Vorstossantwort Motion Blanchard/Hadorn

Transcrição

Vorstossantwort Motion Blanchard/Hadorn
Kanton Bern
Canton de Berne
Parlamentarische Vorstösse
Interventions parlementaires
Vorstoss-Nr:
Vorstossart:
182-2012
Motion
Eingereicht am:
03.09.2012
Eingereicht von:
Blanchard (Malleray, SVP)
Hadorn (Ochlenberg, SVP)
Weitere Unterschriften:
24
Dringlichkeit:
Ja
Datum Beantwortung:
RRB-Nr:
Direktion:
19.12.2012
1816/2012
STA
(Sprecher/ -in)
06.09.2012
Jurafrage: Nein zu individuellen Gemeindeabstimmungen!
Im Rahmen der laufenden Revision des Sonderstatutsgesetzes (SStG) ist Artikel 58a Absatz 1 durch einen zweiten Satz mit folgendem Wortlaut zu ergänzen:
«Lehnen die Stimmberechtigten der Verwaltungsregion Berner Jura es ab, den Regierungsrat mit diesem Verfahren zu beauftragen, ist der Regierungsrat nicht an die Pflicht
gebunden, gesetzliche Grundlagen vorzulegen, die einen individuellen Anschluss von
bernjurassischen Gemeinden an den Kanton Jura ermöglichen.»
Begründung:
Mit dem in Artikel 9 der Absichtserklärung der Regierungen der Kantone Bern und Jura
vorgesehenen Gemeindeabstimmungsverfahren besteht die Gefahr, dass der Berner Jura
auseinanderbricht. Es ist daher nicht nachvollziehbar, dass sich der Regierungsrat verpflichtet hat, Rechtsgrundlagen zu schaffen, um einzelnen Gemeinden einen Kantonswechsel zu ermöglichen.
Die Bestimmungen des geltenden Rechts, namentlich Artikel 53 der Bundesverfassung,
genügen. Sollte eine Gemeinde den Wunsch nach einem Kantonswechsel verspüren,
kann sie jederzeit darum ersuchen, insbesondere, wenn das Gemeindereglement es ihr
erlaubt, ihre Bevölkerung diesbezüglich zu befragen. Wird die in Artikel 9 der Absichtserklärung vorgesehene Pflicht ausgeschlossen, bleiben der Regierungsrat und vor allem der
Grosse Rat frei, einem solchen Ersuchen stattzugeben oder nicht. Sie werden dann gegebenenfalls eine ausführliche politische Analyse vornehmen können, sollte ein solches Gesuch tatsächlich eingereicht werden.
Antwort des Regierungsrates
Die derzeit laufende Teilrevision des Gesetzes vom 13. September 2004 über das Sonderstatut des Berner Juras und über die französischsprachige Minderheit des zweisprachigen Amtsbezirks Biel (Sonderstatutsgesetz, SStG; BSG 102.1) bezweckt die Schaffung
der Rechtsgrundlagen, die für die Durchführung einer Volksabstimmung in der VerwalGeschäfts-Nr.: 2012.1147
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tungsregion Berner Jura erforderlich sind. Sie betrifft somit einzig und allein die Befragung
der gesamten bernjurassischen Bevölkerung, ob ein Verfahren eingeleitet werden soll, das
in die Gründung eines neuen, aus dem Berner Jura und dem Kanton Jura bestehenden
Kantons münden könnte.
Es besteht somit kein direkter materieller Bezug zwischen dieser regionalen Volksabstimmung und allfälligen künftigen Abstimmungen auf Gemeindeebene. Die laufende Teilrevision des Sonderstatutsgesetzes sieht auch keine Bestimmungen im Zusammenhang mit
allfälligen Gemeindeabstimmungen vor. Das Sonderstatutsgesetz gilt im Übrigen für den
Berner Jura in seiner Gesamtheit und nicht für einzelne bernjurassische Gemeinden (Art. 1
Abs. 1 SStG). Allfällige Gemeindeabstimmungen könnten somit nicht im SStG geregelt
werden.
