Flugsicherheit

Transcrição

Flugsicherheit
HEFT 3 · SEPTEMBER
2005 · 41. JAHRGANG
Fachliche Mitteilungen für fliegende Verbände
Editorial
1
Pilot verweigert die Auskunft
2
Titelfoto: Guido Sonnenberg
Aus Erfahrung kann man lernen
5
„Flugsicherheit“, Fachliche Mitteilung
für fliegende Verbände der Bundeswehr
Bravo, gut gemacht (Teil 1)
7
Die Zeit, die man braucht
8
Herausgeber:
General Flugsicherheit in der Bundeswehr in
Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium
der Verteidigung - Fü S I 1.
Zusammenstoß
10
Über den Zaun geschaut
11
Das AFFSC(E)
12
Dreher auf der Alarmrotte
16
Runway Incursion
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Ich bin stolz darauf, ein Deutscher zu sein
23
Gestaltung:
Rolf Miebach, Informations- und
Medienzentrale der Bundeswehr (IMZBw)
Bravo, gut gemacht (Teil 2)
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Erscheinen:
dreimonatlich
Taktiles System für Lagebewußtsein
26
Manuskripteinsendungen
sind direkt an die Schriftleitung zu richten. Vom
Verfasser gekennzeichnete Artikel stellen nicht
unbedingt die Meinung der Schriftleitung oder
des Herausgebers dar. Es werden nur Beiträge
abgedruckt, deren Verfasser mit einer weiteren
Veröffentlichung einverstanden sind. Weiterveröffentlichungen in Flugsicherheitspublikationen
(mit Autoren- und Quellenangaben) sind daher
möglich und erwünscht.
Hitverdächtig
27
Personal
32
Flugsicherheitsbilanz
33
Redaktion:
Hauptmann Klemens Löb,
Tel.: 022 03 / 9 08 31 24
Major Claus Maneth,
Tel.: 022 03 / 9 08 39 41
Fliegerhorst WAHN 501 / 07
Postfach 90 61 10
51127 Köln
[email protected]
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[email protected]
Gesamtherstellung:
SZ Offsetdruck-Verlag Herbert W. Schallowetz GmbH
53757 Sankt Augustin
III/2005 FLUGSICHERHEIT
Editorial
Der morgendliche Weg zur Dienststelle findet an dem Teil des Tages statt, der oftmals routinemäßig „abgespult“ wird. Die Aufmerksamkeiten allerdings, die eigentlich nötig wären, um diese Phase sicher und sachgerecht
zu überstehen, sind noch nicht auf Touren. In Gedanken noch bei den Sorgen und Nöten der Familie, eventuell
noch leicht übermüdet, handelt man unterbewusst entsprechend der Verkehrslage und dem jeweiligen Umfeld,
um pünktlich am Arbeitsplatz die erste Tasse Kaffee genießen zu können. Haben Sie in dieser Zeit schon mal eine
geänderte Straßenführung, ein ungewohntes Hindernis oder eine überraschende Situation erst spät erkannt? Ich
schon. In meinem Fall war nach der Urlaubszeit ein Teilstück der Autobahn nur einspurig befahrbar. Die Sperrung
wurde zwar durch Verkehrszeichen frühzeitig angekündigt, dennoch blieb ich tief in Gedanken relativ lange auf
der Spur, die im weiteren Verlauf gesperrt wurde. Schlagartig wurde ich aus meinen Träumereien zurück in die
Realität geholt. Die entsprechenden Reaktionen setzten sofort ein, Adrenalin pulsierte und glücklicherweise war
auch noch ausreichend Platz zum Handeln ...
Was war geschehen? Das geänderte Umfeld wurde frühzeitig angekündigt, meine Augen hatten die Hinweise
gesehen, die Situation jedoch wurde nicht zeitgerecht in die nötigen Handlungsoptionen umgesetzt! Es gilt aber,
alle Zeichen des Umfeldes nicht nur zu sehen, sondern auch zu erkennen, zu verarbeiten und entsprechend umzusetzen. Dies trifft natürlich besonders auf die Flugsicherheit zu, ob im Flugdienst, in der Technik, in der
Flugbetriebsstaffel oder bei der Feuerwehr. Alle am Flugbetrieb beteiligte Soldaten und Mitarbeiter sind hier
gefragt, denn eine Schwäche bei der Aufmerksamkeit macht nicht selten die ganze „Teamarbeit“ zunichte.
In dieser Ausgabe der Flugsicherheit finden Sie den Beitrag von einem Flugsicherheitsoffizier, der zwar kritisch
aber in humorvoller Art die Zeichen der Zeit und das Verwertungsverbot betrachtet. Dieser Beitrag zeigt mir, wie
intensiv sich unser Flugsicherheitspersonal mit den Vorschriften auseinandersetzt. Wenn dann zusätzlich noch
solch ein gelungener Beitrag für diese Zeitschrift entsteht, ist dies besonders lobenswert.
Offen und ehrlich berichtet in dem folgenden Beitrag ein Fluglehrer über seine Erfahrungen, aber auch welche
Lehren er aus diesen highlights gezogen hat. Respekt gilt an dieser Stelle dem Autor, uns in dieser Art seine
Erfahrungen weiterzugeben.
Ein Beitrag der Zeitschrift National Defence Kanada befasst sich mit dem Thema Flugsicherheitsarbeit und wie
diese innerhalb von Sekunden zunichte gemacht werden kann. Die Gedanken daraus wurden in dem beigefügten Poster aufgenommen.
Es folgen Beschreibungen von einem Zusammenstoß eines Hubschraubers mit einer Drohne, der glücklicherweise glimpflich endete, von einem Überführungsflug über den Atlantik, der einige Überraschungen beinhaltete
und über Flugsicherheitsarbeit auf internationalem Niveau, dem Air Forces Flight Safety Committee.
Wir stellen die Frage, wie es zu dem Dreher bei der Vorbereitung zu einem Alarmstart kam. Dieser Zwischenfall
wird unter den Gesichtspunkten CRM und ORM beleuchtet und bewertet.
Zwischenfälle im Flugbetriebsbereich, hier im Besonderen der Bereich der Start- und Landebahn, sind das Thema
unter dem Titel Runway Incursion. Hier gibt es Handlungsbedarf. Das betroffene Personal muss sensibilisiert werden, um die richtigen Maßnahmen zur Prävention von Zwischen- und Unfällen anzuwenden.
Unter dem provozierenden Titel „Ich bin stolz darauf, ein Deutscher zu sein“ zeigt uns ein Stabsoffizier seine
Sichtweise zur Art der Ausbildung, der Personalsituation und dem Flugsicherheitsniveau im technischen Bereich.
Er gibt uns aber auch Handlungshinweise zur Verbesserung. Dieses Thema sollten wir mit großer Aufmerksamkeit
diskutieren und begleiten.
Last but not least wird über Rollbewegungen im Flugbetrieb berichtet, ein latentes Gefahrenfeld, bei dem in
jüngster Vergangenheit nur durch das umsichtige Beobachten und energische Einschreiten eines Einweisers ein dramatischer Unfall abgewendet werden konnte. Der Autor hat durch eine intensive Recherche Parallelen ähnlicher
Vorkommnisse aufgedeckt und beschrieben.
In diesem Sinne, fly safe
1
Flugsicherheit
Pilot verweigert
Auskunft!
„Beichtgeheimnis“ - Nicht länger ein Thema
für den FlSichhOffz?
von Fregattenkapitän
Dieter Sandforth, MFG 3 „GZ“
Der in Ehren leicht ergraute Flugsicherheitsstabsoffizier lehnte sich in
seinem harten Drehstuhl
im Dienstzimmer zurück,
schaute auf den friedlich
vor sich hin schlummernden Fliegerhorst und dachte wehmütig an die Zeit
zurück, als er noch jedes
Wort aus einem Abschlussbericht zu einem Flugunfall verstanden hatte. Auch
wenn er manchmal das
Gefühl hatte, dass er von
seinen Fliegerkameraden
mitleidig belächelt wurde,
wenn er beim Nachtflugbier wieder eine Geschichte mit den Worten
„Damals“ begann.
Aber damals – in den sechziger Jahren zu Zeiten der
Starfighter-Krise – hatte
ein Abschlussbericht einschließlich des Verteilerschlüssels (!) eine Länge
von gerade mal zwei (!)
Seiten. Jedes Wort, einfach
jedes hatte er damals verstanden!
2
Im Laufe der Jahre waren es dann ab
und zu vor allem die Inhalte der
Abschlussberichte, welche ihn auch als
Hubschrauberführer mit einem Studium aus dem Bereich der Erziehungswissenschaften überforderten. Wer
wollte es ihm übel nehmen, dass er
schon frühzeitig auf das tiefgreifende
Verständnis der z.B. in Flugunfallberichten von PA 200 häufig verwendeten Abkürzungen wie TOR LL-1, TFR,
SFCO, FWIC oder AUTO-TF verzichtet
hatte?
Als dann in den neunziger Jahren –
seinem Empfinden nach – die Vorbemerkungen in den Abschlussberichten
fast den selben Umfang erreicht hatten wie die Beschreibung des Unfallherganges und die Analyse zusammen, erlebte er seine erste tiefgreifende „Sinnkrise“ als Flugsicherheitsoffizier.
Man konfrontierte ihn mit dem Begriff des „Verwertungsverbot“. Er, der
als treusorgender Ehemann bis dahin
diesen Begriff lediglich mit seinem
manchmal grauen Ehealltag in Verbindung bringen durfte, wo seine bessere Hälfte ihm stets unter Androhung
von Strafe verboten hatte, die so vielsagenden und einladenden Blicke der
neu hinzugezogen und alleinstehenden Nachbarin zu verwerten.
Damals hatte er befürchtet, dass er
als Flugsicherheitsoffizier ohne ein
Studium der Rechtswissenschaften
zukünftig seinen Job nicht mehr
zufrieden stellend erfüllen könne!
Denn eigentlich wollte er – als Soldat
mit Leib und Seele – nämlich bis zu
seinem letzten Diensttag – seinem
Kommodore ein allzeit kompetenter
Berater in allen Dingen der Flugsicher-
heit bleiben. Seiner Einschätzung nach
leistete man sich aber für die umfangreichen Problemfelder aus dem
Bereich des Grundgesetzes, der Strafprozessordnung, des Soldatengesetzes
und Luftverkehrsgesetzes hoch qualifizierte Rechtsberater in den Kommandobehörden!
Von nun an unterlagen die im
Rahmen der Flugunfalluntersuchung
gemachten Aussagen seiner Luftfahrzeugbesatzungen im Zusammenhang
mit einem Strafverfahren und/oder
Disziplinarverfahren sowie im Bereich
der Haftungsprüfung einem so genannten „Verwertungsverbot“.
Hauptsächlich durch eigene Recherchen und Erfahrungen hatte er sich in
den dann folgenden Monaten und
Jahren bezüglich der gesamten Tragweite dieser rechtlichen Problematik
zu mindestens ein gesundes „Halbwissen“ angeeignet. Das „Verwertungsverbot“ hatte er begriffen und auch
seinen Leuten vermitteln können. Er
hatte sich damit abgefunden, dass er
sich in einer Position als Flugsicherheitsoffizier schon manchmal wie der
Militärpfarrer fühlte, denn nun gab es
selbst in seinem Büro – hinter verschlossenen Türen – so etwas wie ein
„Beichtgeheimnis“.
Auf die alle interessierende Frage
„Wie konnte es zu dieser „Katastrophe“ kommen?“, redeten die betroffenen Luftfahrzeugbesatzungen
von nun an immer wie ein Wasserfall.
Das höhere Gut war immer die Ursachenfindung! Er wusste stets schon
nach kurzer Zeit, wo die wahren Ursachen für die Vogelnester an der
Rumpfunterseite der Jets oder die
Buchenzweige an den Hauptrotor-
III/2005 FLUGSICHERHEIT
Illustration: Rolf Miebach, IMZBw
blattspitzen der Hubschrauber zu
suchen waren. Er war auch noch
heute davon überzeugt, dass seine
Staffelkapitäne im Verband immer
noch an die „kanadischen Springfichten“ oder an den „Buchenausschlag“ im Frühjahr glaubten. Das
Wissen um die Wahrheit, in Verbindung mit der im rechtlichen Sinne
von nun an zu unterdrückenden Verlangen nach Aufklärung in alle Richtungen, hatte bei ihm in der Anfangsphase manchmal sogar zu körperlichen Schmerzen geführt. Später konnte er – sicherlich auch aufgrund der
verständnisvollen Therapeutin in der
bayrischen Kurklinik mit der erfolgten
privaten Einweisung in fernöstliche
Entspannungstechniken – hervorragend damit umgehen. „Seine Jungs“
konnten sich voll auf ihn verlassen. Die
neugierig wartenden Ohren – angefangen bei den Strafverfolgungsbehörden, den Wehrdisziplinaranwälten
und bei den Disziplinarvorgesetzten –
lauschten bei ihm stets vergeblich!
Was ihm aber jetzt gerade in einer
so seltenen stillen Stunde in seinem
Dienstzimmer auf einmal Schmerzen
verursachte, war nicht der harte Drehstuhl und nicht das für sein Alter doch
schon anstrengende, lange gedankliche Abschweifen in die Vergangenheit. Beim mehr rein zufälligen Blick in
den neuesten Flugunfallbericht stockte sein Atem und er hatte das Gefühl,
dass seine zweite tiefgreifende „Sinnkrise“ als Flugsicherheitsoffizier mit
großen Schritten auf ihn zukam.
Warum musste General Flugsicherheit
seine Belastbarkeit noch so kurz vor
der Pensionierung testen?
Da wurde er doch wahrhaftig als
Flugsicherheitsoffizier aufgefordert,
allen militärischen Zeugen in einem
Flugunfalluntersuchungsverfahren ab
sofort ein „Auskunftsverweigerungsrecht“ einzuräumen! Dies konnte
doch nur der Verfall des Rechtsstaates
und aller soldatischen Tugenden bedeuten. Gerade er als Stabsoffizier war
so erzogen worden – mal vom ganz
III/2005 FLUGSICHERHEIT
privaten Bereich abgesehen – jederzeit
und zu allem auszusagen und dabei
die Wahrheit nicht aus den Augen zu
verlieren!
Was musste er in seiner Funktion als
Flugsicherheitsoffizier und Untersuchungsoffizier und seine Fliegerkameraden als möglicherweise Betroffene – basierend auf der Strafprozessordnung § 55 ff und dem Flugunfalluntersuchungsgesetz § 16 ff –
nun wissen und unbedingt beachten?
Soldaten und Beamte der Bundeswehr haben, im Gegensatz zu Personen, die nicht der Bundeswehr angehören, aufgrund ihrer allgemeinen
Dienst- und Treuepflicht eine Mitwirkungspflicht an der Aufklärung des
Sachverhaltes eines Vorkommnisses
(z.B. Zwischenfall/Flugunfall).
Jeder Zeuge hat das Recht, die Auskunft auf solche Fragen zu verweigern, deren Beantwortung ihn selbst
der Gefahr aussetzen würde, wegen
einer Straftat, einer Ordnungswidrigkeit bzw. eines Dienstvergehens verfolgt zu werden.
Ein Auskunftsverweigerungsrecht
besteht auch dann, wenn durch die
Aussage die Gefahr begründet werden würde, auf Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden.
Zeugen sind darauf hinzuweisen,
dass die Vernehmungsniederschriften
nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften den für die strafrechtliche,
ordnungswidrigkeitsrechtliche oder
disziplinare Prüfung und Würdigung
bzw. der für die arbeits- und schadensrechtliche Bearbeitung zuständigen Behörden und Dienststellen auf
deren Anforderung überlassen werden
müssen.
Soldaten der Bundeswehr sind vor
ihrer Vernehmung darüber zu belehren, dass sie analog zur Strafprozessordnung ein persönliches Recht zur
Verweigerung der Aussage haben.
Nimmt ein am Vorkommnis beteiligter Soldat sein Auskunftsverweigerungsrecht zum Sachverhalt komplett
in Anspruch, so soll aus Gründen der
Vorkommenspräventation mindestens
zu Aussagen über ereignisrelevante
technische Fehlfunktionen des Unfallluftfahrzeuges appelliert werden.
Leicht erblasst lehnte sich unser Flugsicherheitsoffizier im Drehstuhl zurück.
In Gedanken sah er sich schon in seinen so kurzen und so wertvollen Freiräumen an langen Winterabenden in
der ortsansässigen Volkshochschule im
Kurs „Rechtskunde für Anfänger,
Scheidungswillige und ewig Besserwissende Teil 1“ sitzen.
Könnte dies etwa im Extremfall bedeuten, dass er nie wieder den hinter
verschlossenen Türen des Flugsicherheitsoffizier-Büro so lieb gewonnen
Wissensvorsprung erhalten würde?
