Auf 48 Seiten
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AL T! 196 Seiten DAS MAGAZIN FÜR KLASSISCHE SPIELE 2/2014 März/April/Mai 2014 Deutschland @ 12,90 Österreich @ 14,20 Schweiz sfr 25,80 Luxemburg @ 14,85 made in japan Teil 2: Winnie Forster über die Jahre 1984–1994 Katakis Heinrich Lenhardt zeichnet die Story des deutschen Skandaltitels nach Kein Feuilleton ohne GTA5Verehrung – doch GTA3 war die weit größere Leistung Rollenspiele Experten-Wissen zur Entstehung und Evolution des beliebten Genres Wieso der »Brotkasten« Kult war und Kult bleibt 64 Auf 48 Seiten Plattform-Check, Verschollene Spiele Plus 22 Seiten in weiteren Artikeln zu C64-Spielen Das NES-RPG hat sich gut gehalten! PLUS: Dt. Version von Shadowrun Returns 3DO ElectronicArts& 3DO-Gründer Trip Hawkins über seine größte Niederlage Spectrum 128 Tomy Pyu-ta Sir Sinclairs Ankündigung – und der reale Homecomputer Machina Obscura: Im Westen war Tomys Gerät als „Tutor“ bekannt arcade | atari | commodore | MSX | NEO GEO | nintendo | schneider | sega | sinclair | SONY W Anatol Locker Heinrich Lenhardt Jörg Langer Mick Schnelle illkommen zum neuen Retro Gamer, und ein besonderes Willkommen an die Chip-PowerPlay-Leser! Nachdem die Kollegen der PowerPlay ihr Heft leider nicht weiter verlegen werden, möchten wir gerne deren Lesern ein neues Print-Zuhause geben. Wir wissen natürlich, dass wir ein etwas anderes Heft machen und auch keine DVD bieten – dafür aber deutlich mehr redaktionelle Seiten pro Ausgabe zum Schmökern und Schwelgen. Wir sind guter Dinge, dass wir auch für PowerPlay-Fans eine spannende Lektüre darstellen – zumal zu den Retro-Gamer-Autoren Spieleveteranen wie Heinrich Lenhardt, Winnie Forster, Anatol Locker und Mick Schnelle gehören. Der Commodore 64 war für sehr viele Deutsche der Einstieg in die Heimcomputer- und Spielewelt. Obwohl angesichts des augenkrebserzeugenden Äußeren und des noch schlimmeren „Inneren“ (blinkender hellblauer Cursor auf blauem Grund) keiner mit seinem Siegeszug gerechnet haben dürfte. Anfangs auf Modul und Kassette, später zunehmend auf Floppydisks erschienen immer komplexere, teils persistente Spiele, mehr als 10.000 sind es bis heute. Wir haben wirklich nichts gegen die Schneider-, Spectrum-oder Atari-8-Bitler, aber in Sachen Spieleangebot, technische Fähigkeiten (sofern von geschickten Codern ausgereizt) und Sound kam insgesamt kein Konkurrent am Brotkasten vorbei. Dementsprechend widmen wir dem C64 in diesem Heft zwei Schwerpunkte und einige Einzelartikel. Doch keine Sorge: Andere Homecomputer, Spielkonsolen und Automaten kommen nicht zu kurz. Das ist gar kein C64, werden viele von euch angesichts des Fotos unten denken. Richtig! Aber als eines Tages mein Lieblingsonkel vorbeikam und mir anbot, seinen sündteuren „Büro-Computer“ C128 gegen meinen ollen C64 einzutauschen, konnte ich nicht nein sagen. Zwar nutzten nur wenige Spiele wie Ultima 5, Rocky Horror Show oder Alleykat das verdoppelte RAM, aber es gab sie. Zudem sah der C128 cooler aus und hatte drei Betriebssysteme (unnötigerweise). Und die klobige 1541 wurde durch die bessere 1571 ersetzt. Auch in unserem Sammler-Check zum Commodore 64 betrachten wir den C128 als eine „Version“ des C64 – worüber sich natürlich streiten ließe. Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen! Winnie Forster Jörg Langer Projektleitung Retro Gamer » Zugaben, die es heute, wenn überhaupt, nur noch bei teuren Special Editions gibt: Die original Ultima-4Packungsbeilagen. Nur: Wo ist der Mondstein …? Inhalt 2/2014 März, April, Mai Für Liebhaber von klassischen Spielen Klassiker-Checks Historie Schwerpunkte 014Wasteland 008Katakis 016 Made in Japan, Teil 2 054 Impossible Mission 036 Commodore 64: Sammler-Check Heinrich Lenhardt reist ins Ödland 030 Winter Games 110 Kyrandia 2: The Hand of Fate 150 Shadow of the Colossus 184Descent 090 Earthworm Jim Epyx‘ Sportspiel-Klassiker lebt Mick Schnelle lobt die Modeschau Making Of 022Shadowrun Cyberpunk plus Orks = NES-Hit 028 Shadowrun Returns dt. Die exklusive Ladenversion des RPG 032 Chaos Engine Wieso das Spiel so extrem schwer war 062StarQuake Auf dem Spectrum eine Welt erforschen 106 Die Sims Wie die Lebenssim zum Leben erwachte 146 Andrew Braybrooks Gribbly’s Day Out Debüt des vielleicht größten C64-Stars 174Movie Das „Game Noir“ aus Jugoslawien 186 GTA 3 Einflussreicher als der aktuelle 5. Teil Firmen-Archive 052 Sucker Punch Wir stellen die eigenwilligen Infamousund Sly-Raccoon-Macher vor 070 Access Software Die Firma hinter Leaderboard, Tex Murphy, Raid of Moscow und vielen mehr 4 | RETRO GAMER 2/2014 Der sprechende C64-Klassiker 080 Evolution der Prügelspiele Winnie Forster über stilvolle Action Anatol Locker steht noch heute drauf Heinrich Lenhardts hat neue Infos zum R-Type-Klon, den es gleich zweimal gab Wie Prügler die Arcades & Konsolen stürmten Der unwahrscheinlichste Held: ein Regenwurm 140Rambo-Videospiele Tumbe Ballereien? Ja, aber nicht alle Winnie Forster berichtet vom Jahrzehnt des Siegeszugs der japanischen Spiele Wieso überhaupt sammeln? Die besten Spiele, die wichtigsten Zusatzgeräte 046 Vergessene C64-Spiele Manche dieser Titel wurden gepreviewt und getestet – doch sie erschienen nie 098RPGs Experten-Wissen: Von den Anfängen des Genres bis zum Neustart 160 Forgotten Worlds 152 Ridge Racer 168Strider Retro-Hardware Wie die Rennspiele das Driften lernten Keiner war schneller, flinker, tödlicher Retro-Revival Den Göttern zeigen, wo der Hammer hängt: Ultimativer Guide 1123DO Unsere große Retrospektive mit vielen O-Tönen von Trip Hawkins persönlich 006 Spy vs Spy (Anatol Locker) 060 3D Monster Maze (Winnie Forster) 088Sagaia (Stuart Hunt) 132Amazon (Mick Schnelle) 166Defender (Heinrich Lenhardt) 124 Tomy Pyu-Ta Aussenseiter & Importe 076 Außenseiter: Famicom Disk System Rubriken 068Import-only 003Editorial 192Retro-Feed 194 Vorschau & Impressum Unbekannte Spiele-Perlen ins Licht! Kaeru No Tame Ni Kane Wa Naru 158 Unkonvertierte Arcade-Hits Vapor Trx, Sky Raider, Cloak&Dagger 178 Außenseiter: Atari 7800 Ninja Golf, Tank Command und andere Machina Obscura – Winnie Forster stellt eine weitere unbekannte Maschine vor 126 Fairchild Channel F Die eigentlich wegweisende Konsole wies einen schweren Geburtsfehler auf 134 Spectrum 128 Massenweise Speicher und auf Spiele ausgelegt: Wieso Sinclairs Topgerät dennoch scheiterte RETRO-HARDWARE ALTE KONSOLEN-SCHÄTZE IN NEUEM GLANZ 112 124 008 054 090 150 152 174 184 126 134 006 014 022 030 106 110 166 6 | RETRO GAMER 2/2014 Spy vs Spy » retro-revival Räume durchsuchen und Fallen legen » Publisher: First Star Software » Erschienen: 1984 » Hardware: Commodore 64 (gespielt), auSSerdem Amiga, Apple II, Atari 8-bit, Atari ST, BBC Micro, C16, Plus/4, NES, Schneider CPC, Sega Master System, ZX Spectrum Von Anatol Locker Mit Humor war’s Anfang der 80er so eine Sache. Stand-up-Comedy gab’s noch nicht, Kabarett war hochpolitisch (also fade) und das deutsche Fernsehen bis auf Klimbim und Loriot weitgehend spaßbefreit. Wer also mit seinen Freunden blödeln wollte, brauchte etwas, woran er sich reiben konnte – da kam die Zeitschrift MAD gerade recht! Alfred E. Neumann und die abgeknickten Zehen der Don-Martin-Figuren waren schon großartig. Doch dann gab’s noch Spion gegen Spion, eine Cartoon-Serie, in der sich zwei befeindete Spione nach allen Regeln der Kunst Fallen stellten. Wobei derjenige, der das Attentat kunstvoll vorbereitete, regelmäßig seiner eigenen Finesse zum Opfer fiel. Erfunden hat die Serie übrigens der Cartoonist Antonio Prohias, wenige Wochen, nachdem er in den 60er Jahren aus Kuba in die USA fliehen musste. First Star Software sicherte sich die Umsetzung des Comics für Heimcomputer. Die Boulder DashSchmiede erledigte den Job gründlich: Der Titel erschien 1984 für nahezu alles, was nicht bei drei auf dem Baum war: Amiga, Apple II, Atari 8-Bit, Atari ST, BBC Micro, Commodore 16 und Plus/4, Commodore 64, NES, Schneider CPC, Sega Master System und den ZX Spectrum. First Star Software brachte anschließend Spy vs Spy II – The Island Caper und Spy vs Spy III – Arctic Antics heraus – dann hörte die Firma (die übrigens heute noch existiert) auf, Spiele zu produzieren. Das Spielprinzip hieß „Räume durchsuchen, Gegenstände finden, Fallen legen“. Trete ich gegen den Computer an, spiele ich automatisch den weißen Spion in der oberen Bildschirmhälfte. Computer oder Freund steuern den schwarzen Spion unten. Beide Spione starten in einem zufällig ausgewählten Raum, sodann tickt gnadenlos ein Zeitlimit herunter. Ziel ist es, einen Pass, geheime Pläne, Geld und einen Schlüssel zu finden. Man sucht in Tresoren, hinter Bildern und in Schränken. Begegnen sich Weiß und Schwarz im selben Raum, dürfen sie den gegnerischen Spion beharken. Oder fliehen. Eine zweite Variante, seine Agentenkarriere zu beenden, ist es, in eine gelegte Falle zu tappen: In der Eimerfalle wird man elektrisch gegrillt, die Sprungfeder