KLASSE 3/2014 - Publikationen
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KLASSE 3/2014 - Publikationen
KLASSE DA S M AG A Z I N F Ü R S C H U L E I N S AC H S E N L A I Z SPF-Egefördeerte ES le u h c S r e d in a p o Eur te F-geförderte Projek rch ES Gemeinsam stark du jekt o r P MELDUNGEN Wie klingt eigentlich Braunkohle? 50 sächsische und polnische Jugendliche vertonen mit der Unterstützung von Komponisten und Geologen die Klänge der Natur. BU 100 Jahre Braunkohleabbau in 63 Sekunden Vor 12 Millionen Jahren zieht sich das Meer zurück und Laubbäume drängen in den Vordergrund. Bei 15 °C tummeln sich Rüsseltiere neben dicken Flusspferden – die Kohle ist längst da. Doch wie klingt es, wenn aus Pflanzenresten Kohle wird und wie hat sich die Landschaft in Braunkohlegebieten der Lausitz, in Westpolen und dem Leipziger Revier über 50 Millionen Jahre entwickelt? 50 sächsische und polnische Schülerinnen und Schüler zwischen 13 und 15 Jahren waren der Antwort einmal wöchentlich auf der Spur. Das zweijährige Projekt »geo sounds« des Flügelschlag Werkbühne e.V. schickte sie zusammen mit Geologen und Komponisten auf eine Reise in die Urzeit und zurück. Die Projektgruppen Leipzig, Markkleeberg, Görlitz, Krakau und Zgorzelec begaben sich dazu in die Tagebaue, rekultivierte Landschaften und vertonten danach ihre Eindrücke im Studio. Unterstützt wurden sie vom Mendelssohn Kammerorchester Leipzig. Später verarbeitete der Klangkünstler Johannes Krause die Motive. Die Komposition setzt sich aus den Themen Moor, Meer, Fluss, Inlandeis und Warmzeit zusammen und wurde im Mai 2013 präsentiert. Seitdem ist auch eine Internet-Komposition zu hören. Die Internet-Aufführung erstreckt sich über die Dauer eines Jahres. Betrachtet man die letzten 50 Millionen Jahre Erdgeschichte unserer Region und projiziert diese Zeit auf ein Jahr, dann stellen die letzten 63 Sekunden die Ära des Kohleabbaus dar. Damit beginnen für die Schüler die Fragen an die Zukunft: Wie wird unsere Umgebung in 25 Jahren aussehen? Welche Vision haben wir für unsere Regionen, unsere eigene Zukunft und die der nachkommenden Generationen? Antworten auf diese Fragen gab das Zukunftskonzert »geo-sounds future« – welches als Uraufführung im Mai in der Ostrale in Dresden sowie im Teatr Łažnia Nowa in Krakau zu hören war. Weitere Informationen unter: www.geo-sounds.de IMPRESSUM Herausgeber: Sächsisches Staatsministerium für Kultus (SMK), Referat Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Carolaplatz 1, 01097 Dresden | Redaktion: Anja Niemke (V. i. S. d. P. ), Manuela Heine, SMK Referat 21, E-Mail: [email protected]; Anikó Popella, Peter Stawowy, stawowy media | Mitarbeit in dieser Ausgabe: Beate Diederichs, Maria Keck, Sebastian Martin, Caroline Vogt | Fotos: Flügelschlag Werkbühne e.V. (Seite 2), Detlev Müller, Daniel Scholz, Toni Kretschmer | Gestaltung: stawowy media | Auflage: 40.000 Exemplare | Druck: Druckerei Vetters | Verteilerhinweis: Die Informationsschrift wird von der Sächsischen Staatsregierung im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlhelfern zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. 2 KLASSE 3 / 2014 E D I TO R I A L / I N H A LT Liebe Leserinnen und Leser, was ist Europa? Eine Staatengemeinschaft, ein politisches Projekt, ein Kontinent, eine Herausforderung, eine Wertegemeinschaft, ein Thema im Lehrbuch, eine Reise wert: eine Frage, die viele Antworten kennt. Ich meine: Europa ist eine große Chance und Europa will gelebt werden. Auch Schule ist ein lebendiger Ort. Beides passt also gut zusammen. In dieser Sonderausgabe der KLASSE zeigen wir, was Europa sächsischen Schülerinnen und Schülern zu bieten hat. Im Heft finden Sie viele Beispiele, wie der Europäische Sozialfonds (ESF) sächsische Schüler beim Erreichen ihrer Ziele unterstützt. In Sachsen sollen alle Schüler ihre Fähigkeiten voll ausschöpfen können. Diesem Anliegen folgend, fördert das Kultusministerium mithilfe des ESF vornehmlich Projekte, die den Schulerfolg verbessern und der Berufs- und Studienorientierung dienen. Somit sollen noch mehr Schüler einen Abschluss erlangen und auf das Berufsleben vorbereitet werden. Dem Kultusministerium standen allein im Förderzeitraum 2007 bis 2013 insgesamt 130,7 Millionen Euro für 623 ESF-Projekte mit rund 235.200 Teilnehmern zur Verfügung. Wir haben schon viel erreicht. Davon konnte ich mich selbst überzeugen beim Besuch des Projektes »Produktives Lernen«. Durch praxisnahes Lernen helfen wir abschlussgefährdeten Schülern, einen Hauptschulabschluss zu erlangen. Circa 200 Hauptschüler der 8. und 9. Klassenstufe lernen in diesem besonderen Bildungsangebot. Der Unterricht erfolgt an zwei Tagen der Woche in der Schule, drei Tage verbringen sie an selbst gewählten Praxisplätzen. Mit der teilweisen Verlagerung des Unterrichts in die Betriebe soll die Motivation der Schüler einen neuen Schub bekommen. Das Ziel: die Leistungsbereitschaft der schwächeren Schüler steigern und ihnen das Lernen wieder schmackhaft machen. Denn für uns zählt jeder Schüler! In der Praxis begreifen die Jugendlichen am besten, dass sie nicht für die Schule, sondern für ihr späteres Berufsleben lernen. So zeigt das Beispiel »Produktives Lernen« stellvertretend für die vielen ESF-Projekte, wie Europa für Rückenwind bei unseren Schülern sorgt. Ihre Brunhild Kurth Sächsische Staatsministerin für Kultus Inhalt Meldungen – Seite 4 