Weihnachten 1973
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Weihnachten 1973
Weihnachten 1973 Waffenstillstand im Vietnamkrieg, Salvador Allende scheiterte beim Versuch, Chile in eine Demokratie zu führen und Augusto Pinochet übernahm die Macht. Die Brücke über den Bosporus die Europa und Asien verbindet und das New Yorker World Trade Center wurden eröffnet. Pablo Picasso, Ingeborg Bachmann und Bruce Lee sterben und AC/DC, quasi die Unterlagsreben Australiens, werden gegründet. Die OPEC beschließt den Ölpreis um 70 % anzuheben. Das löste damals die erste Ölkrise aus, heute würde der damalige Preis eines Fasses Rohöls wohl nur einen Lacher auslösen. In der österreichischen Hitparade waren Bernd Clüver, Vicky Leandros und Chris Montez die Top drei. Der Junge mit der Mundharmonika war der große Reißer damals. Und 1973 gab es natürlich auch Weihnachten. Und zwar am 24. Dezember. Ein Montag, wie schon so oft zu warm für die Jahreszeit. Dieser Umstand setzte immer diverse Onkel und Tanten unter Druck da meist das Rodeln während der christkindlichen Vorbereitungen ob der Temperaturen ins Wasser viel. Nun, ein siebenjähriger Bub und seine ein Jahr jüngere Schwester waren natürlich fürchterlich nervös und ungeduldig, da die Zeit bis zur Bescherung nicht und nicht vergehen wollte. Das Fernsehprogramm war ebenso langweilig wie farblos. Der Bub, nennen wir ihn der Einfachheit halber Karli, war auch deswegen aufgeregt da das Christkind im Jahr davor sich entweder im Haus geirrt habe, oder einer Fehlinformation eines Briefes erlegen sein musste. Jedenfalls bescherte es dem damals sechsjährigen am Hl. Abend 1972, Sonntag, eine Modelleisenbahnanlage. Und zwar vom feinsten. Märklin Loks, zwei davon, eine Diesellok und eine Dampflokomotive, drei Personenwagen einen Postwagen und vier Güterwägen. Dazu ein komplettes Dorf, mit Bahnhof, natürlich beleuchtet. Einen Berg, von einem Tunnel durchbohrtm der dem Semmering - Basistunnel durchaus Konkurrenz machen konnte, an dessen Fuß sich das Highlight der Anlage befand. Die mit Wasser betrieben Mühle. Und zwar wirklich mit Wasser betrieben. Eine Pumpe im Inneren beförderte das Wasser in den künstlichen Bachlauf, der aus dem Berg zu kommen schien, von dort stürzte, naja sagen wir einmal gluckerte, das Wasser über das Wasserrad in das Mühlengebäude wo es sofort wieder hoch gepumpt wurde. Der Vater des Buben, traditionell ein Karl, freute sich eigenartiger Weise mindestens genau so über die Anlage und war, obwohl dieses Ding ja eben zuvor vom Christkind angeliefert wurde, total mit der Funktionsweise vertraut und hatte ebenso anscheinend jede Menge Verhaltensrichtlinien vom Christkind bekommen die tunlichst einzuhalten waren. Nun alle schienen sehr glücklich zu sein. Der Opa hatte seine Krawatte, die Oma eine neue Kleiderschürze, der Papa sein Pitralon, die Mama war voll fertig, aber die Kinderaugen leuchteten. Ich bilde mir heute ein dass die damaligen Sternspritzer einfach aggressiver waren und durch die Rauchentwicklung in der Verbindung mit möglicherweise heute verbotenen Substanzen das Glänzen in den Augen der Familie ein ganz anderes, feierlich gerührtes war. Wurscht, alle an den Tisch. Jetzt musste einmal gegessen werden. Kalter, aber sehr guter Aufschnitt aus der großen Stadt oder vom Steinhart aus Gars und Mayonnaise-Eier. Die gab es wirklich nur am heiligen Abend bei uns. Aber uns