zeitungen sollten klarer Zielgruppensegmente ins Visier nehmen und mit einer entsprechenden redaktionellen Konzeption bedienen“, rät Breyer-Mayländer. Die lokale Sportberichterstattung etwa, eine gewohnte Domäne der Zeitung am Ort, verlagert sich zunehmend ins Netz. Das von Deutscher Telekom mit dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) betriebene Portal Fussball.de, das regio- nale Fußballportal Fupa.net mit bundesweiten Lizenzpartnern, darunter auch etliche Zeitungshäuser, sowie verlagseigene Entwicklungen wie Sportbuzzer.de (Madsack) und Heimatsport.de (Passauer Neue Presse) liefern Ergebnisse und Spielberichte schneller, ausführlicher und multimedialer als die Printausgabe. Mediaexpertin Vernimb hält eine Segmentierung des publizistischen Angebots für notwendig. „Inhalte sollten zielgruppen- und medienspezifisch aufbereitet werden, zum Beispiel indem es eine spezielle App-Version für junge Leute zwischen 16 und 25 Jahren gibt.“ Noch fehlt es den digitalen Medien der Zeitungen an ausreichender Differenzierung, sagt Schickler-Berater Alexander Kahlmann (siehe Seite 26). „Das bietet bislang nur eine Minderheit.“ Derzeit wird in den Verlagen viel probiert. Positiv aufgefallen ist jüngst ein Beispiel aus den Niederlanden. Die monatlich 5,99 Euro teure App „NRC Reader“ zählt gut ein Jahr nach ihrem Start mehr als 11000 Abonnenten und läuft profitabel. Gelobt wird ihre Bildsprache, einfache Bedienerführung und verschlankte Inhalte – täglich werden sieben bis neun neue Geschichten geliefert. Wenn sich am 24. Juni Unternehmen, Vermarkter und Mediaagenturen zum HORIZONT Zeitungsgipfel in Wiesbaden treffen, lautet eine der Kernfragen auf der Agenda, „Was die Werbungtreibenden von der Zeitung wirklich wollen“. Die Leistungswerte der Zeitungen und der Konditionendruck im intermedialen Wettbewerb, die Perspektiven des gedruckten Produkts und Brückenschläge von Print zu Digital werden die Vorträge und Diskussionen prägen. Wie differenziert Kunden heute die Zeitung für ihre Kommunikationszwecke einsetzen, zeigt das Beispiel Rügenwalder Mühle. Marketingchef Godo Röben investiert zwar auch den Löwenanteil des Budgets in TV und baut die Präsenz in digitalen Kanälen aus. Dennoch überzeugen ihn Zeitungen weiter insbesondere mit den Argumenten Glaubwürdigkeit, Aufmerksamkeit und Zielgruppen. Ein Pfund, mit dem die Verlage im Wettbewerb punkten können. Jochen Zimmer Ressortleitung Specials INHALT Paid Content: Warum immer mehr Verlage ihr Geschäftsmodell umbauen. 26 Interview: Marketingchef Röben über Printwerbung bei Rügenwalder Mühle. 28 Social Media: Regionalzeitungen suchen im sozialen Netz nach neuen Zielgruppen. 30 Cases: Award für Zeitungen mit modernem Layout und alternativem Storytelling. 34 Umfrage: HORIZONT befragt Experten zur Zukunft der Zeitung. 36 Anzeige Mehr Info? Einfach auf die Anzeige tippen. 26 REPORT ZEITUNGEN HORIZONT 25/2014 FOTO: FRANK PETERS / MONTAGE: HORIZONT Verkaufen statt verschenken Abschied vom reinen Reichweitenmodell: Zeitungen beschränken den Gratiszugriff auf Netzinhalte Plus für Abonnenten Wenn Abonnenten in Urlaub gehen, spenden sie häufig ihre Zeitung, zum Beispiel an eine soziale Einrichtung. Die Verlagsgruppe Rhein-Main („Allgemeine Zeitung“) bietet ihnen in einer Kooperation mit der E-Post jetzt einen Benefit: Die Abonnenten erhalten die Zeitung während ihrer Abwesenheit als E-Paper und zusätzlich vier Wochen lang ein E-Post-Konto, über das sie täglich ihre Post online empfangen und erledigen können. Der Service ist gratis. Die Agentur GKK Dialog hat die Idee geboren und ist an Nachahmern interessiert. Von Roland Karle F Kombiangebote erstellt, auch in Verbindung mit Hardware. Laut Schickler-Studie bietet mehr als die Hälfte der 41untersuchten Zeitungen Bundles inklusive PC-Tablets – überwiegend iPads – an. „Wir haben verschiedene Zahlmodelle ausprobiert und schnüren immer wieder neue Vertriebspakete, wenn wir feststellen, dass sie nicht fliegen“, sagt Martina Lenk, Geschäftsführerin Madsack Online. Dabei sei man sehr experimentierfreudig. Die Praxis habe gezeigt, dass einfache Zahl- und Registriervorgänge wichtig seien. Lenk: „Man darf dem Nutzer nicht zu häufig Kaufentscheidungen abverlangen – Stichwort Einzelartikelverkauf. Das macht ihm keinen Spaß.“ Die Mediengruppe Madsack hat schon 2012 den Kurswechsel zur kompletten Kostenpflicht vollzogen und damit gute Erfahrungen gemacht: Gleich im ersten Jahr stiegen sogar Online-Reichweite und -Werbeumsatz, außerdem kamen Vertriebserlöse hinzu. Lenk rät anderen Verlagen zur Nachahmung. „Es ist nicht sinnvoll, an manchen Stellen Geld zu verlangen und an anderen nicht. Wenn ein Kunde alles frei auf seinem Smartphone lesen kann, muss er keine App abonnieren.“ Denn nur mit konsequenter Bezahllogik spielt im Netz die Musik – wie bei den Berliner Philharmonikern. „Paid Content vorantreiben“ Verlage müssen die Vermarktung digitaler Angebote forcieren, rät Alexander Kahlmann, Berater bei Schickler Was hat Sie an den digitalen Bezahlangeboten von Zeitungen besonders überrascht? Dass die meisten E-Paper und Apps nahezu eine Kopie der gedruckten Zeitung sind. Anders als etwa in Skandinavien verbreitet, gibt es kaum zusätzliche Informationsebenen und Live-Paper-Formate. Muss das von Nachteil sein? Nicht, wenn sich das digitale Angebot an die bekannte Leserschaft richten soll. Denn es gibt viele, die die Zeitung in der bisherigen Form mögen, aber lieber auf digitalen Geräten nutzen. Hinzu kommt, dass die Verlage für den Transfer von Print auf die digitale Plattform wenig Geld ausgeben müssen. Jedoch: Neue, vor allem jüngere Leser werden die Zeitungen auf diese Weise kaum gewinnen. Man spart heute, aber gefährdet den Umsatz von morgen. Wie kann die digitale Zeitung bei der jungen Generation landen? Sie muss mehr zielgruppen- und themenspezifische Angebote machen. Individua- lisierung ist ein starker Trend im Netz, dem die Zeitungen bislang selten folgen. Jemand, der an lokalen Nachrichten, Sport und Wirtschaft besonders interessiert ist, sollte ein E-Paper oder eine App erhalten, die darauf zugeschnitten