Handlungsempfehlung für die Arbeitspolitik des Landes Brandenburg
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Handlungsempfehlung für die Arbeitspolitik des Landes Brandenburg
Handlungsempfehlung für die Arbeitspolitik des Landes Brandenburg Vorschläge zur Verbesserung der Situation der Beschäftigten der Call-Center-Branche DIESE PUBLIKATION IST IM RAHMEN DES ESF-GEFÖRDERTEN PROJEKTES „ARBEITSPLATZ CALL CENTER – GEGENWART UND ZUKUNFT. TRANSNATIONALER ERFAHRUNGSAUSTAUSCH“ ENTSTANDEN FRANKFURT (ODER) MÄRZ 2015 Autor/-innen: Izabela Glišić (Viadrina School of Management) Waldemar Buchta (Viadrina School of Management) Jörg Kiekhäfer (ver.di) Helge Biering (ver.di) Investition in Ihre Zukunft Diese Publikation wird durch das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und des Landes Brandenburg gefördert. INHALTSVERZEICHNIS 1. Einführung ........................................................................................................................................... 2 2. Situation der Call Center Branche ....................................................................................................... 3 2.1. Situation der Branche in Brandenburg ......................................................................................... 4 2.1. Spezifik der Branche in Polen ..................................................................................................... 10 2.2. Spezifik der Branche in Österreich ............................................................................................. 11 2.3. Ergebnisse des Vergleichs zwischen den 3 Ländern – Gemeinsamkeiten und Unterschiede.... 13 3. Möglichkeiten des Transfers der Guten Praktiken von den Partnerländern nach Brandenburg...... 19 4. Ansätze zur Verbesserung der Situation ........................................................................................... 21 5. Empfehlungen an die Politik des Landes Brandenburg ..................................................................... 23 6. Danksagung ....................................................................................................................................... 25 7. Kurz über die Autoren ....................................................................................................................... 26 Anhang 1................................................................................................................................................ 27 Kurzfassung der Norm EN 15838 .......................................................................................................... 27 Anhang 2................................................................................................................................................ 32 Kontaktpersonen – Projektpartner ....................................................................................................... 32 Anhang 3................................................................................................................................................ 33 Interessante Links .................................................................................................................................. 33 1 1. Einführung Wir haben alle eine Vorstellung, was Call Center sind. Um aber die Klarheit darüber zu schaffen, welche Art von Unternehmen in dieser Handlungsempfehlung gemeint ist, wollen wir eine Definition heranziehen. Sie stammt aus einem Internet-Wirtschaftslexikon: „Call Center sind Kommunikationszentren, in denen Kundenkontakte abgewickelt werden können mittels unterschiedlicher Kommunikationsmittel (Telefon, Fax, E-Mail, Brief etc.). Neben der Bearbeitung von Kundenanfragen geht es auch um die aktive Kundenansprache mit dem Ziel der Erreichung von Kundennähe, Kundenbindung Kundenbindungsmanagement) und Kundenzufriedenheit. Call Center sind meist ausgelagerte Unternehmenseinheiten oder selbständige Unternehmen.“ 1 Um diese Definition zu ergänzen, müsste man hinzufügen, dass Call Center nicht nur für Abwicklung der Kundenkontakte und Verkauf zuständig sind, sondern auch für Kundenbetreuung (Kundenservice) im weiteren Sinne, d.h. auch für technische und rechtliche bzw. andere Art von Unterstützung. Ein Zitat eines der Partner des Projektes, des Vorsitzenden des Vereins für Direktmarketing (SMB) in Warschau, bringt die Situation der Branche auf den Punkt: „Die meisten Call-Center-Beschäftigten leisten anspruchsvolle und äußerst unterschätzte Arbeit. Unterschätzte, daher auch schlecht bezahlte Arbeit im Vergleich zum Aufwand und den Ergebnissen. Unterschätzte Arbeit, daher auch mit niedrigem Anerkennungsgrad. Unterschätzte Arbeit, daher auch unterbezahlte durch Firmen, die zu wenig Wert auf Schulungen und den Arbeitskomfort legen.“ Die Call-Center-Branche ist eine sehr spezifische Branche. Einerseits wird sie durch hohen Bedarf an gut ausgebildeten Mitarbeitern (Agents), die sich zum Teil der Klärung schwieriger Probleme widmen müssen, charakterisiert. Auf der anderen Seite leidet die Branche unter hohem Preisdruck bei gleichzeitigen steigenden Anforderungen an die Qualität des Kundenservices. Nach Schätzungen der Zukunftsagentur Brandenburg sind in der Region Berlin-Brandenburg über 20.000 Personen in der Call Center Branche beschäftigt. Die niedrige Wertschätzung und der schlechte Ruf der Arbeit in Call Centern tragen zur hohen Fluktuationsrate und zum Wegzug aus Brandenburg bei. Eine Verbesserung der Arbeitnehmerbedingungen in den Brandenburger Call Centern kann einerseits zur Stabilisierung der Beschäftigtenzahl beitragen, andererseits zur Verbesserung des Images der Branche. „Gute Arbeit“ und eine 1 http://www.wirtschaftslexikon24.com/d/call-center/call-center.htm (letzter Abruf 23.03.15) 2 faire Entlohnung sind aus sozialer und ökonomischer Sicht wichtige Aspekte. Durch Erarbeitung eines länderübergreifenden Handlungskonzeptes können qualitativ hochwertige und gut bezahlte Arbeitsplätze entstehen, die wiederum junge Menschen am Standort Brandenburg halten. Das vorliegende Handlungskonzept soll einerseits einen Überblick über charakteristische Merkmale und Probleme der Branche geben. Andererseits soll es der Landespolitik Hinweise geben, welche strukturellen Änderungen notwendig wären, um die Arbeitssituation der Beschäftigten der Call Center-Branche zu verbessern. 2. Situation der Call Center Branche Zu den aktuellen Entwicklungen in der Branche gehört die sinkende Zahl der Call Center und gleichzeitig steigende Zahl der Mitarbeiter. Folgende Statistiken zeigen diesen Trend sehr deutlich: Anzahl der umsatzsteuerpflichtigen CC in Deutschland von 2002 bis 20122 1600 1.357 1400 1.336 1.251 Anzahl der Unternehmen 1200 1.300 1.149 1.108 1.057 1.001 1000 907 800 600 518 400 200 134 0 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Die Zahl der Call Center sinkt, d.h. die größten und stärksten Unternehmen halten sich auf dem Markt und wachsen, während die Kleinen vom Markt verschwinden. Dies kann man anhand der Top 10 Unternehmen nach Umsatz sehen, die auch die meisten Mitarbeiter beschäftigen. Allein die ersten drei zusammen (arvato CRM Solutions, Walter Services 2 Statistisches Bundesamt; ID 247202 3 Holding GmbH) und Sitel GmbH beschäftigen fast 20 000 Mitarbeiter und machen den größten Umsatz mit großem Vorsprung vor anderen.3 Gleichzeitig wächst die Anzahl der Mitarbeiter der Call Center, wie man anhand der nachfolgenden Statistik sehen kann. Anzahl der Callcenter-Mitarbeiter in Deutschland in den Jahren 2000 bis 2012 (in 1.000)4 600 500 520 520 2011 2012 Anzahl der Mitarbeiter in Tausend 500 400 420 440 400 300 260 320 330 2003 2004 350 280 220 200 100 0 2000 2001 2002 2005 2006 2007 2008 2009 Innerhalb der letzten 12 Jahre (von 2000-2012) hat sich die Anzahl der Mitarbeiter der Call Center Branche in Deutschland mehr als verdoppelt. Dies zeugt von einer starken Konsolidierung des Marktes: kleine Firmen werden von großen übernommen bzw. melden Insolvenzen an. Ein brennendes Thema ist in dieser Situation Recruitment und Bindung der Mitarbeiter. Durch die Einführung des Mindestlohns wird dem Lohndumping zwar entgegengewirkt, aber auf der anderen Seite ist es schwierig Mitarbeiter zu halten, wenn alle Unternehmen etwa den gleichen Lohn bezahlen. Viele Call Center Mitarbeiter sind zudem Quereinsteiger, denen durchaus bewusst ist, dass die Einführung des Mindestlohns neue Beschäftigungsmöglichkeiten ohne Einkommensverluste ermöglicht. 