Hongkong: Warten auf Chek Lap Kok
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Hongkong: Warten auf Chek Lap Kok
Brückenbauer 50, 10. Dezember 1997 Brückenbauer 50, 10. Dezember 1997 Reisen 56 57 Warten auf Chek Lap Kok Seit der Rückgabe von Hongkong an China Ende Juni haben 35 Prozent weniger Touristen die kosmopolitische Weltstadt besucht. Eine ungewöhnliche Situation für die erfolgsverwöhnten Tourismusmanager am Südchinesischen Meer. das pflegeleichte Reiseziel geblieben ist. Die Fahrt mit dem Tram auf den Victoria-Peak ist spektakulär wie eh und je, atemberaubend der nächtliche Spaziergang entlang der Hafenpromenade in Kowloon, amüsant der Besuch der Nachtmärkte an der Tempel Street. Die Hotel- und Einkaufsinfrastruktur gehört zu den perfektesten der Welt, das Ambiente ist kosmopolitisch, und auch um Mitternacht kann man unbehelligt überall hingehen. Und jedes Kind kennt die Bar oder das Restaurant, welche gerade «in» sind. Zurzeit ist es «Felix», ein vom Stararchitekten Philipp Stark gestaltetes Bar-Restaurant-Lokal im obersten Stockwerk der neuen Peninsula-Towers mit einem grossartigen Rundblick über die Stadt. Vor der Fensterfront meines Zimmers im 20. Stockwerk des ehrwürdigen Peninsula-Hotels breiten sich die Häuserschluchten Kowloons aus. Nur im Osten sind die Bauten wesentlich niedriger, klafft eine Lücke wie ein Legostein, den man vergessen hat einzusetzen. Dort liegt Kai Tak, der Flughafen Hongkongs. Alle paar Minuten schwebt vom Meer her über den Containerhafen hinweg so ein Riesenvogel heran und landet mitten in der Stadt. Für die Piloten ist es einer der gefährlichsten Landeplätze der Welt. Für die Passagiere ist der Anflug ein einmaliges Erlebnis, das allerdings nur noch wenigen vergönnt sein wird. Flughafen der Superlative Vor der Insel Lantau, auf einem künstlichen Eiland, steht der neue Flughafen Chek Lap Kok kurz vor der Fertigstellung. Von hier aus ist die eine Hälfte der Menschheit in fünf Flugstunden erreichbar. 35 Millionen Passagiere und drei Millionen Tonnen Fracht werden jährlich erwartet. Er soll anderen Vorzeigeflughäfen Asiens wie Narita in Tokio oder Changi in Singapur den Rang ablaufen. Und er soll Hongkong aus der Stagnation helfen. Denn seit Juli dieses Jahres hat die Stadt eine drastische Einbusse an Besuchern hinnehmen müssen. Allein aus Japan, dem Hauptmarkt Bilder Lincoln Potter/Hongkong und PD Es hat sich nichts geändert Das neue Wappen von Hongkong und der Schriftzug auf Mandarin. Hongkongs, kamen im Oktober 61 Prozent weniger Touristen, zwischen 20 und 30 Prozent aus den übrigen Ländern. Und dies, obwohl sich für die Besucher nichts geändert hat, die Stadt Praktische Tips Anreise: Die meisten europäischen Fluggesellschaften fliegen nach Hongkong. Die dort beheimatete Cathay Pacific hat fünfmal pro Woche Direktflüge ab Zürich in die Metropole am Perlfluss. Aufenthalt: Die grösseren Reiseveranstalter bieten Pauschalarrangements an, oft in Verbindung mit anderen Zielen in Asien. In Hongkong findet man sich schnell zurecht, die Verbindungen mit öf- Links: Die einmalige Lage am Perlfluss macht Hongkong zum Touristenmagnet. Oben: Der neue Flughafen im Jahr 2040. fentlichen Verkehrsmitteln (UBahn, Tram, Bus, Fährboote) sind schnell und günstig, die Sehenswürdigkeiten leicht erreichbar. Weitere Informationen: Bei Ihrem Reisebüro, bei Cathay Pacific, Tödistrasse 44, 8039 Zürich, bei Hongkong Tourist Association, Humboldt Strasse 94, D-60318 Frankfurt, Telefon 0049 69 95 91 290. Internet:http:// www.hkta.org Weshalb bleiben die Touristen trotzdem aus? Erstens wurde der Slogan «Hongkong noch einmal sehen, bevor es an die Chinesen zurückgeht» weltweit gefördert und brachte 1996 und im ersten Halbjahr 1997 Rekordbesucherzahlen. «Als ob es nachher nichts mehr zu sehen gäbe», meint eine britische Tourismusfachfrau. Für den Katzenjammer, der danach kam, gibt es weitere Gründe: Japan und andere asiatische Länder stecken in einer