Das Rentenstrafrecht haben schon zu viele mit ins
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Das Rentenstrafrecht haben schon zu viele mit ins
Die Rentenstrafe haben schon zu viele mit ins Grab genommen Horst Parton1 Im 20. Jahr des als Wiedervereinigung gefeierten Anschlusses der DDR an die BRD ist Deutschland immer noch tief gespalten. So sind nach einer im Juni 2010 veröffentlichten Studie 90 Prozent der Ostdeutschen der Ansicht, im Zuge des Anschlusses der DDR an die BRD vom Westen übervorteilt worden zu sein. 57 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu: „Gerechtigkeit und Kapitalismus schließen sich aus.“ Gegen eine Gleichsetzung der DDR mit der Nazidiktatur wehren sich rund drei Viertel der Bürger in den neuen Ländern. Wohl auch deshalb sehen sich antikommunistische Eiferer veranlasst, ihr Feindbild von der DDR immer wieder neu zu beschwören und die Ausgrenzung, Diffamierung und Diskriminierung ehemals staatsnaher DDR-Bürger um jeden Preis aufrecht zu erhalten. Nach dem weitgehenden Scheitern der oftmals mit Rechtsbeugung verbundenen strafrechtlichen Abrechnung ist die soziale Abstrafung unter Missbrauch des Rentenrechts die für die Betroffenen folgenschwerste Beeinträchtigung. Seit 1991 organisiert die Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe und der Zollverwaltung der DDR (ISOR e. V.) gemeinsam mit anderen sozialen Verbänden und Vereinen den juristischen und politischen Kampf gegen diese grundgesetzwidrigen Machenschaften. ISOR e.V. fordert die vollständige Wiederherstellung der Wertneutralität des Rentenrechts, wie sie seit Bismarcks Rentengesetzgebung in Deutschland Praxis und nur von den Nazis gegenüber Juden und Einwohnern besetzter Gebiete außer Kraft gesetzt worden war. Unter zahlreichen anderen Ungerechtigkeiten und Unvollkommenheiten bei der Überführung von Renten- und Versorgungsansprüchen aus DDR-Zeiten in die Rentenversicherung der BRD ist das Rentenstrafrecht der gravierendste Eingriff in die unter dem Eigentumsschutz des Grundgesetzes stehenden Rentenansprüche aus DDR-Zeiten und ein eklatanter Verstoß gegen das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes. Durch Urteile des Bundesverfassungsgerichtes wurde das Rentenstrafrecht zwischenzeitlich für große Personengruppen aufgehoben und das zunächst auf 70% eines DDRDurchschnittseinkommens reduzierte anrechnungsfähige Einkommen im MfS auf das Durchschnittseinkommen angehoben. Motiv hierfür war jedoch auch, dass vermieden werden sollte, das Heer der Sozialhilfeempfänger und die damit verbunden finanziellen Belastungen weiter zu vergrößern. Betroffen vom Rentenstrafrecht sind derzeit noch die ehemaligen Angehörigen des MfS sowie eine etwa 4.000 Personen umfassende Gruppe hoher Partei- und Staatsfunktionäre, Mitglieder von Bezirks- und Kreiseinsatzleitungen der SED, Richter und Staatsanwälte, denen ein Weisungsrecht gegenüber dem MfS unterstellt wurde. Für Letztere wurde das Rentenstrafrecht damit begründet, dass ein „Wertungswiderspruch“ entstände, wenn die rentenrechtliche Abstrafung auf das MfS eingeengt würde. Der Buhmann bleibt also das MfS, in dem angeblich nicht durch Arbeit und Leistung gerechtfertigte überhöhte Einkommen erreicht worden seien. Dabei wird ausgeblendet, dass durch die Überführung der Sonderversorgungssysteme der bewaffneten Organe der DDR in die allgemeine Rentenversicherung auch Beitragsbemessungsgrenzen eingeführt wurden, die Rentenzahlungen für hohe und höchste Einkommen – trotz dafür eingezahlter Beiträge – ausschließen. Eine Kürzung wurde auch damit gerechtfertigt, dass die Einkommen des MfS Ergebnis einer „Selbstprivilegierung“ gewesen, geheim waren und nicht überprüfbar seien. 