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museums verein jahrbuch VORARLBERGER LANDESMUSEUMSVEREIN 2013 Inhalt 8 Nicole Ohneberg/Katrin Netter Mit den Augen der Fotografen Einblicke in das Schaffen zweiter Vorarlberger Fotografen Rudolf Dür aus Hard und Johann Jakob Greuss aus Egg 44 Marcel Just Zwei Hotelbauten der Moderne an der Faschina-Straße: Berghotel Madlener in Damüls und Sporthotel Faschina in Fontanella 62 Julia Kopf/Karl Oberhofer Brigantium Bregenz Kastellareal: Neues zur Lage und Größe des Militärpostens 76 Sarah Leib/Georg Neuhauser „Am perg bey der arbeit beleiben“ Ein montanarchäologischer Survey zur Bergbaugeschichte im südlichen Vorarlberg 96 Christoph Walser/Martin Gamon Heidenhüttli im (Nenzinger) Himmel Archäologische Wüstungsforschung im hinteren Gamperdonatal 120 Sarah Leib Ofenkeramiken aus dem vorarlberg museum Eckpunkte der Kachelentwicklung dargelegt anhand ausgewählter Ofenkacheln der Studiensammlung 4| 138 Guntram Plangg Namenprobleme zwischen Dawénna und Arlberg 154 Sebastian Fink Volapük in Tirol und Vorarlberg 170 Wolfgang Scheffknecht Akzeptanz und Fremdheit. Jüdische Räume im Spannungsfeld von Territorium und Reichskreis: Das Beispiel Hohenems 214 Christoph Volaucnik Geschichte des Radfahrens in Feldkirch 238 Rezensionen 239 buchstäblich vorarlberg (Christof Thöny) 240 Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein (Brigitte Truschnegg) 242 Christof Thöny, Vorarlberger Skigeschichte (Andreas Rudigier) 244 Angelika Kauffmann. Heimat Schwarzenberg (Andreas Rudigier) 248 Autor/innenverzeichnis 250 Register |5 Ofenkeramiken aus dem vorarlberg museum Eckpunkte der Kachelentwicklung dargelegt anhand ausgewählter Ofenkacheln der Studiensammlung SARAH LEIB 120 | „UG1“ – Die Dokumentation der Ofenkeramik aus der Studiensammlung Im Zeitraum von Dezember 2012 bis Februar 2013 wurde von der Autorin eine umfassende Dokumentation der Ofenkeramik im ersten Untergeschoß der Studiensammlung des vorarlberg museums durchgeführt. Ziel war eine lückenlose Erfassung der Ofenkeramik der Sammlung und wissenschaftliche Auswertung des Bestandes. Dazu wurde jeder neue Kacheltyp fotografisch und zeichnerisch (Querschnitt) dokumentiert (Schrägansicht und technische Ansicht mit Front-, Seiten- und Rückansicht, vergleich. Abb.2, 3, 4, 6 und 12). Insgesamt konnten annähernd 5.500 einzelne Kacheln (Fragmente und ganze Objekte) gesichtet und erfasst werden. Der zeitliche Rahmen der Ofenkeramik reicht vom 14. bis 20. Jahrhundert. Einzelne Kachelfragmente aus archäologischen Grabungen sind dabei ebenso wie ganze, abgebaute Öfen zu finden. Ihre Ansprache erfolgt anhand ihres technischen Aufbaus beziehungsweise ihrer Funktion am Ofen. Es werden unter anderem Blatt-, Gesims-, Eck-, Leisten-, Bekrönungs-, Teller-, Halbzylinder, -Napf- und Nischenkacheln unterschieden1. Ausgewählte Beispiele sollen in der Folge einen kleinen Einblick in den furnologischen Bestand des vorarlberg museums gewähren und gleichzeitig einen Abriss der Geschichte der Ofenkacheln liefern. Anfänge – Entwicklung – Geschichte Der Kachelofen nimmt seit seiner innovativen Entwicklung eine zentrale Rolle als Teil der häuslichen Wohnkultur ein, denn erstmals blieb der zu beheizende Raum Dank einer Außenfeuerung rauchfrei. Das neue Heizsystem brachte in der Folge eine gravierende Änderung der Wohnkultur mit sich: Sukzessive trennten sich Wohnraum und Küche und die Entstehung einer Stube, die zum Mittelpunkt des häuslichen Lebens avancierte, wurde