2.1. Situation der Branche in Brandenburg Der Preisdruck, dem die Branche unterliegt, wurde und wird an die Mitarbeiter weitergegeben. Personalkosten sind der größte Kostenblock in diesen Unternehmen. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Kostendruck und steigenden Anforderungen an die 3 Callcenterprofi.“Vom Dienstleister zum strategischen Partner“, S.18-20 4 Call Center Verband Deutschland; ID 36414 4 Mitarbeiter hat zur Konsequenz, dass die Lücke zwischen dem verlangten Leistungs- und dem realen Lohnniveau immer größer wird. Die Folge ist eine größer werdende Unzufriedenheit der Mitarbeiter und eine sehr hohe Krankenquote. Die Branche (hier sind die Call Center gemeint, die keinem Konzernverbund, sogenannte Inhouse CC, angehören) wird dementsprechend auch dem Niedriglohnsektor zugeordnet und hat damit auch ein Imageproblem. Folgende Statistik5 zeigt, wie sich das Lohnniveau in einzelnen Bundesländern gestaltet: Bundesland Durchschnittsgehalt (Brutto) S-H 25.418 € Hamburg 27.536 € Bremen 26.141 € Niedersachsen 25.340 € NRW 27.278 € Hessen 28.362 € Rheinland - Pfalz 26.451 € Baden-Württemberg 28.259 € Bayern 28.104 € Mecklenburg-Vorp. 19.632 € Sachsen 20.742 € Sachsen-Anhalt 20.019 € Berlin 24.694 € Brandenburg 21.078 € Thüringen 20.510 € Saarland 25.908 € 5 http://www.gehalt.de/statistik/Durchschnittsgehalt-Call-Center-Agent-2012 (letzter Abruf am 13.03.2015) 5 Aus der Tabelle wird ersichtlich, wie niedrig die Jahresgehälter der Mitarbeiter der CCBranche sind: in Brandenburg betrugen sie im Jahr 2012 21.078 EUR. Nach der Einführung des Mindestlohns ab 01.01.2015 hat sich die Situation den Statistiken nach nicht verändert: laut PersonalMarkt verdiente eine weibliche Callcenter-Angestellte rund 23.192 Euro brutto im Jahr (Durchschnitt für ganz Deutschland)6. Da in dieser Statistik auch Daten von Inhouse Call Centern eingeflossen sind, in denen i. d. R. eine bessere Vergütung gezahlt wird, korrigiert sich das Bild in der Realität noch nach unten. Nach einer ver.di-Umfrage unter Call Center-Beschäftigten, sagen dann auch über 60 Prozent der Befragten, dass ihr Einkommen nicht ausreicht. Über 50 Prozent von ihnen brauchen einen Zweitjob zum Lebensunterhalt und 23 Prozent beziehen gar ergänzend Hartz IV-Leistungen7. Nachfolgend ist die graphische Darstellung der Ergebnisse der ver.di-Umfrage zum Einkommen aus dem Jahr 2011. Nach Einschätzung der ver.di hat sich seitdem nichts Wesentliches verändert. 0,8% 6 http://de.statista.com/statistik/daten/studie/177613/umfrage/brutto-jahresverdienst-von-callcentermitarbeitern-in-deutschland/ (letzter Abruf am 18.03.15), Herkunftsverweis: Hamburger Abendblatt, 24./25. Januar 2015, Seite 59 7 https://www.verdi.de/presse/downloads/pressemappen/++co++2cc82280-b78d-11e0-6af0-00093d114afd (letzter Abruf am 13.02.2015) 6 Diese Zahlen passen zum Gesamtbild in Brandenburg, das nach zehn Jahren Hartz IV zu verzeichnen ist: die absolute Zahl der Arbeitslosen ist zwar gesunken, der Anteil der Vollzeit arbeitenden sozialversicherungspflichtig Beschäftigten dagegen sank in Brandenburg von 84,5 Prozent im Jahr 2001 auf rund 72 Prozent im Jahr 2013. Demnach haben wir es mit dem Anstieg von prekären Arbeitsverträgen zu tun – Minijobs, Leih- und Teilzeitarbeit sowie befristete Beschäftigungen machen mehr als 38 Prozent aller Beschäftigungen in Brandenburg aus. 8 Infolgedessen ist die Suche nach Mitarbeitern sehr mühsam. Wie Harry Wassermann, CEO vom SNT AG es auf den Punkt gebracht hat: „Es ist wirklich schwierig, Menschen für eine anspruchsvolle Tätigkeit zu begeistern, wenn gleichzeitig das Lohnniveau in unserer Branche so niedrig ist.“9 Ein großes Thema bildet in der Branche die Personaleinsatzplanung. Stellvertretend für die Mitarbeiter beklagen sich die Betriebsräte über Jahresarbeitszeitkonten. Es ist eine stark branchespezifische Erfindung, die der Steuerung der jährlichen Arbeitszeit und insbesondere dem Ausgleich saisonaler Schwankungen dienen sollte. Das Konto soll zum Jahresende bzw. zum vereinbarten Zeitpunkt möglichst ausgeglichen sein. Theoretisch soll das Jahresarbeitszeitkonto Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einen größeren Spielraum in der jährlichen Arbeitszeitgestaltung ermöglichen. In der Tat bedeutet dies, dass die Mitarbeiter mal 40 Stunden in der Woche, mal z.B. 20 Stunden in der Woche zur Verfügung stehen sollten. Davon wird das ganze Familienleben beeinflusst. Ein anderer großer Nachteil dieser Regelung ist: wenn am Ende des Jahres Überstunden übrig bleiben, bleibt offen, ob sie vergütet werden. Ein weiteres Problem, das mit der Personaleinsatzplanung im Zusammenhang steht, ist der Dienst- bzw. Schichtplan. Er wird häufig erst kurzfristig (z. B. eine Woche vor Inkrafttreten) bekannt gegeben, was die Mitarbeiter vor die Tatsache stellt, ihr ganzes Privat- und Familienleben nach den vorgegebenen Schichten ggf. neu organisieren zu müssen. Dabei muss man anmerken, dass es für die Mitarbeiter Wege gibt, auf die Dienstplanung Einfluss zu nehmen, sei es durch Regelungen in Betriebsvereinbarungen oder durch Nutzung elektronischer Systeme, die vom Arbeitgeber bereitgestellt werden und in gewissem Rahmen die Präferenzen der Mitarbeiter berücksichtigen.10 Angesichts der steigenden Probleme, geeignetes Personal zu finden, muss die familiengerechte Gestaltung der Arbeitszeit zum wichtigen Teil der Personalpolitik jeden CC-Unternehmens werden. 8 Märkische Oderzeitung, „Zehn Jahre Hartz IV: Mehr prekäre Jobs in Brandenburg“, Online Ausgabe vom 01.03.2015, http://www.moz.de/nachrichten/brandenburg/artikel-ansicht/dg/0/1/1371868/ 9 Call Center Profi, Titelstory: Call CenterProfi-Ranking 2014 „Vom Dienstleister zum strategischen Partner, 04.2014, S. 16-18 10 Siehe Kapitel 5., Ansätze zur Verbesserung der Situation, S. 7 Volumenschwankungen, die die Ursache der oben genannten Arbeitszeitspezifik sind, sind ein weiteres Problem der Branche. Es gibt immer mehr Projekte von Auftraggebern, die auf unvorhersehbaren Marktaktivitäten basieren und aus diesem Grund nicht planbar sind. Abhängig von der Größe und Intensität des Projektes werden die Personalchefs vor eine große Herausforderung gestellt: Überkapazitäten zu reduzieren bzw. die bestehenden Mitarbeiter anders auszulasten. Leider finden die entsprechenden Bereitschaftszeiten oft keine Wiederspiegelung in den Verträgen mit Auftraggebern und somit tragen die jeweiligen CC-Firmen das alleinige Risiko. Damit kommen wir zum nächsten großen Problem der Branche: dem steigenden Preisdruck und dem damit einhergehenden Lohndumping. Da sich die Unternehmen mit den Minutenpreisen unterbieten, werden entsprechend auch die Mitarbeiter sehr schlecht entlohnt. Zum Teil liegt es an der Spezifik des Marktes, der sehr empfindlich auf Krisen reagiert. Zum Teil sind es auch die Endkunden, die „Top Service immer und überall“ zum möglichst niedrigen Preis fordern. Auch seitens der Auftraggeber wird der Preis nach unten verhandelt. Dieser Druck wird z. T. an die Mitarbeiter weitergegeben, indem z. B. die sogenannte „Call Handling Time“ (Bearbeitungszeit eines Gesprächs) durch Vorgabe auf das absolute Minimum reduziert wird, um möglichst viele (abrechenbare) Gespräche pro Call/Agent am Tag zu produzieren. Dieses Modell geht in der Regel zu Lasten des anrufenden Kunden und belastet die CC Mitarbeiter einerseits durch den permanenten Zeitdruck aber auch durch das Verfehlen des Anspruchs an die Qualität der eigenen Arbeit. Ein oft zu beobachtender Effekt ist, dass wenn plötzlich die Zufriedenheit der Kunden sinkt, ein Schwenk zu mehr Qualität gemacht wird. Die Bedeutung der CHT