Protokoll 10.12.15

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Protokoll 10.12.15
Kommunikation und Interaktion
Protokoll zur Sitzung vom 10.12.2015
„Freedom Writers“
In der letzten Seminarstunde schauten wir uns den Film „Freedom Writers“ gemeinsam an.
Ich sollte den Filminhalt nach bestimmten Kriterien analysieren. Die Aufgabenstellung von
Frau Dr. Lütjen lautete: Die methodischen Maßnahmen und pädagogischen Interventionen,
die die junge Lehrerin im Film anwendet (um den Kontakt zu ihren Schülern zu
intensivieren), heruaszufiltern.
1.
kurzer inhaltlicher Überblick
2007 wurde das vom amerikanischen Regisseur Richard LaGravenese Drama „Freedom
Writers“ verfilmt. Es basiert auf dem im Jahr 1999 geschriebenen Buch „The Freedom
Writers Diary: How a Teacher and 150 Teens Used Writing to Change Themselves and the
World around them“.
Im Mittelpunkt dieses Films steht die junge, idealistische Englischlehrerin Erin Gruwell. Sie
tritt ihre erste Stelle an High School in Long Beach, Kalifornien an. Dort wird sie
Klassenlehrerin einer neunten Klasse sowie. Der Alltag der Schüler ist geprägt von
Kriminalität, Waffen, Bandenzugehörigkeiten, Hass und dem Kampf ums tägliche Überleben.
In den Klassen und auf dem Schulhof herrschen Bandenkriege und extreme Gewalt. Der
Schulhof ist in Stammeszugehörigkeiten eingeteilt und jede Gruppe ist unter sich. Viele
Lehrer haben ihre Schüler bereits aufgegeben, bezeichnen sie als „ nicht erziehbar“ oder
„unterdurchschnittlich“. Obwohl sie keine Unterstützung vom Kollegium erhält, entwickelt sie
einen enormen Ehrgeiz, um diesen Schülern wieder eine Zukunft zu geben. Hoch motiviert
und mit ungewöhnlichen Mitteln gewinnt sie langsam das Interesse der Schüler, für ihre neue
Klassenlehrerin.
Im weiteren Verlauf möchte ich nun näher auf die Person der jungen Lehrerin und ihre pädagogischen Maßnahmen im Unterricht aufzeigen. Außerdem möchte ich näher den Lebensraum der Schüler beschreiben.
In der ersten Stunde, ist die junge Erin Gruwell zunächst völlig überfordert, weil sie mit den
extremen Situationen in der Klasse nicht gerechnet hat. Die Schüler begegnen ihr mit völliger
Missachtung und nehmen sie nicht ernst. Sie sieht sich nicht einmal in der Lage, eine
aufkommende Schlägerei zwischen zwei Schülern zu unterbinden. Ein weiteres
einschneidendes Erlebnis an ihrem ersten Tag ist ein ausgelöster Feueralarm, bei dem sie
einen bewaffneten Schüler beobachtet. Schockiert von diesen Erlebnissen ist sie fortan fest
entschlossen den Schülern zu helfen. Mit einer Vielzahl von pädagogischen Methoden,
welche ich im späteren Textverlauf erläutern werde, gelingt es ihr die Schüler zu verändern.
Wie ernst sie es meint den Kindern zu helfen und sich für sie einzusetzen wird deutlich, als
sie die Entscheidung trifft den Schülern Lektüren, von ihrem eigenen Geld, zu kaufen. Dies
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muss sie tun, da die Fachbereichsleiterin der Schulbibliothek die Buchausleihe verwehrt, mit
der Begründung, dass die Bücher doch nur defekt zurückkommen würden.
Um dies alles finanzieren zu können, entschließt sie sich dazu, einige Nebenjobs
anzunehmen. Anfangs nur für wenige Stunden am Wochenende, später an mehreren
Wochentagen. Dies bleibt für ihr Privatleben nicht ohne Folgen. Je mehr Zeit sie in die
Schüler und ihr Vorhaben investiert, desto weniger Zeit hat sie für ihren Mann, der sich
schließlich auch von ihr trennt.