Umgebung mit Potenzial: Berufs- und Studienorientierung im Landkreis Zwickau – Seite 5 Eine bessere Schule Qualitätsmanagement an sächsischen Schulen – Seite 6 »10 Ein Tag in Bildern Tiberius tanzt im Theaterprojekt – Seite 10 Aus Teilnehmersicht »06 Wie koalpha Analphabeten unterstützt – Seite 11 Mit Praxis zum Bildungsabschluss Produktives Lernen – Seite 12 ESF in Zahlen – Seite 14 Sie können KLASSE kostenlos abonnieren. Dazu genügt eine E-Mail mit Angabe Ihrer Adresse an [email protected]. Ansprechpartner für Ihre Hinweise, Meinungen und Themenvorschläge für die kommenden Ausgaben der KLASSE ist das Referat Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Carolaplatz 1, 01097 Dresden, Telefon: (0351) 564 25 11, E-Mail: klasse@smk. sachsen.de (kein Zugang für elektronisch signierte sowie für verschlüsselte Dokumente). 3 / 2014 KLASSE 3 MELDUNGEN Projektmeldungen AbiBac Schüler des Anton-Philipp-Reclam-Gymnasiums in Leipzig und des Romain-Rolland-Gymnasiums Dresden können sich seit dem Schuljahr 2010 / 2011 zusätzlich zur deutschen allgemeinen Hochschulreife auf die französische vorbereiten: das »baccalauréat«. An beiden Gymnasien kann bereits seit 1993 / 94 ab der Klassenstufe 5 eine vertiefte sprachliche Ausbildung in der Sprache Französisch absolviert werden. Das AbiBac setzt diesen besonderen Bildungsgang ab Klasse 10 fort und fördert neben sprachlichen viele weitere Kompetenzen. Mit dem Doppelabschluss ergeben sich vielfältige Berufs- und Studienmöglichkeiten für die bislang 31 Absolventen. Film ab! »Rückenwind für Sachsens Schüler« – so heißt der Film, der im Auftrag des Kultusministeriums produziert wurde. Er stellt drei außerschulische Projekte zur Verbesserung des Schulerfolges und Persönlichkeitsentwicklung vor und gibt dadurch Impulse für die schulische Arbeit. Die sächsischen Oberschulen, Gymnasien und Förderschulen erhalten den Film direkt. Alle anderen Interessierten finden den Trailer auf der Internetseite: www.bildung.sachsen.de/esf. Berufsbegleitende Weiterbildung zur Kindheitspädagogik Das Advent-Kindergarten-Institut Limbach-Oberfrohna und das Sozialwissenschaftliche Fortbildungsinstitut an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit Dresden bieten seit September 2013 Weiterbildungsmaßnahmen auf dem Gebiet der Kindheitspädagogik für Hochschulabsolventen der Erziehungswissenschaft oder Pädagogik an. In einem Jahr erwerben die 45 Teilnehmer theoretisches Wissen und praktische Kompetenzen, um als pädagogische Fachkraft mit Kindern zu arbeiten und Kindertageseinrichtungen zu leiten. Die Weiterbildung findet berufsbegleitend in Verbindung mit einem Teilzeitarbeitsverhältnis in einer Kindertageseinrichtung statt. Anleitung und Reflexion der Praxiszeiten erfolgen in der Kindertageseinrichtung in Zusammenarbeit mit dem Weiterbildungsteam. Die Weiterbildung endet mit einem Abschlusskolloquium. Sprachkurs Tschechisch Seit Oktober 2013 sind weitere Lehrkräfte in Sachsen berechtigt, eine Arbeitsgemeinschaft Tschechisch zu leiten. Die Lehrerinnen und Lehrer von sieben Oberschulen, darunter zwei Schulleiter, absolvierten seit 2011 berufsbegleitend einen ESF-finanzierten Sprachkurs. Das Kursprogramm umfasste insgesamt 460 Stunden sowie zwei Studienaufenthalte von insgesamt vier Wochen in Tschechien. Die Lehrkräfte erhielten das Tschechisch-Sprachzertifikat auf dem Niveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen. 4 KLASSE 3 / 2014 PROTO KO LL Entscheidung mit Tragweite Welche Möglichkeiten gibt es für Jugendliche, in der Region Zwickau zu bleiben, und welche Fachkräfte werden gebraucht? Seit September 2012 bietet die Regionale Koordinierungsstelle Berufs- und Studienorientierung im Landkreis Zwickau Hilfestellung für Schüler ab Klasse 8. Melanie Mothes ist Projektmitarbeiterin. Welchen Herausforderungen sie sich stellt, hat sie KLASSE erzählt. PROTOKOLL: CAROLINE VOGT, KLASSE - REDAKTION »VIELE SCHÜLER WISSEN NICHT, WAS IN IHREM UMFELD MÖGLICH IST.« MELANIE MOTHES, REGIONALE KOORDINIERUNGSSTELLE BERUFS- UND STUDIENORIENTIERUNG IM LANDKREIS ZWICKAU Als ich mir selbst diese großen Fragen stellte, war ich 18 Jahre alt und Abiturientin. Ich wusste, ich wollte studieren – Architektur oder etwas aus dem sozialen Bereich. Über die Tragweite meiner Entscheidung war ich mir damals nicht bewusst und deshalb froh, dass mich meine Eltern und Freunde unterstützten. Ich entschied mich für ein Studium der Sozialpädagogik an der Berufsakademie Sachsen. Ich kenne den Landkreis Zwickau und die Fragen der Jugendlichen. Die Region hat Potenzial. Wichtige Wirtschaftsfaktoren sind die Automobil- und Zuliefererindustrie. Der Bedarf an Fachkräften ist groß, aber viele Schüler wissen nicht, was in ihrem Umfeld alles möglich ist und was sie in den jeweiligen Berufen erwartet. An diesem Punkt kommen ich und die Regionale Koordinierungsstelle Berufs- und Studienorientierung ins Spiel. Seit September 2012 betreibe ich Netzwerkarbeit und verstehe mich als Mittelsfrau. Natürlich gibt es im Landkreis Zwickau bereits aktive Schulen und Unternehmen, die erfolgreich miteinander kooperieren, Elternabende oder Schnuppertage veranstalten – allerdings kochte bisher jeder sein eigenes Süppchen. Die Idee ist es, nun sämtliche Akteure an einen Tisch zu bekommen. Mithilfe der Regionalen Koordinierungsstelle Landkreis Zwickau sollen alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Vorstellen