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tv diskurs 47 SERVICE Stabile Seitenlage Die Medienpädagogik lebt und wird noch gebraucht GMK-Forum vom 21. bis 23. November 2008 in Rostock Seit 25 Jahren ist das „Forum Kommunikationskultur“ der Gesellschaft für Medienpä- Mediensozialisation und Chancengleichheit dagogik und Kommunikationskultur (GMK) Treffpunkt der deutschsprachigen medienpädagogischen Szene. Im vergangenen Prof. Dr. Ingrid Paus-Hasebrink von der Universität Salzburg stellte eine Panelstudie aus Jahr fand es unter dem Titel „Geteilter Bild- Österreich vor, an der 20 sozial benachtei- schirm – getrennte Welten“ vom 21. bis zum ligte Familien mit Kindern im Alter von 23. November 2008 in Rostock statt. anfangs 5 Jahren drei Jahre lang teilnahmen. Das Veranstaltungskonzept ist weitgehend Medien spielten im Alltag der Familien eine unverändert geblieben und wirkt fast schon enorm wichtige Rolle, doch es gab kaum wieder avantgardistisch. Das Forum ist drei Regeln für den Umgang mit ihnen. Die Pro- Tage lang, und das Programm, hinter dem grammauswahl beim Fernsehen richtete sich viel ehrenamtliches Engagement steckt, ist nach den Bedürfnissen der Erwachsenen. üppig bis zur Unübersichtlichkeit. Es gab elf Wenn die Kinder allein waren, entschieden Workshops, Vorträge und Talkrunden, hinzu sie sich für fiktionale Zeichentrickserien. kamen die traditionelle Filmschau der Hoch- Wenn sie lasen, griffen sie zu Büchern aus schule für Film und Fernsehen »Konrad crossmedialen Kontexten. Gewaltdarstellun- Wolf« in Potsdam-Babelsberg, eine zweite gen wurden von den Eltern zwar kritisch Filmschau unter dem Schwerpunkt Gegen- bewertet, doch sie schafften es nicht, syste- öffentlichkeit mit TV-Beiträgen zum G-8- matische Mediengebote und -verbote aufzu- Gipfel, die Verleihung des Dieter-Baacke- stellen. Als die Kinder in die Schule kamen, Preises und ein Empfang im MAU-Club im zogen sich die Eltern noch weiter zurück und Stadthafen mit Livemusik aus Rostock. Als nahmen kaum noch planvollen Einfluss. ruhender Pol in der Mitte stand wie stets Die Defizite an Orientierung wurden von der Büchertisch des kopaed-Verlags. Medienangeboten ausgefüllt. Sie gewan- Die leidenschaftlich geführten Debatten nen in dem anregungsarmen Umfeld eine kreisten um folgende Fragen: große Relevanz bei der Identitätsgenese, bei der Bewältigung von Entwicklungsauf- 1. Vertiefen Computer, Fernsehen, Internet zen zu überwinden, Dialoge anzustoßen gaben und wurden zentrale Informations- und mobile Medien die Abgrenzung unter- oder ausgegrenzte Gruppen einzubinden? und Wissensquelle. Sie boten den Kindern schiedlicher gesellschaftlicher Gruppen 4. Wie können Risiken der Mediennutzung Handlungsanleitungen, Informations- und voneinander oder fördern sie Gemeinschaft minimiert werden? Identifikationsangebote. und Teilhabe? 5. Mit welchen Methoden und Projekten Die Studie kommt zu dem Ergebnis: „Kind- 2. Schaffen Medien neue Trennlinien zwi- können Pädagogik und Bildung dazu beitra- heit in sozialen Brennpunkten ist in verschärf- schen Generationen, Kulturen, Milieus, gen, den kompetenten Medienumgang von ter Weise als Medienkindheit zu bezeichnen, Männern und Frauen? Kindern, Jugendlichen und Familien zu för- ihre Sozialisation ist Mediensozialisation, da 3. Wie können Medien dafür genutzt wer- dern und einer medialen Bildungskluft ent- sie durch andere Sozialisationsinstanzen nur den, materielle, kulturelle und soziale Gren- gegenzuwirken? wenig moderiert wird.