geht zurück und den Mitarbeitern wird mehr Zeit für das Kundengespräch zugestanden. Ist die gewünschte Kundenzufriedenheit wieder erreicht, gewinnt die CHT als wirtschaftliche Stellschraube erneut an Bedeutung. Ein Kreislauf, der dazu geeignet ist, bei den Mitarbeitern eine fatalistische Grundhaltung zu erzeugen. Das nächste große Problem der Branche sind die Arbeitsbedingungen, insbesondere Fragen des Arbeitsschutzes. Der vorhin erwähnte Zeitdruck hat zur Folge, dass viele Mitarbeiter unter ständigem Stress arbeiten und häufig krank werden. Die Krankenstände in Call Centern weisen eine Spreizung zwischen 10-30% auf und sind somit sehr hoch. Dem zugrunde liegen weitere psychische Belastungen, wie Kontrollen (Mithören der Gespräche), schlechte Entlohnung, und nicht zuletzt schlechte Arbeitsbedingungen (Raumklima, Schallschutz, Möbel, Headsets, Monitore etc.). Einer schwedischen Studie nach, in der die Forscher eine Gruppe von ca. 2000 Mitarbeiter untersucht haben, würden Mitarbeiter der Großraumbüros öfter krank, sogar doppelt so oft wie in Einzelbüros.11 Die Gründe für den hohen Krankenstand konnten nicht direkt genannt werden, vermutlich seien es u. A. Keime, die sich 11 http://www.mesino-arbeitsschutz.de/aktuelles/in-grossraumbueros-sind-mitarbeiter-doppelt-so-oft-krankwie-im-einzelbuero (letzter Abruf am 13.03.2015) 8 in großen Räumen leichter verbreiten. Ein anderer Grund könnte Lärm sein, der durch Gespräche im Hintergrund verursacht wird. Hinzu komme noch schlechtes Raumklima (schlechte Luft), Probleme mit der Temperatur (im Sommer zu heiß), unzureichende Beleuchtung und Zugluft. Einer Studie der TGMC Management Consulting GmbH12 nach liegt die Krankenquote in Inhouse CC bei 7,6 % und in externen CC bei 14,2%. Dabei wurde festgestellt, dass in größeren Betrieben die Krankenquoten höher sind.13 Die neueste Krankenkassenstudie der Techniker Krankenkasse vom Januar 2015 zeigt, in welchen Branchen die meisten Fehltage aufgrund von Depressionen anfallen. Die meistbetroffene Branche ist die Call CenterBranche.14 12 Personalberatungsspezialist für Dialogmarketing, Distanzhandel, Call Center, CRM, E-Commerce und verwandte Gebiete. Weitere Informationen über die Firma unter: www.tgmc.de 13 http://www.tgmc.de/fileadmin/admin/pdf/Krankenstand_Call_Center_2011.pdf, S.7 14 http://www.sueddeutsche.de/gesundheit/krankenkassenstudie-depression-im-callcenter-1.2323979,- Die Studie ist direkt abrufbar unter: http://www.tk.de/centaurus/servlet/contentblob/695890/Datei/139287/Depressionsatlas.pdf 9 Psychische Belastungen, die die Arbeit in Call Centern birgt, werden oft von den Mitarbeitern genannt. Sehr häufig wird dieser Punkt in der Gefährdungsbeurteilung der Arbeit im jeweiligen Unternehmen stiefmütterlich behandelt. Dabei kann dieser Faktor zur hohen Krankenrate und im Endeffekt zum Abgang der Mitarbeiter führen. Die rechtzeitige Beurteilung des Problems und präventive Maßnahmen, wie Pausen, Ruheräume, weniger Druck, sowie Optimierung des Personaleinsatzes können zur deutlichen Senkung der psychischen Belastungen beitragen. Dies sind die wichtigsten Probleme und Trends in der CC Branche. In den folgenden Kapiteln werden Spezifika der polnischen und österreichischen CC Branche näher erörtert. 2.1. Spezifik der Branche in Polen In Polen beruht der Großteil der Statistiken auf Schätzungen. Demnach gibt es ca. 10.000 Arbeitsplätze in der polnischen Call Center-Branche. 75 % der polnischen Call Center Agenten sind Frauen. Der Anteil der Studenten bzw. Hochschulabsolventen ist mit 65% ebenfalls sehr hoch, d.h. die Mitarbeiter bringen ein hohes intellektuelles Potential mit. In Bezug auf die Dauer der Arbeitsverhältnisse und die Unternehmensbindung wirkt sich diese Beschäftigtenstruktur allerdings nachteilig aus. Derzeitig bildet die E-Mail-Bearbeitung und Chatbetreuung mit einem 60-70% Anteil an der Arbeitszeit den Schwerpunkt – der Rest sind Telefonate. Bei den Telefonaten nehmen die Outbound Aktivitäten (60%), die mit Verkauf verbunden sind, den größten Raum ein. Die Endkunden der CC Dienstleistungen sind meistens junge Menschen mit Smartphones. Diese Nutzer sind am leichtesten zur erreichen, bekommen die meisten Anrufe, sind aber oft wegen der vielen Anrufe „müde“ und reagieren entsprechend aggressiv. Es gibt eine zweite Gruppe von Kunden – sog. Off-Line Kunden (50+), die weder Handys noch Internet benutzen und nur über das Festnetz erreichbar sind. Sie werden kaum kontaktiert und sind damit im polnischen Markt keine relevante Zielgruppe, dennoch bergen sie ein hohes Einkaufspotential. Der polnische Markt der Adressdatenbanken ist noch nicht sehr weit entwickelt und erfasst nur ca. 30% der Bevölkerung. Einigermaßen gut funktionieren daher Firmen, die auf eigene Kundendatenbanken zurückgreifen können, z. B. die Mobilfunkanbieter. Als Quelle werden Expertenwissen, Statistiken und Marktanalysen von Millward Brown und vom SMB (Verein für Direktmarketing) genutzt. Allgemein kann man sagen, dass die CC-Firmen in Polen eher klein und kapitalschwach sind. In Deutschland dagegen erzielen die 5 größten Firmen 86% des gesamten Umsatzes der Branche, wovon arvato selbst über 50% Anteil hat. 10 In Polen machen große Call Center nur 5-7% des Marktes aus. Für die schlechte Kondition der Branche sind die Auftraggeber mitverantwortlich, da sie Minutenpreise nach unten verhandeln und im Ergebnis der Branche niedrige Preise diktieren. Dies wiederum spiegelt sich in sehr niedrigen Löhnen der einzelnen Agenten. Das Entlohnungsmodell basiert meistens auf Provisionszahlungen (sog.„Success fee“) und hat in Folge zu aggressiven Verkaufsstrategien geführt, die das Image der Branche nachhaltig beschädigt haben. Charakteristisch für die polnische CC-Branche ist ein sehr hoher Anteil an zivilrechtlichen Arbeitsverträgen (freie Mitarbeiter) ohne Sozial- und Krankenversicherung. Eine Besonderheit dieser Beschäftigungsverhältnisse ist, dass die polnischen Arbeitsschutzgesetze bzw. -verordnungen hier keine Gültigkeit haben und die staatliche Arbeitsschutzinspektion demzufolge keine Zuständigkeit hat. Außerdem haben nur wenige CC einen Betriebsrat, wobei die Betriebsräte in Polen kein Mitbestimmungsrecht im Sinne des deutschen haben. Die Mitarbeiter der polnischen CC-Branche haben einen niedrigen Organisationsgrad in Gewerkschaften (ca. 10%), was viele Nachteile mit sich bringt, u.a. keine Unterstützung und kein Schutz im Verhältnis zum Arbeitgeber. Es gibt auch keine Branchentarifverträge, sondern nur in den Teilbereichen Tarifregelungen, in denen die Call Center Teil eines Konzerns oder einer größeren Unternehmensgruppe sind. 2.2. Spezifik der Branche in Österreich Die CC-Branche in Österreich ist relativ klein und umfasst ca. 35 000 Arbeitnehmer/-innen, die im Kundenservicebereich arbeiten. Rund 8000-9000 Arbeitsplätze davon befinden sich in CC Strukturen. Der Rest arbeitet in Mischformen (Back Office, Verwaltung, Verkauf Innendienst etc.) Ein besonderes Merkmal der Branche in Österreich: Über 90%-ige Deckung durch Kollektivverträge, auch für Mitarbeiter die keine Mitglieder der Gewerkschaften sind (Allgemeinverbindlichkeit). Die allgemeine Struktur der Beschäftigung stellt sich wie folgt dar: 5% Freie Dienstnehmer (mit offenen Verträgen) 45% geringfügige Beschäftigung (bis 390 Euro) 50% TZ (18-40 Stunden/Woche) + VZ (40 Stunden/Woche) Dank der guten Arbeitsbedingungen (wie z.B. Betriebsarzt, Ersthelfer, Arbeitsinspektoren, pünktlich gezahlte Löhne) ist die Zufriedenheit der Belegschaften sehr hoch (InhouseAgenten: 81% sind zufrieden, 12% eher unzufrieden, 7% extrem unzufrieden) 11 Der Krankenstand ist deutlich niedriger als in Deutschland und beträgt im Durchschnitt bis 12 Krankentage im Jahr (ca. 6%). In Deutschland liegt die Krankenquote in Inhouse Call Centern bei 7,6 % und in externen CC bei 14,2% (siehe S. 11). Zum Vergleich erreicht die Krankenquote in polnischen Call Centern 17%. 