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BERICHTE / RAPPORTS Überblick über die Rechtsprechung der Eidg. Rekurskommission für geistiges Eigentum (RKGE) im Jahre 2002 MARTIN S. SCHNEIDER* I. Einleitung II. Markenrecht 1. Absolute Ausschlussgründe 2. Relative Ausschlussgründe 3. Weitere Fragen III. Patentrecht IV. Übrige Rechtsgebiete I. Einleitung Die folgenden Ausführungen bezwecken die Darstellung der Rechtsprechung der eidgenössischen Rekurskommission für geistiges Eigentum (RKGE) im Jahre 2002. Insgesamt sind 93 Beschwerden eingegangen, was im Vergleich zum Vorjahr (64) einen erheblichen Anstieg bedeutet. Die Zahl der Erledigungen beträgt 62 (68 im Vorjahr). Einmal mehr1 standen die markenrechtlichen Entscheide – und hier diejenigen in Widerspruchssachen – ganz überwiegend im Vordergrund2. In den übrigen Rechtsgebieten, in denen die RKGE zuständig ist, hatte sich diese gerade einmal mit vier patentrechtlichen Angelegenheiten zu beschäftigen, wobei zweimal in der Sache entschieden wurde. Im Design- und Urheberrecht bzw. in Handelsregistersachen und im Sortenschutz waren im Berichtsjahr weder Eingänge noch Erledigungen zu verzeichnen. * Dr. iur., Rechtskonsulent in Zürich, juristischer Sekretär der RKGE in Bern. sic! 6 / 2003 II. Markenrecht 1. Absolute Ausschlussgründe a) Unbestimmte oder mehrdeutige Begriffe Die Marke Weblearn 3 mag zwar begrifflich unscharf sein, doch genügt dies nicht für die Annahme einer Unbestimmtheit im Sinne der markenrechtlichen Rechtsprechung. Die Bezeichnung lässt vielmehr ohne weitere Gedankenarbeit erkennen, dass es sich um Waren und Dienstleistungen handelt, die mit dem Lernen rund um das Internet zu tun haben. Ein Gedankenspielraum besteht insofern nicht. Auch bei der Marke Cool Action 4 für Waren der Klasse 3 besteht eine Unbestimmtheit oder Mehrdeutigkeit nur scheinbar, da die Bedeutung «tolle Aktion» oder ähnlich den ursprünglichen Sinn des Wortes von «kühl» nicht in den Hintergrund zu drängen vermag, jedenfalls nicht bei Produkten, bei denen eine kühlende Wirkung nahe liegt. Anders verhält es sich mit den Marken Minibon für Back- und Konditoreiwaren5 und Adequat für Parfümeriewaren und Kosmetika6. Bei der Wortkombination «Minibon» handelt es sich um eine sprachliche Neuschöpfung, die auf den ersten Blick keinen ohne weiteres erkennbaren Sinngehalt ergibt. Es liegt eine ungewöhnliche Wortverbindung vor, die einen erheblichen Interpretationsspielraum offen lässt. Ähnlich fällt die Beurteilung beim unbestimmten Begriff «adéquat» aus: Für sich allein, d.h. ohne Bezugsangabe zu einem Vergleichsobjekt, ist diese Marke ohne konkrete Aussagekraft, was zur Schutzfähigkeit führt. b) Anpreisende Angaben Aus dem gleichen Grund, d.h. wegen mangelnder Aussagekraft, kann die Marke Adequat nicht als unmittelbare Qualitätsangabe interpretiert werden. Hier liegt auch der Unterschied zu den Entscheiden des Bundesgerichts und der Rekurskommission betreffend die Marken Vantage (BGE 108 II 488), More (BGE 103 II 443), Bienfait Total (sic! 1997, 161) und Avantgarde (sic! 1998, 397). Kein Interpretationsspielraum besteht dagegen bei der Marke Masterpiece für Bank- und Versicherungsdienstleistungen. Diese Marke ist als allgemeine Qualitätsangabe freihaltebedürftig und nicht schutzfähig 7. c) Anforderungen an die grafische Gestaltung beschreibender Marken (Farbanspruch) Im Fall «Nidwaldner Wochenblatt» wird eine einfache grafische Gestaltung, verbunden mit dem Farbanspruch «Rot, weiss, schwarz», als nicht unterscheidungskräftig beurteilt8. Gemäss Einschätzung der Rekurskommission ist der