“ 1 | 2009 | 13. Jg. 111 tv diskurs 47 SERVICE Ingrid Paus-Hasebrink stellte klar, dass die sen einerseits lernen, mit der globalen Kul- skizzierte Problematik nicht allein medien- tur umzugehen, andererseits gilt es, den pädagogisch zu lösen ist, sie forderte eine Menschen ‚Heimat‘ zu geben, und das geht verantwortungsvolle Zusammenarbeit aller, vor allem über die Herstellung von realer Vor dem Hintergrund der technischen Entwicklung wurde es zunehmend einfacher, die für das Wohl von Kindern verantwortlich und virtueller Lokalität. Beiden Ansprüchen Medienaspekte und medienpraktische Pro- sind. (‚Glokalisierung‘) gerecht zu werden, ist die jekte in den Schulalltag zu integrieren. Einer Prof. Dr. Uwe Sander von der Universität große Herausforderung.“ Röll unterstrich wirklichen Einbindung standen allerdings Bielefeld stellte eine Studie zum Thema den Wert dieser Art von Medienarbeit auch die fehlenden zeitlichen Spielräume der Jugend und Globalisierung vor. Medien for- in Bezug auf informelle Bildung, interkultu- Curricula und die großen Schülerzahlen in men die Lebensphase Jugend, sie beeinflus- relles Lernen und den Erwerb von „Social den Klassen entgegen. sen, globalisieren, transportieren Jugend- Skills“. Auch Web-2.0-Technologien wie Blogs, Wikis und Podcasts, die durch ihre Offenheit kulturen und sind „Bühne“ des Protests. Während des G-8-Gipfels im Juni 2007 in Bildungshoheit und Lernkultur Projektarbeit und Kontinuität und das Konzept der „Weisheit der Vielen“ schon seit einigen Jahren eine Herausforde- Heiligendamm trauten sich 250 Studierende, rung für die Lehre darstellen, gewannen im zahl der Protestierenden kam eher von der „Radiofüchse – Das interkulturelle Hamburger Kinderradio“ von Kinderglück e. V. „Gewinnerseite“ und setzte sich für die bekam den Dieter-Baacke-Preis 2008. Im Prof. Dr. Ben Bachmair, Mitglied der Kom- „Verliererseite“ ein. Eine differenzierte Be- Rahmen des Forums wurden zahlreiche wei- mission für Jugendmedienschutz (KJM), fragung zum Gewaltverhalten ergab, dass tere Projekte vorgestellt, die belegten, dass schätzt, dass Schule die Hoheit über das 80 % Gewalt ablehnten. Etwa 11 % zählten insbesondere Kinder und Jugendliche von Lernen weiter verlieren wird, wenn es ihr zum militanten Flügel der Globalisierungs- medienpädagogischen Angeboten enorm nicht gelingt, das Wissen der Schüler aus kritiker, die Öffentlichkeit gezielt durch profitieren. anderen Quellen ernst zu nehmen und in Gewaltaktionen erreichen wollten. Randale- Nach wie vor besteht allerdings das Pro- die Lernsituationen einzubinden. Er sah die touristen entpuppten sich dabei als weniger blem, dass eine Flächendeckung durch Lehrenden als zukünftige „Spezialisten für gefährlich und zerstörerisch als die „Polit- medienpädagogische Angebote nicht er- das Verbinden von Alltagskompetenz und Militanten“, die auch gezielt die Auseinan- reicht wird – trotz verschiedener positiver Curriculum“. dersetzung mit der Polizei suchten. Ansätze auf Landesebene, beispielsweise Die Ansichten über den Sinn eines neuen Unter dem Stichwort „Digital Divide“ wurde in Mecklenburg-Vorpommern. Schulfachs „Medien“ blieben geteilt. Aus festgestellt, dass allein der Zugang zum Hinter den Initiativen und Projekten standen Kanada wurde berichtet, dass „Literacy“ World Wide Web und zu den neuen Informa- auch 2008 kaum belastbare Strukturen, son- vom Kindergarten an gefördert werde. Jede tions- und Kommunikationstechnologien als dern motivierte Einzelpersonen, Gruppen Schule habe ein betreutes Medienzentrum, Kriterium wenig aussagekräftig ist in Bezug und Vereine. So blieb es weitgehend dem zu dem auch die Bibliothek gehöre. Der auf reale und soziale Benachteiligungen. Zufall überlassen, ob jemand in den Genuss Fähigkeit „zu fragen und zu forschen“ Schichtenspezifische Unterschiede finden medienpädagogischer Angebote kam. („Inquiry & Research“), nähere man sich in sich