Denn seine Luftfahrzeugbesatzungen
wüssten ja nun, dass er als Flugsicherheitsoffizier gezwungenermaßen alle
Aussagen dem Disziplinarvorgesetzten,
dem Wehrdisziplinaranwalt und den
Strafverfolgungsbehörden auf Anfrage
überlassen müsste. Und müsste er
nicht davon ausgehen, dass all diese
Stellen – die möglicherweise mit dem
Unterschied zwischen „Ursache“ und
“Schuld“ nicht so sensibel umgehen
würden, wie er es immer getan hatte
– auf eigene Ermittlungen verzichten
würden? In letzter Konsequenz würden somit auch seine erarbeiteten
Untersuchungsergebnisse später auf
einer anderen Ebene direkt oder indirekt z.B. für eine disziplinare Würdigung einer Luftfahrzeugbesatzung
oder für die Schadensermittlung herangezogen werden.
Könnte man es da seinen Luftfahrzeugführern verübeln, wenn von nun
an nicht mehr alle Fragen beantwortet
werden würden oder man dem Flugsicherheitsoffizier vorformulierte Texte
- unter Zuhilfenahme rechtlicher Beratung – präsentieren würde? In Gedanken sah er sich schon auf der
Anklagebank eines Strafgerichtes, wo
seine Art der Vernehmung durch einen
Staranwalt zerpflückt wurde und somit
die wahre Ursache möglicherweise aus
formal juristischen Fehlern seinerseits
3
Flugsicherheit
4
und korrekten Ursachenfindung bei
Zwischenfällen und Flugunfällen überwiegen würde!?
Als er kurz vor Erreichen des heimatlichen Herdes zu seiner Stammkneipe
abbog, um dort noch ohne Genehmigung seiner Ehefrau das ein oder
andere „Nachtflugbier“ zu verköstigen, war ihm
klar,
das
Auskunftsverweigerungsrecht hatte
auch Vorteile! Heute Abend würde er
bei der definitiv zu erwartenden Frage
„Wo kommst Du schon wieder so spät
her?“ davon, zumindestens im privaten Bereich, ab sofort schon einmal
Gebrauch machen!
Illustration: Veilig Vliegen
nie den Weg in einen Abschlussbericht
finden würde.
Und wie sollte er die – nun zulässige
– Verweigerung einer Auskunft auf die
Frage „Haben Sie die zulässige Mindestflughöhe unterschritten?“ bewerten? Dürfte er daraus den Umkehrschluss ziehen, dass der Luftfahrzeugführer sich nicht selber belasten wolle
und somit „Dreck am Stecken“ hat!?
Je mehr er über diese „Problemfelder“ nachdachte, desto klarer wurde
ihm, dass er als Flugsicherheitsoffizier
in seinem Verband u.a. in den folgenden Bereichen tätig werden musste:
• Bereitstellung der Vernehmungsprotokolle mit neuem Belehrungstext,
• Eigene Verinnerlichung der diesbezüglichen Schreiben von GenFlSichhBw
(Az
56-22-00(Pf)
vom
24.10.2003 + Informationen + Hinweise für den Flugsicherheitsoffizier
04/03),
• Briefing aller Luftfahrzeugbesatzungen,
• Briefing der Personenkreise, welche
im disziplinaren und strafrechtlichen
Raum tätig werden könnten und
• Belehrung des betroffenen Personals
bei jedem Untersuchungsbeginn,
egal ob Zwischenfall oder Flugunfall.
Auf dem Nachhauseweg, den er
wegen der bevorstehenden Wehrfliegertauglichkeitsüberprüfung mal
wieder mit dem Fahrrad zurücklegte,
schienen seine düsteren Gedanken, ob
er dieser neuen Herausforderung in
seinem Alter überhaupt noch gewachsen war, ein wenig zu verschwinden. Denn was hatte man ihm damals
nach seiner ersten Scheidung in
der Männer-Selbstfindungsgruppe beigebracht: „Think positiv“.
Vielleicht würde trotz des
Bestehens eines Auskunftverweigerungsrechtes und trotz des
Wissens, dass Selbstbelastungen
in ihren Aussagen zum Nachteil
ausgelegt werden könnten, seine
Luftfahrzeugbesatzungen weiterhin aussagen, weil die Einsicht in
die Notwendigkeit einer schnellen
III/2005 FLUGSICHERHEIT
Foto: Archiv GenFlSichhBw
Aus
Erfahrung
kann man nur lernen
Der Autor ist der Redaktion bekannt
Die zwei Ereignisse/
Zwischenfälle, die ich
kurz schildern möchte,
liegen nun schon ein
paar Monate zurück.
Beide fanden im Rahmen
einer lehrgangsgebundenen Ausbildung statt
und endeten mit einer
Formationslandung.
In beiden Fällen saß ich
im hinteren Cockpit als
Fluglehrer (LFB), allerdings mit unterschiedlichen Flugschülern.
Im ersten Fall war ich der Formationsführer, im zweiten die Nummer
zwei.
III/2005 FLUGSICHERHEIT
Aus unterschiedlichsten Gründen
endeten beide Landungen mit Hot
Brakes.
Im Falle der Formationslandung als
Lead kam es ca. 15 Minuten nach
dem Aufsetzen zum Brand am rechten Hauptfahrwerk.
Im zweiten Fall wurde das Luftfahrzeug ebenfalls zum Großteil mit
den Bremsen verzögert, die Hitzeentwicklung hielt sich jedoch im Rahmen.
Wie kam es nun zu diesen Vorkommnissen?
Im ersten Fall war die Schubumkehr
wahrscheinlich schon vor dem Flug
deaktiviert (Sicherungen 221/222
waren gezogen). Dies ist uns/mir
während des Fluges und während der
Landung nicht bewusst gewesen.
Einzelheiten können der Abschließenden Stellungnahme Zwischenfall
Nr 4050 mit PA 200 am 26. Juli 2004
entnommen werden.
Fakt ist, dass das Flugzeug aus dem
vorderen Cockpit mit der verbleibenden Restrollstrecke ohne größere
Probleme verzögert werden konnte.
Da ich dieses Problem vorher noch
nicht erlebt hatte, und niemals Hot
Brakes bekommen hatte, kam es mir
auch nicht in den Sinn, die Feuerwehr
über heiße Bremsen zu informieren ...
ich hätte es besser wissen müssen.
There I was again. . .
Wenige Wochen später kam es zum
oben schon erwähnten zweiten
Zwischenfall. Diesmal setzten wir als
Nr 2 relativ problemlos auf. Bei Anwahl der Schubumkehr bekamen wir
allerdings eine L-REV-Warnanzeige.
Auch nach meinem Zuruf „Override“
ins vordere Cockpit änderte sich an
der Situation nichts. Durch die Vorkommnisse des ersten Zwischenfalls
war ich natürlich etwas gebrandmarkt
und nahm die Steuerführung ins hintere Cockpit. Mein Versuch, die
Schubumkehr anzuwählen, blieb
ebenfalls erfolglos. Wie auch, der
Override Switch im Front Cockpit
befand sich zu diesem Zeitpunkt noch
in der Stellung NORM. Zum Warum
und Weshalb später mehr ...
5
Flugsicherheit
Emergency Briefing:
InderNachbesprechungderZwischenfälle kam in Gesprächen mit Kameraden
heraus, dass Landing Emergencies (als
Formation) leider relativ stiefmütterlich
behandelt werden. Sind wir mal ehrlich:
Man spricht immer wieder über Take off
Emergency Procedures, was wer macht,
wer, wann, wo, wie und überhaupt ins
Kabel geht und so weiter und so fort ...
Was aber bei der Landung? Oft ist
es/war es so, dass man lediglich dem
Wingman gesagt hat, „Safe“ zu callen, wenn er die Speed unter Kontrolle hat. Was aber, wenn der Wing-
6
man, wie in unserem Fall, plötzlich
vorne ist?
Kurzum, man kann sich Gedanken
darüber machen, wie in einem solchen Fall zu verfahren ist. Ein Safe Call
von dem hinteren Luftfahrzeug sollte
dem Vordermann (egal ob Lead oder
Wing) immer die Gewissheit geben,
dass er nun alles machen
kann, um das Luftfahrzeug sicher zum Stehen
zu bringen.
Im Crew Briefing oder
Take Off Emergency Briefing (meistens ist es ja
auch die Landing Runway) sollte auch auf
jeden Fall angesprochen
werden, wo sich das
oder die Departure End
Cables befinden.
Weitere Optionen sind
eventuell je nach Situation ein Go Around oder
Aero Dynamic Braking.
In jedem Fall sollte
nach Benutzung der
Bremse, auch wenn man
den Anschein hat, dass
es „gar nicht so schlimm
war“, diese immer inspiziert werden.
Deshalb war er im Nachhinein über
meine Reaktion etwas überrascht.
Auch hätte ein präziseres Ansprechen
des Switches mit: „Thrust Reverse auf
override“ vs „Override“ eventuell geholfen.
Beides hätte in einem detaillierten
Briefing über Landing Emergencies
Crew Coordination/ CRM:
Wie gesagt, im zweiten Zwischenfall wurde
im Front Cockpit der
Thrust Reverse Override
Switch nicht umgelegt.
Mein Zuruf kam in diesem Fall vorne erst gar
nicht an. Warum? Der
Student war beim Auftreten des Schubumkehrproblems eher auf dem
Mind Set gewesen, einen
Go Around zu machen.
Eine Option, die unter
Berücksichtigung von
Traffic Situation, Fuel
State, Wetter etc durchaus denkbar wäre ...
Fotos: FSO FlgAusbZLw
In der Zwischenzeit überholten wir
den Leader, welcher dieses mit dem
Funkspruch: „You got the lead again“
quittierte ... ein durchaus smarter,
aber wenig hilfreicher Spruch wie sich
wenige hundert bis tausend Fuß später zeigen sollte. Meine Überlegung,
ins Departure End Cable zu gehen,
verzögerte sich aufgrund der Ungewissheit über die Position des zweiten
Luftfahrzeugs: Nachdem das Ende der
Runway jedoch relativ schnell auf uns
zukam, fuhr ich den Fanghaken aus ...
allerdings wenige Meter zu spät ...
das Kabel hatten wir gerade überrollt.
Also doch wieder die Bremsen ...
shit!!! Wir rollten noch von der Runway in die Dearm Area, erklärten diesmal Hot Brakes (zumindest hatte ich
dies gelernt) und stellten das Luftfahrzeug nach Absprache mit der
Wartung ab.
Weshalb nun die ganze Vorgeschichte? In meinen Augen kann man
aus beiden Fällen eine ganze Menge
lernen, da Formationslandungen in
Deutschland nicht zum alltäglichen
Flugbetrieb unter anderem aufgrund
der Runway-Breite (zumindest in einigen Geschwadern) gehören. Auch
wenn die Crewzusammenstellung in
einem Geschwader in Deutschland so
mit Sicherheit nicht auftreten wird.
Ähnliches ist eventuell in einer GS vorstellbar.
Im Endeffekt kann man zwei Hauptbereiche ansprechen:
III/2005 FLUGSICHERHEIT
Auch wenn hier festzustellen
ist, dass der Grundsatz „Aus Erfahrung kann man nur lernen“
nicht immer sofort wirkt, verdient die etwas verspätete Auseinandersetzung des Luftfahrzeugführers mit dieser Problematik trotzdem Anerkennung.
Nachahmung wird dringend
empfohlen!
Die beiden Zwischenfälle, die
sich während des Landevorganges abgespielt haben, stehen
nicht alleine.
Die Erfahrungen der jüngsten
Vergangenheit zeigen, dass das
sichere Abarbeiten von Notfällen, die sich während der
Landephase ereignen, teilweise
nur mangelhaft bzw. unvollständig erfolgt. Unkoordinierte
Handlungsabläufe und missverständliche Weisungen/Aktionen
deuten erneut darauf hin, dass
solche Eventualfälle nicht bzw.
nicht ausreichend bereits in der
Vorflugbesprechung berücksichtigt werden.
Nehmen Sie sich fünf Minuten, um auch diesen wichtigen
Bereich abzudecken.
Denken Sie immer daran:
Ihr nächster Flug ist immer
erst mit dem Debriefing abgeschlossen!
FLY and LAND SAFE!
III/2005 FLUGSICHERHEIT
Bravo,
gut gemacht!
der Erste...
Defekter Ventilkörper
Stabsgefreiter Stephan Gruber, Angehöriger der Teileinheit Rad und Reifen,
stellte bei der Endmontage eines Hauptfahrwerksreifen fest, dass der
Ventilkörper des eingesetzten „neuen“ Bauteils an seiner Längsachse durchgehend eingerissen war.
Wäre dieses Hauptfahrwerksrad in den Umlauf gelangt und an einem
Luftfahrzeug angebaut worden, hätte dies zu einer flugsicherheitsgefährdenden Situation bei Start oder Landung führen können.
Dieses umsichtige und professionelle Arbeiten ist ein Beweis dafür, dass
Stabsgefreiter Gruber die Belange der Flugsicherheit verinnerlicht und beispielgebend für alle Angehörigen der Technischen Gruppe gehandelt hat.
!!!Bravo gut gemacht und weiter so!!!
Foto: FSO JaboG 33
Anmerkung FlSichhBw:
The mission is not over until you`re back at the bar
definitiv verdeutlicht werden
können. Und dies unabhängig,
ob man als Two Ship oder
Singleton unterwegs ist.
Mit Sicherheit gibt es unterschiedliche Meinungen zu diesem Thema, aber dennoch denke ich, dass es Wert ist, sich einmal darüber Gedanken zu
machen und Emergency Procedures nicht immer als „Standard“zu briefen (macht aber eh
keiner ... oder?)
Always happ-y( -ier) Landings
7
Flugsicherheit
Die Zeit,
die man braucht
mit freundlicher Genehmigung der
Zeitschrift Flight Comment
von Sergeant Anne Gale,
National Defence Kanada
Ein Plakat mit dem Titel „Die Zeit,
die man braucht“ hängt schon seit
Jahren an einer Wand meines Arbeitsraums. Jeder, der schon einmal mit
Explosivstoffen gearbeitet hat, kennt
wahrscheinlich dieses Plakat; es ruft
auf ausdrucksstarke Weise in Erinnerung, dass schon eine kleine Unachtsamkeit die gute Arbeitspraxis eines
ganzen Lebens zerstören kann. Ich bin
davon überzeugt, dass die Aussage
dieses Plakats auf jedes Betriebsschutzprogramm zutrifft und auch
Briefing ein sicherer Techniker zu werden. Diese Mittel geben uns jedoch
das grundlegende Wissen, das wir für
den Beginn unserer Erziehung zur
Sicherheit benötigen. Des Weiteren
erlangen wir während unserer Laufbahn bei der Arbeit im Flugbetriebsbereich, in Fachgruppen und mit unterschiedlichen Flugzeugtypen weitere
Bausteine, die unser Wissen ergänzen. Dieser Prozess der Wissenserweiterung hört nie auf, da wir fortwährend aus verschiedenen Quellen
wie unserem Arbeitsumfeld, dem zu
Hause und unserem sozialen Umfeld
weitere Erfahrungen im Bereich Sicherheit sammeln. Im Laufe der Zeit führt
die Summe all dieser Sicherheitsbau-
Die Zeit, die man braucht:
-
ein sicherer Techniker zu werden.............................................ein Leben
eine Auszeichnung für Flugsicherheit zu erhalten....................ein Jahr
ein Flugsicherheitsprogramm bei einer Staffel einzuführen...... einen Monat
eine offizielle Flugsicherheitsinspektion durchzuführen ...........eine Woche
eine Flugsicherheitsausbildung durchzuführen.........................einen Tag
ein Flugsicherheitsbriefing zu halten........................................eine Stunde
ein Flugsicherheitsplakat zu lesen............................................eine Minute
- alles oben Erwähnte mit einem Unfall, verursacht
durch mangelnde Flugsicherheit, zu zerstören........................eine Sekunde
problemlos auf das Flugsicherheitsprogramm angewendet werden kann.
Glauben Sie wirklich, dass man ein
ganzes Leben braucht, um ein sicherer Techniker zu werden? Wenn Sie
mit „Ja“ geantwortet haben, dann
haben Sie, denke ich, die richtige
Einstellung zur Flugsicherheit und
Sicherheit im Allgemeinen. Ich bin der
Ansicht, dass es nicht möglich ist,
durch einen Lehrgang oder ein
8
steine zu einem sicheren Techniker.
Man braucht ein Jahr, um eine
Auszeichnung für Flugsicherheit zu
erhalten. Techniker, die einen Unfall
oder einen schwerwiegenden Zwischenfall verhinderten oder in seinem
Ausmaß abschwächten, können und
sollen für einen Auszeichnung vorgeschlagen werden (siehe A-GA-135001/AA-001 für weiterführende Informationen bezüglich der verschiede-
nen kanadischen Auszeichnungen).