kann man sich das Ganze wie ein Haus mit drei Etagen, zwischen denen ich vermittle. Im Dachgeschoss trifft sich regelmäßig das Netzwerk Runder Tisch Fachkräftesicherung mit Vertretern des Landratsamtes und der IHK Chemnitz und Zwickau, der Sächsischen Bildungsagentur, der Agentur für Arbeit sowie der Westsächsischen Hochschule Zwickau und der Staatlichen Studienakademie Glauchau. Bei diesen Treffen legen wir konkrete Aufgaben und Strategien fest. Im ersten Stock arbeitet die Regionale Koordinierungsstelle und im Erdgeschoss sind kleinere, lokale Arbeitskreise. In ihnen sind Vertreter aus Schule und Wirtschaft der Umkreise Werdau, Zwickau, Wilkau-Haßlau, Lichtenstein sowie Glauchau. Sie sind die praktischen Partner, die die Strategie auf Landkreisebene umsetzen. Die Netzwerkarbeit und der Blick hinter die Kulissen machen mir großen Spaß. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig es ist, Unterstützung, Kontakte und gute Berater zu haben. All das bieten wir etwa durch den »Girls-« bzw. »Boys’Day« oder auch »Schau rein! – die Woche der offenen Unternehmen Sachsen«. Der Tag der Bildung hat sich zur Ausbildungsmesse mit regionalem Bezug gemausert und die Internetseite »Arbeit im Landkreis Zwickau« informiert über aktuelle Veranstaltungen und offene Stellen. Auch wenn mit der Berufswahl das Lernen und Orientieren nicht aufhört – es ist wichtig, sich ganz bewusst zu entscheiden. Das kann man nur, indem man sich informiert. Weitere Informationen unter: www.arbeit-im-landkreis-zwickau.de Melanie Mothes bringt die Akteure zur Berufs- und Studienorientierung im Landkreis Zwickau an einen Tisch. 3 / 2014 KLASSE 5 Unser Unterricht soll besser werden 36 Millionen Euro: So viel investiert der Freistaat Sachsen mithilfe des Europäischen Sozialfonds in Qualitätsmanagement-Projekte. Sie haben das Ziel, die Unterrichtsqualität und damit die Schülerleistungen zu verbessern. KLASSE hat Projektschulen in Freiberg, Borna und Bautzen besucht. VON SEBASTIAN MARTIN, KLASSE-REDAKTION Sie vergleicht die Situation mit einem Segelschiff auf hoher See. »Wir liegen auf Kurs, könnten aber manchmal etwas mehr Fahrt aufnehmen«, sagt Jacqueline Sievers-Beck. Aber der Wind wehe nun mal nicht immer von hinten – auch nicht am Berufsschulzentrum für Technik und Wirtschaft »Julius Weisbach« in Freiberg. Doch von den entgegenschlagenden Wellen lässt sich die energische Frau kaum beeindrucken. Seit mehr als einem Jahr leitet die 48-Jährige eine sechsköpfige Arbeitsgruppe, die für das Qualitätsmanagement, kurz QM, vor Ort verantwortlich ist. Eine Mammutaufgabe. Denn mit Berufsschule, Fachschule, Fachoberschule und Beruflichem Gymnasium zählt das Haus zu einer der größten sächsischen Bildungseinrichtungen. In der Seefahrersprache würde man sagen: Es ist ein gigantischer Tanker, für dessen Steuerung man viel Geschick benötigt. Jeden Montag trifft sich Jacqueline Sievers-Beck mit dem Q-Team. Auch heute. Auf dem Tisch liegen neben den Kaffeetassen und Schreibblöcken bunte A4-Blätter. »Guter Unterricht«, »Schulklima« oder »Transparenz« steht in großen Druckbuchstaben drauf. »Wir wollen, dass die Lehrer und Schüler zufriedener sind«, erklärt sie. Es werden Ideen diskutiert, Aufgaben verteilt und Meilensteine festgelegt. Manchmal wird auch gestritten. »Am Anfang 6 KLASSE 3 / 2014 waren wir sehr enthusiastisch und glaubten, alle Probleme auf einmal lösen zu können. Aber es kam schnell zur Ernüchterung, weil man natürlich nicht alles auf einmal anpacken kann«, sagt Jacqueline Sievers-Beck. 1.100 Lehrkräfte in 213 Qualitätsteams »Veränderungen in der Lehr- und Lernkultur brauchen Zeit«, sagt Martina Kretschko-Ulbrich. Sie koordiniert für die Sächsische Bildungsagentur die beiden ESF-QM-Projekte, an denen allgemein- und berufsbildende Schulen teilnehmen können. Rund 1.100 Lehrkräfte in 213 Qualitätsteams sind derzeit dabei. Laut Projektbeschreibung besteht das Ziel darin, »durch schulisches Qualitätsmanagement die systematische Unterrichtsentwicklung voranzubringen und somit die Schülerleistungen zu verbessern. Durch interne Evaluation sollen Lehr- und Lernprozesse kontinuierlich verbessert werden. Es gilt, Strategien zu entwickeln, geeignete Maßnahmen zu finden, zu implementieren und erneut auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen.« Knapp 36 Millionen Euro investiert der Freistaat Sachsen mithilfe des Europäischen Sozialfonds in die Unterstützung des Qualitätsmanagements an sächsischen Schulen. Denn trotz aller Erfolge R E P O RTAG E »NEUES GESTALTEN UND BEWÄHRTES ERHALTEN.« MARTINA KRETSCHKO-ULBRICH, LANDESKOORDINATORIN DER ESF-QM-PROJEKTE wie zuletzt beim Bildungsmonitor 2013, bei dem das sächsische Bildungssystem im bundesweiten Vergleich erneut den ersten Platz belegte, bleibt viel zu tun. Gerade bei der Unterrichtsentwicklung. systematische Unterrichtsentwicklung wird somit zum festen Bestandteil der Arbeit an den Projektschulen. Borna: Fragebogen für Schüler und Lehrer Noch immer erreichen zwischen Leipzig und Görlitz nicht alle Schüler einen Abschluss. Allein 2013 haben dem Statistischen Landesamt zufolge 2.599 Jugendliche die Schule ohne Zeugnis verlassen. Das ist jeder Zehnte und prozentual mehr als noch vor fünf Jahren. Hinzu kommen die Schüler, die Lernschwierigkeiten haben und eventuell Klassenstufen wiederholen müssen. Auch diese Quote will die Sächsische Bildungsagentur verringern. Und zwar durch Hilfe zur Selbsthilfe. »Das Motto der Tätigkeit im Projekt sollte sein: ‚Neues gestalten und Bewährtes erhalten‘«, sagt Landeskoordinatorin Martina Kretschko-Ulbrich. »Es kommt darauf an, den für jede Projektschule spezifischen Schwerpunkt zu finden und den eigenen Weg zu mehr Unterrichtsqualität differenziert und auf Grundlage der bisher geleisteten Arbeit zu gehen.