Gemäss Artikel 53 Absatz 3 der Bundesverfassung (BV, SR 101) bedürfen Gebietsveränderungen zwischen den Kantonen der Zustimmung der betroffenen Bevölkerung und der
betroffenen Kantone sowie der Genehmigung durch die Bundesversammlung. Der Übertritt einer Gemeinde von einem Kanton zu einem anderen Kanton stellt eine solche Gebietsveränderung im Sinne der Bundesverfassung dar. Der Wille einer Gemeinde nach
einem Kantonswechsel muss somit durch die Stimmberechtigten der Gemeinde selbst
zum Ausdruck gebracht werden. In den beiden betroffenen Kantonen müsste die Vorlage
durch die Stimmberechtigten jedes Kantons genehmigt werden. Die geltende kantonale
Gesetzgebung sieht für den Fall, dass eine bernische Gemeinde um einen Kantonswechsel ersuchen würde, keine spezifische Verfahrensnorm vor. Sollte ein solcher Fall eintreten, müsste der Grosse Rat die in seiner Zuständigkeit liegenden Massnahmen treffen.
Die Absichtserklärung über die Durchführung von Volksabstimmungen im Kanton Jura und
im Berner Jura über die institutionelle Zukunft der interjurassischen Region, welche die
Regierungen der Kantone Bern und Jura am 20. Februar 2012 unterzeichnet haben, verpflichtet nur die beiden Regierungen.
Mit der Unterzeichnung der Absichtserklärung vom 20. Februar 2012 hat sich der Regierungsrat gegenüber dem Kanton Jura bereit erklärt, dem Grossen Rat die Schaffung der
Rechtsgrundlagen für die Durchführung von Abstimmungen zu beantragen, die für den
Übertritt bernjurassischer Gemeinden zu einem anderen Kanton nötig sind, sollte eine
Gemeinde darum ersuchen. Der Regierungsrat gedenkt, an dieser Verpflichtung festzuhalten.
Der von den Motionären verlangte Zusatz zur Sonderstatutsgesetzesänderung ist somit
abzulehnen, einerseits, weil er materiell in keinem direkten Bezug zur Gesetzesänderungsvorlage steht, andererseits, weil er gegen die in der Absichtserklärung verankerte
Verpflichtung des Regierungsrates gegenüber dem Kanton Jura verstösst.
Antrag:
Ablehnung der Motion
An den Grossen Rat
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Ergänzung zur Antwort des Regierungsrates (Beschluss vom 19.12.2012)
Der Grosse Rat hat die Motion am 29. November 2012 mit 67 zu 64 Stimmen angenommen. Da die Deputation eine separate Stimmenauszählung verlangt und die Motion mit 11 zu 5 Stimmen abgelehnt hat, wurde das Geschäft im Sinne von Artikel 34
Absatz 2 der Geschäftsordnung für den Grossen Rat vom 9. Mai 1989 (GO; BSG
151.211.1) an den Regierungsrat zurückgewiesen.
Grossrat Blanchard verteidigte seine Motion im Ratsplenum namentlich mit dem Argument, der Grosse Rat gehe das Risiko eines Auseinanderbrechens des Berner Juras ein,
wenn er die individuellen Gemeindeabstimmungen akzeptiere. Diesem Votum schlossen
sich mehrere Fraktionsprecherinnen und Fraktionssprecher an, namentlich Grossrätin
Graber (SVP-Fraktion) sowie die Grossräte Siegenthaler (BDP-Fraktion) und Schneiter
(EDU-Fraktion). Für Grossrat Amstutz (Fraktion Grüne) zerstört diese Motion das bisher
Erreichte. Dieser Meinung waren auch Grossrat Näf (SP-Fraktion) und Grossrat Gsteiger
(EVP-Fraktion), die die Auffassung vertraten, diese Motion sei nicht der richtige Weg und
verfolge nur das Ziel, den eingeleiteten Prozess zu bremsen. Und schliesslich sprach sich
auch Grossrat Grivel namens der FDP-Fraktion gegen eine Blockierung des Verfahrens
aus, wobei er betonte, die Abstimmung müsse wie vorgesehen 2013 durchgeführt werden.