Wenn die Nominierung eingegangen
ist, dauert es eine Weile, bis die erforderlichen Papiere ihren Weg über die
Staffel, das Geschwader, die 1. Kanadische Luftwaffendivision (1 Canadian
Air Division - Cdn Air Div) und die
kanadische Abteilung Flugsicherheit
(Directorate of Flight Safety - DFS)
genommen haben. Nach der Genehmigung überreicht der Leiter Flugsicherheit (Director of Flight Safety)
während seiner jährlichen Rede vor
dem Geschwader die Auszeichnung
an ihren Empfänger. Solche Vorstellungen, bei denen die Verdienste Einzelner gewürdigt werden, die für die
Flugsicherheit einen bedeutenden Beitrag geleistet haben, sind ihm eine
ganz besondere Freude.
Die Einführung eines Flugsicherheitsprogramms bei einer Staffel dauert einen Monat, danach muss es jedoch angepasst und verfeinert werden, um der Entwicklung der Einheit
im Laufe der Jahre gerecht zu werden.
Änderungen könnten sich unter anderem ergeben durch einen Wechsel
der Staffel auf ein neues Luftfahrzeugmuster (z. B. den Austausch des
CH-113 Labrador durch den CH-149
Cormorant oder des CF-104 Starfighter durch die CF-18 Hornet), die
Art und Weise der Materialerhaltung
(z. B. Zivilpersonal, das die CT-155
Hawk technisch betreut) oder aber
aufgrund der internen Organisation
der Staffel (z. B. Stellenabbau). Um
seinen Zweck zu erfüllen, muss das
Programm dynamisch ausgelegt sein
und dies kann nur durch Anpassung
an die in der Einheit vonstatten
III/2005 FLUGSICHERHEIT
gehenden Veränderungen erreicht
werden. Dieses Konzept trifft natürlich nicht nur auf Staffeln zu; das
Gleiche gilt für Geschwader, die 1.
Kanadische Luftwaffendivision und
sogar die kanadische Abteilung
Flugsicherheit.
Bei den meisten Geschwadern dauert es eine Woche, um eine offizielle
Flugsicherheitsinspektion durchzuführen. Angeführt durch die 1. Kanadische Luftwaffendivision, stellt die
Inspektion sowohl für die kanadische
Abteilung Flugsicherheit als auch für
die Division selbst ein Werkzeug dar,
die Wirksamkeit des Flugsicherheitsprogramms eines Geschwaders oder
einer Staffel zu messen. Gleichzeitig
erhalten die Kommandeure ein Bild
von außen darüber, wie es um ihre
Organisation im Bereich Flugsicherheit
bestellt ist. Da die Inspektion von
Personal, das nicht dem Geschwader
zugehörig ist, durchgeführt wird,
besteht für die Bediensteten auch
eine gute Möglichkeit ihre Bedenken
bezüglich Flugsicherheit Personen
gegenüber zu äußern, die außerhalb
ihrer Befehlskette stehen. Man sollte
jedoch nicht vergessen, dass Besorgnisse auch mittels einer Flugsicherheitsgefahrenmeldung (Flight Safety
Hazard Report – siehe A-GA-135001/AA-001 für weitere Informationen zur Abgabe einer Gefahrenmeldung) über die Befehlskette nach
oben weitergeleitet werden können.
Man braucht einen Tag, um eine
Flugsicherheitsausbildung durchzuführen. Wie bereits erwähnt, ist Ausbildung nur einer von vielen Bestandteilen auf dem Weg zu einem sicheren Techniker. Eine offizielle Flugsicherheitsausbildung wird oftmals
nur Personen gewährt, die für Positionen im Bereich Flugsicherheit vorgesehen sind, beispielsweise dem
Assistenten des Flugsicherheitsoffiziers des Geschwaders oder dem
Flugsicherheitsfeldwebel der Staffel,
wohingegen den meisten Technikern
III/2005 FLUGSICHERHEIT
der Nutzen dieser Ausbildung nicht
zuteil wird. Für die Staffeln könnte es
von Vorteil sein, einen eigenen Ausbildungstag für Flugsicherheit ins
Leben zu rufen, um Neulingen einen
Überblick über das Flugsicherheitsprogramm der Staffel zu geben und
sie auch mit den Verantwortlichen für
den Bereich Flugsicherheit bekannt zu
machen.
Man braucht eine Stunde, um ein
Flugsicherheitsbriefing zu halten.
Leider sind solche Briefings oftmals
nur eine Reaktion auf einen Vorfall
und werden nicht vorbeugend abgehalten. Luftfahrzeugbesatzungen haben für gewöhnlich ein regelmäßig
angesetztes Flugsicherheitsbriefing als
Teil ihres morgendlichen Briefings. Die
meisten Briefings für Techniker werden jedoch aufgrund eines kürzlich
stattgefundenen Zwischenfalls abgehalten. Ich weiß, dass es in einigen
Staffeln extrem schwer sein mag, eine
Stunde für die Durchführung eines
Flugsicherheitsbriefings zu finden. Ich
glaube jedoch, dass der gleiche Effekt
durch regelmäßige fünfminütige
Sicherheitsbesprechungen (einmal
wöchentlich) erzielt werden kann.
Diese könnten problemlos zu Beginn
der Schicht durchgeführt werden,
wobei der jeweilige Erste Wart Informationen zur Flugsicherheit an
seine Mannschaft weitergibt. Mögliche Inhalte wären beispielsweise
Kälte- oder Wärmeschutzmaßnahmen, Luftfahrzeug-Gefahrenbereiche,
Werkzeugkontrolle, usw. Sinn der
Sache ist nicht eine ausführliche Erklärung des gewählten Themas oder
des Flugsicherheitsprogramms, sondern vielmehr die mit dem Betrieb von
Luftfahrzeugen und Flugplätzen verbundenen Gefahren ins Gedächnis zu
rufen.
Die meisten von uns brauchen eine
Minute, um ein Flugsicherheitsplakat
zu lesen (vorausgesetzt das Plakat ist
interessant). Leider werfen wir oftmals
gar keinen Blick auf diese Plakate,
obwohl sie eine hervorragende Quelle
für Flugsicherheitsinformationen sind.
Sollten die Plakate an Ihrem Flugsicherheitsbrett oder die Aushänge
bei der Kantine bereits alt und überholt sein, so informieren Sie Ihren
Flugsicherheitsfeldwebel oder Flugsicherheitsoffizier, dass es womöglich
an der Zeit ist, neue aufzuhängen.
Außerdem ist die Abteilung Flugsicherheit immer hoch erfreut, wenn
sie Ideen für Plakate aus der Truppe
erhält.
Leider dauert es nur eine Sekunde,
um all das oben erwähnte mit einem
Unfall, verursacht durch mangelnde
Flugsicherheit, zu zerstören. Ein
Augenblick der Unachtsamkeit und
die sichere Arbeitspraxis eines ganzen
Lebens ist zunichte gemacht. Wenn
wir Glück haben, dann kommen wir
noch einmal mit einem blauen Auge
davon, was zweifellos auch unser
Interesse für Flugsicherheit wieder
wecken wird. Wenn wir jedoch nicht
so viel Glück haben, dann müssen wir
uns keine Gedanken mehr über die
Flugsicherheit machen, da sich das
Ganze wohl eher an die Lebenden
richtet, obwohl man sagen kann, dass
die Verblichenen dazu beigetragen
haben, das Programm zu schreiben.
Zur Ehrung all derer, die bei Luftfahrtunfällen von uns gegangen sind,
möchte ich dazu aufrufen das Flugsicherheitsprogramm bereitwillig anzunehmen und die neu in die Staffel
gekommenen Techniker ebenfalls dazu zu ermuntern. Wir haben nur ein
Leben, achten wir darauf, dass es ein
langes und sicheres wird.
Flugsicherheit:
etwas fürs ganze Leben.
9
Flugsicherheit
Zusammenstoß
eines UAVs (RAVEN) mit einem Hubschrauber (OH 58D KIOWA WARRIOR)
von Oberstleutnant Hellinger,
Heeresverbindungsstab 5, Fort Rucker
Der Bericht informiert
über eine MidairCollision zwischen einem
Small UAV vom Typ
Raven und einem Hubschrauber Typ OH 58D
Kiowa Warrior,
Bewertung
Dies ist der erste bekannt gewordene Zusammenstoß eines unbemannten Luftfahrzeugs mit einem Hubschrauber. Der Zwischenfall unterstreicht die Forderung nach wirkungsvollen Maßnahmen zur Luftraumkoordinierung. Mit der zukünftig
intensiveren Nutzung von UAVs im
Einsatz, der ansteigenden Verfügbarkeit in der Zug – bis Brigadeebene
wird die Gefahr von Zwischenfällen
wie o.a. aufgeführt steigen, wenn
nicht parallel zum quantitativen Aufwuchs der Systeme auch das Luftraummanagement angepasst wird.
Wenngleich in diesem Fall die Unfallursache eher dem Versagen des
10
„Altitude Holds/Altimeter Error“ des
UAVs zuzuordnen ist zeigen sich in
der Unfallanalyse und der „Kette der
Ereignisse“ doch einige, ggf. als beitragende Unfallursache zu bezeichneten, Kriterien auf:
• Mangelnde Koordination zwischen
OH 58 Einheit und der Einheit, welche das UAV gestartet hat,
• Mangelnde Absprachen über Flugweg und Kreuzungspunkte,
• Eindeutigkeit der Trennungslinien
bei lateraler Entzerrung (MSR =
Main Service Road),
• Verwechslungen zwischen Above
Ground Level (AGL) und Above Sea
Level (ASL).
• Mangelhafte Kommunikationsverbindungen für Situational Awareness von beiden Seiten (UAV/OH
58)
• Keine Beleuchtung des UAV für See
and Avoid als letzte Möglichkeit der
Verhinderung des Unfalls.
• Air Traffic Control kontrolliert nicht
alle Luftraumnutzer in der Area of
Operation (AO)
In der Unit of Action (UA) sollen
nach jetzigem Stand ca. 220 UAVs für
Aufklärung, Überwachung, Target
Acquisition and Designation sowie
zukünftig auch als Waffenträger verfügbar sein. Die bei diesem Unfall aufgetretenen beitragenden Ursachen können schnell die
Hauptursache darstellen. Die
Aussage des Safety Managers trifft den Punkt und
zeigt gleichermaßen den derzeitigen Stand in der Lösung
des Problems:
„We have been discussing
the possibility of this occurring for some time. Now we
have an actual case to deal
with. Aviation Branch must
come to grips with the airspace management issue
ASAP. We may not be so
lucky next time.”
III/2005 FLUGSICHERHEIT
Fotos: Heeresverbindungsstab 5 / Archiv GenFlSiciBw
Während eines Aufklärungsfluges
eines UAV im Irak (Camp Cooke) kam
es am 14. November 2004 aufgrund
von Höhenabweichungen durch das
UAV, mangelnder Koordination und
Kommunikation zum Zusammenstoß
mit einer OH 58D. Das UAV flog nach
Aufprall auf den linken Waffenträger
in den Heckrotor der OH 58D ein und
wurde zerstört. Das Luftfahrzeug
konnte zum Startplatz zurückgeflogen und ohne weiteren Zwischenfall
gelandet werden. Der Unfallzeitraum
wird in anderen Quellen mit 20:00
Uhr Ortszeit (Nacht) angegeben.
Über den Zaun
geschaut!
Ein Luftfahrzeug des Typs Jaguar
flog als taktische Nr 3 einer Formation, die den Atlantik in Begleitung
einer VC-10 mit dem Ziel Lajes überqueren sollte.
einen leichten Verlust von Kraftstoff
über das Kraftstoffablassventil.
Der Luftfahrzeugführer bemerkte
darüber hinaus, dass der Kraftstoff
aus den hinteren Kraftstoffzellen nicht
wie erwartet abnahm, obwohl alle
anderen Anzeigen normal waren.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Formation etwa die Hälfte der Strecke
von Neufundland nach Lajes hinter
sich gebracht; zudem wurde der Ausweichflugplatz (St. Johns) unbrauchbar. Die Besatzung der VC-10 versuchte, einen anderen Ausweichflug-
Nach der ersten Luftbetankung bemerkte der Luftfahrzeugführer, dass
die Sicherung der Benzinpumpe Nr 2
ausgelöst worden war. Er drückte die
Sicherung wieder hinein und setzte
den Flug fort. Nach der dritten Luftbetankung, bei der es zu einigen peitschenartigen Schlägen des Betankungsschlauches der VC-10 kam,
blieb nach dem Betankungsvorgang
das rote Warnlicht zur Anzeige des
geöffneten Luftbetankungsstutzen erleuchtet. Eine visuelle Überprüfung
bestätigte den nicht geschlossenen
Zustand des Stutzens und zusätzlich
platz zu finden, wobei Gander, welches ca. 140 NM entfernt lag, ins
Auge gefasst wurde.
Der Pilot des betroffenen Zwischenfallluftfahrzeugs fand inzwischen heraus, dass der Kraftstoffverlust über
das Ablassventil bei voll ausgefahrenem Luftbetankungsstutzen stoppte
und sich eine normale Kraftstoffbalance einstellte. Sobald er aber den
Stutzen einfuhr (aus Gründen der
Kraftstoffersparnis bei geschlossener
Klappe), wurde erneut Kraftstoff in
die hinteren Kraftstoffzellen geleitet,
der dann nach dem Erreichen des
(wörtlich übersetzt aus dem Englischen)
Der Kraftstoff geht
zur Neige und keine
Möglichkeit zur
Landung ...
III/2005 FLUGSICHERHEIT
maximalen Aufnahmevolumens der
Zellen aus diesen wieder über das Ablassventil nach außen trat.
Daraufhin führte er den vierten
Betankungsvorgang in der Hoffnung
durch, dass durch dieses erneute
Betanken das Problem eventuell von
alleine gelöst würde.
Die Formation entschloss sich wegen
des 40 Knoten starken Rückenwindes
zum Weiterflug nach Lajes und nicht
zum Umkehren und damit nicht zum
Ausweichen nach Gander. Nach dem
Betankungsvorgang bestand das
Problem weiterhin; der Tanker war
außerdem nun nicht mehr in der
Lage, weiteren Kraftstoff für die Formation bereitzustellen.
Der Luftfahrzeugführer der Jaguar
stieg auf Flugfläche 250, entledigte
sich seiner Außentanks per Notabwurf, erklärte Luftnotlage und nahm
direkten Kurs auf Lajes, welches 400
NM entfernt war.
Dort angekommen, führte er einen
Anflug auf die nächst erreichbare
Landebahn aus. Als er aber in 2.000
Fuß aus den Wolken herauskam, beschlug das Kabinendach von innen. Er
war nun gezwungen, an der Seite
einer anderen Jaguar so lange weiterzufliegen, bis sich der Beschlag im
Cockpit so weit zurückzog, dass eine
sichere Landung durchgeführt werden
konnte.
Das Luftfahrzeug landete schließlich
mit einer Restkraftstoffmenge von
150 kg.
Anmerkung: Langstrecken-Überführungsflüge mit Luftbetankung
stellen oftmals eine nicht so große
Herausforderung dar, können aber
durchaus unübliche und herausfordernde Probleme aufwerfen, die
dann weit weg von einem nutzbaren Flugplatz gelöst werden müssen. Während der Flugvorbereitung
wird man nicht in der Lage sein,
alle Eventualitäten zu betrachten,
doch sollte man mit den verschiedenen Optionen für den Fall, dass
etwas nicht nach Plan läuft, vertraut sein.
11
Flugsicherheit
Zugegeben – manchmal kommt
etwas Enttäuschung auf!
Da hatte ich in neun Jahren ganz
Europa bereist, um bis dato vierzehn
mal an den regelmäßigen Treffen des
Air Forces Flight Safety Committee
(Europe) – AFFSC(E) teilzunehmen; in
unzähligen Gesprächen –nicht nur mit
Besatzungsangehörigen- hatte ich das
Komitee spätestens immer dann erwähnt, wenn eine Frage etwa so lautete: „Wie machen denn die anderen
Nationen dies oder jenes?“.
Der Jahresbericht des GenFlSichhBw
informiert unter der Überschrift „Internationaler Informationsaustausch“
turnusmäßig über Zeitpunkte und Orte
der Treffen des AFFSC(E) und stellt auch
kurz die Inhalte, d. h. die Schwerpunkthemen dar.
Bereits vor acht Jahren hatte unser
Haus unter der Überschrift „AFFSC(E)
– die unbekannte Abkürzung“ in der
fachlichen Mitteilung FLUGSICHERHEIT, Ausgabe IV/97 auf Seite 26f
über Geschichte, Zielsetzung und
Arbeit des Komitees berichtet.
