„ Ihr seid das Ruhrgebiet. Und das Ruhrgebiet bin ich.“
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„ Ihr seid das Ruhrgebiet. Und das Ruhrgebiet bin ich.“
4 2O14 Das herausragende regionale Magazin für Kultur, Business und Lifestyle mit Format. 9,50 € „Ihr seid das Ruhrgebiet. Und das Ruhrgebiet bin ich.“ Wolfgang Petry FOKUS Ein warmherziger Ort für kleine Patienten Wenn in Deutschland über Pflege gesprochen wird, betrifft dies überwiegend die ältere Bevölkerung. Es gibt jedoch auch zahlreiche Schicksale von Säuglingen und Kindern, die seltener in die Öffentlichkeit gelangen, jedoch nicht weniger brisant sind. So verbringen Kinder häufig Monate, gar Jahre auf Intensivstationen, wenn eine intensivmedizinische Betreuung erforderlich ist. Für die Familien der Kinder ist diese Situation nur schwer erträglich. Mit Haus Hummelchen in Gelsenkirchen ist im September eine ambulante Einrichtung geschaffen worden, die als intensivmedizinisches Familienzentrum (iFz) ein Ort der Geborgenheit und Pflege für die Kinder und deren Familien geworden ist – alles mit dem Ziel, die Eltern “fit“ zu machen und zu begleiten auf dem Weg, ihr rund um die Uhr betreuungsintensives Kind nach einer Übergangsphase nach Hause holen zu können. Brückenlösung zwischen Intensivstation und Zuhause Hinter dem in Nordrhein-Westfalen einzigartigen Projekt steht der Pflegedienst „Humanitas KIDS“, der speziell ausgebildete Kinderkrankenpfleger und -schwestern in Haus Hummelchen einsetzt. „Unsere erste kleine Patientin wurde im März diesen Jahres geboren“, berichtet Pflegedienstleiter Fabian Kowalski. Der junge Mann und seine beiden Kolleginnen geben der Kleinen nicht nur die nötige pflegerische Versorgung, sondern auch jede Menge Zuwendung und Streicheleinheiten und binden zudem die Eltern in die pflegerischen Aufgaben mit ein. In der etwas sperrigen Fachsprache nennt man das, was in Haus Hummelchen geleistet wird, „Rückzugspflege“, was nichts anderes bedeutet, als dass Eltern so angeleitet werden, dass sie ihr Kind eigenständiger und kompetent zu pflegen lernen. Nach einer Eingewöhnungszeit für Kind und Eltern werden erste Schritte in Richtung Pflegeanleitung unternommen. „Wir definieren klare Ziele mit den Eltern und erstellen einen Plan, der zum Ziel hat, dass die Eltern in ein paar Monaten ihr Kind zu sich holen können“, erläutert Humanitas-Geschäftsführer Oliver Aitche- son. „Wichtig ist uns, den Eltern Schritt für Schritt Ängste zu nehmen“, ergänzt Thomas Pilgrim, der den Humanitas-Pflegdienst vor über 30 Jahren gegründet hat. Dies alles geschieht in enger Zusammenarbeit mit den Ärzten der Klinik für Neonatologie, Kinder- und Jugendmedizin des Marienhospitals, welches sich unmittelbar in der Nachbarschaft befindet. Gemeinsam mit dem Pflegepersonal beurteilen die Ärzte dann, inwieweit die Eltern Betreuungsstunden in der elterlichen Wohnung selber übernehmen können. Darüber hinaus besteht zwischen Haus Hummelchen mit einem pädagogischen Zentrum eine Kooperation, so dass die Eltern auch pädagogisch begleitet werden und bei Fragen rund um Eingliederungshilfen Unterstützung finden. Ebenso wichtig ist es, einfach als Ansprechpartner zur Seite zustehen. Damit ist eine individuelle, ganzheitliche Förderung gegeben. Die praktische Umsetzung Im Haus Hummelchen übernachten die Eltern im Zimmer ihrer Kinder. Durch den großzügigen Schnitt der Zimmer ist die Unterbringung eines Zustellbettes neben dem Pflegebett möglich. Außerdem bietet sich mit einem gemütlich eingerichteten Gemeinschaftsraum Dr. Marcus Lutz, Chefarzt der Klinik für Neonatologie, Kinder- und Jugendmedizin am Marienhospital Gelsenkirchen 30 31 eine Rückzugsmöglichkeit für die Bewohner auf Zeit. Während die Pflegeleistungen durch die Krankenkassen abgedeckt sind, sind die Eltern für die Zeit ihres Aufenthaltes Mieter. „Die Familien