Eine Galotti kann es sein: aber nicht Emilia Galotti
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Eine Galotti kann es sein: aber nicht Emilia Galotti
Johannes Gutenberg- Universität Mainz SoSe2012 Institut für Film-, Theater- und empirische Kulturwissenschaft Fach: Filmwissenschaft Seminar: Film als Experimentierfeld der Sinne: Mediale Grenzgänge zwischen Film und Theater Leitung: Claudia Mehlinger, M.A. Abgabedatum: 15.08.2012 „Eine Galotti kann es sein: aber nicht Emilia Galotti, nicht Emilia!“ Die Intermedialität von Theater und Film in Emilia von Henrik Pfeifer (D/CH, 2005) Barbara Werner Kernfach: Filmwissenschaft (5. Semester) Beifach: Audiovisuelles Publizieren (4. Semester) Grabenstr. 3, 55425 Waldalgesheim 0176/61605483 [email protected] Inhaltsverzeichnis Seite 1. Einleitung 2 2. Kurze Inhaltswiedergabe und Darstellung filmischer Verfahrenstechniken 3 3. Intermedialität 4 4. Die Darstellung in Emilia 5 4.1 Schauspielern: Filmschauspieler und der Bezug zum Theater 5 4.2 Sprache: Originaltext und Bühnensprache 6 5. Der Raum in Emilia 8 5.1 Transformation des Bühnenraumes 8 5.2 Transformation des Zuschauerraumes 9 6. Die Inszenierung in Emilia 10 6.1 Das „Spiel im Spiel“ 10 6.2 Das neue Bürgerliche Trauerspiel 11 7. Schlussbemerkung 13 Quellenverzeichnis 14 Eidesstattliche Erklärung 1. Einleitung Die folgende Arbeit mit dem Titel „„Eine Galotti kann es sein: aber nicht Emilia Galotti, nicht Emilia!“- Die Intermedialität von Theater und Film in Emilia von Henrik Pfeifer (D/Ch 2005)“ beschäftigt sich mit der Adaption des Dramen – Klassikers „Emilia Galotti“ von Gotthold Ephraim Lessing in dem Theaterfilm Emilia. Emilia ist eine Transformation des Lessing - Stoffes ins Berlin des 21. Jahrhunderts. Durch Beibehaltung des Originaltextes und der Adaption der Literaturvorlage kann dieser Film dem Genre „Theaterfilm“ zugeordnet werden. Nach Susanne Marschall lassen sich vier Formen des Theaterfilms unterscheiden. 1 Emilia entspricht am ehesten der folgenden Form: „die Verfilmung eines Theaterstückes, die den dramatischen Text und nicht das Bühnenereignis zum Ausgangspunkt nimmt und somit die größte Eigenständigkeit im filmischen Medium gewinnen kann.“ 2 Das verwendete Zitat aus „Emilia Galotti“ im Titel dieser Arbeit ist eine Anspielung auf die dieser Arbeit zu Grunde liegenden These, dass es sich bei Emilia nicht nur um eine Literaturverfilmung handelt, sondern dass explizite intermediale Bezüge zum Theater und zu Theaterelementen vorhanden sind. Dadurch ist es nicht nur eine Adaption des „Emilia Galotti“ - Stoffes, denn „(e)ine Galotti kann es sein: aber nicht Emilia Galotti(…)“3 , sondern es wird darüber hinaus eine Intermedialität zum Theater geschaffen. Im Rahmen dieser Arbeit sollen keine weiteren filmischen Inszenierungsmittel der Transformation der Literaturvorlage in das Medium „Film“ analysiert werden und über die These hinaus keine weitere Filminterpretation vollzogen werden. Zunächst soll nach einer kurzen Inhaltswiedergabe des Films und knapper Darlegung filmischer Verfahrenstechniken auf den Begriff der Intermedialität eingegangen werden, um davon ausgehend die Darstellung und Sprache sowie den Raum und die Inszenierung in Emilia bezüglich der Intermedialität von Theater und Film näher zu untersuchen. Zusätzlich soll auf das „Spiel im Spiel“ – Element als explizite Intermedialität eingegangen werden. Ziel dieser Arbeit ist es, durch Aufzeigen der Mittel von Intermedialität in Emilia zu verdeutlichen, dass nicht nur von der Literatur adaptiert, sondern ein klarer Bezug zum Theater hergestellt wird. 1 Vgl. Marschall 2007, S. 702. Marschall 2007, S. 702. 3 Lessing 1970, S. 14. 