Influenza bei Schwein und Mensch
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Influenza bei Schwein und Mensch
Historische Betrachtungen Influenza bei Schwein und Mensch Großtierpraxis 5:3, 6-9 (2004) von B. Iben Arbeitskreis Großtierpraxis, Witzenhausen Die später als Influenza bezeichnete ansteckende, akute Erkrankung der Atemwege wird vom griechischen Begründer der Medizin, Hippokrates, schon 412 v. Chr. beschrieben (Schweiger 2003). Eine erste bezeugte Grippepandemie stammt bereits aus 1173 (Grube 1997). Die erste gut beschriebene Grippepandemie trat 1580 auf. Seit dieser Zeit wurden 31 mögliche Pandemien dokumentiert, davon drei im vorigen Jahrhundert: 1918, 1957 und 1968. Von 1889 bis 1892 dings erst 1997 (Taubenberger et al. 1997), die mittels PCR-Sequenzanalyse an Paraffin eingebetteten, Formalin fixierten Gewebeproben von Opfern der Influenza-Pandemie 1918, nachwiesen, dass das Hämagglutinin dieses „Spanish-Flu-Virus“ frühen Schweineinfluenza-Stämmen zuzuordnen ist. Bei der „Asiatischen Grippe“ von 1957/1958 spielte das Schwein dagegen keine Rolle, es wird vermutet, dass es dieses Mal Wirtschaftsgeflügel war. Russischer Schnupfen, Spanische Lady, Asiatische Grippe grassierte eine Pandemie, die als „Russischer Schnupfen“ bezeichnet wurde. Hinsichtlich der Zahl der Opfer war allerdings die Pandemie zum Ende des 1. Weltkrieges unvergleichbar. In den Jahren 1918 und 1919 starben weltweit 20 – 40 Millionen Menschen an der so genannten Spanischen Grippe (genauere Zahlen liegen nicht vor). Das ist weit mehr als der 1. Weltkrieg an Toten gefordert hatte. Als Erregerreservoir dieser verheerenden Pandemie wurde schon sehr früh über das Schwein spekuliert (Dorset et al. 1922, McBryde 1927, Shope 1931, 1936, Masurel et al. 1983). Der wissenschaftliche Nachweis gelang aller- Der Name „Influenza“ entstand im 15. Jahrhundert in Italien und bezeichnet eine Seuche, die dem Einfluss („influenza“ von lat. influere = hineinfließen) der Sterne (lat.: coeli influencia = himmlische Einflüsse) oder der Kälte („Influenza di freddo“) zugeschrieben wurde (Kilbourne 1987). Etwa zur gleichen Zeit nannten die Franzosen die Krankheit „la grippe“. Als Grippe zog sie dann auch in den deutschen Sprachraum ein. Die Schweineinfluenza wurde erstmals in den USA, Ungarn sowie China beobachtet und beschrieben (Chun 1919, Koen 1919, Beverige 1977, Brown 2000). Das Virus konnte erst 1930 isoliert und identifiziert werden (Shope 1931). Es besteht zeitliche Koinzidenz zwischen dem Auftreten von Schweineinfluenza und der verheerenden Grippepandemie 1918/ 1919. Das kausale Agens war in beiden Fällen ein H1N1 influenza- AVirus (Gorman et al. 1991, Kanegae et al. 1994, Reid et al. 1999). Hämagglutinine und Neuraminidasen Wie entsteht ein für beide Spezies hochpathogenes Virus, wie es seit 1919 immer beschrieben wurde (Woods et al. 1981, Castrucci et al. 1993, Brown et al. 1998, Zhou et al. 2000)? Man kann die Frage populärwissenschaftlich beantworten, wie es Gina Kolatat in ihrem Buch „Influenza“ 1999 tut und wird begeisterte Leser finden. Wissenschaftlich betrachtet muss man sich dazu mit den Oberflächenantigenen von Influenzaviren und den beiden Buchstaben „H“ und „N“ auseinandersetzen. „H“ steht für Hämagglutinin und „N“ für Neuraminidase. Hämagglutinine (sie machen etwa 80 % der Oberflächenstruktur von Influenzaviren aus) sind für das Andocken der Viren an die Wirtszelle erforderlich, während die restlichen 20 % Neuraminidasen darstellen, die Titelbild: Ein Mann wird von einem Straßenbahnschaffner in Seattle daran gehindert, den Wagen zu betreten, weil er keinen Mundschutz trägt (aus: Influenza - Die Jagd nach dem Virus; S. Fischer Verlag). 