Albanien ist ein Abenteuertrip – und ein Stresstest
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Albanien ist ein Abenteuertrip – und ein Stresstest
natur / reise An den Stränden fehlt oft die Infrastruktur – dafür sind sie fast leer. Gehören zum Strassenbild: Busreisegruppen aus dem Westen. Albaner verehren das Bergstädtchen Kruja als nationales Heiligtum. Pionier-Gefühle Holprige Strassen ohne Wegweiser: Albanien ist ein Abenteuertrip – und ein Stresstest für Buschauffeure. Text & Fotos: Sonja Hüsler W arum ausgerechnet Albanien? Ganz einfach: Lonely Planet, der weltweit grösste und erfolgreichste Reiseführer-Verlag, hat Albanien letztes Jahr auf Platz 1 seiner Top-TenDestinationen gesetzt. Schon mal ein guter Grund, dieses Land zu erkunden. Und das Schweizer Reiseunternehmen Eurobus kurvt erst noch zweimal pro Jahr mit Luxusbussen durch den 14 Ministaat in Südosteuropa. Eine mutige Entscheidung: Schliesslich ist Albanien alles andere als eine 08/15-Destination, was sich nur schon am für Westeuropäer ungewohnt ruppigen Zustand der Strassen erfahren lässt. Wie das einem Luxuscar bekommt? Und worin besteht überhaupt dieser Luxus? Fragen über Fragen. Erste Station ist Tirana. Die Hauptstadt Albaniens überrascht: Sie ist bunt, lebendig und auf den ersten Blick eine typisch europäische Metropole. Kolonat, die albanische Alternative zu McDonald’s, wirbt mit knackigen Plakaten für Hamburger und Toasts. Junge Frauen zeigen viel Haut, flanieren aufreizend in knallengen Jeans und knappen Tops durch die Strassen. Kopftücher? Weit und breit ist keines in Sicht. Dafür viele nüchterne Häuser und Plattenbauten, die einen daran erinnern, dass Albanien bis Ende der 90er-Jahre noch kommunistisch war. Überall lungern mehr oder weniger junge Männer Dorothea Bet-Esh ist angetan von der Entwicklung in Albanien. Tiranas Zentrum ist nicht überall so schmuck wie hier. Vlore zählt zu den charmantesten Hafenstädten im Land des Adlers. fast 600 Jahren der Verherum. Offiziell beträgt die «Ich bin über- seit gangenheit an. Arbeitslosigkeit hier rund 14 rascht, wie die Prozent, doch es dürften viel Albaner an mehr sein, da Mitglieder von Hinter dem Denkmal steht ihrer Zukunft eine Moschee, gleich daneben Bauernfamilien nicht mitgearbeiten.» zählt werden. Das Land hat sticht ein Kirchturm in den die Touristen also bitter nötig. Abendhimmel. Im ReisefühDorothea Bet-Esh, Albanien-Reisende Auf dem Skanderbegplatz rer erfährt man, dass Muslime im Zentrum von Tirana geht und Christen harmonisch die Sonne unter, die Szenerie trieft vor mit- und nebeneinander leben. Noch Symbolik. Fürst Skanderbeg verteidigte mehr Nachhilfeunterricht in Geschichte einst das Abendland vor den Türken. und Zeitgeschehen kriegt, wer sich einer Noch heute wird er von vielen der 2,8 Mil- der vielen Busreisegruppen anschliesst. lionen Albaner als Nationalheld verehrt. Das ist zurzeit die einfachste Weise, Seine Ruhmestaten gehören allerdings Albanien zu entdecken: Wegweiser und Strassenschilder sind nämlich rar. Beni, der albanische Reiseleiter der Schweizer Reisegesellschaft, wird nicht müde, auf den Zustand des Landes hinzuweisen: «Noch läuft nicht alles, wie es sollte, das ist frustrierend. Unsere kommunistische Vergangenheit verfolgt uns noch.» Mit der historischen Tristesse kontrastiert die Natur: im Norden das schroffe Bergland, im Süden liebliche Hügel, nüchterne Hafenstädtchen und eine Riviera mit Bademöglichkeiten. Auch wenn die Strände nicht an die in Griechenland oder Kroatien herankommen, zum Entspannen laden sie allemal ein. 15 natur / reise Die Umgebung und die Häuser in Apollonia erinnern an die Toscana. Kolonat, die albanische Alternative zu Mc