Langfassung der Bemerkung Nr. 85

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Langfassung der Bemerkung Nr. 85
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Neue Entscheidung zur Besteuerung des Anpassungsgeldes notwendig
Kat. B
(Kapitel 6001 Titel 012 01)
85.0
Entlassene Beschäftigte des Steinkohlenbergbaus erhalten ein steuerfreies Anpassungsgeld. Vergleichbare Leistungen wie Abfindungen, Arbeitslosen- und Kurzarbeitergeld werden mittlerweile besteuert oder erhöhen den Steuersatz für andere Einkünfte. Der Bundesrechnungshof hält es für erforderlich, den Gesetzgeber hierüber
zu unterrichten.
85.1
Entlassene ältere Beschäftigte des Steinkohlenbergbaus erhalten ein steuerfreies
Anpassungsgeld. Es soll sie nach ihrer Entlassung sozial absichern, bis sie ein vorgezogenes steuerpflichtiges Ruhegehalt beziehen. Das Anpassungsgeld wird bis zu
fünf Jahre gezahlt. Es soll den notwendigen Abbau von Arbeitsplätzen im Bergbau
bei Zechenschließungen flankieren.
Die Kosten für das Anpassungsgeld tragen der Bund sowie die Länder NordrheinWestfalen und Saarland. Rund 13 000 Empfänger erhalten durchschnittlich 1 100
Euro Anpassungsgeld monatlich. Die Bergbauunternehmen garantieren den Empfängern ein Monatseinkommen von 1 449 Euro. Sofern das Anpassungsgeld dieses
Garantieeinkommen nicht erreicht, zahlen die Bergbauunternehmen einen Zuschuss.
Als der Gesetzgeber das Anpassungsgeld im Jahr 1972 einführte, stellte er es steuerfrei (§ 3 Nummer 60 Einkommensteuergesetz). Damals waren auch andere vergleichbare Leistungen steuerfrei. Dies hat sich geändert:
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Seit dem Jahr 1982 unterliegen Lohnersatzleistungen, beispielsweise das Arbeitslosen- und Kurzarbeitergeld, dem Progressionsvorbehalt. Das bedeutet,
dass diese Leistungen zwar steuerfrei sind. Sie wirken sich jedoch auf den
Steuersatz aus, der auf die übrigen Einkünfte der Empfänger anzuwenden ist.
Dieser Steuersatz kann sich dadurch erhöhen. Damit sollen Steuervorteile verringert werden, die Empfänger von Lohnersatzleistungen gegenüber Personen
mit gleich hohen steuerpflichtigen Einkünften haben.
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Einige Arbeitnehmer erhalten eine Abfindung, wenn ihr Arbeitsverhältnis aufgelöst wird; sie müssen sie seit dem Jahr 2006 versteuern.
Der Bundesrechnungshof untersuchte die Steuerfreiheit des Anpassungsgeldes. Es
kann nach seinen Erkenntnissen steuerrechtlich als Lohnersatzleistung oder als Abfindung eingeordnet werden. Lohnersatzleistungen ersetzen entgehenden Arbeitslohn und dienen dazu, die Empfänger sozial abzusichern. Ebenso verhält es sich
beim Anpassungsgeld. Es ist aber auch mit einer Abfindung für die Auflösung des
Arbeitsverhältnisses vergleichbar, die in Raten ausgezahlt wird. Denn das Anpassungsgeld tritt an die Stelle des künftigen Arbeitslohns.
Der Bundesrechnungshof stellte bei seinen Stichproben fest, dass nahezu alle Empfänger von Anpassungsgeld auch steuerpflichtige Einkünfte hatten. Insbesondere waren dies Arbeitslohn des Ehegatten oder ein vorgezogenes Teilruhegehalt. Wenn das
Anpassungsgeld dem Progressionsvorbehalt unterliegen würde, hätte sich der Steuersatz für diese weiteren Einkünfte erhöht. Würde das Anpassungsgeld wie eine
Abfindung behandelt, wäre es selbst zu besteuern. Ein lediger Empfänger ohne Kinder hätte in diesem Fall für das jährliche Garantieeinkommen rund 1 120 Euro Einkommensteuer zu zahlen.
Das Bundesfinanzministerium hatte das Anpassungsgeld steuerrechtlich nicht eingeordnet. Es hatte nicht geprüft, ob die Rechtsänderungen für die Lohnersatzleistungen
und die Abfindungen auch beim Anpassungsgeld nachzuvollziehen waren.
85.2
Der Bundesrechnungshof hat es für fraglich gehalten, dass die steuerliche Privilegierung der Empfänger von Anpassungsgeld gegenüber Arbeitnehmern mit Abfindung oder Empfängern von Arbeitslosen- und Kurzarbeitergeld sachlich gerechtfertigt
ist. Er hat Zweifel, ob der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit beachtet ist. Danach müssen gleiche Sachverhalte zu einer gleichen
Steuerbelastung führen. Aus Sicht des Bundesrechnungshofes ist es notwendig,
dass das Bundesfinanzministerium auch das Anpassungsgeld steuerlich einordnet.
Dies ist aus Gründen der Gleichbehandlung geboten. Er hat dem Bundesfinanzminis-
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terium daher empfohlen, das Anpassungsgeld steuerlich einzuordnen und einen Gesetzentwurf vorzulegen.
85.3
Das Bundesfinanzministerium hat mittlerweile das Anpassungsgeld als Lohnersatzleistung eingeordnet. Die Steuerfreiheit solle wegen der fortbestehenden sozialpolitischen Zielsetzung jedoch unverändert beibehalten wer- den. Dies habe es mit dem
für die Förderung zuständigen Bundeswirtschaftsministerium abgestimmt. Der Bund
sowie die Länder Nordrhein-Westfalen und Saarland hätten sich darauf verständigt,
die subventionierte Steinkohlenförderung sozialverträglich auslaufen zu lassen. Das
Anpassungsgeld sei dafür eine wesentliche Voraussetzung. Außerdem werde es
letztmalig im Jahr 2027 ausgezahlt.
85.4
Der Bundesrechnungshof hält an seiner Empfehlung fest. Das Bundesfinanzministerium hat das Anpassungsgeld als Lohnersatzleistung eingeordnet. Es sollte den
Gesetzgeber darüber und über die Änderungen zur Besteuerung vergleichbarer Leistungen informieren. Denn der Gesetzgeber hat bei Einführung des Anpassungsgeldes nicht darüber entschieden, ob es steuerlich bessergestellt sein soll. Er hat vielmehr das Anpassungsgeld wie vergleichbare Leistungen, z. B. das Arbeitslosenoder Kurzarbeitergeld, behandelt, die damals ebenso wie Abfindungen steuerfrei
waren. Inzwischen aber unterliegen die Lohnersatzleistungen dem Progressionsvorbehalt und Abfindungen sind steuerpflichtig. Dem Gesetzgeber sollte deshalb die
Gelegenheit gegeben werden zu entscheiden, ob die Gründe des Bundesfinanzministeriums eine steuerliche Besserstellung des Anpassungsgeldes rechtfertigen.