Das Altertum und die Wiege der Schrift
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Das Altertum und die Wiege der Schrift
Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Schrift & Typografie Das Altertum und die Wiege der Schrift Die Schriften der Ägypter Ägyptische Hieroglyphen (Quelle : wikipedia.org) Der ›Rindsschädel‹ repräsentiert das ganze Rindvieh Piktogramm für die Notdurft Piktogramm für die Notsituation © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at Der Übergang von der künstlerischen Darstellung der Umwelt zur ersten Schrift dürfte fließend verlaufen sein. Von daher lässt sich die Geburt der Schrift nicht auf ein bestimmtes Jahr datieren sondern muss als fließender Prozess betrachtet werden. Dieser Prozess ist auch keiner der jemals abgeschlossen sein wird. Schrift befindet sich noch immer im Wandel und das wird mit aller Wahrscheinlichkeit auch so bleiben. Die frühesten Formen von Schrift werden im vierten Jahrtausend vor Christus angenommen und zwar parallel bei den Ägyptern am Nil und den Sumerern zwischen Euphrat und Tigris. Bekannt sind die Hieroglyphen der Ägypter. Zunächst stellten diese eine reine Bilderschrift dar. In einer Bilderschrift steht ein bestimmtes figürliches Symbol repräsentativ für das Objekt welches es darstellt oder eine damit verknüpfte Bedeutung – die Zeichnung eines Ochsenkopfes steht beispielsweise repräsentativ für einen Ochsen. Piktogramme sind heute ebenso von Bedeutung wie zu Zeiten der Ägypter. Speziell wer eine Reise tut und sich in einem fremden Kulturkreis mit einer fremden Sprache oder gar einem fremden Schriftsystem – wie in China oder Japan – bewegt, ist auf international verständliche Piktogramme angewiesen. Ansonsten könnte eine Notdurft rasch zur Not und eine Notsituation zur Katastrophe werden. Mit der Zeit haben sich die rein piktographischen Hieroglyphen zu einem ideographischen Schriftsystem weiter entwickelt. In einem Ideogramm werden piktographische Elemente verwendet – teilweise durch Kombination – um komplexere Aussagen zum Ausdruck zu bringen. Beispielsweise steht für die alten Ägypter die Darstellung zweier Beine beim Gehen für den Begriff der Bewegung ganz allgemein. Die Hieroglyphen wie wir sie kennen stellen – entgegen der landläufigen Meinung – keine reine Bilderschrift dar, sondern sind im wesentlichen ein phonographisches Schriftsystem. Dabei werden die Grundbausteine der Sprache, die einzelnen Laute, durch ein bestimmtes Zeichen repräsentiert. Unser lateinisches Alphabet kennt im Wesentlichen 26 Grundbausteine, die 26 Buchstaben. Die Ägypter haben ungefähr 27 Fonogramme verwendet und diese dann mit einer Reihe von Piktogrammen garniert. Beispielsweise hatten die obersten Götter jeweils ein bestimmtes Symbol für sich reserviert und wurden nicht mit schnöden Fonogrammen benannt. Viel scheint sich dabei bis heute nicht geändert zu haben. Wenn wir davon ausgehen, dass der Gott der modernen Welt der Mammon ist, sehen wir, dass unsere Götter noch immer eigene Symbole reserviert haben : $ für den US‑Gott, £ für den englischen Gott, ¥ für den japanischen und € für den europäischen. Wir sprechen in diesem Zusammenhang auch von einem Logogramm. Weitere Logogramme die wir heute in Verwendung haben sind das @-Symbol (für den nachrichtentechnischen Segen des Internet-Gottes), das §-Zeichen für den Gott der Juristen und das & (Ampersand, Kaufmannsund oder Et-Zeichen) für den Gott der Geschäftsleute. Die in Stein geschlagenen Hieroglyphen die in der Nachwelt des Westens so viel Interesse hervorgerufen haben dürfen als Schönschrift der Ägypter verstanden werden. Sie stellten die Monumentalschrift für repräsentative Zwecke dar. Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Schrift & Typografie Hieratische Schrift ; ›Prisse Papyrus‹ (Quelle : wikipedia.org) Für den täglichen Bedarf wurde nicht jede Information in Stein gemeißelt. Stattdessen gab es für diese informellen Zwecke eine Schreibschrift, die hieratische Schrift. Diese wurde mit dem Pinsel auf Binse oder Papyrus geschrieben. Verwendung fand sie im wesentlichen bei Priestern und deshalb bezeichnet man sie auch als ›Priesterschrift‹ bezeichnet. Die hieratische Schrift entwickelte sich um 650 vor Christus zur demotischen Schrift weiter. Diese konnte flüssiger und schneller geschrieben werden und wurde von breiteren Schichten verwendet, weshalb sie auch die ›Volksschrift‹ genannt wird. Insgesamt waren die repräsentativen Hieroglyphen über 3500 Jahre hinweg nahezu unverändert in Verwendung. Dem gegenüber machen sich die gut 500 Jahre unserer Antiqua-Schrift recht bescheiden aus. Die Keilschrift der Sumerer Etwas älter als die Hieroglyphen der Ägypter ist die Keilschrift der Sumerer. Die Entwicklung dieses bedeutenden Schriftsystems lässt sich bis ins Jahr 3500 vor Christus zurück verfolgen und sie gilt somit bislang als die früheste Schriftform. Sie wurde auf Grund ihrer charakteristischen Form ›Keilschrift‹ genannt. Als Schreibwerkzeug verwendete man angespitzte Schilfrohre. Mit diesen wurden die Zeichen in Ton gedrückt. Dadurch entstanden dreiecksförmige Vertiefungen von denen sich der Name ableitet. Die Schrift der Sumerer machte dieselbe Entwicklung durch wie die der Ägypter : von der reinen Bilderschrift über das Ideogramm hin zur Silbenschrift und letzten Endes zur Lautschrift. Verwendung fand die Schrift der Sumerer bis ins Jahr 1800 vor Christus. Die Schrift der Phönizier – die Mutter der modernen Alphabete Die Initialzündung auf dem Weg zu den heute gebräuchlichen Alphabeten gelang im 12. Jahrhundert vor Christus den Phöniziern. Sie entwickelten aus den Schriftsystemen der Sumerer, der Ägypter und der Kreter ein eigenes Alphabet. Es bestehend aus 22 Zeichen. Dieses bildete die Basis für die wichtigsten darauf folgenden Alphabete, die bis heute Verwendung finden : – das griechische Alphabet, – das lateinische Alphabet, – das hebräische Alphabet, – das arabische Alphabet – und darauf aufbauend die indischen Alphabete. Im Laufe der Entwicklung wurden die ursprünglichen Bildzeichen mehr und mehr vereinfacht. Die Zeichnung eines Stierkopfes als Piktogramm für Stier – phöni‑ zisch : ›Haleph‹ – wurde beispielsweise zunehmend abstrahiert bis daraus das Fonogramm für den ersten Buchstaben des phönizischen Alphabets entstanden war. Die Griechen würden später das phönizische Alphabet adaptieren und daraus durch Abwandlung und Hinzufügen neuer Formen das Griechische Alphabet bilden. Aus dem phönizischen Zeichen ›Haleph‹ wird dann im Griechischen ›Alpha‹. Demnach lebt der phönizische Stier noch in unserer heutigen Bezeichnung ›Alphabet‹ weiter. Eine großartige Karriere für ein altertümliches Rindvieh. Dass es ausgewachsene Rindvieher weit bringen können hat sich bis dato nicht geändert. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Schrift & Typografie Vom Rindsschädel über das Zeichen ›Haleph‹ zum lateinischen ›A‹ Durch die Abkehr von der figürlichen Darstellung und das Ausformen reiner, abstrakter Schriftzeichen haben sich die Phönizier die Ehre erworben als die Erfinder der Buchstabenschrift zu gelten. halef bēth gīmel dālet hē wāw zayin hēth tēth yōdh mēm nun sāmekh ayin pē sādē qōph rēš šin tāw kaph lāmedh Das Phönizische Alphabet – Mutter vieler heutiger Weltschriften Das griechische Alphabet Den nächsten Meilenstein auf dem Weg zu unserem lateinischen Alphabet legten die Griechen. Ab dem 14. Jahrhundert vor Christus kochten auch sie ihr eigenes Schriftensüppchen. Das erste Alphabet aus dieser Frühzeit der griechischen Schriftkultur war die ›Linear B‹. Dieses Alphabet war sehr umfangreich und durch komplexe Zeichen mit feinen Details für das schnelle Schreiben auf Tontafeln oder Papyrus nicht geeignet. Zwischen dem sechsten und vierten Jahrhundert wurde es durch ein einfacheres ersetzt, welches aus 24 Zeichen bestand und stark von der Schrift der Phönizier beeinflusst war. alpha beta gamma delta epsilon zeta eta theta iota kappa lamda my ny xi omikron pi rho sigma tau ypsilon phi chi psi omega Das Griechische Alphabet Rom und die Vollendung zur lateinischen Capitalis Inschrift auf der Trajansäule (Quelle : wikipedia.org) © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at Im dritten Jahrhundert vor Jesus haben dann die jungen Römer in Italien und später in weiten Teile Europas und des mittleren Ostens aufgeräumt. Wie jede Weltmacht die etwas auf sich hält und Macht bleiben möchten, waren auch sie auf ein vernünftiges und einheitliches Schriftsystem angewiesen – damit Handel und Militär florieren konnten. Und wie es sich für einen g’scheiten Eroberer gehört hat man in den unterworfenen Ländern nicht nur Gold und Gut geplündert sondern brauchbare Errungenschaften der Kultur gleich mit. Die Römer haben sich also gesagt »Och, die griechische Schrift sieht eigent‑ lich ganz nett aus. Daraus lässt sich doch sicher ein schönes lateinisches Alphabet basteln. Das wird dann Standard für Rom und den Rest der Welt.« Schrift & Typografie Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Gesagt, getan – auch wenn das nicht über Nacht gegangen ist. Aber rechtzeitig zum Beginn unserer Zeitrechnung war die ›Römische Quadrata‹ dann ausgegoren. Ihre Vollendung erreichte diese Schrift in der ›Quadrata Monumentalis‹. Der bekannteste Träger dieser Schriftform ist die ›Trajansäule‹ auf dem Prachtforum des Kaisers Trajan in Rom aus dem Jahr 113 – nach Christi Geburt. Die römische ›Capitalis Quadrate‹ in der digitalen Neuauflage ›Adobe Trajan‹ Trajansäule in Rom (Quelle : wikipedia.org) Serifen © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at Die ›Quadrata Monumentalis‹ wurde von Schriftkünstlern mit Hammer und Meißel in Stein geschlagen. Das dürfte um einiges anstrengender gewesen sein als Text mit dem Finger in die Tastatur zu hacken (was für eine Aufgabe, ein Skriptum über Typografie in Stein zu hauen ! Da würde ich mir – und Ihnen – wohl einige Sprüche ersparen ! ) Durch diese Technik dürften die Ausformungen an den Ansätzen der Buch staben entstanden sein – wir nennen diese Füßchen Serifen. Der aufmerksame Leser wird feststellen, dass diese Anstriche bis in die heutige Zeit überlebt hat. Die Schrift die Sie gerade lesen ist ein moderner Nachfahre der ›Quadrata Monumentalis‹ und trägt Serifen wie diese. Ebenso lässt sich unschwer erkennen, dass sich die Formen der Buchstaben sich bis heute so gut wie gar nicht verändert haben – auch wenn drei Buchstaben die wir verwenden im Alphabet der Lateiner noch nicht vorhan‑ den waren. ›Monumentalis‹ heißt die Schrift weil Sie primär für repräsentative Zwecke Verwendung fand – oft auf Monumenten. ›Quadrata‹ leitet sich davon ab, dass das Quadrat der Grundbaustein zur Konstruktion der Buchstaben war – die Proportionen sind vom Quadrat (C, D, G, etc.) und von seiner Halbierung (B, E, F, etc.) abgeleitet. Zwar wurde dieses Alphabet zwischen dem 3. und 15. Jahrhundert nicht verwendet, aber die Drucker im Italien des Mittelalters haben die perfekte Qualität der Formen wieder entdeckt und als Vorbild für die Entwicklung der Großbuch‑ staben für ihre Druckschriften heran gezogen. Die Vollendung der Form und der Proportionen dieser Buchstabenschrift ist der abschließende Schritt zur Entwicklung des modernen lateinischen Alphabets. Auf jeden Fall auf dem Weg zu den Großbuchstaben. Vielleicht ist es Ihnen bereits aufgefallen : die bisher aufgezeichnete Geschichte der Buchstaben lässt noch kaum Kleinbuchstaben erkennen. In den ersten 4000 Jahren über die hinweg sich Schrift entwickelt hat ist kein Mensch auf die absurde Idee gekommen dass man die Notation von Sprache dadurch verkomplizieren könnte, dass man zwischen ›Groß- und Kleinbuchstaben‹ unterscheidet. Dieser Schmarren ist erst in den Schreibstuben des Mittelalters entstanden. Wir müssen hier für einen Moment in der Geschichte der Schrift bei den Römern pausieren und uns diesen Umstand näher betrachten. Die Schriften des Altertums bestanden aus einem einzigen Alphabet. Das hat einen ganz einfachen Grund : es gibt keine Notwendigkeit dafür, ein Schriftsystem in zwei Gruppen von Zeichen zu splitten die den selben Laut repräsentieren, wie Schrift & Typografie Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift es im heutigen Alphabet der Fall ist. Im Grunde genommen verkompliziert das die Angelegenheit nur. Deshalb haben die Reformer des 20. Jahrhunderts auch nicht unrecht wenn Sie diesen grundsätzlichen Unfug abschaffen wollen und