15 Der Organisationsgrad der Mitarbeiter ist auch sehr hoch und liegt bei 90%. In Deutschland liegt er bei 10% in freien CC und 30% bei anderen CC. In Polen ist beträgt der Anteil der in Gewerkschaften vereinigten bei Orange Customer Service ca. 14 % 16 Alle Gewerkschaften gruppieren sich unter dem Dach des ÖGB. Das Gewerkschaftssystem in Österreich ist transparent – eine Gewerkschaft ist für eine Branche zuständig, die Sozialpartnerschaft ist sehr stark ausgeprägt und hat sehr lange Tradition. Unser Projektpartner – die Gewerkschaft GPA-djp17 hat ca. 260.000 Mitglieder Österreichweit. Für Ihre Mitglieder hat die GPA-djp im Jahr 2010 ca. 49 Mio. Euro erstritten und Arbeitsverträge für fast alle CC-Agenten (98%) organisiert. In Österreich gibt es keinen Mindestlohn. Als Mindestverdienst gelten jedoch 1400 EUR/Monat brutto. In Kollektivverträgen (KV)ist festgelegt, dass es zwei zusätzliche volle Monatsgehälter im Jahr gibt. Die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände streben gemeinsam eine Lohnsteuerreform an, die Entlastungen für kleine und mittlere Einkommen bringen soll. In Betrieben ab 5 Beschäftigten kann aus dem Kreis der Beschäftigten ein Betriebsrat gewählt werden, der in personellen, sozialen und kulturellen Fragen wirkt. Ein Betriebsrat hat Anspruch auf 3 Wochen Bildungsfreistellung pro Funktionsperiode, die 4 Jahre dauert. Außerdem gibt es in den Betrieben Sicherheits- und Vertrauenspersonen, Arbeitsmediziner/in (ab einer bestimmten Arbeitnehmerzahl). Die Arbeitgeber haben für Sicherheit und Gesundheit, Ergonomie, Arbeitsorganisation und Vorbeugung psychischer Belastungen der Arbeitnehmer zu sorgen. Flächendeckend gibt es auch Arbeitnehmerkammern, die als zusätzliche Interessenvertretung der Beschäftigten wirken. In Österreich gilt die Pflichtmitgliedschaft der Arbeitgeber in den Wirtschaftskammern. Das Call Center Forum18 ist der Branchenverband für Firmen aus dem Call Center-Bereich in Österreich. 15 Nach Aussagen der polnischen Arbeitsinspektion. Statistische Angaben fehlen. 16 Alle Angaben stammen von den Projektpartnern SKPT Solidarnosc, ver.di und GPA-djp. 17 Gewerkschaft der Privatangestellten – Druck, Journalismus, Papier. 18 Der Präsident des Call Center Forums, Herr Georg Mack, hat das Projekt von der Arbeitgeberseite unterstützt. 12 Die größte Konkurrenz für die österreichischen Call Center sind die deutschen Unternehmen und auch, zunehmend – Unternehmen in der Slowakei, die (insbesondere in Bratislava), auf junge Menschen mit Deutschkenntnissen zurückgreifen können. Es ist aber dabei auch zu verzeichnen, dass die Unternehmen, die aus Kostengründen ins Ausland gegangen sind, jetzt größtenteils zurückkehren. Die CC- Branche in Österreich ist stabil (Ausnahme: ein leichter Rückgang in 2012 um -2%), und benötigt gut ausgebildete Führungskräfte und Agenten. Ähnlich wie in Deutschland und Polen gibt es keine Institutionen, die Führungskräfte für die CC-Branche ausbilden. In Österreich und Polen gibt es nicht einmal einen Ausbildungsberuf, der mit der in Deutschland üblichen Ausbildung zur „Servicefachkraft – Dialogmarketing“ oder zum „Fachwirt/-in Callcenter“ vergleichbar wäre. Die Branche bietet flache Hierarchien und innerhalb dieser Strukturen relativ schnelle Aufstiegschancen an. Es wird versucht, die Arbeitsplanung an den Lebensrhythmus der Mitarbeiter anzupassen und damit als Branche für Arbeitnehmer attraktiver zu werden. Die Branche bietet auch Arbeitsplätze für Menschen, die keine Berufsausbildung haben, d.h. auch Quereinsteiger In Österreich arbeiten in der Branche viele Studenten/-innen im Rahmen der geringfügigen Beschäftigung (bis 390 €). 2.3. Ergebnisse des Vergleichs zwischen den 3 Ländern – Gemeinsamkeiten und Unterschiede Um sich einen besseren Überblick über die Arbeitsbedingungen in der CC-Branche der drei Partnerländer zu verschaffen, wurde eine Vergleichsmatrix ausgearbeitet, die folgende Kriterien umfasst: Arbeitsumgebung/Arbeitsmittel/Mitarbeiter – Arbeitsschutzes in Bezug auf Bildschirmarbeit, d.h. wichtige Regelungen Arbeitsverträge – welche Form der Beschäftigung (sozialversicherungspflichtige Verträge oder Honorarverträge usw.), des dominiert Interessenvertretung – wie ist der Organisationsgrad der Belegschaft, d.h. wie hoch ist der Prozent der Gewerkschaftsmitglieder, gibt es Betriebsräte oder andere Formen der Interessenvertretung der Arbeitnehmer, Zertifikate/EN 15838 – wie viele Call Center und evtl. welche sind zertifiziert, und wenn ja, nach welchem Standard, 13 Trends – wie sind die aktuellsten Entwicklungen in der Branche des jeweiligen Partnerlandes, Best Practice – Beispiele guter Lösungen, guter Praktiken in den CC-Unternehmen, Defizite der Branche – welche Mängel weist die Branche im jeweiligen Land auf, 14 Die Ergebnisse des Vergleichs: Arbeitsumgebung / Arbeitsmittel / MA PL 13m³ Arbeitsplatzvolumen 2 m²Freifläche 80 - 85 dB, ab 80 dB Gehörschutz InteressenArbeitsverträge Zertifikate/EN 15838 Trends Best Practice Orange Inbound – 40% Arbeitsverträge Outbound – 60 % freie Mitarbeit Nur Orange: Betriebsrat nur beratende Rolle Orange bereitet sich für COPCZertifizierung vor POLKOMTEL (zert. 2011) Klimaanlage als Standard, ärztl. Zusatzleistungen, Sportkarte, Veranstaltungen für MA, Bildschirmpause Wenige SVVerträge, wenig Schutz, schwacher Organisationsgrad in Gewerkschaften, wenige Betriebsräte (nur Orange) Kontrolle, Mindestlohn, Cloud, Multichannel Kaffee/Tee kostenlos, regelm. Teamrunden, Altersvorsorge, Boni, Freist. für gewerkschftl. Tätigkeit Unregelmäßige Arbeitsschutzkontrol len -keine bindende Regelung, TV nicht flächendeckend, wenig Familienfreundlichkeit, Zukunftsangst der Belegschaft Rückverlagerung der österr. CCs aus dem Ausland, Bereitschaft für gute Qualität, mehr zu bezahlen Sehr guter Organisationsgrad, Berufskammern, TV für alle MA, wenig Leiharbeit – SVVerträge, Gesundheitsprävention smaßnahmen CC-Agent – kein Beruf Outsourcing Lohndumping, Automatisierung, hohe Erwartungen des Kunden DE Arbeitsplatz 12 m³, breite mind.1,2m, 2-4 m² Freifläche Lärm unter 55dB(A) Inhouse – 99% Arbeitsverträge Externe DL – 90% Arbeitsverträge TZ und VZ Freie CC -10% der Beschäftigten sind in Gewerkschaften, andere CC- ca. 30%. Betriebsräte A. Sutter Dialog Services, Avocis, Canyon Bicycles, CCC, Communicall, On Service (9) A 16m³ Arbeitsplatzvolumen 2 -4 m² Freifläche Lärmbelästig. max. 55dB Defizite vertretung 90% Arbeitsverträge, 99% in Kollektivverträgen , hoher Anteil von SV Arbeitsverträgen. Betriebsräte und hohe Zugehörigkeitsrate zu den Gewerkschaften 14 Call Center (zertifiziert nach EN) 15 Arbeitsumgebung/Arbeitsmittel/Mitarbeiter In der ersten Kategorie (Arbeitsumgebung/Arbeitsmittel) haben wir es mit kleinen Unterschieden zu tun: das größte Arbeitsplatzvolumen fordert man in Österreich (16m³). Negativ fällt der hohe zugelassene Lärmpegel in Polen auf (80dB im Vergleich zu 55 dB in Deutschland und Österreich). Dabei muss man aber anmerken, dass die polnische Norm aus dem Jahr 1994 (PN-N-01307:1994), zwischen 4 verschiedenen Lärmpegeln unterscheidet. Der für Call Center Mitarbeiter relevante Pegel, wenn auch in der Norm nicht explizit hierfür ausgewiesen, liegt in Bezug auf die Möglichkeit der Ausübung von konzentrierten Tätigkeiten durch den Arbeitenden bei 65dB. Arbeitsverträge Beim nächsten Kriterium – den Arbeitsverträgen – fällt bei Polen der hohe Anteil an nicht sozialversicherungspflichtigen Verträgen auf. Das hat zur Folge, dass die Mitarbeiter nicht geschützt sind, z.B. werden von der Arbeitsinspektion nicht erreicht und von Tarifverträgen nicht gedeckt. Interessenvertretung In der dritten Kategorie – der Interessenvertretung – fällt der niedrige Organisationsgrad der polnischen CC-Branche auf. Mitarbeiter in freien CC weisen eine gewerkschaftliche Zugehörigkeitsrate von etwa 10% auf, in Konzerngebundenen CC dagegen (z.B. Orange) liegt der Organisationsgrad mit ca. 30% wesentlich höher. Ein beispielhaftes Modell stellt in vielerlei Hinsicht die österreichische CC-Branche dar. Der Organisationsgrad ist sehr hoch. Für über 90 % aller Beschäftigten gelten Kollektivvertrage – unabhängig von der Gewerkschaftsmitgliedschaft. Das