Fall mit dem Entscheid Cybernet Business Provider nicht vergleichbar 9. d) Besondere Fragen der Wappenschutzgesetzgebung Die Rekurskommission hebt einen Entscheid der Vorinstanz auf, mit 523 MARTIN S. SCHNEIDER welchem einer Bildmarke, die einen aufrecht gehenden und einen Käselaib rollenden Bären darstellt, die Eintragung verweigert wird, da sie mit dem Wappentier der beiden Appenzeller Halbkantone – ebenfalls ein aufrecht stehender Bär – verwechselbar sei10. Die Rekurskommission hält fest, dass es sich bei der Markenhinterlegerin um eine Organisation mit offiziösem Charakter handelt, die im Sinne von Art. 1 Abs. 2 lit. a WSchG als Organisation des Gemeinwesens zur Markenhinterlegung ohnehin berechtigt ist. Entscheidend ist aber, dass eine Verwechselbarkeit mit dem Kantonswappen nicht gegeben ist, da die Beschäftigung des Bären mit dem Käselaib das Bildelement deutlich als privates Kennzeichen erscheinen lässt. e) Form- und Farbmarken Die Rekurskommission befasste sich in der Berichtsperiode mit zwei Formmarken und einer Farbmarke. Im Gegensatz zum IGE hält die Rekurskommission eine Marke für Käse in Form einer Blume für schutzfähig 11, da die Kombination einfacher geometrischer Elemente eine Einheit ergibt, welche das Aussehen einer Blume oder Blüte hat («Blumenform für Käse»)12. Eine solche Form ist für die Rekurskommission weder üblich noch gebräuchlich und weicht deshalb vom Erwarteten und Gewohnten ab. Da auch kein Freihaltebedürfnis besteht, ist die Marke schutzfähig. Anders entscheidet die Rekurskommission bezüglich einer Verpackungsform für Milchgetränke und Milchmischgetränke («Trinkflasche») 13. Zu beurteilen war auch hier eine Form, die sich aus der Kombination gemeinfreier geometrischer Grundformen zusammensetzt. Hier entsteht aber kein vom Gewohnten und Erwarteten abweichender Gesamteindruck. Der eigenen Praxis folgend14 hebt die Rekurskommis- 524 sion in beiden Fällen hervor, dass sich die Beurteilung, ob eine Warenoder Verpackungsform vom Gewohnten und Erwarteten abweicht, nach dem gewöhnlichen und nicht nach dem für die betreffende Branche üblichen Formenschatz richtet. Im Fall «Trinkflasche» verweist sie indessen auch auf das bei der Prüfung von Wortmarken übliche Vorgehen, bei welchen der Vergleich mit dem gewöhnlichen Wortschatz mit Bezug auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen erfolgt. Die Farbe «Gelb» stellt für Produkte, die in allen Bereichen des Alltagslebens häufig anzutreffen sind, eine Grundfarbe dar, die im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichts freihaltebedürftig und damit nicht monopolisierbar ist15. Dies dürfte etwa für Waren der Klasse 16 (Schachteln) und 20 (Verpackungsund Transportbehälter aus Kunststoff ) zutreffen (wobei die Frage mangels glaubhaft gemachter Verkehrsdurchsetzung letztlich nicht entschieden werden musste). Aufgrund fehlender Verkehrsdurchsetzung scheitert die Registrierung von «Gelb» auch in Bezug auf Dienstleistungen der Klasse 36. Anders entscheidet die Rekurskommission dagegen bezüglich des Postwesens im engeren Sinne, wofür kommissionsnotorisch eine hohe Verkehrsdurchsetzung angenommen und auch kein zwingendes Freihaltebedürfnis ausgemacht wird. Aus dem selben Grund ist «Gelb» auch für die Dienstleistung «Busbetrieb nach Fahrplan» schutzfähig. f) Herkunftsangaben Die Rekurskommission hatte in vier Fällen Gelegenheit, ihre Praxis zu den Herkunftsangaben zu verfeinern. Dabei zeigt sich, dass sie in gewissen Fällen den Verkehrskreisen die Fähigkeit zuspricht, zwischen betrieblichem und geographischem Herkunftshinweis zu