ist. Dazu ist ein hoher Grad an Automatisierung notwendig, aber technisch lässt sich das heute schon umsetzen. Doch die gegenwärtige Struktur und Logik von Redaktionen müssten sich erheblich verändern. Die Verlage würden an Umsatz einbüßen, weil Online-Abos günstiger sind. Stimmt, der Preisunterschied liegt derzeit im Durchschnitt bei monatlich 10 Euro. Aber die Kostenersparnis gegenüber Print ist enorm, sodass die Umsatzrendite nicht leiden, sondern eher steigen würde. Und: Kunden mit einer hohen Kündigungswahrscheinlichkeit könnten durch ein günstigeres Digitalabo gehalten werden. Wird Paid Content die Rückgänge im Sind die Verlage bei E-Paper/Apps und Printgeschäft wettmachen? Online-Zugriff auf dem richtigen Weg? Eine Verdreifachung der Paid-ContentBislang haben sie es vielfach versäumt, Erlöse in den nächsten fünf Jahren halten wir durchaus für möglich. Aber zuPrintabonnenten schnell zu Digitalnutgleich ist zu erwarten, dass die zern zu konvertieren. Noch heute verkaufte Auflage weiterhin um haben nicht alle ein attraktives 2 bis 3 Prozent im Jahr Brückenangebot, etwa indem sie schrumpft. Durch höhere Codigitale Produkte und Services mit pypreise lässt sich das, wie gedem Printabo verknüpfen oder entsprechend rabattieren. Und es schehen, wohl nicht mehr ausgibt noch keine Wechselangebogleichen. Umso mehr sollte, um Bezieher der geten die Verlage die digitale druckten Zeitung zu reiVermarktung vorantreinen Digitalabonnenten Alexander Kahlmann, ben – nicht nur als flankiezu machen. rende Maßnahme. ROL Schickler FOTO: SCHICKLER reunde der Klassik genießen die Auftritte der Berliner Philharmoniker, ein Konzertbesuch ist allerdings meist mit größerem Aufwand verbunden. Es geht auch anders: Seit sechs Jahren präsentiert sich das Orchester in der Digital Concert Hall – im Internet. Dort gibt es fast wöchentlich Live-Übertragungen sowie Zugriff auf über 240 Konzertmitschnitte und 150 Interviews mit den Musikern. Das Paket wird zum jederzeit kündbaren Dauerbezug für 14,90 Euro im Monat angeboten sowie zu etwas höheren Tarifen im Wochen-, Monats- oder Jahrestakt. „Nie waren die Philharmoniker so erreichbar wie heute“, sagte Intendant Martin Hoffmann, früher Sat-1-Geschäftsführer, auf dem Kongress „Zeitung Digital 2014“. Und übers Netz spielen die Musiker richtig Geld ein: bei derzeit 15000 Abonnenten jährlich Einnahmen von rund 3 Millionen Euro. Paid Content (für Inhalte, vor allem exklusive) kann also funktionieren. Was die Berliner Philharmoniker den meisten Verlagen dabei voraushaben: Sie betrieben von Beginn an eine stringente Preispolitik. Wer ins Konzert kommt, muss bezahlen, egal ob live im Saal oder im Internet. Zeitungen unterlagen lange dem Trugschluss, über kostenlosen Eintritt und entsprechend erzielbare Reichweiten durch Werbung ihr Geld verdienen zu können. Jetzt wird zurückgerudert. „Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Zahl der bezahlten Internetangebote verdreifacht“, berichtet Larry Kilman, Chef des Weltzeitungsverbands Wan-Ifra. Auch hierzulande bauen immer mehr Verlage ihr Geschäftsmodell um. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) listet derzeit 77 Titel mit digitalem Bezahlmodus auf, rund 80 Prozent mehr als noch vor einem Jahr. Dazu gehört auch das Osnabrücker Medienhaus Neue OZ. „Qualitativ hochwertige journalistische Inhalte dürfen nicht kostenlos sein“, begründet Geschäftsführer Christoph Niemöller das 2014 eingeführte digitale Abomodell. Auf dem Portal Noz.de sind nun nur noch 20 Artikel pro Monat gratis, danach gilt Bezahlpflicht. Dieses sogenannte Metered Model (siehe „Im Fokus“) präferiert auch Schwäbisch Media (Schwäbische Zeitung). Dort sind zehn Beiträge auf der frisch aufgesetzten Website kostenlos, weitere zehn gegen Registrierung, um sich dann gegebenenfalls zu entscheiden für ein Test-Abo (99 Cent/Monat), für „Digital Live“ mit Komplettzugriff auf die Website (6,99 Euro) oder für „Digital Premium“ mit unbegrenzter Nutzung aller Onlineplattformen inklusive E-Paper (19,99 Euro). Printabonnenten erhalten sämtliche digitalen Angebote für einen Zuschlag von monatlich 4,90 Euro – der liegt über dem durchschnittlichen „Upgrade“-Preis von 3 Euro für ein E-Paper, den die Unternehmensberatung Schickler ermittelt hat (siehe Interview und Fokus). Ein Beispiel dafür, wie Verlage versuchen, ihre Inhalte in digitalen Produkten und Paketen zu bündeln und mit Preisen zu versehen. Oftmals werden 18. Juni 2014 Im Fokus: Digitaltrends bei Zeitungen Beim digitalen Bezahlen vertraut die Mehrheit der Zeitungsverlage auf das Freemium-Modell, in dem einzelne Inhalte(pakete) kostenpflichtig sind. Den stufenweisen Übergang von definiertem Gratiskontingent (Metered Model) zu totalem Paid Content praktiziert bislang nur jede fünfte Zeitung. Laut Schickler dominieren bislang klassische Inhalte, die gegenüber E-Paper und Website wenig Mehrwert bieten. Derweil steigt die verkaufte E-Paper-Auflage der Tages- und Wochenzeitungen weiterhin kräftig. Lag sie Mitte 2010 erst bei rund 95000, so hat sie sich seither fast versechsfacht auf 564172. Der Anteil an der gesamten Verkaufsauflage bleibt mit unter 3 Prozent aber gering. Wenig Zusatznutzen Inhaltskategorien in Zeitungs-Apps Journalistische Inhalte Premium gegen Bares Anteil in Prozent 81 Regionale Reiseführer 6 Gelbe Seiten/Einkaufsführer Bezahlmodelle: Zeitungsverlage präferieren Freemium Bezahlmodell Freemium Kostenpflichtige Premium-Inhalte (ca. 20 bis 40 Prozent) neben Gratisinhalten 4 Ärzteverzeichnis 2 Metered: Ca. 5 bis 20 Artikel pro Monat gratis, danach komplett kostenpflichtig Gastronomieführer 2 Harte Bezahlschranke Alles kostenpflichtig, nur Vorschau von Artikeln möglich Freiwillige Bezahlung Nutzer entscheidet, ob er zahlt auf Basis von Micropayments Rezepte 1 Fotografie 1 73 18 7 2 Basis: Analyse von 45 deutschen Tageszeitungen Basis: Empirische Analyse der Content-Apps und Bundle-Angebote von 41 deutschen Zeitungen Quelle: Schickler-Studie „Paid Content II: Zeitungs-Apps und Bundles, Angebote und Preismodelle“ Anteil in Prozent HORIZONT 25/2014 Quelle: Schickler-Studie „Realisierung von Paid Content in Zeitungsverlagen“ HORIZONT 25/2014 Mehr Info? Einfach auf die Anzeige tippen. 