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MUSIKWISSENSCHAFT IM DIALOG
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Aleksandr Zharkov. Syntactic aspects of research of a timbre. Article is devoted
separate aspects of studying
syntax, and to its difficult interaction with other
syntactic elements.
Key words: timbre, syntax, timbral syntax.
Karsten Lehl, RSH Dusseldorf
WENN FUNKTIONALE MUSIK SICH VERWEIGERT DIE KUNST
DER NEGATIVEN ZUSTIMMUNG
Die weit ins 19. Jahrhundert zuruckreichende Tradition des solistischen
Ensemblegesangs in Deutschland, insbesondere in Form des Mannerquartetts,
stand Mitte der 1920er Jahre kurz vor ihrem Ende: Das Repertoire war
altmodisch bis reaktionar, und die bekanntesten Gruppen, die das Genre noch
vertraten, wie etwa das Nebe-Quartett, das Leipziger Mendelssohn-Quartett
oder die Stettiner Sanger, blickten zu diesem Zeitpunkt auf Karrieren zuruck,
die zum Teil bereits vor der Jahrhundertwende begonnen hatten. Insgesamt
wirkte das Genre muffig und verstaubt. Dies anderte sich, nachdem im Fruhjahr
1926 in Deutschland wie im ubrigen Europa erstmalig eine Schallplatte des
amerikanischen Quartetts The Revelers erschien, die bewies, dass moderne
Tanzmusikformen und Quartettgesang durchaus zu vereinbaren waren. In der
Folge entstanden zahllose neue Formationen, und insbesondere der
deutschsprachige Raum begeisterte sich fur das Genre. Vokalharmonische
Unterhaltungsmusik der 1930er Jahre ist heutzutage untrennbar mit dem Namen
Comedian Harmonists verknupft. So erfolgreich diese Gruppe zweifellos auch
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war, ist doch deren Alleinvertretungsanspruch fur eine ganze Musikrichtung
durchaus nicht gerechtfertigt. Uber 60 Formationen sind im deutschsprachigen
Raum in der Zeit zwischen 1928 und 1943 auf Schallplatten zu finden dies
wohlgemerkt zu einer Zeit, als der Umsatz der Schallplattenindustrie nur einen
Bruchteil seines Umsatzes der spateren Jahrzehnte ausweisen konnte: So wurden
etwa 1935 in Deutschland insgesamt nur 5 Millionen Schallplatten umgesetzt1.
Eine mindestens ebenso gro?e, vermutlich aber weitaus gro?ere Zahl von
Gruppen wirkte bei Rundfunksendern und in Varietes und Kabaretts.
Ich mochte hier den Werdegang und die musikalische Asthetik speziell
einer dieser Gruppen herausgreifen, da diese mir aus mehreren Grunden
bemerkenswert erscheint. Zunachst ei nmal ist festzustellen, dass die Humoresk
Melodios eines der erfolgreichsten Ensembles ihrer Zeit waren. Zumindest zu
Beginn ihrer Karriere waren sie in Film und Rundfunk sowie auf der Buhne
gegenwartig, und sie waren die letzte Gruppe im sogenannten «Gro?deutschen
Reich» uberhaupt, die noch im Fruhjahr 1943 fur Konzerte und
Schallplattenaufnahmen beschaftigt wurde, obgleich sie bei offiziellen Stellen
zu diesem Zeitpunkt langst in Ungnade gefallen waren. Dabei nahmen die
einzelnen Mitglieder der Gruppe, die auch Jahrzehnte spater zum gro?en Teil
noch fur langere offene und ausfuhrliche Gesprache zur Verfugung standen,
auch in der Retrospektive weder fur sich in Anspruch, einen wesentlichen,
kulturell bedeutenden Beitrag zur Musik geleistet zu haben, noch, durch
bewusste
kunstlerische
Stellungnahme
besondere
Distanz
zum
nationalsozialistischen Regime ausgedruckt zu haben. Dies ist angesichts der
wiederholten Zusammensto?e mit der rechten Politik, des von der Gruppe oft
genug an den Tag gelegten provokanten Verhaltens und der bisweilen geradezu
subversiven Asthetik ihrer Arrangements umso erstaunlicher. Es scheint mir
zum Verstandnis der gruppeninternen Motivationslagen dienlich, eine kurze
biographische Skizze zu liefern.