« In einer 40-stündigen projektbegleitenden Qualifizierung wurden die Q-Teams zunächst geschult. In den Seminaren entwickelten sie das Grundgerüst für einen schulspezifischen Qualitätsplan, der in den Bildungseinrichtungen anschließend umgesetzt und systematisch fortgeschrieben wird – mit Unterstützung der Projektleitung sowie durch einen Erfahrungsaustausch der Projektschulen in regionalen und thematischen Netzwerken. Kontinuierliche und Aber wie können die Schüler unter den vorgegebenen Rahmenbedingungen individuell stärker gefördert werden? Darüber hat sich auch das Q-Team am Gymnasium »Am Breiten Teich« in Borna Gedanken gemacht. Von den Lehrern und Schülern wollten QTeam-Leiter Andreas Heilmann und seine fünf Team-Mitglieder anhand eines Fragebogens wissen, wie sie unter anderem die Lernorganisation und den Lernprozess einschätzen und welche Verbesserungen sie sich wünschen. Der Rücklauf war enorm. Fast alle der 740 Schüler und 70 Lehrer haben sich an der Umfrage beteiligt. Anschließend wertete das Q-Team die Fragebögen aus, um Schlussfolgerungen zu ziehen und Ziele zu formulieren. Zunächst für den Qualitätsbereich »Lehren und Lernen«. Der steht neben den Bereichen »Entwicklung der Professionalität« und »Ergebnisse« im Fokus der ESF-QM-Projekte. Zwei Wünsche kristallisierten sich bei der Befragung heraus: die Verbesserung der unterrichtsbegleitenden Förderung in Deutsch, Mathe und in den Fremdsprachen und eine intensivere Prüfungsvorbereitung für die Abiturienten. Natürlich ist aber auch das Q-Team am Gymnasium »Am Breiten Teich« in Borna kein Messias, der alle Wünsche sofort und Jacqueline Sievers-Beck und ihre Kolleginnen treffen sich jeden Montag und beratschlagen die nächsten Schritte für das Qualitätsmanagement. Bei der Größe der Schule ist das keine leichte Aufgabe. 3 / 2014 KLASSE 7 R E P O RTAG E selbstverständlich. Schließlich gelten Lehrer häufig als Einzelkämpfer. Manch einer scheut zudem den Mehraufwand. Warum was Neues machen, wenn auch die alten Methoden irgendwie funktionieren? Jacqueline Sievers-Beck lächelt. Sie wusste anscheinend, dass diese Frage kommt. »Man braucht viel Fingerspitzengefühl«, antwortet sie. Und einen langen Atem, um vorwärts zu kommen – vor allem bei Gegenwind auf hoher See. Es gilt, immer wieder die Fachlehrer für die Ideen der Arbeitsgruppe zu motivieren. »Wir betonen zum Beispiel, dass auch sie von einem fächerverbindenden Unterricht profitieren.« Die Gespräche zeigen Erfolg. Die Vorbehalte der Kollegen brechen zunehmend auf. In mehreren Bildungskonferenzen wurden bereits Planungsgrundlagen gelegt und Arbeitsabsprachen getroffen, flankiert von entsprechenden Fortbildungsangeboten für die Kollegen. Zudem werden neue Unterrichtsmethoden eingeführt und trainiert. »Es sind viele kleine Schritte auf dem Weg zu Veränderungen nötig«, sagt Jacqueline Sievers-Beck. Bautzen: Sozialpreis am Ende des Schuljahres Am Gymnasium »Am Breiten Teich« in Borna wird das Q-Team die Schulkultur verbessern. allein erfüllen kann. »Wir können den Fachleitern und Kollegen nur bestimmte Dinge empfehlen sowie deren Blicke schärfen«, sagt Andreas Heilmann. Das machen sie zum Beispiel bei dem von ihm und seinen Mitstreitern mitorganisierten und geleiteten Pädagogischen Tag, bei dem Methoden und Ideen zur verbesserten Lernförderung ausgetauscht werden. »Unsere Aufgabe ist es, zu analysieren und zu moderieren«, erklärt er. Das wird auch bei der angestrebten Verbesserung der Schulkultur so sein, für die das Q-Team bereits die Befragungsergebnisse auswertet, ehe es Ideen für die Umsetzung entwickelt. Freiberg: Unterricht soll praxisorientierter werden Das kann Christine Pallmer bestätigen. Sie leitet die GottliebDaimler-Oberschule in Bautzen. Als sie vor fünf Jahren den Job übernahm, wollte sie von Anfang an das Schulprogramm weiterentwickeln. Schnell hat sie Lehrer gefunden, die ebenfalls neue Wege zu besseren Leistungen gehen wollten. Das ESF-QM-Projekt mit dem Fokus auf der Unterrichtsqualität kam ihr als weitere Unterstützung gleichfalls gelegen. Heute blickt sie zufrieden auf das Erreichte zurück. Sie sei noch nie so gern auf Arbeit gegangen, sagt die Pädagogin. Das Schulklima sei sehr entspannt und es herrsche fast ein freundschaftliches, dennoch respektvolles Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern. Wer mit der Schulleiterin durch das farbenfrohe Haus geht, glaubt ihr das sofort. Hier ein freundlicher Gruß, dort ein kurzes Gespräch. Alle scheinen sich wohlzufühlen – vom Hausmeister über die Schüler bis hin zu den Lehrern. Die Voraussetzung für Lernerfolge. »ES SIND KLEINE SCHRITTE AUF DEM WEG DER VERÄNDERUNG NÖTIG.