Kinder interessierte das eigentlich überhaupt nicht. Man muss sich das nur einmal vorstellen. Du bekommst Geschenke vom Christkind und sobald Du sie ausgepackt hast heißt es „essen gehen“ und nicht spielen. Alle saßen in viel zu engen Sakkos rund um den Tisch und gaben sich dem Abendessen hin. Gut, bei uns war es auch ein strenger Fasttag bis zum Abend. Mittags gab es Stoßsuppe mit Erdäpfelschmarren, aber am Abend wurden die Bäuche vollgeschlagen. Die Erwachsenen schienen sehr zufrieden damit zu sein, mit dem Aufschnitt, dem Vorschussbrot das nur zu Feiertagen und zu Begräbnissen gereicht wurde, dem Sandwichwecken, den es noch seltener gab, dem Wein, Bier, Sekt und Likör. Klar, ein Flascherl 4711 eignet sich selbst bei großer Phantasie eher schlecht zum Spielen, die Kleiderschürze gibt auch nicht viel her, aber wir, die Kinder saßen auf Nadeln und waren bemerkenswert schnell satt. Das Spielen mit der Eisenbahn zeichnete sich bald, das heißt schon am nächsten Tag, durch eine ausgeglichene Belanglosigkeit aus. Die Bahntrasse war im wesentlichen ein Oval, mit einer Möglichkeit den Tunnel außerhalb bei der Mühle zu umfahren, und ein Abstellgleis beim Bahnhof. "Absdorf - Hippersdorf – Umsteigen" zu rufen machte am nächsten Tag gar keine Freude mehr und die rote Fahrdiensleiterkappe nebst Winkerkelle lag auch schon in einer Ecke. Ein Zugsunglück musste her um dem Ganzen wieder etwas Spannung einzuhauchen. Gesagt - getan. Der Regionalzug, Gott sei dank ohne Passagiere, hatte einen furchtbaren Zusammenstoß mit dem entgegenkommenden Güterzug, dessen Führer offensichtlich ein Warnsignal übersehen oder schlimmer noch missachtet hat. Ich konnte leider auch nicht mehr eingreifen, wie auch ohne Fahrdienstleiterkappe und Winkerkelle. Die dazugehörige Pfeife wurde mir ja schon am heiligen Abend abgenommen. Der Vater des Fahrdienstleiters ist aus allen Wolken gefallen." Depperter Bua" war eine der Bezeichnungen, die er für mich übrig hatte. Das warf eine gewisse Schwermut auf den Christtag, obwohl es keine Verletzten zu beklagen gab. Am Stephanitag kramte ich unter der Anlage herum bis ich endlich Vaters Werkzeug fand. Meine Fahrdienstleiterkarriere an den Nagel gehängt wollte ich als Oberbau - Eisenbahner neu durchstarten. Ich hatte noch nicht ein Gleis abgeschraubt, war auch schon wieder der Oberbaueisenbahner-Vater zur Stelle und beendete auch diese, recht kurze, Karriere. Mit Worten die in keiner Weise zu dieser Christlichen Zeit passten. Wie auch immer. Nach diesem Eklat und einer verlorenen Diskussion warum ich den nicht mit meinem Geschenk vom Christkind machen könne was ich wolle habe ich kaum mehr damit gespielt. Jahre später erst habe ich verstanden, was der alte Karl mit „undankbaren Baungat“ gemeint hat. Aber eigentlich geht es um das Weihnachtsfest 1973 Die stillste Zeit des Jahres strebte dem Höhepunkt entgegen. Gott sei Dank, es waren Ferien und der Advent war endlich um. Der heilige Nikolaus der jedes Jahr an seinem Namenstag aufzutauchen pflegte war bei uns nicht sonderlich beliebt. Das dauernde Fragen und Beten für die paar Aschantinuss und Mandarinen. Besonderer Dank gebührt meinen Verwandten für die Idee mit den rasselnden Ketten des Krampusses an der Tür. "Sollen ihn wir reinlassen", fragte der Nikolaus, aber es war nicht mehr nötig, wir haben uns auch so fasst "angschifft" vor Angst. Und am nächsten Tag haben wir