2 2 2. Kurze Inhaltswiedergabe und Darstellung filmischer Verfahrenstechniken In dem 2005 produzierten Film Emilia von Henrik Pfeifer geht es um den Schauspiel- Star Hettore, der sich in Emilia Galotti, Tochter des Restaurantbesitzers Galotti, verliebt. Da diese plant den Anwalt Appiani zu heiraten, beauftragt Hettore seinen Manager Marinelli dies zu verhindern. Bei einem Überfall wird Appiani von Auftragsmördern getötet und Emilia zu Hettore in Sicherheit gebracht. Emilia sieht sich nun der Gefahr ausgeliefert, der Verführung des Schauspielers nicht widerstehen zu können. Im Gegensatz zur Literaturvorlage wird Emilia am Ende nicht von ihrem Vater umgebracht. Für den Zuschauer bleibt offen, ob sich Emilia erschießt und dann in einer Traumsequenz zu sehen ist, wie sie mit Hettore zusammen „durchbrennt“, oder ob sie dies wirklich tut und somit am Schluss überlebt. Trotz einer annähernd werkgetreuen Handlungswiedergabe und Beibehaltung des Originaltexts integriert Pfeifer zusätzliche Szenen, z.B. eine Spielszene einer Theateraufführung von „Emilia Galotti“, und filmische Verfahrensweisen. Neben im schnellen Schnittrhythmus arrangierten Montagesequenzen Berliner Sehenswürdigkeiten wird besonders der Musik eine große Bedeutung zugesprochen. Durch den Schnittrhythmus und den ständigen Wechsel von diegetischer in nichtdiegetische Musik wird der Song „Natürlich kann ich fliegen“ von Anjaka in Musikvideoästhetik im Film integriert. Auffallend ist zusätzlich der Einsatz von Handkameras, verbunden mit dem Spiel von Unschärfe, Zooms, Nähe/ Distanz und Perspektive. 4 Durch die in der Postproduktion herausgefilterten Farbkontraste erscheint der Film in einem matt - grauen Farbstil. Diese Farbgebung unterstreicht zusätzlich die Videoästhetik des Films. 4 Siehe Kapitel 5.2. 3 3. Intermedialität Für den Begriff „Intermedialität“ gibt es zahlreiche Definitionen. Diese Arbeit bedient sich der Definition von Irina O. Rajewsky. Rajewsky unterscheidet zwischen Transmedialität, Intramedialität und Intermedialität.5 Zu Intermedialität im weiteren Sinne zählen „Mediengrenzen überschreitende Phänomene, die mindestens zwei konventionell als distinkt wahrgenommene Medien involvieren.“ 6 Intermedialität im weiteren Sinne lässt sich bei Emilia erkennen, da grenzüberschreitend die Medien „Theater“ und „Film“ involviert sind. Rajewsky untergliedert den weiten Begriff der Intermedialität in folgende Subkategorien: Medienkombination: Addition mindestens zweier medialer Systeme zu oft einem neuen (Einzel-)Medium, in dem beide Medien gleich dominant sind. 7 Medienwechsel: Transformation eines medienspezifisch fixierten Produkts in ein anderes Medium, welches als material dominant präsent ist und das transformierte Produkt nur als Quelle nutzt. 8 Intermediale Bezüge: Elemente oder/und Strukturen eines anderen Mediums werden mit den eigenen, medienspezifischen Mitteln thematisiert, simuliert oder reproduziert. 9 Allerdings nach Rajewsky „ein bestimmtes Medienprodukt durchaus die Kriterien von zwei oder allen drei Kategorien des Intermedialen erfüllen(..)“. 10 Dies scheint auch bei Emilia zuzutreffen. So könnte allgemein das Genre des „Theaterfilms“ einer Medienkombination zugerechnet werden, während in Emilia die Literaturadaption des Lessing – Stoffes eine Form des Medienwechsels bildet. Entsprechend der der Arbeit zu Grunde liegenden These, dass Pfeifer Elemente und Strukturen des Theaters aufgreift, sind auch intermediale Bezüge vorhanden. Auf diese letzte Subkategorie soll im Laufe dieser Arbeit besonders eingegangen werden. Dabei sollen die Theaterelemente und - strukturen herausgearbeitet und somit die intermedialen Bezüge genauer analysiert werden. 5 Rajewsky 2002, S.12-13. Rajewsky 2002, S. 13. 7 Rajewsky 2002, S. 15. 8 Rajewsky 2002, S. 16- 19. 9 Rajewsky 2002, S. 17. 10 Rajewsky 2002, S. 17. 