begünstigt. Dem Kachelofen kommt neben seiner primären Funktion als Wärmespender auch eine bedeutende Rolle als Repräsentationsobjekt und Statussymbol zu. Die Bildmotive des Kachelofens sind im weitesten Sinne als Abbild der jeweiligen sozialen Schicht des Auftraggebers zu verstehen, die den gesellschaftlichen Status und den Rang seines Besitzers reflektieren sollen. Nachdem sich die Heizanlage Kachelofen von einem adeligen auf ein bürgerlich-städtisches, monastisches und schließlich ein ländliches Milieu ausbreitete, änderten sich auch die Motive beziehungsweise deren Variantenreichtum. Die Ursprünge des Kachelofens sind allerdings nicht eindeutig geklärt. Es gibt eine Reihe von Theorien, nachdem diese Heizungsform bereits auf bronzezeit- 1 Eine sehr ausführliche und aktuelle Zusammenschau der verschiedenen Kacheltypen des Mittelalters und der (frühen) Neuzeit findet sich in Roth Heege et al. 2012. | 121 Abb.1: Abbildung eines Ofens mit runden, einzeln eingesetzten Kacheln, Würzburger Psalter, um 1250. liche Öfen in Pfahlbauten2 zurückgehen soll. Anderen Thesen zu Folge hätten sich die ersten Kachelöfen aus den römischen Töpferöfen3 beziehungsweise aus dem Zusammentreffen der römischen und germanischen Kultur4 entwickelt. Eindeutige Nachweise für die eine oder andere Annahme fehlen allerdings. Heute wird in der Forschung vielmehr davon ausgegangen, dass der Kachelofen in der Zeit vom Früh- bis zum Hochmittelalter entstanden ist.5 Je nach Region – Elsaß6, Baden-Württemberg7, Nordwestschweiz8 – variieren die frühesten Ofenkacheln deutlich in ihrer Form. Die lokalen Unterschiede der Kacheltypen dürften auf die noch nicht abgeschlossene Suche nach der besten Form im Ofenaufbau zurückzuführen sein. Erst gegen Ende des 12. Jahrhunderts konnte eine Tendenz in Richtung einer Vereinheitlichung festgestellt werden.9 Die ältesten historischen Abbildungen von spätmittelalterlichen Öfen legen nahe, dass diese bereits über einen mehrteiligen Aufbau mit kubischem Unterbau und rechteckigem oder kuppelförmigem Oberbau verfügen. Die runden Kacheln wurden einzeln mit der Öffnung nach außen in den Lehmmantel eingebaut. Einen ähnlichen Aufbau dürften auch die Öfen mit Pilz-, Schüssel- und Tellerkacheln erfahren haben, die ab dem 14. Jahrhundert auftreten – nur wurden diese mit der Öffnung zum Feuerraum hin verbaut. Sie weisen verschiedene Motive auf; 2 3 4 5 6 122 | 7 8 9 Blümel 1965, 16. Meringer 1897, 226. Franz 1981, 14. Heege et al. 2012, 36f; Tauber 1980, 397. Châtelet 1994, 482. Gross 1991, 140f. Ade/Mück 1989, 13; Stelzle-Hüglin 2000, 326 und Anm. 43; Tauber 1980, 396. Tauber 1980, 304. SARAH LEIB Abb.2: Tellerkacheln von der Burg Sonnenberg, Nüziders, (a) Adler innerhalb eines verzierten Kreises (b) Blüte (c) Adler innerhalb eines Kreises. neben höfischen finden sich religiöse, zoomorphe, figürliche, vegetabile oder fabelhafte Bildinhalte. Der Typ der Tellerkacheln ist auch im Fundmaterial des vorarlberg museums erhalten. Sie stellen nicht nur die ältesten reliefverzierten Ofenkacheln der Sammlung sondern auch aus Vorarlberg generell dar. Geborgen wurden die Tellerkacheln mit Doppeladler beziehungsweise Blütendekor, neben einer Vielzahl an weiteren Kachelformen, auf der Burg Sonnenberg in Nüziders. Erwähnt wurde die Burg erstmals in einer Urkunde aus dem Jahre 1251. Nach einer ersten Zerstörung der Burg Anfang des 15. Jahrhunderts10 wurde sie wieder errichtet und gelangte 1455 in den Besitz des Eberhard von Waldburg und ging später an seinen