Epilepsien - Universität zu Lübeck
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Epilepsien - Universität zu Lübeck
28.04.2014 Epilepsien Thomas Münte geboren 1960, verheiratet, 4 Kinder 1978-1985 Medizinstudium Göttingen 1981-1983 U of California San Diego, Dept of Neuroscience 1985-1999 Neurologie (Psychiatrie) Med Hochschule Hannover 1996-1998 U of California San Diego, Dept of Cognitive Science 1999-2010 Lehrstuhl für Neuropsychologie, U Magdeburg 2005-2010 International Neuroscience Institute Hannover Seit 1. Mai 2010 Universität zu Lübeck 1 28.04.2014 Poliklinik-Vorlesung • • • • • Erstes Treffen: Morgen, Dienstag, 29.04.2013 12:15 Uhr Bibliothek Neurowissenschaften Zwischen Station 45b und 46b Prävalenz neurologischer Erkrankungen in den USA • • • • • • • M. Alzheimer Schlaganfall Epilepsie M. Parkinson Multiple Sklerose Querschn.-L. Hirnverletztung 1 – 5 Mill. 2.8 Mill. 1.5 Mill. 0.5 – 0-65 Mill. 0.25 Mill. 0.18 Mill. 0.07 – 0.09 Mill. Newsletter der World Fed Neurol, Jan 1991 2 28.04.2014 Epidemiologie der Epilepsien • Inzidenz 40 – 70 Neuerkrankungen / 100 000 / Jahr • Kumulative Inzidenz 2 – 5 % Epidemiologie der Epilepsien • In Deutschland etwa 800 000 Epilepsiekranke • Bei jedem 20. Menschen >/= 1 Anfall 3 28.04.2014 Vorurteile gegenüber Epilepsien • Sündenstrafe • Besessenheit durch Dämonen • Ansteckung Christus heilt einen Fallsüchtigen Tafelbild um 1750 Lutherische Kirche in Krummenau 4 28.04.2014 Repräsentativ-Umfrage in Deutschland 1996 • Halten Sie Epilepsie für eine Form von Geisteskrankheit oder nicht ? • Würden Sie etwas dagegen haben, dass ihr Kind oder eines ihrer Kinder in der Schule und beim Spielen mit Personen zusammenkommt, die manchmal epileptische Anfälle bekommen ? Repräsentativ-Umfrage in Deutschland 1996 Epilepsie – eine Geisteskrankheit ? JA NEIN ? Alle Abi/Uni 20 12 78 87 2 1 20-29-j. > 65 J. 19 21 80 78 1 1 5 28.04.2014 Repräsentativ-Umfrage in Deutschland 1996 Umgang des eigenen Kindes mit einem epilepsiekranken Kind ? ja 84 nein 15 ? 1 Häufigkeit und Stigma machen Epilepsie zu einem sozialmedizinischen Problem ersten Ranges Epilepsiebericht 1985 /1999 6 28.04.2014 • Epileptischer Anfall – Gelegenheitsanfall – Unprovozierter Anfall • Epilepsie Wiederholtes und (mit Ausnahme der sehr seltenen Epilepsien mit spezifischen auslösenden Stimuli) unprovoziertes Auftreten von Anfällen aufgrund paroxysmaler exzessiver neuronaler Entladungen des Gehirns bei fehlender akuter Ursache Mechanismen, die epileptische Reaktionen von Neuronengruppen auslösen können • Störungen des exzitatorischen / inhibitorischen Transmitterstoffwechsels • Veränderungen der Membranrezeptoren / Ionenkanäle • Veränderungen des Elektrolytgleichgewichts • Störungen des neuronalen Energiestoffwechsels 7 28.04.2014 Diagnostik einer Epilepsie Die D. erfolgt klinisch und beruht auf einer detaillierten Anamnese der Abläufe vor, während und nach dem Anfall (Patient und Anfallszeuge) sowie auf den klinischen, elektroenzephalographischen und bildgebenden Untersuchungsbefunden Klassifikation der Epilepsien • Fokale E. • Generalisierte E. • Unklassifizierbar 8 28.04.2014 Fokale Epilepsien Generalisierte Epilepsien 9 28.04.2014 Epilepsie vs. Anfall • Für die Diagnose Epilepsie ist das wiederholte Auftreten von Anfällen entscheidend. • Abgrenzung von einem Gelegenheitsanfall notwendig. • Grundsätzlich ist jedes Gehirn krampffähig • individuelle Krampfschwelle/Disposition. • Mögliche Auslöser sind: – – – – – – Alkohol Infekt Schlafentzug starke körperliche Anstrengung Alkalose Medikamente. Idiopathisch vs. symptomatisch • idiopathische (genuine) Epilepsie: Fehlen einer bekannten Urs., starke genetische Disposition, altersgebundener Beginn. • symptomatische Epilepsie: Mißbildungen, perinatale, traumatische, entzündl., ischämische Hirnschädigung, Tumor, metabolische Störungen, Alkohol (-entzug). • erstmalige Krampfanfälle nach dem 25. Lebensjahr immer V.a. symptomatische Anfälle !!! 