Im Rausch der Daten - WWZ
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Im Rausch der Daten - WWZ
29 | 17. Dezember 2015 Management führungsalltag Die Macht der Faustregel Bei schwierigen Entscheiden sollte man auf einfache Regeln setzen. Seite 32 Im Rausch der Daten People Analytics Viele Startups bieten Überwachungsprogramme für Mitarbeiter an. Das HR wird zum Datenzentrum. E halb und ausserhalb des Unternehmens? Wie oft treffen sie sich mit Mandanten? s klingt wie der Traum eines Wann bearbeiten sie ihre E-Mails? Zu wie jeden Chefs: Ein Mausklick vielen Meetings gehen sie? reicht und man kann sehen, Diese Daten sollen Führungskräften welcher Mitarbeiter gerade laut Volometrix in Mitarbeitergesprächen besonders produktiv ist, wer einsetzen. Wenn zum Beispiel ein Angeeinen neuen Kunden herangeschafft hat stellter aus dem Verkauf nicht genügend – und wer vielleicht kurz davor ist, zu Umsatz erwirtschaftet und das Volometkündigen. rix-Programm zeigt, dass er nur selten Dieser Traum könnte schon bald Reali- Mandanten persönlich trifft und meistens tät werden, jedenfalls wenn man einer lediglich per E-Mail kommuniziert, sieht Reihe ehrgeiziger Startups glaubt. Sie ma- sein Chef sofort, wo das Problem liegt, und chen neugierigen Chefs ein vollmundiges kann konkrete Hinweise geben. Versprechen: Einen tiefen Blick in die GeDas grosse Vorbild von Unternehmen danken und Tätigkeiten der Mitarbeiter wie Volometrix ist eine Baseball-Mannwerfen zu können. schaft: Die Oakland Athletics. Ende der «People Analytics» heisst die Branche, 1990er-Jahre revolutionierte der Manager die gerade dabei ist, die Arbeit von Perso- der Oakland Athletics, Billy Beane, den nalabteilungen auf der ganzen Welt zu re- Baseball mit Statistik. Er wertete bisher volutionieren. Bisher ist Perunbeachtete Daten aus und sonalarbeit oft Gefühlssache. konnte so Spieler finden, die Das Programm Welcher Mitarbeiter in welunterschätzt wurden und Volometrix ches Team passt, wer mit daher für niedrige Ablösedem Gedanken spielt, das summen zu haben waren. zeigt, wie oft Unternehmen zu verlassen, Die Oakland Athletics hatsich Mitarbeiter und vielleicht mit einer Geten unter Beane einige ihrer haltserhöhung noch umzu- mit wem treffen. erfolgreichsten Jahre und stimmen ist – bei diesen Fraseine statistische Methode gen verliessen sich Personaler meistens wurden später von anderen Teams überauf eine Mischung aus Bauchgefühl und nommen. 2011 wurde die Geschichte von Erfahrung. Jetzt sollen sie eine bessere Billy Beane als «Moneyball» mit Brad Pitt Entscheidungsgrundlage bekommen: in der Hauptrolle verfilmt und zu einer InHarte, unbestechliche Zahlen. spiration für Sporttrainer auf der ganzen Welt. Inzwischen werden auch bei FussAnkurbelung des Umsatzes ball- oder Basketballspielen riesige DatenDer Star der neuen Branche ist das Un- mengen erhoben und nach dem Spiel austernehmen Volometrix aus Seattle im US- gewertet. Jeder Spieler kann so genau Bundesstaat Washington. 