Und natürlich stillt auch das Internet
jeden Wissensdurst (112 Treffer in
0,14 Sekunden)! Die Eingabe der
Abkürzung genügt. Aber die muss
man ja erst mal kennen.
Und dennoch ist mir die Frage, wer
denn mit der Abkürzung AFFSC(E)
etwas anfangen kann, noch nie positiv beantwortet worden. Dabei ist mir
natürlich schon klar, dass meine Reisetätigkeit von der Weltöffentlichkeit
nicht bemerkt wird. Die Dienstreiseberichte verbleiben hier im Hause und
interessieren bestenfalls noch den FüL.
Und der Inhalt der vielen Gespräche
wurde selbstverständlich nicht protokolliert und bundeswehrweit verteilt.
Ich gebe mich auch nicht der Illusion
hin, zu glauben, die Veröffentlichungen des GenFlSichhBw gehörten zur
Nachtlektüre der Fliegenden Besatzungen, nicht nur zur Kurzweil, sondern mit der festen Absicht, sich jeden einzelnen Beitrag zum geistigen
Eigentum zu machen. (Schade eigent-
12
von Oberstleutnant Rüdiger Stein,
GenFlSichhBw
lich – denn vielleicht hätten wir dann
weniger Unfälle zu beklagen.)
Aber da das Komitee in seiner Zusammensetzung, Absicht und Arbeitsweise nun mal weltweit einzigartig ist,
kann es nur nützlich sein, noch einmal
darüber zu berichten, um etwas mehr
als nur die Abkürzung in trüben Erinnerungen zu kennen. Und vielleicht
noch nicht mal die!
Geschichtliche Entwicklung
des AFFSC(E)
Die Wiederaufnahme des militärischen Flugbetriebes nach dem 2. Weltkrieg brachte für alle Nationen eine
verheerend hohe Anzahl an Flugunfällen mit sich. Die Gründe dafür waren vielfältig; beispielsweise schlug
eine, an heutigen Ansprüchen gemessene, schlechte Ausbildung negativ zu
Buche; zusätzlich hatten die
Besatzungen mit Luftfahr-
zeugen „zu kämpfen“, die
mit ihren Jetantrieben eine weitestgehend unbekannte Herausforderung
darstellten. Diesen „Kampf“ führten
auch die Techniker.
Somit entwickelte sich in der Royal
Air Force (RAF) Großbritanniens (GBR)
die Befürchtung, die Flugunfalllage
nicht alleine in den Griff zu bekommen; die ersten Schritte zu einem internationalen Informationsaustausch
(mit der weiter reichenden Absicht der
erfolgreicheren Unfallverhütung) entsprangen also weniger der Freiwilligkeit als vielmehr dem Zwang und der
Hoffnung auf Besserung. Die Intention
bestand darin, regelmäßige Zusammenkünfte von Vertreter westeuropäischer Flugsicherheitsorganisationen zu veranstalten.
In der Folge entstand im Jahre 1950
die AIRCRAFT ACCIDENT WORKING
GROUP. Diesem Namen kann nicht
entnommen werden, das die Mitarbeit auf Angehörige der jeweiligen
Luftwaffen beschränkt war und ist.
III/2005 FLUGSICHERHEIT
Neben dem Initiator (GBR) blieben
die westeuropäischen Sieger (mächte)
zunächst unter sich – Frankreich,
Belgien und die Niederlande gehörten
der Gruppe an.
Deren erstes Treffen fand 1951 in
London statt.
Der Name der Arbeitsgruppe änderte sich bereits zwei Jahre später – nun
nannte man sich AIR FORCES FLIGHT
SAFETY COMMITTEE (WESTERN
EUROPE). In den Folgejahren erweiterte sich der Teilnehmerkreis um
Vertreter Dänemarks, Norwegens und
der Bundesrepublik. Im Jahre 1961
erfolgte in Abstimmung mit der MILITARY AGENCY for the STANDARDAZATION (Herausgeber von STANDARDAZATION AGREEMENTS –
STANAGs und ALLIED PUPLICATIONS
– APs) die Entscheidung, alle damaligen NATO-Partner in das Komitee zu
integrieren. Island und Luxemburg bilden eine Ausnahme: Island unterhält
keine eigenen Streitkräfte; in Luxemburg existiert keine militärische Flugsicherheitsorganisation. Die dort registrierten Luftfahrzeuge der E-3A
Frühwarnflotte werden auch in Angelegenheiten der Flugsicherheit von
ihrer vorgesetzten Kommandobehörde betreut.
III/2005 FLUGSICHERHEIT
Im gleichen Jahr (1961) erfolgte
nochmals eine Namensänderung, womit der jetzige Titel entstand: AIR
FORCES FLIGHT SAFETY COMMITTEE(EUROPE), abgekürzt: AFFSC(E).
Nach dem Fall des „Eisernen Vorhanges“ öffnete sich das Komitee
auch für osteuropäische und bündnisneutrale Nationen. In der Folge traten
Schweden und Finnland 1995 bei;
Österreich, Ungarn und die Schweiz
folgten ein Jahr später. In 1997 erweiterte sich die Gruppe um Vertreter der
Slowakei, Tschechiens und Rumäniens; 1999 schloss sich Polen an, zwei
Jahre später Irland mit einem Vertreter
des Irish Air Corps. Bereits in den 90er
Jahren erhielt die Israelische Luftwaffe
das Recht, mit einem ständigen Gast
(redner) an den Treffen des Komitees
teilnehmen zu dürfen. Insgesamt umfasst das AFFSC(E) nunmehr 25 Mitgliedsnationen.
Die Aufnahme weiterer Staaten ist
zunächst nicht beabsichtigt. Mehrere
Gründe sprechen gegen eine Erweiterung. Bedenkt man, dass die meisten Nationen bei den Treffen von
zwei Vertretern repräsentiert werden,
so kommen leicht 45 bis 50 Teilnehmer zusammen. Die Anmietung
eines entsprechend großen Konferenzraumes kann dann zum organisatorischen Problem werden, es sei denn,
der damit verbundene erhebliche
Kostenaufwand wird nicht gescheut.
Neben solchen und ähnlichen, rein
praktischen Schwierigkeiten ist es
ungleich bedeutsamer, dass die notwendigen und gewollten Interaktionen mit dem Anwachsen der Gruppe
immer schwieriger und letztendlich
gar nicht mehr im gewünschten und
erforderlichen Umfang zustande kommen können. Darüber hinaus geht
aus der Namensgebung (AFFSC(E))
hervor, dass Europa, also ein noch
überschaubarer Kulturraum, unter
sich bleiben möchte. Nach Osten gibt
es dann Grenzen, nicht nur geografische.
Der Vollständigkeit halber soll noch
erwähnt werden, dass die United
Staates Air Force Europe für die Dauer
ihrer Existenz dem Komitee angehören wird. Das gleiche trifft für die
kanadische Luftwaffe zu, solange
europäische Verbände in Kanada fliegerisch aktiv sind.
Working Rules
Die Arbeit des Komitees richtet sich
nach den selbst auferlegten sogenannten Working Rules, die einer
regelmäßigen Revision unterliegen,
um sie geänderten Bedürfnissen anzupassen. Aus den Working Rules
gehen u. a. die Ziele des AFFSC(E) hervor.
• Förderung des allgemeinen Flugsicherheitsbewusstseins und Schaffung einer Plattform zum Informations- und Meinungsaustausch über
alle Angelegenheiten der Flugunfallverhütung, die von gemeinsamen
Interesse sind.
• Weiterbildung auf den Gebieten der
Flugsicherheit und der allgemeinen
Luftfahrt.
• Festigung informeller persönlicher
Kontakte zwischen den Mitgliedern
als wesentliche Voraussetzung zur
Pflege des gegenseitigen Verständnisses der Flugsicherheitsbedürfnisse
der verschiedenen Luftstreitkräfte.
Die Working Rules legen auch fest,
dass der Vorsitzende (Chairman) und
der Protokollführer (Secretary), dem
die administrative Arbeit obliegt,
immer von Vertretern der RAF gestellt
werden. Genauer gesagt: der Leiter
des Defence Aviation Safety Center der
RAF, also der Counterpart zu unserem
General Flugsicherheit, ist der
Chairman und der Secretary gehört
ebenfalls
dieser
(britischen)
Dienststelle an.
Darüber hinaus wird der grobe
Rahmen der jährlichen (in der Vergangenheit häufigeren) Treffen bestimmt, die auf freiwilliger Basis von
den Mitgliedern organisiert werden.
13
Flugsicherheit
• Einführung in das nächste Treffen
(Ort und Zeit, Anreise, Unterkunft
etc.)
• Festlegung des Schwerpunktthemas des nächsten Treffens
In diesem Rhythmus
wechselt die Gastgebernationen von Mal zu Mal und hat
freie Hand bei der Gestaltung der
fünftägigen Veranstaltung. Folglich
ergibt eine Auflistung der beispielsweise letzten zehn Treffen den Eindruck einer abwechslungsreichen
Europareise:
- Februar 2005 – Rumänien (Südkarpaten),
- Mai 2004 – Griechenland (Rhodos),
- September 2003 – Niederlande
(Noordwijk aan Zee),
- Januar 2003 – Deutschland
(Dresden),
- Mai 2002 – Ungarn (Budapest),
- September 2001 - Österreich (Wien),
- Februar 2001 – Finnland (Rovaniemi),
- Mai 2000 – Schweiz (Bern),
- September 1999 – Schweden
(Stockholm),
- Januar 1999 – Spanien (Madrid),
- Ausblick: Mai 2006 – Türkei (Izmir),
2007 – Polen.
Des Weiteren strukturieren die
Working Rules den formalen Ablauf
der Treffen des AFFSC(E) und geben
damit feste Anteile der Agenda vor.
Diese stellt sich im Wesentlichen wie
folgt dar:
• Genehmigung des Protokolls des
letzten Treffens
• Nachträge
• Präsentation der militärischen Flugsicherheitsorganisation
des
Gastgeberlandes
• Besprechung des Flugunfallgeschehens (nur Luftwaffe!) der Mitgliedsländer
• Rede- und sonstige Beiträge der
Mitglieder und von Gästen
14
Vom
Rahmen
zum Inhalt
Das jeweilige Schwerpunktthema bestimmt die Redeund sonstigen Beiträge (Film- und
Videopräsentationen, Besuche vor Ort
u. ä. m.). Hier ein Überblick über die
Themen der letzten zehn Treffen (gleiche Reihenfolge wie oben):
• Night Operations,
• Human Resources,
• Supervision,
• See and Avoid & Drain of
Experience,
• Unmanned Aerial Vehicle (UAV)
Operations,
• Collision Avoidance,
• Airspace Management and Traffic
Deconfliction,
• Managing Changes,
• Training,
• Display Flying,
• in 2006: Mid Air Collisions.
Wie bei jeder anderen Veranstaltung auch, so stellt der offizielle Teil
dieser Treffen nur die eine Seite der
vielzitierten Münze dar. Ebenso wichtig sind die Gespräche, die am Rande
geführt (Bar Talks – in Fliegerkreisen
bestens bekannt!) werden und die
folglich nie Teil eines Protokolls sein
werden. Damit jedoch kein falscher
Eindruck entsteht, muss in diesem
Zusammenhang auch noch mal auf
das dritte Ziel der Working Rules ein-
gegangen werden. Wir erinnern uns:
„Festigung informeller persönlicher
Kontakte zwischen den Mitgliedern...“
Es kann nicht überschätzt werden,
welchen Nutzen und welche Vorteile
daraus resultieren. Um dies zu verstehen, ist es bedeutsam festzustellen,
dass ein Großteil der Aktivitäten des
AFFSC(E) sich außerhalb der jährlichen
Treffen abspielt. Ein reger und zügiger
Informationsaustausch ohne bürokratische Hürden ist erklärtes und
vor allem erreichtes Ziel (im
Gegensatz zu den Absichtserklärungen
vieler anderer
Organisationen,
die zwar ständig von
Bürokratieabbau reden,
dazu aber erst einmal ein
umfangreiches Regelwerk kreieren).
Ein solches Ziel wäre ohne die zuvor
hergestellte persönliche Bekanntschaft nicht zu erreichen. Die Effizienz
der Arbeit wird auch zusätzlich dadurch gesteigert, dass es kein Konkurrenzdenken zwischen den Vertretern der Mitgliedsnationen gibt –
alle haben die gleiche Absicht:
Verbesserung der Flugunfalllage! In
diesem Sinne ist auch ausdrücklich
vereinbart, andere Nationen über
Sicherheitsprobleme zu informieren,
die beispielsweise ein von beiden oder
mehreren Nationen betriebenes Waffensystem betreffen. Dazu ist die
Form eines Special Occurrence Reports
vorgesehen.
Schlussmerkung
Kritiker zweifeln den Sinn des AIR
FORCES FLIGHT SAFETY COMMITTEE(EUROPE) an, indem sie anführen,
das Komitee sei keine offizielle Ein-
III/2005 FLUGSICHERHEIT
Grafik:Archiv GenFlSichhBw
richtung der
NATO oder irgendeiner
Flugsicherheitsdienststelle. Folglich könne
keine Kontrolle ausgeübt werden.
(Das tut Einigen wohl weh!) Es sei
auch nicht möglich, das AFFSC(E) zu
einer konkreten Arbeitsleistung aufzufordern, geschweige denn, diese in
einen straffen Zeitplan zu integrieren.
Richtig ist, dass das Komitee ein inofficial body darstellt. Dies ist nicht nur
durch die geschichtliche Entwicklung
bedingt, sondern es ist und bleibt ein
Status, der gewollt ist. Er garantiert
Unabhängigkeit und verhindert die
Vereinnahmung durch Dritte. Und:
III/2005 FLUGSICHERHEIT
entgegen allen Unkenrufen – die
Arbeit des AFFSC(E) funktioniert!
Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass das AIR FORCES FLIGHT
SAFETY COMMITTEE(EUROPE) als die
einzige Einrichtung dieser Art seine
Existenzberechtigung nicht
ständig
nachweisen
muss, auch dann
nicht, wenn
die Ar-
beitsergebnisse sich
oft der Öffentlichkeit nicht unmittelbar
mitteilen. Unstrittig ist, dass
nicht jede Veranstaltung zu einer
revolutionären Änderung der hiesigen
Arbeitsgrundsätze führt; das wäre
unsinnig und prinzipiell auch nicht zu
erwarten. Aber Flugsicherheitsarbeit
vollzieht sich eher im Stillen und bedarf keiner lautschreienden Propaganda.
Und ab und zu ist sie auch eine
Dienstreise wert!
Zu guter Letzt
Unsere Absicht bestand darin,
unterhaltsam zu informieren, vielleicht
sogar weiterzubilden. Aber keine Bange – entgegen allen Gerüchten werden die Inhalte dieses Beitrages kein
Prüfungsstoff für die Fliegenden Besatzungen bei der nächsten Flugsicherheitsinspizierung. Oder –
eigentlich keine schlechte
Idee?!
15
Flugsicherheit
von Hptm Nikolaus Nanasi
2. / JG 71 “R”
Am 31.10.2004 kam es während
eines Alpha Scrambles in Wittmund zu
einem Zwischenfall, bei dem sich ein
Flugzeug der Alarmrotte vor dem
Start auf der Startbahn um die eigene
Achse drehte. Im folgenden Bericht
wird untersucht, welche verschiedenen Einflussfaktoren eine Rolle gespielt haben, und wie der Zwischenfall
mit Hilfe der Guidelines des Crew
Ressource Management (CRM) und
des Operational Risk Management
(ORM) hätte verhindert werden können.
Im Zusammenspiel von äußeren Bedingungen, inneren Zwängen und
Verpflichtungen ist oft der Faktor
Mensch verantwortlich, wenn eine
Besatzung in kritische Situationen
gerät, in der sie dann schnelle und
richtige Entscheidungen treffen muss.
Das FBH III/1 sagt dazu:
16
“Die Funktionsfähigkeit eines komplexen Mensch-Maschine-Systems
hängt von der Zuverlässigkeit der
Bediener, deren Eignung und Persönlichkeit und deren erlernten Fertigkeiten ab.
Der Faktor Mensch ist der fehleranfälligste Teil des komplexen Gesamtsystems”.
Diesen Fehlerfaktor gilt es zu limitieren bzw. soweit wie möglich zu eliminieren. Die Anfälligkeit für Fehler ist
dabei allerdings eine der grundlegendsten Schwächen des Faktors
Mensch. Auch in diesem Fall war es
dieser Faktor Mensch, der in der
Konsequenz zu folgendem Vorfall
geführt hat:
Die Alarmrotte war an besagtem
Tag bereits dreimal geflogen und die
Crews erwarteten keine weiteren TScrambles mehr.
