Faux amis
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Faux amis
Heinrich-Heine Universität Seminar: Kontrastive Linguistik und Übersetzen Dozentin: Nora Wirtz Referentin: Inga Stiegemann WS 2014/15 18.12.2014 Faux amis 1.Faux amis im Allgemeinen: Definition: „Wörter, die eine gemeinsame Wurzel haben (z.B. ein lateinisches oder griechisches Etymon) und in den verschiedenen Sprachen, trotz weitgehender Ähnlichkeiten in ihrer morphologischen und phonologischen Struktur, erhebliche semantische Veränderungen erfuhren.“ (E. Thiemer, 1979) - Wörter mit großer formaler Ähnlichkeit Mehr oder weniger gravierende Bedeutungsunterschiede Phänomen der sprachlichen Interferenz Interferenz: basierend auf formale Analogien → Interferenzerscheinungen können bereits auf formaler Ebene auftreten, noch bevor sie die Bedeutungsebene beeinflussen Geschichtliche Informationen: - Latein: gemeinsame Basis für europäische Wortschätze → Grund für: Internationalismen & „erneute babylonische Sprachverwirrung“ (C.Milan, 1989, S.384) - Latein als Basis, aber getrennte Sprachentwicklungen - Ähnliches bei Sprachen mit anderer Basis (Bsp.: Germanische Sprachen) - - Beobachtung des Phänomens: 1922: „Les Traquenards de la version anglaise“ (H. Veslot & J. Blanchet ; „mots-sosies“) Prägung des Begriffs: 1928: „Les Faux Amis ou les trahisons du vocabulaire anglais“ (Maxime Koessler & Jules Derocquigny, 1928) Große Entlehnungsepochen: - lateinisches Mittelalter (Mittellatein) - Humanismus (klass. Latein und Griechisch) - 17. & 18 Jh. (kultureller Austausch mit Frankreich; Französisch) - nach 1945 (Englisch) Allgemeine Informationen: Gründe für die Untersuchung von faux amis: - lateinischer, europäischer Wortschatzkern: fallenreich - „brisantes linguistisches Problem“ (C. Milan, 1989, S.387) - Lexikalische Fehler: ca. 16% (von 85% Fehler in der mündl. Sprachausübung) - Faux amis: „Gelehrtenwörter“ (= Fremd- oder Fachwörter) → höhere Häufigkeit beim Lesen und Schreiben als beim Sprechen - Lautähnliche Wörter: schwer einprägsam - Gefahr von semantisch leeren Sätzen - Integration & Korrektur der zwei- bzw. mehrsprachigen Wörterbücher - Liefert gezielte Übungen zur Vermeidung dieser Fehler im Sprach- und Translationsunterricht - Daraus resultierendes Wörterbuch: zuverlässiges Instrument für Übersetzer und Dolmetscher Unterscheidungen und Gliederungen der faux amis: - Intralinguale faux amis: innerhalb einer Sprache Interlinguale faux amis: zwischen zwei oder mehreren Sprachen Synchronisch Diachronisch (→ Bedeutungsentwicklungen & -veränderungen im Laufe der Zeit) - Diachronisch, intralinguale faux amis: zwischen verschiedenen Sprachstufen einer Sprache Diachronisch, interlinguale faux amis: verwandte Sprachen entfernen sich → Entwicklung semantischer Kongruenzen zu faux amis Synchronische, intralinguale faux amis: Paronymie-Phänomene bzw. HomonymiePhänomene (z.B.: dt.: real – reel) Synchronische, interlinguale faux amis: zwischen modernen, relativ verwandten europäischen Sprachen - Faux amis de forme/strukturelle/strukturell-formale: - formale Scheinentsprechungen - weitgehend gleiche Bedeutung - Unterschiede in: der Morphologie, Orthografie, Betonung, Aussprache