2011 von einem sehen, wie viel er gelaufen ist oder von Softwareentwickler und einem Unterneh- welcher Position auf dem Spielfeld er besmensberater gegründet, wurde Volomet- ser nicht mehr auf den Korb werfen sollte, rix schnell zum Liebling von Investoren weil seine Trefferquote miserabel ist. und konnte in den vergangenen Jahren Was lange Sportstars wie Fussballer mehrere Millionen Dollar Kapital einsam- Lionel Messi oder Basketballer LeBron meln. Anfang September übernahm der James vorbehalten war, soll bald schon jeComputerkonzern Microsoft das begehrte der Büroarbeiter können. Daran arbeitet Startup. Volometrix bietet Unternehmen auch die Firma Humanyze aus Boston. eine Software an, die hauptsächlich E- «Wir wollen ‹Moneyball› in die GeschäftsMails und Kalendereinträge der Mitarbei- welt übertragen», sagt Gründer und Firter analysiert. Aus diesen Daten erstellt menchef Ben Waber. Dabei geht das das Programm eine Übersicht, wer wie oft Unternehmen sogar noch weiter als Volomit wem kommuniziert. So sollen Füh- metrix. Statt nur E-Mails mitzulesen und rungskräfte herausfinden können, was be- Kalendereinträge abzugleichen, will Husonders erfolgreiche Mitarbeiter anders manyze ganz genau wissen, was jemand machen. Wie gross ist ihr Netzwerk inner- den ganzen Arbeitstag lang so macht. Da- Datenanalyse: Transparenz ist nötig Transparenz Aufzuhalten sei der Trend zur Analyse von Mitarbeiter daten nicht, ist sich Charles Donkor, Leiter des Human Capital Consulting bei der Unternehmensberatung PwC, sicher: «Bisher machen das Unterneh men in den USA, aber auch in Europa wird das definitiv kommen.» Ende April trafen sich bereits Personaler und Informatiker in London zur Konfe renz «People Analytics 2015». Mit da bei waren auch Schweizer Grossunter nehmen, zum Beispiel Nestlé und die Credit Suisse. Inwieweit sie Methoden zur digitalen Auswertung von Mitar beiterdaten bereits anwenden, wollten beide Firmen nicht beantworten. Donkor beobachtet, dass Arbeitneh mer immer weniger Probleme damit haben, mithilfe von Daten analysiert zu werden. «Vor allem bei jüngeren Arbeitnehmern gibt es die Bereit schaft, der Auswertung von Daten, die am Arbeitsplatz ohnehin generiert werden, zuzustimmen», sagt er. «Das kann sich schnell ändern, wenn diese Daten missbraucht werden. Firmen müssen daher transparent machen, welche Daten sie erheben und was sie damit machen.» Brigitta Garcia Lopez MALTE BUHSE für haben die fünf Computerforscher des MIT Human Dynamics Labratory und der Aalto-Universität in Finnland, die das Unternehmen 2011 gegründet haben, ein Gerät entwickelt, das ungefähr so gross ist wie eine Zigarettenschachtel und an einem Umhängeband um den Hals getragen wird. In der kleinen grauen Box stecken mehrere Sensoren, unter anderem zwei Mikrofone, Bluetooth- und Infrarotempfänger und ein Bewegungssensor. Damit kann sie die Lautstärke von Gesprächen messen, Sprecharten und Gesten erfassen und sogar feststellen, wie nah sich zwei Gesprächspartner gegenüberstehen. Den Inhalt der Gespräche zeichnet die Box nicht auf, dafür sind die Mikrofone extra eingestellt. Humanyze geht es nicht so sehr darum, was jemand sagt, sondern um die Art, wie es gesagt wird. Analyse der Kommunikation «Kommunikation macht in vielen Berufen einen Grossteil der Arbeit aus und ist daher auch ein zentrales Kriterium für Erfolg und Zufriedenheit der Mitarbeiter», sagt Humanyze-Chef Ben Waber. Er und seine Kollegen haben ihr Gerät zum Beispiel bei Vorstellungsgesprächen und beim Speed-Dating getestet und konnten anhand der Daten über Gesprächsdauer, Tonlagen und Gestik nach einer Weile gut vorhersagen, ob ein Kandidat den Job bekommt oder ob sich zwei Singles zu einem weiteren Date treffen werden. Im Büro soll ihre Box vor allem in Meetings zum Einsatz kommen. «Wir alle wissen, wie schlimm Meetings sein können, aber oft gibt es erstaunlich einfache Möglichkeiten, sie effizienter und angenehmer zu