6 GROSSTIERPRAXIS 03/2004 für das Ausschleusen aus der Wirtszelle verantwortlich sind. Infolge der auf den Oberflächenantigenen beruhenden genetischen und antigenen Eigenschaften werden Schweineinfluenzaviren (SIV) in drei Gruppen eingeteilt: • das klassische H1N1 SIV (New Jersey 76-like), • das humanlike H3N2 SIV (Port Chalmers-like) sowie, • das avian-like H1N1 SIV (Noé 2000). Antigendrift und Antigenshift Als echte RNA-Viren besitzen Influenzaviren eine Variationsfreudigkeit, die auf einer ungenauen Kopiertätigkeit der viralen Polymerase beruht (Noé 2000). Die als Punktmutationen bezeichneten genetischen Veränderungen betreffen in erster Linie das Hämagglutinin-Gen. Das H1-Hämagglutinin-Gen zeigt jedoch eine relative Stabilität, was den Schluss zulässt, dass dennoch auftretende Virusvarianten durch die Einschleusung von Fremdantigenen, z.B. aviären oder humanen Ursprungs, entstehen. Da Hämagglutinine und Neuraminidasen die wichtigsten antigenen Strukturen für das Immunsystem darstellen, bedingt die Veränderung dieser Substanzen immer neue, dem Immunsystem unbekannte Antigenstrukturen. Geringe Strukturänderungen, die ständig auftreten, werden als Antigendrift (Abb. 1) bezeichnet. Hierbei ist die Antigenstruktur partiell wiedererkennbar und hinterlässt eine Teilimmunität. Abhängig vom Verbreitungsgebiet der Virustypen reicht die Teilimmunität jedoch nicht aus, Epidemien gänzlich zu verhindern (Abb. 2). Ausgeprägte Veränderungen der Oberflächenstruktur bezeichnet man als Antigenshift, bei dem Struktur so weitgehend verändert wird, dass sie dem Immunsystem vollkommen unbekannt ist. Derartige Veränderungen treten im Verlauf mehrerer Jahre oder Jahrzehnte auf und führen zu den gefürchteten Pandemien (Siegenthaler 2001). Abb. 1. Änderung der Antigenität des Influenzavirus. Im Falle einer Antigendrift ergeben sich nur geringe Veränderungen der antigenen Struktur. Daher besteht bei einer Infektion mit dem Erreger zumindest eine Teilimmunität, wenn die Antigenstruktur des primären Erregers dem Immunsystem bekannt ist. Bei Antigenshift verändern sich die antigenen Strukturen so grundlegend, dass auch im Falle eines immunologischen Gedächtnisses für die Antigene des primären Erregers keine Immunität besteht. H = Hämagglutinin- Antigen, N = Neuraminidase-Antigen (Siegenthaler 2001). Übertragung zwischen Menschen und Schweinen Der erste nachgewiesene Fall der Übertragung eines Schweineinfluenzavirus (H1N1) auf den Menschen (Hodder et al. 1977, Top und Russell 1977), die tödlich endende Infektion eines Soldaten in Fort Dix, NJ, USA, ließ Befürchtungen wach werden, es könne sich eine ähnlich dramatische Situation ergeben Ranges. Damals wollte Gerald Ford seine Wahlchancen mit einer Grippeimpfung aller Amerikaner verbessern. Der Kongress genehmigte ohne Weiteres die volle Summe von 135 Mio Dollar zur Immunisierung der gesamten Nation. Die anfängliche Euphorie dauerte jedoch nur von März bis August. Nach Impfung von etwa 40 Mio Menschen wurde das Projekt beendet (Kolata 1999). Nicht nur in den USA, auch in Influenza und der Wahlkampf von Gerald Ford wie 1918/19. Damals begann die Pandemie ebenfalls unter Soldaten, ausgehend vom Ausbildungslager Camp Funston in Kansas. Auch in Spanien erkrankten seinerzeit massenhaft Menschen an Grippe, weshalb der Begriff „Spanische Grippe“ oder „Spanish Lady“ geprägt wurde und sich bis heute erhalten hat (Grosby 1989, Webster 1999, Easterday und van Reth 1999). Der Influenzafall von Fort Dix entwickelte sich zu einem Politikum ersten den Niederlanden wurden Übertragungen vom Schwein auf den Menschen dokumentiert, hier handelte es sich um den