28 REPORT ZEITUNGEN Von Roland Karle W HORIZONT 25/2014 „Thema, Tempo, Zielgruppe“ ährend Lebensmittelhersteller von vielen Verbrauchern kritisch beäugt werden, genießt die Rügenwalder Mühle laut TNS-InfratestUmfrage einen Vertrauensvorsprung im Wettbewerb. Wesentlich dazu beigetragen hat die Kampagne „Familienunternehmen mit Gesicht“. Godo Röben, Geschäftsleiter Marketing, erläutert das Mediakonzept des Mittelständlers. Rügenwalder Mühle gilt als sehr nahe am Konsumenten. Seit Mai haben Sie Currywurst und Curryfrikadellen neu im Sortiment. Haben Sie das vorher mit Ihrem Kundenbeirat oder Ihren über 200000 Fans auf Facebook besprochen? Wir sind zwar sehr aktiv in den sozialen Netzwerken und froh über unseren Kundenbeirat, den wir im September 2012 gegründet haben, aber mit den Curryprodukten reagieren wir unternehmerisch auf sich ändernde Lebens- und Verzehrgewohnheiten. Seit einigen Jahren spielen Frühstück und Abendbrot eine immer geringere Rolle, entsprechend ist der Wurstabsatz rückläufig. Also haben wir unser Sortiment um Snacks erweitert. 2010 ging es los mit den Mühlenwürstchen im Becher, es folgten die Frikadellen und jetzt die Mühlen Currywurst. Einspruch. Wir haben mit der Zeitung tatsächlich sehr gute Erfahrungen gemacht. Aber eben in bestimmten Situationen und für bestimmte Kommunikationsziele. Sie sprechen von Ihrer Kampagne „Familienunternehmen mit Gesicht“? Richtig. Dahinter steht die Idee, dass wir für unsere Kunden erkennbar und anfassbar sein wollen. Wurst ist ein Produkt, das viel Kritik einstecken muss, ob es nun Tierhaltung, Gesundheit oder Klima betrifft. Wir wollen deshalb unseren Kunden sagen, wo die Zutaten herkommen, wer hinter den Produkten steht, wie wichtig unsere Mitarbeiter sind. Es geht darum, Vertrauen aufzubauen und zu vertiefen. Marketingchef Godo Röben erklärt, wie Printwerbung die Rügenwalder Mühle nach vorn gebracht hat und warum die Mediaausgaben so stark gestiegen sind Um das zu erreichen, ist die Zeitung das richtige Medium? Zeitungen genießen selbst eine hohe Glaubwürdigkeit, das ist schon mal wichtig. Wir haben seinerzeit unseren Werbeauftritt und auch die Verpackung verändert. Darauf sind stets zwei Mitarbeiter abgebildet, die über einen QRCode auch im Video zu erleben sind. Die Marktforschung hat ergeben, dass die Menschen wissen wollten, ob das wirklich Rügenwalder-Mitarbeiter sind. Für uns eine Frage von hoher Relevanz, denn wir wollen echt und transparent sein. Welche Medien haben Sie für die Kampagne zur Markteinführung genutzt? 70 Prozent unseres Budgets investieren wir in TV-Werbung, weil wir dadurch rasch eine hohe Reichweite erzielen und die Menschen emotional ansprechen können. Online gewinnt weiter an Bedeutung, zum Beispiel sind wir wieder auf Youtube präsent. Nachdem unsere Viralspots mit Musiker Das Bo und Christian Ulmen alias Alexander von Eich sehr erfolgreich waren, haben wir nun die Youtube-Stars Y-Titty verpflichtet und erzählen die Geschichte vom Hashtag Man, der dank der Rügenwalder Currywurst eine Grillparty rettet. Nach den ersten drei Tagen hatten wir schon rund 400000 Abrufe und dürften unser Ziel von 1,5 Millionen Klicks erreichen. Bleiben Zeitungen außen vor? Für die Produkteinführung haben wir Titelkopfanzeigen in „Bild“ geschaltet. Mehr nicht. Beim HORIZONT-Zeitungsgipfel in der nächsten Woche halten Sie einen Vortrag „Warum Rügenwalder auf Zeitung steht“. Aber offensichtlich tun Sie das gar nicht. FMCG-Konzerne sind als Werbekunden in der Zeitung eher Ausnahme als Regel. Hat Sie das nicht zögern lassen? Gar nicht, denn dadurch sind wir auch ein bisschen aus dem Rahmen gefallen, haben mit unseren Anzeigen die Leser positiv irritiert und die Aufmerksamkeitsschwelle erhöht. Dank unserer Imagekampagne sind die Sympathiewerte von 60 auf 76 Prozent gestiegen. Das ist enorm. Ist das nicht ein deutliches Signal für mehr Zeitungswerbung? Um den Verkauf zu stimulieren, ist TV für uns das bessere und effizientere Medium. 70 Prozent unseres Budgets von 20 Millionen Euro fließen in TV, dafür bekommen wir rund 2 Milliarden Kontakte und der Abverkauf steigt spürbar. Wir können in Werbespots einfach besser Geschichten erzählen und Menschen mitnehmen. Darauf legen wir Wert. Kooperationen und Kombis, wie sie das Medienhaus Deutschland oder NBRZ umsetzen, positionieren sich als Qualitätsmedium mit hoher Reichweite – und wollen so den Wettbewerb mit TV aufnehmen. Kann das funktionieren? Das kommt immer auf das jeweilige Thema, Produkt und Werbeziel an. Als Medium für unsere Kampagne „Familienunternehmen mit Gesicht“ hat die Kombi der NBRZ hervorragend funktioniert. Oder als wir Bewerber für unseren Kundenbeirat suchten, haben wir zum Beispiel Anzeigen in der „Zeit“ geschaltet. Das hat gepasst. Die Tageszeitungen haben klar definierbare Stärken, und sie müssen sicher lauter trommeln, damit sie wieder stärker in den Fokus von Werbungtreibenden geraten. Dennoch: Der langfristige Trend zeigt nach unten. Sie haben lange Zeit das Mediabudget fast zu 100 Prozent in TV investiert, nun sind es 70 Prozent. Wie geht es weiter? Das weiß ich nicht. Die TV-Nutzung hat sich ja auch verändert, gerade bei jungen Leuten, die parallel am Smartphone oder Tablet sitzen – Stichwort „Second Screen“ – und sich der Werbung entziehen. Manche, vor allem witzige Spots auf Youtube zum Beispiel, werden zum Volltreffer. Und wissen Sie, wo Werbung noch bewusst und in Ruhe angeschaut wird? Im Kino. Das ist einer der wenigen Plätze, wo niemand in Eile ist und auf mobile Geräte flüchtet. Ist die Vielfalt an Medien und Werbeträgern für eine Marke wie Rügenwalder Mühle mehr Fluch oder mehr Segen? Das Marketing ist dadurch anspruchsvoller geworden. Es ist noch gar nicht so lange her, da war der Mediaplan mit Fernsehen, Zeitungen und Magazinen fast komplett abgedeckt. Als ich 1996 hier begonnen habe, reichten 3 Millionen DMark aus, um mit einer Kampagne bundesweit Verkaufsimpulse zu setzen. Heute brauchen wir umgerechnet das Vierfache. Rügenwalder zeigt