1 Horst Parton ist Vorsitzender des Sozialvereins ISOR. 2 Weder Gerichte noch der Gesetzgeber sahen sich veranlasst, eigene Untersuchungen anzustellen, obwohl sie im Besitz der dafür maßgeblichen Unterlagen waren bzw. Zugang zu ihnen hatten oder jederzeit erhalten konnten. Erst nach Erlass des Informationsfreiheitsgesetzes Anfang 2007 hatten mit über 20.000 Unterschriften gestützte Initiativen der ISOR e. V. zur Erzwingung des Zugangs und zur Auswertung solcher Unterlagen einen durchgreifenden Erfolg. Die tragenden Begründungen für das Rentenstrafrecht konnten somit gutachterlich auf der Grundlage amtlicher Daten und Dokumente eindeutig widerlegt werden. Die Einkommensverhältnisse im MfS wurden geklärt und den Einkommen in der NVA und dem MdI gegenübergestellt. Es wurde nachgewiesen, dass im MfS analoge Ordnungen und Strukturen der Besoldung galten, wie in den anderen bewaffneten Organen auch und dass politische Entscheidungen der SED- und Staatsführung dafür bestimmend waren. In allen bewaffneten Organen wurde ein überdurchschnittliches Einkommen erzielt und es bestand ein relativ geringer Einkommensvorsprung des MfS gegenüber NVA und MdI. Dazu bedurfte es keiner „Selbstprivilegierung“. Wohl überall in der Welt werden vermutlich Geheimdienstoffiziere besser bezahlt als Armeeangehörige und diese wiederum besser als der Durchschnitt der Bevölkerung. Etwa eine halbe Million DDR-Bürger hatte trotzdem ein gleiches oder sogar höheres Durchschnittseinkommen wie die Mitarbeiter des MfS. Die Erregung über angeblich zu hohe Einkommen im MfS (1988: 59 % über dem DDRDurchschnitt) wird vollends zur Heuchelei, wenn man bedenkt, dass in der BRD manche Manager das 500-fache eines Durchschnittseinkommens erreichen können oder wenn die monatlichen Durchschnittspensionen (ca. 2.500 € lt. Bundesinnenminister Schäuble in einer AP-Meldung vom 08.04.2009) den entsprechenden Durchschnittsrenten (2010 lt. Focus Money online vom 25.06.2010: real 1091 € im Westen und 969 € im Osten) gegenübergestellt werden. Selbst erreichbare Höchstrenten liegen damit deutlich unter den durchschnittlich gezahlten Pensionen. Unverhofft bestätigte auch Dr. Jens Gieseke (Projektleiter im Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, zuvor wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Bildung und Forschung der BStU) in einem Artikel mit der Überschrift „Zwischen Privilegienkultur und Egalitarismus. Zu den Einkommensverhältnissen des Ministeriums für Staatssicherheit“ („Deutschland-Archiv“ Nr. 03/2010, Seite 442 ff.) eine solche Betrachtungsweise. Im Resümee des Artikels schreibt er: „Alles in allem sind die Gehaltsvorsprünge in den bewaffneten Organen der DDR und insbesondere im Ministerium für Staatssicherheit vergleichsweise bescheiden, zieht man die Spitzengehälter kapitalistischer Gesellschaften zum Maßstab heran…“ (ebenda, Seite 452) Eine von ISOR e.V. 2009 verfasste Petition gegen das Rentenstrafrecht hat insgesamt mehr als 73.500 Unterstützer, keineswegs nur ehemalige Mitarbeiter des MfS, gefunden und wurde am 29. Januar 2010 dem Petitionsausschuss des Bundestages überreicht. Die hohe Zahl der gesammelten Unterschriften ist auch insofern beachtlich, weil manche potenzielle Unterstützer und selbst unmittelbar Betroffene aus Angst vor möglichen Repressalien für sich und Familienmitglieder ihre Unterschrift verweigerten. Das Vertrauen in die viel beschworene Freiheit und den Datenschutz scheint also doch begrenzt zu sein. Der Petitionsausschuss hat mitteilen lassen, dass mit einer schnellen Bearbeitung nicht zu rechnen ist. Die Petition sei zunächst dem sachlich zuständigen Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales zur Stellungnahme zugeleitet worden. Offen ist, ob der Petitionsausschuss eine der hohen Zahl der Unterschriften