Arbeits- und Gesundheitsschutz für Beschäftigte im Rettungsdienst

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Arbeits- und Gesundheitsschutz für Beschäftigte im Rettungsdienst
Arbeitsschutz
Arbeits- und Gesundheitsschutz für Beschäftigte
im Rettungsdienst
Dr. med. Alexander zur Mühlen, Dr. med. Bettina Heese, Dr. med. Stephanie Haupt
Regierung von Oberbayern, Gewerbeaufsichtsamt
Zusammenfassung
Das Gewerbeaufsichtsamt München führte 2004 ein Projekt zum Arbeits- und Gesundheitsschutz von Beschäftigten
im Rettungsdienst durch. Belastungs- und Gefährdungsschwerpunkte wurden ermittelt, um Maßnahmen für den verbesserten Gesundheitsschutz am „Arbeitsplatz Rettungsdienst“ abzuleiten und deren Umsetzung zu initiieren. Gesundheitsschutzmaßnahmen wurden in den Bereichen Verletzungsgefahren, Persönliche Schutzausrüstung, Arbeitshygiene, Infektionsschutz und Impfprophylaxe unmittelbar umgesetzt. Um die psychischen Belastungen der Rettungskräfte zu reduzieren, sind zunächst eine systematische Erfassung und Beurteilung notwendig.
Schlüsselwörter: Rettungsdienst – Arbeitsmedizin – Arbeitsschutz
Summary
Occupational safety and health for emergency service personnel.
In 2004, the ”Gewerbeaufsichtsamt München“ conducted a study on occupational safety and health related issues in
emergency service personnel. Main factors contributing to stress and hazardous work conditions were determined in
order to decide how to improve and implement health protection. Steps were immediately taken to ensure preventative health measures in the areas of personal protective gear, occupational hygiene, infectious disease prevention and
immunization. In order to reduce the psychological stress on emergency responders systematic data collection and
analysis of the stress factors are necessary.
Key words: Accident and emergency ambulance service – occupational safety and health
1. Einleitung
In der Bundesrepublik werden jährlich
fast 10 Millionen Rettungsdiensteinsätze durchgeführt1. Sie fordern von
den Rettungskräften hohe fachliche
und soziale Kompetenz und führen zu
erheblichen physischen und psychischen Beanspruchungen. Arbeitsunfälle treten häufiger als in vergleichbaren Berufsgruppen auf2. Als Ursache
für die im Vergleich zu anderen Gesundheitsberufen erhöhte Rate an
Frühberentungen werden physische
und psychische Gesundheitsstörungen
diskutiert3. Im Fokus stehen Wirbelsäulen-, Infektions- und Hautkrankheiten
sowie psychosomatische Beschwerden.
1.1 Anlass und Ziele der Projektarbeit
Mehrere Berufserkrankungen durch
Hepatitis C, die sich die Beschäftigten
durch Nadelstichverletzungen im Rettungseinsatz zugezogen hatten sowie
Beschwerden von Rettungspersonal
über sicherheitstechnische und arbeitsmedizinische Defizite waren Anlass für
die Gewerbeärzte, ein Pilotprojekt zum
Arbeits- und Gesundheitsschutz im
Rettungsdienst zu initiieren. Ziele dieser
im Jahr 2004 vom Gewerbeaufsichtsamt München durchgeführten Projektarbeit waren:
• Ermittlung der Belastungs- und Gefährdungsschwerpunkte
• Bestandsaufnahme der bereits getroffenen Arbeits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen
• Beratungen zu einem verbesserten
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
• Umsetzung der erforderlichen
Schutzmaßnahmen
1.2 Organisation, Struktur und
Aufgaben des Rettungsdienstes
Grundlage für die Organisation und die
Durchführung des Rettungsdienstes in
Bayern sind das Bayerische Rettungsdienstgesetz und die dazu ergangenen
Rechtsverordnungen. Zu den Aufgaben
des Rettungsdienstes zählen etwa zu
gleichen Teilen der „qualifizierte Krankentransport“ und die „Notfallrettung“
(Tabelle 1), wobei viele Beschäftigte in
beiden Bereichen eingesetzt werden.
Tabelle 1: Definition „qualifizierter Krankentransport“ und „Notfallrettung“
„Qualifizierter Krankentransport“: Beförderung kranker und hilfsbedürftiger Personen, die keine sofortige Notfallversorgung benötigen und
deren Transport planbar ist.
„Notfallrettung“: Qualifizierte, schnellstmögliche Hilfe für akut verletzte
oder erkrankte Personen vor Ort und Begleitung des Patienten in die
nächste geeignete und aufnahmebereite Versorgungseinrichtung.
.........
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Abb. 1 und Abb. 2: Patientenversorgung nach Verkehrs- und Arbeitsunfall
In München sind für die Stadt und den
Landkreis vier anerkannte Hilfsorganisationen, vier private Rettungsdienste und
die Berufsfeuerwehr München unter
dem gemeinsamen Dach des Rettungszweckverbands tätig. Die Berufsfeuerwehr ist verantwortlich für die Durchführung des „Gemeinsamen Notarztdienstes der Stadt und des Landkreises München“ und betreibt die „Integrierte Leitstelle.“ Die in den Löschzügen
der Berufsfeuerwehr vorhandenen Rettungswägen werden im Rahmen der
Spitzenabdeckung auch im öffentlichen
Rettungsdienst eingesetzt. Die Rettungsdienstmitarbeiter und die Rettungsmittel, beispielsweise Inkubatoren, Krankentransport- und Rettungswägen, sind flächendeckend und bedarfsgerecht auf
Hauptrettungswachen, Rettungswachen
und -stützpunkte verteilt. Jährlich werden im 980 km² und 1,6 Millionen Einwohner umfassenden Zuständigkeitsbereich ca. 240 000 Notfalleinsätze durchgeführt, die zentral von der integrierten
Rettungsleitstelle disponiert werden. In
München ist rund um die Uhr sichergestellt, dass der Rettungsdienst in maximal
12 Minuten am Notfallort eintrifft und
mit der Versorgung der Patienten
beginnt (Abbildung1 und Abbildung 2).