System in Österreich ist transparent – eine Gewerkschaft ist für eine Branche zuständig, Darüber hinaus sind die Arbeitgeber in Berufskammern organisiert. Zertifikate/EN 15838 In der Zertifizierung sind die Österreicher Vorreiter mit 14 nach der EN 15838 zertifizierten Call Center Unternehmen, gefolgt von Deutschland mit 9 Call Centern. Durch den vergleichsweise hohen Zertifizierungsgrad im relativ kleinen österreichischen Call Center Markt ist es hier offenbar gelungen, Standards zu setzen und damit auch ein Stück Vergleichbarkeit von CC Unternehmen herzustellen. Das Image der Branche scheint sich dadurch verbessert zu haben. In Polen gibt es dagegen nur wenige (1-2) Unternehmen, die nach der Norm EN 15838 zertifiziert wurden. Neben der europaweiten Norm EN 15838 für Call Center existieren insbesondere in Deutschland weitere „Gütesiegel/ Qualitätsstandards“, die z. T. von der Branche selbst ins Leben gerufen wurden und manchmal auch nur auf eine Region z. B. das Stadtgebiet von 16 Essen, beschränkt sind. Diese Vielzahl an „Gütesiegeln/ Qualitätsstandards“ hat bisher nicht zu einer Imageverbesserung oder Vergleichbarkeit der Unternehmen beigetragen. Die Frage der Zertifizierung hat uns im Projekt besonders beschäftigt. Aus dem Projekt „Arbeitsplatz Call Center“ heraus entwickelte sich die Idee der Erarbeitung und Einführung eines europaweiten Gütesiegels für Call Center, um der Krise der Branche entgegen zu wirken. Die Norm zur Zertifizierung der Call Center – EN 15838 gibt es zwar, sie ist aber nicht verbindlich. Mit einem neuen Projekt wurde angestrebt, zusammen mit den Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften aus Deutschland, Polen und Österreich ein europäisches Gütesiegel zu entwickeln und es für alle Call Center in den EU-Ländern verbindlich zu machen. Die Auswirkungen einer solchen Pflichtzertifizierung wären: das Lohndumping aufzuhalten, die Mindeststandards in Bezug auf Arbeitsbedingungen zu erhöhen, die Stabilität des laufenden Geschäfts zu halten, die hohe Fluktuationsrate durch gute Bedingungen zu senken (Schaffung nachhaltiger Arbeitsplätze). Das Gütesiegel sollte als zusätzliches Modul auf der EN Norm 15838 aufgesetzt werden und 3 Themen ansprechen: Arbeits- und Gesundheitsschutz, Datenschutz- und Sicherheit und soziale Kriterien. Darüber hinaus könnte jedes EU-Land diesem Modul ein zusätzliches länderspezifisches Element mit hinzuzufügen. Im Verlauf des Projekts haben wir von Austrian Standard erfahren, dass die Call Center Verbände Europas an einer Weiterentwicklung der EN 15838 arbeiten. Arbeitnehmerorganisationen sind in diese Weiterentwicklung bisher nicht eingebunden. Angesichts der Herausforderungen, vor denen die Branche steht, insbesondere was die Mitarbeitergewinnung und -bindung angeht, aber auch zur Imageverbesserung, wäre die zuvor dargestellte Ergänzung durch Module, die den Arbeitnehmerinteressen Rechnung tragen, sinnvoll. Trends in der Branche Outsourcing von Call-Center-Leistungen aus bestehenden Unternehmensstrukturen, so lässt sich der allgemeine Trend in allen drei Ländern auf den Punkt bringen. Zumeist werden zu erwartende Kostensenkungen als Begründung angegeben. Tatsächlich geht dieser Trend zumeist zu Lasten der Mitarbeiter, die in der Folge mit Lohneinbußen rechnen müssen. Der zweite allgemeine Trend ist die Automatisierung einfacher Prozesse – einfache Anfragen (Calls, Mails) werden vollautomatisch bearbeitet bzw. der Kunde kann sich seine Fragen durch Recherche nach „Häufig gestellten Fragen“ bzw. anderen Kundenservice-Funktionen im Internet selbst beantworten. Speziell in Deutschland bereitet sich die Branche auf weitere vor allem technische Trends vor, z. B. – Cloud-Lösungen, die immer populärer werden. Die Auswirkungen des seit dem 01.01.2015 geltenden gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland konnten im Projekt noch nicht bewertet werden, jedoch ist zu erwarten, dass damit der Trend zu technischen Lösungen verstärkt wird. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass sich viele Unternehmen bereits auf den Mindestlohn eingestellt/vorbereitet 17 und die Löhne entsprechend noch 2014 angehoben hatten. Die Betriebsräte mancher Call Center haben allerdings berichtet, dass die Erfolgsprämien und Boni gegen den Mindestlohn gerechnet wurden. In Österreich ist ein positiver Trend zu verzeichnen: die Firmen, die ihre Betriebe ins Ausland ausgelagert haben, holen sie wieder nach Österreich zurück. Es ist ein Trend, der durch die Kundschaft ausgelöst wurde – mehr Qualität und akzentfreier Service werden erwartet. Best Practice Beispiele Interessant für den Ergebnistransfer sind die Tatsachen, dass in Österreich Tarifverträge und sozialversicherungspflichtige unbefristete Arbeitsverträge für alle Beschäftigte existieren. Dies geht mit einer hohen Zufriedenheitsrate der Beschäftigten der Call Center Branche einher. Darüber hinaus sind österreichische Arbeitgeber in Berufskammern, die Arbeitgeberverbandsfunktionen haben, vereinigt, was auch als angestrebtes Ziel in Deutschland und Polen angesehen wurde. Diese Tatsache, verbunden mit vergleichsweise hohen gewerkschaftlichen Organisationsgraden hat zum Beispiel, den vor Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland üblichen Wettbewerb über Lohndumping, in Österreich so gar nicht stattfinden lassen. In polnischen CC-Unternehmen sind Klimaanlagen in jedem Call Center Standard. Außerdem gibt es zusätzliche ärztliche Leistungen, Sportkarten und Integrationstreffen. Andere fördernde Maßnahmen, die genannt wurden waren: pünktlich gezahlter Lohn, kostenfreie Getränke wie Kaffee/Tee/Milch, Boni, Weihnachtsgeld, Freistellung für gewerkschaftliche Tätigkeiten, regelmäßige Bildschirmpausen (Einhaltung der Bildschirmpausen), Vorlage des Dienstplans bis zum 15. jeden Monats. Defizite In der polnischen Call Center Branche sind Arbeitsplätze ohne sozialversicherungspflichtige Arbeitsverträge das größte Defizit. Die Arbeitsverhältnisse der Call Center Mitarbeiter werden nicht genügend rechtlich reguliert. Das zweite große Problem ist ein sehr niedriger Zugehörigkeitsgrad zu den Gewerkschaften, es gibt kaum Interessenvertretungen und keine gesetzliche Regelung der Mitbestimmung. In Deutschland wird über Unzulänglichkeiten in den Arbeitsschutzkontrollen und den ungenügenden Einfluss der Arbeitsschutzorgane auf die Arbeitgeber/-innen berichtet. Die hohen Krankenstände in der Branche lassen hier auf erhebliche Defizite schließen. Vor allem aber fehlt in Deutschland eine Arbeitgeberorganisation, die als Tarifvertragspartei einen Branchentarifvertrag mit den Gewerkschaften aushandeln könnte. In Österreich wurde nur ein Problem erwähnt: es gibt keinen offiziellen Ausbildungsberuf zum „Call Center Agenten“, 18 wie in Deutschland.19 Auch in Polen ist dies ein Problem, da der Tätigkeit ohne eine anerkannte Ausbildung die gesellschaftliche Wertschätzung fehlt. In Deutschland fehlt diese Wertschätzung zwar auch, ist aber vor allem auf das Image der Branche und die schlechte Entlohnung in Verbindung mit den besonderen Arbeitszeitanforderungen zurückzuführen. 3. Möglichkeiten des Transfers der Guten Praktiken von den Partnerländern nach Brandenburg Obwohl die CC Branche in Deutschland größer und auf den ersten Blick besser als die polnische organisiert ist, gibt es einige Beispiele guter Praktiken, die man sich bei den Projektpartnern abschauen kann. Es gibt in Polen das in der Verfassung verankerte Recht auf sichere und gesunde Arbeitsbedingungen. Wie dieses Recht umgesetzt wird, ist gesetzlich festgelegt, und zwar durch das Arbeitsgesetzbuch. Die wichtigsten Bestimmungen des Arbeitsgesetzbuchs für diesen Bereich finden sich in Abschnitt X über Gesundheitsschutz und Sicherheit bei der Arbeit, Abschnitt VIII über den Schutz von Frauen bei der Arbeit und Abschnitt IX über den Schutz junger Menschen bei der Arbeit. Die Organisation des Arbeitsschutzes ist in ein landesweites und ein betriebliches System gegliedert. In Deutschland haben wir ein duales System (siehe Abbildung 1) das auf Selbstverwaltung beruht. Es wird immer häufiger diskutiert, ob die Vorschriften konkret genug gefasst sind und, ob die Berufsgenossenschaften ausreichende Rechte für die Forderung der Vorschriften haben. Erschwerend kommt hinzu, dass die deutschen Arbeitsschutzvorschriften nicht in einem Arbeitsgesetzbuch sondern in einer Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen beschrieben sind. Bei Kontrollbesuchen müssen sich die Berufsgenossenschaften häufig mit weiteren staatlichen Behörden, wie z.B. dem Gewerbeamt, zusammentun, um entsprechende Auflagen und ggf. Geldstrafen verhängen zu können. In Polen dagegen sind diese Kompetenzen in den Händen einer Behörde, der staatlichen Arbeitsinspektion, konzentriert. In Deutschland könnte die Konzentration des Arbeitsschutzes in einer Hand ebenfalls für eine steigende Effizienz sorgen. 