auch in sozialen Netzwerken wieder. Ein Grund dafür liegt in der Finanzierungs- drei Schritten: Entziffern und Verstehen von MySpace gilt als Netzwerk für Bildungsferne struktur, die sich – bis auf wenige Ausnah- Zeichen, Herstellen von Medien – auch von und Unterprivilegierte, Facebook ist eher für men – in Projektförderungen und Anschub- Büchern –, Bewertung und Kritik. Eliten. Auch StudiVZ ist ein Netzwerk mit finanzierungen erschöpft. Selbst wenn sich Margret Albers von der Deutschen Kinder- sozialer Distinktion, aufgrund ökonomischer Konzepte als erfolgreich erwiesen, hatte das medienstiftung „Goldener Spatz“ warb für Marktbedingungen erfolgte aber eine Aus- selten Konsequenzen in Bezug auf die För- eine Schule des Hörens und des Sehens, weitung und Öffnung (SchülerVZ, MeinVZ). derung. Viele als beispielhaft gepriesene die Kinder und Jugendliche beim Finden Prof. Dr. Heinz Moser, der an der Pädagogi- medienpädagogische Aktivitäten wurden von Qualitätsmaßstäben unterstützt. schen Hochschule Zürich und der Universität eingestellt und auch die Erfahrungen daraus Ein Workshop auf dem Forum widmete Kassel lehrt, kam zu dem Fazit: Wenn sozia- nicht aufgegriffen. Denn bei jedem neuen sich Erfahrungen mit den „Serious Games“, les und kulturelles Kapital ungleich verteilt Antrag ist „Innovation“ gefragt, was dazu die helfen können, die Lernmotivation ist, kann dies schwerlich über Strategien führt, dass Spuren verwischt werden und bildungsferner Jugendlicher zu verbessern. einer verbesserten Mediennutzung ausge- Tradition und historisches Bewusstsein aus Begeisterung weckte auch der Workshop glichen werden. Er warb für eine lebenswelt- dem Blickfeld rücken. „Creative Gaming“ mit Beispielen für die orientierte Medienpädagogik, die milieu- Prof. Dr. Dieter Wiedemann vom Kuratorium „kreative und regelbefreite Verwendung bezogene Aspekte stärker berücksichtigt. der GMK plädierte dafür, trotz dieser Kon- von Computerspielen“ (www.creative- Prof. Dr. Franz Josef Röll von der Hochschule kurrenzsituation im Reichtum der unter- gaming.eu). Darmstadt setzte auf Lokal-TV im Internet schiedlichen Konzepte nach den gemein- Die neuen Zahlen vom Medienpädagogi- und sah die Bürgermedien als Bindeglied samen Grundlagen zu suchen und diese schen Forschungsverbund Südwest, die für eine Vernetzung im Lokalen: „Wir müs- offensiver zu vertreten. Thomas Rathgeb vorstellte, belegten an- 3.500 Protestierende zu befragen. Die Mehr- 112 Schulunterricht kaum an Bedeutung. 1 | 2009 | 13. Jg. tv diskurs 47 SERVICE schaulich, dass Computer, Internet, Handy Explizit migrationsspezifische Nutzungs- dem Ergebnis gekommen: „Jeder von uns und MP3-Player für Jugendliche im Jahr muster wurden durch die Studie nicht ent- besitzt in gewissem Sinne transkulturelle 2008 zum Alltag gehören (JIM-Studie, deckt, auch unterschiedliche Formen der Identität.“ www.mpfs.de). Gut die Hälfte der Jugendli- Identifizierung wurden nicht gefunden. Beim Abschlusspodium erklärte Schülerin chen hatte einen Internetzugang im Zimmer, Dennoch gab es einen Unterschied: Der- Franziska Buchner aus Berlin dem verdutz- hier standen erstmals mehr Computer als selbe Migrationshintergrund machte Figu- ten Publikum aus Medienfachleuten, sie Fernseher. Durch Flatrates gab es keine ren für Kinder attraktiver, und auch dieselbe wolle nicht nur Aufgaben im Internet lösen. Zeitbeschränkung bei der Nutzung des kulturelle und/oder religiöse Zugehörigkeit Sie lege auch Wert auf traditionelle Formen Internets mehr, und Onlinecommunitys förderte die Identifikation. wie den „Stuhlkreis“. Franziska will mindes- spielten dementsprechend eine große Rolle. Das war bei den Jugendlichen vergleichbar, tens einen Film pro Woche in der Schule SchülerVZ war die Plattform in Deutschland, die 49 % der Mädchen und 42 % der Jungen bestätigte Dr. Elke Schlote vom Internatio- sehen und besprechen, aber auch Texte nalen Zentralinstitut für das Jugend- und schreiben lernen und überhaupt alles, was nutzten. 