Kurz vor 19 Uhr löste der Geschwadergefechtsstand eine Erhöhung der
Fotos:Archiv GenFlSichhBw
Dreher
auf
der
Alarmrotte
beim
A-Scramble
Bereitschaftsstufe auf den Readiness
State RS05 aus. Schließlich wurde der
Alarmstart befohlen. An diesem
Abend war die Startbahn 08 in Betrieb, d. h. der Start erfordert einen
„Backtrack“, da der Alarmrottenbereich am Anfang der Startbahn 26
liegt. Der Vorteil eines „Backtrack“
liegt darin, dass im Gegensatz zum
normalen Taxi-Vorgang höhere Rollgeschwindigkeiten möglich sind.
Beide Flugzeuge waren voll betankt
und aufmunitioniert, sodass das Gewicht nah am maximalen Abfluggewicht lag. Zum Zeitpunkt des Alpha
Scrambles nieselte es, und der Farbschlüssel war yellow. Die Startbahn
war zwar nicht nass im Sinne des FBH
III/1, aber doch zumindest feucht.
Die Flugzeuge begaben sich auf die
Startbahn und rollten diese hinunter.
Der WSO überwachte die Taxigeschwindigkeit nicht, da er gerade die
Startfreigabe entgegennahm.
Der Pilot schaute frühzeitig nach der
III/2005 FLUGSICHERHEIT
45-Grad-Abfahrt am Ende der
Startbahn, um diese nicht zu verpassen und das Flugzeug so zum Start in
Richtung „08“ drehen zu können.
Beim Erreichen dieser Abfahrt begann
er einzulenken und stand gleichzeitig
auf der Bremse.
Das Heck der Phantom brach aufgrund der erhöhten Geschwindigkeit
und der feuchten Startbahn aus und
drehte sich ca. 270 Grad nach links.
Das Flugzeug kam ca. 5 Meter von
der Startbahnbegrenzung entfernt
zum Stehen.
Die Crew ließ sich vom Tower nochmals bestätigen, dass es sich um
einen A-Scramble handelte.
Sie beschloss deshalb, zur Startposition 08 weiter zu rollen und dabei
das Taxiverhalten genau zu analysieren.
An der Startposition angekommen,
ließ die Crew sich nochmals den AScramble bestätigen.
Da der Dreher sehr regelmäßig verlaufen war und das Fahren in die
Startposition keine Unregelmäßigkeiten erkennen ließ, entschied die
Crew, den A-Scramble durchzuführen
und zu starten.
Vor dem Start wurden im Cockpit
explizit die Notverfahren angesprochen, die im Falle einer Take-Off-
Emergency angewendet werden müssen.
Der Start verlief genau so ereignislos wie die spätere Landung.
Zurück im Flugzeugschutzbau
wurde an beiden Hauptfahrwerksreifen je eine 30 bis 50 cm lange
Brandblase festgestellt.
Obwohl nichts Schwerwiegendes
passiert ist, stellt sich die Frage, wieso
das Flugzeug ins Drehen gekommen
ist, warum die Crew die Entscheidung
gefällt hat, den Start durchzuführen,
und ob die getroffene Entscheidung
im Sinne von CRM und ORM vertretbar war.
Die Grundlage für die folgende Betrachtung ist das Kapitel 23 des FBH
III/1 und hier im besonderen die
Anlage 3 bei der Untersuchung des
Drehers und Anlage 2 bei der Analyse
der Entscheidung, den Start durchzuführen.
Von den Guidelines von CRM und
ORM werden nur die Punkte beschrieben und diskutiert, die hier auch anwendbar sind, was im Umkehrschluss
natürlich bedeutet, dass die hier beschriebenen Punkte nicht allumfassend sind. Was hat nun alles laut CRM
dazu geführt, dass der VLF nicht in
der Lage war, die Geschwindigkeit
anzupassen und den Dreher zu vermeiden?
Dies wird nun anhand Anlage 3 des
Kapitel 23 CRM Guidelines/Tools for
Decision Making untersucht.
Das Kapitel bietet u. a. folgende
Gründe für falsche bzw. schlechte
Entscheidungsfindung:
- Stress: Es herrscht bestimmt ein
höherer Stressfaktor, da es sich im
Unterschied zum täglichen Flugbetrieb bzw. den alltäglichen TScrambles um einen “scharfen”
Einsatz handelt, bei dem man erst
im letzten Moment erfährt, ob es
sich um einen Airliner handelt, der
“nur” nicht antwortet oder um das
seit dem 11. September bekannte
Horrorszenario.
- Time urgency: Zeitknappheit war
auch hier kein auszuschließender
Faktor, da die Alarmrotte sich zum
Zeitpunkt der Alarmierung im
Alarmzustand RS 05 befand, d. h.,
dass sie innerhalb von fünf Minuten
gestartet sein muss.
- Poor involvement and information
exchange among crew members:
Die im Kapitel 23 empfohlene
Aufmerksamkeitsverteilung innerhalb der Crew während der Ground
Operations wurde so nicht durchgeführt, da der WSO kurz vor dem
Zeitpunkt des Drehens nicht die
Fahrgeschwindigkeit beobachtet
hatte, sondern die Flugfreigabe aufschrieb. Außerdem hat der VLF den
WSO nicht über die Geschwindigkeit informiert.
Folgende Symptome gemäß Kapitel
23, Anhang 3, waren für den Vorfall
zutreffend:
- Loosing Focus/Becoming distracted:
Der Pilot hat bei der Suche nach der
Ausfahrt die Geschwindigkeit außer
acht gelassen und dadurch ein
falsches Kurvenfahrverhalten angewendet.
- Overlooking one or more important
factors influencing the choice of
action: Auch im Flugbetrieb bei
III/2005 FLUGSICHERHEIT
17
Flugsicherheit
Nacht und schlechtem Wetter,
selbst in einer zeitkritischen Situation, dürfen die Faktoren Startbahnzustand und Tageszeit nicht außer
acht gelassen werden.
- Not considering consequences of
decision: Für jeden Vorfall, der mit
Hilfe von CRM behandelt wird, ist
dieser Punkt anwendbar, also auch
in diesem Fall.
Diese Punkte haben zu schlechten
Entscheidungen seitens der Crew geführt. Um die Limitierung des Fehlerfaktors Mensch allerdings zu verbessern, bedarf es Möglichkeiten bzw.
Wege, mit denen man gute und richtige Entscheidungen fällen kann,
selbst wenn man sich gar nicht bewusst ist, diese Entscheidungsfähigkeit verloren zu haben.
In der Anlage 3 des Kapitels 23 wird
unterteilt in Möglichkeiten, die ein
Besatzungsmitglied auf sich selbst
oder auf die ganze Crew anwenden
kann:
- Be honest: ...zu sich selbst. Der vierte Flug am Tag ist von der Aufmerksamkeitsverteilung und Müdigkeit
her ein anderer als der erste. Hier
ehrlich sein zu sich selbst und die
Selbsteinsicht, dass die mentale und
körperliche Fitness nicht mehr im
Bestzustand sind, müssen genauso
anerzogen und ausgebildet werden
wie alles andere.
- Get back to Teamwork: Solange es
mehr als ein Besatzungsmitglied im
Cockpit gibt, sollten alle Ressourcen, also auch der/die anderen
Teammitglieder, eingebunden werden.
- Alert Crewmember: War man erst
mal ehrlich zu sich selbst, sollte
auch das andere Teammitglied von
den eigenen Erkenntnissen aufgeklärt werden.
- Take extra time: Dieser Punkt ist
nicht immer anwendbar. Doch obwohl die Zeit limitiert war, hat die
Crew die fünf Minuten trotz
Drehens und folgender intensiver
18
Crewcoordination nicht überschritten. Es bestand also keine Notwendigkeit zur übermäßigen Eile
oder gar Hetze. Die Zeit war da und
hätte anders und besser eingeteilt
werden können.
- Do the ultimate step to the safe side:
Den wohl wichtigsten Punkt „Safety
is paramount“ lernt man schon in
der Ausbildung, und kommt einem
etwas nicht mehr ganz so richtig
vor, ist dieser Schritt nie der falsche.
- Als Crew: Cross-Check information:
In diesem Fall war dies der WSO,
aber in anderen Flugsituationen ist
es vielleicht der VLF, der den WSO
überwachen sollte bzw. die anderen
Crewmitglieder. Es geht hier nicht
darum, jemanden zu bevormunden,
sondern schon im Vorfeld dabei zu
helfen, Fehler zu vermeiden.
Fasst man diese ganzen Punkte, die
Symptome und Auslöser zusammen,
kann man sehen, wie es zum Fehlverhalten kam. CRM bietet hier gute
Werkzeuge zur Verhinderung solcher
Vorgänge, wenn man sich ihrer bedient. Es muss aber erwähnt werden,
dass man die Möglichkeiten zur Behebung von Fehlern in der Entscheidungsfindung nur dann anwenden kann, wenn man sich bewusst ist,
dass man evtl. einen oder mehrere
Punkte der oben angesprochenen
Symptome erfüllt.
Diese Selbsterkenntnis, wie oben
bereits angesprochen, bekommt elementare Bedeutung, da jeder bei sich
selbst zuallererst erkennen muss, ob
er/sie sich in den Bereich der o.a.
Symptome begibt.
CRM ist die passende Hilfestellung,
aber anwenden muss es immer noch
jeder selbst.
Was bietet nun die Anlage 2 des
Kapitel 23 über ORM im Hinblick auf
unsere Entscheidung, den Start durchzuführen, an.
Die vier Prinzipien des ORM sind:
- Accept risk when benefits outweigh
the cost
- Accept no unnecessary risk
- Anticipate and manage risk by planning
- Make risk decision at the right level
Risiken beim militärischen Flugverkehr werden auch vom Operational
Risk Management nicht gänzlich ausgeschlossen, doch wird darauf hingewiesen, kluge Risikoentscheidungen
zu fällen und damit Risiken im Sinne
des Auftrags zu minimieren.
Als erstes müssen die Gefahren
identifiziert werden:
Was hätte alles passieren können?
Beim Start bzw. der Landung hätten
ein oder beide Hauptfahrwerksreifen platzen
können. Durch
III/2005 FLUGSICHERHEIT
die Querbelastungen beim Drehen
und das hohe Gesamtgewicht hätten
die Hauptfahrwerksstützen brechen
können, evtl. sogar bei hohen
Geschwindigkeiten oder bei der
Landung. Das Fahrwerk hätte durch
einen Bruch nicht einfahren können.
Dadurch wäre das Luftfahrzeug in
eine bedrohliche Lage geraten. In diesem Rüstzustand hätte es nicht sofort
wieder landen können. Auch die an
Bord befindliche scharfe Munition
hätte einen nicht zu unterschätzenden Risikofaktor gebildet. Erst ein
Notabwurf der drei Außentanks hätte
die nötige Gewichtsreduktion für eine
Notlandung ermöglicht.
Dies alles sind Risiken, die möglich
gewesen wären und eine Notsituation
herbeigeführt hätten.
Das ORM bietet eine Entscheidungshilfe zur Risikoeinschätzung
und Entscheidungsebene. Darin wird
der Gefahr eine Zahl von „0“ (keine
Gefahr) bis „4“ (kritisch) zugeteilt. Die
Unfallwahrscheinlichkeit wird ebenso
von „0“ (unwahrscheinlich) bis „4“
(sehr hohe Wahrscheinlichkeit) bewertet.
Diese beiden Einschätzungen werden in
III/2005 FLUGSICHERHEIT
eine Matrix eingefügt. Daraus folgt
eine Risk Assessment Number (RAN)
von „0“ (Negligible) bis „16“ (Critical).
Anschließend wird gezeigt, auf welcher Ebene im Zusammenhang mit
der RAN Entscheidungen zu fällen
sind.
Im Folgenden werden die Risiken
des obigen Vorfalls eingeschätzt und
in die gerade beschriebene Matrix der
Anlage 2, Kapitel 23 eingefügt.
Die Einschätzung der Gefahr wird
subjektiv mit einer „3“ bewertet. Dies
steht für: Serious/Severe. May cause
severe injury or property damage.
Die Wahrscheinlichkeit eines
Zwischenfalls wird wiederum subjektiv mit einer „2“ beurteilt, was heißt:
Average / Medium. Occasional Mishap
probability.
Beides in die bereits angesprochene
Matrix eingefügt, ergibt einen Wert
von „6“.
Dieser Wert wird mit Serious bewertet. Diese Einstufung ist die zweithöchste der Matrix.
Wer kann nun entscheiden, ob solch
ein Start durchgeführt werden soll?
Im ersten Moment wird wohl jeder
sagen, dass die Crew diese Entscheidung zu fällen hat. Aber lesen
Sie das folgende Zitat aus der Anlage
2 des Kapitels 23 des FBH III/1:
“Serious
If performance deficiencies or critical
indicators are identified, a recommended course of action (measure used to
control the risk) shall be taken by the
Opsofficer / Squadron commander or
presented to the Flying Group / Wing
Commander for seeking solution and
decisions.”
Das heißt, dass die Crew die Entscheidung nicht hätten fällen dürfen.
Der erste Schritt wäre die Information
des Einsatzstabsoffziers bzw. FDL sein
müssen. Dieser leitet weiter an den
Staffelchef, der nach Rücksprache mit
dem Kommandeur bzw. sogar dem
Kommodore eine Entscheidung trifft.
Was passiert dann unter Ermangelung einer Entscheidung durch die
Staffel/Gruppen/Geschwaderführung?
Die Besatzung hätte als einzige
Option gehabt, die Maschine stehen
zu lassen und auf eine der bereiten
Ausweichmaschinen umzusteigen.
Der andere Alarmrottenflieger hätte
schon starten können, und das ErsatzLuftfahrzeug wäre nach kürzester Zeit
gefolgt.
Zusammenfassend muss man
sagen, dass die Crew den Dreher hätten vermeiden können. Das Faktische
der nicht angepassten Taxigeschwindigkeit hätte durch Selbsteinsicht,
Vorsicht und Crew-Coordination, wie
es im Kapitel CRM angeboten wird,
vermieden werden können. Auch
hätte bei Erkenntnis der Symptome
beim Piloten CRM angewandt werden
können, was zum Vermeiden der
geschilderten Situation geführt hätte.
Die Entscheidung, den Start dann
doch noch durchzuführen, ist mit Abstand betrachtet nicht der optimale
Entschluss, obwohl die Crew diese
Entscheidung zusammen gefällt
hatte. Den Start nicht durchzuführen
und auf die Ausweichmaschine umzusteigen, wäre besser gewesen.
Ab einer gewissen RAN sind die
Crews nicht mehr verantwortlich, eine
Entscheidung selbst zu treffen. Allerdings müssen fliegende Besatzungen
sich klarmachen, dass sie im Falle der
Unerreichbarkeit der Entscheidungsinstanz auch die Verantwortung im
Zuge falscher Entscheidungen tragen
müssen. Hier befinden sich die Besatzungen in einer Lage, die schon
Clausewitz als den „Nebel des
Krieges“ beschrieben hatte und die
seit jeher Bestandteil militärischer
Operationsführung auf allen Ebenen
ist.
In den letzten Jahren ist CRM und
ORM jedoch ein fester Bestandteil der
Luftwaffe geworden und wird auch in
der Zukunft nicht mehr aus der
militärischen Fliegerei wegzudenken
sein.
19
Flugsicherheit
RUNWAY INCURSION
Ein neuer Begriff für ein altes Problem
Von Oberstlt Heribert Mennen,
GenFlSichhBw
Seit Erscheinen der
Änderungsanweisung
Nr 10 für die „Besondere
Anweisung für die militärische Flugsicherung“
(BesAnMilFS) 2-100 vom
25.04.2005 werde ich bei
den Flugsicherheitsinspizierungen und informationsbesuchen
immer wieder auf den
neu aufgenommenen
Passus über runway
incursion angesprochen.
Runway incursion - mit diesem Begriff konnte bislang nicht jeder Flugverkehrskontrolloffizier etwas anfangen.
In handelsüblichen Wörterbüchern
wird incursion mit „feindlicher Einfall“
oder „Einbruch“ übersetzt.
Im OXFORD ADVANCED LEARNER’S
DICTIONARY OF CURRENT ENGLISH
ist incursion als “Sudden attack or
invasion (not usually made for the purpose of permanent occupation)”
erklärt.
Kann man also eine runway incursion mit „feindlicher Einfall auf eine
Start- und Landebahn“ gleichsetzen?
Wenn man so will, ja. Zumindest
was die Auswirkungen betrifft.
Die Sicherheit im Start- und Landebereich kann durch Luftfahrzeuge,
Fahrzeuge oder Fußgänger, die sich
dort unbeabsichtigt, unberechtigt
20
oder zum falschen Zeitpunkt aufhalten, beeinträchtigt werden.