1.3 Ausbildung und Beschäftigung
im Rettungsdienst
Zunächst gab es nur eine vom BundLänder-Ausschuss empfohlene „520-
170
.........
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Stunden-Ausbildung“ für Rettungssanitäter. 1989 wurde im Rettungsassistentengesetz die Ausbildung zum Rettungsassistenten festgelegt. Im Jahr
2000 wurden mit der Verabschiedung
eines bundeseinheitlichen Curriculums
die Ausbildungsinhalte vereinheitlicht4.
Ziel der zweijährigen theoretischen und
praktischen Ausbildung ist es u.a., den
Rettungsassistenten zu befähigen, mit
nichtärztlichen Maßnahmen die Wiederbelebung von Atmung und Kreislauf
ohne Anwendung von Medikamenten
selbst durchzuführen und bei weitergehenden ärztlichen Maßnahmen assistierend tätig zu sein. Es kommt aber immer
wieder vor, dass Rettungsassistenten
ohne Mitwirkung eines Arztes eigenverantwortlich vital bedrohte Patienten versorgen müssen. Dies bedeutet, dass der
Rettungsassistent im Rahmen des
„rechtfertigenden Notstandes“ zur
Abwendung einer akuten Lebensgefahr
originär ärztliche Maßnahmen wie z. B.
die intravenöse Applikation von Notfallmedikamenten durchführen muss (sog.
„Notkompetenz“). Dabei muss er die
sichere Ausführung der Maßnahme
gewährleisten können und handelt in
eigener Verantwortung5.
Vor dem Hintergrund einer Novellierung
des Rettungsassistentengesetzes wird
u. a. vom Berufsverband Rettungsdienst
und der Ständigen Konferenz für den
Rettungsdienst die Erweiterung der
„Notkompetenz“ diskutiert. Danach soll
generell, d. h. auch ohne „rechtfertigenden Notstand“, jedoch weiterhin
unter Verantwortung eines bestellten
ärztlichen Leiters, die fachgerechte Erstversorgung vital bedrohter Patienten
durch den Rettungsassistenten bis zum
Eintreffen des Notarztes möglich werden (sog. „Regelkompetenz“). Als Voraussetzung werden u. a. eine dreijährige Ausbildung sowie die staatliche
Aufsicht gefordert6,7.
2. Methode
Im Jahr 2004 wurden alle Wachen und
Stützpunkte der in München tätigen
neun Rettungsorganisationen ermittelt.
Vor Ort wurde jeweils zunächst eine
Besprechung mit den für den Gesundheitsschutz Verantwortlichen (Tabelle 2) durchgeführt, bei der alle wesentlichen Gesundheitsschutzthemen
anhand einer Checkliste (siehe 2.1)
thematisiert wurden. In dieser Besprechung wurde auch die MitarbeiterbeTabelle 2: Teilnehmer an den Besprechungen
und Begehungen
• Wachleiter
• Betriebs- oder Personalrat
• Betriebsarzt
• Fachkraft für Arbeitssicherheit
• Hygienebeauftragter
• Gewerbearzt
Tabelle 3: Themenschwerpunkte der Checkliste
• Medizinischer Arbeitsschutz
• Umsetzung der Biostoffverordnung
• Schutz vor berufsbedingten Infektionskrankheiten
• Persönliche Schutzausrüstung
• Arbeitsunfälle und Berufserkrankungen
• Belastung durch schweres Heben und Tragen sowie Präventionsmaßnahmen
• Psychische Belastungen und Stressbewältigung für Einsatzkräfte
Tabelle 4: Themenschwerpunkte der Mitarbeiterbefragung
• Persönliche und berufliche Daten
• Infektions- und Impfschutz
• Berufliche Belastungsschwerpunkte
• Stressbewältigung
fragung angeregt und das Vorgehen
abgesprochen (siehe 2.2). Bei der anschließenden Begehung wurden die
Arbeitsplätze überprüft und Beschäftigte zu Problemen und Verbesserungsvorschlägen befragt.
2.1 Überprüfung der Arbeits- und
Gesundheitsschutzmaßnahmen
Zur einheitlichen Ermittlung des bestehenden Arbeitsschutzstandards und der
Beratung zu notwendigen Gesundheitsschutzmaßnahmen diente eine Checkliste mit 25 Fragen zu Arbeits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen (Tabelle 3).
2.2 Mitarbeiterbefragung
Zur Ermittlung der individuellen Belastungsschwerpunkte und um „die
Experten in eigener Sache“ einzubeziehen, wurde – in Abstimmung mit dem
Arbeitgeber und der Personalvertretung – eine freiwillige und anonyme
Mitarbeiterbefragung durchgeführt.
Der Mitarbeiterbogen bestand aus 15
standardisierten (Tabelle 4) und folgenden offenen Fragen:
• Welche Verbesserungsvorschläge
haben Sie für die Arbeit im Rettungsdienst?
• Unter welchen Voraussetzungen
würden Sie an einer Stressbewältigung für Einsatzkräfte teilnehmen?
• Was würden Sie uns sonst noch
gerne sagen?
Bei den Überprüfungen vor Ort wurde
ein Fragebogen an die Personalvertretung mit der Bitte um Vervielfältigung
und Verteilung an die Beschäftigten
übergeben.
