Grefe Text Der globale Countdown
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Grefe Text Der globale Countdown
„Der globale Countdown“ Bericht über die Buchpräsentation der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit Christiane Grefe am 14.04.2010 Seit langem widmet sich die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Veranstaltungen und Publikationen der Frage, wie sich Ökologie und Ökonomie in einer gerechteren Gesellschaft als der heutigen vereinbar sind und wie die Wege dorthin sein können. Am 14. April stellte die Stadtbibiliothek Magdeburg als Kooperationspartner ihr Lesecafe für die Präsentation des Buches von Harald Schumann und Christiane Grefe „Der globale Countdown – Gerechtigkeit oder Selbstzerstörung – die Zukunft der Globalisierung“ (2008 bei Kiepenheuer & Witsch, 2. Auflage) zur Verfügung. Vom Autorenteam war Christiane Grefe anwesend. Sie und ihr Co-Autor kommen nicht aus dem traditionellen linken Spektrum. Ergebnisse ihrer Arbeit als Redakteure bei großen deutschen Wochenzeitungen und Nachrichtenmagazinen sind unter anderem Veröffentlichungen zu Globalisierungsfolgen. Natürlich gibt es massenhaft Studien, die sich dieses Themas kritisch annehmen. Bemerkenswert an der vorliegenden Publikation sind die Fülle an Fakten und vielen Einzelbeispielen, die zu Grunde liegenden gründlichen Recherchen - und ein journalistisch flüssiger und ansprechender Stil, bei Gesellschaftskritik leider häufig nicht der Fall. Überzeugend werden die ständig zunehmende Interdependenz, die wechselseitige Verflechtung aller Staaten und Ökonomien, das ganze Geflecht von Krisenprozessen (die Finanz- und Wirtschaftskrise, die Nahrungsmittelkrise, die Energiekrise und der Klimawandel als die entscheidende Herausforderung) und die extreme Instabilität des neuen, auf den Kalten Krieg gefolgten Weltsystems analysiert. „Entweder die Menschheit findet den Weg zu globaler Kooperation, oder die Welt wird für Jahrzehnte in gewalttätigen Konflikten versinken,“ lautet die Schlussfolgerung. Ideen, Technologie und Kapital zur Lösung der globalen Probleme gibt es, es müssen aber, wie ein roter Faden zieht sich auch dieser Gedanke durch das Buch, „wirtschaftliche und politische Machtstrukturen einer jeden Gesellschaft“ überwunden werden, wie in Deutschland zum Beispiel das Kartell der vier großen Stromkonzerne. Und: „Die zerstörerische Macht der Finanzmärkte muss durch ein neues Regelsystem gebrochen werden.“ Adressat der Veröffentlichung ist in erster Linie das breite, an Sachinformationen und historischen, ökonomischen und politischen Hintergründen interessierte Publikum. Und es geht darum, auch solche Leser/innen anzusprechen, die zu den Gewinnern der Globalisierung gehören, z.B. mit gut dotierten Jobs in weltweit tätigen Konzernen. Selbstverständlich ist diese Fokussierung berechtigt, weil nur eine immer größer werdende Anzahl von Menschen imstande ist, den „Lenkern“ dieser Welt in den Arm zu fallen und sie zur Umkehr von einer letztlich Verderben bringenden Politik zu zwingen. Mit der Buchpräsentation am 14. April wurde das Ziel verfolgt, Anliegen und Inhalte der Publikation dem interessierten Publikum nahe zu bringen. Immerhin war das Lesecafe gut besucht. Dr. Evelin Wittich (Akademie für Politische Bildung der RosaLuxemburg-Stiftung) als Moderatorin des Abends führte zunächst auf dem Podium einen längeren Dialog mit der Autorin, bis dann, nach deutlichen Wünschen aus dem Publikum, ausgewählte Textstellen zur Lesung kamen. Deutlich wurde: Hier soll die übliche Polarisierung im öffentlichen Dialog über das Phänomen „Globalisierung“ aufgebrochen werden – die Kampfstellung zwischen den Befürwortern der heutigen Form der Globalisierung aus der Ecke neoliberaler Ideologie einerseits und die heftige Abwehr gegen die als Bedrohung empfundenen Folgen der Globalisierung andererseits. „Globalisierung sieht immer so aus, wie wir sie gestalten“, war das Eingangs-Statement Grefes, dem sie auch während der Diskussion treu blieb. Ausführlich stellte sie die Globalisierung als langen historischen Prozess dar, beleuchtete die sozialen Spaltungen