oder des Genus, der Syntax oder der Stilistik (oder allgemein Pragmatik) → Kommunikationsstörung in unterschiedlichem Grad Faux amis de sens/semantische: - Große formale Ähnlichkeit (wichtigste Bedingung für faux amis) - Etymologisch miteinander verwandt (Bedingung zur Abgrenzung von zufälliger Homonymien) - Im Laufe der Entwicklung in verschiedenen Sprachen verschieden Bedeutungen angenommen Entlehnungssprache: dritte Sprache oder eine der Vergleichssprachen Drei Typen von faux amis: - Exklusion: keine gemeinsame Bedeutung → immer Interferenzgefahr - Inklusion: eines enthält Bedeutungen des anderen und weitere darüber hinaus → Ausgangspunkt: Wort mit den weiteren Anwendungsbedingungen → Interferenzgefahr - Überlappung: eine oder mehrere gemeinsame Bedeutung → Interferenzgefahr: nur bei Anwendung der nicht gemeinsamen Bedeutungen Exklusionen: „echte/wahre“ falsche Freunde Mario Wandruszka: Gründe der Entstehung des Phänomens: - - „spielerischer Zufall“ von Bedeutung (M. Wandruszka, 1977, S.55) kultursoziologische oder nationalpsychologische Interpretation: nur für wenige faux amis denkbar Unterschiede nur zu geringem Teil aus Unterschieden der Natur, Kultur, kollektiven Charakters, der Mentalität oder Sensibilität erklärbar Spielerische Leichtigkeit des Hinübergleitens in eine neue Bedeutung, teilweise ohne erkennbarem Grund sprachgeschichtlichen Erklärungen meistens nur halbe Erklärungen Bedeutungsentwicklungen: vergleichbar mit Würfelspiel Gesetze der Symmetrie: für natürliche Sprachen keine zwingende Geltung → Differenzierung: Kontextabhängig → ohne Kontext, keine Polysemie 2. Faux amis speziell zwischen Deutsch und Französisch: Allgemeine Informationen: Deutsch: lat. Wörter nur als Entlehnungen → Folge: - Bedeutungsverschiebung - Bedeutungsverengung (am Häufigsten) Zahl der faux amis hängt ab von: - Perspektive (dt.-frz. oder frz.-dt.) - Lernpublikum und dessen Grad der Zielsprachenbeherrschung - Den verglichenen Sprachen und den ein- oder ausgeschlossenen Sprachregistern → Grenzen des Begriffs faux amis diffus (wie alle anderen Beschreibungstermini) - Ein Kontingent von frz. Fremdwörtern → mittlerweile fester Bestandteil des dt. Wortschatzes Gemeinsamer Kern (lat. Etyma); differierender Bedeutungsspielraum Ca. 1700 geläufige faux amis (dt. Ausgangs-, frz. Zielsprache) (Klein; Hinübersetzungswörterbuch) Inklusive niederfrequente Scheinentsprechungen (semantisch oder formal): = ca. 3000 oder 4000 (oder mehr) Ursprünge: häufig im Mittelalter und Renaissance (→ Bildungsstrukturen und allgemein Kulturen und Gesellschaften noch enger zusammen) Gründe für die Entstehung der faux amis zwischen Deutsch und Französisch: - Grund für Nichtübereinstimmung der Wortinhalte: „sozialen, politischen, wirtschaftlichen, kulturellen, historischen Hintergründen des Sprachgebrauchs“ (Koller, 1983, S.57) Pejorativisierung: Abwertung des Fremden (Lehnwörter werden negativ-konnotiert) (recht häufig) (Bsp.: raisonner – räsonieren) Französische Sprachnormierung durch den vornehmen usage des 17. Jh. (Absolutismus) Deutsche Sprachnormierung: nicht so starke Ausmaße und viele Folgeerscheinungen Faux amis: (zweisprachige) Untergruppe der „mot