Im Fruhjahr 1932 schlossen sich vier Abiturienten eines Berliner
Gymnasiums zusammen, um beim Abschlussball ihres Jahrgangs einige Lieder
der Comedian Harmonists nachzusingen. Dies waren Olaf Meitzner (19132004), Wolfgang Leuschner (*1912), Heinz Raetz (1913-1943?) und Werner
Rossler (1913-1941). Einen Pianisten fanden sie in Werner Doege (1911-1995),
der im Jahr zuvor dort seinen Abschluss gemacht hatte und nun an der
Technischen Hochschule studierte. Der erste Auftritt der Harmony Boys, wie die
Gruppe sich nannte, war nicht nur au?ergewohnlich erfolgreich, er war auch
1
siehe hierzu Martin Elste: Zwischen Privatheit und Politik. Die Schallplatten-Industrie im NSStaat. In: Hanns-Werner Heister und Hans-Gunter Klein (Hrsg.): Musik und Musikpolitik im
faschistischen Deutschland. Frankfurt a.M.: Fischer 1984, S. 110.
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zugleich der einzige in der originalen Besetzung. Die vom aufkommenden
Nationalsozialismus begeisterten Eltern Heinz Raetz namlich waren mit den
unterhaltungsmusikalischen Tendenzen ihres Sohnes durchaus nicht
einverstanden, da ihnen dies mit der fur ihren Sohn avisierten Karriere im neuen
Deutschland unvereinbar schien, und forderten sein sofortiges Ausscheiden.
Wenige Jahre spater war Raetz dann zu einem Vertrauten des
Reichsjugendfuhrers der SS Arthur Axmann aufgestiegen und wohl als
Denunziant und Mithelfer an den Verhaftungen der sogenannten Hamburger
«Swingjugend» ma?geblich beteiligt. Als Ersatz fur ihn wurde Erich Bergau
(1912-1993) gewonnen, den Meitzner und Leuschner vom Freizeitsport in einem
Ruderklub her kannten. Wahrend eines gemeinsamen Urlaubs an der Ostsee
schlossen die Harmony Boys Bekanntschaft mit dem Berliner Orchesterleiter
Marion
Toews,
und
im
September
1932
entstanden
erste
Schallplattenaufnahmen der Gruppe als Refrainsanger fur das Orchester.
Trotzdem blieb das Ensemble fur die Beteiligten ein Hobby, und das Angebot
der Deutschen Grammophon Gesellschaft fur einen Exklusivvertrag im Februar
1933 kam vollig uberraschend.
Im Verlaufe des Jahres nahmen sie 20 Plattenseiten fur die Firma auf, von
denen schlie?lich 16 veroffentlicht wurden. Schnell machte die Gruppe ein
zweites Mal Bekanntschaft mit der Politik: Den Harmony Boys wurde
nahegelegt, den Zeichen der Zeit folgend den englischen Gruppennamen durch
einen deutschen zu ersetzen. Schlie?lich erschienen ab Juni 1933 neue
Aufnahmen der Gruppe unter dem Namen Die Fidelios, doch war der Konflikt
damit nicht beendet, nachdem (mit den Worten Olaf Meitzners) einige
Funktionare «die hehrene Oper Ludwig van Beethovens nicht fur
Unterhaltungszwecke missbraucht» sehen wollten. Der weiter schwelende Streit
um den Namen wurde obsolet, als sich die Gruppe nach einigen Konzerten in
Holland, die zum Teil nach erheblichen Storungen durch deutsch-judische
Emigranten abgebrochen werden mussten, aufloste. Es war intern zum Streit
uber die kunstlerische Ausrichtung des Ensembles gekommen, und so grundeten
Doege und Leuschner eine neue Gruppe mit Namen «Die Melodisten», wahren
die ubrigen drei «Fidelios» mit dem Bariton Herbert Imlau (1904-1983) und
dem Pianisten und Komponisten Fried Walter (1907-1996) ab sofort unter dem
Namen Humoresk Melodios fungierten
in Anlehnung an populare
Kompositionen diesmal nicht Beethovens, sondern Dvo aks und Rubinsteins!
Als letzte Schallplatte der Fidelios (und zugleich deren meistverkaufte) erschien
1933 eine deutsche Version des amerikanischen Schlagers «Crazy People» unter
dem Namen «So meschugge»; der heute 97-jahrige Tenor Wolfgang Leuschner
erinnert sich noch immer mit Vergnugen daran, dass das offensichtlich jiddische
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Lehnwort im Titel nach den vorangegangenen Diskussionen um arisch-deutsche
Namensgebung niemandem auffiel: «Das war unser Abschiedsgeschenk».