tiefen Wirtschaftskrise. Umweltverschmutzung durch die Waldbrände in Malaysia und Indonesien halten viele Überseetouristen von einer Reise nach Asien ab. «Ausserdem meinen immer noch einige Japaner und Amerikaner, sie würden gleich am Flughafen verhaftet, seit die Stadt an China übergegangen ist», sagt Peter Borer, Direktor des Peninsula-Hotels. Dabei ist der Tenor fast einhellig, ob von britischen oder anderen westlichen Berufstätigen in Hongkong: «Ausser den Knöpfen an den Uniformen der Polizisten und ein paar neuen Briefkästen hat sich nichts geändert», meint Peter Borer. Und eine britische Häusermaklerin fügt hinzu: «Als un- sere Truppen noch in der Stadt waren, haben die oft viel Lärm gemacht. Von den chinesischen sieht und hört man nichts.» Der Besucherrückgang hat nicht nur die Hotelmanager getroffen, sondern auch viele Anbieter von Markenund Luxusgütern in den Einkaufszentren, die speziell von den Touristen abhängig sind. Zufriedener äussern sich einige in Hongkong tätige Schweizer Firmen. Bally-Manager Gody T. Rey macht 60 Prozent seines Umsatzes mit der einheimischen Bevölkerung. Diese hat zwar nach dem Crash an der Börse im Oktober auch Kaufkraftverluste hinnehmen müssen. «Doch der Markt wird sich erholen», meint er, «ich bin optimistisch für die Zukunft.» Kann er wohl auch sein, hat Bally doch allein in den letzten zwei Jahren elf neue Geschäfte in China eröffnet. Chinas touristische Trümpfe Ebenso positiv tönt es von Gebhard K. Scherrer, Direktor der Caviar House Ltd., einer Firma, die Lebensmittel im oberen Preissegment einführt und vertreibt. Seine Abnehmer sind Hotels und Delikatessgeschäfte. Gutes Essen und Ausgehen gehören zur Lieblingsbeschäftigung der Hongkonger. Dafür geben sie immer noch viel Geld aus. Und von dieser Leidenschaft profitieren auch die Touristen: Das kulinarische Angebot ist einzigartig und meist von ausgezeichneter Qualität. Hongkong ist nicht länger der Ort, wo «über den Zaun nach China schauen» eine der Attraktionen ist. Die Stadt, bis jetzt touristisch ziemlich isoliert, wurde Teil des Tourismuskonzepts Südchinas. Unter dem Titel «Pearl River Triangle» ist mit den Nachbarstädten Macau und Guangdong ein Programm ausgearbeitet worden, das den Besuch aller drei Städte beinhaltet. Ein Renner dürfte das Angebot «The Dragon Odyssey» werden. Es führt in fünf Städte und bietet alle touristischen Trümpfe Chinas an: jahrhundertealte Kultur in Beijing und Shanghai (neues Museum), die archäologischen Ausgrabungen in Xian, die bezaubernde Landschaft Guilins und die moderne, westliche Metropole Hongkong. Das Umdenken in der erfolgsverwöhnten Tourismusindustrie hat begonnen. Bisher Undenkbares wie die Senkung der horrenden Hotelpreise wird erwogen. Die einheimische Fluggesellschaft Cathay Pacific hat im November die Aktion «eins für zwei» lanciert. 83 000 dieser Arrangements zu einem Superpreis sind weltweit verkauft worden. Ein Zeichen, dass die Besucher Hongkong nach wie vor mögen. Signale auch, dass die Tourismusverantwortlichen aus ihrem Alptraum erwachen und hoffnungsvoll den April erwarten. Dann soll der neue Flughafen eröffnet werden. Für Cathay Pacific-Manager Nick Rhodes ist klar: «Chek Lap Kok wird zum grössten Umschlagplatz von Menschen und Gütern in Asien werden.» Die Fluggesellschaft hat eine Milliarde US-Dollar investiert. Mit Cathay City entsteht ein gigantisches Hauptquartier für 4000 Angestellte, einschliesslich eines 500Betten-Hotels für die Crews, eines Flugtrainingszentrums und einer der grössten Flugküchen der Welt. Eröffnung im Frühling Dass solch ehrgeizige Projekte ihre Finten haben, zeigt eine Meldung in der «South China Morning Post» von letzter Woche. Die Schnellbahn zum Flughafen wird voraussichtlich nicht im April, sondern erst im Juni fertiggestellt sein. Jetzt wird heftig diskutiert, ob man den Flughafen trotzdem im April eröffnen soll. Vielleicht kommt der Aufschwung doch etwas später als erhofft. Margrit Thüler