Donald’s ist DER Treffpunkt. Das Skanderbeg-Denkmal im Herzen von Tirana. Dorothea, eine Rentnerin aus Bern, sieht das genauso: «Die Demokratie hier ist noch jung, da läuft eben ab und zu etwas schief.» Aber sie sei überrascht, wie die Albaner an ihrer Zukunft arbeiten und aus ihrem Land etwas machen wollen. «Das ist weiss Gott nicht überall so.» Vergleichsmöglichkeiten hat sie mehr als genug: In den 70er-Jahren heiratete sie einen israelischen Ingenieur, lebte im Iran und arbeitete dort für den Hofschneider von Kaiserin Farah. Später fing sie dann an, um die halbe Welt zu reisen – bis heute. War ihr früher der Komfort noch nicht so wichtig, mag sie ihn heute nicht mehr missen. Zusammengequetscht wie in einer Sardinendose zu hocken, ist überhaupt nicht ihr Ding. Muss es auch nicht, denn in diesen speziellen Cars sind die Sitze so breit und bequem wie auf einem Flug in der Business-Class. Auch die grossen Fenster mag Dorothea, sogar das Dach ist verglast – «eine schönere Aussicht kann man gar nicht haben». Davon bekommt der Fahrer Jürg Fahrni natürlich nicht so viel mit. Er ist voll und ganz damit be- Überall warten alte Mütterchen auf Touristen und verkaufen Decken und Tücher. Albanien ist für Busfahrer Jürg Fahrni eine Nervenprobe. schäftigt, Rosalie – so sein Kosename für den Bus – sicher und unversehrt durch die engen Pass- und Einbahnstrassen zu lenken. Auch dass einige der entlegenen Burgen und antiken Ruinen auf der Weltkulturerbeliste der Unesco stehen, kümmert ihn nicht gross. Die Reise durch Albanien kostet ihn vor allem eins: Nerven. «Dem Bus tut die Reise nicht so gut.» Nicht mal der Klingelton «Der alte Jäger» von Oesch’s die Dritten auf seinem Handy heitert ihn auf. Nur halbherzig stimmt er in den Kanon seiner Gäste ein, die finden, als Albanientourist sei doch jeder irgendwie ein Pionier. Ihm wären bessere Strassen lieber. n WISSENSWERTES Informationen Weitere Tipps Währung: Lek. Sie kann im Ausland weder gekauft noch verkauft werden. Essen: Die albanische Küche ist eine Entdeckung. Sie ähnelt der italienischen und griechischen, ist aber nicht so ölig. Lamm, Feta, Tomaten und Gurken gehören zu jedem Menü. Für ein gutes Mittagessen mit Vor- und Nachspeise sowie Getränken muss man mit ca. 10 Franken rechnen. Unbedingt probieren: den sehr süssen Kuchen Tre Leches (ca. Fr. 2.–). Sicherheit: Albanien ist ein sehr sicheres Reiseland. Die Tradition verlangt, dass Gäste geschützt und bevorzugt behandelt werden. Sehenswertes: Ein Muss ist das Städtchen Kruja mit der Festung Preza. Die Albaner verehren den Ort seiner Geschichte wegen. Auch die Altstadt von Berat mit den weissen Häusern, die archäologische Stätte Apollonia oder die Ruine Butrint sind einen Besuch wert. Schweiz Albanien 16 Getränke: Kaffee gehört zu den Albanern wie der Tee zu den Engländern. Im kleinsten Ort findet man Lokale, die hervorragenden Kaffee anbieten. Auch den Traubenschnaps Raki findet man überall. Unterkunft: In allen grossen Städten gibt es gute Hotels. Ein albanisches 5-SterneHotel entspricht knapp dem Standard unserer 4-Sterne-Hotels. Ein DZ im 5-SterneHotel Butrinti (www.hotelbutrinti.com) in Sarande in Südalbanien mit Meersicht kostet z. B. 137 Euro (DZ inkl. Frühstück). Von der Schweiz aus im Luxuscar Europa erkunden. Tipp: Nehmen Sie Ohrenstäbchen und Wattepads mit, Sie werden beides nur selten in einem albanischen Hotel finden. Reisen im Land: Die Strassen sind spärlich ausgeschildert. Wer darum nicht mit dem (Miet-)Auto auf Entdeckungstour gehen will, lässt sich von Eurobus mit dem Car Rouge durchs Land fahren. Die 10-tägige Reise Albanien/Mazedonien kostet im Doppelzimmer Fr. 2750.–/ Person, www.car-rouge.ch, 031 750 70 70