machen», sagt er. Mit den Daten, die die Box sammelt, könnten Führungskräfte de- © Alle Rechte vorbehalten - Axel Springer Schweiz SE, - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.as-infopool.de/lizenzierung HANDELSZEITUNG-2015-12-17-tui- 9e05c72e33f000004882c2e37bcf4f7a tailliert analysieren, wer wie viel gesagt hat, wer andere ständig unterbrochen hat, und wer besonders emotional auf die Äus serung eines Kollegen reagiert hat. Das helfe, Beziehungen zwischen Teammitgliedern zu analysieren und Meetings besser zu moderieren, so Waber. Was Computerforscher wie Ben Waber ins Schwärmen bringt, klingt für andere gefährlich nach George Orwell. «Was man hier harmlos Datenerfassung nennt, ist in Wirklichkeit nichts anderes als Überwachung», sagt Michael Beckmann, Professor für Personal und Organisation an der Universität Basel. Und das könne für Unternehmen schnell nach hinten losgehen. «Mehrere Studien zeigen, dass vor allem bei hochqualifizierten Mitarbeitern die Leistung sinkt, wenn sie am Arbeitsplatz zu stark überwacht werden», sagt Beckmann. «Sie werten das als Zeichen des Misstrauens und fühlen sich in ihrer Arbeit nicht wertgeschätzt.» Zu solchen Effekten kommt es vor allem dann, wenn die Kontrolle nicht freiwillig passiert. Viele Unternehmen aus der People-Analytics-Branche glauben aber, dass Mitarbeiter bei den von ihnen angebotenen Methoden nicht nur bereitwillig mitmachen, sondern in Zukunft sogar vom Arbeitgeber fordern könnten, ausgiebig beobachtet zu werden. Schliesslich lassen sie sich auch im Privatleben schon detailliert überwachen – und geben dafür viel Geld aus. Fitnessarmbänder, die jeden Schritt zählen, oder Smartwatches wie die Apple Watch, mit denen sich aufzeichnen lässt, wo man gewesen ist, was man gegessen hat oder wie viele Stockwerke man erklommen hat, verkaufen sich hervorragend. Um diese Geräte hat sich eine neue Bewegung entwickelt, das «Quantified Self», die millimetergenaue Vermessung des eigenen Ichs. Das grosse Versprechen dabei: Gesünder, fitter, bewusster, kurz gesagt, besser zu leben. Tracking der PC-Arbeit People Analytics ist nur die Übertragung dieses Trends in die Arbeitswelt. «Ein Fitnessarmband für die Arbeit», nennt der Vizepräsident der Firma Sapience, Khiv Singh, das Produkt «Sapience Buddy», das sein Unternehmen anbietet. Es ist ein Programm, das sich in einer Basisversion kostenlos herunterladen und auf dem eigenen Computer installieren lässt. Dort zeichnet es anschliessend minutiös auf, wie man seinen Arbeitstag verbringt: Welche Programme man wie häufig nutzt, welche Internetseiten man besucht, wie oft neue E-Mails oder Messenger-Nachrichten eintreffen. Am Ende des Arbeitstages kann man sich grafisch aufbereitet anzeigen lassen, warum man heute mal wieder nichts geschafft hat. Waren es die ganzen kleinen Unterbrechungen durch E-Mails oder der Kollege, der ständig Urlaubsfotos über den Messenger geschickt hat? Oder hat der kurze Shopping-Ausflug auf die Seite eines OnlineHändlers doch länger gedauert als gedacht? Wer sieht, wohin seine Arbeitszeit geht, kann sie besser nutzen, produktiver werden und früher nach Hause gehen, verspricht «Sapience Buddy». Die kostenpflichtige Version des Programms können auch Unternehmen nutzen und auf den Computern ihrer Angestellten installieren. Chefs und Abteilungsleiter können so sehen, welcher Mitarbeiter fleissig am Projektbericht tippt und wer auf Facebook surft – vorausgesetzt, die stimmen zu.