Typ H3N2, der insbesondere Kinder betraf (Claas et al. 1994). Influenza beim Schwein Schweineinfluenza wurde erstmals 1918 zeitgleich mit der großen Grippepandemie des Menschen beobachtet. Shope identifizierte als Agens 1931 ein Virus. Die Erkrankung blieb beim GROSSTIERPRAXIS 03/2004 7 Abb. 2. Entstehung eines Pandemie-Grippevirus. Schwein offensichtlich lange auf den nordamerikanischen Kontinent beschränkt. Marek et al. (1945) beschrieben die Schweineinfluenza als eine in „Nordamerika, Argentinien und Australien weit verbreitete Schweinekrankheit“. In Europa trat das Schweineinfluenza-Virus vor 1976 offenbar lediglich sporadisch auf, die Publikationen stehen immer im Zusammenhang mit der Grippe beim Menschen. Einen ersten Bericht über Schweineinfluenza in Großbritannien findet man von Blakemore und Gledhill (1941). In der Tschechoslowakei wurde ein H1N1- Influenza-Virus erstmals 1950 beschrieben (Harnach 1950). In Westdeutschland trat die Erkrankung nach Kaplan und Payne (1959) zwischen 1940 und 1950 ebenfalls gelegentlich auf. Heute kann man von einer weltweiten Verbreitung ausgehen (Noé 2000). 1990 schrieb Hungerford allerdings noch, dass es in Australien keine Schweineinfluenza gäbe. 1975 sahen Michel et al. keinen Anlass sich mit der Krankheit zu beschäftigen, weil sie in Frankreich keine Rolle spielt, gleiches galt für Tillon et al. (1979). Im Buch „Das Schwein und seine Krankheiten“ wird diese Auffassung für Frankreich immer noch vertreten 8 GROSSTIERPRAXIS 03/2004 (Mornet et al. 1989). Von 1979 an mehrten sich dann die Publikationen über Schweineinfluenza-Fälle in Zentraleuropa (Vandeputte et al. 1980, Ottis et al. 1981, Soerensen et al. 1981, Masurel et al. 1983). In der DDR wurde die Krankheit erstmals 1981 beobachtet (Dannenberg 1987). Schulze et al. (1980) berichteten lediglich von einer typischen Verlaufsform der Schweineinfluenza in Süd- und Westeuropa. In Großbritannien wurden Influenzaviren der Typen H1N1 und H3N2 1991 isoliert (Hill und Sainsburg 1995). Derzeit müssen wir von einem hohen Durchseuchungsgrad ausgehen, wie beispielsweise die Publikation von Elbers et al. (1990) zeigt. Die Verfasser berichten über H1N1-Seroprävalenzen in Noord-Brabant von 64 % bei ungeimpften Tieren, die H3N2-Seroprävalenz lag bei 41 % . In Belgien stellten Maes et al. (1996) auf der Grundlage von 1150 Schweineseren für H1N1 eine Seroprävalenz von 92 % und für H3N2 eine solche von 57 % fest. Immunprophylaxe Ungeimpfte, experimentell infizierte Tiere benötigen zwei Wochen länger, um das Schlachtgewicht geimpfter Tiere zu erreichen (Easterday et al. 1977). Elbers et al. (1990) berichteten über eine Minderzunahme seropositiver Tiere von durchschnittlich 14 g/Tag. Impfen rechnet sich also. Zunächst musste aber ein Impfstoff entwickelt werden. Ein erster inaktivierter H1N1-Influenza-Impfstoff kam 1976 auf den US-Markt (Woods und Mansfield 1976). Inzwischen stehen diverse H1N1/H3N2-Impfstoffe zur Verfügung (Selbitz und Moos 1997), wobei es sich bei den H3N2-Stämmen um solche humanen Ursprungs handeln kann. Bikour et al. (1994) konnten nachweisen, dass das Adjuvans Quil A in Kombination mit Alhydrogel immunpotenzierend wirkt. Angesichts des offensichtlichen Auftretens von neuen SIV-Varianten (H1N2, H9N2, H4N6, H1N7) stellt sich nach Noé (2000) zunehmend die Frage, ob ein Update der Vakzinestämme erforderlich ist oder nicht. Derzeit ist noch nicht klar, welche Stämme man im Falle einer Impfstoffaktualisierung in neue Vakzinen einbauen sollte. Süss (1999) schlägt die Sequenzierung der HA1-Gene aktueller Isolate Anzeige IDT in Form einer konzertierten Untersuchung unter Beteiligung der WHO-Referenzlabore