6 4 4. Die Darstellung in Emilia 4.1 Schauspielern: Filmschauspieler und der Bezug zum Theater Betrachtet man das Schauspielern in Emilia, so fällt auf, dass es eine filmische Darstellung ist, aber Elemente der Theater- Schauspielkunst übernimmt. Zunächst ist festzuhalten, dass das Schauspielern in Emilia im Medium „Film“ dargestellt wird und somit auch den Grundprinzipen des filmischen Schauspiels unterliegen muss: Parzellierung des Körpers und des zeitlich Gegenwärtigen. 11 Der Körper des Schauspielers wird nicht in seiner Ganzheitlichkeit aufgenommen, sondern in verschiedenen Einstellungsgrößen partiell gefilmt. Genauso tritt er im Unterschied zum Theater nicht für den Zuschauer im gegenwärtigen „Jetzt“ in Erscheinung. Die Analyse des Schauspiels in Emilia ist hier in drei Bereichen zu betrachten: Mimik, Gestik und Proxemik. 12 Die Mimik unterliegt in Emilia eher einer typisch filmischen Schauspieldarstellung. Der mimetische Ausdruck wirkt reduziert und kann einem Unterspielen zugeordnet werden. 13 So wird z.B. der Ausdruck des Schocks, als Hettore von der Vermählung des Anwalts Appiani mit Emilia Galotti erfährt, in Großaufnahme seines Gesichts gezeigt und dabei sein ganzes Entsetzen über seine Augen und seine Mimik verdeutlicht. 14 Allerdings ist dabei festzuhalten, dass das „Unterspiel“ aus dem naturalistischen Theater des 19. Jahrhunderts stammt 15 , das Medium „ Film“ sich aber dieses Element der Darstellung so zu eigen gemacht hat, dass dies nicht als intermedialer Bezug zum Theater zu sehen, sondern als ein „Wanderphänomen“ zu betrachten ist. 16 Gleichzeitig ist in dieser Beispiel- Szene zu erkennen, dass sich die Gestik eher einer theatralen Darstellung nähert. So verschluckt sich Hettore und zeigt dann in ausfallender Geste auf Emilia, die im Auto vorbeifährt. 17 Dies simuliert mehr eine 11 Vgl. Hickethier 2007, S. 162-163. Vgl. Hickethier 2007, S. 618. 13 Vgl. Hickethier 2007, S. 164. 14 Vgl. Emilia, 00:16:44 ff. 15 Vgl. Hichethier 2007, S. 164. 16 Vgl. Rajewsky 2002, S.12. 17 Vgl. Emilia, 00:16:48 ff. 12 5 übertriebene Schauspielweise für die Bühne, als dass es einem naturalistisch angelegten Filmschauspiel entspricht. Des Weiteren erinnert auch die Proxemik, die Bewegung des gesamten Körpers im Raum, bei den Schauspielern in Emilia eher an eine theatrale Darstellung. So zeigen überschwängliche Begrüßungen mit ausladenden, übertriebenen Gesten, z.B. zwischen Claudia Galotti und ihrem Mann Odoardo, 18 deutliche Simulierungen des theatralen Schauspiels. Genauso lässt sich auch ein Auf- und Abtreten der Schauspieler bei den verschiedenen Räumen erkennen, die an ein Auf- und Abtreten der Schauspieler auf einer Bühne bei Beginn einer Szene erinnern. Besonders deutlich wird dies z.B. im Lustschloss/ Club von Hettore durch das Auf- und Abtreten der Gräfin Orsina oder des Vaters Odoardo. 19 Diese Beispiele zeigen, dass es sich bei der Gestik und Proxemik durchaus um eine Annäherung und Simulierung theatralen Darstellens handelt. Da viel mit Nahaufnahmen und Halbnahen gearbeitet wird, steht nie der ganze Körper bei der Darstellung im Mittelpunkt. Mit Verwendung dieser Einstellungen wird durch die Parzellierung des Körpers besonderer Wert auf die Mimik gelegt. Somit ist festzuhalten, dass es sich zwar insgesamt bei Emilia um eine filmische Schauspielweise handelt, sich aber durchaus, besonders in der Proxemik und der Gestik, Elemente einer theatralen Schauspielkunst nachweisen lassen. Dadurch kann im Bereich Schauspiel von einem intermedialen Bezug zum Theater gesprochen werden. 4.2 Sprache: Originaltext und Bühnensprache Auffallendstes Element in Emilia ist die Beibehaltung des Originaltextes aus „Emilia Galotti“ von G.E. Lessing. 20 Durch die Transformation der Geschichte und Thematik ins Berlin des 21. Jahrhunderts und der gleichzeitig ästhetisch gegensätzlichen Beibehaltung des Textes wirkt die Sprache befremdlich und als ein Verfremdungseffekt, der zunächst dem epischen Theater nach Brecht zugeordnet werden könnte. 