Abb. 3 und Abb. 4 : Quetschstelle an Fahrzeugtüre, die zu mehreren Verletzungen,
u. a. zu einer Fingerteilamputation geführt
hatte. Links im ursprünglichen Zustand.
Rechts nach Intervention des Gewerbeaufsichtsamtes: Anbringung einer Schutzabdeckung, die das Umgreifen der Türkante verhindert und die Quetschgefahr beseitigt.
Infektionen anerkannt worden. Bei
allen Rettungsdiensten sind Verletzungen durch Stolpern, Ausrutschen und
Umknicken während der Einsätze aufgetreten. Falsch konstruierte Griffmulden an Fahrzeugschiebetüren und
Scherengitter an Patiententragen hatten Fingerquetschungen, in einem Fall
sogar eine Fingerteilamputation, zur
Folge (Abbildung 3). Daneben wurde
über gehäufte Verkehrsunfälle von Einsatzfahrzeugen, insbesondere bei Fahrten mit Sondersignal, berichtet.
3. Ergebnisse
3.1 Beteiligung
Alle 38 Wachen und Stützpunkte der
in München tätigen neun Rettungsorganisationen wurden vor Ort von den
Gewerbeärzten überprüft. Alle Organisationen beteiligten sich an der Mitarbeiterbefragung. Von den in freier
Anzahl verfügbaren Mitarbeiterfragebögen wurden 425 ausgefüllt an uns
zurückgeschickt. Alle 425 Fragebögen
gingen in die Auswertung ein.
3.2 Überprüfungen der Rettungsorganisationen vor Ort
3.2.1 Berufserkrankungen und
Arbeitsunfälle
In vier Rettungsdiensten waren Mitarbeiter bekannt, die an berufsassoziierten Erkrankungen litten. Als Berufskrankheit waren mehrere Hepatitis C-
3.2.2 Persönliche Schutzkleidung
und Schutzausrüstung
Im Rettungsdienst muss Schutzkleidung vor Nässe, Kälte und Wind, vor
mechanischen Einwirkungen, schädigenden Stoffen und vor Krankheitserregern schützen. Optimale Warnwirkung und Flammhemmung sind weitere wesentliche Kriterien. Geeignete
Schutzjacken und -hosen wurden in
allen Rettungsdiensten kostenlos zur
Verfügung gestellt (Tab5).
Defizite gab es vor allem bei den
Sicherheitsschuhen, die in vier Rettungsdiensten nicht vom Arbeitgeber
gestellt wurden. Zum Schutz vor den
häufigen Verletzungen durch Umknicken, Ausrutschen, Vertreten und
gegen mechanische oder chemische
Einwirkungen müssen Beschäftigte in
Tabelle 5: Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung
Prüfkriterien
Rettungsdienste
Sicherheitsschuhe
5
Schutzhelm
7
Schutzhandschuhe
7
Schutzbrille
9
Schutzjacke
9
.........
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Abb. 5 und Abb. 6: Rückenbelastender Transport mit Küchenstuhl bzw. Schaufeltrage
der Notfallrettung Sicherheitsschuhe
tragen. Da nicht selten Einsätze in
unwegsamem Gelände, auf Baustellen
oder Industrieanlagen erfolgen, sind
u. a. ein knöchelhoher Schaft sowie
eine rutschhemmende und durchtrittsichere Sohle notwendig.
3.2.3 Dienstplangestaltung und
Einsätze
In den Münchner Rettungsdienstorganisationen (RD) werden unterschiedliche Schichtsysteme praktiziert. Überwiegend wird im 3-Schichtsystem (8 RD)
gearbeitet. Die Mitarbeiter werden im
Abb. 7: Einsatz der Rettungszelle im 5. Stock
172
.........
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Vorfeld an der Dienstplangestaltung
beteiligt oder es bestehen nachträglich
Tauschmöglichkeiten (9 RD). Die tägliche Arbeitzeit liegt zwischen 8 und 10
Stunden. Die mittlere Dauer eines Rettungseinsatzes beträgt ca. 60 Minuten.
3.2.4 Ernährung und
Pausengestaltung
Die Unvorhersehbarkeit von Rettungseinsätzen und die Personalknappheit
bedingen bei allen Diensten eine „flexible“ Handhabung der Pausen- und
Essenszeiten. Häufig werden Pausen
und Mahlzeiten durch einen Notfallein-
satz abrupt unterbrochen. Deshalb
wird überwiegend auf die Einnahme
vollständiger Mahlzeiten verzichtet und
„Fastfood“ (7 RD) konsumiert. Dieses
„Fingerfood“ hat aus Sicht der Beschäftigten den „Vorteil“, dass es ohne
großen Aufwand sogar während der
Fahrt im Rettungswagen (weiter) verzehrt werden kann. Eine derartige
Verpflegung ist nicht nur ernährungsphysiologisch unausgewogen, sondern
auch hygienisch bedenklich. Zur Verbesserung der Situation tragen diejenigen Münchner Kliniken bei, die den
Rettungskräften die Benutzung ihrer
preiswerten Kantinen ermöglichen.