« Ein wichtiger Grund für das angenehme Schulklima sei der Sozialpreis, der am Ende jedes Schuljahres an eine Klasse vergeben wird, erklärt ChrisJACQUELINE SIEVERS-BECK, BSZ FÜR TECHNIK UND WIRTSCHAFT »JULIUS WEISBACH« tine Pallmer. Gewertet werden das Verhalten der Schüler untereinander, Auch das Q-Team am Berufsschulzentrum in Freiberg weiß, dass das Verhalten gegenüber Lehrern und technischem Personal, die es nur mit den Kollegen mehr Fahrtwind geben kann. Nicht umTeilnahme an schulischen Veranstaltungen, das soziale Engagesonst liegt beim heutigen Treffen auch ein buntes A4-Blatt mit ment, Ordnung und Sauberkeit sowie die Fähigkeit der Klasse, dem Stichwort »Kooperation« auf dem Tisch. Vor allem das erste Probleme selbstständig zu lösen. Aber auch das Implementieren von Jacqueline Sievers-Beck und ihren Mitstreitern formulierte von mehr Bewegung in den Schulalltag trage zu einer angenehmen Ziel setzt zusätzliches Engagement der Fachkräfte voraus. Denn Lernatmosphäre bei. »Die ganze Zeit still sitzen ist für die Kinder der Unterricht soll praxisorientierter und damit für die Schüler der Horror«, sagt die Schulleiterin. Deshalb werde der Unterricht gewinnbringender gestaltet werden. Die berufsspezifischen Lernmit Gruppenarbeiten, Ballspielen oder Bankrutschen aufgelockert. felder und die allgemeinbildenden Fächer sollen enger miteinanSelbst Kaugummikauen ist erlaubt, weil es die Konzentrationsfäder verflochten werden – zunächst bei den angehenden Industriehigkeit steigert. kaufleuten und Verkäufern, später sollen die Erfahrungen auch auf weitere Ausbildungsberufe übertragen werden, erklärt die Der Erfolg gibt der Gottlieb-Daimler-Oberschule in Bautzen recht. Q-Team-Leiterin. Dazu sei eine vertiefte Zusammenarbeit der »Wir hatten im vergangenen Schuljahr nicht eine WiederholungsKollegen nötig. prüfung«, betont Christine Pallmer bei dem Rundgang. Zwölf der 44 Absolventen seien sogar auf ein Berufliches Gymnasium geAllerdings ist so eine vertiefte Zusammenarbeit der Kollegen nicht wechselt - so viele wie nie zuvor. »Am Ende zählt für uns, dass 8 KLASSE 3 / 2014 R E P O RTAG E die Schüler den für sie höchstmöglichen Bildungsabschluss erreichen.« Sechs Arbeitsschwerpunkte hat sich das Q-Team in Bautzen gesetzt. Neben der Unterrichtsentwicklung und Berufsorientierung ist die Förderung der Sprach- und Lesekompetenz einer der wichtigsten. Derzeit erstellt die Arbeitsgruppe eine Handreichung für alle Lehrer der Schule, in der sie schnell und übersichtlich zahlreiche Informationen finden – von der Zusammenfassung einzelner Regelungen und Empfehlungen bis zum aktuellen Arbeitsstand bei den Schülern. Aufgrund dieser Art Datenbank können die Kollegen effektiver handeln, weil sie sich schnell einlesen und auf die bereits erfolgten sprach- und lesefördernden Maßnahmen aufbauen können. »Man muss das Rad nicht immer wieder neu erfinden«, sagt Christine Pallmer. Erfahrungen werden übertragbar Auch die anderen Q-Teams entwickeln Leitlinien und setzen auf Nachhaltigkeit. Nahezu alle Arbeitsschritte werden fortlaufend dokumentiert. Dadurch werden die gesammelten Erfahrungen übertragbar, sagt Jacqueline Sievers-Beck vom Q-Team am Berufsschulzentrum in Freiberg. Inwiefern die Arbeit zu besseren Noten führen wird, wird sich im Verlauf des Projektes zeigen. Nur eins kann sie sagen: »Das ESF-QM-Projekt hat uns Rückenwind gegeben.« Der Gigant habe Fahrt aufgenommen. Martina Kretschko-Ulbrich erlebt erste Veränderungen durch die ESF-QM-Projekte. Die Lehrkräfte würden sich intensiver der Qualitätsdiskussion sowie der gemeinsamen Erarbeitung von Unterrichtssequenzen zuwenden. Außerdem entwickle sich in den Kollegien eine Kultur der Veränderungsbereitschaft und Offenheit. Durch bewusst eingesetztes Schüler- und Lehrer-Feedback und gegenseitige Unterrichtsbesuche erhöhe sich die Unterrichtsqualität an den Projektschulen. Der Projektleitung liegt seit Mai 2014 der zweite Kurzbericht der wissenschaftlichen Begleitung des ESF-QM-Projektes an den allgemeinbildenden Schulen vor. In dem Bericht heißt es unter anderem: »Alle Schulen befinden sich zum Befragungszeitpunkt in der Umsetzung konkreter Maßnahmen. Einige der in den Qualitätsplänen formulierten Ziele konnten bereits vollständig erreicht werden. Neben der Unterstützung des Kollegiums ist auch der Beitrag der Schulleitungen zur Qualitätsarbeit ein wesentlicher Erfolgsfaktor für das Erreichen der schulspezifischen Ziele. Der Mehrwert des ESF-QM-Projekts 1 für die Projektschulen wird insgesamt als hoch eingeschätzt. Die meisten Q-Team-Mitglieder gehen davon aus, dass die Ergebnisse des Projekts auch nach Projektende weiterhin genutzt werden können.« Weitere Infos unter: www.schule.sachsen.de/qm »ICH BIN NOCH NIE SO GERN AUF ARBEIT GEGANGEN!« CHRISTINE PALLMER, GOTTLIEB-DAIMLER-OBERSCHULE BAUTZEN Christine Pallmer leitet die Gottlieb-Daimler-Oberschule in Bautzen und ist überzeugt, dass QM zu einem besseren Klima an ihrer Schule beigetragen hat. 3 / 2014 KLASSE 9 E I N TAG I N B I L D E R N (R)-evolution in den Ferien Ein Land versinkt im Chaos, eine Figur, von Menschen erschaffen, erwacht zum Leben und wird immer mächtiger. Die Schöpfer schließen sich zusammen, um sie zu stürzen. Wie das gelingt, erzählt das Stück (R)-evolution, das Schüler in ihren Ferien in DresdenHellerau auf die Bühne bringen. Das Licht geht aus und Tiberius Penter betritt mit zwei Mädchen und einem Jungen die Bühne. Die Aufregung ist groß. Die Aufführung ist das Ergebnis von sechs Tagen, die der 13-Jährige während seiner Herbstferien 2013 in Dresden-Hellerau verbracht hat. Die Trans-Media-Ferienakademie fördert seit 2010 begabte Schüler durch fächer- und altersübergreifende Projekte. Im Gegensatz zum Schulunterricht steht in Hellerau »learning by doing« auf dem Programm. Tiberius war 2013 bereits zum zweiten Mal dabei. Das Motto »Workshop Computer und interaktive Bühne – produziert eure eigene Show!