Referat - Johannes

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Referat - Johannes
Ines Boban
“Dance with the group!”* – “Tanz mit der Gruppe!”
Moderation von Bürgerzentrierter Zukunftsplanung als Arbeit für Inklusion
Es war lange ein Traum von mir, Tänze choreographieren zu können. Als ich in einem
Lehrfilm zur Moderation von Personenzentrierter Planung von Marsha FOREST und Jack
PEARPOINT die Aufforderung hörte, mit der Gruppe zu tanzen, war mir klar, warum es u.a.
eine solche Wonne und Ehre (ja, genau diese Worte in genau dieser Reihenfolge!) für mich
bedeutet, als Moderatorin in Unterstützerkreisen mitzuwirken. Deshalb widme ich diesen Text
Marsha, Jack und John O’BRIEN1, von denen zu lernen eine große Freude war und ist. Von
ihnen stammen fast alle englischen Überschriften. Und ich möchte mit diesem Text an Jens
EHLER erinnern, der im Sommer 2014 starb. Mit ihm habe ich zwei Zukunftsfeste erleben
dürfen, er hat darüber mit seinem Sprachcomputer referiert und wir haben gemeinsam einen
Artikel (2005) hierzu – mit Ulrike EHLER – veröffentlicht.
Abb. 1: Jens & Ulrike Ehler
Bei Hilfeplanung wird eher im Rahmen des Status Quo beraten, in welchen bestehenden
Institutionen und mit welchen verfügbaren Maßnahmen der weitere, quasi bereits geebnete
Weg organisiert werden kann. Im Kontrast dazu geht bei Bürgerzentrierter Zukunftsplanung
ein*e Bürger*in, die einladende Hauptperson, mit ihrem Umfeld bewusst vom vielleicht noch
nicht Vorhandenen, vom noch zu Entwickelnden, vom zu Schaffenden, von Träumen,
Hoffnungen und Utopien aus und entwirft gemeinsam mit weiteren Bürger*innen den je
eigene Weg und die je eigene Lebensperspektive mit Phantasie, Humor und Optimismus (vgl.
O’BRIEN & LOVETT 2015). In einer Gruppe diese (Erwartungs-)Haltung zu bestärken und es
den Individuen in ihr leicht zu machen, sich in einer gemeinsamen Sehnsucht auf eine
Veränderung unangemessener Verhältnisse einzustellen, ist die Aufgabe der Moderation.
Denn:
„Die Zukunft liegt nicht darin,
dass man an sie glaubt oder nicht an sie glaubt,
sondern darin, dass man sie vorbereitet.“
(Erich Fried)
„Change the Story, change the Future!” – “Verändert die Geschichte, verändert die
Zukunft!“
David C. KORTEN (2015) fordert uns vor dem Hintergrund der ökologischen Situation des
Planeten Erde auf, u.a. ökonomische Gewordenheiten, Gewohnheiten und Strukturen zu
verändern: Der verheerenden Logik und dem Slogan „Time is Money!“, also „Zeit ist Geld!“,
gilt es, das Verständnis „Time is Life!“, also „Zeit ist Leben!“, entgegenzuhalten. Nur wenn
wir die (neoliberal geprägte) ‚Story‘ von den ‚heiligen Märkten‘ ändern und konsequent
orientiert an den Menschen- und den Erdrechten handeln, gibt es eine Perspektive auf eine
lebenswerte Zukunft – und die jeweilige Gegenwart. Warum es gar nicht so leicht ist, sich
zuversichtlich an solche Veränderungsperspektiven heranzuwagen, kann u.a. die Aussage von
Klaus HOLZKAMP erklären, die besagt, dass wir in der Schule (als Abbild gesellschaftlicher
Strukturen) vornehmlich im Modus des defensiven Handelns ‚festsitzen‘: Schüler*innen (je
1
Basis für diesen Text ist ein Artikel, der in der Zeitschrift „Orientierung“ 2008 erschienen ist, hier modifiziert
und erweitert um aktuelle Aspekte.