Hervorheben möchte ich auch die besondere Beziehung zu ihrem Vater. Zunächst war er
von dem Vorhaben seiner Tochter, Lehrerin an der Wilson High School zu werden, nicht
begeistert und gibt ihr den Rat die Schule zu wechseln, um keine unnötige Energie in solche
„Problemkinder“ zu investieren. Doch gerade er unterstützt sie im weiteren Verlauf des
Films. Er holt beispielsweise die Kinder von Zuhause ab, um sie zu Exkursionen zu bringen,
die seine Tochter organisiert.
Der Lebensraum der Schüler ist vor allem geprägt durch Hass, Gewalt und Missachtung
anderer. Für die Schüler ist es Alltag sich mit dem Tod und dem puren Überleben
auseinanderzusetzten.
In der Klasse und auf dem Schulhof zeigen sich klare Grenzen zwischen den verschiedenen
Herkunftsländern der Schüler. Übertritt jemand diese Grenzen, endet dies meist in einer
Schlägerei. In ihren Gangs fühlen sich die Schüler sicher. Sie haben das Gefühl, sich unter
Gleichen zu befinden und somit auch bei Übergriffen immer jemanden an ihrer Seite zu
haben.
Jeder Schüler hat seine ganz persönliche Leidensgeschichte.
Zum Bespiel die junge Latina, Eva Benitez. Sie lebt in einer Familie, in der sie keine Liebe
oder Beachtung geschenkt bekommt. So sitzt ihr Vater schuldlos im Gefängnis. Sie musste
als kleines Kind den Mord an ihrem Nachbarn, einem Ladenbesitzer beobachten und einem
Schwarzen erleben. Aus Selbstschutz und Angst schwieg sie bei der Polizei, obwohl sie den
Täter kannte. Hätte sie sonst doch selbst zum Opfer werden können.
Ein weiterer Mitschüler erzählt von einem Erlebnis aus seiner Kindheit. Sein bester Freund
und er spielt als Kinder mit einer Waffe, als sich plötzlich ein Schuss löst und seinen Freund
tödlich verletzt. Da für die Polizei nur er als Täter in Frage kommt, muss er wie viele seiner
Mitschüler, als Kind für einige Zeit ins Gefängnis.
Ebenso traurig ist die Geschichte von einem Schüler, der in einem Tagebucheintrag von
seinem schlimmsten Sommer und der Obdachlosigkeit erzählt und seiner Mutter, die ihm
keine Beachtung mehr schenkt.
Im nächsten Abschnitt möchte ich nun auf die Unterrichtsmethoden und die angewandten
pädagogischen Konzepte von Miss Gruwell eingehen, durch die sie einen Zugang zu den
Schülern findet.
Um den Kindern die Lyrik näher zu bringen, versucht sie den Zugang zu den Schülern mit
einem Text von dem amerikanischen Rapper 2Pac zu finden, da dieser bei allen Schülern
gegenwärtig und bekannt ist. Die Schüler werfen ihr jedoch vor, dass sie als Lehrerin keine
Ahnung von Rappen und Rap-Songs hat. So werden die nächsten Tage alles andere als
einfach für die junge Lehrerin, denn sie scheitert immer wieder vor der Klasse. Sie gibt
jedoch nicht auf und im weiteren Verlauf wird deutlich, dass sie nach und nach das
Vertrauen der Schüler gewinnt.
Besonders deutlich wird dies in der Stunde, in der die Lehrerin eine fremdenfeindliche
Karikatur von einem schwarzen Schüler einsammelt. Diesen Vorfall nimmt sie als Anlass, um
auf den Holocaust aufmerksam zu machen. Doch dieser Begriff ist nur wenigen Schülern in
der Klasse bekannt.
Erin Gruwell gelingt es den Schülern zu deutlichen, was sie mit solchen Bildern bewirken
können. Dabei bezieht sie sich auf das dritte Reich. Für sie ist das Bild wie Propaganda von
den Nationalsozialisten, die solche Bilder veröffentlich hatten, um die Bevölkerung gegen die
Juden aufzuhetzen. Die Lehrerin zieht den Vergleich zwischen dem Regime im dritten Reich
und den Gangs, im Leben der Schüler. Sie macht ihnen deutlich, wozu das permanente
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Streben nach Macht und die Fremdzuweisung der eigenen Fehler (Suche nach einem
„Sündenbock“), führen kann. Es wird den Schülern klar, welche Auswirkungen ihr Verhalten
auf das Leben anderer Menschen haben kann.