19 Berufsbild unter: http://berufenet.arbeitsagentur.de/berufe/start?dest=profession&prof-id=14688, , http://www.tbg-schortens.de/469.0.html 19 Abb. 1: Das Deutsche Arbeitsschutzsystem (Quelle: Schliephacke 2001, S. 24) Ein anderes „Best-Practice-Beispiel“, das in Polen entsprechend der EG-Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz klarer und damit nach Ansicht der Projektpartner auch besser geregelt ist, sind die Bildschirmunterbrechungen. In Polen gibt es gesetzlich eine 5-minütige Unterbrechung jede Stunde. In Deutschland dagegen wird diese Richtline im dualen System zweigeteilt betrachtet und hat sich nicht durchgesetzt. Zunächst regelt die Bildschirmarbeitsverordnung in §5 wie folgt: § 5 Täglicher Arbeitsablauf Der Arbeitgeber hat die Tätigkeit der Beschäftigten so zu organisieren, dass die tägliche Arbeit an Bildschirmgeräten regelmäßig durch andere Tätigkeiten oder durch Pausen unterbrochen wird, die jeweils die Belastung durch die Arbeit am Bildschirmgerät verringern. Weitere Detailvorschriften regelt die DGUV Information 215-41 zur Gestaltung der Bildschirmarbeit, deren Einhaltung die Verwaltungsberufsgenossenschaft überwachen soll. Leider hat die VBG aufgrund der begrenzten Bestrafungsmöglichkeiten wenig Durchsetzungskraft. Diese Aufgabe wird häufig an die Betriebsräte und die Arbeitssicherheitsausschüsse delegiert. Hier wäre eine klare gesetzliche Regelung wünschenswert. 20 Österreich Österreich ist im Vergleich zu Deutschland das Land mit einer ähnlichen Struktur der Gesetzgebung. So gibt es in Österreich ebenso wie in Deutschland ein Betriebsverfassungsgesetz. Was in Deutschland allerdings nicht vorhanden ist, ist das österreichische Kammersystem. In Österreich ist jeder Arbeitnehmer und Arbeitgeber in einer Kammer organisiert, die dann die Kollektivarbeitsverträge verhandelt. Somit wird gewährleistet, dass Arbeitsbedingungen flächendeckend durch die sog. Kollektivarbeitsverträge (Tarifverträge) geregelt werden. Der Soziale Dialog der in Österreich zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften eine lange Tradition hat, ist ein Best Practice Beispiel, das in Deutschland zum Maßstab für die Call Center Branche gelten kann. Der Wunsch an die Politik im Land Brandenburg ist also in der zukünftigen Gesetzgebung ggf. Ideen aus Polen und Österreich mit einfließen zu lassen. 4. Ansätze zur Verbesserung der Situation Vereinheitlichung der Zertifizierung der Call Center In die Überarbeitung der Call Center Norm EN 15838 sollten Arbeitnehmerorganisationen mit einbezogen werden. Bisher wird diese Norm ausschließlich durch die europäischen Call Center Verbände mit Unterstützung der jeweiligen Normierungsinstitutionen (z. B. DIN) erund überarbeitet. Die Norm sollte nicht ausschließlich oder zumindest weitgehend eine Anpassung der ISO Normen auf die Belange der Call Center darstellen. Angesichts der Digitalisierung der Arbeitswelt ist zu erwarten, dass die Anforderungen an Call Center Mitarbeiter (gemeint sind Agenten und Führungskräfte) weiter steigen werden, während einfache Tätigkeiten weitgehend automatisiert werden. Diese Herausforderungen werden in der bisherigen Norm EN 15838 nicht berücksichtigt. Der Mensch ist aber gerade in der Call Center Branche auch in Zukunft der entscheidende Faktor. Die Arbeitnehmerorganisationen können hier wichtige Impulse geben. Förderpolitik Die Förderpolitik der Länder könnte auf die Zertifizierung und Einhaltung der überarbeiteten Norm EN 15838 ausgerichtet werden, sofern die Arbeitnehmerbelange dort, wie vorgeschlagen, durch die Einflussnahme von Arbeitnehmerorganisationen Berücksichtigung fanden. 21 Die Gefährdungsbeurteilung Arbeitsbedingungen als wichtige Voraussetzung zur Verbesserung der Ein wichtiges Mittel zur Überprüfung der Arbeitsbedingungen ist die Gefährdungsbeurteilung. Sie soll sich als Handbuch des Unternehmens lesen, d.h. aus ihr soll ersichtlich sein, was ein Unternehmen macht und welche Risiken die Arbeit in diesem Unternehmen birgt. Das Arbeitsschutzgesetz schreibt im § 5 die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung, einschließlich der psychischen Belastungen, vor. Die alarmierenden Zahlen der Techniker Krankenkasse (S. 10) zeigen deutlich, dass hier ein branchentypischer Verbesserungsbedarf besteht. Die zuständigen Behörden, z.B. Berufsgenossenschaften, können die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung erzwingen. Leider besteht ein hohes Vollzugsdefizit. Eine zeitlich befristete zielgerichtete Schwerpunktsetzung der Berufsgenossenschaften zur Überprüfung der Gefährdungsbeurteilungen in den Betrieben der Branche mit entsprechenden Auflagen wäre ein Anfang. In Folge könnten dann die Berufsgenossenschaften in Verbindung mit den Krankenkassen, Betriebsräten, Schwerbehindertenvertretungen und weiteren Einrichtungen, z. B. Universitäten, gezielt an Maßnahmen zur Gesunderhaltung der Call Center Mitarbeiter arbeiten. Diese Maßnahme sollte allerdings nicht nur an die psychische Gesundheit anknüpfen. Diese war durch die statistische Offensichtlichkeit nur Auslöser des Vorschlags. Führungskräftequalifizierung Zu den Faktoren, die zu psychischen Belastungen beitragen, gehört auch ungeeignetes Management. Viele Unternehmen versuchen diesem Problem durch eigene Schulungen bis hin zu Zertifizierungen für Führungskräfte zu begegnen. Es gibt keine verbindlichen Standards dazu. Eine einheitliche Aufsatzqualifikation und Zertifizierung, z. B. zum Teamleiter, durch die IHK, die unter besonderer Berücksichtigung dieses Aspektes durchgeführt wird, könnte Abhilfe schaffen. Work-Life-Balance – Lösungsansätze Unter guten Arbeitsbedingungen werden auch Maßnahmen zur Vereinbarkeit des Privatlebens mit Berufsleben in jedem Unternehmen vorausgesetzt. Für die Arbeitnehmer/innen bestehen viele Möglichkeiten, auf die Arbeitszeitgestaltung Einfluss zu nehmen. Hier ist es wichtig, das Planungsverfahren so zu gestalten, dass kein permanenter Rechtfertigungsdruck entsteht. Es gibt zwar gesetzliche Rahmenvorgaben zur Arbeitszeit (ArbZeitG), sie lassen aber Handlungsspielräume zu, insbesondere was Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit betrifft. Fragen der Arbeitszeitgestaltung unterliegen der erzwingbaren Mitbestimmung. Ein nicht vom Betriebsrat genehmigter Schichtplan ist ungültig. Ebenso bedarf die Veränderung eines genehmigten Einsatzplanes der Zustimmung durch den Betriebsrat. Eine Grobplanung, die mindestens 4 Wochen im Voraus besteht oder noch 22 besser: ein wiederkehrender zumindest grober Schichtrhythmus. Dies trägt erheblich dazu bei, dass Arbeits- und Freizeit zumindest in einem überschaubaren Zeitraum verlässlich planbar sind und die Beschäftigten ihr Familienleben, ihre sozialen Kontakte planbar gestalten können. Die Planungen sollten dem Betriebsrat so rechtzeitig vorgelegt werden, dass bei Bedarf noch Rücksprache mit den Kollegen/-innen möglich ist. Eine verlässliche Urlaubsplanung mit einer gerechten Verteilung zwischen denen, die z.B. wegen schulpflichtigen Kindern) auf bestimmte Urlaubszeiten angewiesen sind, und denen, bei denen dies nicht der Fall ist, sollte selbstverständlich sein. Die Erfüllung von Arbeitszeitwünschen kann man messen. Ein hoher Erfüllungsgrad, bei dem auch die Erfüllung oder Nichterfüllung gerecht verteilt wird auf die einzelnen Beschäftigten, ist ein guter Indikator für Mitarbeiterzufriedenheit. Energieeffizienz der Betriebe Energieeffiziente Rechner und Beleuchtung sind umweltfreundlicher und entlasten die Natur. Nutzung derselben Rechner durch verschiedene Mitarbeiter durch gute Organisation der Schichten kann zudem die Umwelt entlasten (weniger Rechner = weniger Stromverbrauch und weniger Elektromüll). Anhand der geplanten Änderung des „Gesetzes über Energiedienstleistungen und Energieeffizienzmaßnahmen“ (EDL-G) sollen Betriebe ab 2016 Energieaudits nach DIN EN 16247 durführen. Energieeffiziente Wirtschaft kann auch in den Call Centern zur Verbesserung der ökonomischen Situation beitragen. 