älter, um so mehr) sollen vorrangig fremdbestimmt passiv bzw. relativ aktiv tun bzw. lassen,
was Lehrer*innen ansagen (vgl. BOBAN & HINZ 2012). Dieses „dominatorische
Herrschaftsmodell“ (so EISLER 2005) festigt den Glauben an Hierarchien, zu erklimmende
‚Stufen‘ und einzuhaltende ‚Ebenen‘ – es kultiviert ein lineares Denken. Da fremdbestimmt
passiv sein zu müssen (still sitzen, zuhören), bei vielen Menschen Frustration erzeugt und
Adrenalin in die Zellen treibt, während fremdbestimmt aktiv sein zu sollen (ein Gedicht
auswendig lernen und aufsagen, ein Referat halten, eine Arbeit schreiben), zuweilen
Noradrenalin – also Fluchtimpulse – aktiviert und somit Stress pur ist, ist diese ‚Daseinsform‘
auf Dauer wenig gesund; eher kränkend oder krank machend. Im Modus des Defensiven
Lernens wird vor allem erfahren und gespeichert, was es zu leisten gilt, wenn ein ‚Clash‘ im
System vermieden werden soll – sei es die nächste Hürde im Bildungsgang oder ein
bestimmtes sozial erwünschtes Verhalten. Diese Prägung stellt geradezu die Schiene für
resignatives Zufriedensein bereit und birgt die Gefahr in sich, schließlich im so oft
beschriebenen ‚Burn-out‘ zu landen. Dies gilt nicht nur für Menschen, die sich in der Rolle
von Lernenden befinden, sondern in jedem Arbeits- und Lebenszusammenhang.
Abb. 2: Defensives und Expansives Lernen (BOBAN & HINZ 2012, 67)
Nach HOLZKAMP ist wirkliches Lernen nur im Modus des Expansiven möglich, also in
Räumen bzw. Handlungsfeldern, in denen Menschen selbst gewählten Aktivitäten nachgehen
können – und über die Hormone Serotonin, Dopamin, Oxytocin echten ‚Flow‘ erfahren
können. Um das hier Erlebte zu verarbeiten, braucht es dringend Phasen der selbstgewählten
Passivität, der Muße nach der Musenphase, quasi dem ‚Chill‘ nach dem ‚Thrill‘. Expansives
Lernen vollzieht sich zirkulär, vielleicht in Form einer Spirale symbolisierbar. Es bedeutet,
das eigene Interesse wahr- und ernst zu nehmen, einem Entwurf von etwas nachgehen zu
können und die Freiheit zu haben, in etwas ‚Großes‘, Anziehendes hineinzuwachsen.
Um diese Qualität expansiven Agierens geht es in Planungen bei Zukunftsfesten mit
Unterstützerkreisen. Die Ermutigung hierzu bedarf oft einer entsprechend bestärkenden
Moderation, die es für möglich halten lässt, die Prägung der defensiven, ängstlich
vermeidenden Haltung hinter sich zu lassen und miteinander in eine neugierige
Entdeckerlaune und passioniertes ‚in etwas hineinwachsen Wollen‘ zu gelangen.
„Wir können uns entscheiden, ob wir den Pol der Angst oder den der Liebe nähren.
Warum sollten wir uns für die Angst und gegen die Liebe entscheiden?“
(Pablo PINEDA FERRER im Film „Alphabet“)
„Let us learn how to make friends!” – „Lasst uns lernen, wie man Freundschaft macht!“
Zur Vorbereitung einer gewünschten Zukunft ist es ein erster wichtiger Schritt, sich
‚Verstärkung‘ zu holen und Menschen zusammenzutrommeln zu einem Zukunftsfest in einem
Unterstützerkreis. Unterstützerkreise sind ein Schlüsselelement des selbstbestimmten Lebens
und hilfreich für alle Menschen, die vor einer ‚großen Frage‘ stehen, die sie selbst nicht
gleich und leicht beantworten können (vgl. HINZ & KRUSCHEL 2013, 17). Für Menschen mit
Behinderungserfahrungen kann dies als ‚Leben mit Unterstützung’ besonders dringend sein,
wenn sie nicht länger hinnehmen wollen, an (Sonder-)Institutionen an- und eingepasst zu
werden, sondern ein eigenes Lebenskonzept als gleichberechtigte Bürger*innen einer
Gemeinde – also Inklusion – verwirklichen möchten (vgl. HINZ 2004, KRUSCHEL & HINZ
2015).