21 18 Vgl Emilia, 00:22:15 ff. Vgl. Emilia, 01:06:30 ff. 20 Vgl. Lessing 1970. 21 Vgl. Monaco 2009, S. 55. 19 6 Trotz allem liegt wohl weniger ein intermedialer Bezug zum Brechtschen Theater als eher eine Anlehnung an die Shakespeare - Verfilmungen William Shakespears Romeo+ Juliet (William Shakespears Romeo + Julia, USA 1996) von Baz Luhrmann und Hamlet (USA 2000) von Michael Almereyda vor, 22 in denen auch eine Transformation der Geschichte in die moderne Gegenwart mit Beibehaltung des Originaltextes vollzogen wird. Da sich dadurch Emilia als ein Medium „Film“ auf das gleiche Medium bezieht, kann man hierbei von einer „Intramedialität“ sprechen. 23 Bei der Untersuchung der Sprechweise lassen sich allerdings in den einzelnen Charakterdarstellungen Bezüge zum Theater erkennen. So ist zunächst festzuhalten, dass im Allgemeinen der Unterschied zwischen Theaterstimme und Filmstimme unter anderem darin liegt, dass die Stimme des Schauspielers auf der Bühne nicht nur von seinem Bühnenpartner, sondern auch von den Zuschauern im Zuschauerraum gehört werden muss. 24 Die Stimme des Filmschauspielers kann dagegen in der Postproduktion sogar noch verändert oder hinzugefügt werden und erscheint somit im Moment der Filmaufnahme nicht als eines der wichtigsten Elemente. 25 Vergleicht man nun die Stimme des Schauspielers Hettore mit der seines Managers Marinelli, wird ein Unterschied zwischen Theaterstimme und Alltagsstimme deutlich. Hettore spricht klar und betont und bleibt in seinem Sprachrhythmus stets in einer stark akzentuierten Theatersprache, die er auch weiter simuliert, wenn nicht dem Originaltext gefolgt wird. Dies zeigt sich z.B., als Hettore einen Hot Dog bestellt und trotz der Wortwahl der Alltagssprache nicht in einen alltagsüblichen Sprachrhythmus verfällt. 26 Marinelli hingegen spricht trotz Originaltext eher nuschelnd, unbetont und verschluckt Endsilben, als würde er trotz hoher literarischer Sprache sich der Alltagssprache der Moderne bedienen. Die unterschiedliche Sprechweise fällt besonders in der ersten gemeinsamen Szene im Fahrstuhl auf. 27 Dadurch kann gezeigt werden, dass Hettore als Schauspieler sich auch der für das Theater wichtigen Sprechweise bedient, während Marinellis Stimme eher der eines Filmschauspielers entspricht. Somit kann ein intermedialer Bezug der Sprechtechnik zu einer theatralen Sprechweise bei Hettore nachgewiesen werden. 22 Vgl. Pfeifer 2006, S. 1. Vgl. Rajewsky 2002, S. 12. 24 Vgl. Pravis 2011 ,S. 135. 25 Vgl. Monaco 2009, S. 52. 26 Vgl. Emilia, 00:14:37 ff. 27 Vgl. Emilia, 00:13:03 ff. 23 7 5. Der Raum in Emilia 5.1 Transformation des Bühnenraumes In Emilia werden nicht nur die Handlungsorte des Dramas „Emilia Galotti“ bildlich adaptiert, sondern darüber hinaus wird auch eine Transformation der Orte in die moderne Gegenwart vollzogen und vereinzelt in einen intermedialen Bezug zum Theater gestellt. Zunächst ist festzustellen, dass die in „Emilia Galotti“ beschriebenen Orte in die diegetische Welt von Emilia übertragen werden. So wird „Die Szene: ein Saal in dem Haus der Galotti“ 28 z.B. in der Küche des Restaurants der Galottis dargestellt.29 Dabei ist allerdings zu erkennen, dass die Räumlichkeiten bei der Transformation der modernen Gegenwart angepasst werden. So wird das Lustschloss des Prinzen zum Disco-Club Hettores. Auffallend dabei ist nicht nur die Transformation in die Gegenwart, sondern auch die Hinzunahme von Orten, z.B. die Kirche 30 , die in der Dramenvorlage nur angedeutet werden, aber nicht als Handlungsorte in Erscheinung treten. Hierbei werden auch Handlungsorte außerhalb geschlossener Räume gezeigt. So werden im Film reale