3.2.5 Heben und Tragen
Trotz zahlreicher Hilfsmittel wird das
schwere Heben und Tragen von 57 %
der befragten Beschäftigten als die
Hauptbelastung im Rettungsdienst angegeben. Als Ursache wird darauf verwiesen, dass Rettungsmittel wie Tragen
oder Tücher wegen ungünstiger Umgebungsbedingungen, z. B. in engen
Treppenhäusern, entweder nicht eingesetzt werden können (Abbildung 5)
oder trotz ihres Einsatzes unergonomische Körperhaltungen nicht immer zu
vermeiden sind (Abbildung 6). Bei sehr
adipösen Patienten kann die in München verwendete „Rettungszelle“ der
Berufsfeuerwehr, die den Transport in
einem Krankenhausbett ermöglicht, zu
einer erheblichen Erleichterung und
Entlastung führen (Abbildung 7 und
Abbildung 8). Die Rettungszelle kann
Abb. 8: Innenansicht der Rettungszelle mit
Krankenbett
über die Leitstelle von allen Rettungsdiensten angefordert werden. Rückenschule, die u. a. rückenschonendes
Heben und Tragen trainiert, wird den
Beschäftigten nur von einem Drittel der
Rettungsdienste angeboten. Dienstsport mit Wirbelsäulengymnastik findet
bei der Berufsfeuerwehr statt.
Tabelle 6: Inhalt des Infektionsschutzsets
Schutzanzug (Overall oder Schutzkittel knöchellang)
Atemschutz (FFP3)
Schutzhandschuhe mit extra langen Stulpen
Kopfhaube
Schutzbrille mit seitlichem Spritzschutz
Überziehschuhe
3.2.6 Infektionsschutz
Tätigkeiten im Rettungsdienst gehören
aufgrund der ständig wechselnden,
häufig riskanten Arbeitsumgebung
(z. B. im Drogenmilieu), der meist
unübersichtlichen und gelegentlich
hektischen Arbeitsbedingungen sowie
der Vielzahl von Verletzungsmöglichkeiten – z. B. mit Blut kontaminierte
Kanülen, Kunststoff- und Glassplitter
(Abbildung 9) – zu den Bereichen mit
besonderer Infektionsgefährdung. Rettungsdienstmitarbeiter sind einerseits v.
a. durch direkten Kontakt mit Blut und
anderen potenziell infektiösen Körperflüssigkeiten, andererseits auch durch
luftgetragene Keime wie Tuberkuloseoder Influenzaerreger gefährdet, beispielsweise beim Absaugen bzw. Intubieren. Auch auf Einsätze mit Kontakt
zu sehr seltenen und hochgradig ansteckenden Erregern (z. B. SARS-Viren)
oder auf bioterroristische Anschläge
müssen die Mitarbeiter vorbereitet
sein.
Abb. 9: Notfallversorgung nach
Verkehrsunfall
3.2.6.1 Hygieneplan und allgemeine
Hygienemaßnahmen
Ein Hygieneplan für den Rettungsdienstbereich München wurde von
allen Organisationen gemeinsam ausgearbeitet und verwendet. Neben der
Möglichkeit der hygienischen Händedesinfektion bieten alle Rettungsdienste Reinigungs-, Hautschutz- oder
Entsorgungsbeutel
-pflegemittel, flüssigkeitsdichte EinmalHandschuhe sowie widerstandsfähige
Schutzhandschuhe (z. B. „Feuerwehrschutzhandschuhe“) an. Ausnahmesituationen (z. B. Patienten, die mit offener Lungentuberkulose infiziert sind)
erfordern zusätzliche Schutzmaßnahmen wie den Einsatz eines Infektionsschutzsets (Tabelle 6). Dieses wird in
den Einsatzfahrzeugen aller Organisationen vorgehalten und von den Beschäftigten eingesetzt.
Geeignete Kanülenabwurfbehälter finden sich auf allen Fahrzeugen. Zusätzlich werden kleine Abwurfbehälter
im Notfallkoffer oder -rucksack mitgeführt (Abbildung 10). Verletzungsarme
Instrumente, wie beispielsweise stichsichere Kanülen und Lanzetten, waren
überwiegend unbekannt und wurden
2004 noch in keinem RD eingesetzt.
Abb. 10: Kleiner Kanülenabwurfbehälter im
Notfallrucksack
3.2.6.2 Hygienische Reinigung der
Schutzkleidung
Getragene Schutzkleidung von Rettungsdienstmitarbeitern ist als potenziell infektiös zu betrachten. Überwiegend wird die Schutzkleidung, damit
sie hygienisch einwandfrei ist, in
gewerblichen Wäschereien, gemäß den
Hygiene-Richtlinien des Robert-KochInstituts (RKI), durch thermische oder
chemothermische Verfahren vorschriftsgemäß gewaschen (6 RD). Auch die
Reinigung in Waschmaschinen auf den
Wachen ist bei Einhaltung der RKIRichtlinien und geeigneter Organisation möglich (3 RD). Ehrenamtliche Mitarbeiter waschen ihre Schutzkleidung
aus Praktikabilitätsgründen oft gemeinsam mit der Privatwäsche zuhause, was
u. a. wegen der unerwünschten Keimverschleppung nicht zulässig ist.
3.2.6.3 Maßnahmen zur Infektionsprophylaxe nach Nadelstichverletzungen
Bei acht Rettungsdiensten, aber nur in
einem Teil der Einsatzfahrzeuge und
damit griffbereit vor Ort, fanden sich
Notfallpläne oder speziell bestückte
„Erste-Hilfe-Sets“ für das Vorgehen
und die Wund- und Schleimhautdesinfektion nach akzidentellen Nadelstichverletzungen oder Kontakt zu potenziell infektiösem Material. Schriftliche
Hinweise auf die rund um die Uhr
geöffneten Münchner „Infektionsambulanzen“, die bei Verdacht auf HIVÜbertragung beraten und ggf. unverzüglich die medikamentöse Postexpositionsprophylaxe (PEP) einleiten, lagen
nur bei einem Rettungsdienst vor.
(Tabelle 7).
3.2.7 Arbeitsmedizinische
Betreuung
In allen Rettungsdiensten werden die
Beschäftigten durch einen Betriebsarzt
betreut. Bei der arbeitsmedizinischen
Vorsorgeuntersuchung für „Tätigkeiten
mit Infektionsgefährdung“ und dem
Hepatitis B-Impfangebot gemäß Bio.........