Eine Gefährdung kann sich aber
auch durch verloren gegangene Gegenstände (FOD), Tiere usw. ergeben.
Auf diesen Aspekt wird nachfolgend
nicht näher eingegangen.
Die 2001 etablierte europäische
„Arbeitsgruppe für Startbahn-Sicherheit“ (vgl. Seite 2) ging lange Zeit von
folgendem Verständnis aus:
„A runway incursion is the unintented presence of an aircraft, vehicle or
person on the runway or runway
strip“.
Diese Begriffsbestimmung ist zwar
kurz und prägnant, aber nicht präzise
genug. Dies wurde schnell klar. Die
internationalen Bemühungen um ein
einheitliches Verständnis von runway
incursion mündeten in der am 25.
November 2004 von der ICAO formell
bekannt gegebenen Definition:
„Any occurrence at an aerodrome
involving the incorrect presence of an
aircraft, vehicle or person on the protected area of a surface designated for
the landing and take off of aircraft“.
Wie kommt es, dass der Sicherheit
im Bereich der Start- und Landezonen
vermehrte Aufmerksamkeit geschenkt
wird?
In den letzten Jahren haben sich in
der zivilen europäischen Luftfahrt eine
Vielzahl von runway incursion ereignet, die in zwei Fällen auch zu einer
tatsächlichen Kollision zwischen zwei
Luftfahrzeugen und dem Verlust von
vielen Menschenleben führten. In
Erinnerung ist nicht zuletzt der
schreckliche Unfall vom 08. Oktober
2001 auf dem Flughafen MailandLinate, der 118 Menschen das Leben
kostete. Dort stieß im dichten
Morgennebel eine MD-87 der SAS
mit einem deutsch registrierten CES-
SNA CITATION Jet, der die aktive Piste
kreuzte, zusammen.
Die Analyse verfügbarer Daten in
der zivilen Luftfahrt Europas zeigt,
dass sich alle drei bis vier Tage eine
runway incursion in der Region ereignet. Mit der vorhergesagten Zunahme
des Luftverkehrs wird sich, wenn
keine Gegenmaßnahmen eingeleitet
werden, wahrscheinlich auch die Zahl
dieser Zwischenfälle erhöhen.
Im Jahre 2001 wurde deshalb eine
Initiative ins Leben gerufen mit dem
Ziel, spezielle Startbahn-Sicherheitsaspekte zu identifizieren und präventive
Maßnahmen zu initiieren.
Dieser europäischen Initiative haben
sich inzwischen nahezu alle in der
Luftfahrt tätigen Organisationen angeschlossen. Vertreten sind u.a. die
Group of Aerodrome Safety Regulators
(GASR), die Joint Aviation Authorities
(JAA), die International Civil Aviation
Organisation (ICAO) und EUROCONTROL
Sie haben den European Action Plan
for the Prevention of Runway
Incursions mit insgesamt 56 Empfehlungen erarbeitet. Diese betreffen u.a.
generelle Prinzipien, Aufgaben der
Flugplatzbetreiber (hinsichtlich Infrastruktur, Sicherheitsmanagement, Verkehrsregelung, Aus- und Weiterbildung des Personals), Aufgaben der
Fluggesellschaften und Flugzeughalter,
Aufgaben der Flugsicherungsunternehmen sowie die Kommunikation
(Sprache, Funk, Phraseology und
Verfahren) usw.
Nicht zuletzt wird gefordert, Daten
über Vorfälle zu sammeln und die daraus gewonnenen Erkenntnisse allgemein verfügbar zu machen.
In wieweit ist runway incursion ein
Thema in der Bundeswehr?
Auch in der Bundeswehr gab und
III/2005 FLUGSICHERHEIT
wir mit unserem VW-Bus zurück zur
Fliegerhorstfeuerwehr, um dort eine
für das Fußballspiel ausgeliehene
Handsirene zurückzubringen. Unseren
Bus parkten wir vor der Feuerwache
am Signalgarten und hatten deshalb
freie Sicht auf die Startbahn. Während
ein Mann die Sirene abgab, sah ich
auf der Nordseite, von GWI kommend, einen VW-Kombi, der sich
anschickte, die Bahn zu überqueren.
Es war ein ziviles Fahrzeug der Firma
Telefunken. Die Firma Telefunken war
zur routinemäßigen Wartung des
ASR-Rundsuchradars mit Technikern
am Platz. Die Radarantenne stand
damals noch auf der Nordseite des
Platzes bei GWI auf dem ASR-Hügel,
während sich die Sichtgeräte im GCARaum des Flugsicherungsgebäudes
auf der Südseite befanden. Aus die-
sem Grund mussten die zivilen
Techniker, genau wie wir auch, des
Öfteren zu Wartungs- und Reparaturarbeiten die Startbahn überqueren.
Ich sah also, wie der VW-Kombi losfuhr, um die Startbahn zu überqueren. Gleichzeitig hörte ich das Geräusch einer startenden F-104. Nun
ging alles so schnell, dass zu einer
Reaktion keine Zeit mehr blieb. Ich
sah wie die startende 104, von links
aus dem Westen kommend, den VWKombi mit der linken Fläche auf der
rechten Seite erfasste und ihn von der
Schiebetür nach vorne regelrecht auftrennte. Es bildete sich schlagartig
eine helle Wolke aus Treibstoff, Dreck,
Staub und Trümmerteilen. Aus dieser
Wolke löste sich die F-104 und setzte
ihren Start fort, zum Startabbruch war
es bereits zu spät. Der VW-Kombi kam
Fotos:Archiv GenFlSichhBw
gibt es immer wieder Ereignisse, die
unter der Überschrift runway incursion zusammengefasst werden können.
Der bislang folgenschwerste Vorfall
ereignete sich am 21. Oktober 1969
gegen 16:33 Uhr beim Jagdgeschwader 74 in Neuburg an der
Donau, als eine startende F-104G das
Kraftfahrzeug eines Technikers der
Firma Telefunken erfasste. Oberstabsfeldwebel a.D. Johann Wohlmuth erinnert sich:
“Ich war damals in der Flugbetriebsstaffel als Bodenfunkmechaniker eingesetzt. Unsere Dienststelle, kurz GWI
genannt, befand sich in den Baracken
auf der Nordseite des Platzes. Am
besagten Tag fand auf der Basis ein
Fußballspiel innerhalb des Jagdgeschwaders statt. Wir waren als Zuschauer dabei. Nach Spielende fuhren
III/2005 FLUGSICHERHEIT
21
Flugsicherheit
auf der Schulter der Startbahn zum
Stillstand, er hatte sich nicht überschlagen. Die Fahrzeugfront hing lose
an den Dachstreben und pendelte
langsam hin und her, ein Anblick, den
ich auch nach 35 Jahren nicht vergessen habe. Jetzt sah man eine zweite
F-104 schemenhaft durch die Staubwolke und das Trümmerfeld rollen.
Ihrem Piloten gelang der Startabbruch.
Der ersten F-104 hat es bei dem
Zusammenprall den linken Tip-Tank
von der Tragflächenspitze abgerissen,
daher resultierte auch die Treibstoffwolke, die ich sah.
Für den Telefunkentechniker Kurt
Lange aus Ulm kam, trotz der sofort
eingeleiteten Rettungsmaßnahmen,
jede Hilfe zu spät. Er erlag wenig später im Krankenhaus in Neuburg seinen schweren Verletzungen.
Ich kann mich auch noch erinnern,
dass unmittelbar nach dem Unglück
ein weiterer Telefunken-Techniker aus
dem Towergebäude rannte. Er konnte
die dramatischen Ereignisse kaum fassen. So viel ich weiß, war der verunglückte Techniker meist zu Wartungsarbeiten in den Bunkern der Luftverteidigungsanlagen eingesetzt. Auf Flugplätzen muss er nicht so oft gewesen
sein.
22
Es konnte niemals geklärt werden,
warum er die damals noch an der Balustrade des Towers angebrachte
Ampel, die auf rot stand, nicht beachtet hat.“
In der Kurzbeschreibung des „Inspizient für Flugsicherheit in der Bundeswehr“ (heute GenFlSichhBw) des Unfalles ist vermerkt:
„Der Luftfahrzeugführer hatte den
Auftrag, als Rottenführer Übungsabfangeinsätze durchzuführen. Beim
Start stieß er bei ca. 170 kts, nach
einer Rollstrecke von 4.000 Fuß, mit
einem von links kommenden VWKombi zusammen.
Der Fahrer hatte eine auf rot geschaltete Signalanlage am Kontrollturm nicht beachtet und wollte trotz
zusätzlicher roter Signale mit der
Lichtkanone durch das Kontrollturmpersonal die Startbahn überqueren.
Der Luftfahrzeugführer versuchte
vergeblich, dem VW Kombi auszuweichen und rammte das Fahrzeug
mit der linken Tragfläche. Der Fahrer
wurde aus dem Wagen geschleudert
und getötet.
Unmittelbar nach dem Zusammenstoß hob das Luftfahrzeug seitlich
schiebend ab.
Die Landung erfolgte in Manching
ohne weiteren Zwischenfall. Das Luft-
fahrzeug wurde leicht beschädigt, der
Luftfahrzeugführer blieb unverletzt“.
Nach diesem tragischen Unfall wurden durch den Inspizienten Flugsicherheit eine Reihe von Maßnahmen
zur Verbesserung der Flugsicherheit
empfohlen und in der Folge durch die
Kommandobehörden und Verbände
auch umgesetzt. Dies beinhaltete u. a.
das Anlegen von Rollfeldringstraßen
auf allen Flugplätzen der Bundeswehr
(wo noch nicht vorhanden), um das
Überqueren der Piste weitestgehend
zu unterbinden.
Auch wenn dieser Unfall schon lange her ist und Vorfälle dieser Art in
der Statistik bei GenFlSichhBw selten
vorkommen, bin ich mir sicher, dass
runway incursion auch heute noch in
der Bundeswehr ein Thema ist. Ich
gehe davon aus, dass so manche runway incursion entweder vom Kontrollturmpersonal bei schlechten Sichtverhältnissen nicht bemerkt oder nach
dem Motto „... es ist noch einmal gut
gegangen, das regeln wir in eigener
Zuständigkeit“ dem FlSichOffz gar
nicht erst gemeldet wurde.
Die Aufnahme des Abschnittes runway incursion in die BesAnMilFS 2-100
trägt m.E. dazu bei, das Flugverkehrskontrollpersonal für das heikle
Thema runway safety zu sensibilisieren
und zu erreichen, dass entsprechende
Vorfälle nicht nur dem Flugsicherheitsoffizier, sondern auch an Stellen
außerhalb des Verbandes gemeldet
werden.
Dies ist eine Grundvoraussetzung
dafür, dass alle Teilnehmer am Luftverkehr der Bundeswehr sowie vorgesetzte Dienststellen davon erfahren,
die Vorfälle analysieren und daraus
Lehren für die Zukunft ziehen können.
P.S. Informationsmaterial zur Vermeidung von
Zusammenstößen auf der Start- und Landebahn finden sie hier:
www.eurocontrol.int/runwaysafety/public/standard_page/EuropeanAction.html
III/2005 FLUGSICHERHEIT
Ich bin stolz darauf,
ein Deutscher zu sein ...
von Oberstleutnant Träger,
S3 Stabsoffizier LwInsthGrp 12
Nein - an dieser (alten) Diskussion
aus der Politik will ich mich mit meinem Beitrag in der Flugsicherheitszeitschrift nicht beteiligen.
Ich bin stolz darauf, ein Luftfahrzeugtechniker zu sein!
Auch dieser Satz birgt in der heutigen Zeit genug Zündstoff in sich und
sollte in unserem von Luftfahrzeugtechnik geprägten Regiment durchaus
diskutiert werden. Warum?
Zum einen, weil ich glaube, dass ein
Berufsstolz für unsereiner wichtig ist,
weil wir Material technisch warten,
von dem Menschenleben abhängen
und das deswegen mit besonderem
Verantwortungsgefühl gewartet werden muss. Zum anderen deswegen,
weil ich zu erkennen glaube, dass dieser Berufsstolz im Schwinden begriffen ist und hier meiner Meinung nach
unbedingt gegengesteuert werden
sollte.
Was bringt mich zu dieser
Erkenntnis? Ich bin seit Jahren aufmerksamer Leser des „flusi-reports“,
eine Lektüre, die ich jedem Luftfahrzeugtechniker nur wärmstens ans
Herz legen kann. Und wenn man hier
die aufgezeigten Informationen zu
Flugzwischenfällen mit der Zielsetzung „Ursache: Technik“ filtert, so
stellt man in den letzten Jahren eine
schleichende Schwerpunktverschiebung fest. Lag früher der Schwerpunkt der Ursachen technischer
Zwischenfallmeldungen bei fehlerhaften technischen Anlagen durch
Designmängel oder durch die
Abnutzung im Betrieb, so verschiebt
III/2005 FLUGSICHERHEIT
sich dieser Schwerpunkt heute deutlich in Richtung „Ursache: Personal Technisches Personal“. – Wenn man
den „flusi-report 01/05“ auswertet,
so sind das bei 13 aufgezeigten
Zwischenfällen mit technischer Ursache 9(!!), die zumindest beitragend
als Ursache „Technisches Personal“
und deren Auftragsdurchführung
benennen – ein in meinen Augen
erschreckend hoher Anteil, der mich
persönlich betroffen macht und mich
daher nach den Gründen hierfür fragen lässt:
Ist es vielleicht eine gewisse „Feierabendmentalität“, die den korrekten
Abschluss von Arbeiten beeinträchtigt? Nach dem Motto: „Den Teststand, die Hebebühne, die Kiste kann
ich auch Morgen noch an die dafür
vorgesehene Stelle räumen – in der
Zwischenzeit tun die niemandem weh
und ich bin wenigstens rechtzeitig
daheim ...!“ oder „Die Papiere fülle
ich später aus ...“ oder „Die Schraube
ziehe ich später an ...“ Wie ist es mit
der Gewissenhaftigkeit, wenn der
Dienstschluss wichtiger ist als das ordnungsgemäße Verlassen des Arbeitsplatzes, der „richtige“ Abschluss der
Arbeiten? Tut das jemand, der sich
mit dem Luftfahrzeugtechnikerberuf
identifiziert?
Oder ist es die schleichende „Entwertung von Dienstgraden“?
Vorbei die Zeiten, als man die
(Berufs)Erfahrung eines Soldaten noch
auf der Schulter ablesen konnte.
„Hauptfeldwebel? Ahhh – Sie sind
sicher der Fachgruppenleiter ... Ich
brauche mal einen Ihrer Portepeeunteroffiziere, der ist sicher erfahren
genug, mir bei diesem Problem zu
helfen ...“ Die Aussage enthält zwei
Fehler – wer hat sie gefunden?
Heute bekommen wir Feldwebel
„fertiggebacken“ nach drei Jahren
Ausbildung, ohne eine Sekunde
Berufserfahrung und ohne Erfahrung
am „scharfen“ Luftfahrzeug, mit dem
sich gleich Menschen durch die Luft
bewegen wollen/sollen.
Vorbei die Zeiten, in denen man länger dienende Unteroffiziere auch auf
Grund ihrer Arbeitseinstellung auswählen und so zum Dienstgrad
Portepeeunteroffizier empfehlen konnte und die somit auch schon ein
gerüttelt Maß an Berufserfahrung
und Berufsstolz entwickelt hatten.
Heute habe ich in einer Teileinheit
vielleicht drei Hauptfeldwebel, einer
sitzt auf der Zeile 01, ist damit Fachgruppenleiter, trägt die Verantwortung für die Fachgruppe und hat sich
in jahrelanger Bewährung hierhin
gedient. Der zweite ist vielleicht nach
drei Jahren komprimierter Ausbildung in kürzester Zeit zum Hauptfeldwebel durchgeschossen, weil er es
intellektuell besonders drauf hatte
und er dazu das Glück hatte, öfter zur
richtigen Zeit an der richtigen Stelle zu
sein. Und der dritte kommt aus einem
aufgelösten Verband, war dort schon
einmal Teileinheitsführer und muss
nun in seinem neuen Verband ins 2.
Glied zurück. Alle drei bekommen das
gleiche Geld, haben aber ungleich
unterschiedliche Verantwortung und
Berufserfahrung – ein Umstand, der
sich sicher auf das innere Klima der
Teileinheit auswirkt, auf die Berufszufriedenheit der beschriebenen
Akteure und damit ganz sicher auch
auf ihre Vorbildfunktion und auf die
23
Flugsicherheit
Erkenntnisse in der Lehre vermittelt
werden müssen und das möglicherweise in kürzerer Zeit, wie das neue
Gymnasialmodell in Bayern zeigt.