vor. Darüber hinaus arbeitet man an DNA-Vakzinen, die auf Grund ihres Wirkprinzips den Vorteil hätten, stammübergreifend und damit auch gegen neu auftretende Varianten zu schützen. Noé (2000) geht davon aus, dass bis zum praktischen Einsatz solcher Vakzinen noch einige Zeit vergehen wird. INFLUENZA Anschrift des Verfassers: Dr. Dr. Bernd Iben Mündener Straße 5 37213 Witzenhausen Tel.: 05542 / 507 701 Fax: 05542 / 507 690 Zusammenfassung Zeitgleich trat 1918 bei Menschen und Schweinen Influenza auf. Das führte selbstverständlich zu Spekulationen, dass das Schwein die Ursache der Erkrankten und der 20 – 40 Mio gestorbenen Menschen sei. Tatsächlich konnte diese Annahme 1997 bestätigt werden. Seit 1918 traten weitere Influenza-Pandemien auf, die je- doch nicht mit der Schweinepopulation in Verbindung gebracht werden konnten. Die Schweineinfluenza ist mittlerweile weltweit verbreitet und verursacht volkswirtschaftliche Verluste insbesondere durch Minderzunahmen in der Mast. Potente Impfstoffe stehen zur Verfügung und sollten genutzt werden. REPETITORIUM 1. Von wem stammen erste Berichte über die Grippe beim Menschen? 2. Wie nannte man die große Grippepandemie von 1918/19? 3. Wann wurde erstmals über die Schweineinfluenza berichtet? 4. Ab wann hat sich das Schweineinfluenzavirus über Europa ausgebreitet? 5. Welche Schweineinfluenzaviren werden unterschieden? 6. Wie hoch ist der Durchseuchungsgrad heute in Europa? 7. Wann wurde das H1N1-Influenzavirus von 1918/19 eindeutig identifiziert? 8. Was versteht man unter Antigenshift? 9. Was versteht man unter Antigendrift? 10. Welche Oberflächenantigene Impfstoffe? beinhalten alle Schweineinfluenza- GROSSTIERPRAXIS 03/2004 9 Literatur Beveridge, W.I.B. (Ed.): Influenza: the last great plague. An unfinished story of discovery. Heinemann Educational Books, London (1977). Bikour, M.H., E. Cornaglia and Y. Elazhary: Comparative study of the immunostimulatory properties of different adjuvants administered with an inactivated influenza virus vaccine and evaluation of passive immunity in pigs. Imm. And Inf. Dis. 4, 166-172 (1994). Blakemore, F., and A.W. 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Hans Georg Liebich, München, 4., neubearbeitete und erweiterte Auflage 2004, 400 Seiten, 519 Abbildungen und schematische Darstellungen, davon 416 farbig, 11 Tabellen, gebunden, Preis: 89,00 EUR / 138,00 CHF, ISBN 3-7945-2311-3 Das bewährte und erfolgreiche Konzept „Lehrbuch und Farbatlas“ wurde beibehalten: • Didaktisch neu gestalteter, klar strukturierter Text, der Wesentliches und Wichtiges hervorhebt. • An den konkreten Erfordernissen von Studium und Praxis ausgerichtet. • Sämtliche histologische Schemazeichnungen durchgehend mit farbigen Hervorhebungen zur Veranschaulichung der Einzelheiten von Zellen, Geweben und Organen, die sonst nur elektronenmikroskopisch erkennbar sind. • Abbildungen von mikroskopischen Präparaten, wie sie in den histologischen Übungen zu Beginn des veterinärmedizinischen Studiums verwendet werden. • Anleitung zu einem leichteren und besseren Verständnis der strukturell-funktionellen Zusammenhänge. bessere Präparate ersetzt bzw. ergänzt. Für die 4. Auflage hat der Autor vor allem die Kapitel über Zytologie, allgemeine Gewebelehre und Immunologie aktualisiert, neue wissenschaftliche Erkenntnisse eingearbeitet sowie eine große Zahl der Farbabbildungen durch neue, noch Ein ausgezeichnetes, jetzt vollständig farbig bebildertes Lehrbuch und Nachschlagewerk für Studierende der Veterinärmedizin und der Agrarwissenschaften, Biologen, Zoologen, experimentell tätige Mediziner sowie für klinisch tätige Tierärzte. GROSSTIERPRAXIS 03/2004 11