lässt einen gegen Wände knallen – so verliert man wertvolle Sekunden. Wer als Engel gen Himmel fährt und wiederbelebt wird, muss schnell in den Raum zurück, in dem er gestorben ist, denn hier liegen alle eingesammelte Gegenstände, die der Gegenspieler bereits zynisch grinsend vermint hat … Wer Spy vs Spy heute anspielt (es gibt beispielsweise eine iPhone-App mit gruselig unpräziser Steuerung), merkt schnell, dass das Spielprinzip doch arg gealtert ist. Vor allem die Einstellung des Computergegners ist eine Wissenschaft für sich: Innerhalb der fünf Schwierigkeitsstufen gibt es kaum graduelle Unterschiede zwischen „Doof“ und „Extrem hinterhältig“. Besser ist es, zum Emulator oder sogar zum OriginalRetrocomputer zu greifen und mit einem Freund eine Runde zu spielen. Denn dann, das verspreche ich euch, beginnt sich das alte Spionage-Flair wieder zu entfalten. RETRO GAMER 2/2014 | 7 Making Of M Von Heinrich Lenhardt it der Veröffentlichung der 16-Bit-Computer Atari ST und Amiga schienen die Tage des C64 gezählt zu sein. Der in die Jahre kommende Commodore-Dauer brenner war den neuen Maschinen in Sachen Rechenkraft und Grafik leistung hoffnungslos unterlegen – auf dem Papier zumindest. Doch die 64er-Spezialisten unter den Programmierern schlugen in den 80er Jahren mit ausgebufften Kreationen zurück, welche die Leistungsgrenzlinien des ehrwürdigen 8-Bit-Marktführers immer wieder neu definierten. Im Frühjahr 1988 erschien ein legendärer deutscher Beitrag zum Brotkasten-Ausreizwahn: Katakis von Rainbow Arts entpuppte sich als stark dosiertes Konzentrat der Gattung „horizontal scrollendes Ballerspiel“, das 1981 mit Defender und Scramble in Fahrt gekommen war. Sechs Jahre später sorgte mit R-Type ein weiterer japanischer Arcade-Automat für einen Höhepunkt des Genres. Neben ausgeklügelten Levels und Extrawaffen glänzte der Irem-Titel mit dem Konzept eines unzerstörbaren Begleitsatelliten, den Der Name aus dem Telefonbuch, die Inspiration aus der Spielhalle und die „Strafe“ in Form einer offiziellen Automaten-Umsetzung: Zwei deutsche Entwicklerteams arbeiteten 1987 voneinander unabhängig an R-Type-Klonen für C64 und Amiga. Heinrich Lenhardt beleuchtet in Gesprächen mit Zeitzeugen die Entstehung eines Kultspiels, das sich in die Herzen der Heimcomputer-Besitzer ballerte. » Extrawaffen und Satelliten kann der Katakis-Spieler gut gebrauchen: Die C64Version ist knackig. 8 | RETRO GAMER 2/2014 » [C64] Die Reifeprüfung für ambitionierte Actionspieler: Im Gewusel der Schüsse, Feinde, Hindernisse und Extrakapseln den rechten Weg finden. » Original und Nachahmung: Der Riesenraumschiff-Level in den Amiga-Versionen von R-Type (links) und Katakis (rechts), beides Entwicklungen von Factor 5. der Spieler ans eigene Schiff dockt oder als Vorhut durch den Level schwirren lässt, um die Feindesmengen zu lichten. Genau mein Automaten-Typ Manfred Trenz war eines dieser verrückten Genies, für die auf dem C64 nichts unmöglich war. Rainbow Arts hatte ihn eigentlich als Grafiker eingestellt, nachdem der gebürtige Saarbrücker den dritten Platz bei einem Bilder-Wettbewerb der Zeitschrift 64’er gewonnen hatte. Zusammen mit Armin Gessert entwickelte Trenz dann einen SuperMario-Klon, der aufgrund zu großer Ähnlichkeit vom Markt genommen werden musste: Nintendo legte es Rainbow Arts nahe, den Verkauf von Great Giana Sisters zu stoppen, bevor es zu unschönen Szenen vor Gericht kommen würde. Nach diesem Hüpfspiel-Drama gelüstete es Trenz nach einem Weltraum-Shoot-em-up, das von seinen damaligen Lieblingsautomaten inspiriert war: Darius, Defender – und insbesondere R-Type. Das Resultat namens Katakis war eine furiose 50-Hertz-Ballerei, die mehr Sprites und Objekte bewegt als alle anderen C64-Spiele ihrer Zeit. Wenn man jemandem ein solches technische Husarenstück zutrauen durfte, dann der „EinMann-Wundermaschine“ Trenz, wie sich der langjährige Rainbow-ArtsEntwicklungsleiter Teut Weidemann erinnert: „Er war Coder, Grafiker, Musiker – alles in einem.“ Komplett unmöglich? „Was Trenz auf C64 gezaubert hat, hielten viele für komplett unmöglich: So viele Schüsse und Sprites mit Acht-Wege-Scrolling hatte damals noch nie jemand gesehen – mehr ging einfach nicht auf dem C64!“, bewundert Teut Weidemann die damalige Leistung. Bei seinen Mühen wurde Manfred Trenz von zwei weiteren Rainbow-Arts-Angestellten unterstützt: Musiker Chris Hülsbeck sowie Grafiker und Leveldesigner Andreas Escher. Und das, obwohl Trenz am liebsten alleine vor sich hin programmierte: „Durch seine enorme Kreativität war Manfred auch ein bisschen schwierig, eher ein Einsiedlertyp, der nicht so gut mit anderen Leuten zusammenarbeiten kann“, erinnert sich Weidemann. Mit Andreas Escher kam Manfred Trenz gut klar, die beiden waren seit ihrer Jugendzeit befreundet und in unmittelbarer Nachbar schaft aufgewachsen: „Jeder kannte Rainbow-Arts-Geschäftsführer Marc Alexander Ullrich seinen Segen: Aus dem Spaßspielchen wurde ein offizielles Produkt, an dem die beiden in Vollzeit arbeiten durften. Da der C64 eigentlich nur acht Sprites in einer Reihe darstellen konnte, verwendete Trenz SpriteMultiplexer, um eine höhere Anzahl » Andreas Eschers historische Originalskizzen einiger Bosse für C64-Katakis » Katakis war am Anfang ein Hobby-Projekt gewesen, das nebenbei gelaufen ist.« » Andreas Escher folgte 1987 Manfred Trenz zu Rainbow Arts, wo die beiden zunächst am Feierabend an ihrem C64-Ballerspiel bastelten. Andreas Escher die Macken des anderen. Wir hatten intern keine Probleme und teilten uns auch während der Anfangszeit bei Rainbow Arts zusammen eine Wohnung“, erinnert sich Escher. Es war Trenz, der seinen Kumpel auf die Idee brachte, seine Grafikkünste an einem Computer auszuprobieren. Anfang 1987 erwarb Andreas Escher den gebrauchten C64 eines Freunds und begann drauflos zu pixeln – eine weise Entscheidung. Als Rainbow Arts einige Monate später einen weiteren Grafiker suchte, meinte Manfred Trenz: „Komm’ doch mal eine Woche mit hoch, dann kannst du dich gleich bewerben.“ Als Escher das Rainbow-Arts-Büro wieder verließ, hatte er seinen Arbeitsvertrag in der Hand. von Objekten zu erzielen. Er entwickelte auch eigene Tools für die Erstellung von Grafiken und Levels, wovon Andreas Escher profitierte: „Manfred war in der Hinsicht Perfek tionist, und ich war ihm sehr dankbar für die Tools, die er geschrieben hatte. Damit ging die Entwicklung wirklich gut voran.“ fakten Warum ist das so schwer? Der Trenz-typische Eigensinn ist einer der Gründe für den verschärften Schwierigkeitsgrad der C64-Version von Katakis. Das Spieler-Raumschiff ist relativ groß, beim Manövrieren durch die zwölf Levels muss man oft einer bestimmten Bahn folgen und hat dabei wegen der wenig gnädigen Kollisionsabfrage kaum Fehler- » Publisher: Rainbow Arts » Entwickler: M. Trenz, A. Escher, Ch. Hülsbeck (C64), Factor 5 (Amiga) » Jahr: 1988 » Genre: Action » Preisprognose: ab 50 Euro Kleine FeierabendSpielerei Das C64-Weltraum-Ballerspiel, das später durch einen Griff ins Telefonbuch den Namen Katakis erhalten würde, begann als Hobby-Projekt am Feierabend. „Das ist mehr nebenbei gelaufen und sollte unsere eigentliche Arbeit nicht beeinflussen“, erinnert sich Andreas Escher an Anfänge und Inspiration: „R-Type und Darius hatten wir wirklich massiv gespielt. Da sagten wir uns: ‚So ein Spiel mit riesigen Endgegnern gibt’s nicht auf dem C64 – das wäre doch mal eine Idee, sowas zusammenzubasteln.‘ Escher und Trenz verbrachten immer mehr Zeit mit der Bastelei, ermutigt durch positives Feedback von Kollegen. Schließlich erteilte » [C64] Die vierte Welt von Katakis auf dem C64 ist allen Hardware-Bastlern gewidmet. RETRO GAMER 2/2014 | 9 » Beim Amiga-Katakis scrollten noch Deluxe-Paint-Bilder als Hintergrundgrafik vorbei, erst für die offizielle R-TypeAdaption entwickelte Factor 5 einen Levelmodul-Editor. » [C64] Am Ende jeder Stufe wartet ein anderer Boss, die Strategie ist immer dieselbe: Bevorzugt mit aufgeladenem Schuss feste draufhalten und auf den Satelliten-Schutz vertrauen. Chronologie „K“ wie „kurios“: Zwei getrennte Projekte wurden unter dem Namen Katakis zusammengeführt und mündeten dann in die offiziellen Umsetzungen des Spielautomaten, der sie inspiriert hatte. Katakis/Denaris (C64 – 1988) Technisch trickreich, spielerisch hektisch und herausfordernd: Katakis brachte das Flair von Baller-Spielautomaten wie Darius oder R-Type auf den C64. Zwölf mit Sprites und CharacterObjekten prall gefüllte Levels flutschen bei makellosen 50 Bildern pro Sekunde über den Bildschirm. Koop-Kniff: Ein zweiter Spieler kann den Begleit-Satelliten steuern. Neutralizer (Katakis/Denaris Amiga) (Amiga – 1988) Während Manfred Trenz und Andreas Escher in Düsseldorf an einem Arcade-Shooter arbeiteten, begannen Amiga-Fans in Köln mit ihrer eigenen Spielhallen-inspirierten Ballerei. Das Team nannte sich Factor 5, das Spiel hieß zunächst Neutralizer – doch Rainbow Arts vermarktete es als die Amiga-Version von Katakis, trotz deutlicher Unterschiede bei Grafikstil und Leveldesign. R-Type (Amiga, C64 – 1988/89) Um einen drohenden Rechtsstreit mit Lizenznehmer Acti vision abzuwenden übernahm Rainbow Arts offizielle C64und Amiga-Versionen des Automaten R-Type. Entwickelt wurden sie von den Katakis-Teams, die nun offiziell ihren Liebling portieren durften. Im Gegenzug konnte Katakis unter dem neuen Namen Denaris 1989 wiederveröffentlicht werden. Enforcer (C64 – 1992) Einen inoffizielle Katakis-C64-Nachfolger entwickelte Manfred Trenz im Alleingang für das Diskettenmagazin Golden Disk 64. Auch bei Enforcer gibt es eine Fülle von Gegnern und Extras, um die Bewaffnung des „Fullmetal-Megablast“-Kampfgleiters aufzurüsten. Die sechs technisch exquisiten Levels waren so etwas wie ein letzter Salut für die Spielmaschine C64. Neutralizer II (Amiga – 1993) Ein Privatprojekt der Factor-5-Gründungsmitglieder Willi Bäcker und Lutz Osterkorn, das nie offiziell veröffentlicht wurde. Der Name ist eine Anspielung an den ursprünglichen Namen von Katakis Amiga, die Action erinnert aber eher an Defender: Mit seinem Raumschiff saust der Spieler umher, um die Entführungsbemühungen außerirdischer Kidnapper zu vereiteln. 