die konsequente Schreibung in Kleinbuchstaben propagieren. Es ist jetzt Zeit die ersten Fachbegriffe zur Bezeichnung von Buchstaben vorzu‑ stellen : Wir hatten es bisher mit Großbuchstaben zu tun. In der Schule haben wir diese ›Blockbuchstaben‹ genannt. Der Schriftenfachmann und Typomane nennt Zeichen dieser Kategorie ›Versalie‹ oder ›Majuskel‹. Diese Bezeichnungen werden nicht nur für Buchstaben angewendet, sondern auch für Zahlen. Versalbuchstaben (Majuskeln) und Versalziffen (Majuskelziffern) Versalbuchstaben finden ihren Ursprung in der zuvor beschriebenen und gezeigten römischen ›Capitalis‹ (der Engländer nennt diese Form auch ›Caps‹ ; bei uns deutsch sprechenden Menschen hat Bezeichnung ›Capitalis‹ bei den ›Kapitälchen‹ ihre Fortführung gefunden). Gemeine (Minuskeln) und Minuskelziffern (oder Mediävalziffern) Als Gegenstück zu Versalien kennen wir Kleinbuchstaben. Natürlich braucht der Kundige auch dafür eine fachchinesische Bezeichnung um zu demonstrieren, dass er wahrhaft kundig ist. Anstatt Kleinbuchstaben sagt er ›Gemeine‹ (gemein dürfte in diesem Zusammenhang von gewöhnlich stammen und nicht eine Form der Bösartigkeit unterstellen). Außerdem spricht er bei Kleinbuchstaben auch von ›Minuskeln‹ was wiederum nicht nur die Kleinbuchstaben, sondern auch eine bestimmte Form der Zahlen mit einschließt. Die gemeinen Kleinbuchstaben haben sich bei den Römern zunächst noch nicht abgezeichnet. Erst mit der Unziale kann man die Wurzeln der Kleinbuch staben erkennen. Diese Form musste bis ins Mittelalter hinein gären. Wir modernen Westler haben es bei der lateinischen Schrift nicht mit einem harmonisch gewachsenen und abgestimmten Alphabet zu tun. Vielmehr verwenden wir ein Schriftsystem bei dem mit Versalien und Gemeinen zwei unter‑ schiedlich entstande Schriften gemischt werden. Diese beiden passen im Grunde nicht zusammen. Die einen stammen vom meißeln und wirken statisch (Versalien), die anderen stammen vom Schreiben mit der Hand und haben einen dynamischen Charakter (Gemeine). Aber damit noch nicht genug : Die alten Römer haben Zahlen und Summen mit Buchstaben dargestellt : I, II, III, IV usw. Im Verlauf der Geschichte hat sich gezeigt, dass das Dezimalsystem der Araber und Inder für Zahlen viel effizienter ist um Beträge und Summen darzustellen. Also wurden die indich-arabischen Ziffern adaptiert und soweit möglich dem lateinischen Schriftsystem angepasst. So sind wir zu 1, 2, 3, 4 usw. gekommen. Das bedeutet, dass wir Zeichen für Groß- und Kleinbuchstaben sowie Zahlen verwenden die aus drei verschiedenen Quellen stammen. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at Schrift & Typografie Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Ich glaube abber gerade diese Unzulänglichkeit macht den Charme unseres lateinischen Schriftsystems aus (und ich würde wohl den Rest meines Lebens traurig sein, wenn sich Reformer durchsetzten und uns die Versalien weg rationa‑ lisieren würden). Beenden wir hier also unseren Blick in die (aus damaliger Sicht) Zukunft und bleiben wir im alten Rom. Die Römer kannten weder ›Krieg und Frieden‹ noch ›Harry Potter‹ und für die Anwendung zu Lobhudeleien und Ehrengesängen war die ›Quadrata Monumentalis‹ ausreichend lesbar (›Der Herr der Ringe‹ möchte ich nicht lesen müssen, wenn er ausschließlich mit Versalien geschrieben wäre). Ihre ›Quadrata‹ war vor allem eines : Schön. (So schön, dass Carol Twombly für Adobe daraus einen Font mit dem Namen ›Trajan‹ für den Computer gestaltet hat) Für den täglichen Gebrauch war sie zu umständlich. Schließlich konnte man ja nicht jeden Lohnzettel für die Soldaten in Stein meißeln. Da hätten die armen Römer schön geschaut, wenn sie Belege aus Marmor mit in die Schlacht hätten tragen müssen. Deshalb haben sich die Römer eine informelle Schrift gegönnt die sich flüssig mit dem Stift von Hand schreiben ließ. Neben der ›Quadrata Monumentalis‹ wurde bereits im zweiten Jahrhundert nach Christus eine einfachere Schrift geschrieben, die ›Capitalis Quadrata‹. Bis ins dritte Jahrhundert hinein war daraus dann die ›Capitalis Rustica‹ entstanden, die bereits einen deutlich handschriftlichen Duktus hatte (Duktus : Charakter der Buchstabenformen, beispielsweise die Art der Strichführung, Strichstärkenunter‑ schiede, Neigung der Achsen, handschriftlich, gezeichnet oder geschrieben, usw.) Römische ›Capitalis Rustica‹ in der digitalen Version von Adrian Frutiger : ›Pomejana‹ Es ist unschwer zu erkennen, dass diese Schrift die handschriftliche Variante der ›Quadrata Monumentalis‹ auf der Trajansäule darstellt. Von Bedeutung ist die Entwicklung dieser handschriftlichen Variante der römischen Schrift deshalb, weil sich daraus im Laufe der folgenden Jahrhunderte eine ganze Reihe an Kursiven entwickelt haben. Was aber ist denn nun schon wieder eine ›Kursive‹ ? Kursive kommt vom lateinischen ›currere‹ was so viel wie ›laufen‹ bedeutet. Kursive Schriften lassen einen handschriftlichen Grundcharakter erkennen. Meist sind sie leicht geneigt. Allerdings gibt es auch Kursiven die nicht oder kaum geneigt sind. Bis ins vierte Jahrhundert entwickelte sich die römische Handschrift zur ›römischen Kursive‹ weiter. Diese lässt bereits Formen erkennen, die dann bis zur ›humanistischen Kursive‹ des Mittelalters den Grundstein für unsere Klein buchstaben gelegt haben. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Schrift & Typografie Das Mittelalter Die Unziale und die Geburt der Oberlängen Die Unziale, die ab dem zweiten Jahrhundert entstanden ist, wurde bis zum sechsten Jahrhundert verwendet. Sie ist keine Monumentalschrift, sondern eine frühe Buchschrift. Römische Unziale Ober- und Unterlängen (irgendwie wie das Leben : ein ewiges Auf und Ab) Die Schreiber der Unziale verzichteten weitestgehend auf Serifen und führten erste Ober- und Unterlängen ein, die im weiteren Verlauf charakteristisch für ›Minuskelschriften‹ werden sollten. Überhaupt sind die Formen der späteren ›Gemeinen‹ in vielen Buchstaben bereits deutlich erkennbar. Vom siebten bis zum elften Jahrhundert zerwuselte sich die Schriftkultur (in Europa) in zahlreiche Nationalschriften. Das Problem dabei war, dass ein Schrift‑ kundiger einer Nationalschrift nicht unbedingt eine andere lesen konnte. Überset‑ zungsfehler waren zwangsläufig die Folge. Ein äußerst folgenreicher Übersetzungsfehler plagt bis heute die armen Musikanten. Während der Engländer die Noten A, B, C, D, E, F und G kennt, lautet das Notenalphabet in deutschen Landen A, H, C usw. Irgendein schlauer Mönch hatte einfach ein B für ein H gelesen und die Übersetzung dementsprechend vorgenommen. Man kann wohl nicht sagen, dass man dem kein X für ein U vormachen konnte. Aber mitdenken war immer schon nicht Jedermanns Sache. Karl der Große und die kleinen Gemeinen Karl der Große erkannte das Problem eines fehlenden Standards von Schrift für die Kommunikation seiner Zeit. Und da – wir wir ja bereits gehört haben – eine reibungslose Kommunikation das Um und Auf für eine erfolgreiche Machtpolitik ist, ließ er diesen Standard im achten Jahrhundert schaffen und einführen. Das Resultat war die ›Karolingische Minuskel‹. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Schrift & Typografie Karolingische Minuskel (›Carolingia‹ ; William Boyd ; Freefont) Karlchen selbst konnte übrigens nicht schreiben, dürfte jedoch nicht der einzige Analphabet geblieben sein, der es bis ans Ruder eines Weltreichs gebracht hat. Seine Schrift überdauerte sein Leben um ein Langes und blieb bis ins späte elfte Jahrhundert in Verwendung. Dann wurde sie durch eine Entwicklung aus den Niederlanden verdrängt – die ›gotische Minuskel‹. Die Geschichte der deutschen Schrift und ihr bitteres Ende Im 14. Jahrhundert spaltete sich die ›gotische Minuskel‹ in zwei Zweige auf, die zunächst einmal noch sehr ähnlich wirken. Rotunda (›Weisz Fraktur‹) Den einen Ast bildete die ›Rotunda‹ die vor allem in den südlichen Ländern sehr beliebt war, wo das leben weich und rund verläuft. Aus der Rotunda entwickelte sich bis ins 15. Jahrhundert die ›humanistische Kursive‹ die dann wiederum von den ersten Druckern in Italien, gemeinsam mit der ›Quadrata Monumentalis‹ zum Vorbild der ›Antiqua‹ wurde. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Schrift & Typografie Textur (›Cloister Black‹) In den Ländern des Nordens hingegen – wo sich der Spaß aufhört und der Wind rauer weht – war etwas Zackigeres gefragt. Hier wurde die geradlinigere Textur vorgezogen. Besonders im Mutterland der Typografie – Deutschland, wo Guten‑ berg den Druck mit beweglichen Lettern erfinden sollte – entwickelte sich diese Schriftart bis ins 20. Jahrhundert weiter. Während sich im Rest der Welt nach und nach die Antiqua durchsetzen konnte, wurde hier diese Schriftform gehegt und gepflegt. Schon bald wurde sie als die deutsche Schrift betrachtet und für alles was deutsche Literatur war bevorzugt eingesetzt. Selbst Goethes Mutter soll sich beschwert haben als eines der Werke ihres Sohnes in einer Antiquaschrift veröffentlicht wurde. Schwabacher (›Alte Schwabacher‹) © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Schrift & Typografie Fraktur (›Fette Fraktur‹) Bei näherer Betrachtung hat diese Schriftform durchaus ihren Reiz und ihre Vorzüge. Während es in der Antiqua nie ganz gelang Versalien und Gemeine formal unter einen Hut zu bringen wirken Groß- und Kleinbuchstaben in gebrochenen Schriften sehr viel homogener. Dass die gebrochenen Schriften – wie die Textur und ihre Kinder auch genannt werden – gerade für Leute im deutschen Kulturkreis so abschreckend wirkt ist ein Verdienst der Nazis. In ihrer verbohrten Deutschtümelei haben sie über Jahre ihrer Schreckensherrschaft hinweg die gebrochenen Schriften als typisch Deutsch propagiert. Allerdings haben sie in den späteren Jahren des ›Tausendjährigen Reichs‹ erkannt, dass eine internationale Weltmacht nicht ohne internationale Schrift auskommt. So kam es, dass die Strategen der nationalsozialistischen Ideologie die gebrochenen Schriften als ›Judenlettern‹ entlarvt und auf die Antiqua umgeschwenkt haben. Für den Ruf der gebrochenen Schriften kam diese Erkenntnis zu spät – diese haben den Ruf als Nazischriften weg und werden sich von diesem Image-Schaden wohl nie wieder erholen. Gutenberg und die Geburt der modernen Typografie Gutenberg und die beweglichen Lettern Johannes Gensfleisch zur Laden zum Gutenberg (Quelle : wikipedia.org) © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at Johannes Gensfleisch zur Laden zum Gutenberg wird landläufig als der Erfinder der Buchdruckerkunst gehandelt. Seine Leistung in allen Ehren, aber mit dieser Ehre reißt sich das Abendland wieder einmal eine großartige Erfindung unter den Nagel die anderswo schon früher gemacht wurde. Möglicherweise haben die ersten Drucke im China des sechsten Jahrhunderts stattgefunden. Belegt ist diese Behauptung aber derzeit nicht. Die gewiefte Idee mit den beweglichen Lettern dürfte zuerst den Koreanern gekommen sein. Eine Abhandlung über buddhistischen Zen aus dem Jahr 1377 gilt heute als das älteste bekannte Buch das mit beweglichen Lettern gedruckt wurde. 10 Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Schrift & Typografie Gutenberg-Bibel (Quelle : wikipedia.org) Dies soll aber den Verdienst Gutenbergs nicht schmälern. Seine besondere Leistung bestand darin den Druck mit ›beweglichen Lettern‹ (Lettern sind die Zeichen, auch ›Typen‹ genannt) so weit perfektioniert zu haben, dass damit auch tatsächlich Bücher gedruckt werden konnten. Dabei war es nicht der Vorgang des Druckens selbst der diesen entscheidenden Durchbruch brachte, sondern ein Verfahren zum Gießen der Typen. Gutenberg war von Berufs wegen Goldschmied. Diese Fertigkeit dürfte ihm dabei wohl zugute gekommen sein. Zwischen 1452 und 1454 druckte Gutenberg in Mainz auf Basis seines neu entwickelten Verfahrens ca. 180 Exemplare seiner berühmten 42-zeiligen GutenbergBibel. Gutenbergs Vorbild waren dabei die kunstvoll handgeschriebenen Bücher aus den Schreibstuben der Mönche. Deshalb verwendete er auch nicht nur je 26 Klein- und Großbuchstaben, sondern setzte die Texte mit einem Zeichensatz von 290 Einzeltypen. Zusätzlich wurden farbige Initialen nachträglich von Hand eingefügt. Gutenberg-Fraktur Das grundlegende Verfahren des ›Setzens‹ von Werken hat sich bis in die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts gehalten und wurde erst durch die digitale Revolution endgültig verdrängt. Die Terminologie des händischen Setzens jedoch konnte sich weitgehend in die neue Zeit des Setzens am Computer hinein retten. Aufbau und Bezeichnungen der Lettern Damit wir die weitere Entwicklung der Schriftformen verstehen und benennen können, ist es jetzt an der Zeit sich mit der Anatomie der Buchstaben zu befassen und eine Reihe von Begriffen einzuführen. In Zeiten des Bleisatzes befanden sich die Lettern auf einzelnen Stempeln. Den Bleistift auf dem sich die Letter befindet nennt man den Schriftkegel. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 11 Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Schrift & Typografie Schriftbild Fleisch, Vorbreite Fleisch Fußrille Kegelgröße (Schriftgröße, Schriftgrad) Grundlinie Fleisch Fleisch, Nachbreite Signatur Dickte (Buchstabenbreite) Bleiletter Im ›Winkelhaken‹ wurden die Bleilettern ‘one by one’ aneinander gereiht. Der Buchstabenabstand ergab sich dabei von selbst durch das ›Fleisch‹ links und rechts des Buchstabens. Wollte man den Abstand erhöhen, wurden kleine Metall plättchen – sogenannte Spatien ; Einzahl : Spatium – zwischen den Buchstaben kegeln eingefügt. Daher stammt der Begriff ›spationieren‹. Komplizierter noch als die Erhöhung des Buchstabenabstandes war die Verminderung. Um Buchstaben enger aneinander zu setzen als es der Bleikegel erlaubte, musste man Material aus den Kegeln heraus schneiden – kernen. Daher rührt der Begriff Unterschneidung (Kerning). Die Begriffe Fußrille und Signatur sind für den digitalen Satz nicht mehr länger von Bedeutung. Wohl aber der Begriff ›Dickte‹ der die Breite eines Buchstabens zuzüglich des ›Fleisches‹ links und rechts bezeichnet. Besonders wichtig in diesem Zusammenhang ist auch zu wissen, dass die Schriftgröße (oder professioneller ausgedrückt : ›Schriftgrad‹) nicht durch die Höher der Buchstaben bestimmt wird, sondern durch die Höhe des Kegels auf dem Sie stehen. Das heißt, dass zur Höhe der Lettern noch das Fleisch oberhalb der Buchstaben und unter der Schrift linie zu zählen ist. Das Fleisch unterhalb der Grundlinie ist deshalb so großzügig bemessen, weil hier Platz für die Unterlängen sein muss. Nun gut. Zu was wir jetzt kommen ist das was man als harten Tobak bezeichnen könnte – typografischer Hard Core sozusagen. Man kann in der Typografie zwar ganz gut überleben, wenn einem nur die wichtigsten Begriffe geläufig sind, aber ein paar Begriffe die Anatomie der Buchstaben betreffend sollten auf jeden Fall geläufig sein. Es ist wie in der Musik : man braucht die Theorie nicht um gute Musik spielen zu können. Es erleichtert aber die Kommunikation mit den Kollegen, wenn man weiß was ein A oder ein D-Major-7-Akkord ist. Und um die Schulung des Auges kommt man in der Typografie ebenso wenig herum wie um die Schulung des Ohrs in der Musik. Werfen wir einen Blick auf eine Übersicht über verschiedene Buchstaben‑ formen und deren Bezeichnung. Anschließend betrachten wir uns die wichtigsten Begriffe – in alphabetischer Reihenfolge. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 12 Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Schrift & Typografie Haarlinie Auslauf Hauptstrich / Stamm / Schaft Strichdicken-Achse Anstrich / Ansatz Kopfserife Fähnchen Bauch Aufstrich Kopfserife Abstrich Überhang Bogen Tropfen Bogen Fußserife Bauch Fußserife Punze Zeilenabstand Grund- Steg Punze linie / Schriftlinie Durchschuss Unterlänge Tropfen Diagonale Querstrich Oberlänge Versalhöhe Gemeine / Ligatur Minuskeln / Kleinbuchstaben Versalie / Majuskel / Großbuchstabe x-Höhe Schriftgrad / Kegelgröße / Schriftgröße Unterlänge Serife Grundlinie / Schriftlinie Versalziffern / Majuskelziffern Mediävalziffern / Minuskelziffern Tabellenziffern (Echte) Kursive Proportionale Ziffern (Echte) Kapitälchen Spatium Spatium Spatium ½ Geviert Geviert 1⁄3 Geviert ¼ Geviert Anstrich Der Anstrich entsteht beim Schreiben mit der Feder durch das Ansetzen dieses Schreibwerkzeuges. Die Form der Anstriche ist ein zentrales Kennzeichen zur Zuordnung einer Antiqua-Schrift zu einer bestimmten Schriftgruppe. Antiqua Als Antiqua bezeichnen wir eine Schriftart die als eine Art Mixtur aus ›Quadrata Monumentalis‹ und ›Humanistischer Kursive‹ entstanden ist. Charakteristisches Merkmal der Antiqua sind die Serifen und die unterschiedlichen Strichstärken für waagrechte und senkrechte Linien. Antiqua-Schriften werden auch als SerifenSchriften bezeichnet. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 13 Schrift & Typografie Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Gemeine Als Gemeine bezeichnet man die Kleinbuchstaben des lateinischen Alphabets. Die Formen der Gemeinen sind aus der mit der Feder von Hand geschriebenen ›Humanistischen Minuskel‹ aus dem 15. Jahrhundert entstanden. Geviert In den Zeiten des Bleisatzes wurden Abstände zwischen Zeichen, Worten und Zeilen durch Einfügen nicht druckender Teile erreicht – meist aus Metall. Abstände im Lauf der Zeilen beziehen sich in der Regel auf das Geviert. Das Geviert ist ein nicht druckender Teil in Form eines Quadrates das dem Schriftgrad (also der Schriftgröße) entspricht. Bei einem Schriftgrad von 10 Punkt beträgt die Breite des Gevierts 10 Punkt. In der klassischen Typografie werden Erstzeileneinzüge für neue Absätze mit einem Geviert eingezogen (persönlich bevorzuge ich aber einen Einzug der dem Zeilenabstand entspricht). In vielen Schriften ist das gemeine m ein Geviert breit, weshalb ein Geviert auch als ein ›em‹ bezeichnet wird. Das Geviert ist des Weiteren oft so breit wie zwei Ziffern (›00‹). Von der Breite des Gevierts leitet sich der Geviertstrich ab. Dieser ist zuzüglich Vor- und Nachbreite ungefähr so Breit wie zwei Ziffern und kann deshalb in Tabellen als Alternative für die Schreibweise ›00‹ verwendet werden. Da ich ein Kind der digitalen Typografie bin, kann ich nicht beurteilen in wie fern diese Werte in Zeiten des Bleisatzes zuverlässig waren. In digitalen Schriften und in Satzprogrammen sind diese Werte nicht immer zuverlässig, d. h. ein Geviertstrich ist nicht immer so breit wie ein Geviert und dieses wiederum entspricht nicht immer zwei Ziffern. Von Bedeutung für den Textsatz sind außerdem folgende Teile die sich auf das Geviert beziehen : 1/2-Geviert Das 1/2-Geviert entspricht der Hälfte des Schriftgrades. Bei Tabellenziffern entspricht diese Breite oft der Breite einer Ziffer entsprechen. Von ihm abgeleitet würde man den 1/2-Geviertstrich vermuten ; er ist aber meist breiter als ein halbes Geviert. 1/3-Geviert Das 1/3-Geviert entspricht ungefähr dem idealen Wortabstand. Allerdings ist der Wortabstand von der Schrift abhängig und sollte normalerweise individuell angepasst werden. Die Empfindung was der ideale Wortabstand ist hat sich über die Jahrhunderte geändert. In der Renaissance wurde enger gesetzt als in späteren Epochen. 1/4-Geviert und 1/8-Geviert Auch diese beiden Teile beziehen sich natürlich auf das Geviert. Ich persönlich setze das 1/8-Geviert gerne ein um Maßeinheiten von Zahlen (z. B. 100 m oder 12 %) und die Satzzeichen › ;‹ › :‹ › !‹ und › ?‹ vom vorhergehenden Wort zu trennen – z. B. Achtung ! Grundlinie Die Grundlinie ist die Zeile auf der die Buchstaben stehen. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 14 Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Schrift & Typografie Strichstärkenunterschiede ; sind die Strichstärken für waagrecht und senkrecht identisch (links), wirken sie unterschiedlich Haarlinie Als Haarlinien werden die waagrechten Linien und Querbalken der Lettern bezeichnet. Durch den Einsatz der Feder beim Schreiben entstehen Strichstärkenunterschiede zwischen Waagrechten und Senkrechten ganz automatisch. Dieser Duktus wurde von den frühen Stempelschneidern zur Entwicklung der Antiqua übernommen. Der Unterschied zwischen Haarlinien und Hauptstrich ist eines der wichtigsten Merkmale um Schriftengruppen zu bestimmen. Unterschiede in der Strichstärke von waagrechten und senkrechten Linien sind essentiell für die ästhetische Qualität von Schrift im Allgemeinen. Werden Buchstaben mit identischen Stärken von Haarlinie und Hauptstrich gezeichnet erscheinen die senkrechten dem Auge des Betrachters als unterschiedlich. Die Waagrechte wirkt kräftiger und zu schwer für die tragenden, senkrechten Linien. Aus diesem Grund haben auch die konstruierten Schriften des Bauhauses aus dem frühen 20. Jahrhundert nicht funktionieren können. In der Abbildung sehen wir auf beiden Feldern ein H. Beim linken sind alle Linien von gleicher Stärke (7,5 mm) – der Querstrich wirkt fetter als die beiden waagrechten Balken. Beim rechten hingegen ist die Stärke des Querbalkens auf 6,75 mm verringert – die Strichstärken scheinen ausgewogen. Hauptstrich Der Hauptstrich ist der Gegenspieler der Haarlinie und verläuft senkrecht. Kapitälchen Kapitälchen sind Versalien mit der optischen Höhe von Gemeinen. Meist ragen Sie etwas über die x-Höhe hinaus um eine adäquate Wirkung zu erzielen. Echte Kapitälchen sind in ihren Strichstärken an die Strichstärken von Gemeinen und Versalien angepasst und etwas breiter gezeichnet als Versalien. Kapitälchen können nicht einfach durch das verkleinern von Versalien erzeugt werden, denn dadurch passen Strichstärken und Proportionen nicht mehr zur Grundschrift. Echte Kapitälchen erfordern in der Regel einen eigenen Schriftsatz – im digitalen Zeitalter als Expertfont bezeichnet. 1 2 3 4 1. Grundschirft ; 2. echte Kapitälchen ; 3. falsche Kapitälchen ; 4. Vergleich In der Illustration sehen wir zuoberst die Grundschrift mit Versalien und Gemeinen. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 15 Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Schrift & Typografie Die zweite Zeile zeigt die selben Buchstaben als Versalien und Kapitälchen. Strichstärken und Proportionen wirken ausgewogen. Die dritte Zeile zeigt falsche Kapitälchen. Der Computer hat den Wunsch des Anwenders sklavisch erfüllt und die Versalien auf Kleinbuchstabenhöhe verkleinert. Diese falschen Kapitälchen scheinen mager und schwächlich – die Versalien wirken im Verhältnis wie Initialen. Wer seine Typografie verschönern will erreicht dadurch das Gegenteil. In der abschließenden Zeile sind generierte Kapitälchen als rote Outline über echte Kapitälchen (weiße Fläche) gelegt. Kursive Eine solide Schriftfamilie besteht in der Regel aus (mindestens) vier Schrift schnitten : einer normalen (gerade stehenden) Schrift, einer Kursiven (manchmal auch Italic oder Oblique ; wobei letzteres keine echte Kursive ist), einer Fetten (manchmal nur Halbfett, oft auch Bold genannt) und einer fetten Kursive (oder Bold Italic). Auch die Antiqua hat handschriftliche Wurzeln. Bei der Kursiven sind diese Wurzeln jedoch viel deutlicher erkennbar, nicht zuletzt daran, dass eine Kursive normalerweise mehr oder weniger stark geneigt ist. Eine echte Kursive zeichnet sich jedoch nicht nur durch ihre Neigung aus. Es ist vielmehr ihr weicherer und runderer Charakter der sie von der geradestehenden unterscheidet. Minion Regular Minion Italic Minion Regular verschieft Myriad Regular Myriad Italic Myriad Regular Frutiger 55 Regular Frutiger 56 Italic Gerade stehende, kursive und verschiefte Schriften In der Abbildung sehen wir Schriftschnitte aus drei Schriftfamilien. In der ersten Zeile sehen wir die Minion Pro im normalen Schnitt. Charakteris‑ tisch für eine Antiqua das oben offene ›a‹ und das zweischlaufige ›g‹. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 16 Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Schrift & Typografie Weiß : verschiefte Frutiger ; Schwarz : Frutiger Italic Wenn wir diese Zeile mit der zweiten vergleichen sehen wir, dass das ›a‹ in der Kursiven eingeschossig geworden ist. Deutlich runder fallen auch ›b‹, ›g‹ und ›e‹ aus, das ›f‹ hat eine Unterlänge bekommen. Außerdem können wir feststellen, dass die Kursive etwas schmaler läuft, eben‑ falls typisch für echte Kursiven. Die elektronisch verschiefte Form in der dritten Zeile zeigt natürlich nichts mehr von dieser Handschriftlichen Qualität. Abgesehen davon geht hier die formale Ästhetik ohnehin aus dem Leim. In der vierten Zeile sehen wir eine serifenlose Schrift – die Myriad Pro. Auch hier lässt sich unschwer die deutlich weichere Form der Kursiven erkennen ; vergleiche ›a‹, ›b‹, ›g‹ und ›e‹. Der verschieften Form fehlen die handschriftlichen Formen. In den abschließenden beiden Zeilen sehen wir Adrian Frutigers ›Frutiger‹. Bei den serifenlosen Schriften wurde lange Zeit von den meisten Schriftdesignern auf eine echte Kursive verzichtet. Manche Schriftenhäuser drehten den arglosen Designern sogar sogenannte Oblique-Schriftschnitte als schräg stehende Aus zeichnungsschriften an. Der Käufer ist im Grunde genommen der Beschissene, da er für diese elektronisch verschieften Oblique-Schnitte so viel bezahlt wie für eine aufwändig entwickelte Kursive – im besten Fall unterscheidet sich dieser Font von einer am Computer erstellten Verschieften noch durch eine Anpassung der Buch‑ stabenabstände zueinander. Das elektronische Verschiefen von Schriften stellt in Lesetextgrößen am Bild‑ schirm kein Problem dar – so lange es sich um serifenlose Schriften handelt (von kursiven Antiquas in Lesetextgrößen auf Bildschirmen sehen wir ohnehin am besten ab). In Drucksachen möchte ich Ihnen von verschieften Groteskschriften nicht recht abraten, auch wenn mich jetzt einige vermeintliche Typografen dafür prügeln werden. Ich bin mir sicher, dass kein Mensch auf der Welt eine verschiefte Frutiger in 12 Punkt von der Frutiger Italic unterscheiden kann (wir sprechen hier nicht von der ›Frutiger Next‹, die mit einer wirklich echten Kursiven angeboten wird). Bei Antiqua-Schriften sollte auf eine Verschiefung grundsätzlich verzichtet werden. Noch etwas zu Frutiger Italic in der Abbildung : es handelt sich dabei nicht um eine schief gestellte Geradestehende, auch wenn die Unterscheidung dem Laien schwer fallen dürfte. Legt man eine verschiefte und die Italic übereinander, sieht man, dass hier nachgearbeitet wurde um unschöne Verzerrungen zu verhindern. Glücklicherweise sind die Zeiten in denen die Kursiven für serifenlose Schriften so stiefmütterlich behandelt wurden vorbei – wie die Myriad beweist. Ligaturen können viele Formen annehmen Ligatur Von Ligaturen spricht man, wenn zwei Buchstaben zu einem einzigen verschmelzen. Beispielsweise stellt das deutsche ß eine Ligatur aus langem s und z dar. Am häufigsten sind die Ligaturen fl, ffl, fi und ffi – diese sind standardmäßig in jedem besseren PostScript-Zeichensatz enthalten. Wie unten abgebildet gibt es aber auch andere Ligaturen. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 17 Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Schrift & Typografie Mediävalziffern Es wurde bereits erwähnt, dass unsere Groß- und Kleinbuchstaben aus zwei verschiedenen Quellen entstanden sind. Ebenfalls bereits gehört haben wir, dass die Ziffern einer dritten Quelle entspringen. Die frühesten Belege stammen aus Indien aus dem dritten Jahrhundert vor Christus. Deshalb passen die Zahlen Formal nicht ohne weiteres zu unserem lateinischen Alphabet. Die Zahlen an die wir denken und die die meisten von uns automatisch schreiben nennt man Versalziffern. Versalziffern sind meist so hoch wie Versalien – oder nur dezent kleiner – und verhalten sich demnach auch wie Versalien. Das heißt eine Zahl ›1609837‹ in einem Mengentext zieht in einem Mengentext formal so viel Aufmerksamkeit auf sich wie ›ACHTUNG‹. Ein Satz mit vielen Zahlen ergibt demnach ein ziemlich zerschlissenes, unschönes Satzbild – einen fleckigen Grauwert. Der brave Typograf umschifft diese Unzulänglichkeit in dem er Mediävalziffern verwendet. Mediävalziffern sind im Mittel so hoch wie die Gemeinen und haben wie diese Ober- und Unterlängen. Dadurch fügen sie sich harmonisch ins Satzbild ein und ›1609837‹ wirkt dann wie ›Achtung‹. Ziffern: ���������� Mediävalziffern ; passen harmonischer zur Groß-/Kleinschreibung Mediävalziffern sind aber nicht ›von Natur aus‹ die besseren Ziffern. Wenn Sie einen Text in Versalien setzen, dann sollten Sie diese nicht mit Mediävalziffern mischen, sondern stattdessen die Versalvariante verwenden. ZIFFERN: ��������� ZIFFERN: Oben : Veralien und Mediävalziffern ? Besser nicht ! Unten : Wer in Versalbuchstaben setzt, sollte auch Versalziffern verwenden Oberlänge Als Oberlänge bezeichnet man jene Buchstabenteile die bei manchen Buchstaben über die x-Höhe hinaus ragen. Bei vielen Schriften ragen die Oberlängen leicht über die Höhe der Versalien hinaus. Gemeine mit Oberlängen © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 18 Schrift & Typografie Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Proportionalziffern Von Natur aus benötigen nicht alle Ziffern den selben Platz. Eine ›1‹ ist schmaler als eine ›0‹ – das kann man drehen und wenden wie man will. Bei proportionalen Ziffern ist diesem Umstand Rechnung getragen und jede Zahl bekommt nur so viel Platz wie ihr zusteht. Proportionale Ziffern : die Buchstaben sind unterschiedlich breit (in beiden Zeilen stehen 10 Ziffern) Punze Als Punzen bezeichnet man die umschlossenen Innenräume bei Buchstaben wie A, B, e oder d. Roman Als Roman bezeichnet man den Grundschnitt einer Schrift. Es ist meist der Schriftschnitt der die beste Lesbarkeit aufweist. Andere Begriffe dafür sind Regular, Normal oder Plain. Manche Schriften verzichten auch auf eine Roman und haben anstelle ihrer eine Book. Schriftgrad Der Laie bezeichnet ihn als Schriftgröße. Der Schriftgrad bezeichnet die Höhe des Kegels auf dem sich die Lettern befinden, nicht etwa die Höhe der Versalien (oder anderer Zeichen). Der Schriftgrad ergibt sich aus x-Höhe + Oberlänge + Unter‑ länge + Fleisch oben und unten. Das Fleisch über den Versalien (und Oberlängen) wird unter anderem natürlich für die Akzentzeichen mancher Sprachen benötigt (›Ä‹, ›É‹, etc.) Die Lösung dieser Akzente ist aber von Schrift zu Schrift verschieden. Bei manchen Schriften durch‑ brechen die Akzente den virtuellen Kegel, bei anderen sind sie noch in das obere Fleisch integriert. Serife Die Serifen sind aus den Ansätzen beim Meißeln der ›Quadrata Monumen‑ talis‹ sowie aus dem Ansatz beim Schreiben mit der Feder entstanden. Es wird angenommen, dass Serifen die Lesbarkeit unterstützen können. Spatium (spationieren) Sollten Zeichen weiter Laufen – also der Abstand dazwischen erhöht werden – als es sich durch das Fleisch zwischen den Lettern ergab, wurden dazu im Bleisatz Spatien zwischen die Typen eingefügt. Als Spatium werden alle nicht druckenden Teile die schmaler als ein 1/8-Geviert sind bezeichnet. Diesen Vorgang bezeichnet man als ›spationieren‹. Wird der Abstand zwischen den Zeichen deutlich erhöht spricht man vom ›Sperren‹. Sperren ist eine Form der aktiven Auszeichnung, da sich gesperrter Text deutlich vom restlichen Text abhebt. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 19 Schrift & Typografie Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Außerdem ist in diesem Zusammenhang auch noch der Begriff der Laufweite von Bedeutung. Erhöhe oder vermindere ich den Abstand zwischen den einzelnen Zeichen, sprechen wir davon die Laufweite, dass wir die Laufweite anpassen. In XPress wird die Spationierung in 1/200-Einheiten durchgeführt, in InDesign in 1/1000-Einheiten (bezogen auf das Geviert) ; in InDesign ergibt also ein Sationierungswert von 100 bei einem Schriftgrad von 10 Punkt eine gemessene Spationierung von 1 Punkt. In Word wird der Wert für die Spationierung in Punkt angegeben. Strichdicken-Achse Die Strichdicken-Achse gehört zu den Charaktereigenschaften einer Schrift die entscheidend sind sie einer Schriftgruppe zu zuordnen. Die frühen Antiqua Schriften weisen noch eine starke Neigung der Achsen auf. Tabellenziffern Im Gegensatz zu proportionalen Ziffern weisen Tabellenziffern gleiche brei‑ ten über alle Zahlzeichen hinweg auf. Eine 1 ist also so breit wie eine 0. Das ist notwendig, damit in Zahlenkolonnen in Tabellen alle Ziffern fein säuberlich unter einander ausgerichtet sind. Auf der anderen Seite entsteht dadurch der Nachteil, dass gerade die Ziffern ›1‹ und ›7‹ unschöne Löcher in den Satz reißen. In den meisten PostScript-Schriften sind Versalziffern für Tabellen integriert. Eine gute OpenType-Schrift lässt mir heute die Wahl (alles wird gut !). Tabellenziffern : alle Ziffern haben die gleiche breite, auch die ›1‹ – damit stehen Zahlenkolonnen in Tabellen fein säuberlich untereinander Unterlänge Unterlängen sind jene Teile der Kleinbuchstaben die unter die Grundlinie hinab ragen. Gemeine mit Unterlängen ; außerdem : ›Q‹ und bei manchen Schriften ›J‹ Versalien Die korrekte Bezeichnung für Großbuchstaben ist Versalien, manchmal wird auch von Majuskeln gesprochen. Versalhöhe Die Versalhöhe ist, wie könnte es anders sein, die Höhe der Versalien. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 20 Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Schrift & Typografie Versalziffern Versalziffern sind Ziffern in der Höhe von Versalien. Otto Normalverbraucher betrachtet sie als die ›normalen Ziffern‹. Im Mengensatz sind Proportionalziffern besser geeignet. Diese Zahlen sind Versalziffern Zeilenabstand Unter Zeilenabstand versteht man den Abstand von einer Zeile zu der darauf folgenden. Manchmal wird stattdessen – fälschlich – ›Durchschuss‹ gesagt. Die Bezeichnung ›Durchschuss‹ stammt aus der Zeit als zur Erhöhung des Zeilenabstandes nichtdruckendes Material zwischen den Zeilen eingefügt wurde. Sollte eine 10 Punkt Schrift einen Zeilenabstand von 12 Punkt erhalten, dann hat der Setzer Blindmaterial mit einer Höhe von 2 Punkt eingefügt. Wenn jemand von Ihnen verlangt einen Text in 10 Punkt mit einem Durch‑ schuss von 12 Punkt zu setzen, können sie meist davon ausgehen, dass er einen Zeilenabstand von 12 Punkt meint. Nachfragen habe ich mir abgewöhnt, weil die meisten Profis die diesen Begriff verwenden dann die Augen verdrehen ob der typografischen Kleinlichkeit. Blöd nur, wenn jemand mal 12 Punkt Durchschuss sagt und damit 22 Punkt Zeilenabstand im Sinn hat – jedenfalls wenn Sie ohne Nachfragen den Text mit 2 Punkt Durchschuss gesetzt haben und das Ganze in Produktion gegangen ist. Ei, ei ! Druchschuss (3 mm) Zeilenabstand (18 mm) Schriftgrad (15mm) Zeilenabstand und Durchschuss Die Antiqua und ihre Nachfahren Die Städte Italiens stellten im Mittelalter unter anderen die finanziellen und vor allem auch religiösen Hochburgen dar. Bald nach der Erfindung Gutenbergs in Köln wanderten Drucker aus den Ländern nördlich der Alpen nach Italien und verbreiteten die Buchdruckerkunst in den Finanzzentren der damaligen Zeit. Bereits 1465 druckten die Deutschen Konrad Sweynheym und Arnold Pannartz in Subiaco bei Rom die ersten Werke mit einer frühen Version der Schrift die unter dem Namen Antiqua in die Typografiegeschichte eingehen sollte. Diese neue Schrift gattung bestand aus einer Kombination der ›Quadrata Monumentalis‹ der Römer für die Versalien und einer Handschrift die auf der ›Karolingischen Minuskel‹ beruhte – der ›Humanistischen Minuskel‹ oder auch ›Humanistischen Kursive‹. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 21 Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Schrift & Typografie Den letzten Grundstein für die Antiqua legte der in Venedig lebende Franzose Nicolas Jenson. Er war im Jahr 1458 nach Köln gekommen und hatte die neue Technik bei Gutenberg gelernt. Im Jahr 1470 schnitt Jenson in Venedig eine Schrift die bis heute als unerreicht gilt. Man spricht beim Erstellen der Druckstempel für die einzelnen Typen vom Stempel schneiden, da die Schriftentwürfe vom ›Formschneider‹ in Holz geschnit‑ ten wurden bevor sie gegossen werden konnten. Der Begriff des ›Schriftschnittes‹ dürfte darin seinen Ursprung gefunden haben. Nicolaus-Jenson-Druck 15. Jahrhundert – die ›Venezianische Renaissance-Antiqua‹ Bembo Centaur ITC Berkeley Old Style Schneidler ITC Legacy Adobe Jenson Venezianische Renaissance-Antiqua Schriften Charakteristisch für die ›Venezianische Renaissance-Antiqua‹ ist zunächst ihr eutlich handschriftlicher – von der Feder abgeleiteter –, weicher Duktus. Die d Stichstärkenunterschiede fallen bei ihr oft weniger deutlich aus als bei ihrer französischen Schwester. Je nach Intention des Gestalters wirken diese Schriften hölzern, organisch und lebendig oder weich fließend. Typische Merkmale beider Renaissance-Antiqua-Gruppen sind der konische Verlauf und der oft gerundete Ansatz der Serifen und Anstriche. Ebenso die deutliche Neigung der Strichstärken-Achse. Die offenen Formen der Buchstaben ›a‹, ›c‹, ›e‹ sind recht offen gezeichnet. Ein deutliches Indiz um die Französische von der Venezianischen Renaissance‑Antiqua zu unterscheiden stellt die Schräg‑ stellung des Querbalkens beim gemeinen ›e‹ dar (eine Ausnahme die diese Regel bestätigt ist die ›Bembo‹ [Beispiel 1]). Während sich die Französische Renaissance-Antiqua in der Buchtypografie des 20. Jahrhunderts als Quasi-Standard durchgesetzt hat – vor allem in der Form der ›Garamond‹ – trifft man die Venezianische eher selten an. Dadurch empfinden wir diese Form auch als eher antiquiert und weniger zeitlos, was diese Gattung besonders für Publikationen die mit der Zeit um 1500 zu tun haben prädestiniert – eine Geschichte die in der Renaissance spielt beispielsweise. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 22 Schrift & Typografie Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift 16. Jahrhundert – die ›Französische Renaissance-Antiqua‹ Claude Garamond (Quelle : wikipedia.org) © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at Mit Beginn des 16. Jahrhunderts entstanden auch in Frankreich neue Drucktypen, die sich zunächst an den Formen der italienischen Drucker orientierten. Wir werden im weiteren Verlauf sehen, wie sich die Formen der Buchstaben in den kommenden 400 Jahren immer weiter verfeinern, immer statischer werden wird und sich die Form der Veralien in der Breite immer mehr annähert. Im ausgehenden 19. Jahrhundert wird man sich dann auf das Schriftschaffen früherer Jahrhunderte zurück besinnen, vor allem auf die Schriften der Renaissance. Aus dieser Entwicklung wird resultieren, dass die Renaissance-Antiqua heute die dominierende Type für die Lesetypografie ist. Besonders die Schriften der französischen Stempelschneider wurden vielfach zu Vorbildern neuer Interpretationen. Zu besonderen Kassenschlagern wurden Schriften die von Typen des Schriftgießers, Typografen und Verlegers Claude Garamond abgeleitet und nach ihm benannt sind. Heute ist die Garamond der Evergreen unter den Schriften schlechthin (obwohl es erstens die Garamond gar nicht gibt und sich zweitens die Quellen darüber strei‑ ten ob die Vorlagen für die Garamond von Claude stammen, von Jean Jannon oder von beiden gleichermaßen). Die Schriften der französischen Renaissance sind robuster als die venezianischen. Auch hier sind die Achsen (vgl. ›o‹) deutlich geneigt, die Serifen und Anstriche fließend und konisch angesetzt und die Formen der offenen Buchstaben (›a‹, ›e‹, ›s‹) orientieren sich zu ihrem Nachbarn hin (was die Zeilenbildung und somit die Lesbarkeit unterstützt). Der Duktus der französischen Antiqua ist aber bereits einen Schritt weiter vom Schreiben mit der Feder entfernt und der Querstrich des ›e‹ ist nicht oder kaum mehr geneigt. Wenn Sie heute einen Roman aufschlagen, der in den letzten 50 Jahren publiziert wurde können sie mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass er in einer Französischen Renaissance-Antiqua gesetzt ist. Die Lesbarkeit der Typen die auf diesen Formen beruhen gilt bis heute als unübertroffen. Da wir diese Form der Antiqua heute am meisten vor Augen haben, empfinden wir sie mit Sicherheit am zeitlosesten und gewöhnlichsten – wir werden sie also kaum einer bestimmten Epoche zuordnen. Deshalb ist sie im Grunde auch für nahezu alle Publikationen geeignet. Man darf sich aber überlegen ob manche Werke nicht besser in einer Type gesetzt werden, die den Geist ihrer Zeit für uns klarer spiegeln – beispiels weise eine Klassizistische Antiqua bei Themen die mit dem 18., oder eine serifen betonte Type für Texte die dem 19. Jahrhundert zu zuordnen sind. 23 Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Schrift & Typografie Adobe Garamond Minion Palatino ITC Galliard ITC Stone Serif Trump Mediæval Plantin Apollo Französische Renaissance-Antiqua Schriften Kommen wir noch einmal auf die Garamond zurück. Die Garamond gibt es eigentlich gar nicht. Der Name Garamond wurde für Schriften so erfolgreich, dass jeder Schriftenhersteller eine in seinem Sortiment haben wollte. Der Name selbst war durch niemanden geschützt und so konnte jeder seine Garamond entwerfen und auf den Markt bringen. Die folgende Grafik zeigt einen kleinen Auszug der möglichen Varianten. Dabei haben sich die Entwerfer nur mehr oder weniger genau an die Originale gehalten, ja manche dieser Typen sind kaum mehr als Französische Renaissance-Antiqua zu erkennen (z. B. ITC Garamond). © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 24 Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Schrift & Typografie Simoncini Garamond Stempel Garamond Berthold Garamond Monotype Garamond ITC Garamond Sabon Sechs mal Garamond – ein kleiner Auszug ! 18. Jahrhundert – die ›Barock-Antiqua‹ Die bedeutendsten Protagonisten der Schriften die wir heute als ›Barock-Antiqua‹ kennen waren Engländer – William Caslon und John Baskerville. Aber wie immer in der Schriftentwicklung handelt es sich nicht um ein abruptes Auftreten einer neuen Form, sondern es lassen sich auch hier Vorbilder finden. Die Wurzeln der Barock-Antiqua dürften zum Einen nach Holland – vor allem auf die Typensätze von Christoffel van Dijk und Nikolas Kis – zurück zu führen sein. Zum Anderen waren diesen Engländern wahrscheinlich auch die Bemühungen der ›Academie Française‹ nicht entgangen, die Formen der vorherrschenden Antiqua einem strengen Formenkanon zu unterwerfen. Die vormals vom Schreiben mit der Hand abgeleiteten Figuren wurden analysiert und auf Basis eines Konstruktionsrasters mit Lineal und Zirkel entworfen. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 25 Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Schrift & Typografie Caslon 540 ITC New Baskerville Versailles Utopia Concorde Times New Roman Barock Antiqua Bei den Barock-Antiqua-Schriften setzen die Serifen oft schon sehr viel flacher an als bei den Vorgängern, besonders deutlich tritt dies bei den Anstrichen der Ober‑ längen zu Tage. Bei einigen Buchstaben – etwa beim ›O‹ – steht die StrichstärkenAchse (a) oft senkrecht. Der Auslauf bei Buchstaben wie ›e‹ und ›c‹ zeigt bereits die Tendenz sich zum Kreis schließen zu wollen. Diese schließende Neigung sieht man auch beim Anstrich des ›a‹. Ein weiteres Merkmal : der Anstrich – auch hier beim ›a‹ zu beobachten – fällt in der Renaissance oft flach aus, wie es durch das Ansetzen der Feder entsteht. Bei den Barock-Schriften werden oft Tropfen gezeichnet. Die Barock-Antiqua markiert so zusagen das Missing-Link zwischen den Extremen Französische Renaissance-Antiqua (geschrieben und offen) und Klassizistische Antiqua (gezeichnet und in sich geschlossen) und wird deshalb auch als ›Übergangs-Antiqua‹ bezeichnet. Manche frühe Formen – wie die Caslon – weisen noch einen starken Bezug zur Renaissance-Antiqua auf ; die Achsen können noch leicht geneigt sein und die Serifen oft deutlich konisch zulaufen. Die ›Times‹ vermengt Merkmale sowohl der Renaissance- wie auch der Barock-Antiqua und ist nicht eindeutig zuordenbar. Wichtiger als die oben angeführten Kennzeichen ist die Gesamtanmutung einer Schrift. Und da unterscheidet sich die Barock-Antiqua doch deutlich von ihren Vorgängern. Sie wirkt weniger organisch gewachsen, weniger lebendig, weniger dynamisch, dafür aber edler, eleganter und runder. Sie wirkt statisch. 18. Jahrhundert – die ›Klassizistische Antiqua‹ Schriften zu erkennen und zu klassifizieren bedeutet einiges an Schulung des uges. Am einfachsten schienen mir immer Schriften der ›klassizistischen Epoche‹ A zu bestimmen. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 26 Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Schrift & Typografie Bodoni Walbaum Didot Centennial Corporate A ITC Zapf Book Klassizistische Antiqua Die Merkmale dieser Schriftgruppe sind eindeutig : Die Strichstärken-Achsen stehen senkrecht (›o‹). Die Unterschiede in den Strichstärken von Stammstrich zu Haarlinie fallen sehr deutlich aus. Offene Formen (›a‹, ›c‹, ›s‹ aber auch ›G‹) schließen sich zum Kreis. An- und Endstriche sind meist in Tropfenform ausgeführt (›a‹, ›c‹, ›f‹). Die Serifen sind fein und nahezu waagrecht angesetzt. Die Buchstabenformen wirken im Vergleich zur Renaissance-Antiqua nahezu konstruiert, das Schriftbild ist von einer außerordentlichen Eleganz geprägt. Wer klassizistische Schriften für seine Publikationen einsetzen möchte sollte beachten, dass diese Schriftarten auf glatten, hochweissen Papieren gerne zum Überstrahlen neigen und deshalb schlechter zu lesen sind als die robusteren Renaissance-Typen. Bei Schriften mit ausgeprägt feinen Serifen – beispielsweise der Didot – neigen diese bereits in Lesetextgrößen zum ausbrechen – sie sind einfach zu fein um den Druck zu überstehen und verschwinden. Man sollte die Eignung für eine Aufgabe daher sorgfältig prüfen. Als der bedeutendste Schriftschöpfer der klassizistischen Epoche gilt Giam battista Bodoni der von 1740 bis 1813 in Italien lebte. Er war nicht nur ein bedeutender Schriftgestalter, sondern auch der angesehenste Typograf seiner Zeit. Aufgrund der Probleme die durch die feinen Formen entstehen, finden sich heute nur wenige klassizistische Schriften am Markt. Die Bodoni aber wird auch heute noch gerne verwendet. Vor allem in der Werbung ist sie beliebt, wo es um das Schöne und Erhabene geht – nebenbei gesagt : die Bodoni gibt es nicht ; wie bei vielen Klassikern gibt es viele Schriften von vielen Herstellern die auf den Namen Bodoni hören. Neben Bodoni hatte auch die französische Druckerfamilie Didot starken Einfluss auf die Entwicklung der Klassizistischen Antiqua. Wer eine klassizistische Antiqua für Lesetexte einsetzen möchte ist mit der Walbaum nach Typen von Justus Erich Walbaum gut bedient. Vor allem die Centennial von Adrian Frutiger aus dem Jahr 1986 hat ausgezeichnete Lese eigenschaften. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 27 Schrift & Typografie Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Mit der klassizistischen Antiqua ist die Entwicklung der Antiqua vorläufig abgeschlossen. Vorläufig deshalb, weil bis zum heutigen Tag immer wieder neue Antiqua-Typen den Weg auf den Markt finden. Und natürlich ist kein SchriftDesigner dazu gezwungen, sich an die Merkmale der bisher genannten Schrift gruppen zu halten und Zeichen nur innerhalb der Merkmale einer Epoche zu gestalten. Aus diesem Grund sind gerade Schriften die nach dem 18. Jahrhundert entstanden sind oft schwer klar einer bestimmten Gruppe zu zuordnen. Wir sollten dies aber nicht als Nachteil sehen, sondern als Vielfalt die es uns ermöglicht für jede Aufgabe die passende Schrift zu wählen. 19. Jahrhundert – die ›Serifenbetonte Linear-Antiqua‹ Die Geschichte mit dem Pendel kennen wir : Es schlägt zwar auf die eine Seite aus, aber es kommt irgendwann unweigerlich zurück. Das war auch mit den Serifen so, die über Jahrhunderte hinweg immer feiner wurden. Die klassizistischen Schriften markierten das Ende der Fahnenstange – noch feiner konnten sie nicht mehr werden. Logischerweise hätten sie als nächstes verschwinden müssen. Aber das traute man sich damals noch nicht so recht – man hatte das Gefühl die Schrift würde dadurch entstellt. Schriften bei denen man es dennoch versuchte war kein rechter Erfolg beschert. Also schlug man die Flucht nach vorne ein und begann Serifen extrem zu betonen. Ein Motor dieser Entwicklung stellte die Werbung dar. Die erblühende Industrie und der Handel verlangten nach Schriften die kräftig wirkten. Durch die Beto‑ nung der Serifen wurde natürlich auch die Wirkung der Schrift als Ganzes betont. Ein anderer Antrieb zu dieser Entwicklung waren die aufstrebenden Zeitungen. Die Klassizistische Antiqua war sowohl in der Produktion zu sensibel als auch in Bezug auf ihre Lesbarkeit für eine Zeitung nicht die erste Sahne. Zeitungen werden oft unterwegs gelesen – nicht selten unter schlechten Lichtverhältnissen. Eine Zeitungsschrift muss diesem Umstand gerecht werden. Ursprünglich wurden die serifenbetonten Schriften als ›Egyptienne‹ bezeichnet. Durch den Feldzug Napoleons in Ägypten war in Europa eine Euphorie für alles Ägyptische ausgebrochen war. Als gar nicht dummer Geschäftsmann hängt man sich natürlich gerne an einen Erfolg an – in der Hoffnung, dass der Erfolg auf einen abfärbt. So wurden wohlklingende, ägyptische Bezeichnungen für die neuen Schriftarten gewählt. Der Name ›Epyptienne‹ ist bis heute für serifenbetonte Schriften erhalten geblieben. Leider beginnt die Sache mit der Schriftgeschichte im 18. Jahrhundert etwas vertrackter zu werden. Bisher konnten wir die Evolution der lateinischen Schrift entlang eines einzigen Mainstreams verfolgen : von Renaissance-, über Barock- zu Klassizistischer-Antiqua – die Strichstärkenachsen werden immer senkrechter, die Strichstärkenunterschiede immer deutlicher, die Serifen immer dünner, der Charakter immer statischer. Mit dem Aufbruch in die industrielle Gesellschaft jedoch beginnt sich auch die Stilentwicklung bei den Schriften in immer mehr Verästelungen aufzuteilen, die parallel zueinander verlaufen. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 28 Schrift & Typografie Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Clarendon Ab ca. 1850 : die Clarendon – eine Serifenbetonte Linear-Antiqua nach klassizistischem Vorbild Diese Schrift kann man getrost als die ›Serifenbetonte‹ schlechthin bezeichnen – nicht selten spricht man bei Schriften dieser Art von Egyptienne-Typen von den Clarendons. Die Verwandtschaft zur Klassizistischen Antiqua dürfte auch für ein weniger geübtes Auge zu erkennen sein. Die offenen Formen sind rund – also zum Kreis schließend – gezeichnet. Die Serifen verlaufen meist waagrecht und kaum konisch. Der einzige Unterschied zur Klassizistischen Antiqua sind die fetten Serifen und der geringere Strichstärkenunterschied. Nach den noch etwas unausgewogenen ersten Versuchen ab den 1820ern war diese Schriftgruppe bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts ausgereift, wurde zu einem Erfolg in England und eroberte von da aus die Pressen der Welt. Excelsior 1931 : Excelsior – Zeitungsschriften Die Clarendons haben sich im 19. Jahrhundert unter anderem als die Typen für Zeitungen etabliert. Durch die ausgeprägten Serifen unterstüzen sie die Zeilenbil‑ dung wie keine andere Schriftgruppe und durch ihr kräftiges Schriftbild sind sie auch unter ungünstigen Lichtverhältnissen noch gut zu lesen – ideal für Publikati‑ onen die oft unterwegs gelesen werden. 1926 begründete die ›Ionic No. 5‹ die Gruppe der Zeitungsschriften. Die Ähnlichkeit zur Clarendon ist groß. Die Fachleute sind sich bei den Zeitungs‑ schriften noch nicht einmal einig, ob das nun eine serifenbetonte Schriftgruppe ist oder doch eher der gewöhnlichen Antiqua zuzuordnen sei. Viele Zeitungsschriften weisen auch einen ausgeprägten ›Barock-Charakter‹ auf. Ein besonders schwer zuordenbares Beispiel stellt die Times dar. Man kann sie unmöglich als serifen betont bezeichnen, sie steht in ihrem Charakter zwischen Renaissance-Antiqua und Barock-Antiqua, wurde jedoch für eine Zeitung entwickelt und kann mit Fug und Recht behaupten eine ›Zeitunsschrift‹ zu sein. Wer Schriften klassifizieren möchte muss mit Widersprüchen leben. Die Zeitungsschriften sind in ihrem globalen Charakter wie die Clarendons in der Regel deutlich als Kinder der klassizistischen Antiqua zu erkennen. Sie teilen ihre Eleganz und ihre Strenge. Die offenen Formen schließen zum Kreis – allerdings weniger deutlich. Manche Zeitungsschriften sind sogar sehr offen gezeichnet. Die Serifen sind meist weicher angesetzt und können konisch verlaufen. Bei näherer Betrachtung scheinen die Zeitungsschriften den Kreis zurück zur Renaissance-Antiqua schließen zu wollen. Kein Wunder : in Punkto Lesbarkeit gilt die Renaissance-Antiqua unübertroffen – warum nicht ihre Qualitäten mit den Vorteilen betonter Serifen verbinden. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 29 Schrift & Typografie Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Joanna 1930 : Monotype Joanna – eine Serifenbetonte Linear-Antiqua nach humanistischem Vorbild Eric Gill geht bei der Entwicklung seiner serifenbetonten ›Joanna‹ – die er nach seiner Tochter benennt – in der Schriftgeschichte zurück zu den Vorbildern der Renaissance. Diese Type hat nichts von der Strenge der klassizistischen Antiqua sondern ist lebendig und offen gezeichnet wie es dem Schreiben mit der Hand entspricht. Allerdings sind bei der ›Joanna‹ die Serifen gerade und scharfkantig angesetzt. Man sieht den Schriften Eric Gills generell an, dass er auch als Bildhauer tätig war. Stymie 1931 : Stymie – eine konstruierte Serifenbetonte Linear-Antiqua In den 20er und 30er Jahren des 20 Jahrhunderts war die industrielle Revolution noch voll am Rollen. Alles sollte in Massen hergestellt werden und alles sollte konstruiert sein. Das Prinzip der Konstruktion brach mit dem Bauhaus auch über die Schriftgestaltung herein. Neben Schriften bei denen auf unnötige Schnörkel wie Serifen ganz verzichtet wurde, wurden auch Typen mit Serifen konstruiert. Und natürlich mussten diese Schriften kräftige Serifen haben, denn ihre Strichstärke sollte ja mit allen waagrechten und senkrechten Linien identisch sein. Es hat sich aber in wenigen Jahren herausgestellt, dass strenge Geometrie der Ästhetik von Schrift schadet, und dass zu viel Identität – also ein Mangel an Unter‑ scheidbarkeit – der Lesbarkeit schadet. Gute konstruierte Schriften tun nur so als wären sie konstruiert. In Wahrheit sind sie ausgewogen geformt und nur im visu‑ ellen Charakter geometrisch. Deutlichstes Kriterium für eine konstruierte Schrift sind in der Regel die gleich‑ bleibenden Strichstärken und der Kreis als Konstruktionsprinzip – an allen runden Buchstaben deutlich zu erkennen. Es gibt jedoch auch konstruierte Schriften die einem anderen Konstruktionsprinzip folgen. Die ›Stymie‹ von Morris Fuller Benton ist ein Beispiel für eine Type die zwar konstruiert wirkt aber an den notwendigen Stellen das geometrische Grundprinzip verlässt. Playbill 1938 : Playbill Stilblüten wie diese Standen permanent am Weg der Geschichte der Serifen betonten Linear-Antiqua. Diese – heute oft als Westernschriften bezeichneten – Typen entstanden bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dadurch, dass die Serifen der Schriften übertrieben betont werden. Die Strichstärkenunter © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 30 Schrift & Typografie Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift schiede – feinere waagrechte Linien gegenüber fetteren senkrechten – wurden umgekehrt und die Sehgewohnheiten der lateinischen Welt quasi auf den Kopf gestellt. Ursprünglich wurden diese Schriftarten ›Italienne‹ oder ›Toscanienne‹ genannt. Das 20. Jahrhundert – Typografie in Bewegung Die Serifenlose Linear-Antiqua – klassizistischer Charakter Die erste serifenlose Schrift geht auf den Engländer William Caslon und das Jahr 1816 zurück. Allerdings wurde das Fehlen der Serifen als irritierend empfunden, weshalb für diese Art der Lettern oft auch die Bezeichnung Grotesk verwendet wurde. Die erste wirklich erfolgreiche Groteskschrift war die Akzidenz Grotesk aus dem Jahr 1898 und dem Hause Berthold. Clarendon Helvetica Aus der Serifenbetonten Linear-Antiqua entstand die Serifenlose LinearAntiqua – beide hatten die klassizistische Antiqua zur Mutter Die ersten Grotesk-Schriften führen noch die lineare Entwicklung der Antiqua fort : Aus der Antiqua der lebendigen Renaissance entwickelt sich die strengere, statische Klassizistische Antiqua und durch Betonung der Serifen wird daraus die Egyptienne. Nun werden die Serifen gekappt und wir erhalten die ›Serifenlose Linear-Antiqua‹ – oder Grotesk. Die Tendenz die Strichstärken zu vereinheitlichen setzt sich fort. Außerdem gewinnt in Europa bei den Grotesk-Schriften das zweigeschossige ›g‹ die Ober‑ hand. Ursprünglich waren diese Schriftarten rein für Werbezwecke – Inserate, Geschäftsdrucksorten u. ä. – gedacht, so genannte Akzidenzen. Akzidenz Grotesk (AG) 1898 : Berthold Akzidenz Grotesk – der serifenlose Klassiker Die Akzidenz Grotesk – kurz AG – war die erste erfolgreiche Groteskschrift. Sie dominierte vor allem im europäischen Grafikdesign bis in die 60er Jahre hinein. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 31 Schrift & Typografie Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Helvetica 1957 : Helvetica – die Schrift ohne Eigenschaften Die Helvetica wurde unter dem Namen ›Neue Haas Grotesk‹ seit den 40er Jahren von der ›Haas’schen Schriftgießerei‹ und dem Gestalter Max Miedinger entwickelt. Sie sollte dem Wunsch vieler Designer nach einer modernen Alternative zur ›Akzidenz Grotesk‹ entsprechen. Der Erfolg hielt sich zunächst in Grenzen. 1961 wurde die Haas’sche Schriftgießerei von der ›D. Stempel AG‹ über nommen und in ›Helvetica‹ umbenannt – in Anlehnung an die zu jener Zeit sehr erfolgreiche und dominierende Schweizer Typografie. Danach war der Erfolg der Helvetica nicht mehr zu bremsen und sie (und ihre Nachahmer) wurden in den 70ern durch andauernde Präsenz nahezu zur Landplage. Legionen von Corporate Designs basierten auf der Helvetica als Hausschrift, wie Lufthansa, Bayer, Hoechst, BASF und BMW. Das lag nicht an der Einfallslosigkeit der Designer, sondern daran, dass die Helvetica auf Grund ihrer Verbreitung immer und überall verfügbar war. In Zeiten des Bleisatzes ein wichtiges Kriterium. 1982 wurde die Helvetica von Linotype noch einmal überarbeitet und als ›Neue Helvetica‹ auf den Markt gebracht. Univers Mit Frutigers Univers hält die Familienplanung Einzug in die Studios der Schrift-Designer © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 1957 : Univers – Familienplanung Ein besonderer Meilenstein in der Entwicklung von Schriften und Schriftfamilien stellt die Univers von Adrian Frutiger dar. Vor der Univers regierte bei der Planung von Schriftfamilien die reine Anarchie. Schriftarten wurden nach Bedarf und Erfolg um weitere Familienmitglieder (Schnitte) erweitert. Extreme Schnitte – sehr fett, schmal oder verbreitert – waren in der Regel im Konzept eines neuen Schriftentwurfs nicht vorgesehen. War eine Schrift erfolgreich und sollte ausgebaut werden, erwies es sich oft als schwierig sie in manche Richtungen zu erweitern. Bei vielen Schriften gelang dies mehr schlecht als recht. Oft wurden erweiterte Schnitte von anderen Designern gestaltet als das Original und manchmal wurden Familien durch Mitglieder aus anderen, weniger erfolgreichen, erweitert. Regelrechte Kuckuckseier könnte man sagen. Die Univers hingegen war von Anfang an als komplett aufeinander abgestimmte Großfamilie geplant. Noch eines zweiten Problems nahm sich Frutiger mit seiner Univers an : Die Benennung der Schriftschnitte ist nicht standardisiert. Normale Schnitte heißen Roman, Regular oder Plain – manchmal Book. Dann gibt es Bold, Heavy, Black und Ultra. In welcher Reihenfolge jedoch diese Schnitte für welche Fette vergeben werden ist den Schriftherstellern überlassen und die Benennung geschieht nicht einheitlich. Frutiger entwickelte ein System bei dem die Schnitte durch zweistellige Nummern bezeichnet sind – die erste markiert die Strichstärke, die zweite die Breite. Leider konnte sich das System nicht durchsetzen und so herrscht bei der Benennung der Schriftschnitte weiterhin das kreative Chaos. 32 Schrift & Typografie Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Imago 1982 : Imago – Alternative mit Charakter Die Imago ging als Alternative zu Univers und Helvetica an den Start. Sie konnte deren Dominanz jedoch nicht brechen. In dieser Schriftklasse sind die Dominanzen klar verteilt : in der professionellen Gestaltung werden Helvetica und Univers bevorzugt, in der Büro-Kommunikation ist die Arial Platzhirsch. Alle anderen serifenlosen Typen nach klassizistischem Vorbild sitzen auf der Ersatzbank und dürfen nur gelegentlich aufs Spielfeld. Neben der Imago wären auch Folio, Unica und Venus zu benennen. Arial 1982 : Arial – vom Bastard zum Standard Die Arial wurde 1982 vom angesehenen britischen Traditions-Schriftenhaus Mono type auf den Markt gebracht. Wäre diese Schrift nicht von einem Softwarehersteller aus Redmond als billigere Alternative zur Helvetica für sein Betriebssystem über‑ nommen worden, würde heute kein Hahn nach der Arial krähen. Die Type wäre längst in Bedeutungslosigkeit und Versenkung verschwunden. So allerdings wird derzeit wohl keine Schrift in der Kommunikation am Personal Computer öfter eingesetzt als die Arial (und keine andere hat wohl öfter ihr Fett von den Schriftenprofis abbekommen). Die meisten Designer stehen der Arial mit einem Gefühl zwischen Geringschätzung und Verachtung gegenüber. Die Arial hat den Charme eines Linienbusses, aber man muss zugeben, dass sie sich bewegt. Wer etwas schön machen will, braucht an die Arial nicht zu denken. Wer aber Dokumente für den Bildschirm erstellt und mit anderen Anwendern austauschen möchte hat wenig Alternativen. Man muss der Arial auch zugestehen, dass sie stark ist wo die meisten schönen Satzschriften schwach sind : sie wird auch in Lesetextgrößen am Bildschirm ordentlich dargestellt – sie schafft also den Spagat zwischen Qualität am Schirm und auf Papier. Corporate S 1990 : Corporate S Kurt Weidemann entwickelte für den Daimler-Benz-Konzern eine ganze Schriftsippe als Hausschrift. Die Corporate S (›S‹ steht für Sans) ist eine schmal gezeichnete Grotesk nach klassizistischem Vorbild und nach meiner Ansicht eine der wenigen populären Schriften in dieser Klasse die an die Eleganz der Univers heran kommt – durch eine (einigermaßen) echte Kursive sogar noch interessanter sein kann. Im Gegensatz zu den meisten anderen Schriften dieser Klasse erscheint die Corporate S mit einem dreigeschossigen ›g‹. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 33 Schrift & Typografie Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift ITC Franklin Gothic News Gothic Vectora Die ›Serifenlose Linear-Antiqua‹ – ‘the american way’ Lange Zeit hatten sich die Amerikaner an den Typen aus Europa orientiert. Die Unabhängigkeitserklärung wurde beispielsweise mit einer Schrift William Caslons gesetzt. Aber im Verlauf des 19. Jahrhunderts war auch in Amerika eine reich haltige Schriftgestalter-Szene entstanden. Bis heute beliebt sind die Schriften Morris Fuller Bentons, unter ihnen die News Gothic und ihre Vorgängerin, die Franklin Gothic. Ein besonderes Unterscheidungskriterium dieser Schriften sind die große x‑Höhe und das dreigeschossige ›g‹. In Anbetracht dessen, dass diese Typen nahezu zur selben Zeit wie die deutsche Akzidenz Grotesk entstanden sind wirken sie deutlich vitaler und frischer als die frühen europäischen Serifenlosen. Die ›Serifenlose Linear-Antiqua‹ – humanistischer Charakter Original Johnston Typen (Quelle : wikipedia.org) © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at Während die Akzidenz Grotesk aus Deutschland dem Vorbild der Klassizistischen Antiqua folgte, waren die englischen Kaligraphen und Schriftdesigner noch von der ›Arts-and-Crafts‹-Bewegung beeinflusst. Sie orientierten sich eher an den Formen der Renaissance-Antiqua. Im Jahr 1916 wurde eine Serifenlose LinearAntiqua veröffentlicht die der Kaligraph Edward Johnston in Zusammenarbeit mit seinem Studenten Eric Gill für die London-Underground entworfen hatte. Die Type kann für den Digitalsatz als ›ITC Johnston‹ erstanden werden (sie führt aber neben der Gill die von ihr beeinflusst wurde lediglich ein Nischendasein). Gute Lesbarkeit ist das Resultat mehrerer Faktoren ; ein wesentlicher ist die Eindeutigkeit der Buchstabenformen – das ist irgendwie logisch. Sind die Lettern zu sehr vereinheitlicht und formal reduziert können sie nicht mehr klar unterschieden werden und der Lesefluss gerät ins Stocken. Deshalb konnten die Versuche des Bauhauses nicht funktionieren. Die lebendigsten Buchstabenformen (für die Antiqua) sind in der Zeit der Renaissance entstanden und deshalb sind viele der damals entstandenen Typen bis heute unerreicht und dominieren die Bereiche in denen viel gelesen wird : die Buchtypografie. Es kann dementsprechend angenommen werden, dass serifenlose Schriften die den Prinzipien der Renaissance-Antiqua folgen zu den lesbarsten Grotesken gehören. Allerdings sind die Nuancen fein und ich glaube nicht, dass die Frutiger besser lesbar ist als die für den Laien auf den ersten Blick kaum zu unterscheidende Univers – auch wenn sie zwei verschiedenen Schriftgruppen angehören. Im Gegensatz zu den Grotesken nach klassizistischem Vorbild sind hier die Endstriche bei ›a‹, ›e‹ und ›s‹ offen gezeichnet. Nicht immer – aber immer öfter – wird anstatt des zwei- das dreigeschossige ›g‹ verwendet. 34 Schrift & Typografie Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Gill Sans 1928 : Gill Sans – ‘very british’ Wie erwähnt war Eric Gill Student bei Edward Johnston und hat dessen Johnston Sans mit gestaltet. 1928 wurde seine ›Gill Sans‹ veröffentlicht. Sie darf heute als der Inbegriff der Britishness betrachtet werden. Was mich an ›der Gill‹ besonders beeindruckt sind zwei Umstände : 1. Betrachtet man die Buchstaben im Detail werden einem einige Formen auffallen, die man mit viel Wohlwollen bestenfalls als gewöhnungsbedürftig bezeichnen kann ; man betrachte vor allem das ›a‹ und das ›r‹. Für ästhetische Headlines oder gar Logos ist sie deshalb mit Vorsicht zu genießen. Auf der anderen Seite gibt es wenig Groteskschriften die ein derart schönes Satzbild ergeben wie die Gill. 2. Dem gegenüber kenne ich keine andere Groteskschrift deren Anmutung so sehr nach Renaissance-Antiqua riecht wie die Gill. Besonders bei den Versalien wirkt das etwas hölzerne Erscheinungsbild sehr lebendig. Bis heute modern und gleichzeitig traditionell sind die Schnitte Regular und Bold sowie die jeweils dazu gehörigen echten Kursiven. Persönlich mag ich auch die Light gerne. Wenig anfangen kann ich hingegen mit den später entstandenen extrem fetten Schnitten. Optima 1958 : Optima – unerreicht einzigartig Die Optima ist eine serifenlose Type von Hermann Zapf. Man mag sich darüber streiten ob die Optima nun eine Grotesk ist oder nicht – ich behaupte schon. Auf jeden Fall ist es eine sehr charakteristische Type die auch für längere Lesetexte geeignet ist. Schade, dass sie keine echtere Kursive mit sich bringt. Schade auch, dass Sie den Bereich Werbung für Kosmetik dermaßen dominiert, dass sie deren Duft angenommen hat für den normalen Textsatz mancherorts etwas verpönt ist. Und drittens Schade : dass es nicht mehr Schriften mit diesem Charakter gibt. Syntax 1968 : Syntax – die schräge Type Die Syntax ist eine hervorragende, serifenlose Textschrift von Hans Eduard Meier. Interessant an der Syntax ist, dass sie auch in der Geradestehenden eine ganz leichte Neigung vorwärts aufweist. Durch ihre Lebendigkeit ist sie für Headlines etwas schwer zu bändigen. Ich habe irgendwo gelesen, dass sich Meier die BarockAntiqua zum Vorbild genommen hat und bin selbst zum Eindruck gekommen, dass sie mit einer solchen tatsächlich besser harmoniert als mit einer RenaissanceAntiqua. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 35 Schrift & Typografie Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Frutiger 4. 1976 : Frutiger – Designers Liebling Neben der Univers ist die Frutiger die bekannteste Schrift von Adrian Frutiger. Im Jahr 2000 brachte Linotype die ›Frutiger Next‹ heraus, die nun über eine echte Kursive verfügte. ITC Stone Sans 1984 : Stone Sans Die Stone Sans von Sumner Stone ist eine ausgewogen gezeichnete Grotesk mit verhältnismäßig deutlichen Strichstärkenunterschieden. Sie bildet mit der Stone Serif und der Stone Informal gemeinsam eine komplette Schriftsippe. Auch die Stone kommt mit einer schön gestalteten Kursive daher. Formata 1984 : Formata – zu schön um wahr zu sein Die Formata von Bernd Möllenstädt repräsentiert für mich das Gegenteil der Gill : Sie hat wunderschön und liebevoll gestaltete Formen bei den einzelnen Lettern. Nur wenige Schriften haben derart bestechend ästhetische Kurven, Linien und Brechungen. Vielleicht ist es gerade diese herausragend einzigartige Eleganz, die die Formata als Textschrift etwas aufdringlich macht – ihre Schönheit lenkt vom Wesentlichen ab : dem Inhalt. Meta 1991 : Meta – die Organische Eine sehr schön und charakteristisch gestaltete Groteskschrift von Erik Spiekermann. Sie wirkt organisch wie kaum eine andere Serifenlose und ist auf Grund ihrer Lebendigkeit hervorragend für längere Textpassagen geeignet. Dabei wirkt sie weniger unruhig als beispielsweise die Syntax. Auch sie macht sich durch ihre Eigenartigkeit manchmal etwas wichtiger, als es einer Textschrift zustehen würde. Sie ist sicher nicht bedenkenlos für jedes Thema geeignet (aber welche Schrift ist das schon). Die Meta schien in den 90er Jahren das Zeug zum Klassiker zu haben. In den letzten Jahren ist es wieder stiller um sie geworden. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 36 Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Schrift & Typografie Myriad 1992 : Myriad – besser geht nicht Die Myriad von Carol Twombly und Robert Slimbach ist eine köstliche, wunderbar ausgebaute Groteskschrift und meines Erachtens nach eine der besten Alternativen zur Frutiger (in dieser Klasse). Sie zeichnet sich neben ihrer formalen Klarheit auch durch eine wunderschöne, echte Kursive aus. TheSans 1994 : TheSans – der sichere Klassiker der Zukunft TheSans von Lucas de Groot gehört zur wohl umfangreichsten Schriftsippe auf Erden und dürfte das Zeug zum Klassiker haben. Sie ist Teil der Schriftsippe Thesis. Neben der serifenlosen ›TheSans‹ gibt es die serifenbetonte ›TheSerif‹ und eine Schrift mit ein paar Serifen mit dem Namen ›TheSerif‹. Die ›Serifenlose Linear-Antiqua‹ – konstruiert ITC Kabel Futura Avenir ITC Avant Garde Gothic Century Gothic ITC Bauhaus ›Konstruierte‹ Schriften In den 20er Jahren entstand in Deutschland die Kunsthandwerksschule Bauhaus. Neben der Malerei, Architektur und dem Produktdesign befasste man sich am Bauhaus auch mit der Typografie. Getreu nach dem Motto alles auf seine Grund‑ formen zu reduzieren und alles scheinbar nicht notwendige weg zu lassen wurde hier der Versuch gestartet Schrift auf streng geometrische Grundformen zu reduzieren. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 37 Schrift & Typografie Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Das Spiel mit der Geometrie konnte nicht wirklich funktionieren. Die Strich‑ stärkenunterschiede und die Verjüngungen an den Übergängen der Buchstaben (›a‹, ›b‹, ›g‹, …) waren nicht zufällig entstanden, sondern hatten funktionale Gründe. An diesen Stellen entstehen unschöne Verfettungen – bestens zu sehen am ›a‹ der Avant Garde. An der Stelle, an der zwei Linien ineinander fließen ist die Strichstärke unvermittelt doppelt so stark. Deshalb sollten Sie vor dem Aufeinander treffen etwas verjüngt werden um im Mengentext keine Flecken zu erzeugen. Auch die Reduktion der Gestalt der Buchstaben auf ganz wenig Grundformen brachte Probleme : Die Buchstaben waren nicht mehr so klar zu unterscheiden, worunter die Lesbarkeit der Schriften zu leiden hatte. Paul Renner hat das erkannt, als er an seiner ›Futura‹ – ›die Schrift ihrer Zeit‹ – arbeitete. Aus diesem Grund ist eine der wenigen ›konstruierte Grotesk-Schriten‹ die funktioniert, streng betrachtet keine konstruierte Schrift. Die Futura war vor allem in den 1980er Jahren sehr beliebt. Rudolf Koch gelang es mit seiner ›Kabel‹ am ehesten die Ideen des Bauhaus in eine Schrift zu übersetzen. Sie schafft es überraschend gut gleichbleibende Strich‑ stärken zu halten. Adrian Frutiger folgte dem Beispiel Renners und hat mit der ›Avenir‹ eben‑ falls eine Schrift erstellt, die konstruiert wirkt, es aber nicht ist. Herb Lubalin hat mit der ›Avant Garde‹ eine Schrift geschaffen, die in DisplayGröße wunderschön geometrisch und dekorativ wirken kann. Als Textschrift ist sie jedoch ungeeignet. Dasselbe gilt für die ›Century Gothic‹, die aber leider auf Grund ihrer Verbreitung auf pc-Systemen auf Ihren Weg auf zahlreiche Briefe findet – vor allem bei Architekten, bei denen man etwas mehr Feingefühl für Formen erwarten sollte. 1985 – die Desktop-Publishing-Revolution Der Setzer setzt die Lettern in den Winkelhaken © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at In den 500 Jahren seit Gutenberg spielten sich Veränderungen in der Typografie in erster Linie in der Gestaltung ab. Buchstabenformen durchliefen eine Evolution und die Anschauung wie nun gute Typografie auszusehen habe änderte sich im Laufe der Jahre immer wieder leicht. Produktion und Entwurf der Typen, sowie Satz und Druck sind über die Jahr‑ hunderte hinweg weitgehend gleich geblieben. Die Typen wurde in Blei gegos‑ sen, große Schriftgrade aus Holz geschnitten. Im ausgehenden 19. Jahrhundert ermöglichten es die Satzmaschinen von Linotype und Monotype Satz automatisiert zu erstellen. Der Setzer stand nicht mehr am Setzkasten und reihte die Lettern in den Winkelhaken, sondern er saß an einer Art Schreibmaschine und erstellte den Satz durch tippen. Am Ende der Maschine aber wurden Bleilettern ausgespuckt. In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts kamen die ersten Computersatzgeräte zum Einsatz. Ab den 50er Jahren boten sich auch Fotosatzgeräte als Alternative zum Blei‑ satz an. Aber noch immer waren Satz und Typografie an große, teure Geräte gebunden. Noch immer war Schrift nur als Hardware verfügbar : Geschnitten in Holz, gegossen in Blei, oder auf runden Scheiben die zur Belichtung der Typen im Fotosatz verwendet wurden. Zum ersten mal in den 1970ern wurde Typografie für jeden relativ preiswert möglich. Die Firma Letraset vertrieb Folien von denen Buchstaben durch anreiben auf Untergründe übertragen werden konnten. Allerdings wäre der Mengensatz dadurch noch nicht denkbar gewesen. 