haben allerdings häufig große finanzielle Belastungen zu tragen, so dass wir derzeit ein Konstrukt ausarbeiten, das es uns ermöglicht, in Einzelfällen diese Kosten zu übernehmen“, erläutert Thomas Pilgrim. Auch Geschwisterkinder sind hier herzlich willkommen. „Es ist einfach schön zu erleben, wie natürlich Kinder mit ihren kranken Geschwistern umgehen“, freut sich Fabian Kowalski, der diese Unbefangenheit im Laufe seiner pflegerischen Tätigkeit schon oft erleben durfte. Es sind nicht zuletzt diese Momente, die es dem Humanitas-KIDS-Team immer wieder vor Augen führen, wofür sie sich einsetzen. Übrigens, auch eine so genannte „Entlastungspflege“ ist hier möglich, wenn Eltern einfach einmal durchatmen oder in den Urlaub fahren möchten. Das zu pflegende Kind kann in dieser Zeit mit einem Angehörigen einen Monat bis maximal zwei Jahre im Haus Hummelchen aufgenommen werden. FOKUS Pflege steht im Vordergrund Dr. Marcus Lutz, Chefarzt der Klinik für Neonatologie, Kinder- und Jugendmedizin am Marienhospital Gelsenkirchen Das Haus Hummelchen verfolgt ein Konzept, das nicht nur im Ruhrgebiet, sondern in ganz NordrheinWestfalen einzigartig ist. Was macht es so besonders? Aufgrund des medizinischen Fortschritts gibt es generell einen höheren Pflegebedarf. Dies führt dazu, dass wir z. B. im Bereich der Neonatologie oft „Frühchen“ und kranke Neugeborene haben, die sehr lange im Krankenhaus intensivmedizinisch betreuet werden müssen. Das ist auf Dauer sehr belastend für die Eltern und Familien, zumal, je nach Krankheitsbild, die kleinen Patienten oft in spezialisierten Kliniken behandelt werden, die unter ungünstigen Umständen hunderte von Kilometern vom Wohnort der Familie entfernt sind. Das intensivmedizinische Familienzentrum (iFz) Haus Hummelchen in unmittelbarer Nachbarschaft des Marien- hospitals bietet nun die Möglichkeit, Eltern darauf vorzubereiten, in einer familienähnlichen Situation mit der Pflege ihrer Kinder vertraut zu werden. Wie muss man sich dieses „Vertraut werden“ vorstellen? In der Klinik steht ganz eindeutig der medizinische Aspekt im Vordergrund. In Haus Hummelchen ist es die pflegerische Komponente, die an erster Stelle steht. Das heißt, ärztlicherseits ist das Kind entsprechend seinem Krankheitsbild optimal versorgt und die Eltern können nun – unter Anleitung von spezialisierten Pflegekräften – lernen, ihr Kind zu versorgen. Sie üben beispielsweise, wie man Schleim absaugt oder eine Beatmungsmaschine bedient und haben immer das sichere Gefühl, Experten im Hintergrund zu haben, die ihnen in problematischen Situatio- nen oder bei Unsicherheiten helfen. So können sie langsam, aber sicher immer mehr Routine im Umgang mit Maschinen und Medikamenten bekommen und sind irgendwann an dem Punkt, an dem sie ihr Kind nach Hause holen können. Die Kleinen brauchen zudem viel Zuwendung, die sie hier erhalten und diese Übergansphase dient auch dazu, um zu sehen, ob die Eltern den Aufgaben gewachsen sind, die sie zu Hause erwarten. Es gibt ja leider nur sehr wenige Einrichtungen, die sich intensivmedizinisch zu betreuenden Kindern annehmen. tigt wird. Wir stimmen uns regelmäßig mit dem Pflegepersonal ab, führen Gespräche mit den Eltern und ich kann das getrost auch für meine Kollegen sagen: Haus Hummelchen ist uns eine Herzensangelegenheit. Übrigens, es können hier bis zu acht Patienten aufgenommen werden, die selbstverständlich nicht nur aus dem Marienhospital, sondern auch aus anderen Krankenhäusern kommen können. Welche Aufgabe haben Sie als Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde? Haus Hummelchen ist zwar eine ambulante Einrichtung, meine Kollegen sind jedoch in unmittelbarer Nähe und können umgehend reagieren, wenn unsere Hilfe benö- EINGANG OST NEUE PERSPEKTIVEN S TA R T: F R Ü H J A H R 2 0 1 6 www.messe-neue-perspektiven.de RUHRZEIT 4 2014