10 | RETRO GAMER 2/2014 spielraum. Entschärfungswünsche konnten Manfred Trenz nur wenig beeindrucken, denn der hatte keine Probleme damit, Katakis mit einem Schiff durchzuspielen: „Da er zu den 0,01 Prozent der menschlichen Spezies gehört, die so etwas schaffen, hat er in dem Moment nicht so recht akzeptiert, dass man’s einfacher machen sollte“, erklärt Teut Weidemann. Die Strenge von Katakis C64 hat zudem technische Ursachen. Die Hardware-Sprites des C64 verwendeten Trenz und Escher für Objekte wie das Spielerraumschiff oder die Extrawaffen-Kapseln. Um dann noch eine große Anzahl von gegnerischen Schüssen auf den Bildschirm zu kriegen, musste man auf den Zeichensatz ausweichen, wie Teut Weidemann erklärt: „Einen 8x8 Bildpunkte großen Character pixelgenau mit einem Sprite-Raumschiff zu kollidieren, ist arg schwierig zu machen. Deshalb wirkte es optisch manchmal so, dass der Schuss eigentlich vorbei fliegt, aber das Viereck der Kugel trotzdem das Sprite berührt und damit die Kollision auslöst.“ Es hätte freilich alles noch härter kommen können, denn der Schwierigkeitsgrad wurde vor der Veröffentlichung dann doch noch „mächtig entschärft“, grinst Andreas Escher: „Ich habe irgendwo noch die ursprüngliche Version rumfliegen, die war um einiges härter – ja, herzlichen Glückwunsch! Die Kollisionsabfrage fiel noch strenger aus, da sind schon einige Joysticks durch die Gegend geflogen – auch bei mir.“ Doch ein gewisses Maß an Heraus forderung gehört für Escher in dem Genre einfach dazu: „Das sorgt vielleicht für Frust, aber dein Ego ist auch stark, du willst es ja schaffen. Heutzutage spielt man Shooter in eins, zwei Tagen durch und dann wird’s langweilig. Ohne Herausforderung hast du vom Spiel nichts.“ Kölner Amiga-Klüngel Manfred Trenz und Andreas Escher waren 1987/88 nicht die einzigen deutschen Entwickler, denen der R-Type-Spielautomat ausgesprochen gut gefiel. Auch die einheimische Amiga-Szene versuchte sich an horizontal scrollenden Ballerspielen mit andockbaren Begleitern. Auf der Suche nach neuen Titeln, die Rainbow Arts veröffentlichen könnte, tummelte sich Teut Weidemann auf Treffen der Hacker- und Cracker-Szene, denn „vor allem in Deutschland und Skandinavien waren das die Geburtsstätten der richtig guten Programmierer.“ Weidemann war besonders beeindruckt von der Eigenleistung eines Kölner Kollektivs namens The Light Circle: einem flüssig scrollenden RType-Verschnitt namens Neutralizer. Die fünf Teammitglieder dachten sich einen neuen Namen aus, unter dem sie ihr erstes Spiel kommerziell vermarkten wollten: Factor 5. Die Entstehung von Factor 5 ist einer Zufallsbekanntschaft in einem Kölner Kaufhaus zu verdanken. Für Schüler und Studenten waren die C64- und Amiga-Systeme in der Computerabteilungen beliebte Treffpunkte – schließlich gab es 1987 weder Internet noch OnlineForen. Achim Moller, eines der Gründungsmitglieder von Factor 5, erinnert sich: „Freitagnachmittag traf man sich bei Quelle, um zu gucken, was die anderen so machen. Dort durfte man noch eigene Disketten in den Amiga stecken und vorführen, was man in der Freizeit entwickelt hat – fast schon wie eine kleine Demo-Competition. Über das Hobby Programmierung ist man so ins Gespräch gekommen.“ Vom Kaufhaus zum Keller An dieser Begegnungsstätte lernte Achim Moller den gleichgesinnten Amiga-Fan Willi Bäcker kennen, der wiederum mit Lutz Osterkorn befreundet war. Statt in der Computerabteilung des Kaufhauses verabredete man sich nun im Keller des Moller-Elternhauses in Köln-Rodenkirchen: „So ist dann quasi eine Sonntagnachmittag-Kaffeerunde entstanden, bei der man sich zum Programmieren am Amiga traf“, beschreibt es Moller. Zunächst widmete sich die Gruppe Demos und Intros, versuchte die Hardware auszureizen und ihr immer mehr grafische Tricks zu entlocken. Warum also nicht mal ein ganzes Spiel probieren? Am meisten begeisterten sich die Jungs für die neuesten Automaten, die in den Spielhallen standen, insbesondere den Weltraum-Shooter R-Type. Achim Moller: „Wir sagten uns: ,Lasst uns doch sowas einfach MAKING Of: katakis mal selber versuchen.‘ Also nicht nur eine Demo mit coolen Farbeffekten, sondern ein richtiges Spiel.“ Doch bald dämmerte es dem Trio, dass für das ehrgeizige Projekt Verstärkung nötig war. Osterkorns Freund Holger Schmidt half bei der Programmierung, dazu gesellte sich Stefan Tsouparidis als Grafiker und Level-Designer – die Gründungsmannschaft von Factor 5 war komplett. Es war die Geburt eines der profiliertesten deutschen Spielestudios, das in den Folgejahren Klassiker wie Turrican auf 16-Bit-Systemen oder die Star-WarsSpiele der Rogue-Squadron-Reihe entwickeln sollte. Das Programmieren war eine Freizeitbeschäftigung neben Schule und später Studium. Die fünf Nachwuchs-Spieleentwickler hatten kein Büro, vielmehr arbeitete jeder unter der Woche alleine vor sich hin. „Meetings“ fanden am Wochenende im Kellerzimmer von Achim Moller statt, der sich an die Entwicklungsmethode erinnert: „Jeder brachte seinen Code oder seine Grafiken mit, die wir dann zusammenbauten und testeten. Schließlich nahm jeder Disketten der neuesten Versionen mit nach Hause und in der Woche drauf traf man sich dann wieder.“ 20.000 Mark und eine Amiga-Festplatte In mancher Hinsicht merkt man Neutralizer an, dass es ein Debütspiel von Neulingen ist. Die Levels sind nicht aus einzelnen Modulen zusammengestellt, sondern bestehen aus riesigen Deluxe-Paint-Bildern – das sah gut aus, aber „da war natürlich ganz schnell der Speicher voll“, ENTWICKLERHIGHLIGHTS Great Giana Sisters System: Amiga, Atari ST, C64 JAHR: 1987 Katakis System: Amiga, C64 JAHR: 1988 Denaris System: Amiga, C64 JAHR: 1989 » Damit R-Type noch zum Weihnachtsgeschäft erscheinen konnte, erledigten Manfred Trenz und Andreas Escher die C64-Umsetzung in straffen sechs Wochen. » Das war ein großes Hurra, als wir R-Type offiziell umsetzen durften.« ACHIM MOLLER verrät Achim Moller. Für Entlastung sorgte der schlanke, komplett im SEKA-Assembler geschriebene Programmcode für die Motorola68000-CPU des Amiga. In einer Periode, in der viele kommerzielle Amiga-Spiele in der Hochsprache C entwickelt wurden, hatte Neutralizer dadurch einen technischen Vorsprung: „Man konnte die Hardware und die Register direkt ansteuern, um das Maximale rauszuholen.“ In der Demo-Szene kam das entstehende Projekt gut an. Als die Jungprogrammierer eine „Amiga-Spiele gesucht“-Anzeige von Kingsoft in der Fachpresse sahen, bemühten sie sich um einen Termin bei dem deutschen Publisher und Distributor Kingsoft, der 1987 mit Volker Wertichs Emerald Mine einen großen Hit hatte. Achim Moller erinnert sich: „Willi und ich sind damals nach Röttgen bei Bonn gefahren, da war in einem Wohnhaus die Kingsoft-Zentrale. Als wir da unser Spiel vorstellten, hieß es: ‚Kommt mal wieder wenn’s ein bisschen kompletter ist‘.“ Dazwischengekommen ist dann die Begegnung mit Teut Weidemann. Der war von Neutralizer so beeindruckt, dass er flugs eine Vorführung im Rainbow-Arts-Büro arrangierte. Geschäftsführer Marc Ullrich zögerte nicht lange und machte Factor 5 ein unwiderstehliches Angebot: 20.000 Mark plus eine 20-MByte-Festplatte für den Amiga als Bonus (im Gegenwert von ungefähr 1.000 Mark), obendrauf Tantiemen abhängig von den Absatzzahlen. Factor 5 hatte ihr erstes Spiel verkauft – und das reine C64-Projekt Katakis erhielt plötzlich eine zusätzliche 16-Bit-Dimension. Trenz ist verärgert „Warum zwei verschiedene Ballerspiele veröffentlichen, wenn wir eines auf zwei Formaten rausbrin- gen können – lasst uns doch beide Katakis nennen!