Sohn Andreas über. Auseinandersetzungen mit Herzog Sigismund (dem Münzreichen) führten dazu, dass 1474 Teile der Grafschaft Sonnenberg zerstört wurde, die Burg belagert und schließlich nach der Flucht von Andreas die Anlage erobert und zerstört wurde.11 Das Ereignis wurde von Burkart von Knöringen folgendermaßen beschrieben: „…das schloss will ich Rummen und dann das verprenen, damit hinfür uwer fürstlich gnad kain solicher hochmut mer dar uss widerfare“.12 Dieses Zerstörungsereignis liefert der Archäologie einen terminus ante quem für die gefundenen Ofenkacheln. Neben 10 11 12 Aufgrund der Vergleiche für die Tellerkacheln, die vor allem im Schweizer Raum zu finden sind, liegt eine Datierung in das 14. Jahrhundert nahe, also vor der ersten Zerstörung der Burg. Möglicherweise geht diese einher mit der Zerlegung des Kachelofens aus Tellerkacheln: Die einzelnen Fragmente sind sehr kleinteilig, was auf eine intentionelle Zerkleinerung hindeuten könnte. Ammann 1983, 330. Bilgeri 1974, 239f und Anm. 192; Bilgeri 1936, 231. | 123 Abb.3: Blattkachel mit fünfblättriger Rosette, vermutlich Burg Sonnenberg, Nüziders. den bereits erwähnten Tellerkacheln fanden sich zahlreiche weitere Kachelformen, wie Wölb-, Halbzylinder-, Blatt- und Gesimskacheln. Die spätmittelalterlichen Motive sind im Allgemeinen vielfältig, was sich auch im Fundmaterial von der Burg Sonnenberg ausdrückt. Greifen-Darstellungen des 15. Jahrhunderts sind genauso vorhanden wie Architekturelemente in Form von Bossenquadern oder vegetabiler Dekor. So zum Beispiel eine fünfblättrige Rosette mit doppeltem Blätterkranz, der um einen Fruchtknoten angeordnet ist. Die Verbreitung solcher Rosettenkacheln reicht von der Schweiz über das oberrheinische Gebiet, vom Bodensee bis nach Mähren und Ungarn.13 Bereits zu dieser Zeit herrschte also ein Kontakt zwischen den Werkstätten bzw. ein Handel von Modeln14 über weite Teile Europas, was anhand der archäologischen Bodenfunde eindeutig hervorgeht. Produziert worden dürften die Kacheln mit fünfblättriger Rosette von der Burg Sonnenberg im Umfeld von Zürich um beziehungsweise nach der Mitte des 15. Jahrhunderts.15 Typologisch entsprechen diese Kacheln dem Typ „Blattkachel“, der sich spätestens ab dem 15. Jahrhundert als die Kachelform schlechthin durchsetzte. Meist verfügen sie über eine rechteckige, modelgepresste Schauseite sowie einen auf der Töpferscheibe hochgezogenen Rumpf. Die Model-Technik eröffnete ein großes Maß an Gestaltungsmöglichkeit und gewährleistete eine rasche Produktion sowie eine schnellere und größere Verbreitung. 13 14 15 124 | Tamási 1995, 19. Die Verbreitung der Motive erfolgt vermutlich einerseits über wandernde Gesellen und Handwerker, die sich ein Formenrepertoire mit sich trugen oder auch über Formenschneider, die gezielt Model produzierten und verkauften. Judith Tamási arbeitete unter allen Vergleichen der Kacheln mit fünfblättriger Rosette typisch „Zürcher“ Varianten heraus, die größtenteils in den 1550ern und 1560ern produziert worden sein dürfen. Tamási 1995, 19ff. SARAH LEIB Abb.4: Kranzkachel, wappenhaltender Narr mit Spruchband. Ebenfalls als „Blattkachel“, allerdings im Kranzbereich des Ofens anzusiedeln, ist der für Vorarlberg einzigartige Nachweis einer Kranzkachel mit NarrenDarstellung. Gefunden wurde sie in Dornbirn.16 Passende Vergleichsstücke von Kachelmotiven stammen unter anderem aus einer Privatsammlung in Bozen/ Südtirol, die in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts datiert