Handlungsorte, wie z.B. die Friedrichstraße 31 oder der Vorplatz des Berliner Doms 32 , als Schauplätze benutzt. Dadurch kann von einem höheren Realismuseindruck gesprochen werden, da ein Bezug von der diegetischen Welt hin zur realen außerfilmischen Welt geschaffen wird. 33 Zwar zeigen die aufgeführten Handlungsorte Beispiele für ein typisches filmisches Vorgehen bei Literaturadaptionen, so gibt es aber besonders in den geschlossenen Räumen weitere Handlungsorte im Film, die starke intermediale Bezüge zum Theater aufweisen und unabhängig von der Literaturvorlage sind. Auffallend ist dabei, dass die innerfilmischen Handlungsräume von den Charakteren nicht als solche genutzt werden: Raum steht in der Funktion des Handelns und ist so keine nur- materiale Qualität der äußeren Wirklichkeit, sondern vielmehr als intentionales Feld anzusehen, weil die Repräsentation filmischen Raums wesentlich mit Handlungsstrukturen zusammenhängt. 34 28 Lessing 1970, S. 19. Vgl. Emilia, 00:22:00 ff. 30 Vgl. Emilia, 00:22:53 ff. 31 Vgl. Emilia, 00:13:58 ff. 32 Vgl. Emilia, 00:47:56 ff. 33 Vgl. Hickethier 2007, S. 72. 34 Wulff 1999, S.80. 29 8 Es findet keinerlei Interaktion mit dem Raum statt, was daran liegt, dass der Raum nur als Interaktionsraum zwischen den Charakteren genutzt wird, nicht aber als Handlungsraum der Figuren dient. Dadurch entsteht der Eindruck, dass die Räume ausgehend von der Literaturvorlage abgebildet werden, die Handlungsräume selbst aber als Reproduktion einer Bühne und somit nur als „ Auftrittsmöglichkeit“ für die Charaktere dienen. Ein besonders großer intermedialer Bezug zur Theaterbühne bietet der Handlungsraum „Club“. 35 Mit vielen Auf- und Abgangsmöglichkeiten, bei denen dem Zuschauer nicht verdeutlicht wird, wo sie hinführen, und einer kahlen, leeren Raumausstattung erinnert der Raum sehr an eine Theaterbühne. Unterstützt wird dieser Eindruck der Reproduktion der Bühne dadurch, dass im Hintergrund der Handlung stets eine Bühne zu sehen ist, die durch einen roten Samtvorhang verdeckt wird. Somit findet die Handlung aber auch nicht auf der Bühne statt, sondern im Zuschauerraum. Dabei wirkt es, als solle betont werden, dass es sich um eine eigenständige Kunstform des „ Emilia Galotti“- Stoffes handelt, die nicht für die Bühne bestimmt ist. Des Weiteren kann dadurch erneut belegt werden, dass es sich bei Emilia nicht um eine reine Literaturverfilmung handelt, die das Stück als Theaterstück im Film zeigt, sondern dass eine Transformation des „Emilia Galotti“ - Stoffes, mit Bezugnahme auf das Theater, vollzogen wird. 5.2 Transformation des Zuschauerraumes Dass das Geschehen im Handlungsraum „Club“ im Zuschauerraum stattfindet und nicht auf der Bühne, kann weiter zu der These leiten, dass der Zuschauer in die Handlung einbezogen wird. Das Publikum, das bei der Theatervorstellung live dabei ist, ist bei dem Medium „Film“, und somit bei der Adaption des Films, nicht mehr vorhanden. Dem Zuschauer wird allerdings durch die Kamera ein „Dabei- sein“ vermittelt. Die Handlung, die im Zuschauerraum stattfindet, unterstreicht somit die Eigenschaft des Films, auf den Zuschauer zuzugehen und ihn am Geschehen teilhaben zu lassen. Dass die Kamera den Zuschauer teilhaben lässt, als wäre er live dabei, wird vor allem durch die autonome Kamerabewegung und Kameraeinstellungen deutlich. Dies 35 Vgl. Emilia, 00:51:41 ff. 9 wird durch den Einsatz von Handkameras hervorgerufen. Auffallend ist diese Ästhetik z.B., als Marinelli und Hettore zusammen auf der Straße laufen und die Kamera ihnen folgt. 