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Tabelle 7: Maßnahmen zur Primär- und Sekundärprävention von Nadelstichverletzungen und
dadurch übertragener Infektionskrankheiten
Prüfkriterien
RD
Stichsichere Kanülen und Lanzetten
0
Infektionsambulanzen (PEP-Beratung) bekannt
1
„Notfallplan“ für Vorgehen nach Nadelstichverletzung
6
Dokumentation von Stich- und Schnittverletzungen
8
Geeignete Kanülenabwurfbehälter
9
Flüssigkeitsdichte Einmalhandschuhe
9
Handdesinfektionsmittelspender im Fahrzeug
9
9
8
Arbeitsmedizinische
VorsorgeUntersuchung G 42
durchgeführt
7
6
5
4
3
Hepatitis-B
Impfung
angeboten
2
1
0
Hauptamtliche Nebenamtliche
Zivildienst
Ehrenamtliche
Praktikanten
Abb. 11: Arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung G 42 und Hepatitis-B-Impfangebot in
den Münchner Rettungsdiensten (n = 9)
Tabelle 8: Erheblich belastende Einsatzabfolge und Gedanken („kursiv“) einer Rettungskraft
9.00 Uhr: Erfolglose Reanimation eines „48-jährigen Mannes mit
Kreislaufstillstand nach Myokardinfarkt“ und Erstbetreuung
der fassungslosen Ehefrau
(„Wie kann ich jetzt am besten helfen?“)
10.30 Uhr: „Verkehrsunfall mit schwer verletztem Kind“
(„hat den gleichen Schulranzen wie mein Sohn“)
12.00 Uhr: Meldung „Frühgeborenes nach häuslicher Sturzgeburt“
(„Ich habe damit wenig Erfahrung und Angst einen Fehler
zu machen“)
stoffverordnung bestehen bei gleicher
Gefährdung erhebliche Unterschiede
zwischen den verschiedenen Gruppen
der Rettungskräfte (Abbildung 11).
Zum Teil wird – insbesondere von Praktikanten – eine nachgewiesene Immunisierung gegen Hepatitis B als Einstellungsvoraussetzung verlangt, so dass
diese die Kosten der Schutzimpfung
ggf. selber tragen müssen. Da die Impfung in der Regel nicht beim Betriebsarzt erfolgt, unterbleibt in diesen Fällen
die gerade für Berufsanfänger notwendige arbeitsmedizinische Beratung zum
allgemeinen und speziellen Infektionsschutz.
Die für die Kontrolle des Impferfolges
notwendigen und im G 428 vorgesehenen Antikörperkonzentrationsbestimmungen nach abgeschlossener Hepatitis B-Immunisierung wurden in sieben
Rettungsdiensten vorgenommen.
3.2.8 Psychische Belastungen
Viele Rettungskräfte berichten von
Dauerstress aufgrund ständiger Alarmbereitschaft und maximaler Anspannung im Einsatz. Nicht selten bleibt zu
wenig Zeit, um das Erlebte vor dem
nächsten „Blaulichteinsatz“ emotional
zu verarbeiten (Tabelle 8).
Bei allen Rettungsdiensten sind in
unterschiedlichem Umfang Maßnahmen zur Primär- oder Sekundärprävention von psychischen Belastungen und
Belastungsstörungen eingeführt worden. Ein systematische Analyse und
Beurteilung der psychischen Belastungen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung war zunächst bei keinem Rettungsdienst erfolgt. Angebote zur
Stressbewältigung für Einsatzkräfte
werden von sechs Rettungsdiensten
angeboten.
Tabelle 9: Kollektiv der Mitarbeiterbefragung (n = 425)
Persönliche und berufliche Daten
Männlich
94%
Weiblich
6%
Rettungsassistent
72%
Rettungssanitäter
23%
Praktikant
5%
Haupt- und nebenamtlich Beschäftigte
Ehrenamtlich Tätige
174
.........
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92%
3%
3.3 Ergebnisse der
Mitarbeiterbefragung
3.3.1 Teilnehmer
An der Mitarbeiterbefragung haben
425 ganz überwiegend haupt- und
nebenamtlich beschäftigte männliche
Rettungsassistenten teilgenommen
(Tabelle 9), die meist weniger als
10 Jahre (durchschnittlich 8,3 Jahre)
im Rettungsdienst tätig waren (Abbildung 12).
45%
40%
35%
30%
25%
20%
15%
10%
5%
0%
0-4
5-9
10-14
15-19
20-24
25-29
30-34
35-39
Berufsjahre im Rettungsdienst
Abb. 12: Berufsjahre der Teilnehmer der Mitarbeiterbefragung
Tabelle 10: Berufliche Belastungsschwerpunkte (Mehrfachnennungen)
Berufliche Belastungsschwerpunkte
Schweres Heben und Tragen
57%
Schichtarbeit
21%
Psychische Belastungen
17%
Vorgesetzte
15%
Arbeitsklima
7%
3.3.2 Berufliche Belastungsschwerpunkte
Von den Beschäftigten wurden auf die
Frage: „Was belastet Sie am meisten bei
der Arbeit im Rettungsdienst?“ folgende
Punkte am häufigsten angegeben:
(Tabelle 10).
3.3.3. Arbeitsmedizinische
Betreuung
93 % der Befragten waren schon mindestens einmal beim Betriebsarzt arbeitsmedizinisch beraten worden.