Der Präsident der regierungsrätlichen Juradelegation, Regierungsrat Philippe Perrenoud,
der die Haltung der Regierung darlegte und einige wichtige Etappen des Juradossiers in
Erinnerung rief, bat das Parlament, die Motion abzulehnen, da die individuellen Gemeindeabstimmungen fester Bestandteil der Absichtserklärung vom 20. Februar 2012 sind.
Eine Nichteinhaltung von Artikel 9 der Absichtserklärung, der den Gemeindeabstimmungen gewidmet ist, würde seiner Meinung nach langwierige Neuverhandlungen mit der jurassischen Regierung nach sich ziehen und somit zu einer Verschiebung der Abstimmung
und zu einer Verschleppung der Beilegung des Jurakonflikts führen. Regierungsrat Perrenoud forderte das Parlament auf, den Willen der betroffenen Bevölkerung zu respektieren,
die sich über die Stellungnahmen der Deputation und des Bernjurassischen Rats mit dem
Verfahren im Sinne der Absichtserklärung vom 20. Februar 2012 klar einverstanden erklärt
hat.
Im Anschluss an die Debatte im Grossen Rat hat die von Grossrat Gsteiger präsidierte
parlamentarische Kommission am 4. Dezember 2012 die Teilrevisionsvorlage des SStG
vorberaten. Zwischen Regierungsrat und der Kommission besteht eine Differenz. Die
Kommission verlangt, dass sich das Verfahren auf eine regionale Abstimmung beschränkt.
Falls der Berner Jura in der regionalen Abstimmung das Verfahren zur Bildung eines neuen Kantons mit dem Kanton Jura verwerfen würde, lehnt die Kommission allfällige Abstimmungen in bernjurassischen Gemeinden über deren Übertritt zum Kanton Jura ab.
Damit spricht sich die Kommission gegen eine Bestimmung der von den Kantonen Bern
und Jura unterzeichneten Absichtserklärung aus. In dieser hat sich der Regierungsrat verpflichtet, dem Grossen Rat Rechtsgrundlagen vorzulegen, die das Durchführen von kommunalen und kantonalen Abstimmungen über den Übertritt dieser Gemeinden zum Kanton
Jura ermöglichen, sofern die Gemeinden innert zwei Jahren nach der Abstimmung darum
ersuchen. Der Grosse Rat erhielte in einem solchen Fall die Möglichkeit, über den Antrag
einer Gemeinde zu entscheiden. Das Recht von Gemeinden auf einen Kantonswechsel
stützt sich auf die Bundesverfassung.
Der Regierungsrat hat an seiner Sitzung vom 19. Dezember 2012 die neue Situation zur
Kenntnis genommen, die dadurch entstanden ist, dass der Grosse Rat und die Deputation
unterschiedlich über die Motion Blanchard/Hadorn abgestimmt haben. Sollte diese Situation bestätigt werden, könnte dies insofern Grund für ein Neuaufflammen der Jurafrage
werden, als die deutschsprachige Mehrheit des Kantons der Minderheit ein Szenario aufzwingt, das die Deputation klar abgelehnt hat. Der Geist, der der Vereinbarung vom
25. März 1994, dem IJV-Schlussbericht vom 4. Mai 2009 sowie der Absichtserklärung vom
20. Februar 2012 zugrunde liegt, könnte dadurch empfindlich geschwächt werden. Aus
den dargelegten Gründen und im Bestreben, die Verpflichtungen einzuhalten, die er im
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Rahmen der Absichtserklärung vom 20. Februar 2012 eingegangen ist, hält der Regierungsrat an seinem Antrag, die Motion Blanchard abzulehnen, fest.
