Nach Hurrikan Katrina – Eine Reportage aus dem Katastrophengebiet
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Nach Hurrikan Katrina – Eine Reportage aus dem Katastrophengebiet
BILD am SONNTAG, 4. September 2005 „Kreuz und Zahl als Zeichen: Hier liegen die Toten“ Schub1 BamS-Reporter Michael Remke (42) machte sich am Mittwoch von New York aus auf den Weg ins Katastrophengebiet. Eine Reise ins Land der Verzweiflung BamS-Reporter Michael Remke (42) in Biloxi ANZEIGE ANZEIGE E-Rot E-Gelb ‡ neuwahlen für ihre zinsen ‡ je höher die beteiligung an der bundestagswahl, desto höher ihre zinsen – z. B. 2,79 % p. a.* ‡ ideen nach vorn ‡ Schwarz E-Blau Zeugen schildern Unfaßbares: 14jährige vergewaltigt,bis sie starb Fortsetzung von Seite 5 Verwandten in eine Ecke des Convention Center geflüchtet. Unter Tränen erzählt sie von den Nächten, in denen Alpträume wahr werden. Banden bedrohen die Menschen, rauben sie aus, schlagen sie – und Kinder verschwinden. Am frühen Morgen habe sie ein 14 Jahre altes Mädchen tot aufgefunden, das vier Stunden zuvor vom Platz seiner Familie verschwunden sei. „Sie wurde vier Stunden lang vergewaltigt, bis sie starb“, sagt Trolkyn Joseph. Ein siebenjähriger Junge sei in der Nacht in einem Kühlschrank in einer Küche gefunden worden – vergewaltigt, ermordet. Leroy Fouchea (42) zeigt auf einen Toten, der noch im Rollstuhl sitzt. Neben ihm liegen die Leichen eines weiteren Mannes und zweier Babys, vier und sechs Monate alt. „Sie sind hier gestorben, in Amerika, vor Hunger“, sagt er fassungslos. Die medizinische Versorgung ist noch immer schwierig. Im Charity Hospital müssen die Ärzte seit Tagen im Dunkeln behandeln. Es gibt keinen Strom, kein Wasser. Am „LouisArmstrong“-Flughafen wurden 40 000 Menschen notdürftig versorgt, viele waren in kritischem Zustand. Version vom: Die Evakuierung des Football-Stadions in New Orleans mußte zwischenzeitlich unterbrochen werden, es kamen keine Busse mehr an. Als es endlich weiterging, wurden jedoch nicht die verzweifelten Familien, in der Hauptsache Schwarze, in die Busse gelassen, sondern 700 Gäste des Luxushotels „Hyatt“. „Wie geht denn das?“ fragt Howard Blue (22) ungläubig, „die sind sauber und trocken, aber sie sind vor uns dran?“ gen sechs Flaschen Wasser und eine Tüte Chips. Die meisten der Evakuierten kommen nach Texas und werden im Stadion Astrodome Zuflucht finden. Weil sie dort Wochen, wenn nicht Monate verbringen werden, gaben die Behörden dem Stadion eine eigene Postleitzahl: 772340. Noch immer werden Menschen vermißt, darunter Hunderte ausländische Touristen. Urlauberin Karen Marks (25) ist glücklich, PATROUILLE Ein bewaffneter Soldat läuft durch die verwaisten Straßen von New Orleans. Im Hintergrund brennt ein Haus Monika Sheppard, die ihren Sohn Jackson (16 Monate) auf dem Arm trägt, und ihr Mann Christopher schaffen es mit letzter Kraft durch die Fluten zu den Evakuierungsbussen. Auf der Straße fand Monika eine Cognacflasche. Sie tauschte sie bei einem Plünderer ge- 03.09.2005 21:39 Uhr daß sie nicht zu ihnen gehört. Tagelang harrte die Sekretärin aus Melbourne mit ihrer Tante im Convention Center aus. „Wir dachten, sie würden uns hier sterben lassen“, sagt sie bitter. „Ich glaube nicht, daß ich mein Heimatland Australien noch einmal verlassen werde!“ Dokument: bile: Straßensperre. „Hier geht es keinen Meter weiter.“ Der Soldat ist mit einem Maschinengewehr bewaffnet. „Es herrscht Ausgangssperre, ich könnte Sie festnehmen.