unterscheiden. Die Einschränkungspraxis des IGE bezüglich der Warenlisten wurde deshalb in drei von vier Fällen nicht gestützt. In diesem Sinne impliziert die Marke Nidwaldner Wochenblatt nicht, dass damit gekennzeichnete Fotos aus schweizerischer Herkunft stammen. Die Verkehrskreise gehen vielmehr davon aus, dass derart markierte Fotoaufnahmen aus dem Verlag des Nidwaldner Wochenblattes stammen – die Frage des Ortes, wo die Fotos angefertigt wurden, ist insofern nebensächlich16, 17. Die gleiche Überlegung ist auch im Entscheid ÖKK – Öffentliche Krankenkassen Schweiz massgebend18. Die Verkehrskreise erkennen in dieser Marke keinen geographischen, sondern einen betrieblichen Herkunftshinweis. Es ist heute gängige Praxis, dass Dienstleister in bestimmten Fällen unter ihrer Verantwortung Waren herstellen lassen, die sie unter der Firmenmarke zwecks Förderung der Hauptleistung (hier: Krankenversicherung) vermarkten. Teilweise wird die Firmenmarke sogar lediglich als Zweitmarke, d.h. neben der Produzentenmarke, angebracht. Unabhängig von diesem letzteren Umstand bringen die Verkehrskreise den Bestandteil «Schweiz» in der Marke nur (aber eben immerhin) mit dem Krankenversicherungsgeschäft der schweizerischen Markeninhaberin in Verbindung. Mangels Täuschungsgefahr über die geographische Herkunft konnte deshalb auf die vom IGE in beiden Fällen verlangte Einschränkung der Warenliste auf Waren schweizerischer Herkunft verzichtet werden. Auch bei der Marke Yukon für eine ganze Reihe von Produkten in insgesamt 22 Warenklassen entschied die Rekurskommission gegen das IGE. Da das Yukon Territory und das Yukon Plateau sehr schwach besiedelt sind und auch der gleichnamige Fluss nicht als geografischer Raum für die Herstellung von Waren in Frage kommt, besteht kein sic! 6 / 2003 ÜBERBLICK ÜBER DIE RECHTSPRECHUNG DER EIDG. REKURSKOMMISSION FÜR GEISTIGES EIGENTUM (RKGE) IM JAHRE 2002 Freihaltebedürfnis und stellt Yukon deshalb keine unmittelbare Herkunftsangabe dar. Auch ist der Name dem schweizerischen Publikum entweder gänzlich unbekannt oder löst jedenfalls keine zuordbaren Herkunftserwartungen aus. Yukon ist mit anderen Worten eine Fantasiebezeichnung und damit weder Gemeingut (Art. 2 a MSchG) noch Anlass für eine Irreführung über die Herkunft damit gekennzeichneter Produkte (Art. 2 c MSchG). Das von der Vorinstanz angerufene Bundesgericht schützt den Entscheid der Rekurskommission sowohl vom Ergebnis als im Wesentlichen auch von der Begründung her 19. Der Bestandteil «de» der Marke Amazon.de erweckt dagegen geographische (und keine betrieblichen) Herkunftserwartungen20. Die Rekurskommission stützt deshalb den Entscheid der Vorinstanz, welche bei den beanspruchten Waren (Klassen 9 und 16) eine Einschränkung der Warenliste auf Waren deutscher Herkunft verlangte und die Marke bezüglich der in Klasse 35 beanspruchten Dienstleistungen wegen Nichterfüllung der Voraussetzungen gemäss Art. 49 MSchG zurückwies. Das Argument der Gleichbehandlung – die Beschwerdeführerin verwies auf eine Vielzahl eingetragener Marken ohne Einschränkung der Warenliste – wird von der Rekurskommission nicht akzeptiert, da es in dieser Frage an einer kohärenten ständigen Praxis des IGE fehlt. Unter diesen Umständen lässt sich ein Anspruch auf Gleichbehandlung in Abweichung vom Gesetz ohnehin nicht herleiten. 