Nürnberger Nachrichten

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Verbeugung vor dem griechischen Drama
Paris um 1780: Nürnberger Gluck-Festspiele vergleichen »Iphigénie« und »Andromaque«
miteinander
NÜRNBERG - »Paris und die Folgen« lautet das Thema der
derzeitigen Nürnberger Gluck-Festspiele, die zu einem
direkten Vergleich zweier Opern einluden, die für Paris
entstanden: Der 1779 uraufgeführten »Iphigenie auf Tauris«
von Gluck und der 1780 entstandenen »Andromache« seines
Mitkonkurrenten, des Belgiers Grétry.
In beiden Dramen waltet hehre, griechische Klassizität, auf
die die Regie auch in ihrer jeweils eigenen Ästhetik reagiert. Das funktioniert in der
mittlerweile zehn Jahren alten, immer noch aussagekräftigen »Iphigenie«-Inszenierung von
Claus Guth ebenso gut wie in der »Andromache«-Koproduktion, für die sich die Nürnberger
Oper mit den Schwetzinger Festspielen und den Theatern von Luzern und Montpellier
zusammenschloss. 230 Jahre schlummerte die Tragédie-lyrique in der Versenkung, in der es
unter den vier Protagonisten darum geht, dass jeder genau jenen liebt, der wiederum in
einen andern verschossen ist.
Liebeswirrungen
Die Trojanerin Andromache, die Witwe des Kriegsherrn Hector, wird von König Pyrrhus
angebetet. Schade eigentlich, dass der wiederum mit Hermione, der Tochter von König
Menelaos, verlobt ist. Das Problem erledigt sich, als Orest, der an den Hof von Epirus
abgesandte griechische Vertreter, Pyrrhus erschlägt, weil er selbst zu Hermione erglüht ist.
Mit andern Worten: Die drei Akte auf der Grundlage von Racines Drama aus dem Jahr 1667
konfrontieren mit zwei Wahnsinnsanfällen und einem Todesfall.
Die hat Grétry mit einer sehr konzentrierten, zwischen schlichten Arien und knappen
Rezitativen pendelnden Klangsprache versehen, die sich unter dem Gluckschen Vorbild nicht
viel mit barockem Beiwerk aufhält, sondern den Chor als Kommentator und Handlungsträger
in das Geschehen verwebt.
Bildsprache Wieland Wagners
Regisseur Georges Lavaudant verbannt zwar den Chor in den Orchestergraben, aber belässt
wenigstens noch ein wenig Bewegungsstatisterie in Jean-Pierre Vergiers Einheitsbühnenbild.
Das erinnert mit seinem halbrunden, raumfüllenden Passepartout-Prospekt und einer
Liegestatt als einzigem Accessoire ein wenig an Wieland Wagners Bildsprache.
Judith van Wanroij (Andromaque), Maria-Riccarda Wesseling (Hermione), vor allem aber
Sébastien Guèze mit metallischem Tenor-Brio als Pyrrhus und der charaktervolle Bariton von
Tassis Christoyannis zelebrieren darin ihre Seelennöte. Angefeuert von »Le Concert Spirituel«
auf historischen Instrumenten unter Hervé Niquet lassen die treibende, elegisch fließende
Klangsprache Grétrys aufblühen. Repertoire-tauglich ist das Werk sicher nicht, aber eines
besonderen Festspiel-Beitrags immer würdig.
Perle im Repertoire
Als Perle im Nürnberger Opernrepertoire erweist sich auch nach mehrjähriger Abstinenz
»Iphigénie en Tauride«, die Peter Theiler nach Möglichkeit weiter im Fundus behalten will.
Die von Susanne Frey wieder aufgefrischte Produktion, die 2000 bei den Salzburger
Festspielen herauskam, dann in Zürich zu sehen war und 2002 in Nürnberg landete, hat
noch keine Patina angesetzt, auch wenn sie natürlich nicht mehr die unmittelbare NeuheitsAura verströmen kann.
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Aus der Premierenbesetzung waren ein sichtlich gereifter, Höhen-starker Dimitris Tiliakos als
eindringlicher Orest sowie als wirrer Skythenkönig Thoas Johann Werner Prein, der den
erkrankten Kurt Schober vertrat, angereist. Mit großer Rollenerfahrung, aber etwas zu
introvertiert und auch nicht immer mit sicherem Fokus gestaltete Gastsopranistin Mireille
Delunsch die Titelpartie, in der Carole FitzPatrick einst Maßstäbe vorgegeben hatte. Anstelle
von Nikolai Schukoff von der Ur-Version singt nun Tilman Lichdi mit viel Aplomp den
opferbereiten Pylades.
Philipp Pointner traf mit den Nürnberger Philharmonikern die Lyrismen und erhabenen
Modulationen der Gluckschen Partitur sehr genau - vielleicht eine Spur zu sinnlich, auf
Kosten der Dramatik. Und doch ging der Punktsieg für Gluck in diesem Fall voll in Ordnung.
Jens Voskamp
22.7.2010
© NÜRNBERGER NACHRICHTEN
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