« lockte ungefähr 20 Schüler im Alter von 12 bis 16 nach Hellerau. Sie tanzten, programmierten und komponierten zusammen. Nach einer Woche bildeten Bild und Ton eine Einheit – dank diverser Computerprogramme, Bewegungen. »Wir haben alles selbst gemacht, jeder was er am besten kann. Vier Dozenten haben uns dabei geholfen«, erzählt Tiberius im Rückblick. Der Projektentwickler Klaus Nicolai sagt: »Die Teilnehmer lernen ergebnisbezogen und arbeiten im Team. Sie wachsen als Gruppe zusammen und schaffen gemeinsam etwas Großes, das sie zu Beginn nie erwartet hätten – das ist eine völlig neue Lernerfahrung.« Weitere Informationen: www.t-m-a.de/ferienakademie 10 KLASSE 3 / 2014 AUS TEILNEHMERSICHT Hürden überwinden Für viele ist es schwer vorstellbar, ohne Lesen und Schreiben den Alltag zu meistern. Regina Huber kennt dieses Leben nur zu gut. Sie absolvierte zwei ESF-geförderte Alphabetisierungskurse in Dresden, um Lesen, Schreiben und Rechnen richtig zu lernen. Unterstützung für die Betroffenen im Freistaat Sachsen bietet auch die Koordinierungsstelle Alphabetisierung »koalpha«. Von Maria keck, KLASSE - redaktion Herzlich umarmt Kursleiterin Dr. Cornelia Wehner ihre ehemalige Teilnehmerin Regina Huber. Die Freude beim Wiedersehen ist groß. »Ich fühle mich hier irgendwie zuhause«, schwärmt Regina Huber. Bis Ende August 2013 nahm sie an dem ESF-geförderten Kurs »Alphabetisierung für funktionale Analphabeten« teil, der von der SiB – Schnell in den Beruf Bildungsgesellschaft gGmbH in Dresden durchgeführt wurde. Regina Huber erinnert sich sehr gern an diese Zeit im Kursraum des SiB zurück. Gemeinsam mit sieben weiteren Teilnehmern erlernte die heute 40-Jährige die Grundlagen des Schreibens und Lesens. Ihre Lese- und Schreibschwäche hat sie selbst in der Schule bemerkt und so wurde sie in der ersten Klasse auf eine Sonderschule versetzt. Dort war es dann einfacher. Die Lehrer hatten mehr Zeit für sie und die Noten wurden besser. Doch Diktate schreiben oder Gedichte aufsagen erzeugte bei ihr immer Angst. So lebte sie stets in der Angst, etwas falsch zu sagen oder zu schreiben. Freunde gab es nur wenige, ausgehen oder in Urlaub fahren war für sie unmöglich. »Ich konnte ja keine Straßennamen oder Haltestellen lesen. Also habe ich mir die Wege einfach gemerkt und bin sie immer und immer wieder abgelaufen«, erzählt sie. Formulare beim Amt ausfüllen oder Briefe schreiben waren Hürden im Alltag, die sie nicht allein bewältigen konnte. In der Fachsprache gehörte Regina Huber zu den funktionalen Analphabeten. Im Freistaat Sachsen hat sich im Jahr 2010 die Koordinierungsstelle Alphabetisierung, kurz »koalpha«, mit Unterstützung durch den ESF gegründet und betreut seither Betroffene, gibt Informationen und sucht nach Bildungsträgern für Alphabetisierungskurse. Laut einer Untersuchung der Evangelischen Hochschule Dresden gibt es in Sachsen ca. 202.000 funktionale Analphabeten (PASS alpha 2006). Das entspricht etwa 5,45 Prozent der sächsischen Bevölkerung. Regina Huber erhielt Unterstützung durch ihre Beraterin beim Jobcenter: Hier wurde der Kontakt zu koalpha hergestellt. Dank der Zustimmung des Jobcenters konnte sie ab Februar 2011 ihren ersten einjährigen Kurs absolvieren. Dort erwarb sie die grundlegenden Schreib- und Lesekenntnisse. Um die Lernfortschritte zu dokumentieren und ihnen einen Rahmen zu geben, erstellten die Kursteilnehmer das gemeinsame Buch »Meine Lieblingsorte in Dresden«. Dabei durfte jeder Teilnehmer seine Mitschüler zu seinem Lieblingsplatz in Dresden einladen und anschließend einen Text dazu formulieren, der dann in dem Buch erschien. »Im Kurs wurde mir klar, ich bin mit diesem Problem nicht allein«, sagt Regina Huber und verlor so zunehmend ihre langjährige Angst. Nach dem Jahr hatte Regina Huber großes Glück und erhielt die Möglichkeit zu einem weiteren Kursbesuch bei der SiB. Dr. Cornelia Wehner ist seit zwei Jahren Kursleiterin des Alphabetisierungskurses in der SiB. Sie will den Teilnehmern den Unterricht alltags- und berufspraktisch vermitteln. »Die Teilnehmer unternehmen während der zwölf Monate viele Exkursionen und besuchen Betriebe. Auch ein 14-tägiges Praktikum ist eingeplant«, sagt die Lehrerin. Denn die Teilnehmer sollen auch die aktuellen Arbeitsmarktanforderungen kennenlernen. So erhalten sie für Lese- und Verständnisübungen Texte von Arbeitsverträgen oder aus dem Sozialgesetzbuch und schreiben ihre eigenen Bewerbungen. Für die Kursleiterin ist klar, dass die seit Kindheit entstandenen Schwächen der Teilnehmer nicht in einem Jahr aufgeholt werden können: »Ich denke, die Teilnehmer brauchen bis zu fünf Jahre, um sattelfest in den Kulturtechniken zu sein.« Regina Huber weiß, dass bereits die beiden Kursjahre ihr Leben positiv verändert haben und ihr Selbstvertrauen gestärkt haben. Sie übt jeden Tag schreiben, notiert ihre Tagesereignisse, »und ich lese sehr gern Romane«, sagt sie glücklich und sichtlich stolz. Weitere Informationen unter: www.koalpha.de In zwei Alphabetisierungskursen bewältigte Regina Huber ihre Ängste vor dem Alltag. Heute liest sie gern Romane. 