Die Aufforderung „Lasst uns lernen, wie man Freundschaft macht!“ löst hierzulande
allerdings doch eher Befremden aus: „Kann man es lernen, Freund*innen zu machen?!“
Gewinnen schon. Hier gewinnt man Freund*innen. Nur wie eigentlich? Als Zufallstreffer
beim Beziehungs-Bingo und Glücksgriff bei einer Lotterie? Wie werden wir in der hiesigen
Kultur zu Freund*innen? Unterstützerkreise können uns dabei sehr stärken und bereichern.
Mit den Überlegungen, wer zum Unterstützerkreis der Hauptperson gehört, beginnt in der
Regel meine Moderationstätigkeit: Wir setzen uns zusammen, schreiben den Namen der
Hauptperson in das Zentrum eines Papiers und machen uns bewusst, wer die wichtigsten
(Vertrauens-) Personen sind.
Abb. 3: Der Unterstützerkreis (HINZ & KRUSCHEL 2013, 244)
Dabei gibt es vier Kreise, die wir von innen nach außen mit Namen füllen:
1. Zum ersten Kreis (‚Circle of Intimacy’) um die betreffende Person könnte der Impuls
lauten: „Wer sind die Menschen, zu denen die größte Nähe besteht?“ oder „Wer sind die
Menschen in deinem Leben, auf die du dich hundertprozentig verlässt?“ Bei Erwachsenen
werden hier meist Lebenspartner und ggf. die eigene Gegenwartsfamilie, bei Kindern
meist Menschen der Ursprungsfamilie genannt.
2. Zum zweiten Kreis (‚Circle of Friendship’) werden die Personen benannt, zu denen eine
Beziehung besteht, die als Freundschaft empfunden wird: „Wer sind die Menschen in
deinem Leben, denen du dich ‚freundschaftlich’ verbunden fühlst?“ Es kann auch
hilfreich sein zu fragen: „Wen empfindest du als ‚freundlich’ dir gegenüber?“ oder „Wen
magst du eigentlich sehr und wen hast du früher mal sehr gemocht?“
3. Für den dritten Kreis (‚Circle of Participation’) kommen alle weiteren Menschen des
informellen Kontakts in Frage, mit denen die Hauptperson alltäglich Erfahrungen in
verschiedenen Lebensbereichen teilt und zu denen eine grundsätzliche
Sympathiebeziehung besteht: „Mit wem triffst du ansonsten gern zusammen? Über wen
freust du dich besonders, wenn du in deine Klasse / in deine Arbeitsstelle / zu deinem
Chor u.ä. kommst?“ Ob sie dann auch die Ehre erfahren, tatsächlich eingeladen zu
werden, ist Überlegung eines späteren Schritts.
4. Der vierte Kreis (‚Circle of Exchange’) führt vor Augen, wer als Professionelle*r eine
Rolle im Leben der Person spielt: „Wer wird dafür bezahlt, sich in deinem Leben nützlich
zu machen?“ Beim Überlegen, wer tatsächlich in den Unterstützerkreis eingeladen werden
soll, werden aber nur die in Erwägung gezogen, die dafür bezahlt werden, sich positiv im
Leben der einladenden Person (bzw. Familie) einzubringen.
Das Aufzeichnen der Kreise kann der erste Schritt zum nun bewussten ‚miteinander Tanzen’
sein. Schon das Bild dieser Kreise, das ab nun – vielleicht – an der Pinnwand beim Esstisch
hängt, hat Stärkungsmomente.
Der zweite Schritt ist die (allmähliche) Entscheidung, welchen Menschen nun wirklich die
Ehre gegeben wird, aktiver Teil des Unterstützerkreises zu werden. „Welche dieser Personen
möchtest du sehr gern bei dir haben, weil du sie als stärkend erlebst? Wem magst du deine
‚Mokassins’ anbieten, um darin ein Stück deines Weges mit dir zu gehen?“ – oder um im Bild
zu bleiben: „Wem leihst du deine Tanzschuhe aus, um mit dir ein neues Tänzchen zu wagen?“
Wenn, was öfter geschieht, Jungen nur weibliche Unterstützerinnen wählen, erlaube ich mir
zu insistieren und zu betonen, dass wir schlecht über die Perspektive eines Mannes
nachdenken können ohne männliche Mitdenker – wir brauchen ein möglichst weites
Spektrum an Erfahrungen und Sichtweisen!