Gesicht und neue Marken Godo Röben ist Geschäftsleiter Marketing & PR und Forschung & Entwicklung bei Rügenwalder Mühle in Bad Zwischenahn und seit 1995 im Unternehmen beschäftigt FOTO: RÜGENWALDER, HARRY KÖSTER Welche Rolle spielt Printwerbung? Sie ergänzt den Mediaplan. Wir haben Publikumszeitschriften ausgewählt, die vor allem von Männern gelesen werden, denn Currywurst ist ein Männerthema. Dabei haben wir für jedes Magazin spezielle Anzeigenmotive entworfen, die sich der Sprache der jeweiligen Themenwelt bedienen. In „11 Freunde“ zum Beispiel stellen wir „Unsere Neuzugänge“ vor, titeln „Für jede Halbzeit eine“ und betonen „Das Wunder von Bernd“ – eine Anspielung auf Bernd Becker, unseren Leiter der Entwicklungsabteilung, der auch abgebildet ist. In der Anzeige für „Computer Bild“ heißt es unter anderem „Update für deinen Hunger“ oder „Vollversion jetzt im Handel“, im „Playboy“ steht „Lust auf ’n Quickie?“ und „Schmeckt geil! Macht geil!“ Was hat Sie bewogen, dafür Anzeigen in der Zeitung zu schalten? Drei Aspekte: Thema, Tempo, Zielgruppe. Die Botschaft zu vermitteln, dass Rügenwalder Mühle ein Familienunternehmen mit klaren Wertvorstellungen ist, das ist erklärungsbedürftig und braucht Aufmerksamkeit – das geht nirgendwo besser als in der Zeitung. Und sie kann zugleich schnell ein großes Publikum erreichen: Über die Titel der NBRZ-Kombi haben wir an vier Tagen jeweils 27 Millionen Leser erreicht. Und zwar die Zielgruppe, die wir auch schätzen: eher ältere, kaufkräftige Personen, die sich bewusst ernähren. 18. Juni 2014 Der klassische Wurstmarkt ist rückläufig, die Nachfrage nach Snacks steigt. Rügenwalder Mühle reagiert mit einer Produktoffensive und inzwischen acht Marken. Der Umsatz kletterte 2013 um 1,1 Prozent auf knapp 176 Millionen Euro. Der Mediamix ist breit gefächert: In „Bild“ und Zeitschriften, Kino und Outdoor, auf Pizzaschachteln und auf eigener Verpackung (mit QR-Code), Anzeigenmotiv in Zeitungen auf Facebook und Youtube. TV absorbiert mit 70 Prozent des 20 Millionen Euro schweren Mediaetats jedoch den Löwenanteil. Fortgeführt wird die Kampagne „Familienunternehmen mit Gesicht“, bei der tatsächliche Mitarbeiter in Werbespots, Onlinevideos und Events auftreten. Zuvor hatte Rügenwalder auf Testimonials wie Oma Friederike und TV-Moderator Jörg Pilawa gesetzt. ROL HORIZONT 25/2014 Stärker im Doppel Die Ausweisung gemeinsamer Reichweiten für Print und Online findet Beifall Von Guido Schneider S prechen Medienexperten über die Leserzahlen gedruckter Zeitungen, fallen meist Stichworte wie Generationenabriss bei der Jugend, vergreisendes Stammpublikum und erodierende Haushaltsabdeckung. Die Verlage versuchen dagegenzuhalten. Schon vor Jahren forderten sie einen anderen Blick auf ihre Zeitungen, denn die zählen schließlich auch im Internet zu den bedeutenden Informationsmarken. Es ist deshalb sinnvoll, neben den Nutzungszahlen für Print auch die im Internet zu betrachten und eine crossmediale Reichweite zu bilden. Und die lässt sich heute in Form von Nettoreichweiten für Print und Online in Jeder Vierte liest nur online Zusammensetzung der Nettoreichweiten Printleser (24,6 Mio.) Print- und Onlineleser (19,9 Mio.) 35% Onlineleser (13,2 Mio.) 42% 23% Basis: deutschsprachige Bevölkerung ab 14 Jahren (70,33 Mio.), Regionale Abo-Zeitungen, überregionale Zeitungen, Bild, Die Zeit Quelle: ZMG, Best for Planning REPORT ZEITUNGEN 29 18. Juni 2014 HORIZONT 25/2014 der Studie Best for Planning (B4P) ausweisen. Diese Zahlen eignen sich in erster Linie für die strategische Planung, sind aber auch für spezielle Einzeltitel und Belegungseinheiten verfügbar. Sie zeichnen ein Bild von der Print- wie der Onlinenutzung der Zeitungen und geben die Überschneidungen beider Verbreitungswege wieder. In Zahlen: Von den 57,6 Millionen Deutschsprachigen, die Zeitung nutzen, blättert der überwiegende Teil (42 Prozent) nur in der gedruckten Ausgabe, 23 Prozent lesen ausschließlich online, während über ein Drittel (19,9 Millionen) ihre Zeitung off- wie online konsumieren. Mit dieser Hand-in-Hand-Reichweite lassen sich sogar die Werte für die Jungen aufhübschen. Unter den 14- bis 29-Jährigen erreichen die Zeitung und ihr Online-Ableger stolze 82,5 Prozent, während die exklusiven Printleser nur 43,3 Prozent in dieser Altersgruppe ausmachen. Die Reichweitenstudie B4P hat die Nutzung der gedruckten Zeitungen und der Online-Angebote über die Befragung von 30000 Personen ermittelt. Die Ergebnisse wurden an die Media-Analyse (MA) Pressemedien beziehungsweise MA Online angepasst. Dank des Single-SourceAnsatzes war es möglich, die Print- und Onlinenutzung für jede befragte Person zu ermitteln und damit all diejenigen zu extrahieren, die beide Kanäle nutzen. Für Markus Ruppe, Geschäftsführer der Zeitungs Marketing Gesellschaft (ZMG), Frankfurt, stellen diese Reichweiten einen „methodisch sauberen Orientierungswert“ dar, was auch die Nachfrager zu schätzen wissen: „Die Gesprächspartner reagieren mit großem Interesse, da wir jetzt unsere Leistungen als kanalübergreifendes Medium dokumen- tieren können. Das kommt der Denkweise der Werbungtreibenden sehr nahe.“ Was Marco Dörper, Media Director der Düsseldorfer Mediaagentur Zenith, bestätigt: „Ich begrüße es sehr, dass Zeitungen auch ihre Online-Reichweiten ausweisen. Wenn die Zielgruppe stimmz, kann auch eine Online-Zeitung ins Gesamtkonzept passen.“ Vorausgesetzt, die jeweilige Publikation erzielt im Netz genug Reichweite. Für die Zeitungsvermarkter sind die Crossmedia-Zahlen nützlich. „Die bislang vorliegenden Daten geben aggregiert für die regionalen Abo-Zeitungen einen guten Überblick, welche Zielgruppen via Print, Online und über beide Vertriebskanäle erreicht werden können“, erklärt Gerhard Müller, Gesamtanzeigenleiter der Rhein Main Presse in Mainz und Vorstand Zeitungen der Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse (AG.MA). A uch Sven Holsten findet es gut, dass die Gattung eine Nettoreichweite für Print und Online vorweisen kann, auch wenn die für den Chef der Nielsen Ballungsraum Zeitungen (NBRZ) bislang keine wichtige Rolle spielt: „Wenn wir für unsere Kunden me- Mehr Info? Einfach auf die Anzeige tippen. dienübergreifende Lösungen erarbeiten, ist diese Zahl nicht ausschlaggebend.