Der neue Pianist der Humoresk Melodios, Fried Walter, hatte bei Arnold
Schonberg Komposition studiert und bereits im Jahr 1931 bei den Comedian
Harmonists als Korrepetitor ausgeholfen. Er war von den deutlichen
musikasthetischen Vorstellungen, die die Humoresk Melodios zu diesem
Zeitpunkt bereits hatten, nicht sonderlich angetan, wie ein Tagebucheintrag
Walters zeigt, in dem er die ersten Proben beschreibt: «Sie wollten wie die
Comedian Harmonists alles im Tempo durchsingen und nichts verzogern oder
im Tempo nuancieren, auch sollte moglichst viel 4stimmig gesungen werden
und die Melodie nicht in kleine Teile durch abwechselnde Solis [sic!] aufgeteilt
werden. In der Folge mu?te ich viel Demutigungen ertragen [...]»1. Bereits die
erste solistische Aufnahme des neuen Ensembles, «Wir ziehen durch die
Heimat»2, macht die kunstlerische Ausrichtung der Gruppe deutlich. Es handelt
sich hierbei um einen typischen Schlager im Sinne der NS-Kulturpolitik, der mit
seinem Marschrhythmus und der Verherrlichung von Heimat auch in einem HJLiederbuch muhelos Platz gefunden hatte3. Wie subtil die Interpretation der
Humoresk Melodios diesem Schlager eine kulturpolitisch erwunschte Lesart
verweigert, zeigt vor allem die Betrachtung des Refrains in seinen verschieden
arrangierten Wiederholungen. So stellt der erste Refrain die Melodie in
homophonem Satz ohne auffallige musikalische Verzierungen oder
Erganzungen vor. Auffallig ist hier bei genauem Hinhoren jedoch die fur die
Humoresk Melodios typische Satztechnik, bei der im Gegensatz zum
klassischen deutschen Mannerquartett die Melodie uberwiegend nicht in der
Oberstimme liegt, sondern in einer der Mittelstimmen laut Olaf Meitzner
geschah dies nach dem Vorbild der Mills Brothers, einer damals weltbekannten
Gruppe, die als US-Amerikaner nicht nur in der Tradition von Barbershop und
Jazz standen, sondern daruber hinaus auch noch von dunkler Hautfarbe waren,
also dem arisch-deutschen Volksliedideal so entgegengesetzt wie moglich. Im
weiteren Verlauf des Liedes wird der Schlager mit rein musikalischen Mitteln
immer weiter bis ins Groteske hinein ubersteigert. So findet sich im Refrain der
1
Eintrag vom Januar 1934: «Die Fidelios». Samtliche Tagebucher Fried Walters befinden sich
im Fried-Walter-Archiv, Remscheid.
2
Willy Engel-Berger: Wir ziehen durch die Heimat (Text: Willy Dehmel). Die Humoresk
Melodios. Grammophon 10190 (mx. 2308? GN), aufgenommen Berlin, 21.2.1934.
3
Volker Kuhn zieht unter anderem dieses Lied als Beispiel fur einen neuen Schlagertypus
wahrend der NS-Zeit heran. Siehe hierzu Volker Kuhn: «Man mu? das Leben nehmen, wie es eben ist
...». Anmerkungen zum Schlager und seiner Fahigkeit, mit der Zeit zu gehen. In: Hanns-Werner
Heister und Hans-Gunter Klein (Hrsg.): Musik und Musikpolitik im faschistischen Deutschland.
Frankfurt a.M.: Fischer 1984, S. 214.
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zweiten Strophe zunachst als Begleitung der Melodie eine vokalparodistische
Fanfare nebst Bass, spater die Steigerung des Ausdrucks bis an die Grenze des
gebrullten Befehlstones, schlie?lich eine an Massenszenen der romantischen
Oper gemahnende Vokalpolyphonie eine ernsthafte Umsetzung des Schlagers
sahe sicherlich anders aus, auch wenn ein wesentlicher Teil der eingesetzten
musikalischen Mittel durchaus der neuen, «braunen» Asthetik entsprach.