Auch kann es hilfreich sein, miteinander strategische Aspekte des Auswählens unter einer
bestimmten Fragestellung abzuwägen (z.B. "Wo werde ich später arbeiten?" oder "Wie werde
ich wohnen?"). Und da die Person immer Teil eines (Familien-) Systems ist, ermutige ich ggf.
auch direkte Angehörige dazu, sich z.B. die eigenen besten Freund*innen einzuladen. Als
wichtig erlebe ich es, den Blick auf Gleichaltrige und Jüngere als gute potenzielle
Unterstützer*innen zu bestärken, da die Gewohnheit uns eher zu Älteren und Fachleuten
tendieren lässt.
Wenn nun die Hauptperson (ggf. mit Hilfestellungen) die Einladungen zu einem
Auftakttreffen eines Unterstützerkreises ausspricht oder schriftlich anfertigt, empfehle ich
einen Termin in ca. drei Monaten an einem Wochenende zu wählen. Zum Auftakt des
Unterstützerkreises sollte – neben viel Zeit für gemeinsame Arbeit und Entspannung –
mindestens ein gutes gemeinsames Essen eingeplant werden, denn auch das verbindet
ungemein. Nicht alle, die eingeladen sind, können oder wollen zu dem Tag kommen. Deshalb
ist es wichtig zu betonen, dass es so wie es ist richtig ist. Schon vorher kann es entlastend sein
zu klären, dass wir nicht trauernd oder gar wütend an die denken müssen, die nicht kommen,
sondern uns freuen können über diejenigen, die kommen.
Nach einer Begrüßungsansprache durch die Jugendlichen oder einen Elternteil bitte ich immer
um die aktive Übergabe der Verantwortung für den dann folgenden Prozess. Alles das
geschieht in der Überzeugung:
„Es sind nicht die Menschen, die sich an die Strukturen anpassen müssen,
sondern die Strukturen müssen sich an die Menschen anpassen.“
(Pablo Pineda Ferrer 2014, 84)
„Never dive alone!“ – „Tauche niemals allein!“
Wenn einer einen kennt, der einen kennt, der einen kennt... Das erste Unterstützertreffen ist
ein besonderer Tag, der sinnvollerweise von zwei Personen moderiert wird. Struktur und
spezifische Qualität gewinnen Unterstützerkreise durch eine stringente Orientierung an
Prinzipien und Vorgehensweisen Personenzentrierter Planung, bei der eine konsequent
personale statt einer institutionellen Orientierung und eine Kompetenz- und
Interessensorientierung statt einer Anpassungsorientierung gepflegt wird. Die das Gespräch
moderierende Person hat hierbei Modellcharakter, sie verkörpert durch die Art der Interaktion
mit der einladenden Hauptperson und all deren Gästen den Geist, den es (ab nun) miteinander
zu kultivieren gilt. Sie hört mit ‚guten Ohren’ aktiv zu und ist mit ‚Augen, von denen man
gern angesehen wird’ ganz bei der Gruppe und jedem Individuum, damit aus dem eben diese
Gruppe und jetzt dieser Unterstützerkreis werden kann.
Schon deshalb bedarf diese Art des Zusammenarbeitens immer einer weiteren Person, die der
ersten den Rücken freihält, indem sie alles, was gesprochen wird, für alle gut sichtbar auf
großen Papieren festhält. Das ist eine anspruchsvolle Tätigkeit, zumal wenn man nicht
wortwörtlich protokolliert, sondern Oberbegriffe aufschreibt oder noch besser aufzeichnet
(vgl. O’BRIEN & PEARPOINT 2002, HINZ & KRUSCHEL 2013). Bilder und Symbole zu
kreieren, die den Prozess der Gruppe spiegeln und die von den Individuen entzifferbar sind,
ist eine hohe Kunst! Aber auch weil emotional zuweilen sehr tief eingetaucht werden kann,
macht es Sinn, dass dieser Moderationsprozess von zwei sich ergänzenden und den Prozess
gemeinsam reflektierenden Menschen gestaltet wird (vgl. zum ‚reflecting team’ CONEN
2002). So oder so gilt:
"Das Und durchlöchert das Entweder/Oder!" (Ulrich Beck)
“MAPS and PATH are performing arts!” – “MAPS und PATH sind darstellende
Künste!”