10 28.04.2014 Genetik • Risiko für Kinder von Gesunden ca. 1 % • Risiko bei Kinder von idiopathischen Epileptikern ca. 5 % • für manche Syndrome (familiäre Frontallappenepilepsie) sind Veränderungen an Ionenkanälen beschrieben worden. • In Zukunft vermehrt genetische Lokalisation und Charakterisierung von Kanalschäden zu erwarten. Anfälle / Status • Anfall: kurze, meist nur Sekunden bis Minuten dauernde Episode mit epileptischer Erregung im ZNS • Anfallsserie: mehrere unmittelbar aufeinanderfolgende Anfälle mit zwischenzeitlicher Wiedererlangung des Bewußtseins. • Status epilepticus: Serie von Anfällen ohne zwischenzeitliche Wiedererlangung des Bewußtseins. (Letalität >>10%, sofortige Therapie !!) 11 28.04.2014 Einteilung (ILAE, 1981): • I. Fokale Anfälle: – 1. Einfach-fokale Anfälle (Bewußtsein nicht gestört): Motorische Symptome (z.B. Jackson Anfälle), somatosensorische oder spez. sensorische Symptome, autonome oder psychische Symptome – 2. Komplex-fokale Anfälle (mit Störung des Bewußtseins) • a.) mit Störung des Bewußtseins zu Beginn • b.) Einfach fokaler Beginn, gefolgt von einer Störung d. Bewußtseins – 3. Fokale Anfälle, die sich zu sekundär generalisierten Anfällen entwickeln Fokale Anfälle A Einfach fokale Anfälle ohne Bewußtseinstrübung Jackson-Anfälle tonische oder klonische Zuckungen (motorische Jackson-Anfälle) oder Mißempfindungen (sensible Jackson-Anfälle), die sich meist an Armen oder Beinen von distal nach proximal ausbreiten (March of convulsion) postparoxysmale Parese möglich Ursache: umschriebene Hirnschädigung in der Zentralregion 12 28.04.2014 Fokale Anfälle A Einfach fokale Anfälle ohne Bewußtseinstrübung Adversiv-Anfälle Sekunden dauernde Seitwärtsbewegung der Augen und tonische Drehung d. Kopfes, z.T. Heben des angeblickten Armes Urs: Kortikale Schädigung der lateralen oder medialen Frontalregion Einfach fokaler Anfall 13 28.04.2014 Einfach fokaler Anfall Einfach fokaler motorischer Anfall 14 28.04.2014 Supplementär motorischer Anfall 15 28.04.2014 Fokale Anfälle B Komplex fokale Anfälle Psychomotorische Anfälle = Temporallappen-Epilepsie Verlauf in 3 Stadien: (1) Aura (2) Bewußtseinstrübung: Dauer 1-2 Minuten, gewisse Reaktionsfähigkeit erhalten,orale Automatismen, Nesteln; vegetative Symptome (Pupillenerweiterung, HF-Steigerung, Hyperventilation (3)Reorientierung: für den Anfall besteht Amnesie Urs: Hirnschädigungen im Bereich des basalen Temporallappens (auch als sekundäre Schädigung nach häufigen großen Krampfanfällen möglich) 16 28.04.2014 Komplex-fokaler Anfall 17 28.04.2014 Temporallappen-Anfall links 18 28.04.2014 Mesiale Temporallappensklerose Komplex fokaler Anfall 19 28.04.2014 Fokale Anfälle B Komplex fokale Anfälle Frontallappen-Anfälle Komplexe, oft bizarre Symptomatik (DD: psychogene Anfälle), jedoch in der Wiederholung sehr ähnlich, abrupter Beginn, kurze Dauer u. große Häufigkeit mögliche Symptome: Herumlaufen, Hinfallen, Fechterstellung, Grimassieren, Automatismen, emotionale Symptome Fronto-lateraler Anfall 20 28.04.2014 Orbitaler Anfall 21 28.04.2014 Cingulärer Anfall 22 28.04.2014 Okzipitallappenepilepsie; Anfall 23 28.04.2014 Auren • ein "aufsteigendes" Gefühl vom