3.3.4 Infektionsgefährdung
4 % der Befragten waren nicht gegen
Hepatitis B und 36 % nicht gegen
Hepatitis A geimpft. 22 % hatten sich
schon einmal eine Nadelstichverletzung
zugezogen. 90 % gaben an, den Plan
für das Vorgehen nach Nadelstichverletzung zu kennen.
3.3.5 Stressbewältigung für
Einsatzkräfte
Über Probleme und Belastungen, die
bei der Arbeit im Rettungsdienst auftreten, sprechen 81 % der Befragten
mit Kollegen, 40 % mit dem Partner,
5 % sprechen mit niemand darüber
(Mehrfachnennungen waren möglich).
92 % der Befragten halten eine Stelle,
die professionelle Stressbewältigung
für Einsatzkräfte anbietet, für notwendig, 73 % kennen eine derartige Anlaufstelle. 19 % der Befragten hatten
bereits professionelle Angebote zur
Stressbewältigung für Einsatzkräfte in
Anspruch genommen. Aus den freien
Kommentaren ergibt sich, dass eine
professionelle Hilfe zur Stressbewältigung erst „bei Auftreten von Symptomen wie Schlafstörungen“ oder „Auswirkungen auf das Privatleben“ oder
„wenn ich das Gefühl habe, durch
eigene Kräfte gewisse Situationen nicht
mehr selbst bewältigen zu können“
aufgesucht wird.
3.3.6 Verbesserungsvorschläge
88 Rettungskräfte machten auf die Fragen „Welche Verbesserungsvorschlägen haben Sie für die Arbeit im Rettungsdienst?“ und „Was würden Sie
uns sonst noch gerne sagen?“ insgesamt 114 Vorschläge, was Engagement
und den Willen zu konstruktiver Mitarbeit bei der Optimierung der Arbeitsbedingungen dokumentiert. Die häufigsten sind in Tabelle 11 thematisch zusammengefasst. Die Verbesserungswünsche beziehen sich vor allem auf
die persönliche Schutzausrüstung, insbesondere auf „unzureichende Sicherheitsschuhe“ und „schlechte Schutzhosen“. Die „niedrige Bezahlung“ und
die geplanten Einsparungen im öffentlichen Dienst werden als ungerecht
angesehen. Erwartet wird mehr Unterstützung, Lob und Anerkennung durch
Vorgesetzte. Darüber hinaus wird der
Wunsch geäußert, dass persönliches
und soziales Engagement der Rettungskräfte durch eine adäquate
Bezahlung und soziale Anerkennung in
der Gesellschaft mehr gewürdigt wird
(„Uns fehlt eine starke Lobby“). Über
das gestiegene Anspruchsdenken
unserer Gesellschaft, das seinen
Niederschlag u. a. in einer steigenden
Zahl unnötiger Rettungseinsätze findet,
wird ebenso geklagt wie über die
zunehmende Zahl unter Drogen- oder
Alkoholeinfluss stehender, teilweise
äußerst aggressiver Patienten. Für dringend notwendig wird eine Klarstellung
der Kompetenzen gehalten: „Regelkompetenz statt Notkompetenz“. Vor
allem ältere Rettungskräfte fühlen sich
Tabelle 11: Verbesserungswünsche (n = 114)
Verbesserungswünsche
Verbesserte persönliche Schutzausrüstung
23 %
Bessere Bezahlung / Erhalt Mehrleistungsvergütung
14 %
Mehr soziale Anerkennung
10 %
Mehr Unterstützung durch Vorgesetzte
10 %
Mehr Fortbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten
9%
Effizientere Zusammenarbeit mit Notarzt, Klinik,
Polizei und Leitstelle
9%
.........
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durch ihren Beruf teilweise stark in
Anspruch genommen: „Nach 25 Jahren in der Notfallrettung reicht es,
meine Bandscheiben sind kaputt. Auch
psychisch verkrafte ich alles viel schwerer. Als junger Mensch habe ich alles
viel leichter genommen“. Trotz mancher Einschränkungen macht der Beruf
aber offensichtlich den meisten Rettungskräften viel Freude „Ich mache die
Arbeit im Rettungsdienst sehr gerne“
„Es bleibt trotz allem mein Traumberuf!“
4. Diskussion
Der Arbeitsalltag in der Notfallrettung
ist geprägt durch die Einwirkung physischer und psychischer Belastungen, wie
sie in dieser Intensität in anderen Berufen kaum vorkommen. Personal auf
Intensivstationen hat zwar vergleichbare psychische Belastungen4, die
Unfallgefahr und die körperlichen
Anforderungen sind jedoch für Rettungsfachpersonal erheblich höher.
Dem präventiven Arbeits- und Gesundheitsschutz kommt daher große Bedeutung zu.
Schweres Heben und Tragen wurde von
über der Hälfte der 425 Befragten als
größte Belastung im Rettungsdienst
angegeben. Eine aktuelle Studie im Rahmen der „Initiative Neue Qualität der
Arbeit“ kommt zu ähnlichen Ergebnissen9. Während äußere Parameter, wie
Patientengewicht und Umgebungsfaktoren vorgegeben sind, lassen sich technische und personelle Voraussetzungen
zumindest teilweise optimieren. Verbesserungen in der ergonomischen Gestaltung der Einsatzwägen – z. B. der Fahrzeugeinstiege – vermindern die teilweise
unphysiologischen
Einstiegshöhen.
Innovative Transportsysteme und Tragehilfen wie Evakuierungsstühle können
die Beanspruchung in der Praxis zumindest reduzieren, auch wenn sie wegen
enger räum-licher Verhältnisse nicht
immer einsetzbar sind. Die in München
verwendete „Rettungszelle“ erleichtert
den Transport der immer häufiger anzutreffenden besonders adipösen Patienten für die Rettungskräfte erheblich.