38 Schrift & Typografie Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Die bedeutendste Revolution in der Geschichte der Typografie nach Gutenberg vollzog sich im Jahr 1985. Die Computerfirma Apple hatte ein Jahr zuvor mit dem Macintosh den ersten Computer mit grafischer Benutzeroberfläche auf den Markt gebracht. Außerdem hatte man einen Laserdrucker im Programm der PostScript drucken konnte. PostScript war von Adobe entwickelt worden und bot die Möglichkeit Schriften in Druckqualität auf dem PC verfügbar zu machen. Die (später von Adobe über nommene) Firma Aldus hatte mit Pagemaker ein Satzprogramm im Sortiment, mit dem sich am Mac setzen ließ. Linotype steuerte professionelle PostScript-Schriften und ein Belichtungs system für PostScript bei. Wenige Jahre später war der Bleisatz Geschichte. Kein Stein war auf dem anderen geblieben. Viele Traditionsunternehmen der Bleisatzzeit waren von der Bildfläche verschwunden. Das Desktop Publishing hatte die herkömmliche Weise Druck sachen zu erstellen verdrängt. Schriften waren nicht länger an eine bestimmte Hard‑ ware gebunden sondern konnten beliebig vertrieben und vervielfältigt werden. Bereits 1985 war für den Mac das Programm Fontographer verfügbar. Mit ihm war es jedem möglich am PC eigene Schriften zu entwerfen. Dadurch war die Entwicklung von neuen Schriften nicht mehr an ein großes Schriftenhaus mit teuren Gerätschaften gebunden. Für einen kommerziellen Anbieter von Schriften ist die Einführung mit viel Aufwand verbunden. Das schließt ein unternehmerisches Risiko mit ein, falls die Schrift flopt. Für Grafikdesigner die in ihrer Freizeit ihre eigenen Fonts gestalten wollen stellt sich die Frage nach dem Umsatz zunächst nicht. Sie wollen ihre eigenen Vorstellungen umsetzen und betrachten das Fontdesign als Spielwiese für ihre Kreativität. Durch die einfache Möglichkeit sich als Font-Designer zu versuchen, entstanden viele experimentelle Schriften. Wer keine kommerziellen Absichten verfolgen muss, schert sich auch nicht um überkommene Vorstellungen nach welchen Kriterien Schriften zu gestalten sind. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 39 Schrift & Typografie Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Triplex Blur Bonn Template Gothic Matrix Mason Platelet Interstate Experimentelle Schriften und Schriften kleiner Verlage Die 1990er – Typografie am Bildschirm Ein Problem bei der Darstellung von Schriften am Bildschirm bildete von Anfang an die Auflösung dieser Ausgabegeräte. Während bei der Belichtung von Daten für den Druck eine Rasterauflösung von bis zu 2400 Dots per Inch zur Verfü‑ gung steht, hat ein Computer-Bildschirm in der Regel eine Auflösung zwischen 72 und 95 DPI. Bei der Darstellung einer 11 Punkt Schrift am Bildschirm bedeutet das, dass der Computer 11 Pixelbausteine übereinander zur Verfügung hat um die Buchstaben anzuzeigen – inklusive Ober- und Unterlängen. Das führt bei den meisten Schriften dazu, dass die Buchstaben am Bildschirm etwas verbaut dargestellt werden – im schlimmsten Fall ist der Text kaum mehr lesbar. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 40 Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Schrift & Typografie Links Schriften ohne Antialiasing, rechts mit Antialiasing Im abgebildeten Beispiel sehen wir zunächst links eine ›Clarendon‹ (1) in 11 Punkt am Bildschirm. Die Schrift ist praktisch nicht mehr lesbar. Bei den ursprünglichen PostScript-Schriften hat man sich damit beholfen, dass jeder Font aus (mindestens) zwei Dateien besteht. Eine Datei enthält die mathematische Beschreibung der © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 41 Schrift & Typografie Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift inien und Kurven die für eine hochwertige Ausgabe auf Laserdruckern und L Belichtungsgeräten notwendig ist. Die Andere enthält die Beschreibungen für die Darstellung in Pixeln am Bildschirm. Diese ist aufwändig von einem Designer für jede Darstellungsgröße zu optimieren. Die meisten hochwertigen PostScript-Schriften werden zumindest mit Bildschirm-Fonts für 9, 12 und 24 Punkt ausgestattet. Zwischengrößen müssen vom Computer errechnet werden und dies führt zu Ergebnissen wie bei der im ersten Beispiel abgebildeten Clarendon. Ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Situation stellte das so genannte Antialiasing dar. Dabei werden nicht mehr die Pixel-Fonts für die Darstellung am Bildschirm hergenommen, sondern der Computer verwendet die Drucker beschreibungen (›Outlines‹) ; die Ränder werden dann vom Computer mit einer leichten Weichzeichnung (Unschärfe) versehen, wodurch sich die Lesbarkeit deutlich verbessert (genaugenommen nennt man diese Weichzeichnung ›Anti aliasing‹). In der zweiten Spalte ist jeweils die gleiche Schrift in der selben Schriftgröße – also 11 Punkt abgebildet ; die Clarendon braucht jetzt zwar etwas mehr Platz in der Breite, ist aber akzeptabel Lesbar. Am Mac war lange Zeit der Adobe Type Manager (ATM) für das Darstellen der Outlines und das Antialiasing verantwortlich. Später wurde diese Arbeit vom Begriebssystem übernommen. Da die Darstellung von Schriften auf nicht grafisch genutzten Rechnern weniger von Bedeutung ist, verbreitete sich ATM (und somit das Antialiasing) auf Windows-Systemen nur schleppend. Als Mitter der 1990er das Internet über Nacht in alle Wohnungen und Firmen einzog, wurde es notwendig Schriften zur Verfügung zu haben, die auch am Bild‑ schirm in kleinen Schriftgraden und möglichst ohne Antialiasing gut lesbar sind. Arial Verdana Tahoma Trebuchet Georgia Schriften, für den Bildschirm optimiert (Arial) oder speziell für den Bildschirm geschaffen Und ein zweites Thema war durch die Textverarbeitung am PC von Bedeutung geworden : Wer Daten anderen Benutzern zur Verfügung stellen wollte, war in der Regel darauf angewiesen, dass seine Schriften auf dem Empfänger-System verfügbar waren, wenn er keine unliebsamen Umbruchüberraschungen erleben wollte. Alle hier aufgezählten Schriften sind für Mac und Windows verfügbar und kostenlos erhältlich. Es kann davon ausgegangen werden, dass alle auf über 95 % der Systeme vorinstalliert sind. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 42 Schrift & Typografie Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Arial ; Robin Nicholas und Patricia Saunders ; 1982. Wie weiter oben bereits beschrieben bildet die Arial einen vernünftigen Kompro‑ miss aus Lesbarkeit am Bildschirm und auf Papier. Verdana ; Matthew Carter ; 1996. Eine ausgezeichnete Type von einem exzellenten Schriftdesigner ist die Verdana. Sie verbindet exzellente Lesbarkeit am Bildschirm mit einem modernen Erscheinungsbild im Ausdruck. Tahoma ; Matthew Carter ; 1995. Die Tahoma ist eine exzellente Alternative zur Verdana. Sie ist enger gezeichnet und benötigt dadurch etwas weniger Platz, was allerdings in kleineren Schrift größen etwas auf Kosten der Lesbarkeit geht. Wer nicht im Einheitsbrei der allerorts verwendeten Arial und Verdana untergehen möchte und trotzdem nach einer Type sucht die weit verbreitet ist, ist mit der Tahoma bestens bedient. Trebuchet ; Vincent Connare ; 1996. Ebenfalls eine exzellente Bildschirmtype ist die MS Trebuchet. Auch für Ausdrucke in Lesetextgrößen ist sie bestens geeignet. In Display-Größen wirken manche Buchstabenformen etwas gewöhnungsbedürftig. Georgia ; Matthew Carter Mit der Georgia hat Matthew Carter eine Antiqua für den Bildschirm entwickelt die auch ohne Antialising die Anforderungen an die Lesbarkeit am Bildschirm bestens erfüllt und dank Microsoft auch sehr weit verbreitet ist. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 43 Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Schrift & Typografie Das 21. Jahrhundert – 500 Jahre Typografie im Rücken Am Beginn des dritten Jahrtausends können wir einen Blick zurück werfen auf 500 Jahre Evolution der lateinischen Buchstaben. ca. 1470; Venezianische Renaissance Antiqua; Beispiel: Jenson ca. 1530; Französische Renaissance Antiqua; Beispiel: Garamond ca. 1750; Barock Antiqua; Beispiel: Baskerville ca. 1780; Klassizistische Antiqua; Beispiel: Bodoni ca. 1850; Serifenbetonte Linear-Antiqua, klassizistisch; Beispiel: Clarendon 1894; Serifenbetonte Linear-Antiqua, Zeitungsschr.; Beispiel: ITC Century 1998; Serifenlose Linear-Antiqua, klassizistisch; Beisp.: Akzidenz Grotesk 1904; Serifenlose Linear-Antiqua, amerikanisch; Beisp.: Franklin Gothic 1928; Serifenlose Linear-Antiqua, humanistisch; Beispiel: Gill Sans 1930; Serifenbetonte Linear-Antiqua, humanistisch; Beisp.: Joanna 1930; Serifenbetonte Linear-Antiqua, konstruiert; Beispiel: Memphis 1928; Serifenlose Linear-Antiqua, konstruiert; Beispiel: Futura 500 Jahre Schrift-Entwicklung auf einen Blick Zwischen 1470 und 1850 veränderten sich die Buchstabenformen nur sehr langsam. Die Strichstärkenunterschiede wurden immer stärker, die Formen zunehmend eleganter aber weniger organisch. Die Entwicklung ging von dynamisch zu Beginn (Renaissance-Antiqua), zu statisch (Klassizistische Antiqua). Als deutlichster Hinweis ob der Humanismus der Renaissance-Antiqua einen Entwurf beeinflusst hat oder die klassizistische Antiqua ist in den Formen ›a‹, ›C‹, ›c‹, ›e‹, ›S‹ und ›s‹ zu finden – sind die Enden offen gezeichnet, oder neigen sie dazu sich zum Kreis zu schließen. © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 44 Schrift & Typografie Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Das klassizistische (statisches Prinzip) und das humanistische (dynamisches Prinzip) Prinzip sind die beiden Pole an denen man die Schriftformen klassifizieren kann. Die dritte Möglichkeit – das geometrische oder konstruierte Prinzip – fristet bis heute ein Nischendasein. Die Barock-Antiqua ist höchstens als MissingLink von Bedeutung – man kann auf die Bestimmung dieser Schriftform auch verzichten. In der Mitte des 19. Jahrhunderts werden die Serifen plötzlich deutlich betont. Schrift findet nicht mehr ausschließlich in Büchern Verwendung, sondern hat zunehmend dekorative Zwecke zu erfüllen, vor allem in der Werbung. Das führt zu einer Unmenge an dekorativen Typen, die für die Lesetypografie jedoch kaum Bedeutung haben. Am Anfang des 20. Jahrhunderts werden die Serifen gekappt. Was die Leute zunächst als grotesk empfinden, führt bis zum Ende des Jahrhunderts dazu, dass manch Einer der Ansicht ist, Serifen-Schriften wären veraltet und serifenlose seien die normalen Schriften. Die bedeutendsten Veränderungen der Buchstabenformen seit der Renaissance haben ungefähr zwischen 1800 und 1950 statt gefunden : die Klassizistische Antiqua, die Serifenbetonte Linear-Antiqua und die Serifenlose Linear-Antiqua. Bedeutende Neuerungen in der Form der Buchstaben hat es seither nicht mehr gegeben. Neue Tendenzen waren aber, dass Schriftfamilien ab den 1950ern systematisch aufgebaut wurden und dass die Schriftentwerfer zunehmend unver krampfter mit dem Erbe ihrer Vorgänger umgegangen sind. Heute werden immer mehr hervorragende Schriften entworfen die sich nicht mehr klar einer Gruppe zuordnen lassen sondern die sich skrupellos im Fundus der historischen Ahnen bedienen. Eine weitere Tendenz die ab den 1980ern beobachtet werden kann ist, dass Schriften nicht mehr nur als Familie angelegt werden, sondern, dass umfangreiche und aufeinander abgestimmte Sippen entworfen werden – beispielsweise mit einer Antiqua und einer Grotesk die in absoluter Harmonie miteinander leben. Da sollten wir uns doch ein Beispiel nehmen, oder ? © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at 45 Entwicklung und Anatomie der lateinischen Schrift Schrift & Typografie Grotesk (Humanistisch) Konstruierte Egyptienne Egyptienne (humanistisch) Konstruierte Grotesk Grotesk (klassizistisch) Egyptienne (klassizistisch) Klassizistische Antiqua Barock-Antiqua Antiqua Gebrochene Schriften Humanistische Kursive Rotunda Gotische Minuskel Karolingische Minuskel Unziale Capitalis Rustica Capitalis Quadrata Lateinisch Arabisch Kyrillisch Hebräisch Syrisch Aramäisch Etruskisch Griechisch Indische Alphabete Phönizisches Alphabet Hieroglyphen der Ägypter © Markus Wäger 2006, w w w.designworks.at Keilschrift der Sumerer 46