Bauch, Brust, Rücken, Beinen, • ein Kribbeln im Arm oder Bein, • Sehen von Licht- oder Farberscheinungen, • Perspektivveränderungen, Gesichtsfeldeinschränkungen, • Hören von Musik, Stimmen, Geräuschen, Auren • • • • Halluzination von Szenen, Imaginationen Zeitlupenempfindung, "Käseglockengefühl" Geruchs- und Geschmacksempfindungen Fremdheit von Bekanntem, scheinbare Vertrautheit oder Wiedererkennen von unbekannten Dingen oder Situationen (Dejavu). • Stimmungsveränderungen mit Glücks- oder Angstempfinden 24 28.04.2014 Einteilung (ILAE, 1981): • II. Generalisierte Anfälle: – Absencen – Grands-maux – Myoklonisch-astatische Anfälle bei generalisierten Anfällen liegt keine umschriebene Hirnschädigung vor (beachte jedoch: sekundär generalisierte Anfälle) • III. Unklassifizierbare Anfälle BNS Krampf 25 28.04.2014 Generalisierte Anfälle Blitz-Nick-Salaam-Krämpfe (West-Syndrom) 1. Lebensjahr brüske Vorwärtsbewegung des Kopfes, Anheben der Beine und des Rumpfes, Einschlagen der Arme, Bewußtseinstrübung, wenige Sekunden Dauer EEG: Hypsarrhythmie Urs. 90% perinatale Hirnschäden, 30% zusätzliche konstitutionelle Krampfbereitschaft schlechte Prognose 26 28.04.2014 Hypsarrhythmie Generalisierte Anfälle Lennox-Gastaut-Syndrom Slow-spike-wave-Komplexe 27 28.04.2014 Generalisierte Anfälle Pyknolepsie = Absencen (Friedmann Syndrom) 5.-10. Lebensjahr (Grundschule) Kind wird blaß, bekommt einen starren Blick, hält mit seiner Tätigkeit inne, ohne hinzustürzen und reagiert nicht auf Anruf. Evtl. Lidmyoklonien, nystagtische Augenbewegungen nach oben, ruckartiges Rückwärtsneigen des Kopfes, leichtes Zucken mit den Armen Anfallsdauer wenige Sek., aber große Häufigkeit von 100/Tag möglich EEG: charakteristische 3/sec spikes and waves Urs.: hereditäre Disposition 3/s Spike-Wave-Komplexe 28 28.04.2014 Abscencen 29 28.04.2014 Generalisierte Anfälle • Grand mal evtl. Einleitung durch Aura (bei sekundär general. Anfällen) Initialschrei, Verdrehung der Bulbi, zyanotisches Gesicht Sturz zu Boden tonischer Krampf mit Streckung von Beinen und Armen klonische Zuckungen für 1-2 Minuten Zungenbiß, Schaum vor dem Mund, Enuresis Terminalschlaf postparoxysmaler Dämmerzustand: Bewußtseinstrübung, Ruhe-/Ratlosigkeit, überschießende Reaktionen, ängstl. Fluchtreaktionen oder aggressives Agieren möglich Tonisch-klonischer Grand Mal 30 28.04.2014 Tonisch klonischer Anfall 31 28.04.2014 Tonischer Anfall 32 28.04.2014 Generalisierte Anfälle Myoklonisch-astatische Anfälle 2-7. Lebensjahr Plötzlicher Tonusverlust Sturz, v.a. nach dem Aufwachen EEG: Spike-wave- Variantmuster, Polyspike wave Urs.: hereditäre Disposition 33 28.04.2014 Generalisierte Anfälle Impulsiv-Petit Mal 10.-20. Lebensjahr (Pubertät) plötzliche myoklonische Stöße der Schultern und Arme unwillkürliches Wegschleudern von Zahnbürste oder Kaffeetasse, v. a. morgens, 2-3 Sek. Dauer polyspike-wave-Komplexe Urs.: hereditäre Disposition Poly-Spike-Wave-Komplexe 34 28.04.2014 Psychogener Anfall 35 28.04.2014 Psychogene Anfälle • Konversionsneurotisch • häufig haben Epileptiker neben organischen Anfällen auch psychogene • Augen geschlossen • Reflexe normal • EEG normal • Bei Videoaufnahmen häufig Abstützreaktionen sichtbar • Auslösbarkeit durch NaCl Lösung Psychogene Anfälle 36 28.04.2014 Psychogene Anfälle Psychogene vs. Organische Anfälle • • • • • • • • Situationen, in den Anfälle auftreten Verletzungen? Zungenbiß? (gegebenenfalls wo) Reflexe / Babinski Augen geschlossen / offen ? Pupillenreaktion? Auslösbarkeit (durch NaCl) beachte: psychogene Anfälle kommen nicht selten bei Epileptikern vor. 