3 / 2014 KLASSE 11 »Den Satz des Pythagoras beim Tischler verstehen« Produktives Lernen unterstützt Jugendliche, die voraussichtlich mit Regelunterricht den Schulabschluss nicht schaffen würden. Der Fokus liegt auf den praktischen Fähigkeiten der Schüler. »Wir finden gemeinsam mit den Jugendlichen heraus, was sie gut können«, sagt Andreas Hess, Lehrer für Produktives Lernen an der Georg-Schumann-Oberschule in Leipzig. VON BEATE DIEDERICHS, KLASSE - REDAKTION »Viel mehr als Lehrer«: Andreas Hess und das Produktives-Lernen-Team aus Leipzig 12 KLASSE 3 / 2014 BERICHT Christophs Weg schien vorgezeichnet. Der 16-Jährige kam mit einem Stapel an Schulverweisen an die Georg-SchumannSchule. Mehrere kleine Delikte hatte er begangen, ein Gerichtsverfahren wartete auf ihn. »Er hatte nur negative Erfahrungen mit Schule gemacht, war aggressiv«, erzählt Andreas Hess. Doch in den zwei Jahren erkannte Christoph, der eigentlich anders heißt, dass auch für ihn schulische Erfolge möglich sind und es wichtig ist, den Hauptschulabschluss zu schaffen. »Christoph hat schon bei den ersten Praktika auf dem Bau, im Handel und in einer Zimmerei viel gelernt. Im vierten Trimester kam er in einen Sanitärbetrieb, zu einem guten Praxismentor, der ihn anspornte, sich mit dem Hintergrund seiner Arbeit auseinanderzusetzen. Das nahm ihn so in Anspruch, dass er keine Zeit mehr für seine kleinkriminellen Aktivitäten hatte«, berichtet Hess und schmunzelt. Bei der Gerichtsverhandlung ließ die Richterin die Anklage gegen Christoph fallen, weil der Junge und sein Lehrer Andreas Hess sie überzeugen konnten, dass er auf einem guten Weg ist. Mittlerweile hat der jetzt 19-Jährige seinen Hauptschulabschluss in der Tasche und lernt einen Beruf. »Beim letzten Anruf erzählte er mir, dass er gute Aussichten darauf hat, übernommen zu werden«, fügt Hess hinzu. Mischung aus Praxis und Schule »Mit unserem Ansatz suchen wir die Stärken der Jugendlichen«, sagt Lehrer Hess. Das Konzept des Produktiven Lernens entstand vor zwanzig Jahren in den USA. Das Institut für Produktives Lernen in Europa (IPLE) übernahm die Idee und bildet seitdem Pädagogen dafür aus. Produktives Lernen gibt es seit 2008 auch in Sachsen. Hier läuft es momentan an acht Standorten. Die Georg-Schumann-Schule, wo Hess unterrichtet, war der erste in der Messestadt. Dieses Jahr kam die Helmholtz-Schule hinzu. Beide Schulen kooperieren eng. Das Produktive Lernen umfasst die Klassenstufen 8 und 9. Die beiden Jahre sind in Trimester ein- 80 Prozent schaffen den Hauptschulabschluss Dieses Ziel erreichen sie, indem sie intensiver betreut werden. Ein Team aus zwei Pädagogen unterrichtet je zwanzig Jugendliche. Andreas Hess und seine Kollegin Jeannette Räntzsch sind viel mehr als Lehrer: Bei der wöchentlichen Stunde »individuelle Bildungsberatung« etwa treffen sie sich mit dem Schüler und besprechen mit ihm die Praxisaufgaben. »Aber eigentlich thematisieren wir alles, was ihn am Lernen hindern könnte, also Pubertätsprobleme genauso wie Stress in der Familie«, erzählt Hess. Die Pädagogen pflegen den Kontakt zu den Eltern und, falls nötig, zum Jugendamt. Dafür ist eine besondere Qualifikation nötig: Andreas Hess zum Beispiel ist Lehrer für Biologie und Gemeinschaftskunde. Er merkte bei seiner Arbeit in einer Brennpunkt-Oberschule, dass die Schüler im üblichen Unterricht schwer zu erreichen waren. »Ich fing jede Stunde wieder von null an. Daher entschied ich mich für die dreijährige berufsbegleitende Ausbildung für das Produktive Lernen.« Er hat es nicht bereut: »Ich lerne immer noch täglich dazu.« Die Schulen, die Produktives Lernen anbieten, sind materiell besser ausgerüstet als Regelschulen: »Wir haben am Anfang eine einmalige Ausstattung dafür bekommen, die unter anderem ein Computerkabinett, Büros für uns Lehrer und Materialien wie Beamer und Kameras umfasst. Dazu kommt ein jährliches Budget für Verbrauchsmaterial. Alles das wurde und wird mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds bezahlt.« Um ein gutes Pädagogenteam bilden zu können, muss man »sich blind verstehen«, wie Andreas Hess es ausdrückt. Bei ihm und seiner Kollegin ist das der Fall. Die beiden verständigen sich regelmäßig mit dem Team der Helmholtz-Schule, vor allem, weil jede der zwei Schulen momentan nur eine Jahrgangsstufe des Produktiven »BEIM PRODUKTIVEN LERNEN LASSEN SICH SCHÜLER UND LEHRER SEHR INTENSIV AUFEINANDER EIN.« KERSTIN SICKERT, HELMHOLTZ-SCHULE LEIPZIG geteilt. Drei Tage pro Woche lernen die Jugendlichen in Firmen, Handwerksbetrieben oder Geschäften. Dort sind sie praktisch tätig und bekommen Aufgaben von der Schule gestellt, die die Berufspraxis oder Kernfächer wie Mathematik, Deutsch oder Englisch betreffen. »Sie sollen dort lernen, was sie für einen Beruf in dieser Branche können müssen, überprüfen, wo sie noch Defizite haben, und sie aufarbeiten«, erklärt Hess. Seine Erfahrung zeigt, dass die Schüler beispielsweise den Satz des Pythagoras beim Ausmessen und Sägen in der Tischlerei besser begreifen. Theorie gibt es trotzdem immer noch: Zwei Tage wöchentlich werden die Schüler im Klassenraum in Mathe, Deutsch, Englisch und einem Wahlpflichtfach unterrichtet. Dazu kommen drei Stunden Kommunikation / Präsentation, wo die Jugendlichen lernen, wie man sich zum Beispiel beim Bewerbungsgespräch verhält. »Sie müssen am Ende der zwei Jahre die Besondere Leistungsfeststellung und die mündlichen Prüfungen für den Hauptschulabschluss schaffen und sich später auf der Berufsschule behaupten können«, sagt Hess. Lernens betreut. Das soll aber wieder anders werden. »Es läuft eine Ausschreibung für Pädagogen des Produktiven Lernens, denn wir suchen händeringend Kollegen.