Auch in der Luftfahrzeugtechnik
nimmt die Komplexität der Systeme
zu, und diese sollen dann evtl. auch
noch in einer anderen als der Muttersprache unterrichtet werden. Gleich-
der Ausbildung zu kurz kommen –
wer vermittelt diese dann? Aber
Arbeiten am Luftfahrzeug ohne diese
Verhaltensregeln ist gefährlich, wie
die flusi - Berichte zeigen. Was also
tun?
Hier sehe ich uns Vorgesetzte mit
längerer Berufserfahrung in der
Pflicht. Nehmen Sie diese Aufgabe
Als dritte beitragende Ursache sehe
ich die Aus- und Weiterbildung. Wer
kennt es nicht, das Lied von Louis
Armstrong „What a wonderful
world“? In einer Liedzeile betrachtet
er da ein weinendes Baby und sagt,
dass dieses Baby mehr wissen wird,
als er jemals lernen konnte.
In diesem Satz liegt eine große
Wahrheit, nämlich, dass die Erkenntnisse des Menschen immer mehr zunehmen und damit auch immer mehr
zeitig werden Tätigkeitsbilder zusammengefasst und praktische Anteile zu
Gunsten der Theorie und computergestützter Ausbildung beschnitten –
Radwechsel per Mausklick!
Kann es etwa sein, dass durch das
Verabreichen von immer mehr kognitivem Wissen (Faktenwissen) die Annahme von affektivem Wissen (Verhaltensregeln) immer mehr auf der
Strecke bleibt?
Und wenn diese Verhaltensregeln in
ernst und machen Sie den neu ausgebildeten (Portepee)Unteroffizieren
klar, was es bedeutet, an einem Luftfahrzeug zu arbeiten und was für
Folgen unsere Arbeit hier haben kann.
Leben Sie den kompetenten und gewissenhaften Luftfahrzeugtechniker
konsequent vor und bereiten Sie ein
Arbeitsumfeld, in dem Ihre Techniker
Berufsstolz entwickeln und mit Freude
ihrer Arbeit nachgehen. Messen Sie
die Arbeit der Ihnen Unterstellten
Illustration: Renate Wachsmann-Kerp, IMZBw
Erziehung des ihnen anvertrauten
Personals. Wie soll sich ein Stabsunteroffizier verhalten, wenn ihm der
eine Hauptfeldwebel aus langer Berufserfahrung heraus sagt, am Flugzeug da arbeitet man „Hüh“ und der
andere Hauptfeldwebel mit einem
anderen Herkunfts-Background „Hott“
befiehlt?
24
III/2005 FLUGSICHERHEIT
nicht nur anhand von Kennzahlen
und Effizienzquoten, sondern sorgen
Sie dafür, dass sich der Luftfahrzeugtechniker nicht nur als kleines Rädchen im Getriebe fühlt. Schüren Sie
seine Begeisterung für Luftfahrzeugtechnik - zu unserem Regiment gehören drei Instandhaltungsgruppen, die
ohne Nähe zum Flugbetrieb sind und
in denen Luftfahrzeugtechniker arbeiten, die nie ein Luftfahrzeug haben
starten sehen ... Bringen Sie diese in
einen Fliegenden Verband und zeigen
Sie ihnen, wofür sie arbeiten. Vielleicht erreichen wir im Luftwaffeninstandhaltungsregiment 1 so, dass
wir alle wieder mehr stolz sein können, Luftfahrzeugtechniker zu sein!
What a wonderful World
(Louis Armstrong)
Bravo,
gut gemacht!
der Zweite...
Eine Hubschrauberbesatzung befand sich für mehrere Tage mit dem Hubschrauber Bo 105P am Standort Laupheim, um eine Gebirgsflugsausbildung
durchzuführen. Bei der Vorfluginspektion bemerkte Oberfeldwebel Steve
Richter, HFlgUstgStff 10, dass an der äußeren Lagerschale der Triebwerkbefestigung anstelle der längeren Schraube (28 mm) eine kurze Schraube (26 mm)
(Bild 1) der inneren Lagerschraube eingebaut war. Der falsche Einbau kann nur
bei sehr genauem Hinschauen (siehe Bild 3) erkannt werden. Eine Überprüfung
der Luftfahrzeuge im Heimatverband ergab, dass dort sechs weitere Luftfahrzeuge ebenfalls mit falschen Schrauben (Bild 2 zeigt eine richtige und eine
falsche Schraube) bestückt waren.
!!!Bravo gut gemacht und weiter so!!!
I see trees of green, red roses, too,
I seen them bloom for me and you,
And I think to myself:
What a wonderful world!
I see skies of blue and clouds of white,
The bright blessed day, the dark
sacred night,
And I think to myself:
What a wonderful world!
I hear babies cry, I watch them grow,
They’ll learn much more than I’ll ever
now,
And I think to myself:
What a wonderful world!
Bild 1
Bild 2
Fotos: FSO HFlgUstgStff 10
The colours of the rainbow,
so pretty in the sky,
Are also on the faces of people goin’
by.
I see friend shakin’ hands, saying
“How do you do?”
They’re really sayin’ “I love you”.
And I think
to myself:
What a wonderful world!!!
III/2005 FLUGSICHERHEIT
Bild 3
25
Flugsicherheit
Taktiles System für das
Lagebewusstsein
Bezugsquelle: Magazin Flightfax USA
übersetzt vom Sprachendienst LwA
Ausbildung in Crew
Coordination
Die Bedeutung der Crew Coordination für die Luftfahrzeugbesatzung
liegt klar auf der Hand: 66 Prozent der
Class A-Unfälle, die sich im Rahmen
der Operation Iraqi Freedom (OIF) ereigneten, sind u.a. auf „mangelnde
Crew Coordination“ zurückzuführen.
Die Führung der US-Heeresflieger hat
die Notwendigkeit der Ausbildung zur
Unterstützung der Kompensation der
26
Foto: Archiv GenFlSichhBw
Die US-Marine hat eine Weste entwickelt, die mit vibrotaktilen Stimulatoren (Taktoren) an strategischen
Punkten ausgerüstet ist. Die Taktoren
von der Größe einer Vierteldollarmünze üben entsprechend der Bewegungsrichtung leichten Druck auf den
Luftfahrzeugführer aus (bei Einleitung
einer Rollbewegung werden z.B. die
Taktoren auf der rechten bzw. linken
Körperhälfte aktiviert, sodass eine
natürliche Korrektur in die entgegengesetzte Richtung möglich ist). Im
Rahmen der Erprobung konnten Hubschrauberführer der US-Marine
„blind“, d.h. allein mit Hilfe der taktilen Reize der Weste Landungen durchführen. Das 160. Special Operations
Aviation Regiment (SOAR) testet das
taktile System für das Lagebewusstsein (TSAS) im Hinblick auf ihr aviation life support equipment (ALSE) suit.
Das Programm erhält unsere volle
Unterstützung (d.h. die Unterstützung
des US-Heeres), damit wir das Konzept beschleunigt im praktischen Einsatz umsetzen können.
geringeren Flugstundenzahl der heutigen Hubschrauberführer erkannt
und dem Programm neuen Schwung
verliehen. Das neue Programm bietet
eine rechnergestützte Simulatorausbildung auf dem Heimathorst und die
Erarbeitung positiver Verhaltensweisen vor der Verlegung in den Einsatzraum. Die nächste Generation der
Crew Coordination-Ausbildung wird
in das Centralized Aviation Flight
Record System (CAFRS) integriert,
dessen 18monatige Testphase derzeit
beginnt.
Bis diese Technik in Ausrüstung und
Programmen eingeführt ist, sollten
Luftfahrzeugführer Innovation und
Flugdisziplin nutzen, um umgebungsbedingte Risiken zu minimieren.
Fehlende Mittel zur Wüstenausbildung sollten die Ausbildung nicht
verhindern. Um Risiken zu mindern,
sollte bei Flügen auf dem Heimathorst
bewusst mit geringerer Triebwerk-
III/2005 FLUGSICHERHEIT
Hitverdächtig
von Oberstleutnant Rüdiger Stein, FlSichhBw
(Zwischenfall 027906 vom 18.03.05 beim MFG 3)
Vorgang
leistung geflogen werden und im
Flugsimulator sollten positive Verhaltensweisen erarbeitet werden.
Darüber hinaus sind gute Verbände
durch Ergänzung eines gut geplanten
Ausbildungsprogramms in Bezug auf
Aufnahme, Stationierung, Weitertransport und Integration (RSOI) in der
Lage und zur Zeit dabei, derartige
Herausforderungen zu bewältigen.
Einsätze bei eingeschränkter Sicht,
verursacht durch Wetter, aufgewirbelten Staub oder Schnee, könnten
anspruchsvoll und riskant sein, und
potenziell zur Zerstörung des Luftfahrzeugs führen. Dennoch können solche Einsätze sicher durchgeführt werden, ohne dass es zu Verlust von
Menschenleben oder Gerät kommt.
Es gibt kein Wundermittel zur deutlichen Verringerung von Brownouts
und nichts wird eine sichere, gut
durchgeführte Wüstenausbildung
ersetzen können. Das US-Army Safety
Center setzt jedoch in Zusammenarbeit mit dem US-Army Materiel
Command, dem Assistant Secretary of
the Army for Acquisition and Logistics
Technology und dem US-Army
Aviation Center mit Nachdruck die Beschaffung von Hilfsmitteln durch, um
das Fliegen für künftige Heeresflieger
sicherer zu machen und Kriege für
unser Land zu gewinnen. Das Haushaltsjahr 2004 kann das Jahr für Flugsicherheit schlechthin sein. Es liegt bei
uns allen, dieses Ziel durch tägliche
Verbesserung der Voraussetzungen zu
verwirklichen.
III/2005 FLUGSICHERHEIT
zumindest aber seine Gesundheit, für
eine sensationelle Aufnahme zu riskieren. Anders kämen solche Bilder, wie
sie beispielsweise regelmäßig im
National Geographic veröffentlicht
werden, nicht zustande.
Ein erhebliches Maß an Übermotivation ließ auch die Reporter am Ort des
Zwischenfalls den Inhalt der zuvor
erhaltenen Unterweisung in die sicheren Verhaltensmuster vergessen. Zusätzlich dürfte die mangelhafte Erfahrung im Umgang mit den Gefahrenquellen, die in einem Flugbetriebsbereich lauern, die Vorgehensweise beeinflusst haben. Nicht zu unterschätzen ist
darüber hinaus der Lärm, der von
Propellern und Triebwerken ausgeht
und der zu einem erhöhten Stresslevel
führt.
Die Propellerspitzen der DO 228 sind
farblich mit zwei weißen Streifen (auf
grauem Grund) markiert. Eine deutliche Signalwirkung kann dieser Farbkombination nicht zuerkannt werden.
Wenn das Auge jedoch durch den
Sucher einer Spiegelreflexkamera gerichtet ist, geht auch die Wirkung jeder
anderen Farbgebung durch die
Einengung des Blickwinkels und durch
die Fokussierung verloren.
Die Luftfahrzeugbesatzung hatte
den Transport einer hochgestellten Persönlichkeit (VIP) durchzuführen. Der
Auftrag endete mit der Landung des
Luftfahrzeuges außerhalb der Rahmendienstzeit am Heimatflugplatz, wo
bereits mehrere Vertreter der Presse die
Person erwarteten. Die Verbandsführung hatten den Reportern eine Begleitperson zur Seite gestellt, die schon
vor der Landung des Luftfahrzeuges
auf die sicheren Verhaltensweisen für
den Aufenthalt im Flugbetriebsbereich
und bei der späteren Annäherung an
das Luftfahrzeug hingewiesen hatte.
Einige Reporter führten Kameras mit
sich und hatten die Absicht, den VIP
beim Verlassen des Luftfahrzeuges
abzulichten.
Ein Einweiser (Marshaller) dirigierte
das Luftfahrzeug in seine endgültige
Parkposition; dabei befanden sich die
Pressevertreter (und die Begleitperson)
hinter ihm. Die Besatzung hatte die
Triebwerke soeben abgestellt – die
Propeller liefen noch mit hoher Drehzahl aus – als drei der Reporter sich
unvermittelt in Bewegung setzten und
geradewegs auf das Luftfahrzeug und
auf die noch rotierenden Propeller
zuliefen. Dabei hatten sie die Kameras
an´s Auge geführt.
Der Einweiser erkannte die drohende tödliche Gefahr, reagierte aber
unverzüglich und warnte die Reporter
durch unüberhörbare Schreie. Die
Pressevertreter realisierten nun erst die
Situation in ihrem vollen Ausmaß und
verzichteten daraufhin auf eine weitere Annäherung an die Gefahrenquelle.
Zukünftig wird der Verband die
Anzahl der Begleitpersonen auf die
Stärke der zu betreuenden Personengruppe abstimmen.
Zusätzlich soll dafür gesorgt werden,
dass der frühzeitige Zugang zu einem
Luftfahrzeug künftig sicher verhindert
wird.
Ursache
Anmerkung
Bekanntlich ist ein leidenschaftlicher
Fotograf durchaus bereit, sein Leben,
Im vorliegenden Fall stand den betroffenen Pressevertretern ein Schutz-
Maßnahmen
27
Flugsicherheit
28
Luftfahrzeug ausgestiegen war, entfernte er sich sehr schnell in Richtung
der linken Tragfläche, sodass der
Copilot seine ursprüngliche Absicht, H.
zu begleiten, aufgab. Zu diesem Zeitpunkt ging ein heftiger Gewitterregen
nieder. H. trug die Sommeruniform mit
kurzärmeligem Hemd. Nachdem er
unter der linken Tragfläche Schutz vor
dem Wetter gefunden hatte, entschied
er offenbar, den kürzesten Weg zum
nächstgelegenen, ca. 50 Meter entfernten Gebäude zu nehmen. Dieses
Gebäude lag rechts voraus. Die Gefahr,
die von dem rotierenden Propeller
des linken Triebwerks aus-
73/40; RegNr 7340) Techniker des
Verbandes hatten eine Bell UH-1D auf
dem Hallenvorfeld abgestellt, um dort
einen Blattspurlauf des Heckrotors
durchzuführen. Das Luftfahrzeug war
so positioniert worden, dass das Heck
in Richtung der dahinter liegenden
Halle zeigte; zudem befand sich der
Heckausleger über einer Entwässerungsrinne; zu beiden Seiten der Rinne
stieg das Vorfeld leicht an. Dies führte
dazu, dass der vertikale Abstand der
Heckrotorspitzen zum Boden auf 1,65
Meter reduziert war. Über durchgängig
ebenem Gelände hätte der Abstand
1,88 Meter betragen. Die Position
war auch in der Vergangen-
Illustration: Renate Wachsmann-Kerp, IMZBw
engel zur Seite. Der gleiche Engel verhinderte Schlimmeres, als ein Wart am
19. April 1973 in einer Wartungshalle
der Heeresfliegerwaffenschule in
Bückeburg in Aktion trat. (Interne Info:
Unfall Nr 73/25, RegNr 7325) Der Wart
hatte den Auftrag, die Propellerhaube
auf die Propellerwelle einer DO 27 (4sitziger, freitragender, einmotoriger
Hochdecker mit starrem Fahrwerk) zu
befestigen. Vor Beginn der Arbeiten
hätte er sich von der Stellung des
Zündschalters im Cockpit überzeugen
müssen; dies versäumte er. Tatsächlich
war die Zündung eingeschaltet und
der Gemischhebel stand auf Position
„reich“. Damit waren die idealen Voraussetzungen zum leichten Anspringen des Motors gegeben. Im Zuge der
Arbeiten drehte der Wart den Propeller und der Treibling sprang an. Die
Luftschraube traf den Wart am linken
Oberarm und am Oberkörper. Er erlitt
einen offenen komplizierten Oberarmbruch und eine Prellung der linken
Körperhälfte.
Wesentlich tragischer war das
Schicksal des KptLt H., der am 15. Juni
1977 als Passagier an Bord einer DO
28 (zweimotoriger Hochdecker mit
starrem Fahrwerk) nach Westerland
auf Sylt flog. (Unfall 77/18, RegNr
7718) Nach der Landung hätten gemäß den damaligen Bestimmungen
die Triebwerke abgestellt werden müssen, bevor Passagiere ein- oder ausstiegen. Am genannten Tage verzichtete die Besatzung darauf und ließ die
Triebwerke laufen. Später begründete
der VLF dies damit, er hätte bei diesem
Flug ausschließlich erfahrene Luftfahrzeugführer transportiert, die mit der
DO 28 und mit ihren Gefahren vertraut
seien. Zudem sei der Wind zum
Unfallzeitpunkt sehr böig gewesen und
das Luftfahrzeug ließe sich mit laufenden Triebwerken besser halten. Auch
hatte der VLF seinen Copiloten angewiesen, den KptLt H. (übrigens selbst
Hubschrauberführer) aus dem Gefahrenbereich der Luftschrauben herauszubegleiten. Nachdem H. aus dem
ging, war ihm anscheinend
momentan nicht bewusst, als
er sich zügig in Bewegung
setzte. Er wurde von der Luftschraube erfasst und tödlich
verletzt.