“, kombinierte Marc Ullrich. Es war ein reiner Marketing-Kniff, denn das einzige, was Neutralizer mit dem C64-Katakis von Trenz und Escher gemeinsam hatte, war die Inspirationsquelle RType. „Die Amiga-Version sah auch ganz anders aus, hatte ein anderes Leveldesign. Die beiden Spiele sind komplett unterschiedlich, haben nur den gleichen Namen – und waren beide unabhängig voneinander sehr erfolgreich“, rekapituliert Teut Weidemann. Andreas Escher erinnert sich, dass er und Manfred Trenz über diese Entscheidung „milde gesagt verärgert“ waren: „Manfred war angepisst, denn wir hätten eine Amiga-Umsetzung schon gerne selbst gemacht. Im Prinzip ist nur aus Zeitmangel das genommen worden, was Factor 5 entwickelt hatte – aber das war eigentlich nie das richtige Katakis gewesen. Ich hätte die Umsetzung grafisch schon anders gemacht.“ Entsprechend angespannt war zunächst das Verhältnis zwischen den Entwicklern der C64- und Amiga-Versionen. Doch in den nächsten Jahren arbeiteten sie bei den ersten beiden TurricanSpielen wieder zusammen. » Achim Moller damals (in einem Schnappschuss mit Willi Bäcker aus der Factor-5-Anfangszeit) und heute. aktivierte man Anwälte als probate Extrawaffe: „Activision hatte uns per einstweiliger Verfügung verboten, das Spiel weiter zu vertreiben. Das macht man halt so, bis die Lage gerichtlich geklärt ist“, beschreibt Teut Weidemann die Situation, „Aber in so einem Markt, wo auch Raubkopien eine Rolle spielen, sind sechs Monate Stillstand, bis der Prozess durch ist, für so ein Projekt tödlich.“ Um dieser Bredouille zu entkommen, heckte Marc Ullrich zusammen mit Jürgen Goeldner und Hans Rabe, den Gründern der RainbowArts-Mutterfirma Softgold, einen kessen Plan aus: Rainbow Arts übernahm für Activision die offiziellen R-Type-Umsetzungen auf Amiga und C64. Dafür durfte Katakis dann wieder auf den Markt gebracht werden, wenn auch leicht geändert und unter dem neuen Namen Denaris. Ganz nebenbei erfüllte man damit den deutschen Programmierern einen Herzenswunsch: „Sowohl Manfred Trenz als auch Factor 5 waren große R-Type-Fans. Und jetzt bekamen sie Activision schäumt: Zu ähnlich und zu gut Neben der deutschen Presse begeisterten sich auch englische Spielezeitschriften für das KatakisPärchen von Rainbow Arts – und prompt wurden gewisse Vergleiche gezogen. Als „besser als R-Type“ wurde Katakis beschrieben, was die Europa-Zentrale von Activision gar nicht gerne las. Denn der Publisher hatte die offizielle Lizenz für R-TypeHeimumsetzungen erworben, kam aber mit diesen Versionen nicht gut voran. Angesichts des nicht autorisierten Konkurrenten Katakis » Die Quasi-Fortsetzung von Katakis auf dem C64 nannte sich Enforcer und wurde 1992 in der JuniAusgabe von Golden Disk 64 veröffentlicht. Manfred Trenz entwickelte das Spiel im Alleingang unter dem selbstbewussten Pseudonym „The Master“. Mad TV (abgebildet) System: Amiga, MS-DOS JAHR: 1991 RETRO GAMER 2/2014 | 11 die Gelegenheit, den Originalautomaten offiziell zu konvertieren. Da waren alle natürlich Feuer und Flamme“, erinnert sich Teut Weidemann. Achim Moller bestätigt, wie stolz Factor 5 war, die Amiga-Umsetzung programmieren zu dürfen: „Das war ein großes Hurra. Es war toll, dass man auf uns aufmerksam geworden ist. Es sollte ja immer ein R-Type-Spiel sein, und jetzt konnten wir das endlich offiziell machen.“ Japanische Unterlagen auf Thermopapier Kritisch war die Terminlage, denn Activision wollte R-Type unbedingt im Weihnachtsgeschäft 1988 veröffentlichen. Manfred Trenz schaffte die C64-Version in rekordverdächtigen sechs Wochen, während Factor 5 für die Amiga-Umsetzung wegen der Arbeit am Level-Editor rund 3½ Monate benötigte. Nicht nur wegen der Zeitknappheit war die Entwicklung der offiziellen R-TypeUmsetzungen eine abenteuerliche Angelegenheit. Es gab seinerzeit keinen Internet-Luxus wie digitale Videos oder Online-Ressourcen. Die 150-seitige Dokumentation von Spielautomaten-Hersteller Irem wurde ins Düsseldorfer Büro auf Thermopapier gefaxt, was der Leserlichkeit nicht dienlich war. Erschwerend kam dazu, dass die Unterlagen größtenteils in Japanisch verfasst waren. In der Not investierte Rainbow Arts 2.000 Mark in den Kauf einer R-Type-Automatenplatine. Factor 5 fotografierte die einzelnen Spielszenen ab und pixelte anhand » Ein gutes Auge bewies Factor 5 bei der offiziellen Konvertierung von R-Type auf den Amiga, die unter reichlich Nachspielen und Abfotografieren des Automaten entstand. QA & Teut Weidemann war Entwicklungsleiter bei Rainbow Arts und arbeitet heute als Online-Spiele-Spezialist für Firmen wie Ubisoft. ■ Wer ist der wahre Vater von Katakis – Manfred Trenz? Man kann nicht sagen, dass Manfred Trenz alleine Katakis erfunden hat. Den Namen schon, aber zwei verschiedene Teams arbeiteten parallel an Spielen auf C64 und Amiga, die unter einem gemeinsamen Namen rausgebracht wurden. Trenz war dabei für die C64-Version und für deren Genialität verantwortlich. ■ Gab’s bei Rainbow Arts keine Testabteilung – oder warum war das C64-Katakis so schwer? Wir hatten eine interne Abteilung für QA. In guten Zeiten saßen da fünf, sechs Leute, die nicht nur im Hinblick auf Bugs getestet hatten, sondern auch Feedback zum Spielablauf gaben. Das Problem war nur, dass Manfred Trenz jede Art von Feedback und sämtliche Obrigkeiten ignoriert hat. ■ Wie wurde man damals Tester? Wir hatten die Jungs anhand der High score-Listen in einer Spielhalle rekrutiert. Wenn jemand in die Top 10 kam, gingen wir zu ihm hin und fragten „Hey, magst du für uns Spiele testen?“ ■ Wie groß waren Ende der 80er Jahre die Entwicklungsteams bei Rainbow Arts? Das waren damals Mini-Teams mit drei, vier Leuten maximal. Das teuerste Projekt, das ich damals machte, hatte sechs Leute. Da hatte Rainbow Arts schon geächzt, weil das Spiel 500.000 Mark in der Entwicklung gekostet hat. Dabei handelt es sich um M.U.D.S., das sich dann sehr gut verkaufte und heute noch eine loyale 12 | RETRO GAMER 2/2014 Fanbasis hat, die ich bei der Gelegenheit nett grüßen möchte! ■ R-Type war eure einzige offizielle Automatenumsetzung. Wie arbeiteten die üblichen Konvertierungsstudios? Die großen Publisher haben einfach einen Batzen Automaten eingekauft, die dann durch Konvertierungshäuser gerauscht wurden, die mehr Masse als Klasse rausbrachten. Damals war der Mindestumsatz mit Software im Einzelhandel noch so hoch, dass du auch mit Schrott gut Geld gemacht hast. Ich hatte mal Probe Software besucht: Im Erdgeschoss war das große Büro des Chefs, alle anderen Sklaven saßen oben. Da hast du einen Automaten reingeschoben und dann ein paar Monate später die Umsetzung in den Formaten C64, Amiga, ST, Amstrad CPC, Spectrum und PC auf dem Tisch gehabt. ■ Shoot-em-ups haben immer noch eine Fan-Basis. Würde ein Remake oder eine Fortsetzung zu Katakis/Denaris heutzutage Sinn ergeben? Die Shooter sind nicht ausgestorben, aber sie hatten eben ihren Design-Höhepunkt mit R-Type erreicht. Danach kam eigentlich nur noch immer mehr auf den Bildschirm, aber die Spiele wurden dadurch nicht immer besser. Bei einem Remake müsste man auf Systeme wie Vita oder 3DS gehen, denn ob jemand mit Touchscreen-Steuerung auf iPhone glücklich wird? Und sieh dir mal Neuheiten wie Resogun auf der PS4 an – das ist so geil, da kommt Katakis nicht dagegen an. dieser Bilder dann die Grafiken nach. Achim Moller hat die abenteuerliche Konvertierungs-Arbeitsweise noch gut in Erinnerung: „Die Portierungen entstanden dadurch, dass wir den Automat Grafik für Grafik abgeknipst hatten. Logik und Spielverhalten sind einfach durch Angucken nachprogrammiert worden: ‚Was tun die Gegner? – Okay, das machen wir dann genauso nach!‘“ Der Aufwand zahlte sich aus: Activision war beeindruckt von der „German Engineering“-Leistung und landete mit den HeimcomputerVersionen von R-Type einen großen Erfolg. Eine längerfristige Zusammenarbeit wurde daraus aber nicht. Rainbow Arts hatte die Umsetzungen umsonst gemacht, um einen Katakis-Rechtsstreit abzuwenden. Sonderlich lukrativ waren regulär bezahlte Auftragsarbeiten dieser Art nicht, denn in den Erwerb der Arcade-Lizenzen wurde so viel Geld gesteckt, dass nur noch mickrige Budgets für deren Umsetzungen übrig blieb. „Die Preise, die gezahlt wurden, waren völlig lächerlich. Da ging’s halt nicht um Qualität, sondern rein um Quantität“, erinnert sich Teut Weidemann. Extraleben mit Denaris Rainbow Arts hatte nun grünes Licht, Katakis unter neuem Namen wiederzuveröffentlichen. Bei der Gelegenheit wurden beide Versionen im Detail optimiert und verbessert. Denaris auf dem Amiga bekam sogar einen zusätzlichen siebten Level spendiert und passte nun auf eine einzige Diskette. Denaris mag die bessere Version des Spiels gewesen sein, erreichte aber nie den Bekanntheitsgrad von Katakis, denn unter dem nunmehr verbotenen Originalnamen war das Spiel in der Presse bejubelt worden. Deshalb gab es auch keinen offiziellen Nachfolger, aber eine Reihe verschiedener Folgeprojekte, welche spielerisch an das BallerVermächtnis anknüpften. Während Manfred Trenz und Factor 5 sich in den nächsten Jahren mit Turrican beschäftigten, entwickelte Teut Weidemann mit Programmierer Heiko Schröder das Weltraum-Ballerspiel X-Out. Es entstand unter Verwendung von Originalgrafiken, die Künstler Celal Kandemiroglu für einen nie veröffentlichten Rainbow-Arts-Spielautomaten angefertigt hatte. Andreas Escher adaptierte die Grafik für eine C64-Version, die Jörg Prenzing programmierte. Manfred Trenz veröffentlichte unter dem Pseudonym „The Master“ einen Quasi-Nachfolger zu seiner Katakis-Version: Enforcer wurde 1992 vom Diskettenmagazin Golden Disk veröffentlicht, es war sein Abschied von der C64-Szene. 