Von der Zukunftskonferenz zum Zukunftsfest – es war der 14jährige Tobias, der das Wort
Zukunftskonferenz zu amtlich, zu schulisch fand und der satt der Konferenz lieber ein Fest
haben wollte, ein Zukunftsfest im sommerlichen Garten unter dem Kirschbaum, an einer
langen Tafel, die zum gemeinsamen Kaffeetrinken und Abendessen genauso einladen sollte
wie zum Planen seines weiteren Weges. Seitdem biete ich immer an, das Auftakttreffen des
Unterstützerkreises als Konferenz oder als Fest zu betrachten und zu bezeichnen.
Die Struktur der Vorgehensweisen „MAP“ („Landkarte“) und „PATH“ („Pfad“ oder „Weg“)
helfen mir dabei, den Prozess der Zukunftsplanung so zu moderieren, dass beim
Auftakttreffen eine tragende Vision entstehen kann (vgl. hierzu vertiefend BOBAN & HINZ
2004), mit der die Gruppe sich als ein Ensemble fühlt, das danach auch ohne den
Choreographen sicher miteinander weitertanzt.
Wenn MAPs und PATHs zu gestaltende darstellende Künste sind und es gilt, „no matter how
experienced you are, you can always improve your practice“ (O‘BRIEN & PEARPOINT 2002,
16), dann gibt es nur einen Weg, sich in dieser Kunst zu verbessern: PATH ist eine
darstellende Kunst wie Musik, Schauspiel, Tanz oder Jonglieren. Es ist eine sichtbare Kunst,
geschaffen durch disziplinierte Zusammenarbeit. Als solche kann sie nur verstanden und
kunstfertig ausgeübt werden von Menschen, die sich ihr regelmäßig widmen und sie immer
wieder trainieren.
Abb. 4: Patricia Netti – kompetente grafische Moderatorin
Manchmal geschieht es, dass die Hauptperson selbst zum Stift greift, wie die damals
17jährige Patricia, damit alle direkt sehen, welche Planungen ihr wie wichtig sind bei ihrem
Zukunftsfest. Sie hatte auch den Impuls, ein Gästebuch auszulegen, aus dem sie voller Stolz
die Zeilen ihrer Klassenkameradin zitiert: „Liebe Pati! Danke, dass du mich eingeladen hast,
dass ich an deiner Zukunft teilnehmen darf. Ich freue mich, dass du meine Freundin bist. Ich
hoffe, dass du deinen Beruf findest und viele andere Menschen glücklich machst. Viel Glück
und viel Spaß für dich, und denke nächstes Mal wieder an mich. Deine Freundin Özlem.“
Für mich gehören MAP und PATH unmittelbar aufeinander aufbauend und folgend
zusammen. Im „Workbook for Facilitators“ heißt es: „Wenn eine Person in einer ‚Tu nicht
irgendwas, setz dich erst mal!’-Situation ist, kann MAP helfen – und wenn eine Person in
einer ‚Sitz nicht rum, tu etwas!’-Situation ist, kann PATH helfen“ (O’BRIEN & PEARPOINT
2002). Meiner Erfahrung nach ist es immer sinnvoll, erst inne zu halten und der liebevollen
Verbundenheit nährend Raum zu geben und erst dann – mit der daraus zu ziehenden Energie
– Schritte in eine bestimmte – nun erst wirklich bestimmbare – Richtung zu benennen.
„Es ist was es ist, sagt die Liebe!“
(Erich Fried)
„Who is the person?“ – „Wer ist die Person?“
Beim MAP kommt man erst mal an, beginnt sich zu öffnen, nähert sich aneinander an, wärmt
sich auf – und übt sich in einer gemeinsam optimistischen, humorvollen, an Stärken,
Kompetenzen und Ressourcen orientierten Haltung. MAP lädt zu einem echten Dialog ein
(vgl. BOBAN & HINZ 2004); die Art der Moderation sorgt dafür, diesen wirklich führen zu
können, und ebenso, dass alle sechs Schritte des MAP-Prozesses miteinander gegangen
werden (vgl. HINZ & KRUSCHEL 2013).
