Die Mauer

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Die Mauer
Döblinger Spaziergänge
Die Mauer
Genau genommen war es kein Spaziergang, eher eine Plagerei.
Zwar nicht weit, aber bergauf und bergab, wie auf einer
Hochschaubahn.
Die Vorgeschichte.
Das Bild links stammt aus den
1960er Jahren und wurde uns
von Herr Prof. Kurt Apfel zur
Verfügung gestellt. Lange hat
sich diese Mauer vor uns
versteckt. Unsere
Heimatforscher haben sie nicht
gleich gefunden und auch
darauf vergessen, Herrn Prof.
Apfel nach ihrer Lage zu
befragen. Prof. Apfel ist leider
nach langer Krankheit am 20.
Mai 2009 verstorben.
Noch Anfang April rief mich Herr Alfred Hengl, dem diese bis
damals unauffindbare Mauer keine Ruhe ließ, an und teilte mir mit,
dass er bei „Google Earth“ einen Schatten unterhalb der heutigen
Höhenstraße in Ost-West-Richtung, entdeckt habe. Die treibende
Kraft bei dieser Aktion war in diesem Fall Hr. Alfred Hengl, der durch
seine unermüdliche Kleinarbeit den Mauerbau kartografisch
eingrenzte.
Gleich nach dieser „Mutung“
erreichte mich ein Anruf von Hr.
Hengl, der es vor Erregung gar
nicht mehr zu Hause aushielt.
Unverzüglich fuhren wir mit
meinem VW-Bus T 5 zur
Kreuzung der Höhenstraße mit
der alten Zahnradbahntrasse.
Dort stellten wir den Wagen einfach zwischen Randsteinen und
Gebüschen ab. Von hier ging es zuerst etwas bergab und dann
ungefähr parallel zur Höhenstraße bis zur vermuteten Position der
Mauer.
Nach ein paar Minuten stieg der Weg
steil bergan, um in einem richtigen
Dornenfeld zu enden. Trotzdem
kämpften wir uns durch diese
Unwegsamkeit mühsam weiter.
Am Wegesrand entdeckten
wir Flysch, das typische
Gestein in dieser Gegend.
Immer wieder schlugen
uns Äste ins Gesicht und
die Hosen verhedderten
sich ununterbrochen in den
stacheligen
Brombeerzweigen. Am
16.4.2009 um 15 Uhr
wurde dann dieses
Bauwerk, das der Stützung der ehemaligen Zahnradbahntrasse und
der heutigen Höhenstraße vor der Kurve zur Schönstatt diente,
wiederentdeckt. Es hat schlichte 130 Jahre auf dem Buckel.
Plötzlich lag die „Mauer“ wehrlos vor uns. Freude kam auf und
sogleich wurden unzählige Fotos zum ewigen Beweis geschossen.
Gleich im dahinter befindet sich ein
etwas tieferer Graben, der von
einem kleinen Rinnsal, von
der gegenüberliegenden
Straßenseite kommend, nach 150
Meter in den Schreiberbach
mündet. Bis zur Kurve über den
Schreiberbachweg gibt es noch
einen zweiten Graben, dessen
Wasser von der Schwabenwiese
herunterkommt.
Die eigentliche Quelle des Schreiberbaches befindet sich kurz
unterhalb der Schönstatt. Die Quelle ist eingefasst und besitzt einen
Verschlussdeckel.
Noch etwas wackelig auf den Beinen (durch ein Glückszittern
ausgelöst) tastet sich Hr. Hengl langsam an der Mauer fort. Meter
für Meter genießt er sein Glück (Gott sei Dank haben wir an diesem
Tag nicht die „Chinesische Mauer“ entdeckt). Ich glaub, er ist an
diesem Abend mit einem fröhlichen Lächeln im Gesicht und müden
Gliedern eingeschlafen. Tags darauf hat er mir erzählt, dass er jetzt
wesentlich weniger Gewicht besitze, da ihm ein sehr großer Stein
vom Herzen gefallen sei …
…Fünf Jahre später, am
12.4.2014, wagten wir uns
wieder einmal zu unserer
Mauer, die mittlerweile auch
um weitere fünf Jahre gealtert
war. Der Anlass war das
Zahnradbahnfestival zum
Geburtstag der Zahnradbahn
am 7. März 1874, das drei Tage
dauerte und komplett
ausverkauft war.
Da ich mittlerweile Herrn Schmid, einen Filmschaffenden, mit dem
ich schon zwei Filme gedreht hatte, kennengelernt hatte, kam mir
natürlich sofort die Idee, über das gesamte Projekt „Zahnradbahn“
einen Film zu drehen. Mit den Arbeiten wurde gleich im April 2014
begonnen. Einen Drehtag hatten wir für den Besuch der alten Dame
„Mauer“ geplant. Am 12.4.2014, also fast auf den Tag genau fünf
Jahre später, wagten wir diese Begehung noch einmal. Nachdem
wir bei einer alten, verschütteten Unterführung mit dem Drehen
begonnen hatten, setzten wir
unseren Weg, der alten Route
folgend, zur Mauer fort. Immer
wieder blieben wir stehen und
brachten die Aufnahmen für unsere
Dokumentation „in den Kasten“. Wir
ließen die Äste nur so schnalzen und
stöhnten beim Bergaufgehen.
Diesmal kam uns der Weg
wesentlich kürzer vor. Dann kam es
zur alles entscheidenden Szene der gespielten Mauerentdeckung.
Herr Hengl und ich improvisierten die Szene, leider sehr schlecht
und zum Missfallen unseres Regisseurs. Ein Eklat war die Folge.
Trotzdem ließen wir es uns nicht nehmen, noch „würdige“
Mauerfotos auf Film zu bannen.
Die Freude über die noch immer
vorhandene Mauer kennt keine
Grenzen.
Ein Monat der Untätigkeit ist
ins Land gezogen, viel Gras
ist gewachsen, Hagel hat die
Weingärten am Nußberg
zerstört, aber wir sind die
gleichen geblieben.
Ab 23. Juni wird wieder
weitergedreht, die Mauer hat
sich frisch herausgeputzt und
wartet wieder einmal auf
unseren Besuch – aber zu warten ist sie ja schon seit über 140
Jahren gewohnt. Unsere Rollen haben wir auch schon auswendig
gelernt, also kann eigentlich nicht schief gehen, außer …
Wolfgang E. Schulz Anfang Juni 2014