Die Bedeutung der Pflege im Palliative-Care - Wannsee
Transcrição
Die Bedeutung der Pflege im Palliative-Care - Wannsee
Palliative Care Die Bedeutung der Pflege im Palliative-Care-Konzept 4 Axel Doll Dipl.-Pflegepädagoge Fachkrankenpfleger für Onkologie Wannseeschule, Berlin Palliative Care Die WHO definiert: „Palliative Care ist ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und deren Familien, die mit den Problemen konfrontiert sind, die mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen, durch Vorbeugen und Lindern von Leiden, durch frühzeitiges Erkennen, untadelige Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen belastenden Beschwerden körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art.“ (WHO, 2002). Diese Definition macht deutlich, dass in der palliativen Betreuung nicht mehr das Krankheitsbild des Betroffenen im Vordergrund steht, sondern die (Für-)Sorge um die Folgen, die daraus entstehen. Dabei geht es um die Auswirkungen sowohl auf den Betroffenen als auch auf seine Angehörigen. Palliative Care verfolgt einen explizit familienorientierten Ansatz. Im Sinne der Ganzheitlichkeit geht es um die Linderung sowohl körperlicher als auch psychischer, sozialer und spiritueller Probleme. Leitendes Ziel ist dabei immer die Verbesserung der Lebensqualität. Im modernen Verständnis der Betreuung von Krebspatienten ergänzen sich der kurative und der palliative Ansatz, d. h. lindernde Maßnahmen haben bereits zu Beginn einer Erkrankung einen höheren Stellenwert und werden beim Fortschreiten der Erkrankung immer wichtiger. Parallel setzt die Betreuung der Angehörigen ein, die ebenfalls im Laufe der Erkrankung Erstdiagnose an Bedeutung gewinnt und im optimalen Falle über den Tod hinausgeht und in Trauerbegleitung übergeht (Abb. 1). Palliative Care ist ein interdisziplinäres Konzept: Eine ganzheitliche Betreuung ist nur in einem guten Zusammenspiel aus vielen verschiedenen Berufsgruppen möglich und sinnvoll (Abb. 2). Im Folgenden wird die besondere Bedeutung der Pflege herausgearbeitet. Aufgaben der palliativen Pflege Palliative Pflege ist bedürfnisorientierte Pflege und ausgerichtet an den individuellen Schwerpunkten der Betroffenen und ihrem subjektiven Erleben von Leiden. D. h. im Zentrum des Be-Handelns stehen nicht notwendige Pflegebedarfe, sondern das VerHandeln individueller Bedürfnisse. Palliative Pflege möchte den Betroffenen so begleiten, dass er möglichst aktiv und selbstbestimmt sein Leben bis zum Tod gehen kann. In der palliativen Pflege bekommen Prinzipien, die in der Pflege schon immer eine wichtige Rolle gespielt haben, einen noch größeren Stellenwert: • Respekt der Autonomie und Würde über den Tod hinaus • Integration von Ressourcen der Betroffenen und der Familie • Integration der Angehörigen in den Pflegeprozess • Akzeptanz von Sterben und Tod als Teil des Lebens • „High touch – low tech“ Tod kurativ palliativ Abb. 1 60 Angehörigenbegleitung Palliative Pflege hat zum Ziel, auf den verschiedenen Bedürfnis- oder auch Leidensebenen Wohlbefinden zu fördern, Geborgenheit und Sicherheit zu vermitteln. Körperliche Bedürfnisse Auf körperlicher Ebene ist die Symptomlinderung von belastenden und quälenden Beschwerden von großer Bedeutung. Pflegende übernehmen im Symptommanagementprozess eine maßgebliche Rolle: 1. Bei der Symptomerfassung tragen sie durch sorgfältige Pflegediagnostik (Krankenbeobachtung und Anamnese) zum Erkennen der individuellen Problematik bei. Durch geeignete Assessmentinstrumente und angemessene Fragen können Symptome sowohl quantitativ (z. B. Schmerzstärke bei Ruhe oder Bewegung) als auch qualitativ (z. B., was die Müdigkeit für den Betroffenen bedeutet) systematisch erfasst werden. Es ist besonders wichtig, die individuelle Bewertung bzw. subjektive Deutung der Beschwerden durch die Betroffenen zu verstehen. Eine fürsorgliche Erfassung der Beschwerden bildet die Ausgangsbasis einer professionellen Symptomlinderung. Beschwerden wie Schmerzen, Fatigue, Übelkeit/Erbrechen, Appetitlosigkeit, Obstipation, Atemnot, Mundschleimhautprobleme, Körperbildveränderungen sind die häufigsten Pflegediagnosen im palliativen Kontext. 