Abb. 5: MAP (HINZ & KRUSCHEL 2013, 247)
Sie ermutigt zudem, alle auftauchenden Impulse wichtig zu nehmen, denn:
„Glaube mir, es kommt im Leben auf Kleinigkeiten an.“
(J. H. Pestalozzi)
“How do we make it happen? – „Wie lassen wir es geschehen?“
Bürgerzentrierte Zukunftsplanung mit dem PATH bedeutet, statt ängstlich zu fragen: „Aber
was passiert wenn...?“ die Frage zu bearbeiten: „Wie machen wir es möglich, dass...?“ und
das „dass“ zielt auf die ‚schönste aller denkbaren Zukünfte‘. Dies ist praktizierter
‚Possibilismus‘: Wir resignieren nicht in Skepsis und kapitulieren nicht in Pessimismus,
schießen aber auch nicht optimistisch ins Utopische – wir fragen uns nach dem uns positiv
und machbar Vorstellbaren. Die graphische Pfeil-Form des PATH und deren logischer
Aufbau ermöglicht es, schrittweise zielstrebig zu großen Entwürfen einer zukünftigen
Gegenwart vorzudringen.
Abb. 6: PATH (HINZ & KRUSCHEL 2013, 248)
Dieses systematische Vorgehen verlangt von der Moderation, jedem Teilschritt mit großer
Achtsamkeit Raum zu geben. Nicht alle Etappen bis zum Schluss zu gehen, wäre ein
Kunstfehler. Die Zerlegung des Weges zu einer konkreten Umsetzbarkeit ermöglicht das
zuversichtlich machende Gemeinschaftsgefühl (vgl. LORENZ 2004), das der Unterstützerkreis
benötigt, um die nächsten Schritte auch tatsächlich tun zu können.
PATH sorgt für die Sicherheit, von der gemeinsamen Be(tr)achtung des ‚Nordsterns’ zur
Bestimmung des Reiseziels und der Route dorthin zu kommen. Es gilt, eine Gruppe für eine
gemeinsame Zielperspektive so nachhaltig zu entflammen, dass sie den großen, ganzen
Kuchen sieht und weiß, wie sie ihn Stück für Stück aufschneiden kann. Es bleibt also nicht
bei einem einmaligen Fest. Nicht zu unterschätzen ist hierbei die Wahl einer*s ‚Agent*in’,
die*der alle Beteiligten bei Gelegenheit und Notwendigkeit freundlich an die übernommenen
Aktionsteile erinnert und bei der Einladung zum nächsten Treffen hilft (vgl. HINZ &
KRUSCHEL 2013).
„Erfolgreich zu sein setzt zwei Dinge voraus:
Klare Ziele und den brennenden Wunsch, sie zu erreichen.“
(Johann Wolfgang von Goethe)
“Start to build your community!” – “Beginnt, Eure Kreise aufzubauen!”
Moderation als Wiederentdeckung des Selbstverständlichen: Für mich wird die ganze
Geschichte genau deshalb so rund, weil in ihr zwei Grundprinzipien erfahrbar werden: Beim
MAP der archetypisch weibliche, mütterliche Modus und beim PATH der archetypisch
männliche, väterliche. Der Bedarf an Mütterlichkeit und Väterlichkeit (vgl. MAAZ 2003,
2005) kann eine starke Triebfeder für das Gelingen von Unterstützerkreisen werden. Und: So
wie in unserer technisierten Zeit ungenügende Bewegung zu Muskelatrophie führt, „so
bedingt eine zu große Entlastung von sozialer Bedeutung für Andere soziale oder moralische
Atrophie“ (DÖRNER 2003, 64).
In Zusammenkünften dieser Art tanken alle ‚Seelen‘ auf, da sie hier nicht mit
einschränkenden, ins Defensive drängende Mustern bedrängt werden, sondern sich in
(er)öffnenden, weitenden, ins Expansive einladende Möglichkeits-Tanzräumen sich entfalten
und von ihrer je besten Seite, der ihrer zugewandten Menschlichkeit.