Im Sommer 1934 schied Herbert Imlau aus der Gruppe aus; Olaf Meitzner
merkte dazu an: «Er jammerte immer, dass er als studierter Bariton doch nicht
solche Unterhaltungsmusik machen konne, da hab ich ihm gesagt: Wenn s dir
nicht passt, dann geh doch! ». Olaf Meitzner ubernahm ab sofort den BaritonPart, dafur wurde Alfred Thomas (1905-1976) als erster Tenor engagiert. Dessen
keineswegs verborgene Homosexualitat hatte seine Karriere zu diesem
Zeitpunkt zum Erliegen gebracht, und es zeugt von nicht geringem Mut der
ubrigen Sanger, sich mit Thomas am 1. Juli 1934, also einen Tag nach dem
Rohm-Putsch, zum ersten Mal der Offentlichkeit zu prasentieren. In den
folgenden Jahren wurden «Damenimitationen» von Meitzner und Thomas zum
festen Bestandteil zahlreicher Nummern der Humoresk Melodios, die auch in
den 1940er Jahren noch Anklang beim Publikum fanden. Ohnehin ging ein
Auftritt der Humoresk Melodios weit uber die ublichen Darbietungen
vergleichbarer Ensembles hinaus: Legten Gruppen wie die Comedian
Harmonists wert auf eine seriose Ausstrahlung, um ihre Darbietung beim
Hochkultur-orientierten
Oberschichtenpublikum
aufzuwerten
(wobei
gelegentliche humoristische Einlagen als Kontrast dienten), war dies den
Humoresk Melodios vollkommen egal, was ihren Pianisten Fried Walter, der
ausschlie?lich musikalisch dachte, bisweilen zur Verzweiflung trieb: «Auch
musste so arrangiert werden, da? die Nummern buhnenwirksam waren und da
wurde dann stundenlang diskutiert, geprobt und herum gealbert.»1
Zwischenzeitlich zog sich Fried Walter fur etwa drei Jahre aus dem
Tourneeleben zuruck und schrieb nur noch Arrangements fur die Gruppe. Wie
vergleichsweise hemmungslos die Darbietungen der Humoresk Melodios waren,
dokumentieren die leider nur sehr wenigen erhaltenen Konzertfotos: Sie zeigen
ein Ensemble, das offenbar mehr oder weniger permanent in Bewegung ist und
die Darbietungen mit schauspielerischen Einlagen, pantomimischer
Untermalung vokalparodistischer Effekte und fur die damalige Zeit geradezu
extremen Choreografien unterlegt, die teilweise eher aktuellen «Boygroups» zu
entsprechen scheinen als anderen Formationen der 1930er Jahre. Es scheint mir
kein Zufall zu sein, dass nahezu zeitgleich mit dem letzten nachweisbaren
1
Tagebucheintrag Fried Walters, a.a.O.
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Auftritt der Gruppe ein Dekret des Gauleiters von Sachsen, Martin Mutschmann,
erging, das auch die den Humoresk Melodios eigene Darbietungsform zum
Gegenstand hatte:
«Das Spielen aller amerikanisierenden Jazzweisen oder ahnlicher dem
deutschen Kulturempfinden widerstrebenden Musik wie alle Entartung
musikalischer Darbietungen durch korperverrenkende Untermalung, dekadenten
Refraingesang und ahnliche Effekthascherei ist grundsatzlich verboten.»1
Nach dem Ende der Olympiade 1936 in Berlin sahen sich auch die
Humoresk Melodios zunehmend Repressionen ausgesetzt
obgleich sie bei
Publikum und gro?en Teilen der Presse nach wie vor ausnehmend beliebt waren,
waren offizielle Stellen offenbar allmahlich nicht mehr sicher, wie mit der
Gruppe umzugehen sei und griffen zu einem in Deutschland bereits bewahrten
Zensurmittel: War das Ensemble im April 1937 von Werner Kleine noch
scherzhaft als eine «kriechstarke Ansammlung junger, durchaus blonder
Manner»2 bezeichnet worden, wurde dies wenig spater fur Alfred Thomas und
Olaf Meitzner zur Realitat, denn beide wurden kurzerhand zum Militardienst
einberufen. Die Gruppe reagierte umgehend: Nachdem durch einen
mehrmonatigen Gastspielvertrag bei der Revue «Sonnenschein fur alle» das
Uberleben der Gruppe mit uberschaubarem Repertoire gesichert war, trat man
zunachst als Trio auf und engagierte als Ersatz den Bariton Hans Nowak. Dieser
jedoch war teilweise judischer Abstammung und konnte gema? der Erinnerung
Olaf Meitzners nur durch eine Sondergenehmigung eines SA-Fuhrers uberhaupt
auftreten.