36 Bei der Produktion wurden dafür DV - Kameras benutzt 37 , die wie im dokumentarischen Stil der „living camera“ zum Einsatz kommen. Dadurch wird ein weiterer Realismuseindruck erzeugt. Dieser Effekt wird durch andauernde Unschärfe und Schärfe - Nachziehen unterstrichen. Des Weiteren wird stets in Halbnah - Einstellung oder Nahaufnahme gefilmt. Dadurch wird dem Zuschauer das Geschehen noch näher gebracht und das Gefühl vermittelt, nichts zu verpassen. Die Kamera vertitt somit das fehlende Publikum. 38 Gleichzeitig sorgen fehlende establishing shots und der seltene Einsatz von Totalen dafür, dass der Zuschauer der Einstellung und der Handlung ausgeliefert ist. Darin unterscheidet sich der Filmzuschauer von dem Theaterpublikum. Der Filmzuschauer kann seinen Blick nicht frei wählen, sondern ist der Blickrichtung, die die Kamera vorgibt, ausgeliefert. 39 Das Theaterpublikum hingegen kann selbst entscheiden, auf welches Geschehen auf der Bühne sich sein Blick richtet. Somit ist zwar ein intermedialer Bezug zum Theater gegeben, indem die autonome Kamera das fehlende Publikum vertitt, doch zeigt zugleich diese Möglichkeit auch die Grenzen filmischer Adaption. Es wird deutlich, dass es sich um ein filmisches Medium handelt: das Publikum ist „nur“ Zuschauer. 6. Die Inszenierung in Emilia 6.1 Das „Spiel im Spiel“ Spiel im Spiel, das: Bühnenstück, das in ein anderes Stück eingefügt ist und einen integralen Teil von ihm bildet; kann zur Spiegelung und Illusionsbrechung dienen; (…). 40 Neben der größtenteils werkgetreuen Adaption der Handlung und des Textes von Lessings „Emilia Galotti“ inszeniert Henrik Pfeifer, bevor die eigentliche Handlung beginnt, die Schlussszene aus „Emilia Galotti“ als Theaterstück im Film. 41 Dadurch 36 Vgl. Emilia, 00:14:58 ff. Vgl. Ulli; Bernatschek 2006, S. 12. 38 Vgl. Hickethier 2007, S. 52-53; 57-58. 39 Vgl. Hickethier 2007, S. 58. 40 Best 1979, S. 261. 41 Vgl. Emilia, 00:01:11 ff. 37 10 wird die explizite Intermedialität des Stückes als Dramentext und nicht nur als Literaturvorlage verdeutlicht und thematisiert. Auffällig dabei ist, dass der Schauspiel- Star Hettore auf der Theaterbühne den Prinz Hettore aus „Emilia Galotti“ spielt und sich die Film - Emilia als Zuschauerin im Theatersaal befindet. Hierbei wird das „Spiel im Spiel“- Element zur Spiegelung der Handlung eingesetzt. Bei diesem expliziten Bezug zum Theater spricht Rajewsky von einer expliziten Systemerwähnung, einer besonderen Form des intermedialen Bezugs. 42 Über die Thematisierung des Theaters hinaus, wird auch die Funktion des Theaters verdeutlicht. Zu sehen ist Emilia, wie sie, geschockt von Emilia Galottis Schicksal auf der Bühne, weint und Mitleid empfindet. 43 Hierbei kann die Funktion des Theaters erkannt werden, die Lessing in der Tragödie sieht und in seiner Hamburgischen Dramaturgie wie folgt definiert: Er [Aristoteles] spricht von Mitleid und Furcht, nicht von Mitleid und Schrecken; und seine Furcht ist durchaus nicht die Furcht, welche uns das bevorstehende Übel eines anderen, die diesen anderen, erweckt, sondern es ist die Furcht, welche aus unserer Ähnlichkeit mit der leidenden Person für uns selbst entspringt; es ist die Furcht, dass die Unglücksfälle, die wir über diese verhängt sehen, uns selbst treffen können; es ist die Furcht, dass wir der bemitleidete Gegenstand selbst werden können. Mit einem Worte: diese Furcht ist das auf 44 uns selbst bezogene Mitleid. Dass Emilia tastsächlich darauf das Schicksal der Emilia Galotti durchlebt, zeigt einen Bezug Pfeifers zur Funktion des Theaters nach Lessing. Gleichzeitig wird das Theater auch benutzt, um ein Vorausdeutung für den Zuschauer zu liefern. Somit ist neben einer expliziten Systemerwähnung auch ein intermedialer Bezug zur Funktion des Theaters gegeben. 6.2 Das neue Bürgerliche Trauerspiel Lessing beschreibt sein Drama nicht nur als Tragödie, sondern als ein „bürgerliches Trauerspiel“. Damit revolutioniert er das Theater, indem er nun das Bürgertum und nicht nur den Adel in den Mittelpunkt der Handlung stellt. 