Statt der üblicherweise im Rettungsdienst verwendeten schmalen Krankentrage bietet sie ausreichend Platz für ein
176
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Klinikbett. Entlastend wirkt auch die
personelle Verstärkung pro Einsatzfahrzeug oder bei schwergewichtigen
Patienten die Anforderung von „Trageunterstützung“ über die Rettungsleitstelle. Rückenschule, die rückenschonendes Heben und Tragen trainiert,
sollte von allen Rettungsdiensten angeboten werden.
Obwohl die Notfallrettung zu den
Bereichen mit besonderer Infektionsgefährdung zählt, wurde in der Vergangenheit diese Gefahr häufig unterschätzt. 22 % der Befragten gaben an,
sich schon mindestens einmal eine
Nadelstichverletzung zugezogen zu
haben. Die zunehmende Zahl schwerwiegender Viruserkrankungen durch
nicht impfpräventable Erreger wie
Hepatitis C oder HIV haben zu einem
Umdenken geführt. Der Vermeidung
von Nadelstichverletzungen dienen
organisatorische Maßnahmen wie
regelmäßige Unterweisungen, die
Bereitstellung durchstichsicherer Abwurfbehälter im Fahrzeug und insbesondere auch im Notfallkoffer sowie
die Verwendung innovativer verletzungsarmer Instrumente. Im Rahmen
dieses Projektes haben 8 Organisationen inzwischen stichsichere Kanülen
beschafft und eingesetzt. Dass auch
Ehrenamtlichen und Praktikanten genauso wie allen haupt- und nebenamtlich im Rettungsdienst Beschäftigten
die Impfung gegen Hepatitis B anzubieten ist, wurde von den Verantwortlichen rasch akzeptiert.
Die psychische Belastung im Rettungsdienst und deren Auswirkungen
hängen einerseits von äußeren Bedingungen wie Dienstplangestaltung oder
Art der Einsätze, andererseits von individuellen Bewältigungs- und Schutzmechanismen ab. Als Beanspruchungsreaktionen treten physische, kognitive
und emotionale Reaktionen in unterschiedlicher Ausprägung, Kombination
und Häufigkeit auf, die sich in einer
Vielzahl von Symptomen manifestieren
können.
Voraussetzung für adäquate Präventionsmaßnahmen ist die Analyse der
bestehenden psychischen Belastungen,
z. B. im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilung.
Die Mitarbeiterbefragung hat sich in
unserer Erhebung als hilfreiches Zusatzinstrument erwiesen. Die „Experten in
eigener Sache“ gaben konkrete Hinweise auf Belastungs- und Gefährdungsschwerpunkte und schlugen praxisnahe Lösungen vor, beispielsweise
den regelmäßigen Wechsel zwischen
der Tätigkeit in der Notfallrettung und
dem Krankentransport, der die psychische Gesamtbelastung reduzieren
kann. Ein möglichst großes Mitgestaltungsrecht der Rettungskräfte bei der
Konzeption der Dienstpläne, der
Schichtteams, bei der räumlichen
Gestaltung der Wachen und bei der
Beschaffung neuer Arbeitsmaterialien
trägt ebenso wie die Vermeidung
unnötiger Fehleinsätze zur Arbeitszufriedenheit bei. Eine klare Definition
und ggf. Ausweitung der „Notkompetenz“ zur „Regelkompetenz“ ermöglicht die umfassende Hilfeleistung in
lebensbedrohenden Notfällen ohne das
belastende Gefühl, in einer rechtlichen
Grauzone tätig werden zu müssen.
Mehrere Rettungsdienste haben beispielsweise bestimmte Medikamente
für die Applikation durch ihre Rettungsassistenten vorgesehen. Die Verabreichung muss dabei dokumentiert und
in jedem Einzellfall von einem Arzt –
z. B. vom aufnehmenden Klinikarzt –
unverzüglich abgezeichnet werden. Die
Aus- und Weiterbildung der Rettungskräfte sollte sich nicht nur auf notfallmedizinische Maßnahmen beschränken. Schwierige Situationen, wie die
Konfrontation mit aggressiven, zu
Gewalttätigkeit neigenden Patienten,
prägen zunehmend die Einsatzrealität10. Bewältigungsstrategien – wie
Deeskalation – sollten regelmäßig praxisnah trainiert werden. Psychotraumatologische Aspekte des Einsatzgeschehens sollten ausreichend vermittelt
werden. Daneben stellt ein Konzept zur
Bearbeitung einsatzspezifischer Belastungen einen integralen Bestandteil der
Personalfürsorge dar11. Über die Hälfte
der in München tätigen Rettungsdienste haben bereits ein Team von erfahrenen und entsprechend ausgebildeten
Mitarbeitern etabliert, das oft rund um
die Uhr ansprechbar ist und intern die
kollegiale Betreuung wahrnimmt. Die
zur Delegation ärztlicher Leistungen
im Rettungsdienst. Published online:
http://www.bundesaerztekammer.de/
cgi-bin/print-Version.cgi
Tabelle 12: Erzielte Verbesserungen im Gesundheitsschutz
• Beseitigung von Verletzungs- und Unfallgefahren
• Bereitstellung geeigneter Sicherheitsschuhe für die Beschäftigten bei
allen RD
6
Die Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands (BAND) e.V.. Tätigkeitsbericht 1998–2000. Published online:
http://www.band-online.de/imageordner/
7
Hohenstein C, Scharf F, Dietrich K. Regelkompetenz für den Rettungsassistenten:
Was sollten wir anstreben? Rettungsdienst 2004; 27: 38–43
8
Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (Hrsg.). Berufsgenossenschaftliche Grundsätze für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen.