Die wohl kurioseste Besetzung eines solchen Ensembles uberhaupt stand
schlie?lich im Januar 1939 auf der Buhne: Alfred Thomas war kurz zuvor zu
dem Ensemble zuruckgekehrt, und Werner Rossler hatte sich, den Krieg
vorausahnend, in der Hoffnung, spater einem Einsatz an vorderster Front zu
entgehen, freiwillig zur SS gemeldet. So waren also auf der Buhne eintrachtig zu
sehen: ein Schuler des verfemten Arnold Schonberg am Klavier, ein
homosexueller erster Tenor, ein zweiter Tenor ohne nennenswerte musikalische
Ausbildung, ein nach der damaligen Nomenklatur «halbjudischer» Bariton und
ein SS-Mitglied als Bassist. Die Gemeinschaft, die sich hier auf der Buhne und
am 9. Januar 1939 sogar im Fernsehen zeigte, entsprach mit Sicherheit nicht der
1
Martin Mutschmann: Verbot des Jazz und ahnlich entarteter Musik in Sachsen. Eine
Anordnung. In: Musik im Kriege I/3-4 (Juni-Juli 1943). Berlin: Amt Musik beim Beauftragten des
Fuhrers fur die Uberwachung der Gesamten Geistigen und Weltanschaulichen Schulung und
Erziehung der NSDAP, S. 75.
2
Markgraf: Kabarett im Koffer, II. Teil 2 (Ansage und Text: Dr. W. Kleine). Mitwirkende:
Hilde Schellenberg, Peter Igelhoff, Anna Abenthung, Mimi Thoma, Humoresk Melodios. Polydor
15119 [mx. 480? GO 7 D], aufgenommen Berlin, April 1937.
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von offizieller Seite beschworenen «Volksgemeinschaft». Dies bekam vor allem
Rossler zu spuren, der kurz darauf kaserniert wurde und als einziges Mitglied
der Humoresk Melodios den Krieg nicht uberlebte. Statt seiner kehrte Olaf
Meitzner wieder zu der Gruppe zuruck. Erich Bergau kommentierte die
Ereignisse spater mit den Worten: «Unser Kollege wurde zu den Fahnen geeilt.»
Im Marz 1940 schlie?lich emigrierte Hans Nowak in die USA. Nahezu
zeitgleich heiratete Alfred Thomas zum Schein eine alte Jugendfreundin, um
einer drohenden Einweisung in ein Konzentrationslager zu entgehen. Um den
Bestand der Gruppe zu sichern, die abermals auf ein Gesangstrio mit
Klavierbegleitung geschrumpft war, meldete sich das Ensemble freiwillig zur
Truppenbetreuung. Entsprechende Aktivitaten belegt ein Werbeblatt aus dem
Jahr 19401. Dazu kamen in den folgenden Jahren auch K.d.F.-Veranstaltungen
und Auftritte fur das Rote Kreuz. Im Nachhinein ist es kaum zu verstehen, wie
die Gruppe im Gegensatz zu so vielen anderen, die sich wesentlich angepasster
zeigten, so lange intakt bleiben konnte. Denn auch ihre letzten Aufnahmen
beinhalten manchen versteckten Seitenhieb wie mag es wohl auf Fronturlauber
oder Lazarettpatienten gewirkt haben, wenn die «Melodios» (den Zusatz
«Humoresk» hatten sie inzwischen als zu anglophon aus ihrem Namen
gestrichen) das Lied «Unter dem Sternenzelt»2 anstimmte, und Alfred Thomas
schmachtend intonierte: «[...] denn meine Sehnsucht, Liebster, bist Du»?1
Obgleich mir die Biografie der Humoresk Melodios wichtig scheint, um
ihr musikalisches Schaffen richtig einordnen zu konnen, geht es mir hier nicht
um eine «Ehrenrettung», Neuentdeckung oder Glorifizierung. Der kreative
Umgang des Ensembles mit seitens der offiziellen Kulturpolitik formulierten
oder zumindest suggerierten Vorgaben ist jedoch geeignet, um ein
grundlegendes Problem sogenannter «Funktionaler Musik» zur Diskussion zu
stellen: Die Frage, zwischen welchen Extremen sich Musik bewegen muss, um
uberhaupt funktional zu sein, wobei hier vorausgesetzt wird, dass Funktionalitat
von Musik nicht als ein blo?es Schlagwort zur Abqualifizierung kunstlerisch
scheinbar geringerwertiger Musik verstanden wird, sondern tatsachlich uber den
rein musikalischen Gehalt eines Werks oder einer musikalischen Handlung
hinausreichende Intentionalitat oder wie auch immer geartete kommunikative
Eigenschaften besitzt (unabhangig davon, ob und in welchem Ma?e die
beabsichtigte Funktionalitat tatsachlich eingelost wird). Ein weiteres Beispiel sei
1
Archiv Olaf Meitzner, Fotokopie im Besitz des Autors.