werden17 oder von einem Ofen auf Schloss Tratzberg18. Seit dem späten Mittelalter findet sich das Motiv des Narren des Öfteren auch auf Ofenkacheln. Im Allgemeinen sind dem Narren verschiedene Attribute und Bedeutungen zugeordnet. Teilweise wurde er nur mit einer Hose oder gar nackt, tanzend oder mit Spruchband – wie auch auf der Dornbirner Kachel – dargestellt; häufig trägt er eine Keule, aus der sich im 14. Jahrhundert die „Marotte“, eine Stabpuppe, entwickelt. Die kann als Abbild des Narren und ein Sinnbild für seine egozentrische Selbstverliebtheit gedeutet werden.19 Als gängiges Attribut taucht die Narrenkappe, meist in Kombination mit Eselsohren, auf. Vermehrt ab dem frühen 15. Jahrhundert finden sich Schellen an den Zipfeln der Kappe und am Gewand des Narren. Zwar ändert sich das Zubehör und die Ausstattung des Narren im Laufe der Zeit etwas, im Wesentlichen bleibt die Darstellungsweise aber dieselbe. Sebastian Brant prägte mit seinen Holzschnitten im 1494 erschienenen „Narrenschiff“ das Bild des Narren maßgeblich: Hier vereinen sich alle typischen Merkmale des Narren, wie Schellen, Eselsohren und Narrenkappe. Genauso vielfältig wie die verschiedenen Attribute des Narren sein können, sind 16 17 18 19 Der Eintrag in das Inventarbuch des vorarlberg museums lautet: „Dornbirn/Brauerei Gams - Schloss der Ritter von Embs“ Ringler 1965, Abb. 11. Leib 2011, Abb. 6. Metzger 1993, 1024. | 125 Abb.5: Ausschnitt aus Sebastian Brants „Narrenschiff“. 126 | SARAH LEIB Abb.6: Blattkacheln, (a) Fühlen (b) Hören (c) Schmecken (d) Sehen (e) Riechen, aus zwei verschiedenen Serien. es auch die Interpretationen mit den vielen Funktionsebenen. Sie reichen im Mittelalter vom Narr als Inbegriff der menschlichen Einfalt und seiner Arroganz gegen Gott bis hin zur Verkörperung der Sünden und Schwächen des Menschen.20 Neben den negativen zu deutenden Seiten des Narren kommen ihm aber auch positive Funktionsebenen zu. Er kann zum Beispiel die Rolle als Warner oder Kommentator einnehmen.21 Mit der einsetzenden Renaissance traten neue Motive in den Vordergrund des künstlerischen Schaffens. Wieder entlehnte man sich bestimmter Formen aus der Architektur und setzt sie am Ofen um, wie es bereits in der Gotik praktiziert wurde. Allerdings änderte sich nun die Formensprache deutlich. Gesimse mit „antiken“ Ornamenten (Akanthusblatt- oder Eiserstabfries) spielen eine nicht mehr wegzudenkende gliedernde Rolle im Ofenbau. Die Motive der Blattkacheln setzen sich aus künstlerisch angeordneten Figuren zusammen, die oft in einen architektonischen Bogen eingebunden oder von einem Rahmen umgeben werden. Zu diesen zählen die im 16. Jahrhundert weit verbreiteten Darstellungen von Allegorien, wie die Musen, sieben freien Künste oder die fünf Sinne. Von letzterer Serie sind in der Sammlung des vorarlberg museums mehrere Ofenkacheln in Form weiblicher Personifikationen vertreten. Jede der Damen ist mit spezifischen Attributen, wie einem Papagei (Abb. 6a), Musikinstrumenten (Abb. 6b), Früchten (Abb. 6c), einem Spiegel (Abb. 6d) oder Blumen (Abb. 6e) ausgestattet. 