2011 brachte Elite Systems eine iOS-Adaption im Rahmen der Elite Collection HD he raus, auch Denaris C64 wird als App angeboten. Trenz taufte sein Entwicklungsstudio Denaris Entertainment Software. Ein offizielles Katakis 2 wurde 2004 erstmals angekündigt, doch blieb bislang unveröffentlicht. Die rechtliche Lage bezüglich der alten Markennamen ist unklar, da die inzwischen insolvente THQ GmbH 1999 alle Rechte von Rainbow Arts und Softgold übernommen hatte. Egal welche scrollenden Weltraumlevels mit Extrawaffen uns die Zukunft noch bescheren wird: Die deutschen Nachwuchsprogrammierer, die für die Qualität ihrer Actionspiele dadurch bestraft wurden, dass sie den Kult-Automaten R-Type offiziell konvertieren durften, haben ein turbulentes Kapitel Spielegeschichte geschrieben. Warten auf katakis II „Katakis lives!“ behauptete schon eine Botschaft in Turrican II. Seit einem Jahrzehnt geistern wieder Gerüchte über eine von Manfred Trenz entwickelte Katakis-Fortsetzung durch die Branche. 2004 erstmals für C64, PC und Game Boy Advance angekündigt, wurde das Projekt Ende 2005 auf Eis gelegt. 2011 gab es neue Lebenszeichen im Weltraum: Neben zwei Screenshots wurde auch ein Video von Katakis 2 für PC veröffentlicht, das „über zehn Levels“ und „vier Waffensysteme“ ankündigte. Seitdem gab es außer Soundtrack-Kostproben von Musiker Markus Siebold keine weiteren Updates. Auf eine Retro-Gamer-Anfrage zum Stand der Dinge meinte Manfred Trenz Ende Dezember 2013: „Das Spiel liegt auf unbestimmte Zeit im Eisschrank“. K L A SSIK E R- CH ECK » speedball 2: brutal deluxe K eine Schwerter, keine Zaubersprüche“, versprach die Packungsrückseite. Nach drei The-Bard‘s-Tale-Rollenspielen verspürten die Entwickler von Interplay eine gewisse Fantasy-Müdigkeit. Zum Kult-Klassiker wurde ihr Wasteland nicht nur wegen seiner humorvollgrimmigen Endzeit-Spielwelt: Komplexes Skill-System, Adventure-Ansätze und eine dauerhaft veränderbare Welt sorgten für Motivation. Gespielt wurde mit Kopien der Originaldisketten, auf die ständig Daten geschrieben wurden. Geknackte Schlösser, gekillte NPCs, gesprengte Gebäude – viele Entscheidungen des Spielers haben eine Nachhaltigkeit, wie man sie in der Floppy-Disk-Ära nicht gewohnt war. 14 | RETRO GAMER 2/2014 Unsere Gruppe besteht anfangs aus vier Desert Rangers, Ordnungshüter in den radioaktiv verstrahlten Wüstenregionen von Nevada und Arizona. Die Folgeschäden eines Atomkriegs zwischen USA und UdSSR sind beträchtlich; es ist eine Welt der Anarchisten und Gewalttäter, in der fanatische Sekten ebenso gedeihen wie mutierte Wildtiere. Die schlichte Kartenansicht löste schon 1988 nicht gerade Jubelstürme aus; die weitgehend aus Biep-Geräusche beschränkte Soundkulisse darf gar als akustische Beleidigung empfunden werden. Kein Problem für Wasteland, einfallsreiche und bei aller Endzeithärte erstaunlich humorvolle Texte – im Original per „Schlage bei Nr. X nach“ einem Begleitbüchlein zu entnehmen, samt Roter-Hering-Täuschbotschaften für „Spicker“) sorgen für eine ganz eigene Atmosphäre. Doch die postapokalytische Welt macht es Einsteigern nicht leicht. Die Menge an Skills und die Offenheit der Spielwelt können ebenso zu Verwirrung führen wie umständliche Bedienung und der Hang der Designer dazu, wichtige Informationen oft gut zu verstecken. Wer die Anfangshürden übersteht, lernt die ebenso harsche wie humorvolle Welt allmählich zu schätzen. Der Einfluss von Wasteland ist bei inoffiziellen Nachfolgern wie der Fallout-Serie unübersehbar. Auf eine offizielle Fortsetzung warten die Fans seit einem Vierteljahrhundert, doch 2014 soll es endlich so weit sein: Wasteland 2 entsteht unter der Regie von InterplayGründer Brian Fargo, der die Marken- rechte vom alten Publisher Electronic Arts erwarb. Angenehme Nebenwirkung dieses Abkommens ist eine Portierung der DOS-Version des original Wasteland für zeitgenössische Linux-, Mac- und Windows-Systeme. Bei dieser DownVon Heinrich des Lenhardt load-Version Klassikers muss auch nicht mehr in Handbüchern nachgeschlagen werden, die Story-Kapitel sind nun als Textfenster integriert und werden sogar von einem Sprecher vorgelesen. Ansonsten ist das Spielerlebnis authentisch, inklusive der original EGA-Grafik. Von Heinrich Lenhardt Wieso ein Klassiker? Story zum Nachschlagen » speedball 2: bru tal deluxe Freiheit mit Konsequenzen Reichlich Lesestoff NPCs anwerben Die schlichte und detailarme Grafik verlangt dem Betrachter einiges an Fantasie ab, zum Ausgleich sorgen ausführliche Beschreibungstexte und Dialoge für Atmosphäre. Die werden nur zum Teil auf dem Bildschirm angezeigt, viele Absätze müssen auf Anweisung hin im Begleithandbuch nachgeschlagen werden. Raubkopierern ohne Dokumentation werden damit wichtige Informationen vorenthalten, auch Schummlern stellten die Wasteland-Entwickler eine Falle: Wer auf der Suche nach Hinweisen das ganze Druckwerk von vorne bis hinten durchliest, wird durch Fake-Kapitel und falsche Passwörter in die Irre geführt. Das Skill-System Nach der Party-Wahl werden wie vor die Tür des Ranger-Hauptquartiers gesetzt und blicken etwas nervös auf die Weiten der SpielweltLandkarte. Was sollen wir tun, wo geht’s lang? Ohne Händchenhalten und Quest-Journal wird die Gruppe im wahrsten Sinne des Wortes in die Wüste geschickt. Bei der Erforschung von Siedlungen haben wir genauso Freiheiten wie beim Umgang mit anderen Charakteren, frei von moralischen Zwängen: Auch harmlose Halbstarke oder Bettler können massakriert werden. Die dauerhafte Veränderung der Welt durch SpielerEntscheidungen war 1988 ein bemerkenswertes Feature. Endzeit-Eignung Party-Personalmarkt Schwarzer Humor Platz für sieben Charaktere bietet die Party, aber nur vier Helden dürfen wir zu Spielbeginn kreieren. Die drei freien Slots lassen sich im durch das Rekrutieren von freundlich gesinnten NPCs füllen, mit denen unsere Desert Rangers Bekanntschaft machen. Die Begleiter sorgen für Flair und zusätzliche Kampfkraft, suchen sich dabei ihre Ziele selbst aus. Angesichts der begrenzten Charakter-Inventare ist auch die zusätzliche Schleppkapazität willkommen. 14 anheuerbare NPCs sind über die Spielwelt verstreut, darunter der mit vortrefflichen Charakterwerten ausgestattete Interplay-Gründer „Mad Dog“ Fargo. Das Kampfsystem Je höher das IQ-Attribut eines Charakters, desto mehr Skills kann er lernen. In der Endzeit-Welt kommt es nicht nur auf Wissen im Umgang mit verschiedenen Knarrentypen, Sprengstoff oder Alarmanlagen an. Wichtig sind auch Fähigkeiten wie „Perception“ (Wahrnehmungsvermögen), um versteckte Details zu entdecken, VerschlüsselungsKnowhow oder Heilkunst, damit schwer verwundete Party-Mitglieder stabilisiert werden. Durch häufige Anwendung einer Skill erlangt ein Charakter höhere Fertigkeitsstufen. Einsteiger können bei Spielbeginn die Wichtigkeit der 35 Fähigkeiten allerdings nur schwer einschätzen. Rundenbeschuss Spaß beim Weltuntergang In Kampfsituationen gibt es die relativen grafischen Höhepunkte von Wasteland zu bewundern: die spärlich, aber effektvoll animierten Porträts der Gegnertypen. Von gestylten New Wavern über wütende Zimmermädchen bis hin zu Mutantenviechern und Robotern gibt es keinen Mangel an Feindbildern. Das weitgehend von The Bard‘s Tale übernommene Rundensystem ist simpel: Der Reihe nach festlegen, auf wen geschossen wird, und das Beste hoffen. Manchmal muss man auch nachladen oder seine Knarre entklemmen. Einige Waffentypen erlauben die Wahl zwischen verschiedenen Schusstechniken, um durch Verbraten von mehr Munition erhöhten Schaden anzurichten. Mit biederem Ernst wurden jahraus, jahrein dieselben Fantasy-Klischees in Rollenspielen breitgewalzt. Lustvolle Liebe zum futuristischen Detail kennzeichnet dagegen die Wasteland-Welt: Es ist ein Szenario der Atompilz-Kultisten und dreibeinigen Prostituierten, wo ein getroffener Gegner „explodiert wie eine Blutwurst“ und unvorsichtige Penner als „Hobo Dog“-Zutaten zwischen zwei Brötchenhälften landen. Weil die Grafik weitgehend auf abstrakte Symbole beschränkt ist, entfalten die Beschreibungstexte ihre Wirkung umso besser. Skurrile Typen, Ereignisse und „Oops!