de civilisation“ (einsprachig) Frankreichs „Wörter und Sachen“ sind traditionsverhafteter und -geprägter Erklärung für Unterschiede: - Sprach- und Kulturgeschichte - Lebensbereiche - Sprachinterne und sprachexterne Faktoren - Nicht möglich: primär aus historisch-gesellschaftlichen Hintergründen, aus landeskundlichkulturellen Unterschieden zu erklären - Landeskundliche Unterschiede Kategorien der faux amis: - - Gleiche/ähnliche Form, unterschiedliche Bedeutung: die Parole/la parole, die Regie/la régie, luxuriös/luxurieux Gleiche Form, unterschiedliche Artikel und unterschiedliche Bedeutung (intralingual): le voile/la voile, le manche/la manche, le vapeur/la vapeur Verben mit unterschiedlicher Rektion: abonnieren/s’abonner à, wegfliegen/s’envoler, sich aufhalten/ séjourner Abweichende Endungen: katastrophal/catastrophique, Anonymität/anonymat, emotional/émotif - - Unterschiede im Genus: die Vase/le vase, der Planet/la planète, der Likör/la liqueur, die Gage/les gages (pl.) Sinngleiche Bedeutung, unterschiedlicher, teilweise sehr ähnlicher Orthografie: der Komfort/le confort, der Waggon/le wagon, die Etappe/l’étape Gleiche Form, gemeinsame Inhaltsmerkmale, sonst verschiedene Bedeutungen (interlinguale Polysemie): impotent/impotent Lautliche ähnlich, Teilentsprechungen: Divergenz (engere Bedeutung in Ausganssprache): dt.: Tee – frz.: thé, infusion, tisane Konvergenz (weitere Bedeutungen in Ausganssprache): dt.: Prinz, Fürst, Herrscher – frz.: prince Pseudonyme: dt. Die Blamage (nie existent in frz. gewesen); dt. Friseur (früher im frz., heute ersetzt) 3. Wörterbücher der faux amis: Wörterbücher: - Klein, Hans-Wilhelm, 1987: Schwierigkeiten des deutsch-französischen Wortschatzes. Germanismen – Faux amis - Vanderperren, Francois, 1994: Dictionnaire des/Wörterbuch der faux amis Aufbau: - Klein: auf Deutsch → Deutsche Muttersprachler Suche nach französischen Begriffen: siehe Register - Vanderperren: auf Französisch und Deutsch (s. Vorwort/Avant-Propos) Kurze Erläuterung: Geschichtlicher Überblick, Faux Amis Vorbemerkung: Begrifferläuterung, Besonderheiten (Bsp. Zusammengesetzte Wörter) Bibliografie: Grosse, Ernst Ulrich. 1998. „zwischen Linguistik und Landeskunde: die ‚faux amis culturels‘“. In: Französisch heute 29, 359-378. http://www.freidok.unifreiburg.de/volltexte/3161/pdf/Faux_amis.pdf Klein, Hans-Wilhelm (1987): Schwierigkeiten des deutsch-französischen Wortschatzes. Germanismen – Faux amis. Stuttgart: Ernst Klett Verlag. Milan, Carlo (1989): „Falsche Freunde – ein besonderes Problem der kontrastiven Lexikologie“. In: Sprachwissenschaften 14, 384-404. Müller, Bernhard (1981): „Faux amis und mots-pièges – eine kritische Zusammenstellung“. In: Französisch heute 12, 250-258. Thiemer, Eberhard (1979): „Die ‘falschen Freunde’ als Erscheinung zwischensprachlicher und innersprachlicher Interferenz“. In: Fremdsprachen 23/4, 263-271. Vanderperren, Francois (1994): Dictionnaire des/Wörterbuch der faux amis. Louvain-la-Neuve: Duculot. Wandruszka, Mario (1977): „Falsche Freunde: ein linguistisches Problem und seine Lösung“. In: Lattenberger, H. (Hg.). Festgabe für Julius Wilhelm, Zeitschrift für französische Sprache und Literatur, 53-77.