“ Da zählt nur das Konzept, und Online wird am Ende auf TKP-Basis abgerechnet. Unterdessen bekommt der Crossmedia-Reichweite-Ansatz der Zeitungen Konkurrenz. Noch in diesem Jahr will die AG.MA ihre neue Intermedia-Datei vorlegen, in der erstmals Online vertreten sein wird. Die runderneuerte Studie hat drei Instrumente integriert, den HubSurvey, das Händlermodell sowie die Client-Rekrutierung, und wird die Nutzungsüberschneidungen der Mediengattungen und einzelner Angebote valide dokumentieren können. AG.MA-Vorstand Müller hält die neue IntermediaDatei für unverzichtbar, will aber nicht auf B4P verzichten, weil sie weitere Informationen über die Verknüpfung zwischen Medien- und Marktdaten liefert. Auch Zenith-Manager Dörper möchte, dass B4P bleibt: „Jede Initiative, die crossmediale Planungen valider macht, ist begrüßenswert. Die erweiterte Intermedia-Datei hat für die medienübergreifende Planung zwar eine deutlich größere Bedeutung, die Veröffentlichung kombinierter Zeitungsreichweiten macht sie jedoch nicht obsolet.“ Anzeige 30 REPORT ZEITUNGEN HORIZONT 25/2014 Das zweite Gesicht Auch Regionalzeitungen tummeln sich zunehmend im sozialen Netz und versuchen den Draht zu jüngeren Zielgruppen zu bekommen Von Sara Weber F Pflichtaufgabe: Die meisten Zeitungen zeigen inzwischen in sozialen Netzwerken Flagge Anzeige ür die überregionalen Zeitungen ist es ein Muss: Ob „Bild“, „Welt“, „Süddeutsche Zeitung“ oder „Frankfurter Allgemeine“, sie alle kommunizieren via Social Media mit Lesern, Fans und Followern. Doch mittlerweile haben auch die Regionalzeitungen das Terrain für sich entdeckt. Bei Facebook sind fast alle. Die „Neue Osnabrücker Zeitung“ (NOZ) etwa hat dort mehr als 34000 Fans. Auch bei Twitter sind die meisten Verlage. Die „Rhein-Zeitung“ hat hier über 38500 Follower. Laut Achim Himmelreich, Partner bei Mücke Sturm & Company, ist Social Media für Verlage essenziell: „Sie müssen schlicht dort präsent sein, wo ihre Leser sind“, sagt er. Wenn die Zeitungen ihre Leser auf den Social-Media-Kanälen abholen, dann vergrößere sich ihre Reichweite, so Himmelreich. „Wer Crossmedialität und multiple Kundenbindung ernst meint, der kann soziale Netzwerke nicht ausblenden“, sagt auch Social-Media-Experte Andreas Moring. „Zeitungen haben im Zweifel immer Neuigkeiten, die für eine Zielgruppe interessant ist – fachlich oder regional.“ Die Zeitungs-Marketing-Gesellschaft (ZMG) hat 79 Verlage nach ihren SocialMedia-Aktivitäten befragt. Danach sind 95 Prozent engagiert, der Schwerpunkt liegt auf Facebook (99 Prozent) und Twitter (73 Prozent). Dies ist auch bei der „Stuttgarter Zeitung“ der Fall, sagt Tobias Köhler, Ressortleiter Online (siehe Interview): Auf Facebook und Twitter hat die Zeitung nicht nur die größte Reichweite, sondern auch „den meisten Spaß mit unseren Usern“. Jannis Kucharz ist Social-Media-Experte und derzeit in der Geschäftsentwicklung der Verlagsgruppe Rhein Main tätig. Für ihn hat das Engagement von Zeitungen in sozialen Medien unzählige Vorteile: „Für viele sind Facebook und Twitter einfach der primäre Nachrichtenkanal geworden und genauso, wie ich viele Zeitungsausträger beschäftige, sollte ich auch schauen, dass meine Artikel im sozialen Netz ausgetragen werden.“ Dabei geht es auch um Video. Laut Kucharz ist eine gewisse Zielgruppe fast nur noch über Youtube zu erreichen „und wenn ich diese als Zeitungshaus nicht auf- Mehr Info? Einfach auf die Anzeige tippen. geben will, sollte ich mich schleunigst um Youtube kümmern“. So wie die Hessische/ Niedersächsische Allgemeine HNA, die mehr als 5000 Youtube-Abonnenten hat. „Die Redakteure filmen auf ihren Terminen, schneiden daraus Videos und vertonen sie auch selbst“, sagt Jens Nähler, Ressortleiter HNA Online. Video sei für Online-Medien wichtig, „allerdings gestaltet sich die Refinanzierung bei größerem Engagement schwierig“, so Nähler. Er sieht deshalb vor allem in Live-Berichterstattung „noch viel Potenzial“. Dass die sich nicht nur auf das Heute beziehen muss, hat 2013 die „Berliner Morgenpost“ gezeigt: Auf Twitter berichtete sie im Liveticker-Modus von John F. Kennedys Besuch in Berlin, der genau 50 Jahre zuvor stattgefunden hatte. Die Dortmunder „Ruhr Nachrichten“ (RN) versuchen sich ebenfalls mit neuen Erzählfor- „Die Social-MediaReichweite von Medien wird meist noch nicht monetarisiert“ Thorsten Peters, Pilot men: Die Zeitung hat neben den gängigen Social-Media-Kanälen einen eigenen Storify-Account, auf dem etwa Meinungen zum Dortmunder „Tatort“ gesammelt werden. Auch hinter dem Facebook-Kanal „BVB News“ steckt die „RN“: „Als Lokalund Regionalzeitung müssen wir die ‚Local Heroes‘ im Verbreitungsgebiet sein – egal auf welchem Kanal“, sagt Philipp Ostrop, Leiter Stadtredaktion Dortmund. Durch Social Media habe die Zeitung „einen extrem kurzen Draht zu unseren Lesern und Kunden“, so Ostrop. „Wir sind ansprechbar, und zwar auf Augenhöhe. Wir bekommen Ideen und Tipps und Kritik, und das macht uns ständig besser.“ „Über kaum einen anderen Verbreitungsweg lassen sich Nutzer so schnell erreichen wie über Plattformen wie Facebook und Twitter“, sagt Thorsten Peters, Geschäftsführer von Pilot. Zudem können Nachrichten laut Peters auf Basis der Profildaten „recht exakt an bestimmte Zielgruppen ausgesteuert werden“. Nutzer hätten „die Möglichkeit, nur die Nachrich- 18. Juni 2014 „Alles handgemacht“ Tobias Köhler, Ressortleiter Online der „Stuttgarter Zeitung“, kümmert sich dort auch um Social Media Die Stuttgarter Zeitung hat Accounts bei Facebook, Twitter, Google+ und Youtube – oder habe ich was vergessen? ten zu abonnieren, die für sie relevant sind. Das ist gerade bei regionalen Nachrichten von Bedeutung und schafft hohes Involvement“, so Peters. Auch die „Neue Osnabrücker Zeitung“ probiert viel aus im Social Web. Bei Facebook sei die stärkste Fangruppe jünger als 25 Jahre, „das heißt, wir erreichen über diese Plattform Leser, die unser klassisches Zeitungsprodukt nur selten