Den Begriff des Holocaust kennen ebenfalls nur wenige Schüler der Klasse.
Aber jetzt ist es der Lehrerin gelungen das Interesse der Schüler für ihren Unterricht zu
wecken, sie stellen sogar Fragen ( wird als Lehrerin wahrgenommen). Auch die
Lebenswelt der Schüler wird für die junge Lehrerin begreifbarer, als sie am Ende der Stunde
fragt, auf wen schon alles geschossen wurde. Auf diese Frage meldet sich die gesamte
Klasse.
Das „Linienspiel“ in der nächsten Unterrichtsstunde ist ein weiteres Schlüsselerlebnis.
Dabei zieht sie eine Linie durch den ganzen Klassenraum (die Schüler stehen sich nun
genau gegenüber). Miss Gruwell stellt den Schülern bestimmt Fragen und diese müssen
sich je nach Antwort, an die auf dem Boden markierte Linie stellen. Beantworteten die
Schüler die Fragen mit „Ja“ stellten sich die Schüler direkt an die Linie; bei „Nein“ treten sie
ein paar Schritte zurück. Die Fragen der jungen Lehrerin beziehen sich anfangs ganz
bewusst auf oberflächliche Themen, wie Musikalben. Später liegt dann der Fokus der Fragen
auf der Umwelt der Schüler und ihren Erlebnisse im alltäglichen Leben (
Gefängnisaufenthalte, Beschaffung von Drogen). Den Höhepunkt bildet ihre letzte Frage. Sie
bezieht sich auf den Verlust von Freunden oder Familienmitgliedern, die durch Bandenkriege
umgekommen sind. Den Schülern wird vor Augen geführt, wie viele Gemeinsamkeiten sie
mit ihren Mitschülern haben und sie alle das Gleiche durchleben.
Um ihre alltäglichen Probleme und Sorgen verarbeiten zu können, führt Miss G. ein
Tagebuch ein, in dem jeder Schüler seine Gedanken und sein Erlebtes aufarbeiten kann. Sie
verzichtet dabei ganz bewusst auf Noten. Außerdem liest sie das Tagebuch nur, wenn dies
der ausdrückliche Wunsch der Schüler ist. Die einzige Bedingung, die sie den Schülern stellt
ist, dass sie jeden Tag einen Eintrag ins Tagebuch schreiben müssen; Textlänge und Form
können die Schüler selbst bestimmen.
Wie der Verlauf des Filmes zeigt, wird das Angebot von den Schülern begeistert
angenommen und alle schreiben in ihre Tagebücher. Hinzu kommt, dass die Schüler ihrer
Lehrerin mittlerweile so sehr vertrauen, dass Miss G. die Tagebücher lesen darf und somit
erhält diese einen tiefen und ergreifenden Einblick in das Leben der Jugendlichen. Die
Geschichten der Schüler bewegen sie sehr, lernt sie so doch den traurigen und
gewaltbesetzten Alltag ihrer Schüler kennen.
Um den Schülern die Thematik des dritten Reichs und des Holocaust noch näher zu bringen,
unternimmt sie mit den Schülern einen Ausflug in das Simon Wiesenthal Center und
organisiert ein Essen, mit Überlebenden des Holocaust. Für dieses Vorhaben wird sie
zunächst von vielen Kollegen belächelt, doch für die Schüler ist dieser Ausflug eine Flucht
aus ihrem alltäglichen Leben.
Das nächste Schuljahr beginnt Miss G. mit einem „Sektempfang“ und der Vorstellung der
neuen Lektüren für das kommende Schuljahr. Darunter befindet sich unter anderem das
Tagebuch der Anne Frank. Mit Hilfe dieses Buches soll den Schülern deutlich werden, dass
auch sie die Möglichkeiten haben, später ein normales Leben zu führen. Die Geschichte um
Anne Frank soll den Schülern verdeutlichen, auch für sie wird es sich lohnen, für ihre Ziele
zu kämpfen und sich für Gerechtigkeit einzusetzen. Das Buch soll die Schüler motivieren, in
ihrem Leben Veränderungen vorzunehmen.