angemessene öffentliche Anhörung zu dieser Petition zulässt. Zähflüssig und nicht ohne Rückschläge gestaltet sich auch die juristische Auseinandersetzung. Nach mehr als zwei Jahren hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am 6. Juli 2010 über eine Klage zu § 6 (2) des Gesetzes zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets (Anspruchs- und Anwartschafts- 3 überführungsgesetz - AAÜG) entschieden und die Kürzung der Renten für ehemalige Minister der DDR und ihre Stellvertreter für verfassungsgemäß erklärt. Per obiter dictum (bei sich bietender Gelegenheit „nebenbei Gesagtes“) hat das BVerfG aber zugleich an seiner Rechtsauffassung keinen Zweifel aufkommen lassen, wonach die Rentenkürzungen auch für alle anderen im § 6 (2) aufgeführten Personengruppen keine Verletzung des Grundgesetzes darstellen. Am 21. Juni 2005 hatte der § 6 Abs. 2 AAÜG folgenden Wortlaut erhalten: „Für Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem … in denen eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt wurde als 1. Mitglied, Kandidat oder Staatssekretär im Politbüro der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, 2. Generalsekretär, Sekretär oder Abteilungsleiter des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) sowie als Mitarbeiter der Abteilung Sicherheit bis zur Ebene der Sektorenleiter oder als die jeweiligen Stellvertreter, 3. Erster oder Zweiter Sekretär der SED-Bezirks- oder Kreisleitung sowie Abteilungs- oder Referatsleiter für Sicherheit oder Abteilungsleiter für Staat und Recht, 4. Minister, stellvertretender Minister oder stimmberechtigtes Mitglied von Staats- oder Ministerrat oder als ihre jeweiligen Stellvertreter, 5. Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates, Vorsitzender des Staatsrats oder Vorsitzender des Ministerrats sowie als in diesen Ämtern ernannter Stellvertreter, 6. Staatsanwalt in den für vom Ministerium für Staatssicherheit sowie dem Amt für Nationale Sicherheit durchzuführenden Ermittlungsverfahren zuständigen Abteilung I der Bezirksstaatsanwaltschaften, 7. Staatsanwalt der Generalstaatsanwaltschaft der DDR, 8. Mitglied der Bezirks- oder Kreis-Einsatzleitung, 9. Staatsanwalt oder Richter der I-A-Senate, ist den Pflichtbeitragszeiten als Verdienst höchstens der jeweilige Betrag der Anlage 5 zugrunde zu legen.“ (Gemeint ist damit das in der DDR erreichte Durchschnittseinkommen, dem in der Rentenberechnung jeweils ein Entgeltpunkt je Arbeits-Jahr entspricht.) Zwei Vorgängerregelungen dieses Paragrafen waren 1998 und 2004 vom BVerfG als mit dem Grundgesetz nicht vereinbar erklärt worden und es bestand die berechtigte Hoffnung, dass auch die gültige Regelung einer verfassungsmäßigen Prüfung nicht standhält. Erwartet wurde, dass sich das BVerfG konkret zu allen im § 6 aufgeführten Personengruppen äußert, was ebenfalls nicht erfolgt ist. Damit ist das BVerfG unangenehmen Fragen ausgewichen, insbesondere warum es 2005 notwendig wurde, Personengruppen mit Rentenkürzungen zu überziehen, die zuvor vom Rentenstrafrecht nicht betroffen waren und soweit sie bei Erlass des Gesetzes über einen rechtskräftigen Rentenbescheid verfügten auch nicht mehr nachträglich bestraft werden konnten. (SED-Funktionäre, Mitglieder von Bezirks- und Kreiseinsatz- 4 leitungen, Richter und Staatsanwälte). Oder aber, warum Funktionäre auf Kreisebene mit Ministern auf eine Stufe gestellt werden müssen. Der Gesetzgeber hatte die Rentenkürzung vor allem mit einem (tatsächlich bei allen aufgeführten Personengruppen nicht existierenden) Weisungsrecht gegenüber dem MfS und sich daraus ergebenen Wertungswidersprüchen begründet. Im vorliegenden Urteil wird dazu ausgeführt: „Eine Weisungsbefugnis gegenüber dem Ministerium für Staatssicherheit ist als Rechtfertigung für eine Kürzung des berücksichtigungsfähigen Entgelts …ungeeignet.