“ Da hilft kein Presseausweis. Ich übernachte im Motel. Kurz nach Ende der Ausgangssperre um 7 Uhr am nächsten Morgen sitze ich wieder im Auto. In Mobile werden die Spuren der Verwüstung deutlicher. „Katrina“ hat Schneisen in Wälder gerissen, Tankstellen zerstört, Restaurants umgeblasen. Nur ein Schild steht: Das I-Max-Kino kündigt seinen neuesten 3-D-Film an: „Die Gewalten der Natur“. Ich fahre nach Gulfport, Mississippi. Hier ist das Auge des Hurrikans durchgerast. Hunderte von Häusern sind zerstört, es stinkt fürchterlich. „Leichen“, sagt Chip Hughes, einer der Aufräumer. „Unter den Trümmern liegen Tote.“ Wie viele? „Keine Ahnung.“ Das Schlimmste: Die meisten Leichen müssen liegenbleiben. „Wir haben nicht die Geräte, sie zu bergen.“ Was bleibt, ist die aufgesprühte Zahl auf dem Haus. Weiter nach New Orleans. Eine Fahrt auf dem „Highway der Hölle“, wie es hier heißt. Unvorstellbare Zerstörungen. Die Küstenorte Pass REKORDSCHÄDEN! Christian und Bay Saint „KATRINA“ SCHLIMMSTER Louis gibt es nicht mehr – Luftaufnahmen beweisen: HURRIKAN ALLER ZEITEN „Katrina“ hat sie ausradiert. 20 Kilometer vor New OrMonster-Hurrikan Milliarden Euro) Eine Million leans scheitert mein erster „Katrina“, der mit angerichtet. Menschen sind Windgeschwindig- Das ist viermal obdachlos, 350 000 Versuch, in die überflutete Stadt zu kommen. „Die Brükeiten von bis zu mehr als Hurrikan Häuser sind cke gibt es nicht mehr“, sagt 256 Stundenkilozerstört, die Zahl „Andrew“ (1992). der Polizist an der Straßenmetern und einem Und übertrifft laut der Todesopfer sperre. „Von hier müßten Sie Durchmesser von staatlichem Hurri- geht in die schwimmen.“ 600 Kilometern kan-Zentrum sogar Tausende. Die zweite Brücke ist einüber die US-Süddie Schadenssum- Das Katastrophensturzgefährdet. Der dritte staaten hinweggebiet erstreckt me der zwölf bisVersuch scheitert genauso fegte, hat Schäden lang verheerends- sich über 234 000 wie der letzte. „Selbst wenn in Höhe von minQuadratkilometer ten Wirbelstürme Sie der Sohn von Präsident destens 100 Millider US-Geschichte – etwa die Fläche Bush wären, würden Sie hier arden Dollar (80 Großbritanniens. zusammen! 04_09_05_HP_006_S1 Benutzer: Seite2/3 Scanner Seite 007 AH HN RR NI ES MU BW B0 LO K ZEICHENSPRACHE Rettungskräfte durchsuchen die Häuser nach Opfern, kennzeichnen sie mit einem X (kleines Foto): Dazu kommt oben das Datum, unten die Zahl der Toten (in diesem Haus starb niemand), links die Zahl der Überlebenden und rechts das Zeichen der Rettungseinheit. An einem anderen Haus in Biloxi schreibt ein Feuerwehrmann „Gas“ – das bedeutet: Vorsicht, hier liegt eine Gasleitung nicht durchkommen“, sagt ein schwerbewaffneter Soldat an der Sperre. Neues Problem: Mein Tank ist fast leer. Und in ganz Louisiana funktionieren die Tankstellen nicht. In Gulfport habe ich die letzte offene Station gesehen. Kein Wunder, daß entlang dem Highway Dutzende von Autos ohne Sprit stehen. Es könnte auch für mich knapp werden. Doch erst in der zwei Kilometer langen Warteschlange in Gulfport ist der Tank vollständig leer. Mehr als zwei Stunden stehe ich an. Es kommt zu Schlägereien mit Dränglern. Einer droht mit seinem Baseballschläger. Sprit gibt es nur für höchstens 30 Dollar. „Wir müssen rationieren“, sagt der Tankwart. Kein Sprit, kein Strom. Und auch kein Essen. Deutliches Zeichen einer Katastrophe: Selbst McDonald’s ist geschlossen. Essen gibt es vom Roten Kreuz. Vor dessen Wagen bilden sich lange Schlangen. „Ich warte seit mehr als einer Stunde“, sagt Erica Gay. „Meine vier Kinder brauchen etwas zu essen.