2. Relative Ausschlussgründe a) Verwechslungsgefahr bei Wortmarken im Allgemeinen Die Zeichenähnlichkeit beurteilt sich gemäss ständiger Praxis nach dem Gesamteindruck der sich ge- sic! 6 / 2003 genüberstehenden Zeichen, wobei dieser zunächst durch den Klang und das Schriftbild bestimmt wird. Ein Beispiel für die eher seltene Fallgruppe, bei der die schriftbildliche Ähnlichkeit Hauptgrund für die Bejahung der Verwechslungsgefahr ist, stellt die Entscheidung 555 (fig.) / S 55 (je für Kraftfahrzeuge) dar21. Für Zeichen, die dem allgemeinen Sprachschatz entnommen sind, kann neben Wortklang und Schriftbild auch der Sinngehalt für den Gesamteindruck massgebend sein. Grundsätzlich genügt die Übereinstimmung in einem dieser Kriterien für die Annahme einer Zeichenähnlichkeit22. Im Rahmen dieser Merkmale kommt der Übereinstimmung im Wortanfang eine besondere Bedeutung zu23, es sei denn, dieser sei nicht unterscheidungskräftig 24. Sind sich die Marken in Wortklang und Schriftbild ähnlich, muss der Sinngehalt markant verschieden sein, um eine Zeichenähnlichkeit aufzuheben, da sonst das bereits erwähnte Prinzip ausgehöhlt würde, wonach die Übereinstimmung in nur schon einem der genannten Kriterien genügt25. Ist der Sinngehalt dagegen nicht markant und deutlich erkennbar, sondern unbestimmt, ist dies nicht geeignet, eine bestehende Ähnlichkeit in der Klangwirkung und teilweise im Schriftbild aufzuheben26. In diesem Sinne bewirkt etwa der Bestandteil «Independent» keine hinlängliche Unterscheidbarkeit der angefochtenen Marke Kazz Independent von der Widerspruchsmarke Kanz. b) Übernahme der Widerspruchsmarke Die vollständige und unveränderte Übernahme der Widerspruchsmarke in die jüngere Marke begründet grundsätzlich eine (mittelbare) Verwechslungsgefahr, wie die RKGE in den Fällen Visa / Jet-Set Visa 27 und Joker / Swisscom Joker 28 erneut29 festhält. Wie die Rekurskommission in der letztgenannten Entscheidung hervorhebt, ist diese Praxis mit derjenigen des Bundesgerichts i.S. Campus / UBS Campus vereinbar, da Joker keine schwache Marke darstellt30. Anwendbar bleibt somit die Regel, dass durch die Beifügung eines weiteren (eigenen) Kennzeichens zu einer älteren Marke (oder zu ihrem prägenden Bestandteil) kein gültiges neues Zeichen entstehen kann31. c) Schutzumfang im Besonderen Zahlen werden bei Motorfahrzeugen häufig als Typenbezeichnungen verwendet; in diesem Fall gelten sie als Gemeingut. Bei der Zahl «555» ist aber keine Aussage über eine bestimmte Eigenschaft des Fahrzeugs ersichtlich, sodass dieser Zahl ein durchschnittlicher Schutzumfang zukommt32. Einen verminderten Schutzumfang weist dagegen die Marke Celebry auf, da sie auf ein «berühmtes» bzw. «gefeiertes» Produkt anspielt. Sie kann sich daher nicht gegen die Marke Bic Celebrate durchsetzen. Oder mit anderen Worten: die Übereinstimmung im gemeinfreien «Celebr» ist nicht geeignet, eine Verwechslungsgefahr zu bewirken33. Ähnlich verhält es sich beim bereits erwähnten Entscheid Ever-Plast / Evercare. Obwohl die Widerspruchsmarke bekannt ist und als solche über einen erhöhten Schutzumfang verfügt, kann daraus nicht geschlossen werden, dass auch ein einzelnes, nicht schutzwürdiges Element einen besonderen Schutz geniesst34. Die Rekurskommission beruft sich dabei u.a. auf den Entscheid des BGer i.S. Securitas 35. Ein allfälliger erhöhter Schutzumfang einer starken Marke bezieht sich immer nur auf die Waren oder Dienstleistungen, für welche die Marke bekannt ist; bezüglich der übrigen beanspruchten Produkte ist von einem durchschnittlichen Schutzumfang auszugehen36. 