In dieser Stunde wird deutlich in wie weit der Unterricht von Miss G. auf die Schüler
eingewirkt hat. Die Schüler treffen Aussagen wie „ Ich möchte 18 werden“ oder „ Ich möchte
nicht sterben“. Durch ihre Konzepte und ihr Engagement hat die Lehrerin es geschafft aus
einer Klasse, mit vielen unterschiedlichen ethnischen Gruppen, eine multikulturelle
Gemeinschaft zu formen.
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Im weiteren Verlauf möchte ich nun auf das von, Paulo Freire (ein in Theorie und Praxis
einflussreicher brasilianischer Pädagoge), entwickelte Konzept „die Pädagogik der
Unterdrückten“ eingehen. Denn es gibt viele Parallelen in der Vorgehensweise von Miss G.
und dem Konzept von Freire.
Bei ihm steht besonders das „Warum“ im Mittelpunkt.
Den Schülern soll bewusst gemacht werden warum ihre Situation so ist, wie sie ist.
Er legt höchsten Wert auf eine problemformulierende Bildung. Im Zentrum stehen hier die
kritische Reflexion des Einzelnen, mit deren Hilfe es zu Problemlösungen kommt und
anschließend Prozesse der Veränderung hervorzurufen.
Er legt großen Wert auf die Kommunikation zwischen Lehrer und Schüler, bei der die
Lebensprobleme der Schüler die Ausgangslage für den Dialog darstellen.
Freire zielt auf eine „kritische Bewusstwerdung“ der Schüler ab, um somit eine Veränderung
ihrer Lebenssituation hervorzurufen.
Er gliedert sein Konzept bzw. Methode in drei Phasen. (vgl. Lütjen 2009)
Die 1. Phase: das naiv-transitive Bewusstsein: Der Mensch denkt, er könne seine
Situation nicht mehr ändern. Er ist der Meinung, dass die Welt, so wie sie ist, von Gott so
gewollt ist. Seine Erfahrungen sind sehr begrenzt.
Diese Phase wird ganz am Anfang des Filmes deutlich. Die Schüler leben in ihren Gangs,
sind gewalttätig und kriminell. Sie kennen nur das Leben, das sie von ihren Familien und
Freunden vorgelebt bekommen. Sie fassen ihre Situation als normal auf und sind somit auch
nicht motiviert, etwas an ihrem Leben zu verändern.
Die 2. Phase: das semi-transitive Bewusstsein: Durch den Dialog mit Mitmenschen wird
den Personen ihre Umwelt und die damit verbundenen Widersprüche bewusst.
Diese Phase wird im Film klar, als die junge Lehrerin die Frage in den Raum stellt, auf wen
schon einmal geschossen wurde, woraufhin sich alle Schüler in der Klasse melden. Diesen
Anlass nimmt sie, um das Linienspiel zu spielen. In diesem Spiel sind die Schüler gefordert
in einen Dialog zu treten und sich ihren Problemen zu stellen. Hinzu kommt, dass die Jugendlichen erstmals in nahen körperlichen Kontakt zueinander treten, ohne dass Gewalt
angewendet wird. Neben diesem Dialog, der in der ganzen Klasse stattfindet, stellt das
Tagebuch eine weitere Möglichkeit dar, dass die Schüler sich mit sich selbst und ihrer
Lebenssituation zu beschäftigen. Die Kommunikation mit anderen Menschen und deren
Probleme (Gespräche mit Überlebenden des Holocaust) veranlassen die Schüler über ihre
Lebenswelt kritisch nachzudenken und viele Situationen zu reflektieren.
Die 3. Phase: das kritisch-transitive Bewusstsein: Der Mensch nimmt seine Missstände
in seinem Leben wahr und reflektiert diese kritisch. Er schafft es Lösungen für seine
Probleme zu entwickeln. Dieses Bewusstsein wird in der Klasse besonders nach den
Sommerferien deutlich. Alle Schüler der Klasse begrüßen sich gegenseitig und freuen sich
zu sehen. Vor einem Jahr, als Miss G. das erste Mal in der Klasse war, wäre dies noch
undenkbar gewesen. Die Schüler finden Lösungen für ihre Probleme und schaffen es aus
ihrem alten Leben auszubrechen, um einen Neuanfang zu beginnen.
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Quellen
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http://userpages.uni-koblenz.de/~luetjen/ (Zugriff: 15.12.2016 22:00 Uhr)
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