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SZENE LEIPZIG
„Ich gehöre nicht hierher!“
SZENE-TIPPS
Kopflastig: Statt wie geplant im Täubchenthal tritt das Göteborger PostrockQuintett EF heute um 21 Uhr im Naumanns,
dem kleinen Saal des Felsenkellers (KarlHeine-Straße 32), auf, davor DIN Martin,
Abendkasse 15 Euro.
Selig: Der Leipziger Musiker Christian
Noack hat von Kreuzfahrt-Engagements
bis zu TV-Castingshows allerlei ausprobiert
– jetzt nennt er sich Crizz und macht mit
siebenköpfigem Soul-Orchestra genau die
Musik, zu der er voll und ganz steht – heute,
20.30 Uhr, in der Nato (Karl-LiebknechtStraße 46), Eintritt 13/9 Euro.
Spleenig: Er ist immer wieder äußerst gern
gesehen auf der Sommerbühne im
Biergarten des Ilses Erika (Bernhard-Göring-Straße 152). Jakob Hummel, Leipzigs
verrücktester Folker, tritt dort heute um
19.30 Uhr mal wieder auf, Eintritt frei oder
Hutspende.
Vielseitig: Katrin Troendle lässt in ihrem
aktuellen Programm ein Vierteljahrhundert
Varieté Revue passieren. „Sachsendiva
räumt ab!“, wieder heute, 20 Uhr, im
Revue-Theater am Palmengarten (Jahnallee 52), Eintritt 22 Euro.
Launig: Das Theater Fact hält weiterhin
Webers Hof (Hainstraße 3) mit Shakespeares „beiden Veronesern“ in Atem. So
auch heute, 21 Uhr, Eintritt 17/10 Euro.
Weitere Hinweise auf der Serviceseite
 Leipzig
Live in unserem Lokalteil und im
Internet unter www.leipzig-live.com
Premiere: Südstaatler
mit „Odyssee 3“ im Lofft
So lang wie Odysseus sind sie zwar noch
nicht unterwegs. Aber wenn die Mixed-Abled-Theatergruppe „Südstaatler“ der Diakonie Leipzig heute im Lofft die Premiere
von Teil drei der „Odyssee“ feiert, liegt Teil
eins immerhin bereits mehr als anderthalb
Jahre zurück. Nach „Gehenlassen“ und
„Durchhalten“ kehrt der Held in „Auslöffeln“ zurück zur einst geliebten Gattin.
Regisseur Sebastian Mandla und Ensemble
fragen sich, was von der Liebe übrig ist. Im
Januar werden alle drei Folgen der Trilogie
an einem Abend zu sehen sein.
lvz
Südstaatler: „Odyssee 3 – Auslöffeln“, Premiere
 heute,
20 Uhr, 15/10 Euro, zudem Samstag,
20 Uhr, Sonntag, 18 Uhr, 12/8 Euro, Lofft
(Lindenauer Markt 21), Sonntag mit Gespräch
DONNERSTAG, 25. AUGUST 2016 | NR. 199
Die Illustratorin Gerlinde Ritter von der Galerie Hier + Jetzt fühlt sich manchmal wie ein Wal auf einer Weide
VON VOLLY TANNER
Ist das Kunst oder kann das weg – respektive überstrichen und geweißt werden?
Street Art, Urban Art, Graffiti, Kritzeleien,
Schmierereien. Viele Begriffe für eine
Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Raum.
Gerlinde Ritter setzt sich mit diesen
Begriffen sogar beruflich auseinander.
Bei der Ungestalt GbR arbeitet sie als
Grafik-Designerin und Illustratorin. Mittlerweile liegt auch die Betreuung des laufenden Ausstellungsbetriebes der Galerie
Hier + Jetzt mit bei ihr auf dem Tisch.
Neben Maxi Kretzschmar und Ivo Zibulla,
die die Galerie im vergangenen August
gegründet haben, ist sie die dritte Person.