wieder im finstern um die Milch zum Mörwald gehen müssen. Waren zwar nur hundertfünfzig Meter, aber es war schon finster um sechs und auch der Mörwald hatte seine Kühe wie seinen Hund an Ketten. Also rasselten Ketten in jeder Ecke in der ruhigsten Zeit des Jahres. Das Glöckchen läutete endlich und die gesamte Familie zog mit "ihr Kinderlein kommet" in das Zimmer mit dem hell erleuchteten Christbaum ein. Die Sternspritzer knisterten und die Kinderaugen leuchteten, warum auch immer. Ein Vater unser, ein gegrüßet seist du Maria, danach endlich Stille Nacht, und zwar alle Strophen. Und in einer Tonlage, die nur die Frauen und möglicherweise noch Kastraten mitsingen konnten. Danach durften die Kinder die Packerl verteilen. Eh scho wissen. Krawatten, Kleiderschürzen, Duft für Männer, richtige Männer und irgendetwas für die Mama, das ihr wieder die Tränen der Rührung in die Augen trieb. So ein schöner Mixer. Die Packer für uns selbst wurden erst grob sortiert. Weiches Packerl - uninteressant, sicher wieder ein kratzerter Pullover oder ein Hemd. Also später öffnen. Bücher eben so. Obwohl das Kinderlexikon dass in diesem Jahr unterm Baum lag mich noch viele Jahre begleitete. Ich konnte es trotz vieler Seiten bald auswendig. Erst beim Hochwasser 2002, 29 Jahre später verschwand es. Eines von zwei Dingen die ich wirklich vermisse. Irgendwann lenkte mein Vater meine Aufmerksamkeit auf ein Paket, das weit unter dem Baum, also eigentlich schon auf dem Christbaumkreuz lag. Ein gutes Packerl, ein festes. Schnell das Papier weg, und da war der Traum eines jeden siebenjährigen. Ein Flugzeug, und zwar ein Kampfflugzeug. Beim öffnen dann der große Schock. Das ist ja kaputt! Wieder war was schief gelaufen beim Christkind. Sollte die Feststellung dass der Nikolaus dieselben Schuhe hat wie der Onkel Helmut so weit reichende Folgen gehabt haben? Passiert das wenn man undankbar war? Ich muss so verzweifelt geschaut haben dass ich gleich von mehreren beruhigt wurde. Nein, meinte nun auch mein Vater. Das sei alles so in bester Ordnung. Vielmehr sei es so, dass man dieses Flugzeug erst zusammen bauen müsse und das eben diese Tätigkeit fürchterlich viel Spaß macht. Am Christtag ging der Spaß dann los. Am Küchentisch wurden die ersten Teile aus der Plastikschablone herausgebrochen, sauber entgrätet und mit einem höllisch stinkenden Kleber zusammengeklebt. Nach Stunden nahmen Tragflächen, Rumpf und Ruder Form an und irgendwie bildeten mein Vater und ich eine Art Team. Ich war wohl für die niederen Tätigkeiten bestimmt, aber es störte mich nicht. Mein Vater war so wenig zu hause, dass ich richtig stolz war, dass er sich auf einmal die Zeit nahm um mit mir dieses fürchterlich komplizierte Flugzeug aus diesen unglaublich vielen Einzelteilen zusammen zu bauen. Also gelang es am Christtag, die groben Teile so vorzubereiten, dass dem Zusammenbau und der Lackierung am Stephanietag nichts mehr im Wege stand. An diesem Abend gingen zwei Männer, unterschiedlich groß, aber einem Team zugehörig, stolz ins Bett. Und ich dachte im Bett noch einige Zeit nach wie dieses Flugzeug einmal fliegen würde. Bestimmt toll! Am Vormittag des Stephanitages begannen wir mit dem Zusammenbau der großen Teile. Nach dem obligatorischen Stephanibraten mit Erdäpfelpüree und dem Abwasch war der Küchentisch wieder frei, um die ganzer Aufkleber anzubringen und mit klarem Lack einige Teile