525 MARTIN S. SCHNEIDER d) Waren- und Dienstleistungsgleichartigkeit Die RKGE hatte auch dieses Jahr verschiedene Male Gelegenheit, ihre Praxis zur Waren- und Dienstleistungsgleichartigkeit zu festigen. Es scheint eine Tendenz feststellbar, den Bereich der Warengleichartigkeit nicht über Gebühr auszudehnen. Beispielsweise besteht keine Gleichartigkeit zwischen «sportlichen Aktivitäten» und der «Organisation von sportlichen Anlässen» auf der einen und Produkten der Klasse 5 auf der anderen Seite. Dies auch dann nicht, wenn Markeninhaber das IOK ist, das sich dem Kampf gegen das Doping verschrieben hat37. Es besteht auch keine Gleichartigkeit zwischen «Réservation de chambres d’hôtel pour voyageurs» und der «Veranstaltung von Reisen». Es trifft zwar zu, dass die Hotelreservation auch eine Tätigkeit von Reiseveranstaltern ist; sie stellt hier aber nur eine Dienstleistung unter vielen dar, weshalb nicht generell auf die Gleichartigkeit mit den insgesamt unter dem Oberbegriff «Veranstaltung von Reisen» erbrachten Dienstleistungen geschlossen werden kann38. Die Schwierigkeiten der Gleichartigkeitsbeurteilung von Waren oder Dienstleistungen, die mittels eines Oberbegriffs beansprucht werden, zeigt sich in einem weiteren Fall. Zunächst wird die Praxis bestätigt 39, wonach zwischen Rohstoffen einerseits und Halb- und Fertigfabrikaten in der Regel keine Gleichartigkeit besteht. Kleider (Klasse 25) sind deshalb nicht gleichartig mit «Cuir et imitations de cuir» (Klasse 18)40. Gleichartigkeit besteht dagegen – auch dies in Bestätigung der Praxis41 – zwischen Kleidern und Hand- und Reisetaschen, da diese Waren einerseits oft am gleichen Ort vertrieben (und zwar nicht nur in Kaufhäusern, sondern auch in Kleidergeschäften) und andererseits die genannten Taschen häufig aus Textilien gefertigt werden 42. Gleichartigkeit besteht schliesslich auch zwischen Kleidern 526 und dem Oberbegriff «Waren aus Leder und Lederimitationen», da darunter auch Reise- und Handtaschen fallen können43. Verneint wird dagegen die Gleichartigkeit zwischen Papier (16) und Verpackungsdienstleistungen (39)44, Besorgung von Finanz- oder Geldangelegenheiten (36) auf der einen und Personalvermittlung (35), Vermietung von Büromaschinen (35), Vitrinendekoration (35) und Dokumentenreproduktion (35) auf der anderen Seite 45 sowie zwischen Bildern, Illustrationen, Grafiken, Bücher usw. (16) und Werbung in Verbandsangelegenheiten (35)46. Die Gleichartigkeit wird bejaht zwischen Dienstleistungen von Designern, insbesondere Webdesignern (42) und Werbung (35)47, Herausgabe von mit Informationen versehenen Datenträgern für kulturelle Aktivitiäten (41) und Bildern, Illustrationen, Grafiken, Büchern, Zeitungen usw. (16)48 sowie zwischen Papier und «adhésifs (matière collantes) pour la papeterie» (nicht aber für den Haushaltbereich)49. Bestätigt wird im Übrigen der allgemeine Grundsatz, wonach die Einteilung der sich gegenüberstehenden Waren und Dienstleistungen in der gleichen Klasse lediglich ein Indiz für die Gleichartigkeit darstellt50. Die Anwendung dieses Grundsatzes führt einmal zur Bejahung (Versicherungsdienstleistungen / Informationsvermittlung im Finanz-, Versicherungsund Immobilienwesen)51 und einmal zur Verneinung der Gleichartigkeit (Detailhandel über das globale Computernetzwerk / Geschäftsführung)52. e) Gebrauchszwang Die Rekurskommission hatte auch in dieser Berichtsperiode verschiedene Male Gegelegenheit, sich mit Fragen des Gebrauchszwangs zu beschäftigen. Wir greifen hier die Problemstellungen des Gebrauchs für Hilfswaren bzw. Hilfsdienstleistungen, der Ernsthaftig- keit des Gebrauchs sowie der (formell korrekten) Geltendmachung des Gebrauchs heraus. Die Herausgabe und die Abgabe eines Hotelführers wie derjenige der Meridien-Gruppe stellt eine Hilfsdienstleistung im Verhältnis zur Hauptdienstleistung dar. In Bestätigung ihrer Praxis53 verneint die Rekurskommission deshalb die selbstständige Bedeutung eines solchen Gebrauchs und wertet ihn nicht als rechtserhaltend in Bezug auf Drucksachen54. Unter Ernsthaftigkeit des Gebrauchs sind die branchenüblichen Gepflogenheiten eines wirtschaftlich sinnvollen Handelns zu verstehen. Drei Rechnungen für Raucherwaren im Gesamtbetrag von DM 250 sind hierfür absolut ungenügend. Ein Gebrauch im Umfang von DM 34 000 für den Export ist dagegen ausreichend 55. Zwar kommt es nach Ablauf der Karenzfrist nach Art. 12 Abs. 1 MSchG grundsätzlich auf die tatsächlich angebotenen Waren und Dienstleistungen bzw. die effektive Gebrauchslage an. Solange aber in einem Widerspruchsverfahren ein Nichtgebrauch nicht (korrekt) geltend gemacht worden ist, muss auch nach Ablauf der Karenzfrist von der eingetragenen Warenliste ausgegangen werden. Da im referierten Fall der Stellungnahme der Widerspruchsgegnerin keine genügend klare und unmissverständliche Behauptung des Nichtgebrauchs einzelner von der Widerspruchsmarke beanspruchter Waren und Dienstleistungen zu entnehmen ist, muss die erst im Beschwerdeverfahren erhobene Einrede des Nichtgebrauchs unberücksichtigt bleiben56. 3. Weitere Fragen a) Rechtsmissbräuchlichkeit einer Markenhinterlegung? Die Frage, ob die Problematik der Rechtsmissbräuchlichkeit im Rahmen sic! 6 / 2003 ÜBERBLICK ÜBER DIE RECHTSPRECHUNG DER EIDG. REKURSKOMMISSION FÜR GEISTIGES EIGENTUM (RKGE) IM JAHRE 2002 des (raschen und summarischen) Widerspruchsverfahrens überhaupt beurteilt werden kann, wird von der Rekurskommission offen gelassen, da die von der Beschwerdeführerin genannten Indizien nicht ausreichen, um die Widerspruchsmarke als (unzulässige) Defensivmarke zu qualifizieren. Die Rekurskommission leistet damit dem Argument der Beschwerdeführerin keine Folge, wonach die Beschwerdegegnerin systematisch und seit Jahrzehnten die gesetzlichen Gebrauchskarenzfristen umgehe, indem sie ihre Marke jeweils vor Ablauf einer solchen Frist neu hinterlege. Massgebend ist für die Rekurskommmission vielmehr der Umstand, dass die Neuhinterlegung der Marke der Beschwerdegegnerin im Jahre 1998 durch eine Umgestaltung des Bildbestandteils ihrer Marke veranlasst wurde57. Die Frage der allfälligen Rechtsmissbräuchlichkeit einer Markenhinterlegung kann sich auch bei der Prüfung der Beschwerdelegitimation stellen. b) Beschwerdelegitimation Zur Beschwerde an die Rekurskommission legitimiert ist, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat (Art. 48 lit. a VwVG). Wem (durch einen Entscheid des Bundesgerichts in einem vorangegangenen Zivilprozess) der Gebrauch einer Marke unter Strafandrohung von vornherein untersagt ist, kann kein schutzwürdiges Interesse rechtlicher oder tatsächlicher Natur an deren Eintragung haben. Die Rekurskommission tritt deshalb auf die Beschwerde einer unterlegenen Widerspruchsgegnerin nicht ein, da die Widerspruchsentscheide der Vorinstanz materiell lediglich die Rechtslage bestätigten, wie sie sich bereits als Folge des Zivilprozesses ergab. Insoweit ist die Beschwerdeführerin sic! 6 / 2003 durch die angefochtenen Entscheide der Vorinstanz nicht beschwert58. In einem etwas anders gelagerten Fall stellt die Rekurskommission Überlegungen zur materiellen Rechtskraft eines ersten Zurückweisungsentscheids an. Im bereits referierten Fall Adequat beantragte die Anmelderin nach einer ersten Zurückweisung in der Schweiz erneut eine nachträgliche Schutzausdehnung, die aber durch das IGE wiederum zurückgewiesen wurde. Die Rekurskommission befindet, dass nur die damalige Schutzverweigerung res judicata ist und nicht mehr angefochten werden kann. Bezüglich des erneuten Schutzausdehnungsgesuches hält sie fest, dass es einem Markeninhaber frei steht, eine einmal zurückgewiesene Marke erneut prüfen zu lassen, sei es durch eine schweizerische Neuanmeldung oder durch eine nachträgliche territoriale Schutzausdehnung der internationalen Marke auf die Schweiz. Eine solche muss trotz gleicher Marke und Markennummer gestützt auf Art. 3ter Abs. 2 und Art. 4 Abs. 1 MMA als neue Registrierung betrachtet werden, die ein neues rechtliches Schicksal hat und deren Prüfungsergebnis mit den üblichen Rechtsmitteln angefochten werden kann59. c) Ausländische Praxis Die vorbehaltlose Zulassung der Marke durch das Harmonisierungsamt und zahlreiche weitere europäische Staaten ist zumindest ein Indiz dafür, dass die Marke nicht als unmittelbar beschreibend anzusehen ist und deshalb in der Schweiz nicht signifikant strenger beurteilt werden sollte als in den betreffenden Ländern60. d) Abmahnfrist im Widerspruchsverfahren Wird die Widerspruchsgegnerin erst zwei Tage vor Einreichung des Wi- derspruchs abgemahnt, kommt die Widersprechende ihrem vorprozessualen Informationsgebot nur ungenügend nach. Die Regelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen ist deshalb so zu handhaben, wie wenn das vorprozessuale Informationsgebot überhaupt nicht beachtet worden wäre 61. III. Patentrecht In den beiden materiell-rechtlich entschiedenen patentrechtlichen Fällen geht es um Fragen der Wiedereinsetzung in den früheren Stand gemäss Art. 47 PatG. Finanzielle Schwierigkeiten stellen einen Wiedereinsetzungsgrund dar 62. Die Rekurskommission folgt damit der früheren Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA. Es muss sich aber um ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten handeln und diese müssen auf Umständen beruhen, die der Gesuchsteller nicht zu vertreten hat. Konkret handelt es sich daher um einen Grenzfall, weil der Gesuchsteller sich zwar bemühte, Geld für die Bezahlung der Jahresgebühren aufzutreiben, dabei aber die Prioritäten derart setzte, dass andere Patentgebühren statt der hier in Frage stehenden bezahlt wurden. Im zweiten Fall folgt die Rekurskommission der Ansicht der Vorinstanz, welche das Gesuch wegen Mitverschuldens des schweizerischen Patentvertreters als verspätet zurückwies (Nicht-Weiterleitung der Löschungsanzeige an den amerikanischen Patentinhaber)63. IV. Übrige Rechtsgebiete Wie eingangs erwähnt waren im Berichtsjahr in den übrigen Rechtsgebieten, in denen die Rekurskommission Rekursinstanz ist, keine Fälle materiell-rechtlich zu entscheiden. 527 MARTIN S. SCHNEIDER 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 Vgl. auch die Berichte des Verfassers, sic! 1999, 321 ff., sic! 2000, 324 ff., sic! 2001, 345 ff. und sic! 2002, 446 ff. Vgl. die Statistik im Anhang. RKGE, vom 5. Dezember 2002 (MA-AA 05/02). RKGE, sic! 2003, 134. RKGE, sic! 2003, 36. RKGE, sic! 2002, 519 (nur Leitsätze). Bestätigt durch das BGer, siehe sic! 5/2003, 426. RKGE, sic! 1/2003, 34. Vgl. sic! 2000, 297. RKGE, sic! 2002, 855 f. Die international registrierte Käseform wird in der Urkunde wie folgt präzisiert: «Marque constituée par la forme et l’aspect particulier du produit, pourtour évoquant les pétales d’une fleur, et surface striée aux reflets blancs et orangés.» Die Marke beansprucht mit anderen Worten auch eine konkrete farbliche Ausführung. RKGE, sic! 2002, 345. RKGE, sic! 1/2003, 38. Vgl. RKGE, sic! 1999, 130, «Parfumflasche II»; RKGE, sic! 2000, 299, «Pharma-Tablette»; RKGE vom 16. Juni 1999, «Waschtablette», vgl. hiezu BGer, sic! 2000, 286. RKGE, sic! 2002, 242. RKGE, sic! 2002, 34. Anmerkung des Verf.: Bei Verlagstiteln geht das IGE schon seit längerer Zeit nicht davon aus, dass der in der Marke solcher Produkte enthaltende geographische Hinweis von den Verkehrskreisen als Hinweis auf den Produktionsort verstanden wird (vgl. Richtlinien Markenprüfung 2002, Ziff. 5.5.7., Seite 50 f.) RKGE, sic! 5/2003, 429. 528 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 BGE 128 III 454, 460 ff. (sic! 2/2003, 149 ff.). RKGE, sic! 2002, 351. RKGE, sic! 2002, 248. RKGE, sic! 2002, 40, «Reval / Rave». RKGE, sic! 2002, 527, «Mona / Mono»; sic! 2002, 756, «Bally / Ball»; sic! 2/2003, 136, «Cyra / Cyrel». RKGE, sic! 2002, 679, «Ever-Plast / Evercare». Vgl. aus der früheren Rechtsprechung etwa RKGE, sic! 2000, 383, «Merkur / Markus Kaffee». RKGE, sic! 2002, 528, «Kanz / Kazz Independent»; sic! 2002, 756, «Bally / Ball». Vgl. aus der älteren Rechtsprechung etwa RKGE, sic! 2001, 523, «Grilon / Gelon»; sic! 2000, 511, «Maag / Mac; RKGE, sic! 2000, 609, «Fairy / Fairbury». RKGE, sic! 2002, 520. RKGE, sic! 2002, 524. RKGE, sic! 2001, 813, «Viva / Coop Viva»; RKGE, sic! 2000, 509, «DK / dk Daniel Kramer»; RKGE, sic! 2000, 511, «Mac Discount»; RKGE, sic! 2000, 109, «Windows NT / ETV for Windows». RKGE, sic! 2000, 194. RKGE, sic! 2002, 248, «555 / S 55». RKGE, sic! 2002, 248, «555 / S 55». RKGE, sic! 1/2003, 42, «Celebry / Bic Celebrate». RKGE, sic! 2002, 679. BGE 127 III 160. RKGE, sic! 2002, 520, «Visa / Jet-Set Visa». RKGE, sic! 2002, 430, «Olympic / RUSOlympic». RKGE, sic! 2002, 758, «Le Meridien / Meridiani». RKGE, sic! 1997, 569, «Birko Tex / Biotex». 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 RKGE, sic! 2002, 341, «Montega / Montego». RKGE, sic! 2001, 652, «MPC by Tenson / MDC» und RKGE, sic! 2001, 422, «St. John / Big John». RKGE, sic! 2002, 341, «Montega / Montego». RKGE, sic! 2002, 341, «Montega / Montego». RKGE, sic! 2002, 520, «Visa / Jet-Set Visa». RKGE, sic! 2002, 520, «Visa / Jet-Set Visa». RKGE, sic! 2002, 343, «Visart / Visarte». RKGE, sic! 2002, 343, «Visart / Visarte». RKGE, sic! 2002, 343, «Visart / Visarte». RKGE, sic! 2002, 520, «Visa / Jet-Set Visa». RKGE, sic! 2002, 529, «arc / Arcstar» (nur Leitsätze). RKGE, sic! 2002, 529, «arc / Arcstar» (nur Leitsätze). RKGE, sic! 2002, 343, «Visart / Visarte». RKGE, sic! 2001, 412, «Targa». RKGE, sic! 2002, 758, «Le Meridien / Meridiani». RKGE, sic! 2/2003, 138, «Boss / Boss». RKGE, sic! 2002, 609, «Aesculap / Aeskulap». RKGE, sic! 2002, 524, «Joker». RKGE, sic! 5/2003, 431, «Bud». RKGE, sic! 2002, 519, «Adequat» (Leitsätze). RKGE, sic! 2002, 519, «Adequat» (Leitsätze). RKGE, sic! 2002, 444. RKGE, sic! 2002, 869. Bestätigt durch BGer, sic! 5/2003, 448. sic! 6 / 2003 sic! 6 / 2003 3 2 0 0 0 0 Übrige Registersachen Patentsachen Designschutz Urheberrecht Handelsregistersachen Sortenschutz *einschliesslich Rückweisungen an die Vorinstanz 58 38 Widerspruchssachen Total 15 Absolute Ausschlussgründe Markensachen: Hängige Beschwerden am 1.1.2002 Eingänge 93 0 0 0 0 4 1 53 35 21 0 0 0 0 1 0 9 11 Gutgeheissen (ganz oder teilweise)* Abgewiesen 20 0 0 0 0 1 1 13 5 Nicht eingetreten 6 0 0 0 0 2 0 3 1 Erledigungen 3 15 0 0 0 0 0 1 11 Aus anderen Gründen als erledigt abgeschrieben 62 0 0 0 0 4 2 36 20 Erledigungen Total Statistik der Rekurskommission für geistiges Eigentum (2002) 89 0 0 0 0 2 2 55 30 Hängige Beschwerden am 31.12.2002 ÜBERBLICK ÜBER DIE RECHTSPRECHUNG DER EIDG. REKURSKOMMISSION FÜR GEISTIGES EIGENTUM (RKGE) IM JAHRE 2002 529