“-Überraschungen heitern die düstere Welt auf. Momente Fakten » PLATTFORM: APPLE II, DOS-PC, C64 » Publisher: ELECTRONIC ARTS » ENTWICKLER: INTERPLAY » VERÖFFENTLICHT: 1988 » Genre: ROLLENSPIEL Was die Presse sagte … Foto: kultboy.com Denk w ürdige Power Play 6/88: 8/10 »Das kommt also heraus, wenn man Mad Max mit The Bard’s Tale kreuzt: Das Endzeit-Flair, meuchelnde Mutanten, stimmungsvolle Texte und wahnwitzige Waffen lassen Wasteland zu einem Erlebnis werden. […] Mit der Wüstengrafik kann man keinen Kaktus gewinnen, während die Grafiken im Kampf schön animiert sind.« (Anatol Locker) ASM 9/88: 10/12 »Ein hervorragendes Rollenspiel, das für viele Stunden fesseln, frustrieren und reizen kann. […] Wer also nicht aus ästhetischen Gründen (was verständlich wäre) vor Wasteland zurückschreckt, der bekommt etwas wirklich Empfehlenswertes in die Hand.« (Uli Mühl) Was wir denken Rollenspiel-Kult trotz MinimalGrafik und steiler Lernkurve: Bei Wasteland faszinieren spielerische Freiheiten und stimmungsvolles Szenario. RETRO GAMER 2/2014 | 15 2: l T ei D er S ie g es zu g Die zweite Dekade: 1984 – 1994 Als in Europa frühe Software-Verlage (und in Deutschland die ersten BASIC-Spiele) entstehen, hat Japans Game-Industrie ihre Gründerphase längst hinter sich. Nach über 1.000 Originaltiteln für Spielhalle, Wohnzimmer und Büro sind japanische Studios und Publisher Mitte der 80er Jahre fit für die zweite Runde – die Eroberung und Reformation des Videospiel-Weltmarkts! Hiroshima Nach rasantem Wiederaufbau ist Hiroshima bereits in den 80er Jahren wieder Millionenstadt und wichtiges Industriezentrum. Hier wird 1982 der Alesteund Puyo-PuyoProduzent Compile gegründet (der später nach Tokorozawa in den Großraum Tokio umzieht). Hiroshima ist zeitweise auch Hauptquartier von Kemco. Osaka Die Hafenstadt und Handelsmetropole im Süden der Hauptinsel ist Zentrum der frühen Arcade-Branche: Hier residieren unter anderem Konami, Irem und SNK. In Oska wird 1985 der Nintendound Sega-Entwickler Japan System Supply gegründet und 1986 der bis heute aktive PC-Spielhersteller Data West. Kyoto 1889, zwei Jahrzehnte nachdem die Stadt ihren Status als Sitz des kaiserlichen Hofes verliert, gründet der Kunsthandwerker Fuajiro Yamauchi in Kyoto die Spielkarten-Firma Nintendo, die Enkel Hiroshi knapp 100 Jahre später zum erfolgreichsten Videospielhersteller der Welt aufbaut. Natsume lässt in Kyoto iPhone-Spiele entwickeln. Konan (Aichi) Die 100.000-EinwohnerStadt wird erst 1954 durch Zusammenschluss kleinerer Gemeinden gegründet und beherbergt einen der ältesten SpielautomatenHersteller Japans und frühen Nintendo-Lizenznehmer: Sunsoft. Japanische Videospiele-Industrie um 1990 Yokohama Fukuoka Die Hauptstadt der Südinsel Kyūshū bringt zwei der produktivsten und wichtigsten Computerspiel-Hersteller der 80er Jahre hervor: Den Strategie-Experten System Soft, der bis heute DaisenryakuKriege entfesselt, sowie die Grafikadventure-Firma Riverhill, deren Kreative 20 Jahre später Level 5 gründen. 16 | RETRO GAMER 2/2014 Sasebo In der 250.000 Einwohner-Stadt der Präfektur Nagasaki, am westlichen Zipfel der japanischen Inselgruppe, residiert der Heimcomputerund Sega-Entwickler Tecnosoft, der uns etwa mit Thunderforce-Ballerspielen beliefert. Yokkaichi In der alten Hafenund Marktstadt wird 1981 der SoftwareHersteller Micro Cabin gegründet, der mit Spielen und Anwendungen für alle Computersysteme bis ins 21. Jahrhundert erfolgreich ist. Nagoya Die viertgrößte Stadt Japans beherbergt mit T&E Soft den erfolgreichen Hersteller der Augusta Golf-Simulationen und Hydlide-Rollenspiele. Harvest-Moon-Erfinder Natsume hat in Nagoya sein NintendoStudio. In der zweitgrößten Stadt Japans und traditionsreichen Handelsmetropole sitzt neben dem SoftwareGiganten Koei der kleine Arcade- und Videospielentwickler Arc System Works, der mit Action-Marken wie Guilty Gear and BlazBlue ab 1995 auch als Publisher auftritt. 1999 eröffnet Namco in Yokohama die „Digital Arts“-SpieldesignSchule. Foto: consollection.de Sapporo » Casios im Oktober 1983 veröffentlichte PV1000 ist eine der vielen TV-Konsolen, die Nintendo verdrängt. Die Hauptstadt der Nordinsel Hokkaido ist der Sitz des Computerspiel-Marktführers und frühen Nintendo-Lizenznehmers Hudson. Von Winnie Forster Foto: gameplan.de I » [1983] Mit dem Family Computer läutet Nintendo das Joypad-Zeitalter ein: links ein D-Pad, rechts die Buttons. m Jahrzehnt nach 1972, in dem sich die japanische Spielebranche nach US-Vorbild erfindet und zu imposanter Größe wächst, bringt sie bereits 1.000 Automaten, Computer- und Telespiele hervor. Viele davon kommen in den Westen, wo die Nachfrage nach originellen Spielkonzepten größer ist als der Ausstoß der amerikanischen, ab 1982 auch englischen Firmen. Namco, Taito oder Nintendo liefern den westlichen Systemherstellern Atari, Mattel, CBS und Milton Bradley erfolgreiche Pixel-Marken und -Helden, treten aber auch verstärkt als Lizenzgeber kleinerer, auf Computer-Software spezialisierter Verlage auf. Während sich in Europa Firmen wie Ocean, US Gold und Elite um die offiziellen Umsetzungen japanischer Hits für Commodore-, Schneider- und Sinclair-Rechner kümmern, spezialisieren sich in den USA vor allem Datasoft, Parker Bros. und Atarisoft auf Konvertierungen für westliche Plattformen, bevor japanische Firmen – Sega, Data East, Konami und Taito – US-Zweigstellen zur Eigenvermarktung ihrer Titel gründen. Trendmotor Spielhalle Tokio Die anfangs stark fragmentierte japanische Branche konzentriert sich zunehmend auf Tokio: Ab Mitte der 80er Jahre haben gut 90 Prozent der namhaften Unternehmen ihren Sitz in der Hauptstadt – und alle anderen dort zumindest ein Büro oder Studio. Im Spielezentrum residieren die Arcade- und Konsolen-Majors Sega, Taito, Data East, Jaleco, Tecmo (sowie deren Deserteure, die Atlus gründen) ebenso wie der Spielzeug-Gigant Bandai und führende Software-Verlage: Ascii, Enix, Nihon Falcom und Pony Canyon. Zu den stärksten der kleineren Tokio-Firmen gehören zwischen 1983 und 1993 Game Arts (Lunar, Silpheed) und NCS (Langrisser). In Tokio findet man mit Fairy Tale und Elf auch die produktivsten Erotik-Produzenten, ebenso die ältesten Videospiel-Unis, darunter die 1990 vom Software-Haus Human gegründete Human Creative School. Die sowohl technisch als auch kreativ treibende Kraft hinter der rasant wachsenden japanischen Game-Industrie bleibt auch über die nächsten zehn Jahre die Arcade-Branche. Nach Welterfolgen wie Space Invaders und Pac-Man geben die Pioniere Taito, Sega, Namco, Konami und Nintendo ihre Vormachtstellung in der Spielhalle nicht mehr auf und bringen ihre US-Vorbilder, Partner und Mitbewerber (Atari, Williams, Gottlieb, Bally-Midway) zusehend in die Defensive. Um 1983, kurz vor dem großen Konsolen-Crash im Westen, ist fast jedes erfolgreiche Modul für eine amerikanische Atari- und Coleco-Konsolen eine Japan-, nicht US-Erfindung. Aus fernöstlichen Spielhallen auf westliche Konsolen und Computer kommen Proto-Jump-andruns wie Jungle Hunt und Donkey Kong Jr., Labyrinth-Fantasien wie Konamis Tutankham sowie niedliche Cartoon-Action à la Pengo, Pooyan und Dig Dug. Der Austausch an populärem Kulturgut ist gegenseitig: 1983 lizenziert Nintendo die US-Comic-Figur Popeye für eine Plattform-Randale, die Parker für Atari und C64 umsetzt. Doch längst sind es weniger die amerikanischen als vielmehr die japanischen Firmen, die Spielkonventionen erweitern und neue Genres begründen. Konami inszeniert mit Hyper Olympic (Track & Field) die erste Pixel-Olympiade – mit drolligen Sprite-Athleten, einer Prise Physik und einer brachialen, schweißtreibenden Eingabe-Methode („Button Bashing“). USPublisher Epyx kopiert das Prinzip für den C64-Hit Summer Games. 1984 erscheint mit Data Easts Karate Champ die erste ernsthafte Beat-emup-Simulation, ebenfalls ein Action-Automat, der Sprite-Animation und Steuerung radikal » Bis Mitte der 80er lässt sich Japan von der Apple-Szene inspirieren: Hudsons Lode Runner-Umsetzung (oben) ist 1984 ein frühes Famicom-Spiel, Konamis Castle Excellent 1985 eine Fortführung des US-Spiels. RETRO GAMER 2/2014 | 17 Fotos: gameplan.de » [1985] Maximalen Spielspaß findet man Mitte der 80er in der Spielhalle, wo Sega schwindelerregendes Bitmap-3D in hydraulische Cockpits gießt, von links: HangOn, Space Harrier, Afterburner. » [1985] Irem und Konami sind Meister horizontal scrollender Automatenspiele. Die besten Umsetzungen von Hits wie Kung Fu Master (oben) und Nemesis (unten) erscheinen für MSX und NES. Der TV-Automatenbauer (ohne Flipper- oder PachinkoWurzeln) wird 1979 gegründet, wirbt Konami-Talente wie Tokuro Fujiwara und Yoshiki Okamoto ab und betritt mit der scrollenden 1942-Ballerei 1985 den Famicom-Markt. Bis in die 90er Jahre bleibt Capcom ein treuer Nintendo-Partner, der keine Sega-Spiele vermarktet, sondern Lizenzen an japanische und westliche Firmen vergibt. In Europa konvertieren US Gold und Elite Capcom-Hits wie Commando, Black Tiger, Bionic Commando und Forgotten Worlds auf C64, ST und Amiga. Die interne Konkurrenz ehrgeiziger Capcom-Designer bringt unvergessliche Meisterwerke hervor: 1988 produziert Fujiwara sein Grusel-Jump and-run Ghouls ’n Ghosts, ein Jahr später das grafisch opulente Zukunftsabenteuer Strider. Okamoto trumpft mit dem Prügel-Scroller Final Fight auf, während Keiji Inafune 1987 mit Rockman (Megaman) eine pfiffige Mischung aus Astro Boy und Mario erfindet. Zur Nummer 1 wird Capcom 1991 mit dem Kampfkunstwerk Street Fighter 2 und dessen sympathischem Helden. Die SNES-Umsetzung auf 16-MBit-Modul verkauft sich fast 3 Millionen Mal, die Serie bis heute über 30 Millionen Mal. Ebenso einfluss- und erfolgreich ist das Playstation-Action-Adventure Resident Evil (1996), der Auftakt aller Zombie- und Survival-HorrorSpiele. Auch als Promis wie Fujiwara, Okamoto und Shinji Mikami Capcom verlassen, hält sich die Firma mit frischen Bestsellern wie Ace Attorney und Monster Hunter und bleibt sich, trotz erfolgreicher Ausflüge in jedes Genre, bis heute treu: Der Name Capcom steht für Kampf und Action mit einer gewissen Tiefe und Mystik. 