45 Lessings Emilia repräsentiert das Bürgertum mit den Tugenden wie Ehrenhaftigkeit und Anstand; dem gegenüber steht der Adel, vertreten durch den Prinzen, für Intrigen, Verführung und Untugendhaftigkeit. 46 42 Vgl. Rajewsky 2002, S.79 ff. Vgl. Emilia, 00:01:54 ff. 44 Lessing 1967, S. 31. 45 Vgl. Lessing 1967, S 19. 46 Vgl. Pelster 2002, S.56-60. 43 11 Nun wird diese Form der Klassengesellschaft bei Pfeifers Emilia mit einer neuen Form des bürgerlichen Trauerspiels in die Moderne übertragen. Aus dem Prinz Hettore wird der Theaterschauspieler Hettore. Somit wird der Stand „Adel“ mit den Eigenschaften von Untugenhaftigkeit und Unmoral übertragen auf ein modernes Starsystem, in dem mit Geld und Berühmtheit die gleichen Eigenschaften vorhanden sind. Interessant ist dabei, dass Hettore nicht als Filmschauspieler, sondern als Theaterschauspieler charakterisiert wird. Deutlich wird ein intermedialer Bezug zum Theater vollzogen, der auf die Eigenschaften der Theatergesellschaft aufmerksam macht und damit spielt. Dass Hettore in der Theaterwelt positioniert wird, thematisiert auch den alten Gesellschaftsunterschied des 18. Jahrhunderts zwischen Bürgertum und Theaterwelt. 47 Besonders deutlich werden die Auffassungen von Liebe und Treue durch diese Gesellschaftsunterschiede charakterisiert. Während Emilia als Angehörige des Bürgertums, mit einem Vater der Restaurantbesitzer ist, und einem Anwalt als Verlobten, in einem Umkreis von Treue und Tugend angesiedelt wird, zeigt sich der Schauspielstar trotz seiner Verlobung in Affären verwickelt und zu Liebschaften bereit. Nicht zuletzt erscheint Liebe im Theatermilieu losgelöst von der Vertragstreue, die juristischen Zwang ausübt, und vor allem von der beschwerenden Korrelation zu dauerhaftem Besitz. Liebe kann als leichtes und leichtfertiges Erlebnis in der Theaterwelt lizenziert sein, sie kann auch als dionysische Leidenschaft einbrechen. 48 Auffallend hierbei ist allerdings die Charakterisierung Emilias. Während der Prinz zum Theaterschauspieler wird, bleibt Emilia im Bürgertum angesiedelt. Sie erfährt aber eine Charakterisierung in Bezugnahme auf das Filmbusiness. Sie wird als „Sexbombe“ a la Marilyn Monroe inszeniert. Als Hettore und Marinelli auf der Straße über Emilia reden, ist im Hintergrund ein Plakat von Marilyn Monroe zu sehen. 49 Gleichzeitig wird Emilia in der Wohnung, die sie mit ihrer Mutter bewohnt, vor Bildern Monroes und anderer Filmschauspielerinnen positioniert. 50 Da somit explizit auf das Theatermilieu und auf das Filmmilieu Bezug genommen wird, kann auch hier die besondere Form der intermedialen Bezüge, die Systemerwähnung, nachgewiesen werden. 51 47 Koebner 2000, S. 354. Koebner 2000, S. 355. 49 Vgl. Emilia, 00:15:38 ff. 50 Vgl. Emilia, 00:35:11 ff. 51 Vgl. Rajewsky, S. 79 ff. 48 12 7. Schlussbemerkung Insgesamt handelt es sich bei Emilia von Henrik Pfeifer um eine weitgehend werkgetreue Literaturverfilmung der Dramenvorlage „Emilia Galotti“ von G.E. Lessing. Unter Beibehaltung des Originaltextes und der Handlung transformiert Pfeifer das Drama in das moderne Berlin. In Betrachtung der Intermedialität zur Literaturvorlage kann man somit, wie eingangs schon erwähnt, von einem Medienwechsel sprechen. Darüber hinaus konnte aber auch nachgewiesen werden, dass zusätzliche Bezüge zum Theater in Emilia vorherrschen. Die Simulierung und Reproduzierung der Theaterlemente „Theatersprache“ und „Theaterdarstellung“ sowie des „Theaterraumes“ konnten im Laufe dieser Arbeit als intermediale Bezüge zum Theater herausgearbeitet werden. Außerdem gibt es weitere Thematisierungen des Theatersystems und seiner Struktur. Besonders deutlich kann man dies an der Transformation des Prinzen Hettore zu einem Theaterschauspielstar und der expliziten Systemerwähnung des