lesen“, sagt Christine Wehlage, Projektmanagerin Unternehmensentwicklung. Bei der NOZ schult und berät eine Social-Media-Projektgruppe die Kollegen – und behält Trends im Auge. Deshalb ist die NOZ als eine von wenigen deutschen Zeitungen auch bei Pinterest vertreten: „Als erfolgreiches Medienunternehmen stellen wir uns in den sozialen Medien breit auf und haben auch Pinterest als Kanal für die Verbreitung unserer Inhalte gewählt“, so Wehlage. Dort zeigt die Zeitung Pinnwände: „Unsere Lieblingsrezepte“, „Streetstyle made in Osnabrück“ sowie das „Bild des Tages“. Noch schlägt sich Social Media kaum in den Finanzen der Zeitungen nieder. „Auf Facebook und Twitter haben viele Medienhäuser schon beträchtliche Reichweiten aufgebaut, die jedoch bislang überwiegend nicht monetarisiert werden“, so Pilot-Geschäftsführer Peters. In Verbindung mit Facebook-Media ließen sich diese Reichweiten allerdings nutzen, um gesponserte Inhalte zu versenden. Es gibt laut Peters bereits einige Kooperationspartner am Markt. „Solche Beiträge müssen natürlich als Werbung kenntlich gemacht werden“, betont er, „sie bieten aber gerade für Medien monetäre Potenziale, denn sie sind aufmerksamkeitsstark und werden als relevant wahrgenommen.“ Auch MS&C-Partner Himmelreich glaubt, dass Social Media finanzielle Vorteile bringen wird: „In Zukunft kann durch eine Auswertung der Daten natürlich via Personalisierung auch eine passgenauere Werbung ausgespielt werden, die mit höheren Erlösen einhergehen kann.“ Doch dafür muss sich laut Experte Moring noch einiges ändern – und zwar strukturell: „Erfolgreiches Social Media Marketing funktioniert nicht ohne Marketing. Bisher wurde die Verantwortung dafür immer allein in den Redaktionen abgeladen.“ Genau diese Einstellung führe nicht zu vorzeigbaren Resultaten. Das passt so. Warum ist es für Sie wichtig, dort überall aktiv zu sein? Unsere Leidenschaft gilt Facebook und Twitter, Google+ machen wir, weil’s dazugehört. Youtube nutzen wir als Abspielplattform, weniger „social“. Wieso liegt Ihr Schwerpunkt ausgerechnet auf Facebook und Twitter? Ganz ehrlich? Weil wir dort die größte Reichweite und den meisten Spaß mit unseren Usern haben. :-) Wer kümmert sich denn um die Accounts? Ein automatischer Feed? Ein Social-Media-Redakteur? Alle? Alles handgemacht. Social Media ist ein Job fürs ganze Team. Im Tagesgeschäft macht es der Newsredakteur vom Dienst, aber alle machen mit. Wenn Sie so viel Energie in Social Media stecken, muss das ja auch was bringen. Welchen Nutzen hat die „Stuttgarter Zeitung“ davon? Erstens und am wichtigsten: Wir kommen unseren Usern näher – und sie uns. Das ist toll. Zweitens: Traffic auf unsere Web- und Mobile Sites. Wie viel Traffic kommt prozentual gesehen durch Social Media auf Ihre Seiten – und welches soziale Netzwerk bringt am meisten Traffic? Facebook bringt den meisten Traffic, aber weit unter 10 % der Reichweite. Das liegt auch daran, dass wir FB nicht als Linkschleuder sehen. Gibt es ein soziales Netzwerk, das Sie als Nächstes ausprobieren wollen – Instagram oder Pinterest vielleicht? Wir konzentrieren uns auf die bestehenden Kanäle, Social Media ist eine Menge Arbeit. Aber wir halten die Augen offen. Das Interview fand komplett im 140-ZeichenRhythmus statt – auf Twitter. HORIZONT 25/2014 REPORT ZEITUNGEN 31 18. Juni 2014 Nicht jeder mag Papier Eine Exklusivumfrage von HORIZONT zeigt: Ohne Social Media geht es bei jungen Menschen nicht Von Giuseppe Rondinella TV ist wichtigste Informationsquelle Was sind die wichtigsten Informationsquellen, um sich über das aktuelle Geschehen (z.B. Sport, Politik, regionale Ereignisse) zu informieren? T ägliche Nachrichten auf bedrucktem Papier – für die jungen Menschen haben sie als Informationslieferant über das aktuelle Geschehen kaum Relevanz. Nur für 3,4 Prozent der Befragten zwischen 18 und 29 Jahren ist die Tageszeitung „sehr wichtig. Stattdessen beziehen die jungen Befragten ihre Informationen aus TV und Social Media. Diese Ergebnisse gehen hervor aus einer im Auftrag von HORIZONT vom Link Institut für Markt- und Sozialforschung durchgeführten Befragung von 500 repräsentativ ausgewählten Frauen und Männern zwischen 18 und 69 Jahren. Die Zahlen spiegeln – zumindest wenn man die verschiedenen Altersklassen be- Gesamt TV 54,8 Radio 38,0 Tageszeitungen 36,4 Online- /Mobilangebot von Tageszeitungen Sonstige Online- / Mobile-Newsangebote Geschlecht männlich 29,7 18,6 24,4 Social Media / Facebook, Twitter etc. 12,0 Google / Suchmaschinen 7,4 Kostenlose Zeitungen / Anzeigenblätter 3,4 Keine davon 0,4 2,3 4,7 0,4 0,4 (5) sehr wichtig 17,2 (4) 23,8 (3) 22,0 20,7 (2) 21,8 21,4 (1) überhaupt nicht wichtig 15,2 16,2 18,4 23,7 18,0 30 – 49 3,4 23,9 23,5 12,0 50 – 69 31,8 22,2 24,6 36,4 22,2 15,3 29,1 23,5 22,2 17,1 17,6 9,5 12,2 Basis: 500 Online-Befragte zwischen 18 – 69 Jahren Quelle: LINK Institut für Markt- und Sozialforschung Mehr Info? Einfach auf die Anzeige tippen. 2,5 0 19,2 12,8 7,7 3,4 5,1 8,1 3,8 0,9 3,4 0 HORIZONT 25/2014 15,0 20,3 11,0 13,5 Basis: 500 Online-Befragte zwischen 18 – 69 Jahren Angaben in Prozent Alter 18 – 29 weiblich 31,4 56,1 22,2 24,6 Quelle: LINK Institut für Markt- und Sozialforschung Welche Rolle spielen Tageszeitungen für Sie, um sich über das tägliche Geschehen zu informieren? Geschlecht männlich 12,0 30,4 33,8 29,7 7,7 Junge nutzen kaum noch Zeitung Gesamt 16,2 64,9 45,3 16,9 12,0 7,1 54,7 33,1 28,5 12,0 50 – 69 42,4 47,4 34,6 25,9 30 – 49 53,4 56,0 21,4 Angaben in Prozent Alter 18 – 29 weiblich HORIZONT 25/2014 trachtet – das wider, was die Medienforschung bereits weiß: Je älter die Befragten, desto wichtiger die Tageszeitung als Informationslieferant über das aktuelle Geschehen: Knapp 32 Prozent der 50- bis 69-Jährigen sagen, diese Art der Information sei für sie „sehr wichtig“. Werden die Befragten nach der relevantesten Informationsquelle gefragt, rangiert das Fernsehen in allen Altersgruppen auf Platz 1. Auch bei TV gilt: Je älter die Befragten, desto wichtiger das Medium. Umgekehrtes Bild jedoch bei Online – knapp ein Drittel der 18- bis 29-Jährigen nutzt am liebsten Onlineoder Mobilangebote von Tageszeitungen, bei den Ältesten sind es hingegen nur noch 13,5 Prozent. Auch Social Media wird als Informationsquelle fast ausschließlich von Jüngeren genutzt. Kostenlose Zeitungen beziehungsweise Anzeigenblätter spielen hingegen weder bei Jung noch bei Alt eine zentrale Rolle. Einen hohen Einfluss hat das Haushalts-Nettoeinkommen: Je höher dieses ist, desto irrelevanter wird TV. Umgekehrt bei Tageszeitungen: Ein Viertel der Haushalte mit einem Einkommen bis unter 2000 Euro informieren sich aus Tageszeitungen – bei Haushalten mit über 5000 Euro Einkommen sind es mehr als 37 Prozent. Anzeige Mehr Info? Einfach auf die Anzeige tippen. Mehr Info? Einfach auf die Anzeige tippen. 