der Gesellschaft und nahm ausführlich zur Finanz- und Wirtschaftskrise Stellung. Evelin Wittichs Frage, ob angesichts der nicht zu leugnenden sozialen Verwerfungen eine ökologische Wende (die heute bereits von vielen in Politik und Wirtschaft befürwortet wird) auch ein soziales Korrektiv haben müsste, wurde von Christiane Grefe bejaht. Die Autorin ist voller Optimismus: Der Countdown in einen drohenden globalen Kollaps kann gestoppt werden. Zum Beispiel ermöglichen bereits heute existierende Technologien dezentrale Lösungen im Bereich der Energieversorgung. Damit entsteht eine neue demokratische Dimension vor Ort. Viele Akteure, Bürger- und Basisinitiativen, nicht mehr wie früher nur dem bloßen Protest verpflichtet, wirken an neuen Technologien auf kommunaler Ebene mit. Wörtlich: „Die Zivilgesellschaft hat sich international unglaublich vitalisiert. Es gibt einen Zugewinn an Teilhabe der Menschen an den sie betreffenden Entwicklungsprozessen.“ Oder die neuen Möglichkeiten für die vielen Akteure, die „von unten“ für faire Produktion und fairen Handel von Nahrungsgütern eintreten. Noch liegt sein Anteil bei 3% des weltweiten Einzelhandels – aber mit rasch steigender Tendenz. Und wie beim Kampf gegen die verheerenden Landminen: Was ursprünglich nur von Einzelpersonen ausging (dabei auch sehr prominenten), wurde zu einem weltweiten Politikum, dem sich nun Staaten, Regierungen und die UNO nicht mehr verschließen können. Selbst innerhalb der den Kapitalismus tragenden Eliten regen sich neue Tendenzen: Es gibt eine wachsende Gruppe von Unternehmern und Kapitalanlegern, die auf dem Feld der Umwelt-Technologien nicht nur Gewinne erwirtschaften wollen, sondern selbst weitergehende Ziele einer nachhaltigen Wirtschaft formulieren. In vielen Wirtschaftszweigen sind es nicht mehr „die Kapitalinteressen“ ganz allgemein, die den Kampf gegen den drohenden Kollaps aus eigensüchtigen Profitintereseen behindern, sondern es entsteht ein Streit zwischen unterschiedlichen Geschäftsinteressen. Auf Wittichs Einwurf, ob nicht Akteure wie Staaten, Regierungen, gar die UNO hinter den Erfordernissen zurück geblieben sind, folgte Grefes Antwort: „Das ist gerade das Wesen der Demokratie, dass die Menschen sich zusammen schließen müssen, um diese Akteure zu drücken, damit etwas getan wird. Es ist eine Gegenmacht zum Handeln von Regierungen und Konzernen entstanden. Und man darf die erreichten kleinen Schritte nicht ignorieren, sonst wird man unrealistisch.“ Was wohl in Grefes Diktion heißen sollte: Wer auf die große Gesellschaftsveränderung wartet, um damit und danach die Welt zu retten, übersieht die heute schon sich vollziehenden kleinen Schritte in die richtige Richtung. Wer „revolutionär“ die große Weltveränderungs-Utopie umsetzen will, weil man eben die kleinen Schritte missachtet, verliert vielleicht den demokratischen Boden unter den Füßen. Die Buch-Autoren vertrauen auf die Wirkung von Vernunftgründen, Beispielen aus der Praxis, Druck durch zivilgesellschaftliche Aktionen. Sie sprechen im Buch von einer immer stärker werdenden mächtigen „Gerechtigkeitsbewegung, die täglich an Stärke gewinnt“ und letztlich die Akteure zu zukunftsorientiertem Handeln zwingen kann. Leider wurde die Möglichkeit einer ausführlicheren Diskussion mit der Autorin gerade zu diesen Fragen nicht genutzt. Vielleicht lag es daran, dass eine Reihe der Besucher/innen der Veranstaltung zu Anfang eine längere Lesung erwartet hatten? Oder waren diejenigen Anwesenden, die regelmäßig an konkreten globalisierungskritischen Aktionen teilnehmen von dem „wirtschaftsfreundlichen“ Duktus der Publikation und auch im Auftreten der Autorin enttäuscht? Die Rosa-Luxemburg-Stiftung ist auf jeden Fall gut beraten, mit den Autoren dieser Publikation den Gesprächsfaden weiter zu knüpfen und die Präsentation dieses Buches in weiteren Diskussionsrunden fortzusetzen. Christiane Grefe und ihrem Co-Autor ist zu wünschen, dass ihre anvisierte Zielgruppe, der/die zivilgesellschaftlich engagierte Bürger/in auch dank eines solchen Buches die Zeichen der Zeit erkennt und entsprechend handelt. Bernd Augustin 26.04.2010