Gentner Verlag, Stuttgart, 2004
9
Gebhardt H, Klußmann A, Müller BH,
Maßbeck P, Topp S, Steinberg U, Backe
E. Gestaltung gesundheitsförderlicher
Arbeitsbedingungen für Rettungsfachpersonal. Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2005; 40: 202
10
Pajonk FG, Madler C. Notfallmedizin:
Veränderte Einsatzrealität. Deutsches
Ärzteblatt 2001; 98 A-1605
11
Daschner CH. Organisation und Durchführung der Stressbearbeitung bei Großschadenslagen. Rettungsdienst 2002; 25:
76–79
12
Mitchell JT, Everly GS. Critical Incident
Stress Debriefing: An Operations Manual
for the prevention of traumatic stress
among emergency services and disaster
workers. Chevron Publishing Corporation, Ellicott City, 1996
13
van der Ploeg E, Kleber RJ. Acute and
chronic job stressors among ambulance
personnel: predictors of health symptoms. Occupational and Environmental
Medicine 2003; 60: i40
14
Alexander DA, Klein S. Ambulance personnel and critical incidents. The British
Journal of Psychiatry 2001; 178: 76–81
15
Buchmann KE. Belastung, Überlastung,
Beratung: Nur ein Mythos? Rettungsdienst 2004; 27: 14–18
• Hygienische Reinigung der persönlichen Schutzausrüstung bei allen RD
• Verwendung verletzungsarmer Venenkatheter bei 8 RD;
Erprobung bei 1 RD
• Angebot der Hepatitis-B-Impfung für alle gefährdeten Mitarbeiter
• Information über Infektionsambulanzen mit 24 Stunden Bereitschaft
• Information zur medikamentösen Postexpositionsprophylaxe
• Erfassung psychischer Belastungen in der Gefährdungsbeurteilung
• Information über Stellen, die „Stressbewältigung für Einsatzkräfte“
anbieten
Ausbildung der Teammitglieder und die
Arbeitsweise erfolgt meist in Anlehnung an das „Critical Incident Stress
Management (CISM)“. sind: Rettungskräfte auf berufsbedingten Stress vorzubereiten, traumatische Stressreaktionen
zu verhindern oder aufzufangen, eine
schnellere Erholung von kritischen Ereignissen zu unterstützen und die Gesundheit und das Wohlbefinden der Mitarbeiter aufrecht zu erhalten12. Neben
körperlicher und seelischer Belastbarkeit
und der Fähigkeit zum aufgabenorientierten Handeln trägt geglückte Kollegialität wesentlich zum psychischen Wohlbefinden von Einsatzkräften bei13, 14.
Auch die Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung zeigen, dass der kollegialen
Gesprächskultur sowie der sozialen
Unterstützung durch Kollegen, Partner
und Vorgesetzte eine herausragende
Bedeutung bei der Bewältigung und
Verarbeitung psychischer Belastungen
zukommt. Zu unterstützen sind daher
grundsätzlich Möglichkeiten zum offenen Erfahrungsaustausch, insbesondere
Einsatznachbesprechungen nach belastenden Einsätzen im Team ohne Zeitdruck. Entlastende Gespräche reichen
aller Erfahrung nach meist aus. Weitergehende Interventionsmaßnahmen bis
hin zur Psychotherapie sind bei Einsatzkräften im Rettungsdienst nur relativ selten notwendig15.
sundheitsschutz besteht. Im Fokus stehen dabei Wirbelsäulenbeschwerden,
Infektionskrankheiten, Arbeitsunfälle
sowie psychische Belastungen. Münchener Gewerbeärzte haben, abgestimmt auf die individuellen Verbesserungsmöglichkeiten des jeweiligen Rettungsdienstes, fachkundig und praxisorientiert zum Arbeits- und Gesundheitsschutz beraten. Die Projektarbeit
stieß auf positive Resonanz. Die praktische Umsetzung der erforderlichen
Gesundheitsschutzmaßnahmen wurde
durch Informationen, Beratungen und
mündliche sowie schriftliche Anordnungen unterstützt. Der Gesundheitsschutz wurde insbesondere in folgenden Punkten verbessert (Tabelle 12):
6. Literaturverzeichnis
1
2
3
4
5. Fazit
Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass
für Rettungskräfte erheblicher Bedarf
an differenziertem Arbeits- und Ge-
5
Joó S. Rettungsdienst: Starke Leistungsbilanz. Deutsches Ärzteblatt 2000; 97:
A-3060
Klußmann A, Blechmann M, Hasselhorn
HM, Hofmann F. Berufliche Risiken bei
Rettungsfachpersonal in Deutschland,
Österreich und Schweden. Arbeitsmed
Sozialmed Umweltmed 2004; 39: 210
Rodgers LM. A five year study comparing
early retirements on medical grounds
in ambulance personnel with those
in other groups of health service staff.
Occupational Medicine 1998; 48:
119–132
Gorgaß B, Ahnefeld FW, Rossi R, Lippert
HD (Hrsg.). Rettungsassistent und Rettungssanitäter. Springer-Verlag, Berlin
Heidelberg New York, 2001: VIII
Bundesärztekammer. Stellungnahme
der Bundesärztekammer zur Notkompetenz von Rettungsassistenten und
7. Dank
Für die freundliche Überlassung folgender Bilder bedanken wir uns bei der Berufsfeuerwehr München (Abbildungen: 1, 2, 7, 8) und
beim Münchner Krankentransport – MKT
(Abbildung: 9)
Anschriften der Verfasser:
Dr. med. Alexander zur Mühlen,
Dr. med. Bettina Heese,
Dr. med. Stephanie Haupt,
Regierung von Oberbayern
Gewerbeaufsichtsamt
80534 München
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Ergo Med 6/2005
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