20 21 Osteneck 1971, 314. Metzger 1993, 1025; Osteneck 1971, 317. | 127 Abb.7: Blattkacheln mit Schablonendekor, aneinander gereiht kann das Muster scheinbar endlos fortgesetzt werden. Vergleiche für dieses Kachelmotiv des 16. beziehungsweise 17. Jahrhunderts finden sich in der Schweiz, Deutschland und Österreich22. Die Vorbilder der Motive sind bei Kupferstichen zeitgenössischer Künstler, wie zum Beispiel Georg Pencz (*um 1500-1550), Jost Amman (1539-1591), Frans Floris (1517-1570), Cesare Ripa (1560-1645) und vielen mehr zu suchen. Vermutlich ist mit einem eigenen Berufsstand zu rechnen, Formenschneider oder Bossierer genannt, der die Motive der Kupfer- oder Holzschnitte in eine Patrize umsetzte. Neben figürlichen Motiven bilden ab dem 16. Jahrhundert Rapportmuster23 unterschiedlichster Ausführung ein Gros der reliefverzierten Ofenkacheln. Aneinander gereiht bilden sie ein theoretisch endlos fortführbares sich wiederholendes geometrisches oder florales Muster. Einen anderen produktionstechnischen Aufbau als die reliefierten, modelgepressten Ofenkacheln erfahren sogenannte Schablonenkacheln, sind aber ebenfalls mit verschiedenen Rapportmustern versehen. Für den Dekor auf der flachen Vorderseite wird eine Schablone aus Ziegenleder aufgelegt, aus der das Muster aufgeschnitten wurde. Anschließend wird die helle oder rötliche Engobe gebracht. Im Bereich der ausgeschnittenen Stellen bleibt die helle oder rötliche Engobe haften, der Rest ist unbehandelt. Nachdem die Suspension getrocknet ist, wird in einem zweiten Arbeitsschritt die transparente, 22 23 128 | Franz 1981, Abb. 640-649; Ringler 1965, Abb. 102. Auch Tapetenmuster genannt; ein sich theoretisch endlos wiederholendes geometrisches, florales o.ä. Muster. SARAH LEIB Abb.8: Verbreitungskarte der archäologisch nachgewiesenen Kacheln mit Schablonendekor. meist grüne Glasur darauf aufgetragen. Die engobierten Muster erscheinen danach in einem anderen Grünton als die Bereiche mit dem freiliegenden Scherben. Die Sammlung des vorarlberg museum beherbergt eine Reihe von Ofenkacheln, die den Variantenreichtum der Schablonendekore bezeugen. Die zeitliche Einordnung dieser Schablonendekore gestaltet sich derzeit noch sehr schwierig. Entsprechende Funde sind kaum publiziert und noch weniger gibt es eindeutig datierte Funde oder Öfen. Bekannt ist hingegen, dass sich die Verbreitung dieser Technik schwerpunktmäßig auf die Schweiz, wo vermutlich auch der am ältesten datierte Ofen aus dem Jahr 1564 steht24, sowie Liechtenstein und Südwestdeutschland erstreckt. Interessant ist, dass der Nachweis dieser Technik im Westen in Vorarlberg endet. In einem vorangegangenen Projekt konnten erstmals mehrere Nachweise von Ofenkacheln mit Schablonendekor in größerer Zahl für Vorarlberg getätigt werden.25 Entsprechende archäologische Funde stammen aus dem Kloster St. Peter in Bludenz, der Liechtensteinerstraße 2/4 in Feldkirch, Burgruine Neuburg in Koblach, Burgruine Alt Ems in Hohenems, Burgruine Neu Montfort in Götzis, dem Oberdorfer Thurn in Dornbirn, der Burgruine Fußach sowie dem Deuringschlössle und Zeughaus in Bregenz. Durch die Kachelbestände des vorarlberg museum erweitert sich dieser Nachweis deutlich, auch wenn nicht in jedem Fall die Provenienz der Kacheln bekannt ist. 24 25 Schatz, 2011, 3. Es gilt bei der Datierung aber die vielfältige Umsetzungs- und Restaurierungsgeschichte des Ofens im Auge zu behalten: Roth Heege 2012, 93 (ebd. Hinweise auf Öfen mit Schablonendekor aus den Jahren 1566 und 1577). Leib 2013. | 129 Abb.9: Zwei Blattkacheln eines Ofens au seiner „Bludenzer Stube”. Neben dieser neuen Verzierungstechnik tritt ab dem 16. Jahrhundert auch die Fayencemalerei auf. Im Gegensatz zur transparenten Bleiglasur ist die Fayenceglasur opak, das heißt milchig. Sie kann weiß oder bunt sein, nur gering oder gar nicht durchscheinend und verdeckt den darunter liegenden Scherben. Anders als bei