“ Die Mitglieder des Ministerrats der DDR hätten - abgesehen von dem Minister für Staatssicherheit - keine Weisungsbefugnis gegenüber der Staatssicherheit gehabt. Anstatt aber diese nachweisbar falsche Begründung klar zurückzuweisen, entdeckte das BVerfG „eine Einbindung in das System der Überwachung und Informationsbeschaffung des MfS“. Zum anderen stützte der Gesetzgeber die Kürzung auf ein „System der Selbstprivilegierung der Personen auf der höchsten Stufe des Kadernomenklatursystems der DDR“ dessen Fortsetzung im Rentenrecht er verhindern wollte. Dieses angebliche System der Selbstprivilegierung ist ein ideologisches, nicht eindeutig definiertes und dem Rentenrecht fremdes Konstrukt, das auch vom BVerfG nicht überzeugend nachzuweisen war. Soweit es die Höhe der Einkommen betreffen soll, hat das BVerfG zwar erwähnt, aber unbeachtet gelassen, dass sich die höchsten Einkommen in der DDR kontinuierlich dem Durchschnittseinkommen angenähert und dass z.B. den Ministern der DDR unterstellte Generaldirektoren oder Angehörige der Intelligenz mit Einzelverträgen deutlich höhere Einkommen bezogen haben. Auch der Hinweis auf anders geartete Privilegien (Wohnraumvergabe, Pacht eines Gartengrundstückes, Ferienaufenthalte, medizinische Betreuung, Inanspruchnahme von Dienstleistungen) ist nicht schlüssig, da solche, vergleichbare oder andere Begünstigungen und Bevorzugungen in der DDR keineswegs auf höchste Staatsfunktionen und auch nicht auf die Kadernomenklatur der SED beschränkt waren. Für die Festlegung von Rentenbezügen sind sie ohnehin irrelevant. Das BVerfG hebt hervor, dass die betroffenen Funktionen auf höchster Staatsebene „entscheidend durch Parteilichkeit und Systemtreue erlangt wurden und die gewährte Besoldung und Versorgung eben diese honorierte“. Unter Verzicht auf eine konkrete Analyse behauptet das BVerfG, dass diese Personengruppen „bei generalisierender Betrachtungsweise leistungsfremde, politisch begründete und damit überhöhte Arbeitsverdienste bezogen“ habe. Die von § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG erfassten Personen, hätten ihre Position aufgrund einer Berufung durch das Politbüro der SED erhalten, bei der die Auswahl in erster Linie nach politischideologischen Kriterien erfolgt sei. Es steht uns nicht zu, über die Qualifikation der Mitglieder der Bundesregierung zu befinden. Unstrittig sind diese aber auch durch Parteien in ihre Ämter gelangt und selbst die Richter am Bundesverfassungsgericht verdanken ihre Berufung den sie vorschlagenden staatstragenden Parteien. Besonders enttäuschend ist, dass das BVerfG nicht an eigene, in früheren Entscheidungen aufgestellte Grundsätze anknüpft bzw. diese gänzlich unberücksichtigt lässt. In früheren Urteilen hatte das BVerfG z.B. ausgeführt, dass allein schon mit der Überführung der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme in die gesetzliche Rentenversicherung neben hohen auch überhöhte Rentenansprüche auf das durch die Beitragsbemessungsgrenze vorgegebene Maß vermindert worden seien. Einer darüber hinausgehenden zusätzlichen Bestimmung von Überhöhungstatbeständen müssten Kriterien zugrunde gelegt werden, die in den tatsächlichen Verhältnissen eine Entsprechung finden. Aus der "Staats- und Systemnähe" der Berufstätigkeit allein ergebe sich keinesfalls, dass durchgängig Entgelte gezahlt worden seien, die nicht durch Arbeit und Leistung gerechtfertigt und insoweit "überhöht" gewesen seien. Auch sei eine „fallbeilartige“ Kürzung zu beanstanden, bei der eine ereichte Renten- 5 höhe nicht beibehalten sondern plötzlich nur noch von einem Durchschnittseinkommen ausgegangen werde. Im vorliegenden Urteil meint das BVerfG aber: „ Die durch § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG bewirkte Rentenkürzung, die nur die Zeiten einer Tätigkeit in weit herausgehobener Stellung als Minister bzw. stellvertretender Minister erfasst, ist nicht unverhältnismäßig, da auch die nach der Kürzung verbleibenden Renten der Kläger immer noch erheblich über der Durchschnittsrente eines früheren Bürgers der DDR liegen.