Dieser Schlager, ursprunglich 1934 fur den Film «Ferien vom Ich» geschrieben, war gerade
neu veroffentlicht worden in: Liederbuch fur Front und Heimat (= Deutsche Wacht in Ost und West,
Heft 1). Leipzig: Wilhelm Gebauer, o.J. [1943], S. 4.
2
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dazu herangezogen, ein volkstumlicher Schlager mit dem programmatischen
Titel «Rumtata»2. Entsprechende Stucke entstanden ab 1933 in Massen, und
eine solche «Neue Deutsche Tanzmusik» war zur Zuruckdrangung
angloamerikanischer Einflusse im Bereich der Unterhaltungsmusik durchaus
gewollt von Reichskulturkammer und Propagandaministerium. Doch war diese
Politik erfolgreich? Herbert Gerick etwa klagt 1936:
«Der Jazz ist nur scheinbar uberwunden. In Wahrheit herrscht er wie
fruher an den deutschen wie auslandischen Unterhaltungsstatten. Er hat nur sein
Gewand gewechselt. [...] Die bezeichnenden Rhythmen, die Synkope, die
grotesken Instrumentalwirkungen, der blode Refraintext, die unzulanglichen
Stimmen sind geblieben.»3
Und nun kommt eine «kriechstarke Ansammlung junger, durchaus
blonder Manner» und beweist, dass eben auch ein solcher volkstumelnder
Schlager ebenso blod ist wie ein Text von Fritz Rotter oder Willy Rosen, dazu
durchaus versehen mit «grotesken Instrumentalwirkungen», die freilich, worauf
der Text der zweiten Strophe hinweist, oft genug ihr Aquivalent in den
instrumentalen Leistungen echter Volksmusiker finden. Das Ganze wird von
Stimmen dargeboten, die offensichtlich keinem klassischen vokalen Ideal
entsprechen, andererseits aber scheinbar muhelos in der Lage sind, komplexe
Arrangements zu singen, die in Stimmumfang und Vielfalt der erforderlichen
Klangfarben einen Gro?teil der klassisch ausgebildeten Sanger uberfordern
durften
«unzulanglich» sind die Sanger keineswegs. Selbst die
nationalkonservative Presse lobt speziell dieses Arrangement, «bei dem die
Sanger mit meisterlichem Geschick den Schlager bis in seine kleinsten Finessen
ausschopfen.»4 Dieses Schlagerarrangement mag in irgendeiner Weise
«funktionieren» in der offiziell intendierten Weise jedoch funktioniert es nicht,
doch ohne dabei angreifbar zu sein. Alle volkstumlichen Klischees von
Dorfmusik uber Franzl und Toni bis hin zum Jodler werden bedient, doch jedes
der Elemente tragt in zugespitzter Aneinanderreihung zum Eindruck des
Komischen bei.
1
Marc Roland: Unter dem Sternenzelt (Text: Peter Francke). Die Melodios; Gesangsterzett mit
Orchesterbegleitung. Tempo 5150 (mx. 1908), aufgenommen Berlin, 5.5.1943.
2
Willy Geisler: Rumtata (Wenn der Franzl die Toni) (Text: Oskar Felix). Humoresk Melodios.