37 28.04.2014 Synkope 38 28.04.2014 Und was ist das??? 39 28.04.2014 Leitlinien der Behandlung • Gründliche Diagnostik (insbesondere : DD epileptische – nichtepileptische Anfälle, Syndromklassifikation, Ätiologie) • Einigkeit zwischen Arzt und Patient über die Therapieziele • Individuell dosierte Pharmakotherapie mit optimal geeigneten Medikamenten • Falls nötig, frühzeitige psychiatrische und psychologische Therapie sowie soziale Unterstützung • Bei Therapieresistenz frühzeitige Prüfung der Indikation zu einer epilepsiechirurgischen Therapie 40 28.04.2014 Therapie von Epilepsien • Behandlung der Ursache • Vermeidung von anfallsauslösenden Faktoren • Medikamentöse Behandlung • Chirurgische Therapie der Epilepsie • Psychologische Therapie ?? Indikation zur medikamentösen Therapie • Mehr als 1 Anfall Ausnahmen: Lange Pausen zwischen den Anfällen Provozierte Anfälle Ungenügende Compliance • Bereits nach einem Anfall bei hohem Risiko eines Anfallsrezidivs Beispiele: strukturelle Hirnschädigung, myoklonischer Anfall bei Jugendlichem 41 28.04.2014 Ziele der Behandlung • Anfallsfreiheit • Keine bedeutsamen Nebenwirkungen der Behandlung • Problemlose psychosoziale Entwicklung Entdeckung /Markteinführung klassischer Antiepileptika • • • • • • • • 1857 Brom 1912 Phenobarbital (PB) 1938 Phenytoin (PHT) 1944 Oxazolidine 1951 Sukzimide 1952 Primidon (PRM) 1962 Carbamazepin (CBZ) 1973 Valproat (VPA) 42 28.04.2014 Markteinführung „neuer“ Antiepileptika • • • • • • • • • 1991 Vigabatrin (VGB) 1993 Lamotrigin (LTG) 1995 Gabapentin (GBP) 1995 Felbamat (FBM) 1997 Tiagabin (TGB) 1998 Topiramat (TPM) 2000 Oxcarbazepin (OXC) 2000 Levetiracetam (LEV) 2004 Pregabalin SABRIL® LAMICTAL® NEURONTIN® TALOXA® GABITRIL® TOPAMAX® TIMOX® TRILEPTAL® KEPPRA® LYRICA ® Untersuchung der Wirksamkeit alter und neuer Antiepileptika Kwan u Brodie N Engl J Med 2000;342:314-9 Kwan u Brodie Epilepsia 2001;42:1255-60 43 28.04.2014 Behandlung • Nebenwirkungen – – – – – Müdigkeit Kognitive Einbußen Stimmungsveränderungen Fruchtschäden Leberfunktionsschäden • Anfallsfreiheit – bei > 80 % der generalisierten Anfälle – bei < 60 % der komplex partiellen Anfälle Chirurgische Therapie von Epilepsien 44 28.04.2014 Behandlung • Ca. 20 Medikamente sind im Handel • unterschiedliche Wirksamkeit bei den verschiedenen Epilepsieformen • Prinzipien – – – – Monotherapie > ausdosieren zweites Medikament, Monotherapie > ausdosieren Kombinationstherapie 3-Fach Kombination Chirurgische Therapie von Epilepsien • Bei < 1 % angezeigt • • • • • Resektion des epileptogenen Herdes Multiple subpiale Transsektion Stereotaktisch geführte Radiotherapie Stimulation des N. vagus Direkte cerebrale Stimulation – Nucl. subthalamicus – Thalamus – Hippocampus • Split-brain Operation 45 28.04.2014 Chirurgische Therapie • Nebenwirkungen – Psychosen – Gedächtnisstörungen (H.M.!) Patient H.M. 46 28.04.2014 Patient H.M. – 50 Jahre später Patient H.M. – 50 Jahre später 1948 intakte alte Fakten 1953 retrograde Amnesie Zeitbegrenzte Rolle des Hippokampus beim episodischen Abruf heute anterograde Amnesie Kritische Rolle des Hippokampus bei der Enkodierung 47 28.04.2014 Medial Limbic Circuit Anterior Thalamus Cingulate Gyrus Mamillothalamic Tract Mammilary Bodies Fornix Hippocampus Medial (Papez) Psychologische Behandlung • Biofeedback? – Negativierung im EEG = Aktivierung – Positivierung im EEG = Hemmung – Steuerung eines Raumschiffes über das DCPotentials des EEG – Wirksamkeit umstritten 48 28.04.2014 Hemisphärenatrophie bei Rasmussen-Syndrom SPECT bei Rasmussen-Syndrom Hyperperfusion 49