Bezüglich der gemeindeweisen Abstimmung erinnert der Regierungsrat an das vorgesehene Verfahren: Die Konsultativabstimmung auf Gemeindeebene, die darin besteht, den
Grossen Rat innerhalb von zwei Jahren nach der Regionalabstimmung um die erforderlichen Rechtsgrundlagen zur Auslösung eines Verfahrens zu bitten, das einer Gemeinde
den Kantonswechsel ermöglicht, wird nicht durch den Kanton organisiert und folgt nicht
automatisch auf die Regionalabstimmung. Es sind die betroffenen Gemeinden selbst, die
eine solche Gemeindeabstimmung werden organisieren müssen. Und dazu muss im Gemeindereglement die Möglichkeit einer solchen Konsultativabstimmung in der Gemeinde
vorgesehen sein.
Das Einzige, wozu sich der Regierungsrat in der Absichtserklärung vom 20. Februar 2012
verpflichtet hat, ist, dass er einem entsprechenden Gesuch einer Gemeinde, das innerhalb
von zwei Jahren nach der Regionalabstimmung aus einer Volksbefragung in der Gemeinde hervorgegangen ist, nachkommen und dem Grossen Rat die für das Verfahren nötigen
Rechtsgrundlagen vorlegen wird.
Wie die Mehrheit der Deputation bleibt auch der Regierungsrat der festen Überzeugung,
dass die gemeindeweise Abstimmung ein Eckpfeiler des Dispositifs ist. Nach seiner Auffassung muss sich die Gemeinde Moutier äussern können, will man die Jurafrage lösen.
Die Gemeinde Moutier hat diesen Willen mehrfach bekundet, bereits 2009 und zuletzt am
10. Dezember 2012 in einer vom Stadtrat mit 25 zu 11 Stimmen verabschiedeten Resolution der «Entente jurassienne», mit der der Grosse Rat ersucht wird, die Annahme der
Motion Blanchard/Hadorn nicht zu bestätigen.
Ausserdem darf das Ergebnis einer allfälligen Gemeindeabstimmung in Moutier nach einem vorgängigen Nein des Berner Juras nicht bereits vorweggenommen werden. Der Regierungsrat ist überzeugt, dass der Kanton Bern auch für die Stadt Moutier attraktiv ist.
Obwohl er hinter dem Grundsatz der gemeindeweisen Abstimmungen steht, möchte der
Regierungsrat seine Verbundenheit mit der Stadt Moutier, deren Zugehörigkeit zum Kanton Bern und deren Beitrag an die Wirtschafts-, Bildungs- und Kulturlandschaft er stets
begrüsst und geschätzt hat, betonen.
Der Regierungsrat hat in der Absichtserklärung vom 20. Februar 2012 eine Bestimmung
vorgesehen, wonach für die Gemeinden eine Frist von zwei Jahren besteht, um ihr Gesuch einzureichen. Die Absichtserklärung über die Durchführung von Volksabstimmungen
im Kanton Jura und im Berner Jura über die institutionelle Zukunft der interjurassischen
Region verpflichtet nur die beiden Regierungen. Die Absichtserklärung verpflichtet die Unterzeichnerparteien in Bezug auf eine Gesamtheit von Elementen, die eine transparente
und konsistente Einheit bilden. Wird eines dieser Elemente in Frage gestellt, wie hier die
gemeindeweisen Abstimmungen, kann dies eine Verschiebung der für November 2013
vorgesehenen Abstimmung auf ein späteres Datum zur Folge haben. Der Regierungsrat
erinnert daran, dass die von ihm beantragte Vorlage zur Änderung des Sonderstatutsgesetzes auf breite Zustimmung gestossen und namentlich von der Mehrheit der Deputation
und des Bernjurassischen Rates gutgeheissen worden ist. Dasselbe gilt auch für den
Wortlaut der Absichtserklärung vom 20. Februar 2012 und das darin beschriebene Verfahren. Daraus lässt sich schliessen, dass eine Mehrheit der bernjurassischen Bürgerinnen
und Bürger hinter der von der bernischen Kantonsregierung eingegangenen Verpflichtung
steht.
Die Regierung ist der Auffassung, dass es an der Zeit ist, die Jurafrage zu lösen und das
Jurakapitel zu schliessen. Es ist im Interesse der gesamten Bevölkerung des Berner Juras, dass das Verfahren innert nützlicher Frist durchgeführt wird.
Antrag:
Ablehnung der Motion
An den Grossen Rat
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