transparenten Glasuren wird hier der sogenannte Äscher (durch Oxidation aus rund 75% Blei und 25% Zinn gewonnen) dem Quarz hinzugefügt.26 Das Zinnoxid fungiert als Trübungsmittel.27 Derzeit ist in Westösterreich die Fayenceglasur auf Ofenkacheln nicht vor der Mitte des 16. Jahrhunderts nachzuweisen.28 Vermehrt treten Kachelöfen mit Fayenceglasur im 17. Jahrhundert und 18. Jahrhundert auf. Es haben sich verschiedene Produktionszentren herausgebildet; eines davon befand sich im 17. Jahrhundert in Winterthur. Bekannte Hafnerfamilien wie die des Abraham Pfau produzierten aufwendig bemalte Öfen. Einige dieser Kacheln befinden sich auch im vorarlberg museum. Sie zeigen verschiedene Allegorien: Spes, Fortitudo, Virtus, Caritas, Gloria und Iustitia. Dank guter Vergleiche ist an eine Produktion der kunstvoll bemalten Kacheln Ende des 16. bis Anfang des 17. Jahrhunderts zu denken.29 Im Barock nahmen die (Prunk-) Öfen zum Teil massive Ausmaße an. Die Kachelmaße nehmen ein großes Format an, die Öfen sind reich verziert und polychrom 26 27 28 130 | 29 König 1964, 29. Rada 1989, 45f. Drei Kachelfunde aus Lechaschau, Bezirk Reutte: Vgl. Leib 2013, 156ff, T98/295, T99/296, 297. Franz 1981, Abb. 465, 466, 470, 471, 472 und 475; Pfitzer 2007, 2. SARAH LEIB Abb.10: Überschlagofen, Zeichnung aus dem „Inventarbuch L“. glasiert. Einer der bekanntesten Hafner dieser Zeit ist Melchior Pochner aus Kufstein. Er schuf braun-weiß und blau-weiß glasierte Öfen, die u.a. auf Schloss Tratzberg in Jenbach, im Stift St. Peter in Salzburg oder auf Schloss Ambras bei Innsbruck stehen. Auch der Nürnberger „Bossierer“ Georg Vest oder die ebenfalls aus Nürnberg stammende Hafnerfamilie Leupold brachten es zu großer Bekanntheit. Ein besonders herausragender Ofen aus der Sammlung des Museums stellt ein „Bludenzer Ofen“ mit blauer Bemalung auf weißem Hintergrund dar. Dargestellt sind verschiedene Szenen mit Sinnsprüchen. Es ist ein einzigartiges und sehr anschauliches Zeugnis der Lebens- und Vorstellungswelt des 18. Jahrhunderts. Öfen blieben weiterhin ein Repräsentationsobjekt und Teil der Innenarchitektur. Viele Prunköfen nehmen einen polygonalen Grundriss an, sind mit verschnörkelten Applikationen (in Anlehnung an die Stuckatur) und kuppelförmiger Haube versehen. Verschiedene Berufsgruppen – Stuckateure, Architekten, Bildhauer etc. – waren an der Gestaltung eines Ofens beteiligt. So genannte Überschlagsöfen bilden einen eigenen Typ. | 131 Abb.11: Auswahl von Bekrönungskacheln eines neogotischen Ofens mit Detailansicht. In die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts30 datiert ein außergewöhnlicher Ofen im neogotischen Stil. Er ist komplett in weiß glasiert mit partieller Aussparung der Glasur bzw. brauner Bemalung. Auffallend sind die Türmchen mit Maßwerk, Krabben und Kreuzblume (links), die der gotischen Architektur nachempfunden sind und die Bekrönung des Ofens bildeten. Auch andere Kacheln mit Maßwerk – zum Teil rot und blau ausgemalt und mit Fensterglas ausgelegt – spiegeln diesen Stil wieder (rechts oben und unten). Während dieser neogotische Ofen nicht in Vorarlberg produziert worden sein dürfte, können mehrere Ofenkacheln mit gestochenem Dekor eindeutig einer Bregenzerwälder Werkstätte aus Schwarzenberg oder Andelsbuch zugeordnet werden. Die Ofenkacheln datieren etwa in das zweite Drittel des 19. Jahrhunderts, zumindest nach 1830, als der „gestochene“ Dekor auf Bregenzerwälder Öfen aufkam.31 Der derzeit älteste nachgewiesene Ofen mit „gestochenem“ Dekor