5. Empfehlungen an die Politik des Landes Brandenburg In Anlehnung an die Ansätze zur Verbesserung der Situation könnte die Landespolitik in Brandenburg folgende Punkte auf ihre Agenda der Sicherung von Arbeitsplätzen in der Call Center Branche in Brandenburg bringen: 1. Von einem reinen Preiswettbewerb zum Qualitätswettbewerb Dies muss mit politischen und rechtlichen Maßnahmen unterstützt werden (z.B. Zertifizierung). 2. Landesförderung muss an Bedingungen geknüpft werden Die Förderung in Brandenburg ist bereits an Bedingungen geknüpft (Anzahl und Laufzeit der SV-Arbeitsplätze). Die vorhandenen Bedingungen sollen unter dem Gesichtspunkt Schaffung nachhaltiger qualitativer Arbeitsplätze im Land Brandenburg überprüft werden. 3. Gütesiegel/Zertifizierung im Land Brandenburg Einheitliche Standards nicht nur landes-, sondern bundes- und europaweit könnten dem Preis- und Lohndumping entgegenwirken. 23 4. Branchentarifvertrag Ein Branchentarifvertrag ist dringend notwendig, um mehr Regulierung in die Branche reinzubringen. 5. Gesundheitsschutz im Vergabegesetz Der Arbeits- und Gesundheitsschutz muss dringend einen wichtigen Stellenwert im Vergabegesetzt einnehmen. Es handelt sich hier um solche Regelungen, wie Bildschirmpausen, die nicht in allen Unternehmen eingehalten werden bzw. Rüstzeiten die auch nicht alle mit zu der Arbeitszeit einrechnen. Diese Detailregelungen sollen für alle gleich sein, damit kein Unternehmen wegen der Einhaltung des Gesundheitsschutzes in Bezug auf seine Wettbewerbsfähigkeit benachteiligt wird. Unter der Schirmherrschaft des Arbeitsministeriums könnten 3-4 Partnerbetriebe gefunden werden, in denen ein Modellprojekt zu präventiven Gesundheitsmaßnahmen umgesetzt werden könnte. Am Anfang würde die Gefährdungsbeurteilung und die Erfassung des Ist – Krankenstandes stehen. Mit Unterstützung der Berufsgenossenschaft, Krankenkassen etc. wären dann präventive Gesundheitsmaßnahmen im Unternehmen umzusetzen. Im Ergebnis steht dann die erzielte Wirkung auf die Gesundheitsquote. Auch ein Wettbewerb unter den Betrieben wäre denkbar, um die Akzeptanz zu erhöhen. Sollte das Modellprojekt Erfolg haben, sind daraus Schlüsse für das weitere Vorgehen, z. B. auf die ebenfalls aufgelistete Thematik Führungskräfte, auch deutschlandweit zu ziehen und in politische Vorhaben umzumünzen. Inwieweit die Landespolitik der Idee der Einflussnahme von Arbeitnehmerorganisationen auf die Überarbeitung der EN 15838 Vorschub leisten kann, ist den Projektteilnehmern nicht bekannt. Deswegen lautet der Vorschlag, dass zu diesem Thema ein gesondertes Gespräch mit dem Brandenburger Arbeitsministerium stattfinden sollte, in dem die Vorstellungen der Arbeitnehmervertreter vorgetragen werden können und ein Ausloten der vorhandenen Möglichkeiten stattfindet. 24 6. Danksagung In der 14-monatigen Laufzeit des Projektes „Call Center – Gegenwart und Zukunft. Transnationaler Erfahrungsaustausch“ haben wir Informationen und Auswertungen über die Call Center Branche gesammelt. Während der im Rahmen des Projektes organisierten Veranstaltungen (Studienreisen nach Polen und nach Österreich, 2 Workshops und 2 Konferenzen), dank Engagement der Teilnehmer, ist es uns gelungen die Gegenwart der Branche zu erfassen und die Defizite, besonders aus der Sicht der Arbeitnehmer, zu definieren. Für den außerordentlich wertvollen Beitrag, mitgebrachtes Wissen und Erfahrungen, auch für die geopferte Zeit, möchten wir uns recht herzlich bei den Teilnehmern unserer Veranstaltungen bedanken. Ein besonderes Dankeschön richten wir an die Projektpartner: Jörg Kiekhäfer und Helge Biering von ver.di , Landesbezirk Berlin-Brandenburg Frank Techen, DGB, Landesbezirk Berlin-Brandenburg Harry Wassermann, SNT Deutschland Ernst Misar, GPA-djp, Österreich Iwona Hickiewicz, Polnische Arbeitsinspektion in Warschau, Anna Matuszczak in Poznan SKPT Solidarność: Elżbieta Pacuła, Joanna Kozak, Renata Sadowska-Kosiacka, Łukasz Mickiwiecz, Hubert Orłowski Wir danken zudem allen Referenten, Dolmetschern und Mitarbeitern der Veranstaltungstechnik, ohne die ein guter Verlauf der Veranstaltungen nicht möglich wäre. Ein besonderes, herzliches Dankeschön richten wir an den Kanzler der Universität Viadrina,, Herrn Christian Zens und an den Geschäftsführer der Viadrina School of Management gGmbH, Herrn David Furmanek für die Unterstützung des Projektes. Projektteam Izabela Glišić Waldemar Buchta 25 7. Kurz über die Autoren Izabela Glišić (35), hat Kulturwissenschaften studiert und anschließend für mehrere internationale Projekte im deutsch-polnischen Kontext gearbeitet. Sie hat das Projekt „Arbeitsplatz Call Center" geleitet, inhaltliche und organisatorische Maßnahmen koordiniert und die Abrechnungen geführt. Sie hat sich stark in die Erstellung eines Folgeantrags zur Einführung eines europaweiten Gütesiegels für Call Center engagiert. Jörg Kiekhäfer (51) ist Gewerkschaftsekretär bei ver.di – Landesbezirk Berlin-Brandenburg, Fachbereich 09 (Telekommunikation, Datenverarbeitung). Im Projekt hat er sich besonders auf das Thema Zertifizierung der Call Center konzentriert. Er hat inhaltliche Ausrichtung des Projektes „Arbeitsplatz Calll Center“ mitgeprägt und sich stark für ein Folgeprojekt eingesetzt. Helge Biering (35) ist Gewerkschaftsekretär bei ver.di- Landesbezirk Berlin-Brandenburg, Fachbereich 13 (Call Center, Touristik, Zeitarbeit und Jugend). Im Projekt hat er sich besonders mit den Themen Betriebsvereinbarungen, Work-Life Balance (Vereinbarkeit Beruf und Familie) und anderer Themen in Bezug auf Verhandlungen mit den Arbeitgebern auseinandergesetzt. Waldemar Buchta (58), ehemaliger Mitarbeiter der Stadtverwaltung Slubice (PL) im Rahmen des EUProjektes SEMS über erneuerbare Energien. Im Projekt war er für Organisationsmaßnahmen, Referenten- und Teilnehmerakquise und inhaltliche Arbeit verantwortlich. Frau Glišić und Herr Buchta repräsentieren VSM – Viadrina School of Management gGmbH. Die Viadrina School of Management bildet die Dachmarke aller Einrichtungen der Europa-Universität Viadrina, die sich mit Weiterbildung beschäftigen. Sie stellt sicher, dass ein wissenschaftlich fundierter Wissenstransfer zu Unternehmen und Organisationen stattfindet. Die Viadrina School of Management arbeitet partnerschaftlich mit öffentlichen und privaten Institutionen zusammen und versteht sich als internationales Wissenschafts- und Begegnungszentrum, welches den Wissens- und Erfahrungsaustausch fördert. Die Viadrina School of Management bietet für ihre Kooperationspartner Serviceleistungen zur Durchführung ihrer Aufgaben an und unterstützt die Weiterbildungsmaßnahmen der EuropaUniversität Viadrina zur Stärkung von Wirtschaft und Gesellschaft mit besonderen Berücksichtigung der Grenzregion. Herr Kiekhäfer und Biering vertreten die Gewerkschaft ver.di, Landesbezirk Berlin-Brandenburg. Mit ver.di leisten sich über zwei Millionen Mitglieder, für ein Prozent ihres Bruttoverdienstes, eine Organisation, die sie über ihre Rechte informiert und berät, in Betriebs- und Personalräten vertritt, Gehälter und Arbeitsbedingungen aushandelt und, falls nötig, auch Streiks organisiert und solange Streikgeld zahlt, bis ein akzeptables Ergebnis erreicht ist. Dafür arbeiten Tausende haupt- und ehrenamtlich in Betrieben und Ortsvereinen, in 84 Bezirks-, 11 Landesgeschäftsstellen und der Berliner Bundesverwaltung. 