34 REPORT ZEITUNGEN HORIZONT 25/2014 18. Juni 2014 Vom klassischen Ressortdenken hat sich die niederländische Zeitung „de Volkskrant“ verabschiedet. Nicht Themen aus den jeweiligen Bereichen, sondern „Ten eerste“ – das Wichtigste – steht im Mittelpunkt. Ausland darf im überregionalen Blatt also direkt neben Inland platziert sein, eine Sportgeschichte neben dem Kulturbeitrag. Einzige Voraussetzung: Die Themen müssen wichtig sein. Mit dem Konzept hilft „de Volkskrant“ seinen Lesern nicht nur bei der Einordnung, nimmt zugleich eine Haltung ein und erfüllt damit eine alte Aufgabe der Zeitung mit neuem Leben. Schöner lesen Zeitungstrends 2014: Der European Newspaper Award prämiert modernes Layout und alternatives Storytelling Die Regionalzeitung als tägliches Magazin: So zeigt sich der niederländische „Leeuwarder Courant“ den Lesern. Für sein zeitschriftenähnliches Layout setzt das Blatt, das täglich mit einer Auflage von 70000 Exemplaren im Tabloid-Format erscheint, auf überraschende thematische Kontraste sowie auf beeindruckende Bilder. Das „Foto des Tages“ beispielsweise erstreckt sich jeweils über eine Doppelseite, die Geschichte dazu erzählt die Redaktion. Von Katrin Lang Der Wettbewerb Die Lokalzeitung „Hallingdólen“ erscheint dreimal wöchentlich in Ål, zwischen den Städten Oslo und Bergen, die jeweils 300 Kilometer entfernt sind. Vielleicht stehen einzelne Personen deshalb meist im Zentrum der Berichterstattung, die viel Liebe zum Detail auszeichnet. Mit dem Apfelkuchen illustrieren die Norweger etwa einen Artikel über die Lebensmittel-Rationierung im Zweiten Weltkrieg und zeigen mit Rezepten und Zutaten den langen Weg zum fertigen Gebäck. Visualisierung ist das Mantra des deutschen WochenzeitungsKlassikers „Welt am Sonntag“. Eine üppige Bebilderung – unter anderem mit Schwarz-Weiß-Fotos, die besonders dokumentarisch wirken sollen –, Infografiken in allen Ressorts sowie ein flexibles Layout im nordischen Format prägen das moderne Erscheinungsbild. So kann der Axel-Springer-Titel seine Leser selbst mit trockenen Politikthemen noch überraschen. FOTO: LEITNERR / FOTOLIA Der European Newspaper Award, der 1999 von Zeitungsdesigner Norbert Küpper ins Leben gerufen wurde, gilt als größter europäischer Zeitungs-Wettbewerb. Vergeben werden die Auszeichnungen jährlich beim European Newspaper Congress. Neben den Preisträgern in den Kategorien überregionale Zeitung, Regional-, Lokal- und Wochenzeitung, die HORIZONT auf dieser Seite zeigt, erhielten 129 Blätter aus 22 Ländern die Awards of Excellence. Mehr Info? Einfach auf die Anzeige tippen. 36 REPORT ZEITUNGEN HORIZONT 25/2014 18. Juni 2014 Medium für Best-Ager Wie sieht die Zukunft der Zeitung aus? HORIZONT hat vier Experten befragt Harald Müsse, Inhaber Müsse Media Consulting 1 Was werden aus Ihrer Sicht die USPs von gedruckten Zeitungen im Jahr 2020 sein? 2 Wie stellen Sie sich Ihre persönliche Zeitungsnutzung im Jahr 2020 vor? 1 Die Frage muss differenziert beantwortet werden. Bei den überregionalen Zeitungen wird es hoffentlich auch im Jahr 2020 so sein, dass die redaktionelle Qualität, Unabhängigkeit und Meinungsstärke die herausragenden und uniquen Produkteigenschaften sein werden. Hohe Analysekraft und Einordnung von politischen, gesellschaftspolitischen, wirtschaftlichen und kulturellen Vorgängen und Ereignissen wird auch 2020 gefragt sein. Die Preise – Copy- und Abo-Preise – werden allerdings steigen, wenn es den Verlagen nicht gelingt, die Werbeerlöse zu stabilisieren oder zu steigern. Bei den regionalen Zeitungen, werden meiner Meinung nach Bürgerthemen, Lokalberichterstattung und ein zielgruppenbezogener Themenmix sowie eine ausführliche regionale Serviceredaktion und Reportagen die Erfolgsfaktoren sein. Schon heute sieht man, dass Zeitungen, die sich stärker diesen Themen widmen, durchaus Erfolg haben. 2 Ausführliche Themen, mit Hintergrund und Einordnung möchte ich auch 2020 noch in Print lesen. Das gilt für überregionale wie für regionale Zeitungen. Kurznachrichten von großer Aktualität nutzt man ja heute schon auf den verschiedenen Newsportalen. Das wird sich in den nächsten fünf Jahren noch verstärken. Ob Zeitungen dann die relevanten Anbieter sein werden und auch in jungen Zielgruppen reüssieren, hängt sehr stark von der Kreativität der großen Zeitungshäuser ab und auch von der Fähigkeit, sich von den alten traditionellen Marken und deren Machern zu lösen. Philipp Froben, Geschäftsführer des Unternehmensbereichs Köln bei DuMont Schauberg 1 Der USP, also die unverwechselbare Stärke der Regional- und Lokalzeitungen, war, ist und bleibt die verlässliche, kritische und glaubwürdige Berichterstattung über relevante – lokale – Geschehnisse für eine kaufkräftige und gebildete Zielgruppe. Die Papier-Zeitung ist auch künftig Teil einer starken medienneutralen Nachrichtenmarke, die priorisiert und erklärt, welche Themen im lokalen Lebensraum relevant sind oder besser noch: relevant werden. Die modern aufgestellte multimedial arbeitende Redaktion nutzt alle ihr zur Verfügung stehenden Kanäle mit ihren spezifischen Möglichkeiten, um für unsere Kunden wichtige Themen einzuordnen und verständlich zu erklären. Sie, unsere Leser, bewerten dabei die journalistische Tiefe und Substanz, das Hintergründige als Alleinstellungsmerkmal. Hier bietet sich mit dem Qualitätsjournalismus, den wir weiterhin ganz klar in den Vordergrund stellen, die Möglichkeit, dass sich die gedruckte Zeitung mit ihren sorgfältig gesetzten Themen deutlich von der kurzen und schnellen Information in den digitalen Kanälen abhebt. 