“ Die 25jährige weint. „Ich habe alles Selbst McDonald’s ist geschlossen verloren. Mein Haus ist zerstört, und ich habe keine Versicherung.“ „Katrina“ hat vor allem die Armen getroffen. Sie stehen an der Straße und betteln um Wasser, um Lebensmittel. Meine Idee, im Wagen zu schlafen – die Hotels sind alle zerstört –, ist zu gefährlich. Trotz der Ausgangssperre seit 18 Uhr laufen Dutzende von Plünderern durch die Straßen. Ich fahre zurück nach Pensacola. Dort gibt es was zu essen. Am nächsten Tag bin ich um 7.30 Uhr zurück im schwerzerstörten Biloxi in Mississippi. Ich suche einen kleinen Jungen namens Dillon – sein Foto ging um die Welt. Er hat sein Zuhause verloren. Ich stehe vor dem Haus. Oder dem, was davon übriggeblieben ist. Der 7jährige und seine Eltern? „Sie sind weg zu Freunden“, sagt Nachbarin Linda Briant (66). Gemeinsam mit Tochter Tanja (32) sammelt sie die Reste ihrer Bleibe ein. „Dieses Haus war 108 Jahre alt und hat 1969 Hurrikan ,Camille‘ überstanden“, sagt Tanja. Das Haus stand an der Strandpromenade. Dort, wo der Wirbelsturm am schlimmsten gewütet hat. „,Katrina‘ hat uns alles genommen!“ Version vom: 03.09.2005 21:39 Uhr BamS-HP NR 36 atrina‘ hat ganze Arbeit geleistet“, sagt Walter Blessy (64) und zeigt auf die Casino-Schiffe in Biloxi. Die 12 000-Tonnen-Kolosse liegen 100 Meter landeinwärts und sind fast nur noch Gerippe. Was für eine Naturgewalt! Mississippi verliert täglich eine halbe Million Dollar Steuern durch die zwölf zerstörten Casinos. „Es wird Jahre dauern, bis alles wieder aufgebaut ist“, sagt Blessy. Unser Gespräch wird durch die Sirenen der Polizei unterbrochen. „Sie haben wieder eine entdeckt“, sagt er. Unter einem eingestürzten Haus fanden Spürhunde gestern eine Leiche – einen Mann. Bergen können sie ihn nicht. Ein Brett am Haus bekommt eine aufgesprühte Markierung: ein X und eine 1. Das X steht für gecheckt – die Zahl für die Toten. Meine Reise ins Land der Verzweiflung, das nach dem verheerenden Hurrikan „Katrina“ in Anarchie und Gewalt zu versinken droht, begann am Mittwoch im Chaos. Ich versuchte einen Flug nach New Orleans zu bekommen. Doch wie? Der Flughafen ist geschlossen, Straßen sind gesperrt. Ich kriege einen Platz im Flieger nach Mobile in Alabama, knapp zwei Autostunden entfernt – näher ran an das Zentrum der Verwüstung komme ich nicht. Kurz vor dem Abflug wird Mobile geschlossen. US Airways bucht mich nach Pensacola, dann nach Montgomery um. Gegen 22 Uhr lande ich endlich in Pensacola (Florida). Ein Sechs-Stunden-Trip. Mit dem Auto fahre ich weiter nach New Orleans. Am Highway die ersten Spuren von „Katrina“: entwurzelte Bäume, umgestürzte Strommasten – absolute Dunkelheit. Kurz vor Mo- FOTOS: AP, AFP, LOGAN MOCK-BUNTING Seite 006 AH HN RR NI ES MU BW B0 LO BamS-HP NR 36 07 E-Gelb KEINE KRAFT MEHR Ein Mann fächelt seiner Frau Luft zu. Sie ist in der drückenden Hitze vor einem Stadion in New Orleans zusammengebrochen – vor Durst, vor Erschöpfung von New Orleans +++ Die Hurrikan-Hölle E-Rot • Schwarz E-Blau 06 Die Hurrikan-Hölle von New Orleans +++ Die Hurrikan-Hölle * Basisverzinsung 2% p.a., ab 20.9.2005 Zinserhöhung abhängig von Wahlbeteiligung (Quelle: Bundeswahlleiter, vorläufiges amtliches Ergebnis der Wahl zum 16. Deutschen Bundestag): Z.B. 79% bedeuten dann einen Zinssatz von 2,79 % p.a., garantiert bis zum 5.1.2006, nur für Neukunden. Anlagebetrag von 1.250 bis max. 20.000 Euro. In jeder Commerzbank Filiale Dokument: 0180 3 20 10 90 (9 Cent/Min.) 04_09_05_HP_006_S1 www.wahlzins.de Benutzer: Seite2/3 Scanner