Die Galerie Hier + Jetzt steht für Urban
Art. Und Urban Art umfasst viele Bereiche. Sie löst die Grenzen zwischen Graffiti, Street Art und anderen Formen von
Kunst im Stadtraum, wie Installationsund Medienkunst, auf. Diese Kunstaktionen sind verwoben mit den sozialen, örtlichen und kulturellen Eigenheiten des
jeweiligen öffentlichen Raumes. So auch
im Bezug auf ihren Arbeitsplatz, das
Tapetenwerk: Hier sollen Wandbilder
verschiedener Künstler das schöne Fabrikgelände immer mehr zu einer offenen
Galerie werden lassen. Den ersten
Geburtstag von „Hier + Jetzt“ zelebriert
die Galerie Anfang September mit einigen Live Paintings.
„Street Art ist für mich Interaktion mit
dem Stadtraum“, erzählt Gerlinde Ritter:
„Ein Aspekt, der mir gefällt, ist das Hinterlassen teils wunderschöner Botschaften im urbanen Raum.“ Auf der Lützner
Straße habe sie eine Zeit lang auf einem
verlassenen Haus den Satz „Hab keine
Angst“ gelesen. „Dieser Satz hat mich
jeden Morgen in den Tag begleitet. Seine
Aussage und Aufforderung passt so gut
wie immer und auf jede Person. Egal, ob
etwas Schwieriges an diesem Tag ansteht
oder man sich im Leben scheut, Sachen
anzupacken.“ Und weiter sinniert sie:
„Städte sind oft ein anonymes Häusermeer in beige, braun und weiß. Und
Street Art ist weit mehr als Bombings und
Tags im Sinne: „Seht her, ich war hier!“
Sie selber produziert auch Kunst, hatte
auch schon eine Gemeinschaftsausstellung im legendären Konsoom. Gemein-
SZÄHNE
VON
MATHIAS WÖBKING
Lange Liste mit
entsetzlichen Lücken
D
Gerlinde Ritter im Tapetenwerk vor einem Werk des Graffiti-Künstlers Lean Frizzera aus Buenos Aires. Zu den Künstlern der Galerie
Hier + Jetzt zählt auch Snow, der im Leipziger Stadtbild viele Spuren seines Schaffens hinterlassen hat.
Foto: Volly Tanner
sam mit Ungestalt ist sie auch Teil der
Aktion „Freude zum Schulanfang“, die
von der Leipziger Kinderstiftung und der
Firma Rothstift gefördert wird. „Nach den
individuellen Wünschen der Schulanfänger gestalten und befüllen wir Zuckertüten. Damit auch den Kindern einkommensschwacher Familien ein schöner
Start zum Schulbeginn ermöglicht wird.“
Der Spagat zwischen Kommerz und
freier Gestaltung in der Kunst ist natürlicherweise und logisch verständlich ein
breiter. Und bewegt auch Gerlinde Ritter
tief: „Kunst kommuniziert aber vor allem
für mich allein“, resümiert sie, um dann
genauer zu werden und ein konkretes
Beispiel aus der Pinselschatulle zu
ziehen: „Wenn ich zum Beispiel einen
Wal zeichne, der auf einer Weide, zwischen Strommasten, liegt und sich fragt,
warum er nicht in seinem Element ist,
dann begreife ich, was das über mich
aussagt. In der Zeichnung steht ein Mädchen vor dem Wal und versucht, ihn mit
einem Blumenstrauß aus Gräser zu füttern. Der Wal schaut das Mädchen mit
seinem kleinen Auge irritiert an und fragt
sich: ,Sag mal, siehst du das nicht? Ich
gehöre nicht hierher!’. Am Ende begreife
ich den Zusammenhang zu mir selbst.