48 % der Jugendlichen hatten eine Bildungsfernsehen (IZI). Hier wurden 14- bis man braucht, damit „man das Gefühl hat, eigene E-Mail-Adresse, viele auch eine 16-Jährige nach Türkisch für Anfänger und man hat was geschafft.“ Mit diesem guten eigene Nummer für „Instant Messaging“. Gefühl treffen sich die Medienpädagogen Der sorglose Umgang mit Daten im Web 2.0 Alle lieben Jimmy befragt. Die Studie ist in der Zeitschrift „TelevIZIon“ (21/2008) ver- wirft neue Probleme in Bezug auf Daten- öffentlicht. beim 26. Forum Kommunikationskultur, schutz und Privatsphäre auf. Aufgrund dieser Ergebnisse hält Henrike dann in Berlin. hoffentlich auch im nächsten Jahr wieder, Terhart es nicht für sinnvoll, die hier lebenMigration und Medien den Kinder von Seiten der Programm- Susanne Bergmann macher als getrennte Zielgruppen anzuDipl. Päd. Henrike Terhart von der Universität Köln präsentierte die Ergebnisse einer sprechen. Sie setzt auf ein gemeinsames 2007 durchgeführten Studie zu den Fern- für die 8- bis 12-Jährigen, das „mit viel- sehlieblingsfiguren von 8- bis 12-jährigen schichtigen Charakteren Heterogenität als Kindern mit und ohne Migrationshinter- Kennzeichen des alltäglichen Lebens ver- grund. Die Stars waren SpongeBob und mittelt“. Kim Possible, doch von den 125 Kindern Medienpädagogisch bietet sich die Aus- wurden immerhin über 70 verschiedene einandersetzung mit hybriden Identitäts- Figuren benannt. konstruktionen an. Für die medienpädago- Große Unterschiede in den Vorlieben gische Praxis fehlen jedoch nach wie vor konnte die Studie zwischen Kindern mit und Lehrende mit Migrationshintergrund, die ohne Migrationshintergrund nicht feststel- die Fernseh- und Lebenserfahrung der len. Beide Gruppen kannten ihre Lieblings- Kinder kennen und aufgreifen können und figuren aus dem deutschen Fernsehen. Her- den Schatz der zwei Kulturen bergen. kunftssprachliches Fernsehen stand nicht Dr. Christa Hanetseder von der PH Zürich hoch im Kurs, es strengte die Kinder an, weil bestätigte, dass sich die These vom ihnen oft Wörter fehlten, um den Filmen „Medienghetto“ in der Schweiz ebenso folgen zu können. Das deutsche Fernsehen wenig bestätigt hat wie in der Bundes- gefiel ihnen besser, und sie verstanden es republik oder in Österreich. auch besser. Außerdem bot es ihnen den Mehrere Studien belegen, dass allein die höheren Gebrauchswert in Bezug auf die Nutzung herkunftssprachlicher Medien kein Peerkommunikation. Beleg für fehlende Integration ist. Deutsche Die Kinder beider Gruppen erwarteten von Medien können diesen Bedarf an Informa- ihren Figuren ganz unbescheiden „chill“, tionen nicht decken, zumal das Interesse „thrill“, Mimesis und moralische Orientie- der Migranten weniger auf die Nation als rung. Sie freuten sich, wenn sie in den Sen- auf die Herkunftsregion gerichtet ist. dungen Elemente aus dem eigenen Alltag In Bezug auf die fiktionalen Angebote wiederfanden. Hybride Identitäten, Figuren stellte Florian Krauß von der Hochschule mit Mehrfachzugehörigkeiten, erwiesen sich für Film und Fernsehen »Konrad Wolf« in als anschlussfähig, und anderes Aussehen Potsdam-Babelsberg fest, dass Deutsche weckte das kindliche Interesse. Für pro- mit und ohne Migrationshintergrund blemorientierte Figuren hatten die Kinder Produktionen aus aller Welt sehen. Er hat nicht viel übrig. zum Thema Bollywood geforscht und ist zu 1 | 2009 | 13. Jg. Fernsehen und wünscht sich ein Programm 113