Emilia Galotti.Cansu - Schauspiel Stuttgart
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Emilia Galotti.Cansu - Schauspiel Stuttgart
„Der denkende Künstler ist noch eins so viel wert.“(Gotthold E. Lessing, Emilia Galotti) Und gedacht wurde viel. Die Inszenierung „Emilia Galotti“, die am 18. März 2012 aufgeführt wurde, zeigte ein facettenreiches Stück, das Interpretationsfreiheit bietet. Seien wir mal ehrlich. „Emilia Galotti“ ist ein bekanntes Stück, das oftmals auch in den Schulen durchgenommen wird und man auch es deswegen überdrüssig ist. Doch wie wäre es, wenn man das bürgerliche Trauerspiel anders darstellen würde? Wenn man statt den überfüllten Bühnen einfach mal nur die Darsteller nehmen würde und sonst nichts? Unter der Regie von Barbara-David Brüesch entfaltet sich das Stück ganz neu. Zu Beginn stehen alle Darsteller auf der Bühne, die sich langsam dreht. An der Spitze Emilia (Sarah Sophie Meyer), auf der anderen Seite liegt zusammen gesunken der Prinz (Benjamin Grüter). Während sich die Figuren langsam von der Bühne entfernen, erwacht dieser und führt das Publikum mitten in das Stück ein. Angefangen mit einem Dialog zwischen ihm und seinem Kammerherr Marinelli (Claudius von Stolzmann) wird der Konflikt des Trauerspiels offenbart: Emilia Galotti, die dem Prinzen so gefallen hat, soll den Grafen Appiani (Toni Jessen) heiraten! Es wird beschlossen die Hochzeit zu verhindern. Während Marinelli sich auf den Weg macht, um den Grafen einen Besuch abzustatten, will der Prinz Emilia in der Kirche aufsuchen. Zur selben Zeit im Hause Galotti treten Emilias Eltern Claudia (Katharina Ortmayr) und Odoardo (Rainer Phillipi) auf. Es folgen mehrere Dialogsszenen, als der Prinz und Marinelli sich ein zweites Mal treffen und sie planen, aufgrund der aussichtslosen Lage, einen gespielten Raubüberfall. Der Prinz soll auf seinem Lustschloss warten, während Marinelli intrigiert. Emilia, die nach dem Überfall erschreckt und aufgelöst im Schloss ankommt, wird von Marinelli und dem Prinzen empfangen. Die Mutter, die wenig später auf dem Schloss eintrifft, erzählt, dass der Graf ermordet wurde und verdächtigt den Kammerherr Marinelli als den Übeltäter. Als wenig später noch Gräfin Orsina (Nadja Stübiger), die ehemalige Geliebte der Prinzen, aufkreuzt, scheint das Chaos noch größeres Ausmaß zu nehmen. Im Vorraum trifft sie auf Odoardo und warnt ihn vor der Obrigkeit. Als klares Zeichen steckt sie ihm einen Dolch zu mit dem er den Prinzen ermorden soll, da sie seiner Spielchen leid ist und sie seine Tochter vor demselben Schicksal bewahren will. Doch Odoardo misslingt das Attentat. Letzten Endes als seine Tochter und er alleine sind, wird er von Emilia dazu überredet, sie umzubringen, damit sie den wollüstigen Prinzen nicht zum Opfer fällt. Als Odoardo schließlich seine Tochter umbringt, endet das Stück dramatisch. Die schauspielerische Leistung des Stücks wird durch das karge Bühnenbild hervorgehoben. Sabine Kohlstedt erschafft durch die Leere Raum zum Interpretieren. Groß ist das Bild von Emilia. Überall umrahmen ihre Portraits die Bühne und doch wird sie nur als Spiegel benützt. Von Egoisten umgeben ist sie nur eine Figur, in deren Händen von den Anderen erst ihre Persönlichkeit bekommt. Für ihren Vater Odoardo ist sie seine überaus erfolgreiche tugendhafte Erziehung, für ihre Mutter ist sie eine Chance ihre soziale Stellung zu erhöhen. Selbst für ihren Verlobten ist sie die tugendhafter Tochter Odoardos oder auch der Prinz, der sie angeblich liebt, findet sie nur sexuell anziehend. Wären nicht die großen Porträts Emilias auf der Bühne, könnte man glatt vergessen, dass es überhaupt um sie geht. Sie selbst ist nur selten auf der Bühne und gerade ihre Abwesenheit macht sie zu dem Spielball der Figuren. Was Emilia will, wird gar nicht beachtet, obwohl sich jeder um sie bzw. das Bild von ihr sorgt. Das ganze Stück agiert wie eine gut gezogene Spieluhr. Musik, Kostüme und die Drehbühne passen sich den Figuren und Dialogen an. Bei schnellem Wortwechsel dreht sich die Bühne immer schneller und die Musik überspielt die Szenenwechsel, damit die Schauspieler von der Bühne „abtanzen“ können. Die Umsetzung der jeweiligen Figuren ist den Schauspielern gut gelungen. Ihre Rollen werden mit einer stereotypen Erscheinung geprägt, wie die schlaue, emanzipierte Orsina, der listige, karrierengeile Martinelli oder der verwöhnte, selbstsüchtige Prinz. Emilia selbst wird unschuldig und puppenhaft dargestellt, wie eine Marionette eines Spielers. Selbst am Schluss als Emilia „nackt den Tatsachen ins Auge blickt“, kommt alles rein symbolisch rüber. Sie zeigt hiermit ihre Unschuld und Verletzlichkeit. Es gäbe für diese Handlung kein passenderen Moment als diesen, wo sie sich ermorden lassen will. Alles im allem ist das Stück zwar sehr am Original gehalten, jedoch aufgrund der neuartigen Bühnendarstellung absolut sehenswert. Cansu Geyik