Kunst ist für mich ein Prozess, bei dem ich
dazulerne.“
Geburtstag der Galerie Hier + Jetzt,
 2.Erster
September, ab 19 Uhr, Tapetenwerk
(Lützner Straße 91)
➦ www.galerie-hierundjetzt.de
ass der Mensch flexibel sei, hat ein
berühmter Soziologe bereits vor bald
20 Jahren in eloquente Worte gefasst. In
Rio hat dieser Tage die Flexibilität wieder
ihren eigenen Wettbewerb ausgetragen,
moderner Fünfkampf genannt. Während
der deutsche Athlet Patrick Dogue die
zweite Disziplin ausfocht, sagte der
ARD-Reporter über ihn, dass er weder im
vorherigen Schwimmen noch eben im
Fechten sonderlich gut sei. Als Laie denkt
man: Hm, warum macht er das dann? Es
reichte für Dogue trotzdem zum sechsten
Platz. Flexibilität muss belohnt werden!
Womit wir beim vielfach prämierten
Leipziger Online-Radio Detektor.fm sind.
Kurz nachdem der Börsenverein des
Buchhandels am Dienstag die 20 Nominierten für den Deutschen Buchpreis
veröffentlicht hatte, meldete der Sender:
„Detektor.fm vertont die Longlist“. Wer
um die bemerkenswerte Kompetenz der
Musikredaktion weiß, frohlockte: Welchen
Soundtrack würde Akos Domas „Der Weg
der Wünsche“ bekommen? „Wish You
Were Here“ von Pink Floyd? „Wishing
Well“ von Terence Trend D’Arby? Bringen
Kurt Cobains Witwe Courtney Love und
ihre Band Hole nun Joachim Meyerhoffs
„Ach, diese Lücke, diese entsetzliche
Lücke“ oder aber Dagmar Leupolds „Die
Witwen“ zum Klingen?
Leider werden auf Detektor.fm aber
nur sieben- bis achtminütige Auszüge aus
den 20 Büchern vorgelesen. Da haben
sich Beethoven mit Schillers Ode an die
Freude und Rufus Wainwright mit seinen
Shakespeare-Sonetten mehr Mühe
gegeben! Aber es ist nicht zu spät.
Anlässlich der Buchpreis-Longlist darf die
Flexibilität noch immer fröhliche Urständ
feiern. Auf Perfektion kommt es nicht an,
lässt sich vom modernen Fünfkampf
lernen, wohl aber auf die Kulturszene.
Das Leipziger Tanztheater tanzt Katja
Lange-Müllers Roman „Drehtür“. Der
Chor des Frauenkultur singt Michael
Kumpfmüllers „Die Erziehung des
Mannes“. Längst hat offenbar Michael
Fischer-Art seine Farbe verteilt. Der Titel
von Michelle Steinbecks Debüt „Mein
Vater war ein Mann an Land und im
Wasser ein Walfisch“ ließe sich jedenfalls
unter viele seiner Werke pinseln.
Wer hat hier einen Knall?
KFZ−MARKT
Letzte Sommertheater-Premiere der Saison: „Münchhausens Abenteuer“ im Feinkost-Hof
Anderswo ist die Sommertheater-Saison
längst beendet, im überdachten FeinkostHof hingegen steht heute Abend noch
eine Premiere im Plan. Und das keinen
Tag zu spät, wo doch der Hochsommer
genau rechtzeitig zur gestrigen öffentlichen Generalprobe wieder zurückgekehrt ist. Was eigentlich klar war: Wer
könnte so einen Wetterumschwung hinkriegen, wenn nicht der Baron von
Münchhausen.
Das Knalltheater erzählt die Geschichte des berühmten Lügenbarons, der auf
Kanonenkugeln reitet, zum Mond fliegt
und sich samt Pferd am eigenen Schopf
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aus einem Sumpf zieht. Das Knalltheater
um Regisseur Larsen Sechert wäre aber
nicht das Knalltheater, würde es nicht
einen doppelten Boden einziehen: Nina
Heinke spielt eine Physikstudentin, Danilo Riedl einen am Münchhausen-Syndrom erkrankten Vagabunden. Das verspricht ein munteres Wortgefecht. Wie
immer darf man beim Knalltheater zudem
jede Menge Klamauk erwarten.
lvz
Knalltheater: „Münchhausens Abenteuer“,
 Premiere
heute, zudem morgen sowie 28. bis
Danilo Riedl und Nina Heinke aus dem
Knalltheater.