2. Bei der Symptomlinderung kommen viele interprofessionelle Strategien wie medikamentöse Therapie, psychoonkologische Begleitung u. a. zum Tragen. Die palliative Pflege trägt sowohl durch direkte Pflegeinterventionen (wie z. B. Lagerung, Einreibungen) als auch durch Beratung und Anleitung (z. B. kräftesparende Mobilisation, Ernährung) zur Linderung der Symptome bei. Darüber hinaus überwacht und koordiniert sie Therapien. FO R UM D KG 3 / 0 7 P Ärzte Erg o,A t M st-, un -, K Köc he em 3. Durch kontinuierliche Dokumentation (Tagebuch, Verlaufskurven etc.) kann der Verlauf der Symptome und die Wirksamkeit der Symptomlinderung evaluiert werden (Ergebnissicherung). l rsona epe g fle Spirituelles alpädagogen Sozi usik-, Psychotherap FO R UM DKG 3/07 Seelsorg er Pflegende berühren Menschen – wie kein anderer Beruf; daher ist Berühren und Berührtwerden ein Leitprinzip palliativer Pflege. Es geht um den ganzen Menschen und nicht nur um seine Symptome. r Ho sp iz Spirituelle Bedürfnisse In der Konfrontation mit der Endlichkeit gewinnt die Auseinandersetzung mit Sinnfragen, der Lebensbilanz und der eigenen Spiritualität an Bedeutung. Pflegende geben Raum zum Abschiednehmen von Menschen, Körperteilen und -funktionen, ermutigen zum Leben von Spiritualität oder organisieren seelsorgerischen Beistand. eite egl e rb Soziale Bedürfnisse In der palliativen Situation geht es um die Balance von Rückzug und Integration. Pflegende unterstützen beim Leben von „normalem“ Alltag und beim Pflegen und Herstellen von Kontakten zu Bezugspersonen. Sie sorgen für Ruhe und lenken und begrenzen auf Wunsch Besuch. Haben Betroffene und Angehörige unterschiedliche oder widersprüchliche Bedürfnisse und Sorgen, begleiten Pflegende den Aushandlungsprozess. Sie stärken und stützen Angehörige und integrieren sie so weit wie gewünscht in die Pflege. au Tr r lfe he eut en Patient Soziales Physisches Psychische Bedürfnisse A n ge h ö ri g e Palliative Pflege begleitet die Betroffenen und ihre Familien bei der emotionalen BePsychisches wältigung der vielfältigen Verlusterfahrungen. Betroffene und Angehörige erleben einschneidende Abb. 2 Grenzsituationen und reagieren mit Gefühlen wie Angst, Hilflosigkeit, Kontrollverlust, Hoffnungslosigkeit, Schuldgefühlen, Wut und Ärger. Pflegende ermöglichen das Bedingungen für palliative Pflege Ausdrücken und (Mit-) Teilen von GefühDie Komplexität der Aufgaben verdeutlicht, len, bieten Gespräche an, geben Sicherheit dass palliative Pflege meist eine intensive und Halt in haltlosen Momenten, unterBeziehungsarbeit mit dem Betroffenen und stützen die individuellen Copingstrategien. seinen Bezugspersonen bedeutet. Zur RealiErkennen Pflegende weiteren Hilfsbedarf, sierung müssen vielfältige Voraussetzungen koordinieren sie die weiteren Unterstüterfüllt sein: zungsmaßnahmen. Persönliche Haltung Wesentlich für die Arbeit in der palliativen Pflege ist eine reflektierte Haltung zum Thema Sterben, Tod und Trauer. Dabei geht es um eine Auseinandersetzung mit den eigenen Einstellungen und Gefühlen, Grenzen und Hoffnungen. Diese Selbstreflexion ermöglicht eine empathische Haltung gegenüber den Betroffenen und eine gute Selbstwahrnehmung. Pflegende