Theaters bei der zusätzlich inszenierten Anfangssequenz erkennen. Die als „Spiel im Spiel“ - Element im Film integrierte Endszene von „Emilia Galotti“ als Theateraufführung thematisiert ausdrücklich zu Beginn des Films, dass ein zusätzlicher Bezug zum Theater in Emilia hergestellt wird. Insgesamt ist allerdings festzustellen, dass neben intermedialen Bezügen zum Theater die filmischen Elemente, wie Kameraführung, Montage als auch der Bezug zur Musik durch Musikvideoästhetik, dominieren. Dadurch ist festzuhalten, dass bei dem Verhältnis Film zu Theater die filmischen Elemente überwiegen, wodurch erneut verdeutlicht werden kann, dass es sich nur um einen intermedialen Bezug zum Theater bei Emilia handelt und nicht um einen Medienwechsel von Theater zu Film. Zusammengefasst kann gesagt werden, dass es sich bei Emilia um einen Theaterfilm handelt, der über seine Literaturadaption des Stoffes „Emilia Galotti“ von Lessing hinaus klare intermediale Bezüge zum Theater vollzieht. Wie mit dem Zitat in dem Titel dieser Arbeit allerdings angedeutet, handelt es sich somit durch die Transformation um eine eigenständige Fassung des „Emilia Galotti“ - Stoffes im Medium Film. Es ist nun mal „Emilia“ und nicht „Emilia Galotti“. 13 Quellenverzeichnis: Primärliteratur: Lessing, Gotthold Ephraim: Emilia Galotti. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen, Stuttgart: Reclam 1970. Sekundärliteratur: Best, Otto F.: Handbuch literarischer Fachbegriffe. Definitionen und Beispiele. Frankfurt am Main: Fischer 1979. Hickethier, Knut: Film- und Fernsehanalyse. 4., aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler 2007. Hickethier, Knut: Schauspielen in Film und Fernsehen. In: Koebner, Thomas(Hrsg.): Reclams Sachlexikon des Films. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart: Reclam 2007. S. 617-620. Koebner, Thomas: „It´s just a play… with music“. Theaterfilm im zeitgenössischen Film: Scola, Ettore und Greenaway, Peter/ Koebner, Thomas. In: Koebner, Thomas: Lehrjahre im Kino. 2. Auflage. St. Augustin: Gardez!- Verl., 2000. S. 349- 376. Lessing, Gotthold Ephraim: Hamburgische Dramaturgie. In: Von Wiese, Benno (Hrsg.): Deutsche Dramaturgie vom Barock bis zur Klassik. 3., unveränderte Auflage. Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1967. Marschall, Susanne: Theater und Film. In: Koebner, Thomas(Hrsg.): Reclams Sachlexikon des Films. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart: Reclam 2007, S. 702-704. Monaco, James: Film verstehen. Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films und der Neuen Medien. Mit einer Einführung in Multimedia. (Deutsche Fassung herausgegeben von Hans- Michael Bock). Überarbeitete und erweiterte Neuausgabe. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2009. Pelster, Theodor: Gotthold Ephraim Lessing. Emilia Galotti. Stuttgart: Reclam 2002. (=Lektüreschlüssel für Schülerinnen und Schüler) Pavis, Patrice: Analysing Performance. Theater, Dance, and Film. USA: The University of Michigan Press 2003. Rajewsky, Irina O.: Intermedialität. Tübingen/ Basel: A. Francke Verlag 2002. (= UTB für Wissenschaft: Uni-Taschenbücher ; 2261) Wulff, Hans J.: Darstellen und Mitteilen. Elemente der Pragmasemiotik des Films. Tübingen. Narr 1999. 14 Internetquellen: Pfeifer, Henrik: emilia. ein film von henrik pfeifer nach g. e. lessing. http://www.emilia-der-film.de/fragen.htm. 13.08.2012 Ulli, Pascal; Bernatschek, Andreas: Nach G.E. Lessing Emilia. Ein H. Pfeifer Film. http://www.emilia-der-film.ch/pages/12_13.htm. 13.08.2012 Filmographie: Emilia D/Ch 2005, Regie: Henrik Pfeifer Fernsehmitschnitt: ZDFtheaterkanal/ arte William Shakespeares Romeo + Juliet (William Shakespeares Romeo + Julia) USA 1996, Regie: Baz Luhrmann Hamlet (Hamlet) USA 2000, Regie: Michael Almereyda 15