18 | RETRO GAMER 2/2014 erweitert: Mit Doppel-Joysticks und Buttons entlocken ein oder zwei Spieler ihren Kämpfern ein gutes Dutzend Moves, vom Faustschlag bis zum Sprung-Kick. Dieses Spiel kopieren in England System 3 und Archer Maclean 1986 als International Karate und lizenzieren es an Epyx, deren World Karate Championship Data East provoziert; ein Gerichtsprozess durch mehrere Instanzen ist die Folge. Bessere Grafik, Controller-Finessen und einen Hauch von augenzwinkernder Authentizität bringt auch Capcom vertikal scrollendes Pazifik-Ballerspiel 1942. Die genannten Japan-Innovationen kommen mit großem Erfolg auch in westliche Spielhallen, aber längst nicht alle. Namcos Druaga no Tou-Automat, der 1984 Kampf-Action mit RPG-Abenteuer mischt, bleibt im Westen unbekannt, löst in seiner Heimat als plattformübergreifender Hit aber das eigenwillige Subgenre scrollender Fantasy-Rollenspiele aus: Im Action-RPG etabliert sich spezifisch japanisches Gamedesign, fernöstliche und westliche Spielgewohnheiten und Konventionen beginnen sich zu trennen. Sprite-Zauber und scrollende Welten Schnelles Scrolling, vertikal, horizontal oder in acht Richtungen, gern auch „pa rallax“ auf mehreren Ebenen, bleibt über die gesamten 80er Jahre eine Spezialität japanischer Automaten: Die Liste der Action-Meisterwerke, die mit ein, zwei Jahren Verspätung (und technisch nicht selten verhunzt) auch auf unsere Com modore-, Sinclair- und Atari-Computer kommen, ist lang: Von links nach rechts scrollen Son Son von Capcom und Nam cos Pac-Land, das Ausbrecher-Drama Jail Break und das militaristische Green Beret von Konami, die Pixel-Märchen Legend of Kage und Ghosts ’n Goblins sowie Irems Joystick-Eastern Kung Fu Master (alle 1985). Klassische Vertikal-Scroller sind die berüchtigten, vom Leinwand-Rambo inspirierten Ballertitel Commando (Capcom) und Victory Road sowie Ikari (von SNK). Auch Taitos Hubschrauberflug Twin Cobra (1987) und Konamis humoristisches Twin Bee sowie ungezählte Weltraum-Flüge verschieben den Bildschirminhalt von oben nach unten. Mit Ich-Perspektive und 3D experimentiert Sega-Programmierer Yu Suzuki, dessen Rennspiele Hang On und Out Run Namcos Pole Position überrunden und zu internationalen Superhits werden. 1985 schockt Suzuki die Ballerspieler mit dem bizarren Science-Fiction-Trip Space Harrier, 1987 mit dem Jet-Shooter Afterburner. Die Sega-Automaten setzen auf schnelle Bitmap- und Sprite-Rotation und -Manipulation („Scaling“) und auf hydraulische Sitze und Cockpits. Erstere lassen sich technisch zumindest auf die stärksten USComputer – die 16-Bitter Amiga und Atari ST – umsetzen, Force-Feedback, OriginalArmaturen und Hydraulik dagegen gar nicht mehr auf Heim-Hardware übertragen: In ihren technischen Möglichkeiten und in ihrer puren Wirkung ist die Spielhalle damals der Heim-Branche weit voraus. Die westliche Software-Szene gibt sich alle Mühe, mit den japanischen GameIngenieuren Schritt zu halten: Von Konamis galaktischen Gradius-Ballerspielen, schnellen Jump-and-runs wie Segas Wonderboy oder Multiplayer-Kloppereien wie Double Dragon (1987) lassen sich die begabtesten Programmierer in Europa inspirieren. Ungezählte Spieldesign-Größen des 21. Jahrhunderts beginnen ihre Laufbahn mit Nachahmungen japanischer Arcade-Konzepten. In Deutschland machen sich Manfred Trenz und die Amiga-Profis von Factor 5 einen Namen als eifrige Adepten der Iremund Konami-Schule, siehe auch „Making of Katakis“ in diesem Heft. Umgekehrt greifen fernöstliche Kreative jede interessante Technikidee aus dem Westen sofort auf: Nachdem USZeichentrick-Künstler Don Bluth die „Laser Disc“ für sein Action-Adventure Dragon‘s Lair nützt, setzen auch Sega, Taito, Data East und Konami den analogen Vorläufer der Film-DVD für ein Dutzend Spielautomaten ein, mischen Pixel-Animation mit Anime-Zeichentrick und legen RealfilmSchnipsel aus den Toho-Studios hinter die Action. Im Gegensatz zum Westen, wo LD-Konsolen für daheim zwar angekündigt, MADE IN JAPAN–- der siegeszug » Die beste von rund 2.000 HudsonVeröffentlichungen: Bomberman auf HuCard von 1990! aber nicht vermarktet werden, gibt es in Japan Hardware, die TV, Computer und LD verbindet – für MSX, aber auch als Segakompatibles „LaserActive“. Die Rückkehr der Modulkonsolen Während die Spielhalle technische Möglichkeiten auslotet und das Videospiel audiovisuell vorantreibt, durchläuft der Heimsektor nach dem US-Crash 1984 einen gravierenden Wandel. Reihenweise ziehen sich amerikanische Firmen, die bisherigen Marktführer, aus dem zusammenbrechenden Konsolensektor zurück – und machen den Weg frei für japanische Unternehmen, die langfristig denken und sich vom Atari-Ende nicht schrecken lassen. Mit Mario Bros., Donkey Kong und Punch-Out hat Spielzeughersteller Nintendo weltweit beliebte ArcadeMarken im Programm und auch sonst gute Voraussetzungen, um den Heimkonsolenmarkt von der Spielhalle aus zu erneuern (siehe Retro Gamer 1/2014). Nintendo sieht nicht den jugendlichen Technik-Freak, sondern die ganze Familie als Zielgruppe und schaut sich dafür die erfolgreichsten US-Spielgeräte – die 8-Bit-Computer von Commodore – genau an. Auf Basis deren MOS6502-CPU und der Vision des Firmenchefs Hiroshi Yamauchi folgend, konzeptioniert Nintendo-Ingenieur Masayuki Uemura mit dem „Family Computer“ (Famicom, bei uns NES genannt) ein leistungsfähiges, dabei preisgünstiges Spiel- und HobbyGerät. Nintendo denkt auch schon an die Multimedia-Zukunft, spendiert dem Famicom Erweiterungsschnittstellen für Wechselmedium, Modem und Tastatur. Wichtige Designideen steuert der spätere Game-Boy-Erfinder Gunpey Yokoi bei, dessen Daumen-Steuerkreuz als „D-Pad“ den Famicom-Controller dominiert. Sogar ein Mikro zur Spracheingabe ist ins Ur-Joypad eingebaut! Die ersten Spiele fürs Famicom sind Mitte 1983 Donkey Kong und Donkey Kong Jr. von Shigeru Miyamoto, gefolgt von Popeye, Baseball-, Mahjong- und Go-Simulationen sowie einer Umsetzung des ersten Mario Bros.-Automaten. Das Famicom nimmt die japanische Spielewelt im Sturm (und erobert ab 1985 die Staaten und ab 1986 Europa). Erst sind es Nintendos eigene Automaten-Umsetzungen, dann auch die zugkräftigen Namen anderer Hersteller. Nintendo segnet alle Spiele ab, fertigt die Module in eigenen Fabriken und verkauft sie dann an die Third Partys zurück: Die enge Bindung und Zusammenarbeit mit den Fremdherstellern, die nicht wirklich unabhängig sind, ist ein wichtiger Baustein des Famicom-Erfolges. Ab 1984 produzieren Hudson und Namco Famicom-Module, ab 1985 setzen alle anderen Arcade-Firmen – Konami, Taito und Jaleco, Irem und Capcom – ihre besten Marken für Nintendo um. Dazu kommen Computerspiel-Verlage wie Ascii, Square und Enix, die Sony-Tochter CBS und das Fuji-Studio Pony Canyon. Nicht zuletzt der Spielzeug- und AnimeRiese Bandai und seine Labels Yutaka und Banprest produziert in Serie fürs Famicom, vor allem Ultraman, Gundam und Dragonball Z. Mitbewerber Takara bringt das erste Nintendo-Transformers, Toshiba Emi 1987 ein Zoids-Rollenspiel. » T V-Spots bewerben Nintendos erste Modulkonsole als Multimedia-Zentrale für Kinder: 1985 gibt’s den Famicom Robot, später Floppy, Modem und Tastatur. Japanische Millionenseller Was im Westen durch den Atari-Crash abbricht, geht dank Nintendo in Japan nahtlos weiter – die Erfindung und Entwicklung originärer Heimvideospiele. Also von Spielen, die nicht auf den kurzen 100-Yen-Kick nebst baldigem Münznachwurf ausgelegt sind, sondern für tage- und wochenlangen Spaß. Für das Famicom entstehen nicht nur viele Hundert Sport-, Action- und Puzzle-Spiele, sondern auch Adventures, Simulationen und ausladende RPGs, von denen wir in Europa nichts mitbekommen. Ideen und Konzepte aus der PC-Szene werden schlau auf JoypadSteuerung umgesetzt. Die ComputerVeteranen Yuji Horii und Koichi Nakamura (alias Chunsoft) engagieren mit dem Dragonball- und Dr. Slump-Erfinder Akira Toriyama den bekanntesten Der Computer- und Videospielhersteller entsteht in den 70er Jahren aus dem Foto- und Amateurfunk-Geschäft der Brüder Yuji und Hiroshi Kudo. Als Modelleisenbahn-Fan benennt Yuji die Firma nach seiner Lieblings-Dampflok. 