“ Praktisch bedeutet das, dass ein Hauptabteilungsleiter allein durch seine Beförderung zum Stellvertretenden Minister Rentenansprüche verliert und ab diesem Zeitpunkt auf das Rentenniveau eines Facharbeiters in der DDR herabgestuft wird, obwohl er danach zweifellos eine größere Verantwortung und eine noch anspruchsvollere Tätigkeit auszufüllen hatte. Ohnehin kann jemand mit DDR-Biografie nur maximal eine Rente von etwa 1.800,- € erhalten. Einem Bundesminister steht lt. „Focus“ für eine Dienstzeit von nur zwei Jahren und ohne Berücksichtigung aller weiteren Ansprüche schon eine Pension von 1.965,- € zu. Mit 22 Dienstjahren könne er eine Pension von 9.168,- € erreichen. Das BVerfG leugnet, dass die erfolgten Rentenkürzungen Rentenstrafrecht seien und beruft sich dabei vor allem auf die Intentionen der letzten Volkskammer der DDR. Es wäre allerdings seine Aufgabe gewesen, deren Zustandekommen und Verfassungsmäßigkeit zu prüfen, zumal viele Gesetze der letzten Volkskammer der DDR aus den unterschiedlichsten Gründen verworfen bzw. korrigiert werden mussten. Außerdem bestätigen Insider, dass es niemals der Wille der letzten Volkskammer der DDR war, die Sonder- und Zusatzversorgungen der DDR vollständig zu beseitigen und für „staatsnahe“ Personen eine politisch motivierte Rentenkürzung vorzunehmen. Rentenkürzungen wegen der Ausübung bestimmter Funktionen widersprechen zutiefst dem im deutschen Rentenrecht bewährten Prinzip der Wertneutralität, das rentenrechtliche Diskriminierungen wegen politischer und weltanschaulicher Überzeugungen ausschließt. Auch der Artikel 3 des Grundgesetzes bestimmt, dass niemand wegen seiner Herkunft oder politischen Anschauungen benachteiligt werden darf. Die Richter des BVerfG haben sich mit ihrem Urteil vom 6. Juli 2010 aus dem Olymp unabhängiger Rechtssprechung in politische Niederungen begeben und sich zu Erfüllungsgehilfen des Rachefeldzuges gegen die DDR und ihre Repräsentanten gemacht. Die Fassade des Rechtsstaates hat dadurch weitere Risse bekommen. Dem Bundessozialgericht liegen 3 Musterklagen zum § 7 AAÜG (willkürliche Kürzung der MfS-Renten) vor. Auch diese werden in absehbarer Zeit beim Bundesverfassungsgericht landen. ISOR e.V. vertraut trotz der enttäuschenden Entscheidung vom 6. Juli 2010 darauf, dass das Bundesverfassungsgericht – wie bei früheren analogen Entscheidungen zum Rentenstrafrecht auch – souverän und unabhängig entscheidet und sich allein vom Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland leiten lässt. Optimismus und Zuversicht erwachsen auch aus der Präsentation neuer Tatsachen und Argumente, mit denen die tragenden Grundlagen derzeit geltender Urteile überzeugend infrage gestellt werden können. Gleichwohl kann nicht vorausgesagt werden, ob das Bundesverfassungsgericht eine entsprechende Verfassungsbeschwerde überhaupt annimmt und wie es im konkreten Fall befindet. Selbst wenn das Bundesverfassungsgericht zugunsten der Kläger entscheidet, wird die Umsetzung seitens des Gesetzgebers noch längere Zeit in Anspruch nehmen und es ist außerdem offen, ob – wie im Fall nachfolgender gesetzlicher Regelungen nach der vom Bundesverfassungsgericht eindeutig als verfassungswidrig bezeichneten sog. E-3 Regelung, durch die Einkommen ab einer bestimmten Höhe nur noch als DDR-Durchschnittseinkommen für die Rentenberechnung anerkannt wurden – neue Diskriminierungen (auch für vorher nicht betroffene Personen) gesetzlich fixiert werden. 