« Jetzt arbeiten an der Helmholtz-Schule Astrid Specht und Kerstin Sickert. »Ich habe bis letztes Jahr noch als ‚normale‘ Oberschullehrerin gearbeitet und bin jeden Tag wieder erstaunt darüber, wie intensiv sich beim Produktiven Lernen Schüler und Lehrer aufeinander einlassen«, erzählt Kerstin Sickert. Die intensive Arbeit ist wirkungsvoll: Mehr als 80 Prozent der Schüler schaffen den Hauptschulabschluss. »Wenn die Jugendlichen das gepackt haben, gehen sie meist auch danach ihren Weg«, hat Andreas Hess erfahren. »Ich freue mich jedenfalls immer, wenn ich bei meinen Terminen in den Firmen einen meiner ehemaligen Schützlinge dort als Auszubildenden wiedertreffe.« Weitere Informationen zum Produktiven Lernen unter: www.iple.de 3 / 2014 KLASSE 13 ESF IN ZAHLEN ESF in Zahlen Ob Schülercamps, kulturelle Projekte, Auslandspraktika oder Produktives Lernen – der Europäische Sozialfonds (ESF) hat im Zeitraum 2007 bis 2013 unzählige Projekte gestartet und gefördert. Dabei standen die Senkung der Zahl der Schulabbrecher und die Berufs- und Studienorientierung im Mittelpunkt. KLASSE hat die wichtigsten Zahlen im Überblick (Stand März 2014). Berufs- und Studienorientierung Verbesserung des Schulerfolgs 67.634 weibliche Teilnehmerinnen, 72.784 männliche Teilnehmer 489 Projekte Fördersumme: ca. 37,04 Mio. Euro Fördersumme: ca. 72,53 Mio. Euro 523 Projekte (davon u.a. 81 Schülercamps, 103 Projekte zur Erhöhung der Abschlussquote) 41.340 weibliche Teilnehmerinnen, 41.361 männliche Teilnehmer Auslandspraktika für Berufsfachschüler Zusatzqualifikationen für Berufsfachschüler 1.091 weibliche Teilnehmerinnen, 251 männliche Teilnehmer Fördersumme: 456,16 Tsd. Euro 86 Projekte 146 Projekte Fördersumme: 5,01 Mio. Euro 1.865 weibliche Teilnehmerinnen, 874 männliche Teilnehmer Was ist ESF überhaupt? Der ESF wurde mit Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1957 ins Leben gerufen. Mit den Geldern fördert die Europäische Union (EU) die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik in den Mitgliedsstaaten und unterstützt dabei, den strukturellen Wandel europaweit zu gestalten. Das Ziel ist, Entwicklungsunterschiede zwischen den einzelnen Regionen auszugleichen und somit den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt in der 14 KLASSE 3 / 2014 Gemeinschaft zu stärken. Von Beginn an trug der ESF dazu bei, Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern, den Menschen mittels Ausbildung und Qualifizierung eine Perspektive zu geben sowie Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt abzubauen. Seit 1991 fließen Gelder aus dem ESF auch nach Sachsen, insgesamt fast drei Milliarden Euro. Sachsen ist das deutsche Bundesland mit der höchsten ESF-Unterstützung. ESF IN ZAHLEN Schülertransport 227 weibliche Teilnehmerinnen, 205 männliche Teilnehmer Alphabetisierung funktionaler Analphabeten 251 Projekte 18 Projekte Fördersumme: 16,46 Mio. Euro Fördersumme: 127,7 Tsd. Euro 1.056 weibliche Teilnehmerinnen, 1.701 männliche Teilnehmer Qualifizierung im Bereich Kindertagesbetreuung Sprachkurse für Lehrer Tschechisch / Polnisch 5 weibliche Teilnehmerinnen, 2 männliche Teilnehmer 108 Projekte 1.692 weibliche Teilnehmerinnen, 107 männliche Teilnehmer 1 Projekt Fördersumme: 76,67 Tsd. Euro Fördersumme: 1,12 Mio. Euro Wie geht es weiter? Sachsen gehört aufgrund seiner erfreulichen wirtschaftlichen Entwicklung nicht mehr zu den wirtschaftlich schwächeren Regionen der EU. Folge dieser positiven Entwicklung ist der Rückgang von europäischen Fördermitteln für alle Teile Sachsens im 2014 beginnenden Förderzeitraum. Insgesamt fließen zwischen 2014 und 2020 rund 3,6 Milliarden Euro Fördermittel der EU nach Sachsen. Davon entfallen auf den ESF rund 663 Millionen Euro. Die ESF-Förderung soll sich vor allem auf Benachteiligte beziehen. Im Bildungsbereich bestehen die Herausforderungen darin, die Qualität von Bildungssystemen zu verbessern und die Zahl der Schüler ohne Abschluss zu verringern. Antragstellungen für die Förderung von Projekten im neuen Förderzeitraum sind seit Oktober 2014 möglich. Im 2014 beginnenden Förderzeitraum möchte das Kultusministerium die ESF-Mittel in den folgenden Bereichen einsetzen: Berufsorientierung, Verbesserung des individuellen Bildungserfolges und Alphabetisierung funktionaler Analphabeten. Weitere Informationen: www.sab.sachsen.de/esf oder ESF-Servicecenter: 0351/4910 4930 3 / 2014 KLASSE 15 n e r h a f r e e t h ic h c s e G t r O n e h c is r o t is h m a Im ESF-Projekt „BEDENKEN. Vergangenheit begreifen – Zukunft in die Hände nehmen“ erforschten Jugendliche die Schicksale von politischen Häftlingen, die bis in die 50er-Jahre vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet wurden. Die Schüler aus 13 Dresdner Schulen sprachen mit Zeitzeugen oder reflektierten ihre Eindrücke künstlerisch in Plastiken und Zeichnungen. Ihre Arbeiten und die Interviews sind in eine neue Dauerausstellung eingeflossen, die im ehemaligen sowjetischen Haftkeller und in der früheren Stasi-Untersuchungshaftanstalt an der Bautzner Straße besichtigt werden kann. Schulen können Bildungsangebote und Besichtigungen vereinbaren: Gedenkstätte Bautzner Straße Dresden Bautzner Straße 112a01099 Dresden Tel.: 0351 - 646 54 54 E-Mail: [email protected] Web: www.bautzner-strasse-dresden.de