1978 programmiert er die ersten Computerspiele Japans sowie Basic- und Fortran-Interpreter. Er macht Hudson mit Software für Rechner von Sharp, National und Panasonic zum größten Computerspielverlag Japans. Die Firma erhält die PC-Lizenz für Mario Bros und wird 1984 die erste Famicom-ThirdParty. Hudson passt Lode Runner auf den japanischen Geschmack an (und macht daraus später Bomberman), ist mit Sport, Action und Ballerspielen wie Star Soldier (1986) erfolgreich, aber auch mit der folkloristischen RPG-Serie Far East of Eden. Hexfeld-Taktik renoviert Hudson 1989 mit Nectaris, entwickelt das CD-ROM2-Laufwerk und Steinzeit-Maskottchen Bonk für die PC-Engine. 1990 öffnet die Hudson Computer Design School, 1992 wird das Central Laboratory in Sapporo gegründet – ebenso wie ein Münzenmuseum. Allerdings scheitern der Sprung auf den US-Markt und ein kurzes Engagement in Europa (mit einem deutschen Bomberman für DOS und Amiga). An vorderster Front steht Hudson als früher HandySpielentwickler: Erst für iMode-Browser des Marktführers NTT, ab 2001 für Java setzt Hudson klassischen Spiele um und erfindet neue Konzepte. Im Playstation-Zeitalter verliert die Firma den Anschluss, ist nur noch mit Mario Party-Spielen für Nintendo erfolgreich und wird ab 2001 schrittweise von Konami übernommen. Seit Kudos Rücktritt 2011 ist Hudson eine hundertprozentige Konami-Tochter. » Nintendos TechnikPartner Sharp vermarktet ab 1986 das Floppy-bestückte Twin Famicom, den einzigen Lizenzbau einer NintendoKonsole. Koei wird 1978 als Koei Micom System von Yoichi Erikawa (alias Kou Shibusawa) gegründet. Die Firma entwickelt Adventures, Action- und Rollenspiele für NEC- und Fujitsu-Computer und begründet mit Night Life (1982) und My Lolita (1983) das „Hentai“-Genre erotischer Ab-18-Spiele. Monumental erfolgreich wird Koei durch folkloristische Geschichtsepen, die Strategie und Wirtschaft mit Hexfeld-Taktik und RPGElementen verbinden: Erstmals schafft es Koei 1986 mit Sangokushi (Romance of the Three Kingdoms) in die Ascii-Charts; 1987 ist Nobunaga’s Ambition das Spiel des Jahres (vor Sangokushi). Ab 1989 stellen Fortsetzungen, die inhaltlich und audiovisuell immer komplexer werden, sowie die Derby-Serie Winning Post jedes Jahr das meistverkaufte PC-Spiel. Koei entwickelt auch im Westen (Liberty or Death, 1993, Celtic Tales, 1995), sorgt für zwei, drei Amiga-Umsetzungen und konvertiert alles auf Spielkonsolen, vom Famicom bis zur Playstation, vermarktet außerdem Lösungsbücher und Soundtracks. Obwohl Koei Romance of the Three Kingdoms zur panasiatischen Besteller-Marke ausbaut, verliert die börsennotierte Firma im PlaySta tion- und Online-Zeitalter an Kraft und Bedeutung. Ins 21. Jahrhundert startet Koei mit einer 500-Kopf-Belegschaft (die Inhaber sind das reichste Ehepaar Japans), schluckt Tecmo, steigt ins Filmgeschäft ein und bringt ungezählte Action-, 3D- und Online-Varianten der historischen Dramen – aber mit dem Echtzeit-Getümmel Shin Sangokumusou (Dynasty Warriors) nur einen einzigen neuen Spielgedanken. RETRO GAMER 2/2014 | 19 » [1988] Mit Manga-Meister Akira Toriyama erschafft Enix die nach Super Mario meistverkauften 80er-Jahre-Spiele: Von den ersten drei Dragon Quest-Episoden werden in Japan acht Millionen Module abgesetzt! » Sega startet 16 Bit mit lahmen Umsetzungen eigener Automaten (oben: Altered Beast, 1988), während Nintendo zwei Jahre später fürs SNES Originale wie Super Mario World erfindet. » Spartanisch, aber schlau und zukunftsweisend: Das PC-Spiel Emblem of Gaia mixt 1987 FantasyRPG mit Rundentaktik. Unabhängig firmiert das Studio von Masafumi Miyamoto und Hironobu Sakaguchi erst seit 1986. Damit ist es die jüngste hier porträtierte Firma – und als Floppy-Produzent anfangs nicht sehr erfolgreich. Nach allerlei Action- und 3D-Experimenten entwirft Sakaguchi als „finales“ Großprojekt ein Ultima-inspiriertes Rollenspiel, das der amerikanische Apple-2-Star Nasir Gebelli fast im Alleingang programmiert und Nobuo Uematsu mit lieblicher Chip-Musik unterlegt. Das Famicom-Original wird zum Überraschungshit: Final Fantasy 3 überspringt 1990 die MillionenVerkaufsmarke. Der Rest ist Geschichte, und jede neue Episode ein internationales Großereignis. Anfang der 90er entwickelt Square einige der besten SNESModule überhaupt, Secret of Mana, Chronotrigger und 1996 das erste Super Mario RPG, löst sich dann aber von Nintendo. Das Bekenntnis zur PlayStation läutet Squares goldenes Zeitalter ein: Für das CD-Debüt Tobal No.1, (ein Beat-em-up) zeichnet Akira Toriyama niedliche Stachelköpfe. Es folgen das Ballerspiel Einhänder und die 3D-Schwertsimulation Bushido Blade. Zwischen Final Fantasy-RPGs für den Mainstream und Front Mission-Schlachten für Hardcore-Strategen ragt 1997 Final Fantasy Tactics heraus: Das Rundentaktikspiel wird in Japan 1,35 Millionen Mal verkauft. Square steigert die Belegschaft von 250 (1992) auf 1.200 Mitarbeiter, produziert mit US-Töchtern den interaktiven Thriller Parasite Eve (1998) sowie den abendfüllenden, nicht gänzlich überzeugenden Computerfilm Final Fantasy: The Spirits Within. 2002 folgt das erste Kingdom Hearts-Disney-Rollenspiel. Mit Final Fantasy XI stolpert Square im gleichen Jahr ins Internet. Filmgeschäft und Online-Anlauf sorgen für Verluste, 2003 fusioniert Square mit dem RPG-Rivalen Enix. Nach Nintendo ist Square-Enix » Plattformüberder zweitgrößte Videospielhersteller Japans und greifend beliebt seit 2009 zudem Verwalter der europäischen Eidossind für 8 Bit Reste inklusive Deus Ex, Tomb Raider und Thief. Ultima-ähnliche Fantasy-RPGs wie Issural (1988). Manga-Künstler. Zusammen schaffen sie mit ihren liebevoll gepixelten Dragon Quest-Rollenspielen nach den MarioModulen meistverkauften FamicomSpiele: Der erste Teil geht in Japan 1,5 Millionen Mal über den Tisch (kommt jedoch erst dreieinhalb Jahre später in die Staaten), Teil 2 bereits 2,4 Millionen Mal, bevor der dritte Ende der 90er Jahre hart an der 4-Millionen-Marke kratzt. Dennoch braucht er sage und schreibe vier Jahre, bis er fürs US-NES erscheint. Im Schatten des Dragon Quest-Fiebers wächst Squares Final Fantasy, dessen erste beiden Episoden sich zusammen gut 1,2 Millionen Mal verkaufen, wohl nicht zuletzt aufgrund der märchenhaften, filigranen Artworks von Yoshitaka Amano. Der Schulterschluss zwischen florierender Computerszene und reformiertem Konsolenmarkt klappt in Japan auch deshalb gut, weil Nintendo 1986 mit dem Famicom Disk Drive ein beschreibbares und geräumiges Speichermedium liefert. Die Alternative zum teuren und statischen ROM-Modul wird zur Geburtsstätte von Zelda, das 1,7 Millionen Mal auf Floppy weggeht, Metroid (gut 1 Million Disks in Japan) und Konamis Castlevania. Alle drei stellen fantastische Action-Abenteuer dar, die es nur für Nintendo gibt. Daneben sind – wie heute auf Wii-Konsolen – Sportspiele phänomenal beliebt: Jedes der jährlichen Family Stadium-Baseball-Spiele von Namco wird ein Millionenseller. Von MSX zum PC-98 Als Bindeglied zwischen Telespiel- und Computer-Szene fungiert der von Ascii und Microsoft begründete MSX-Standard, dem von NEC, Sharp und Fujitsu, Sega und Nintendo abgesehen, alle japanischen Elektronik- und ComputerBauer folgen (siehe Retro Gamer 1/2012). Da MSX im Westen an der Commodore20 | RETRO GAMER 2/2014 Dominanz scheitert (und die anderen Japan-Plattformen überhaupt nicht zu uns kommen), bleibt ein Hauptzweig der fernöstlichen Game-Industrie dem westlichen Auge verborgen. Zu uns kommen zwar viele Hundert Automatenund Konsolen-Titel, aber nicht einmal ein Dutzend der weit über 1.000 PC- und Heimcomputer-Spiele, die Japan zwischen 1983 und 1993 hervorbringt. Die einsamen Exporttitel sind schnell aufgezählt: 1988 übersetzt Sierra Thexder von Game Arts auf Apple 2 und Amiga; darin verwandelt sich ein ballernder Roboterheld in ein Raumschiff. Da die PC-8801-Umsetzung mit drei Jahren Verspätung erscheint, wirkt sie auf US-User reichlich veraltet. Ähnlich ergeht es dem 3D-gepimpten Game-Arts-Shooter Silpheed (1986), der in Japan bis heute fort- und umgesetzt wird, sowie den Action-Rollenspielen Sorcerian und Zeliard (1987), die Sierra erst 1990 vermarktet. Infogrames bringt Take the A-Train III (1989), eine rundum edle Hochhaus- und Nahverkehrssimulation von Artdink, immerhin schon nach zwei Jahren in den europäischen Handel, verbummelt jedoch die wunderschöne Renaissance-Segelei The Atlas von 1991, die in Deutschland erst 1995 veröffentlicht wird. Daneben prägen zwei, drei erotische Spiele, die von kleinen US-Klitschen übersetzt werden, das (unvollständige) Image fernöstlicher PC-Software im Westen: Das spritzige Cyber-Adventure Cobra Mission gefällt 1992 hiesigen PC-Usern, obwohl audiovisuell mickrig und verstaubt, sehr gut, während Elfs Dragon Knight III – 1991 Japans dickster Mix aus Strategie,