6 Die Herauszögerung oder Verhinderung einer gerechten Lösung funktioniert als wohlfeiles Sparmodell der Bundesregierung zu Lasten der Betroffenen. Es wäre nicht das erste Mal das so etwas praktiziert wird. Man denke nur an die unendliche Geschichte, bis es zu einer Entschädigung der Zwangsarbeiter kam, an die Behandlung der Wehrmachtsdeserteure und, und … Erst nachdem die Zahl der Betroffenen auf ein Minimum reduziert war, bequemten sich der Staat Bundesrepublik, Justiz und Zwangsarbeitsprofiteure zu Regelungen, die am Ende aus der Porto-Kasse beglichen werden konnten. Es steht zu befürchten, dass Analoges auch hinsichtlich der Strafrenten angedacht ist: eine biologische Lösung sozusagen. ISOR e.V. hatte zeitweilig bis zu 26.000 Mitglieder. Gegenwärtig sind mehr als 22.000 Mitglieder in ISOR e.V. organisiert. Seit Vereinsgründung sind schätzungsweise 10.000 Mitglieder verstorben, darunter vielleicht 7.000 ehemalige Angehörige des MfS, die Rentengerechtigkeit nicht mehr erleben konnten. Das Durchschnittsalter der Mitglieder von ISOR e.V. liegt bei etwa 70 Jahren, das älteste Mitglied ist 106 Jahre alt. Monat für Monat veröffentlicht das Mitteilungsblatt von ISOR e.V. Traueranzeigen zu 30 bis zu 60 Verstorbenen. Dabei repräsentiert ISOR e.V. nur einen relativ geringen Teil der vom Rentenstrafrecht Betroffenen, zu denen auch Witwen und Hinterbliebene gehören. Es kann davon ausgegangen werden, dass bereits zum jetzigen Zeitpunkt Zehntausende bis zu ihrem Lebensende bzw. bei Waisen und Halbwaisen bis zur Erreichung des Höchstalters von 27 Jahren um die ihnen zustehende Rente betrogen und mit einer deutlich verringerten Zahlung abgespeist wurden. Diskriminiert werden vor allem jene, die mit längeren Dienstzeiten die besten Jahre ihres Lebens in den Dienst der Verteidigung der DDR gestellt haben. Zwar werden erst im Jahre 2039 die letzten ehemaligen MfS-Mitarbeiter das Rentenalter erreichen, dann aber mit einer Dienstzeit von nur wenigen Monaten. Wie übrigens 24 % der MfS-Rentner werden sie in der Regel kein über dem DDR-Durchschnitt liegendes Einkommen erzielt haben und auch insofern kaum noch vom Rentenstrafrecht erfasst sein. Das Durchschnittsalter im MfS lag 1989 bei ca. 35 Jahre. Wer als 20-Jähriger 1950 Mitarbeiter des MfS mit einer fast 40-jährigen Dienstzeit wurde, ist heute 80 Jahre alt, ein 1989 50-Jähriger mit einer Dienstzeit von 30 Dienstjahren hat das 70. Lebensjahr bereits überschritten. Logischerweise wurden höhere Einkommen erst nach längeren Dienstzeiten erzielt, am Anfang vielfach noch nicht einmal das DDR-Durchschnittseinkommen. Die Hauptbetroffenen des Strafrentensystems sind also die heutigen Rentner und die rentennahen Jahrgänge. Die Gerichte und der Gesetzgeber spielen also aus gutem Grund auf Zeit. Während den Pleite-Banken innerhalb einer Woche unvorstellbare Geldsummen bewilligt wurden, während Milliarden für einen unsinnigen Krieg in Afghanistan ausgegeben werden, während eine überflüssige Bundesbehörde jährlich etwa 100 Millionen € verschlingt, wird bei Sozialleistungen immer wieder gespart. Das Grundgesetz wird negiert und Willkür im Rentenrecht zugelassen. ISOR e. V. wird dagegen auch weiterhin – wie seit seiner Gründung - Widerstand organisieren und kann sich dabei auf die seit Jahren gewachsene Solidarität von linken politischen Kräften und sozialen Verbänden, Vereinen und Bündnissen stützen. ISOR e.V. steht aber seinerseits auch solidarisch an der Seite aller gegen Renten- und Versorgungsunrecht und für soziale Gerechtigkeit Kämpfenden. Wer kämpft kann verlieren, aber wer nicht kämpft hat schon verloren! Oktober 2010