26 Anhang 1 Kurzfassung der Norm EN 15838 1) Inhalte Erstzertifizierungsaudit: Überprüfung der - Managementstrategie Mission Zielsetzung Qualitätsziele Interviews mit leitendem Management - operativen Rollen und Verantwortlichkeiten Interview mit dem für Personalwesen verantwortlichen - Prozess der Einstellung von Agenten Interview mit dem Personalverantwortlichen - Ausbildungspläne und –programme, Ausbildungsmaterialien Aufzeichnungen durchgeführter Ausbildungen der letzten 24 Monate Interview mit Personalverantwortlichem - Arbeitsplätze der Agenten (Inspektion) und Beobachtung der Tätigkeit Interviews mit Agenten o Fragen zur Einstellung Grundausbildung laufender Ausbildung konkrete Aufgaben - technische Infrastruktur; Eignung für die DL, Kommunikationskanäle Back-Up-Systeme, Notfall- und Disaster-Recovery-Pläne Interview mit der IT 27 und Infrastruktur - Verfahren im Zusammenhang mit Kundenzufriedenheit; Beschwerdebearbeitung, Schutz der Kunden Aufzeichnungen der aktuellsten Umfrage zur Kundenzufriedenheit - Dokumentation und den Vereinbarungen des CCC mit Auftraggebern Interview mit Personal das für die Beziehungen zu den Auftraggebern zuständig ist Überprüfung des Reports an Auftraggeber der letzten 24 Monate, in Hinblick auf die Erfüllung des vereinbarten Service-Levels 2) Überwachungsaktivitäten - Überwachungsaudits finden im Abstand von 2 Jahren statt - Muss zumindest folgende Elemente umfassen: o o o o o Einstellungsverfahren Stichprobenhafte Prüfung der Kompetenz der Agenten Einhaltung der Leistungsvereinbarungen Umsetzung der Verbesserungsmaßnahmen Prüfung aller relevanten Änderungen innerhalb des CC, die die Konformität mit der EBN 15838 beeinflussen könnten o Verwendung des Konformitätszeichen 3) Auditkriterien - unsere Ansätze C4-04 Qualifikationsnachweise für MA mit Personalverantwortung C4-07 AC Verfahren bzw. Zertifizierungen für Führungskräfte C4-09 Planung und Steuerung -> Zusammenhang Forecast mit Schichtplanung u. MA Zufriedenheit durch rechtzeitige Information C4-10 Zusammenhang mit C4-09 Flexibilität versus MA Zufriedenheit/Lebensplanung, Konkurrenzdruck C5-14 Leistungsindikatoren und Qualitätsziele für Führungskräfte C5- 15 Zusammenhang mit C5-17; Einhaltung des BAG-Urteils 28 C5- 16 Karriereplanung; standardisierte MA-Umfragen; Urlaub; Mindestlohn; Zuschläge (Krankentage) ; Befristung und LuZ-Quote, gleiche Bezahlung für Festangestellte und Leiharbeiter; Grenzwerte festlegen C5-17 Arbeitnehmerdatenschutz eigene Kriterien festlegen C6- 04 CCall; Kriterien festlegen; Arbeitsumgebung des CCC CA- 01 Grenzwerte festlegen; was folgt aus den Messungen? Extra: Beschäftigungsquote von Schwerbehinderten Konkret bedeutet eine Zertifizierung nach DIN EN 15838, dass Ihr Unternehmen folgende Anforderungen erfüllt: Sie haben ein eindeutiges und klar strukturiertes Managementsystem, 29 gemäß der Aufgabenstellung ausgebildete und qualifizierte Mitarbeiter und eindeutig definierte Infrastrukturen. Ihre Prozesse sind dokumentiert, o Sie halten die Datenschutzvorgaben ein und setzen geeignete Instrumente zur Messung der Kundenzufriedenheit ein. Unterm Strich: Ihre Leistungsindikatoren betrachten alle Bereiche der Auftraggeber, Kunden und Mitarbeiter in Bezug auf Kundenkontakte, Prozesse und Infrastruktur. Nutzen Sie die Vorteile der Zertifizierung nach der DIN EN 15838: Sie schaffen Vertrauen Eine unabhängige Stelle prüft und bestätigt, dass Ihre Dienstleistung die Anforderungen der europaweiten Norm erfüllt und Ihre Qualität laufend überwacht wird. Dies schafft Vertrauen. Auch bei Ihren Kunden. Sie heben sich ab Durch eine Zertifizierung der Qualität Ihrer Dienstleistung, Prozesse und Kennzahlen beweisen Sie einen positiven Vorsprung vor den Wettbewerbern. Sie beweisen einen hohen Qualitätsanspruch Eine Zertifizierung setzt Qualität voraus. Ihren Kunden und Geschäftspartner geben Sie die Sicherheit, eine qualitativ hochwertige Dienstleistung zu erhalten. Sie sind bevorzugter Anbieter Bei der (öffentlichen) Vergabe von Aufträgen werden Zertifikate meist vorausgesetzt. Sichern Sie sich diese Chance, zu den bevorzugten Anbietern zu gehören. Sie steigern Ihren Vertriebserfolg Prüfsiegel und Zertifikat sind wirksame Marketing- und Kommunikationsinstrumente. Wir bieten Ihnen: Durchführung von Zertifizierungsaudits Ihres Customer Service Center nach der DIN EN 15838 im Auftrag der Zertifizierungsstelle AS+C Durchführung von Überwachungsaudit im Abstand von 2 Jahren im Auftrag der AS+C Voraudits zur Prüfung der Zertifizierungsreife Ihrer Customer Service Center Kompetente, Service-Center erfahrene Lead- und Fachauditoren Die Messung Ihrer Qualität und wichtige Hinweise zur Verbesserung Der Ablauf zu Ihrer Zertifizierung nach DIN EN 15838: 1. Sie stellen einen Antrag auf Zertifizierung. 30 2. Der Antrag beinhaltet eine knappe schriftliche Dokumentation über die Erfüllung der Anforderungen der DIN EN 15838. Dazu gehören z.B. Informationen über die Unternehmensstruktur, die Ausstattung und die Mitarbeiter Ihres Customer Service Centers. 3. bkr-callbusiness bestellt einen oder mehrere Fachauditoren. 4. Das Audit und Verfahren wird in Ihrem Customer Service Center durchgeführt. Zentrale Punkte sind - neben der Überprüfung von Technik und Dokumentation Interviews mit der Geschäftsführung, dem Qualitätsmanager und einigen Call-CenterAgents. 5. Nach positivem Abschluss des Audits erhalten Sie ein Zertifikat mit der Berechtigung zur Führung der Prüfsiegel „Contact Centre: Certified DIN EN 15838“ und „ON Certified Service“. Das Zertifikat hat - sofern die Bedingungen zur Aufrechterhaltung gegeben sind - eine Gültigkeit von sechs Jahren. 6. In einem zweijährigen Rhythmus werden Wiederholungsaudits durchgeführt, um die nachhaltige und durchgängige Qualität der Dienstleistung unter Beweis zu stellen. In anderen Branchen selbstverständlich, fehlte in der Call Center Branche bislang ein regelmäßiger Nachweis qualitativer Servicestandards: Viele in- und externe Customer Service Center entsprachen nicht den hohen Ansprüchen ihrer Auftraggeber: Beschwerden reichten hier von langen Wartezeiten über rechtlich fragwürdige Aktivitäten bis zu fachlich und kommunikativ minderer Kompetenz. Die Gründe waren zu starke Unterschiede in den Qualitätsniveaus, den definierten, betrieblichen Abläufen und der Handhabung von Verbraucher- und Datenschutzvorgaben. Ziel war deshalb die Normung von qualitativen Leistungsanforderungen, um den Customer Service Centern optimale, verläßlich kundenorientierte Verfahrensweisen zur Verfügung zu stellen und Kunden und Auftraggebern so einheitlich nachgewiesene, gute Qualität zu sichern. Mit der Schaffung der DIN EN 15838 ist dieses Ziel erreicht. 31 Anhang 2 Kontaktpersonen – Projektpartner Name Vorname 1 Jörg Kiekhäfer Institution Adresse Telefon Email ver.di BerlinBrandenburg +49 30 88665470 [email protected] 2 Helge Biering ver.di BerlinBrandenburg +49 30 88665619 [email protected] 3 Ernst Misar GPA-djp Wien/Ö Köpenickerstr. 30 10179 Berlin Köpenickerstr. 30 10179 Berlin AlfredDallinger-Pl. 1 1034 Wien +43 676 817111 265 [email protected] 4 Harry Wassermann SNT AG Deutschland +49 800 7682433 [email protected] 5 Elżbieta Pacuła SKPT NSSZ Solidarność +48 71342 62 46 [email protected] 6 Anna Matuszczak PIP Poznań +48 61 85 99 000 anna.matuszczak@ poznan.pip.gov.pl 7 Frank Techen DGB Ostbrandenbu rg Mainzer Landstr. 50 60325 Frankfurt(Main) ul. Pukyniego 2 50-155 Wrocław ul. Św. Marcin 46/50 61-807 Poznań Grabowstr.49 16225 Eberswalde +49 333438 29 40 [email protected] 8 Jacek Barankiewicz SMB Warszawa ul. Czerska 8/10 00-732 Warszawa +48 22 555 33 10 [email protected] 32 Anhang 3 Interessante Links www.verdi.de http://www.dgb.de/ http://www.skpt.pl/ http://www.gpa-djp.at/ http://www.snt-ag.de/ http://www.smb.pl/ http://de.wikipedia.org/wiki/EN_15838 http://www.vbg.de/ http://www.pip.gov.pl http://www.callcenterforum.at/ www.austrian-standards.at 33 Unsere Kooperationspartner: 34