Foto: peer
31. August, jeweils 19 Uhr, überdachter
Feinkost-Hof (Karl-Liebknecht-Straße 46),
Eintritt 12/8 Euro
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Wie das Ensemble Doweill die Musik von Dowland und Weill in der Nato domestiziert
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fzi
er t
Renaissance und 20. Jahrhundert. Monarchie und Weimarer Republik. Das Filigrane und das Zupackende, die Liebe in
Empfindsamkeit und in eher irdischem
Zuschnitt. Das klug Gefühlsbetonte und
das eher kühl (nicht kalt!) Analytische.
Auf der einen Seite der Komponist John
Dowland (1563 bis 1626), auf der anderen
Kurt Weill (1900 bis 1950): Es ist durchaus
eine reizvolle Verschmelzung, die das
Ensemble Doweill aus diesen in mehr als
nur zeitlicher Hinsicht weit voneinander
entfernten Polen versucht. Am Dienstag
konnte man in der Nato sehen, ob und
wie das funktioniert.
Musik, Gesang, Tanz, Rezitation. Auf
der Bühne: Der Pianist Andreas Plank
und der Sopransaxophonist Gert Kolaja.
Dazu, in schwarzem Kleid und barfüßig,
sich ähnelnd, aber doch verschieden, die
Sopranistin Ingala Fortagne und die Tänzerin Katharina Weinhuber. Zwei Künstlerinnen, die hier als „eine Person“ aufscheinen und zugleich aber zwei diametrale Charaktere verkörpern sollen. Filigran und zupackend, emotional und
analytisch.
Soweit die Versuchsanordnung, die
konzeptuelle Basis. Mit etwas Poesie geht
es los. Fortagne rezitiert ein Gedicht von
Edward de Vere (1562 bis 1603), siebzehnter Earl of Oxford, Staatsmann und
Poet (und nebenher: für jene Fraktion, die
nicht glauben mag, dass ein Lümmel aus
einem Kaff namens Stratford Sachen wie
den „Hamlet“ schreiben könne, der Lieblingskandidat für den „echten“ Shakespeare). In jedem Fall ein guter Einstieg,
um ein Lied Dowlands folgen zu lassen.
Dessen schönes „Time Stands Still“ mag
hier dabei auch als Programmatik dieses
Programms platziert sein – der Klangfluss,
auch der sprachliche, erst in metrisch und
harmonischer klarer Kanalisierung, gerät
jedenfalls in aller Ruhe hin ins Strudeln
dezenter Dissonanzen, zu den bewusst
sperrig-reibend gesetzten Worten etwa
eines Brecht in der kongenialen Vertonung Weills, die dann auch bald zu hören
sind.
Weinhubers Darbietung liefert dazu
einen passenden Bewegungswiderhall.
Kontrolliert, harmonisch, Vokabular des
Renaissancetanzes zitierend oder sich
auch mal in Expressivität begebend. Das
allerdings in einer recht milden, domestizierten Form. Ganz so, als gelte es, statt
einer Erfahrung oder Emotion Ausdruck
zu verleihen, nur zu zeigen, „was damit
grad gemeint ist“ mit der jeweiligen
Erfahrung und Emotion. Die darüber zum
sanftem Schattenspiel werden.
Ein Eindruck, der dem ganzen Abend
anhaftet. Der weniger Verschmelzung
oder – was ja auch was wäre – Kollision
der Pole als vielmehr deren Amalgamierung in Gediegenheit ist. Das gilt für den
Gesang und Tanz wie für die hier dargebotenen Neu-Arrangements der Kompositionen. All dem kann man sicher bestens
beiwohnen. Nichts, was da wirklich störend wäre. Wie das eben oft so ist, ab
jenem Grad des Kultivierten, ab dem die
Kunst das Nachsehen bekommt.
Gediegene Kunst: Andreas Plank, Ingala Fortagne, Gert Kolaja und Katharina Weinhuber
(von links) in der Nato.
Foto: Wolfgang Zeyen