2 Meine Mediennutzung ist seit vielen Jahren nicht mehr allein bezogen auf eine spezifische Gattung. Das wird sich bis zum Jahr 2020 nicht verändert haben. Die gedruckte Zeitung bleibt dabei wertvoller Teil meines Informationskonsums. Sie erlaubt mir, Themen – insbesondere im regionalen Umfeld – zu verstehen und einzuordnen. Vor allem am Wochenende – wenn ich mir die Zeit dafür nehme. Im Laufe der Woche würde ich nicht mehr täglich eine gedruckte Zeitung erwarten. Hier können die digitalen Kanäle ihre Stärke ausspielen – schnelle Information, überall verfügbar. Thomas Lindner, Vorsitzender der Geschäftsführung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Andreas Törpel, Managing Director Media Team OMD 1 1 Auch in Zeiten von Google, Youtube und Flipboard wird es sich lohnen, Qualitätsjournalismus zu betreiben, der den Leserinnen und Lesern die Orientierungsqualität gibt, die sie auch heute von „ihrer“ Zeitung erhalten und erwarten. Bei der „FAZ“ ist es die journalistische Exzellenz, ihre Bedeutung als überregionales Leitmedium, die unsere Leser sonst nirgendwo erhalten. Ganz anderer Art, aber nicht weniger wert ist die Service- und Orientierungsqualität einer guten Lokalzeitung. Das Besondere in beiden Fällen ist: Die journalistisch gut gemachte Zeitung bietet das einzelne Thema, die Einzelinformation immer auch im Kontext eines Überblicks, in der Einordnung eines regionalen, überregionalen oder inhaltlichen Gesamtzusammenhangs. Das ist auch in Zukunft ein Mehrwert und wesentlicher Teil der Bindekraft der Zeitung als crossmedialer Marke, gedruckt und digital. Im Gegensatz zu automatisierten Info- und Artikel-Generatoren, die den Kontext algorhythmusgesteuert simulieren. Das gedruckte Zeitungsexemplar der nahen Zukunft wird sich vor allem durch Qualität und Substanz für seinen Leserkreis auszeichnen. Diese Positionierung entwickelt sich aus dem Nutzungsverhalten der breiten Bevölkerung, das – durch die Dominanz der Digitalisierung geprägt – auf Aktualität und schnelle Konsumierbarkeit ausgerichtet ist. Gegenüber der zwar brandaktuellen und sekündlich aktualisierten, aber daher meist eher oberflächlich behandelten Informationen aus Digitalkanälen zeichnet sich die gedruckte Zeitung durch Informationstiefe, Hintergründe, Kommentare und qualifizierte (Print-)Anstöße zum Redaktion-LeserDialog aus. Die Tageszeitung in ihrer gedruckten Form wird sich von einem Massenmedium zu einem Medium für besser gebildete und besser situierte „Best Ager“ wandeln und somit die Renaissance des Begriffs „Informationselite“ vorantreiben. 2 In den nächsten Jahren werden die Verlage ihre Inhalte über alle denkbaren Zugangskanäle (Desktop, Tablet, Mobile, Papier) inszeniert und aufeinander abgestimmt haben. Daher ist für jeden Anspruch, Geschmack und gewünschte Verwendungssituation das richtige Angebot vorhanden. Das große Fragezeichen steht hinter der Vision eines individualisierten Zeitungsexemplars, das sich technisch und wirtschaftlich durchsetzt. Der Anteil der Leser, die Printausgaben präferieren, wird zwar zurückgehen, aber absolut betrachtet immer noch eine große Relevanz haben. Nicht nur meiner persönlichen, sondern auch der allgemeinen Mediennutzung entsprechend dürften die Verlage tendenziell dazu übergehen, ihre Papier-Ausgaben auf das Wochenende zu beschränken und sich unter der Woche auf die digitale Verbreitung ihrer Inhalte zu konzentrieren. 2 Nicht viel anders als heute auch: als den besonderen Moment der Konzentration auf ein aktuelles Medium, das wie kein zweites Information, Reflektion, Einordnung und Meinung in einem bietet. Pressekonzentration steigt auf neuen Höchstwert HORIZONTREPORT ist ein Sonderteil von HORIZONT, Zeitung für Marketing, Werbung und Medien Chefredaktion: Dr. Uwe Vorkötter (V.i.S.d.P.), Volker Schütz, Jürgen Scharrer Ressortleitung: Dr. Jochen Zimmer Telefon 069/7595-2695 E-Mail: [email protected] Redaktion: Bettina Sonnenschein, Giuseppe Rondinella Die Konzentration im Segment der Kaufzeitungen nimmt seit Jahrzehnten zu, das bekräftigt die jüngste Auswertung der Media Perspektiven vom Mai diesen Jahres. Der Marktanteil der zehn größten Verlagsgruppen hat sich im Vergleich zu 2006 um 6,1 Prozentpunkte auf nun 59,3 Prozent erhöht. Zwar hat sich im Verlauf der Untersuchungsintervalle auch die Rangfolge unter den Zeitungshäusern verändert, der Verlag Axel Springer führt das Feld aber weiterhin an – und das, obwohl der Marktanteil im Gesamtmarkt bei den Berlinern stetig schrumpft (von 22,5 Prozent im Jahr 2006 auf nun 15,5 Prozent). Unterdessen gewinnen andere Verlagshäuser an Boden. Zum Beispiel die Verlagsgruppe Madsack: Der Marktanteil der Hannoveraner erhöhte sich innerhalb der letzten acht Jahre um mehr als das Doppelte auf nun 5,2 Prozent. In der Rangliste der erfolgreichsten Häuser klettert das Verlagshaus Schritt für Schritt nach oben. Nach dem neunten Platz im Jahr 2006 ist es nun der vierte Platz. GIUSEPPE RONDINELLA Axel Springer weniger dominant Konzentrationsgrad des Tageszeitungsmarktes anteilige Auflage in Prozent 2014 Rang Prozent Axel Springer, Berlin 1 Verlagsgruppe Stuttgarter Zeitung / Die Rheinpfalz / Südwest Presse 2 Funke Mediengruppe (ehem. Verlagsgruppe WAZ), Essen 3 Verlagsgruppe Madsack, Hannover 4 2012 Rang Prozent 7,7 5,2 9,2 2 5,7 3 5 5,2 6 5,5 4 Verlagsgruppe DuMont Schauberg, Köln 5 5,0 4 Verlagsgruppe Ippen, München 6 4,3 6 Verlagsgruppe Augsburger Allgemeine 7 3,3 8 2,8 – Rheinisch-Bergische Verlagsgesellschaft / Rheinische Post 8 3,0 10 2,0 10 Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft, Hamburg 9 3,0 7 3,1 10 2,8 9 2,5 Verlagsgruppe Frankfurter Allgemeine Zeitung Quelle: Media Perspektiven 5/2014 4,2 8,6 2 3 5 2008 Rang Prozent 19,6 1 18,8 1 15,5 1 9,5 2010 Rang Prozent 5,8 4,0 5,5 4,2 22,1 1 8,5 2 3 8 2006 Rang Prozent 6,0 2,5 22,5 3 5,2 2 5,6 9 4 4,2 5 5 4,0 – 2,5 3,9 – 4 2,0 – – 8 3,0 9 2,4 10 2,2 7 3,1 7 3,0 7 3,0 4,1 HORIZONT 25/2014