stammt aus Wolfhalden/Lippenrüte (CH) und ist mit der Inschrift „Franz Anton Geser Hafner Meister Schwarzenberg 1833“ versehen.32 Weitere ähnliche Öfen stehen u.a. im Angelika Kaufmann Museum in Schwarzenberg (Inschrift: „Herr Josef Xaver Kleber – Frau Maria Schmid – 1837“33, dem Gasthaus Sonne in Bezau, im Roten Haus in Dornbirn oder in Alberschwende 30 31 32 132 | 33 Blümel 1965, Abb. auf Seite 189. Bereuter 1997, 40. Bereuter 1997, 41. Bereuter 1997, 10. SARAH LEIB Abb.12: Blattkachel mit „gestochenem” Dekor, Bregenzerwälder Herkunft. Abb.13: Produktionsstempel auf der Rückseite von Kacheln (a) „Ofenfabrik von L&C Hardtmuth“ (b) „Cölln Meissner Ofenfabrik Saxonia“. (datiert 1850)34. Kombiniert wurden die Weinranken- und Vasen-Motive häufig mit Gesimsen und Leisten, die eine gesprenkelte Oberfläche (Spritzdekor) aufweisen. Im Laufe des 19. Jahrhundert nahm die Kachelproduktion vermehrt industrielle Züge an. Die Formen waren zunehmend standardisiert, ebenso die Motive. Die jüngsten Ofenkacheln der Sammlung sind industriell hergestellt. Davon zeugen nicht nur die Herstellungstechnik und die Rohmaterialien, sondern auch die Produktnummern auf den Rückseiten beziehungsweise den Zargen der Kacheln. Jeder Kacheltyp wurde mit einer eigenen Nummer versehen. Damit konnten Kachelöfen gezielt anhand von definierten Typen zusammengestellt und kombiniert werden. Gelegentlich finden sich zudem Produktionsstempel auf einigen Ofenkacheln, wie „Pilsen – H. Jelineks Co – Pilsen“ oder „Ofenfabrik von L&C Hardtmuth“, einer Bleistift- und Tonwarenfabrik in Budweis in Tschechien (Abb.13). Ein anderer Ofen kann aufgrund des Stempels der Fabrik „Cölln Meissner Ofenfabrik Saxonia“ zugeordnet werden (Abb. 13, rechts). Gegründet wurde die Fabrik 1884 von Ernst Teichert im Meißner Stadtteil Cölln eine Ofenfabrik, die unter anderem Kachelöfen produzierte. Die Herkunft und ein terminus post quem der Produktion sind für diesen Ofen damit gegeben. 34 Bereuter 1997, 40. | 133 Abb.14: Arbeitsraum eines Wäschers mit Kachelofen, Georg Agricola, 1556. Bedeutungsebenen des Kachelofens Das Kachelmaterial aus der Studiensammlung des vorarlberg museums beherbergt eine breite Auswahl an Ofenkacheln vom späten Mittelalter bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts. Sie gibt die Entwicklung des Kachelofens von den Anfängen der reliefverzierten Kacheln (hier durch Tellerkacheln des 14. Jahrhunderts vertreten) bis den industriell produzierten Öfen aus Wien oder Tschechien wieder. Anhand der Ofenkeramik aus der Sammlung zeigt sich deutlich, dass in Vorarlberg, wo bisher wenig über (repräsentative) Kacheln bekannt war, einerseits mehr furnologisches Fundmaterial vorhanden ist als vermutet und dass zum anderen in vielen Fällen die vorhandenen Kacheln eine hohe Qualität bezeugen. Denn neben seiner primären Funktion als Wärmequelle ist der Kachelofen v.a. auch ein repräsentativer Gegenstand, in dem der Auftraggeber seinen Status, seine Vorstellungen oder auch Glaubensausrichtungen jedem sichtbar präsentieren kann. Der Kachelofen ist also nicht nur als Objekt zu verstehen, sondern vielmehr als dingliche Manifestation sich wandelnder Bedürfnisse, Vorstellungen und technischer Entwicklungen. Es gilt den Blick auf die verschiedenen Bedeutungseben zu lenken, den sozialen Ebenen und den ökonomischen Bedingungen der ehemaligen Besitzer. Heizanlagen und Feuerstellen wurden meist multifunktional genutzt: So konnte zum Beispiel Kleidung am Ofen getrocknet oder Obst gedörrt werden. Arbeitsräume, Badestuben oder Krankenzimmer wurden häufig mit Kachelöfen ausge134 | SARAH LEIB Abb.15: Badestube mit Kachelofen, Sebald Beham, Nürnberg, um 1540 (www.furnologia.de, Zugriff am: 12.04.2013) | 135 stattet, um Wasser zu erhitzen und die Raumtemperatur zu steigern. Den sozialen Aspekt und die Bedeutung des Ofens spiegelt unter anderem das Privileg wieder, dass der Platz am Ofen häufig älteren Leuten oder Gästen vorbehalten war. Der Kachelofen findet sich außerdem in vielen Erzählungen und Märchen des deutschsprachigen Raums wieder. Das Motiv der Ofenbeichte ist weit verbreitet und auch aus einer Vorarlberger Sage bekannt: Die bekannt Stadtretterin Guta, eingeschlafen in einer Stube in Rankweil, erwachte bei einem Gespräch der eingetroffenen Appenzeller, die über ihre Eroberungspläne von Bregenz beratschlagten. Guta wurde bemerkt und musste unter Androhungen schwören, keiner Menschenseele davon zu berichten. Noch in derselben Nacht eilte sie nach Bregenz und, gebunden an ihren Eid, erzählte sie im Beisein der Stadtherren in der Stube des Rathauses dem Ofen vom drohenden Angriff. Der Überfall konnte abgewehrt werden und Guta blieb mit der Ofenbeichte ihrem Schwur treu. Abbildungsverzeichnis und Abbildungsnachweis Abb.1: Abbildung eines Ofens mit runden, einzeln eingesetzten Kacheln, Würzburger Psalter, um 1250 (www.furnologia.de, Zugriff am: 12.04.2013) Abb.2: Tellerkacheln von der Burg Sonnenberg, Nüziders, (a) Adler innerhalb eines verzierten Kreises (b) Blüte (c) Adler innerhalb eines Kreises (S. Leib, 2013) Abb.3: Blattkachel mit fünfblättriger Rosette, vermutlich Burg Sonnenberg, Nüziders (S. Leib, 2013) Abb.4: Kranzkacheln, Wappenhaltender Narr mit Spruchband (S. Leib, 2013) Abb.5: Ausschnitt aus Sebastian Brants „Narrenschiff“ (In: Bobertag 1889, 70) Abb.6: Blattkacheln, (a) Fühlen (b) Hören (c) Schmecken (d) Sehen (e) Riechen, aus zwei verschiedenen Serien (S. Leib, 2013) Abb.7: Blattkacheln mit Schablonendekor, aneinander gereiht kann das Muster scheinbar endlos fortgesetzt werden (S. Leib, 2013) Abb.8: Verbreitungskarte der archäologisch nachgewiesenen Kacheln mit Schablonendekor (S. Leib, 2013) Abb.9: zwei Blattkacheln eines Ofens au seiner „Bludenzer Stube” Abb.10: Überschlagofen, Zeichnung aus dem „Inventarbuch L“ (vorarlberg museum) Abb.11: Auswahl von Bekrönungskacheln eines neogotischen Ofens mit Detailansicht (S. Leib, 2013) Abb.12: Blattkachel mit „gestochenem” Dekor, Bregenzerwälder Herkunft (S. Leib, 2013) Abb.13: Produktionsstempel auf der Rückseite von Kacheln (a) „Ofenfabrik von L&C Hardtmuth“ (b) „Cölln Meissner Ofenfabrik Saxonia“ Abb.14: Arbeitsraum eines Wäschers mit Kachelofen, Georg Agricola, 1556 (Agricola 1976, 275) Abb.15: Badestube mit Kachelofen, Sebald Beham, Nürnberg, um 1540 (www.furnologia.de, Zugriff am: 12.04.2013) 136 | SARAH LEIB Literaturverzeichnis Ade/Mück 1989 = Dorothee Ade, Susanne Mück, „Mach Krueg, Haeffen, Kachel und Scherbe“. Funde aus einer Ravensburger Hafnerwerkstatt vom 16. bis 19. Jahrhundert, Archäologische Informationen aus Baden-Württemberg 11, Stuttgart 1989. Agricola 1977 = Georg Agricola, Zwölf Bücher vom Berg- und Hüttenwesen. Übersetzt und bearbeitet von Carl Schiffner u.a., München 1977. Bereuter 1997 = Alfons Bereuter, Die Hafner Geser. In: Gemeinde Schwarzenberg (Hrsg.), Gemeindemuseum Schwarzenberg, 1997, 39-44. Blümel 1965 = Fritz Blümel, Deutsche Öfen. Der Kunstofen von 1480 bis 1910. 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