Von MÜNCHHAUSEN (2003) fasst es in zwei Bildern so zusammen, wann (kein) Raum für die
Seele besteht:
Abb. 7: Wo kein Raum für die Seele ist (VON MÜNCHHAUSEN 2003)
Versus:
Abb. 8: Wo Raum für die Seele ist (VON MÜNCHHAUSEN 2003)
Deshalb wohl sagen Mitwirkende in Unterstützerkreisen häufig, dass sie sich durch die
Einladung geehrt fühlen und es als beglückende Erfahrung empfinden, in dieser Weise
Bedeutung und Verantwortung übernehmen zu können. Das Bedürfnis nach gegenseitiger
‚Anteilnahme’ und ‚Anteilgabe’ wird wiederentdeckt – oder neu geweckt. Sich als Teil eines
„kreativen Feldes“ (vgl. BUROW 2000) zu erleben, stärkt alle daran Beteiligten. Und wie
Nelson Mandela in einer berühmt gewordenen Rede Marianne WILLIAMSON (1995) zitiert:
„Unsere tiefste Furcht ist nicht die, unzulänglich zu sein.
Unsere tiefste Furcht ist, kraftvoll zu sein jenseits aller Vorstellungen.
Es ist unser Licht, nicht unser Dunkel, das uns am meisten schreckt.
Wir fragen uns, wer bin ich denn schon, brillant, großartig,
begabt und fabelhaft sein zu wollen.
Nun, was fällt uns überhaupt ein, dies nicht zu sein? ...
Unser Klein-Spielen hilft der Welt nicht.
Es ist nichts Erleuchtetes daran, uns klein zu machen,
nur damit andere sich in unserer Gesellschaft nicht verunsichert fühlen. ...
Sobald wir unser Licht erscheinen lassen,
geben wir unbewusst anderen die Erlaubnis, dies auch zu tun.
Sobald wir von unserer eigenen Furcht frei geworden sind,
befreit unsere Präsenz automatisch auch die anderen.“
(Nelson Mandela)
“Inclusion means ‘WITH’, not just ‘IN’!” – „Inklusion heißt ‚MITeinander‘, nicht nur
‚IN‘!”
Das Voranstehende belegt, dass all dies nichts wirklich Neues ist: Wenn es darum geht, eine
Situation zu verbessern, ist es seit jeher ein sehr menschliches Verhalten, sich – im Kreis –
zusammenzusetzen, einen ‚runden Tisch‘ zu bilden und miteinander zu beraten, wie dies also
aussehen und gehen kann. Füreinander präsent sein, achtsam und empathisch miteinander zu
fühlen, zu denken und zu handeln entspricht einem dialogischen Ansatz (vgl. HARTKEMEYER
& HARTKEMEYER 2005), der Idee der Gleichwürdigkeit (vgl. JUUL & JENSEN 2009) und dem
Prinzip des Partnerschaftsmodells als Absage an dominatorische Hierarchie-Strukturen (vgl.
EISLER 2005). Es schafft also basisdemokratische Ermutigung, ist ‚Empowerment‘ und
soziale Ästhetik pur. Solch stärkende Aspekte fasst VON MÜNCHHAUSEN (2003) in nicht
zufällig in konzentrischen Kreisen zusammen:
Abb. 9: Was stärkt (VON MÜNCHHAUSEN 2003)
Es ist insofern ein Schlüsselelement für die Realisierung von Menschenrechten und damit für
Inklusion, denn es ist eine konkrete Form,
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einander zu vertrauen und mehr zu zutrauen, als jede*r sich selbst zutraut – also
‚Teilmächtigkeit‘ zu zelebrieren,
zu vermitteln, dass wir so, wie wir sind, in Ordnung sind und alles in uns tragen, was
wir für ein glückliches Leben brauchen,
positive Interdependenz zu erfahren, denn besonders gemeinsam und in Ergänzung
sind wir klug und bedingungslos ‚richtig‘,
wieder zu entdecken, dass die Welt und wir voller Wunder, Talente und Schätze
stecken, die darauf warten, entdeckt zu werden,
die Liebe in uns zu nähren statt die Angst!
“Willst du schnell gehen, geh allein.
Willst du weit kommen, geh gemeinsam mit anderen.”
(Sprichwort aus Kenia)
Literatur
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BOBAN, Ines & HINZ, Andreas (Hrsg.) (2004): Gemeinsamer Unterricht im Dialog.
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PINEDA FERRER, Pablo (2014): Herausforderung Lernen. Ein Plädoyer für die Vielfalt.
Zirndorf: G & S
WILLIAMSON, Marianne (101995): Rückkehr zur Liebe. München: Goldmann
Weiterführende Texte sind nun hier zu finden: