Überflüssige Operationen - Inselspital Bern
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Überflüssige Operationen - Inselspital Bern
! 29. August 2010 Mensch&Medizin 55 WWW.PLAINPICTURE.COM NZZ am Sonntag Übelkeit im Zugabteil .................................................................................. .................................................................................. Diagnose Felicitas Witte D .................................................................................. Jede Narbe einer Blinddarmoperation ist ein Unikat. Nötig ist sie nicht immer, besagen neue Studien. Überflüssige Operationen Eine Blinddarmentzündung mit Medikamenten zu heilen, statt den Blinddarm zu operieren, kann in manchen Fällen der bessere Weg sein, sagt eine neue Studie. Unter Medizinern ist diese Vorgehensweise umstritten. Von Andrea Six Das Risiko, einmal im Leben eine Blinddarmentzündung zu bekommen, ist mit 7 Prozent vergleichsweise hoch. Statt der traditionellen Blinddarmoperation könnte aber die Gabe hochdosierter Antibiotika ausreichen, um die Krankheit ohne Eingriff zu kurieren. Hinweise liefern Berichte von Ärzten, die sich selbst behandelten, oder von U-Boot-Matrosen und Schwangeren, die ohne Operation von Blinddarmentzündungen geheilt wurden. Gross angelegte Studien, die weiten Anklang finden, fehlen aber bisher. Eine eben erschienene Übersichtsarbeit gibt indes den Operationsgegnern Aufwind («Surgery», Bd. 147, S. 818). Das Imperial College in London hat 17 Studien an 1572 Patienten ausgewertet, in welchen die Operation gegen die alleinige Antibiotika-Therapie abgewogen wurde. Die Patienten litten an komplizierten Blinddarmentzündungen, bei denen der Wurmfortsatz bereits geplatzt war und sich ein abgekapselter Eiterherd gebildet hatte. Weniger Komplikationen Die Mediziner kommen zum Schluss, dass bei der Medikamentenbehandlung insgesamt weniger Komplikationen wie neue Eiterherde, Wund-Infektionen, Darmverschluss und Folgeoperationen auftreten. Der Grund sei möglicherweise, dass eine Operation eingreife, wenn die Entzündung auf ihrem Höhepunkt sei, und so eine Kaskade von Entzündungsreaktionen auslöse. Ein anderer, dass durch die Operation Eitererreger in der Bauchhöhle erst verbreitet würden. «Es scheint, dass die Antibiotika-Behandlung der sichere Weg bei einer komplizierten Blinddarmentzündung ist», so die Studienleiter. Es kommt heute zwar bereits vor, dass Blinddarmfälle mit einer Infusion von Antibiotika therapiert werden. Die Medikamentengabe gilt dann jedoch nicht als endgültiges Mittel, sondern nur als Operationsvorbereitung. Bei dieser sogenannten «Intervall-Operation» erhält der Patient Antibiotika, und es wird gewartet, bis die Entzündung abgeklungen ist. Im Anschluss wird der kurierte Blinddarm allerdings trotzdem entfernt. Das klingt widersprüchlich und reizte amerikanische Mediziner des Kaiser Permanente Los Angeles Medical Center, die IntervallOperation zu hinterfragen. Die Forscher hatten 864 Patienten mit Blinddarmentzündung untersucht, die lediglich mit Antibiotika behandelt wurden. Nur 5 Prozent der Patienten mussten sich in den folgenden vier Jahren den Blinddarm doch noch entfernen lassen, da eine erneute Entzündung auftrat. Bisher waren Mediziner von einem höheren Prozentsatz von Nachoperationen ausgegangen, welcher den routinemässigen Intervall-Eingriff rechtfertigte. «Die 5 Prozent, bei denen die Operation wirklich nötig ist, sind eine sehr niedrige Rate», sagt Studienleiterin Anna Kaminski. Die RoutineIntervall-Operation sei nach der erfolgreichen Antibiotika-Therapie nicht gerechtfertigt und gehöre abgeschafft. Bei den erwähnten 864 Patienten handelte es sich nicht ausnahmslos um komplizierte eitrige Entzündungen, sondern auch um akute Fälle im Anfangsstadium. «Nach aktueller Datenlage kann man davon ausgehen, dass sich wahrscheinlich bis zu 95 Prozent auch von unkomplizierten Blinddarmentzündungen im Frühstadium unter einer Antibiotika-Behandlung bessern oder sogar heilen lassen könnten», sagt Anke Zens, Ärztin und Autorin der Fachzeitung «Medical Tribune». Ein Grund, warum sich diese Hinweise im klinischen Alltag bisher nicht durchgesetzt haben, ist die äusserst schwierige Vorhersage, wie die Entzündung verlaufen wird. Glaubte man früher noch, jede Reizung des Wurmfortsatzes führe unweigerlich dazu, dass der Darmteil aufplatze und eine lebensbedrohliche Bauchfellentzündung entstehe, sieht man das heute anders. Es handelt sich um verschiedene Krankheitsbilder, so viel ist klar. Welche Appendizitis jedoch einen schweren oder gar tödlichen Verlauf nehmen wird und welche ohne Perforation sogar spontan heilt, weiss aber wohl nur der Blinddarm selbst. Deshalb beharrt die Mehrzahl der Chirurgen auch in der Schweiz auf der herkömmlichen operativen Behandlung. «Das Risiko, dass es ohne Operation zu einer Perforation kommt, möchte ich nicht auf mich nehmen», sagt Urs Metzger, Chefarzt der Chirurgischen Klinik am Triemli-Spital in Zürich, stellvertretend für viele Chirurgen in der Schweiz. Sein Ziel ist vielmehr, die Rate der falsch diagnostizierten Blinddarmfälle zu senken, so dass Patienten, bei denen gar keine Blinddarmentzündung vorlag, nicht umsonst operiert werden. Trieb man angehende Ärzte vor 50 Jahren noch un- Moderne Schlüssellochtechnik Für die Blinddarmentfernung stehen zwei Operationstechniken zur Verfügung Kamera und Beleuchtung Dickdarm Blinddarm Zange m ar nd Dün Wurmfortsatz Quelle: apotheken-umschau.de Verödungsgerät Wird der Wurmfortsatz entfernt, geschieht dies entweder durch die herkömmliche Laparotomie, bei welcher die Bauchdecke aufgeschnitten und die Bauchhöhle geöffnet wird. Eine neue Technik ist die Laparoskopie (Bild). Hier wird mittels Schlüssellochtechnik bei nahezu geschlossener Bauchdecke operiert, da Instrumente und Videokamera lediglich drei Löcher benötigen. (six.) zimperlich zur Eile an, nach dem Motto «über einem Verdacht auf Blinddarmentzündung darf die Sonne nicht untergehen», diagnostiziert man heute sorgfältiger. Dank Laboruntersuchungen und Computertomografie konnte die Rate der operierten Patienten, die keine Blinddarmentzündung hatten, um bis zu 40 Prozent dramatisch gesenkt werden. So zeigen denn auch Ergebnisse einer Studie aus dem Jahr 2009 an elf Schweizer Spitälern, dass nur noch 7,2 Prozent der Operationen auf falschem Verdacht fussten. Bienengift und Birkenkohle Unnötige Operationen vermeidet man auch im Paracelsus-Spital in Richterswil. Zwar wird hier bei klinisch klaren Zeichen auch operiert. Grundsätzlich sei der Wurmfortsatz aber erhaltenswert, so ist man überzeugt, weil er eine Funktion bei der Körperabwehr habe. Neben der sorgfältigen Diagnostik und Beobachtung des Patienten setzen Internisten und Komplementärmediziner hier jedoch nicht auf die Antibiotika-Therapie, sondern auf die anthroposophische Medizin. «Ursache für das Leiden sind nicht primär Bakterien, welche mit den Antibiotika abgetötet würden, sondern ein Ungleichgewicht der entzündlichen und nicht entzündlichen Prozesse, die im Darm ablaufen», sagt Martin Mikolasch vom Paracelsus-Spital. «In geeigneten Fällen versuchen wir, diesen Prozess ins Gleichgewicht zurückzubringen und die Operation zu umgehen.» Verwendet werden Mittel, die homöopathische Mengen von Bienengift, Tollkirsche, Birkenkohle und Schwefel enthalten. Bei manchen Menschen sei der Blinddarm zudem mit zu vielen Nervenzellen ausgestattet und schmerze, ohne entzündet zu sein, so Mikolasch. Auch diesen Fällen helfe eine Antibiotika-Behandlung nicht. Die Vorhersage, bei welchen Patienten eine Therapie mit Antibiotika eine Operation ersetzen kann, sei heute noch nicht exakt zu machen, geben indes auch die Autoren der neuen Studie vom Londoner Imperial College zu bedenken. Sie fordern weitere Tests, welche diese Vorhersagen absichern sollen. Ohne zusätzliche Studien ist es schwer, für neue Ideen offen zu sein. Darin sind sich alle Mediziner einig. ie Frau im Zug von Bern nach Aarau hätte nie gedacht, dass die Reise so enden würde. Die 66-Jährige wendet den Kopf nach links, um aus dem Fenster zu sehen. Plötzlich wird ihr schwindelig und furchtbar übel. Ihre Begleiterin sieht, dass die Augäpfel der Frau auf und ab zittern. Die Frau sagt etwas, aber es klingt völlig unverständlich. Zum Glück fährt der Zug kurz darauf in den Bahnhof ein. Jemand muss den Notarzt gerufen haben, denn die Sanitäter stehen bereits am Bahnsteig. Sie bringen die Frau ins Inselspital. Der Neurologe lässt sich die Beschwerden von der Begleiterin beschreiben. Schwindel, Übelkeit, Augenzittern, Sprachstörungen. Für ihn ist die Diagnose klar: Die Frau hat ein Wallenberg-Syndrom. Hierbei handelt es sich um eine Form des Schlaganfalls, bei welcher eine Gehirnregion, der sogenannte Hirnstamm, nicht ausreichend durchblutet wird und Nervenzellen absterben. Benannt ist das Syndrom nach dem deutschen Neurologen Adolf Wallenberg, der es 1895 beschrieb. Das Augenzittern, im Fachbegriff Nystagmus, wird von gestörten Nervenzellen ausgelöst, die bestimmte Augenmuskeln bewegen. Die Kernspintomografie bestätigt die Durchblutungsstörung im Hirn. Der Arzt sieht auch deren Ursache: Ein grosses Blutgerinnsel verstopft die linke Wirbelarterie dort, wo das Blutgefäss abzweigt, das den Hirnstamm versorgt. Über einen Katheter spritzt der Neurologe rasch ein Mittel, welches das Blutgerinnsel auflöst. Die Gefahr ist gebannt. Aber warum ist bei der Frau das Gerinnsel entstanden? Menschen, die rauchen, übergewichtig sind oder zu viel Fett im Blut haben, bekommen solche Blutgerinnsel eher. Aber die Frau ist schlank und hat nie geraucht. Der Neurochirurg findet schliesslich die Ursache mit einer Computertomografie: Am fünften Halswirbelkörper der Frau befindet sich ein Knochenvorsprung, direkt in der Nähe der Wirbelarterie. Immer wenn die Frau in der letzten Zeit den Kopf nach links drehte – wie bei einem Bogenschützen – drückte der Vorsprung auf das Gefäss, das Blut floss langsamer und klumpte zu einem Gerinnsel zusammen. Beim Blick aus dem Fenster im Zug war das Gerinnsel dann so gross, dass es zu dem Schlaganfall kam. Ärzte nennen das Phänomen Bogenschützensyndrom. In einer Operation entfernt der Neurochirurg den Knochenvorsprung. Eine Woche später hat die Frau keine Beschwerden mehr und kann nun problemlos den Kopf zur Seite drehen. .................................................................................. Quelle: M. Reinert, Neurochirurgie, Inselspital Bern. ANZEIGE « Bei uns finden Sie neuen Mut.» <wm>10CAsNsjY0MDAx1jUxNDEwMwIAr7S7TA8AAAA=</wm> <wm>10CD3KKw6AMBBF0RV18t70B4ykRTUIIKyAoNm_okEgrjm5rVkUfM11PepmBIJ3gQFJjTHKiGSqFEINWbOCmOg7-Tx0-m9Xi9uBBThBea77Bdc1iM5dAAAA</wm> Prof. Dr. med. Daniel Hell Leiter Kompetenzzentrum Depression und Angst www.hohenegg.ch, Tel: 044 925 12 12 Meilen am Zürichsee Member of The Swiss Leading Hospitals