Nürnberger Nachrichten
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Druckversion Artikel aus Kultur Nürnberger Nachrichten 02.08.10 17:02 Verbeugung vor dem griechischen Drama Paris um 1780: Nürnberger Gluck-Festspiele vergleichen »Iphigénie« und »Andromaque« miteinander NÜRNBERG - »Paris und die Folgen« lautet das Thema der derzeitigen Nürnberger Gluck-Festspiele, die zu einem direkten Vergleich zweier Opern einluden, die für Paris entstanden: Der 1779 uraufgeführten »Iphigenie auf Tauris« von Gluck und der 1780 entstandenen »Andromache« seines Mitkonkurrenten, des Belgiers Grétry. In beiden Dramen waltet hehre, griechische Klassizität, auf die die Regie auch in ihrer jeweils eigenen Ästhetik reagiert. Das funktioniert in der mittlerweile zehn Jahren alten, immer noch aussagekräftigen »Iphigenie«-Inszenierung von Claus Guth ebenso gut wie in der »Andromache«-Koproduktion, für die sich die Nürnberger Oper mit den Schwetzinger Festspielen und den Theatern von Luzern und Montpellier zusammenschloss. 230 Jahre schlummerte die Tragédie-lyrique in der Versenkung, in der es unter den vier Protagonisten darum geht, dass jeder genau jenen liebt, der wiederum in einen andern verschossen ist. Liebeswirrungen Die Trojanerin Andromache, die Witwe des Kriegsherrn Hector, wird von König Pyrrhus angebetet. Schade eigentlich, dass der wiederum mit Hermione, der Tochter von König Menelaos, verlobt ist. Das Problem erledigt sich, als Orest, der an den Hof von Epirus abgesandte griechische Vertreter, Pyrrhus erschlägt, weil er selbst zu Hermione erglüht ist. Mit andern Worten: Die drei Akte auf der Grundlage von Racines Drama aus dem Jahr 1667 konfrontieren mit zwei Wahnsinnsanfällen und einem Todesfall. Die hat Grétry mit einer sehr konzentrierten, zwischen schlichten Arien und knappen Rezitativen pendelnden Klangsprache versehen, die sich unter dem Gluckschen Vorbild nicht viel mit barockem Beiwerk aufhält, sondern den Chor als Kommentator und Handlungsträger in das Geschehen verwebt. Bildsprache Wieland Wagners Regisseur Georges Lavaudant verbannt zwar den Chor in den Orchestergraben, aber belässt wenigstens noch ein wenig Bewegungsstatisterie in Jean-Pierre Vergiers Einheitsbühnenbild. Das erinnert mit seinem halbrunden, raumfüllenden Passepartout-Prospekt und einer Liegestatt als einzigem Accessoire ein wenig an Wieland Wagners Bildsprache. Judith van Wanroij (Andromaque), Maria-Riccarda Wesseling (Hermione), vor allem aber Sébastien Guèze mit metallischem Tenor-Brio als Pyrrhus und der charaktervolle Bariton von Tassis Christoyannis zelebrieren darin ihre Seelennöte. Angefeuert von »Le Concert Spirituel« auf historischen Instrumenten unter Hervé Niquet lassen die treibende, elegisch fließende Klangsprache Grétrys aufblühen. Repertoire-tauglich ist das Werk sicher nicht, aber eines besonderen Festspiel-Beitrags immer würdig. Perle im Repertoire Als Perle im Nürnberger Opernrepertoire erweist sich auch nach mehrjähriger Abstinenz »Iphigénie en Tauride«, die Peter Theiler nach Möglichkeit weiter im Fundus behalten will. Die von Susanne Frey wieder aufgefrischte Produktion, die 2000 bei den Salzburger Festspielen herauskam, dann in Zürich zu sehen war und 2002 in Nürnberg landete, hat noch keine Patina angesetzt, auch wenn sie natürlich nicht mehr die unmittelbare NeuheitsAura verströmen kann. http://www.nn-online.de/artikel_druck.asp?art=1265152&kat=48&mank=NN&catch=Kultur&man=N%FCrnberger%20Nachrichten Seite 1 von 2 Druckversion Artikel aus Kultur Nürnberger Nachrichten 02.08.10 17:02 Aus der Premierenbesetzung waren ein sichtlich gereifter, Höhen-starker Dimitris Tiliakos als eindringlicher Orest sowie als wirrer Skythenkönig Thoas Johann Werner Prein, der den erkrankten Kurt Schober vertrat, angereist. Mit großer Rollenerfahrung, aber etwas zu introvertiert und auch nicht immer mit sicherem Fokus gestaltete Gastsopranistin Mireille Delunsch die Titelpartie, in der Carole FitzPatrick einst Maßstäbe vorgegeben hatte. Anstelle von Nikolai Schukoff von der Ur-Version singt nun Tilman Lichdi mit viel Aplomp den opferbereiten Pylades. Philipp Pointner traf mit den Nürnberger Philharmonikern die Lyrismen und erhabenen Modulationen der Gluckschen Partitur sehr genau - vielleicht eine Spur zu sinnlich, auf Kosten der Dramatik. Und doch ging der Punktsieg für Gluck in diesem Fall voll in Ordnung. Jens Voskamp 22.7.2010 © NÜRNBERGER NACHRICHTEN http://www.nn-online.de/artikel_druck.asp?art=1265152&kat=48&mank=NN&catch=Kultur&man=N%FCrnberger%20Nachrichten Seite 2 von 2