Grammophon/Polydor 10364 (mx. 2673 bzw. 2673? GN), aufgenommen Berlin, 14.5.1935
3
zitiert von Martin Elste: Zwischen Privatheit und Politik. Die Schallplatten-Industrie im NSStaat. In: Hanns-Werner Heister und Hans-Gunter Klein (Hrsg.): Musik und Musikpolitik im
faschistischen Deutschland. Frankfurt a.M.: Fischer 1984, S. 109 f.
4
Zeitungskritik aus Auerbach; ungekennzeichneter Ausriss aus dem Archiv Olaf Meitzner;
Fotokopie im Besitz des Autors.
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So befreit sich die Musik letzten Endes von Vorgaben, indem sie diese
erfullt, und erreicht so weitestgehende Immunitat gegen staatliche
Vereinnahmung, also wieder Autonomie. Andererseits sind es die sich jeglicher
kulturpolitischer Einbindung verweigernden Teile des Repertoires, welche eben
gerade durch das Beharren auf einer Autonomie jenseits staatlicher
Einflussnahme ihre ursprungliche Funktionalitat, namlich die der Tanz- und
Unterhaltungsmusik fur die jugendliche Subkultur, uberhaupt nur erfullen
konnen. In diesem Sinne ist Funktionalitat ohne Autonomie uberhaupt nicht
denkbar vielleicht stellt diese Verschrankung bis zu einem gewissen Grad eine
absolute Verwendung der Begriffe an sich, es sein denn als theoretische Extreme
zu Vergleichszwecken, in Frage. Denn wenn Musik durch die Summe von
einzeln betrachtet adaquaten Interpretationsstrategien ihre vom Komponisten
intendierte Wirkung einbu?t und statt dessen im Sinne des Interpreten
funktioniert, tragt dann nicht je nach Schwerpunktsetzung jede Musik den Kern
des Funktionalen in sich? Oder hat, da sich wohl jede Musik in verschiedene
Richtungen auslegen lasst, alle Musik, auch wenn sie fur noch so konkrete
Zwecke geschrieben wurde, ein gewisses autonomes Potential? Und was ist
schlie?lich in Fallen, in denen sich eine dem ursprunglichen Sinn der
Komposition entgegengesetzte Funktion zwar feststellen lasst, seitens der
Interpreten aber eine derartige Absicht nicht bestatigt wird? Kann Musik in
einem Sinne funktionieren, der weder vom Komponisten noch vom Interpreten
bei der Auffuhrung beabsichtigt wurde? Ich halte die Gegenuberstellung von
Autonomie und Funktionalitat insbesondere dann fur problematisch, wenn sie
dafur missbraucht wird, vom Sprecher selbst als hoherwertig angesehene
«klassische» Musik von niederer Unterhaltung abzugrenzen. Von einer
grundsatzlichen Infragestellung einer solchen Wertung ganz zu schweigen, ist
ein solches Argumentationsmodell trugschlussig: Dadurch, dass eine
Gegenposition aufgebaut und als solche benannt wird, wird der ursprunglichen
Position schlie?lich erst im Ruckbezug eine entsprechende Wertigkeit
zuerkannt.
Der Gruppe selbst, welche mich zu diesen Fragen anregte, waren solche
Erwagungen freilich gleichgultig gewesen. Ihrem Selbstbild entsprach wohl am
ehesten eine Kolner Zeitungskritik uber ihr Auftreten vom 18.5.1935:
«Wie sie aussehen, so singen und spielen sie auch: unbehaftet von
Problemen, ohne den Ehrgeiz, fur hervorragende Kunstler gehalten zu werden.
Doch sie sind welche, auch wenn sie in einem anderen Stockwerk des gro?en
Hauses der Gesangskunst wohnen als jene, die den eleganten Zeitschriften
Interviews gewahren. Sie stellen sich in eine Reihe und singen sich eins. Und
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dann sind sie froh und machen ein bi?chen Unfug. Und dann freuen sie sich
uber beides, den Gesang und den Unfug.»1
Und vielleicht liegt hierin die konsequenteste Form des Dissenz: In der
Weigerung, ein Problem uberhaupt als solches anzuerkennen.
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
Anonym (Hrsg.): Liederbuch fur Front und Heimat (= Deutsche Wacht in Ost und West,
Heft 1). Leipzig: Wilhelm Gebauer, o.J. [1943].
Elste, Martin: Zwischen Privatheit und Politik. Die Schallplatten-Industrie im NS-Staat.