zu lackieren. Als es draußen Dunkel wurde war das Flugzeug fertig. Ein wenig trocknen musste es noch. Es stand stolz am Küchentisch. Stolz wie ich, der seinem Vater dabei helfen durfte, es aus vielen Plastikteilchen zusammenzubauen. Der Geruch von Lack und Kleber vermischte sich langsam mit dem von verbrannten Orangenschalen. Meine Mutter liebte es, die Schalen der Orangen auf die Herdplatte vom Zusatzherd zu legen, weil das einige Zeit gut duftete. Halt solange, bis die Schalen trocken waren und zu verbrennen begannen. Es war bald Zeit für das Abendessen, danach kam der Peter Alexander mit seiner Weihnachtssendung die sicher eine Einschaltquote von 99,9% hatte. Der einzige der da nicht vor dem TV-Gerät saß, war wahrscheinlich der Peter Alexander selbst, der war ja drin. Mein Vater lag schon startbereit auf der Couch vor dem Fernseher. Ich und die technische Meisterleistung des Flugzeugbaus waren startklar in der Küche. Gleich nach dem Start kam die Maschine in starke Turbulenzen und geriet ins Trudeln. Beim Kontakt mit dem Kühlschrank verloren wir die linke Tragfläche und damit jedwede Kontrolle über die Maschine. Beim Aufschlag verloren wir noch Höhen- und Seitenruder sowie einen Teil des Fahrwerks. Still wars. Bedrückend still. Ich war zu Tode betrübt. Wie hatte ich mir ausgemalt wie dieses Ding fliegen würde. Immer wieder hat mein Vater mir gesagt wie genau wir zu arbeiten hätten damit es perfekt würde und dann das. Ja, ich war sieben und für mich war sonnenklar, dass ein Flugzeug an dem man solange baut, natürlich fliegen können muss. Ich hatte keinerlei Zweifel daran in meiner kindlichen Unschuld oder eben Blödheit. Naja, das Konstrukteurteam wird wohl einige Klebstellen erneuern müssen. Nun, der Kühlschrank war vom Sofa aus einsehbar und so war Vater schon beim tragischen Verlust der linken Tragfläche dabei. Ohne Worte kam er in die Küche, hob die Teile auf, drückte sie zusammen und steckte Sie in den Ofen. Kaum fällt mir eine Situation ein, in der ich mich schlechter fühlte als damals. Das ist der Stoff aus, dem heute Honorarnoten von Psychotherapeuten gemacht werden. Ein KB Bild von mir enthält sicher die ein oder andere Landebahn. Auf die unvermeidliche Frage der Verwandten, was ich den einmal werden möchte, kam als Antwort nie Lokführer oder gar Pilot. Selbst mit dreizehn gab ich noch lapidar "vierzehn" als Antwort. Nie wieder beschäftigte ich mich mit Modellbau. Nicht einmal ein Puzzle würde ich anrühren weil eben auch "kaputt" ist und sehr viele Einzelteile hat. Rückblickend wäre es interessant gewesen wenn mir mein Vater einmal eine Puppenküche geschenkt hätte. Nun, geneigte Zuhörer, was lernen wir nun aus dieser Geschichte, außer dass Kinderseelen Kratzer abbekommen und manche Erinnerung Augenglänzen erzeugen kann wie seinerzeit Sternspritzer? Was bitte hindert euch Väter daran, euch all diese Dinge einfach selbst zu schenken? Wann, wenn nicht Weihnachten? Selbst kaufen, einpacken, am heiligen Abend auspacken, sehr überrascht tun und sich freuen wie ein Schneekönig. Wird irgendwer vor den Kindern fragen, wo dieses Geschenk den hergekommen sei? Wohl eher nicht. Weihnachten 1973 wird wohl immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben, obwohl sich retrospektiv herausstellte, dass das eigentliche Highlight dieses Jahres für mich wohl die Geburt eines Mädchens namens Barbara in Zöbing werden sollte.