dürfen keine Angst vor ihren eigenen und den Gefühlen der Betroffenen haben und sollten bereit sein, sich einzulassen und sich auseinanderzusetzen. Ausbildung Um als Pflegekraft in der palliativen Pflege arbeiten zu können, bedarf es einer sorgfältigen Qualifikation: Erstens zum Erwerb breiter Fachkompetenz bezüglich Symtommanagement und allen anderen Bedürfnisbereichen. Zweitens für die gezielte Auseinandersetzung mit der eigenen Haltung und den Erwerb von sozialen und personalen Kompetenzen, die eine emotionale Beziehungsarbeit ermöglichen. Dabei kommt Fähigkeiten zur Problemlösung, Beratung und zum Case Management eine immer größere Bedeutung zu. Aufgaben von Gesundheits- und Krankenpfleger/innen umfassen nach dem neuen Kran- kenpflegegesetz heilende, präventive, rehabilitative und palliative Maßnahmen zur Wiedererlangung, Verbesserung, Erhaltung und Förderung der physischen und psychischen Gesundheit. Bereits in der Ausbildung werden Grundlagen in palliativer Pflege vermittelt und wird eine Auseinandersetzung mit Sterben und Tod initiiert. Die Weiterbildung für Pflegende mit Zusatzqualifikation für Palliative Care ist im SGB V (§37) geregelt. Es werden 160 Stunden Weiterbildung nach einem verbindlichen Curriculum vorgeschrieben. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Symptomen und der emotionalen und spirituellen Begleitung findet dort statt. Die Curricula der Fachweiterbildung für Pflegende in der Onkologie (2 Jahre) integrieren die Inhalte der palliativen Pflege, Krisenbewältigung und Sterbebegleitung. Darüber hinaus gibt es erste Masterstudiengänge, die auf akademischem Niveau für die palliative Pflege qualifizieren. Interprofessionelles Team Neben organisatorischen Rahmenbedingungen ist die Teamarbeit eine zentrale Größe für professionelle palliative Betreuung. Sowohl eine offene und stützende Kommunikation im Pflegeteam als auch eine wertschätzende und kooperative Kommunikation im interprofessionellen Team ist notwendig. Klare und strukturierte Kommunikationswege (Visiten, Fallbesprechungen, Supervision) sind unabdingbar. Aktuelle und zukünftige Organisationsformen Palliative Pflege in stationären Hospizen und Palliativstationen ist weitgehend etabliert. Zur Verbesserung der Versorgung der Gesamtbevölkerung ist die Implementierung des Palliativkonzeptes auf onkologischen Stationen und in der Altenpflege von wesentlicher Bedeutung. Der Aufbau von Palliative-Care-Teams zur Verbesserung der ambulanten palliativen Versorgung hat hohe Priorität und wurde deshalb 2007 gesetzlich verankert (§37b SGB V). Literatur unter www.krebsgesellschaft.de/forum Kontakt: Axel Doll, Dipl.-Pflegepädagoge Fachkrankenpfleger für Onkologie, Beirat der KOK Wannseeschule Berlin Zum Heckeshorn 36 • 14109 Berlin Tel.: 030 80686-412 E-Mail: [email protected] 61 Palliative Care Literatur: BAG Hospiz, Diakonisches Werk der EKD, Caritas Verband: Sorgsam. Qualitätshandbuch für stationäre Hospize. Wupperthal: Hospizverlag, 2004 Bausewein, C, Roller S, Voltz, R: Leitfaden Palliativmedizin. München: Urban und Fischer, 2004 Houldin, A.: Pflegekonzepte in der onkologischen Pflege. Bern: Huber, 2003 Knipping, C. (Hg.). Lehrbuch Palliative Care. Bern: Huber, 2006 Metz, C, Wild, M, Heller A. (Hg.). Balsam für Leib und Seele. Freiburg: Lambertus, 2002 Nagele, S., Feichtner, A.: Lehrbuch der Palliativpflege. Wien: Facultas, 2005 Pleschberger, S, Heimerl K, Wild, M (Hg.): Palliativpflege. Wien: Facultas, 2002 Stähli, A.: Umgang mit Emotionen in der Palliativpflege. Stuttgart: Kohlhammer, 2004 Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin. www.dgpalliativmedizin.de; Sektion Pflege 62 FO R UM D KG 3 / 0 7