In: Hanns-Werner Heister und Hans-Gunter Klein (Hrsg.): Musik und Musikpolitik im
faschistischen Deutschland. Frankfurt a.M.: Fischer 1984, S. 107-114.
Heister, Hanns-Werner und Hans-Gunter Klein (Hrsg.): Musik und Musikpolitik im
faschistischen Deutschland. Frankfurt a.M.: Fischer 1984.
Kuhn, Volker: «Man mu? das Leben nehmen, wie es eben ist ...». Anmerkungen zum
Schlager und seiner Fahigkeit, mit der Zeit zu gehen. In: Hanns-Werner Heister und
Hans-Gunter Klein (Hrsg.): Musik und Musikpolitik im faschistischen Deutschland.
Frankfurt a.M.: Fischer 1984, S. 213-226.
Musik im Kriege I/3-4 (Juni-Juli 1943). Berlin: Amt Musik beim Beauftragten des
Fuhrers fur die Uberwachung der Gesamten Geistigen und Weltanschaulichen Schulung
und Erziehung der NSDAP.
Mutschmann, Martin: Verbot des Jazz und ahnlich entarteter Musik in Sachsen. Eine
Anordnung. In: Musik im Kriege I/3-4 (Juni-Juli 1943). Berlin: Amt Musik beim
Beauftragten des Fuhrers fur die Uberwachung der Gesamten Geistigen und
Weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP, S. 75.
Prieberg, Fred K.: Musik im NS-Staat. Koln: Dittrich, 2000.
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30-
«Humoresk Melodios»
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1
Zeitungskritik aus Koln; mit Ort und Datum gekennzeichneter Ausriss aus dem Archiv Olaf
Meitzner; Fotokopie im Besitz des Autors.
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Karsten Lehl. Wenn funktionale Musik sich verweigert die Kunst der negativen
Zustimmung. Unter den zahlreichen Vokalensembles, die im Deutschland der 1930er Jahre in
der Unterhaltungsmusik wirkten, fallen die «Humoresk Melodios» durch eine hochst kreativ
umgesetzte Nonkonformitat auf. Ihre Verweigerungshaltung dem nationalsozialistischen
Regime gegenuber zeigt sich nicht immer in direkt konfrontativem Musikmaterial. Viele von
ihnen auf Schallplatte, bei Konzerten und sogar im Fernsehen vorgestellte Titel zeichnen sich
hingegen durch ein ubertriebenes Ma? an Anpassung aus. So ergibt sich ein faszinierendes
musikalisches Spannungsfeld: Indem die Musik die kulturpolitischen Vorgaben aufs
gewissenhafteste erfullt, werden vorgegebene Richtlinien der Lacherlichkeit preisgegeben; so
erreicht diese Musik Immunitat gegen staatliche Vereinnahmung und damit wieder
Autonomie. Andererseits sind es die sich jeglicher kulturpolitischer Einbindung
verweigernden Teile des Repertoires, welche eben gerade durch das Beharren auf einer
Autonomie jenseits staatlicher Einflussnahme ihre ursprungliche Funktionalitat, namlich die
der Tanz- und Unterhaltungsmusik fur die jugendliche Subkultur, uberhaupt nur erfullen
konnen. So unauflosbar verbunden sind hier die Ma?stabe der Autonomie und Funktionalitat,
dass beide ohne den jeweils anderen ihre Gultigkeit verlieren und damit die Unterteilung
selbst in Frage stellen.
Iryna Tukova, Kyiv
THE ART OF MUSIC OF THE SECOND HALF OF XX THE
BEGINNING OF XXI CENTURY:
THE PROBLEM OF LISTENERS PERCEPTION
Specifics of academic musical practice that had been made up by the end
of XX the beginning of XXI centuries envelops in one space huge layer of
sounding: from early professional specimen till contemporary intellectual etudes
of the highest quality. This situation can be explained by the fact that just the
second half of XX century coincides with the period of both the brightest
composers experiments in the field of the language and active intruding of early
music into phonation area.
As a result, for the listener of the beginning of XXI century it is necessary
to have huge «lexical musical supply» to be able to perceive and understand in
full scale the diversity of the music he can listen to.
This problem is connected with the fact that till the beginning of XXI
century European musical language had been developing in evolutionary way.
Gradual changes were connected with historical replacement of world
perception types and mentality, that were consolidated in the methods of pitch,
time and structural organization of the composition. Musical practice of XX
century has changed not only intonation order of music language but also the
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