Ein ähnlich tragisches Ereignis
führte am 17.Dezember 1973
auf dem Flugplatz des HFlgTrspRgt
20 zum Tode des HptFw M. (Unfall
III/2005 FLUGSICHERHEIT
heit schon bewusst gewählt worden;
die Techniker konnten so den Blattspurlauf des Rotors aus unmittelbarer
Nähe besser beobachten. Dazu war
das Triebwerk des Hubschraubers angelassen und auf annähernd volle
Drehzahl gebracht worden. Folglich
rotierte der Heckrotor mit 1000-1200
RPM und war gegen den hellen Himmel nur als blasser Schatten erkennbar.
Zeugen beobachteten, dass HptFw M.,
der die Aufgaben des stellvertretenden
Instandsetzungszugführers wahrnahm
und der mit allen Gegebenheiten
bestens vertraut war, aus dem nahe
gelegenen Hangar trat und sich dem
Hubschrauber von hinten rechts näherte. Der gradlinige Weg hätte ihn in
sicherem Abstand auf die rechte Seite
des Luftfahrzeuges gebracht; er blieb
jedoch auf Höhe des drehenden Heckrotors kurz stehen, bevor er sich um 90
Grad nach links wandte und zügig
voran schritt, möglicherweise, um
einen in der Nähe stehenden Techniker
anzusprechen. Nach 3 bis 4 Schritten
geriet er mit dem Kopf in den Drehkreis des Heckrotors und erlitt tödliche
Schädelverletzungen.
Der damalige Untersuchungsausschuss konnte keine belegbaren Aussagen zu der tatsächlichen Ursache des
Unfalls machen, vermutete u. a. aber,
dass HptFw M. soweit an den ständigen Lärmpegel auf dem Vorfeld gewöhnt war, dass er die Schallquelle des
Hubschraubers in seiner unmittelbaren
Nähe nicht als Warnung erkannte. Es
ist denkbar, dass er nicht wahrnahm,
dass das Triebwerk der UH -1D lief und
dass sich folglich die Rotoren drehten.
Es wäre verwunderlich, wenn Unfälle
der beschriebenen Art ausschließlich
ein deutsches Problem dargestellten.
Dies ist natürlich nicht so! Bereits eine
kurze Recherche u. a. auf den Internetseiten des amerikanischen National
Transport and Safety Board (NTSB) wird
mit zahlreichen (Kurz-)Berichten belohnt, die zum Teil ganz erstaunliche
Inhalte offenbaren.
Am 29. Juni 1993 lief eine Frau auf
III/2005 FLUGSICHERHEIT
einem Flugplatz des Bundesstaates
Alaska absichtlich in den Propellerkreis
eines Luftfahrzeuges, wobei sie offenbar von „höherer Stelle“ gesteuert
wurde. Am damaligen Tage war die
Frau als Passagier an Bord eines anderen Luftfahrzeuges (der Gesellschaft
Ryan Air; nicht zu verwechseln mit der
heutigen Gesellschaft gleichen Namens) auf dem Flugplatz gelandet und
war aus diesem Flugzeug ausgestiegen, nachdem die Parkposition erreicht
war. In der Nähe hatte die Besatzung
einer Piper PA-31 (Geschäftsreiseflugzeug des Betreibers Bering Air, von
zwei Propellerturbinen angetrieben) die
Triebwerke angelassen und beschäftigte sich unmittelbar vor dem Losrollen
mit der Checkliste. Die Frau überquerte die Abstellfläche und bewegte sich
entlang der Vorderkante der linken
Tragfläche geradewegs auf den linken
Propeller der Piper zu. Der VLF bemerkte die Frau noch und stellte sofort
beide Triebwerke ab. Kurz bevor die
Frau den Propellerkreis erreichte, drehte sie sich um und bot ihr Gesäß den
noch drehenden Propellerblättern dar.
Sie wurde an diesem Körperteil und an
den Beinen mehrere Male getroffen,
bevor sie zu Boden stürzte. Ein Zeuge
berichtete: als die Frau in den Genuss
der Ersten Hilfe-Maßnahmen kam,
habe sie wiederholt gerufen, dass Gott
ihr gesagt hätte, dies zu tun und das
sie nicht sterben werde. Es ginge ihr
gut und man möge doch beten!
Dies hat offenbar genützt – sie überlebte den Unfall, wenn auch mit schweren Verletzungen!
Der Bericht erwähnt noch, dass die
beiden Angestellten der genannten
Flugverkehrsgesellschaften, die die
Sicherheit auf den Abstellflächen hätten gewährleisten sollen, zum Zeitpunkt des Unfalls nicht zugegen waren. Beide hatten sich zu kurzen Erledigungen in die nahe gelegene Stadt begeben!
In dem gleichen amerikanischen
Bundesstaat ereignete sich am 20.
November 1994 ein Unfall, dessen Kon-
sequenzen weder durch inbrünstige
Gebete noch durch die Anwendung
von Erste Hilfe-Maßnahmen hätten
gemildert werden können. Damals war
ein Hubschrauber vom Typ Bell Jet
Ranger 206B in der Nähe eines Holzfällerlagers gelandet. Der eigentliche,
mit Bodenmarkierungen gekennzeichnete Landeplatz konnte nicht genutzt
werden, da die Hindernissituation dies
zum Augenblick der Landung nicht zuließ. Daher hatte die Besatzung das
Luftfahrzeug auf einer anderen schneebedeckten Abstellfläche abgesetzt.
Dort gab es keinerlei Boden- oder sonstige Markierungen, die etwa auf Gefahrenbereiche und sichere Zu- und
Abgangswege hinwiesen. Zudem befanden sich auch in der Nähe dieses
Landeplatzes allerlei Hindernisse, sodass eine günstigere Abstellfläche nicht
zu finden war.
Der Hubschrauber wurde zum Personentransport zu und von den Lagern
eingesetzt, die zu dem Besitz eines
größeren Holzfällerbetriebes gehörten.
In diesem Lager arbeiteten 6 Holzfäller,
von denen einer die Aufgabe des
„Versorgungsmanagers“ versah. Der
betreffende Arbeiter hatte auf diesem
Gebiet eine 18-jährige Erfahrung und
der Umgang mit Hubschraubern gehörte zu seiner täglichen Routine; das
letzte Hubschraubersicherheitstraining
hatte er etwa 4 Jahre zuvor absolviert.
Er war für die Bodensicherheit in diesem Lager verantwortlich und bildete
auch andere Arbeiter auf diesem
Gebiet aus. An diesem Novembertag
war er nicht als Passagier auf dem
Hubschrauber vorgesehen.
Während der Copilot im Cockpit verblieb, bereitete der Luftfahrzeugführer
bei laufendem Triebwerk den Betankungsvorgang seines Hubschraubers vor
(Einfüllstutzen auf der rechten Seite),
als der Arbeiter unvermittelt und unerwartet neben ihn trat und sein Interesse an einem Mitflug zu einer nahe gelegenen Siedlung bekundete. Der Luftfahrzeugführer stimmte zu und entgegnete, dass er in etwa 10 Minuten
29
wieder starten werde. In diesem Augenblick entschied der Luftfahrzeugführer
auch, auf das hot refueling zu verzichten und das Triebwerk zum Betanken
abzustellen. Zuvor war jedoch noch
eine 2-minütige „Abkühlphase“ einzuhalten. Nach dem Gespräch mit dem
Luftfahrzeugführer war der Arbeiter in
Richtung des Heckauslegers gegangen,
offenbar, um sein Gepäck zu holen. Er
kletterte unter dem Heckausleger hindurch auf die linke Seite und lief geradewegs in den drehenden Heckrotor.
Dabei zog er sich tödliche Kopfverletzungen zu.
In den Abendstunden des 11. März
1998 geschah auf dem Flugplatz der
Stadt Memphis, Tennessee, folgendes:
eine Angehörige der Bodenmannschaft der Express Airlines One hatte
das Anlassen der Triebwerke einer
Saab 340A der gleichen Gesellschaft
(Regionalverkehrsflugzeug, Tiefdecker,
2 Propellerturbinen) überwacht und
befand sich noch rechts vor dem Luftfahrzeug, als sie die Besatzung per
Sichtzeichen um die Erlaubnis bat, die
Verbindung zum Anlassgenerator trennen zu dürfen. Der Anlassgenerator
stand hinter der rechten Fläche des
Luftfahrzeuges. Der Copilot signalisierte sein Einverständnis; die Frau setzte
sich in Bewegung lief auf dem Weg zu
dem Generator in den Propellerkreis.
Dabei erlitt sie tödliche Verletzungen.
Die Betriebs- und Sicherheitshandbücher der Gesellschaft warnten ausdrücklich davor, bei laufenden Triebwerken
unter den Tragflächen
hindurch zu gehen oder zu
fahren. Es war verbindlich angeordnet, außen um die Flächen herum
zu laufen bzw. zu fahren. Der
Kurzbericht des NTSB erwähnt
noch, dass die betroffene
Angestellte etwa drei
Wochen vor dem Unfall ihre
Tätigkeit bei Express Airlines
One als Teilzeitkraft
begonnen hatte.
Der Arbeitsvertrag
30
sah eine Arbeitszeit von Sonntags bis
Donnerstags von jeweils 17:30 Uhr bis
21:00 Uhr vor. Daneben ging die Frau
einer Hauptbeschäftigung nach, die sie
Montags bis Freitags von 07:00 bis
15:30 Uhr in Anspruch nahm.
Ein gleichartiger Unfall hatte sich
bereits am 5. November 1993 um die
Mittagszeit auf dem internationalen
Flugplatz der Stadt Newark, New Jersey, ereignet. Damals warteten mehrer
Luftfahrzeuge auf den verspäteten
Start, da die Abflüge sich aus Wettergründen verzögert hatten. Dabei handelte es sich in einem Fall um eine
Fairchild SA 227 (Luftfahrzeug-Typ wie
oben) der Gesellschaft Northwest,
deren Triebwerke soeben angelassen
worden waren. Eine Angestellte der
Gesellschaft hatte dabei assistiert und
trug dabei einen Gehörschutz. Sie
stand vor dem Luftfahrzeug, als der
VLF ihr das Zeichen gab, den Anlassgenerator abzukoppeln. Der Generator
stand nahe der rechten hinteren Seite
der Sa 227. Die Frau lief außen um die
rechte Flächenspitze herum und näherte sich der hinteren Steuerbordseite
des Luftfahrzeugs. Ein anderer Angestellter der Gesellschaft berichtete: „Sie
trennte den Stecker (des Generators)
vom dem Luftfahrzeug, drehte sich
herum und ging mit dem Kabel zum
hinteren Ende des Luftfahrzeugs. Ich
selbst stand neben dem Anlassgenerator. Sie gab mir
das Kabel und ich begann, dies auf
dem Wagen zu verstauen, auf dem der
Generator sich befand. Während ich
damit beschäftigt war, schaute ich auf
und sah die Frau erst nicht. Dann entdeckte ich sie auf ihrem Weg zurück
zur Nase des Flugzeugs. Sie ging nicht
um die Tragfläche herum, sie ging geradewegs zurück unter der Fläche
durch auf das Triebwerk zu. Ich rief
mehrere Male ihren Namen, aber sie
hörte mich nicht. Sie hatte sich vornüber gebeugt und lief genau in den
Propeller. Ich sah wie der Propeller sie
traf.“
Die Frau wurde tödlich verletzt. Sie
war 22 Jahre alt und gehörte der Fluggesellschaft seit Juni des Vorjahres an.
In diesem Monat hatte sie eine 5-tägige Einweisung in ihre Tätigkeit erhalten. Dabei waren auch Aspekte der
Bodensicherheit behandelt worden.
Aus ihren Trainingsunterlagen ging
auch hervor, dass sie als Ausbilderin auf
diesem Gebiet vorgesehen war.
Auf dem Teil des Flugplatzes, auf
dem sich der Unfall ereignete, gab es
keinerlei Farbmarkierungen auf dem
Boden, also auch keine Parkmarkierungen für die Luftfahrzeuge oder
gekennzeichnete Zu- und Abgangswege für die Passagiere.
Die Darstellung solcher Unfälle ließe
sich weiter fortsetzen. Im Februar 1999
geriet ein Angehöriger des Bodenpersonals auf einem Flugplatz der
Hauptstadt Washington D. C. in den Propeller einer Piper Saragota und wurde enthauptet.
Auf dem Flugplatz Little
Rock, Arkansas, lief ein Stationsmanager mit 31-jähriger Berufserfahrung im Juli 1999 von hin-
III/2005 FLUGSICHERHEIT
Illustration: Hans-Günther Sperling
Flugsicherheit
ten in den Propeller einer ATR-42 und
erlitt tödliche Verletzungen.
Sieht man einmal von dem Unfall mit
der zur Selbstverstümmlung berufenen
Frau ab, so ist auffällig, dass ausschließlich solche Personen zu Schaden
kamen, die mit der „Gefahrenquelle
Luftfahrzeug“ durchaus vertraut waren. Und in keinem der Fälle gab es
organisatorische oder umweltbedingte
Faktoren, die das Geschehen begünstigten. Auch stand keines der Opfer
unter dem Einfluss von Rauschmitteln.
Bei der Suche nach den Ursachen für
das Verhalten der Personen rücken psychologische Aspekte in den Vordergrund. Doch bevor wir in die Tiefen der
menschlichen Seele abtauchen und die
recht einfache Antwort liefern, einige
einfache Betrachtungen des alltäglichen Lebens.
Es ist uns allen schon passiert, dass
wir eine Gefahrenquelle „übersehen“
haben, weil wir ein (oftmals sogar
räumlich) dahinter liegendes Ziel unbedingt erreichen wollten. Dazu einige
Beispiele: wir entdecken einen guten
Freund auf der anderen Straßenseite;
unsere Motivation, ihm entgegenzueilen, um ihn freudig zu begrüßen, wird
so mächtig, dass wir loslaufen, ohne
auf den fließenden Autoverkehr zu
achten. Die Gefahrenquelle „Autoverkehr“ wird in unserem Bewusstsein
ausgeblendet, wir können auch sagen,
überlagert, ja, sie existiert augenblicklich nicht mehr. Später haben wir
Schwierigkeiten zu erklären, warum
wir das von den Eltern antrainierte
„Schau nach links und nach rechts!“
restlos außer Acht ließen. Unser Verhalten wurde auch durch ein physiologisches Phänomen begünstig. Die starke visuelle Konzentration auf einen
Punkt, in diesem Falle auf den Freund
auf der anderen Straßenseite, führt zur
Bildung eines „Tunnelblickes“; alles,
was außerhalb der „Blickröhre“ liegt,
wird nicht oder nur ungenau erkannt.
Von dieser Stelle lässt sich der Bogen
zur Luftfahrt leicht schlagen. Aus den
Unfall- und Zwischenfallberichten ken-
III/2005 FLUGSICHERHEIT
nen wir den Begriff der Target Fixation
nur allzu gut. Damit verbindet sich die
starke Konzentration auf einen Punkt/ein Ziel mit der Folge der visuellen und
gedanklichen Ausblendung der sonstigen Umweltbedingungen.
Ein anderes Beispiel: der Handrasenmäher! Wie häufig ist es vorgekommen, dass der Bediener den Mäher mit
laufendem Motor auf die Seite kippte,
um die Grasreste im Inneren zu beseitigen und dabei in das drehenden Messer griff? Und wie oft sind Sägewerksarbeiter mit ihren Fingern in laufende
Sägen geraten? Natürlich erwarten wir
keine konkrete Antwort auf diese Frage, aber es ist immerhin so häufig geschehen, dass die verstümmelten Hände Gegenstand makaberer Scherze
wurden.
In den beiden letztgenannten Fällen
bieten sich rein mechanische Vorrichtungen zur sicheren Unfallverhütung
an. Hobbygärtner und –handwerker
wissen das. In der Absicht, wirksam vor
den Gefahren rotierender Propeller bzw.
Rotoren zu schützen, müssen andere
Wege beschritten werden. Ganz sicher
ist der stereotype Hinweis auf die
Existenz der Gefahrenquelle bestenfalls
noch im Unterricht für Erstklässler angebracht – später ist diese Erkenntnis
Teil der allgemeinen Lebenserfahrung
und der bloße gebetsmühlenartig wiederholte Hinweis darauf hat die gleiche
Wirkung wie die Aufforderung, nicht
so spät nach Hause zu kommen oder
sich beim Spielen nicht schmutzig zu
machen.
Was also kann helfen?
Zunächst einmal trägt der Propelleroder Rotorhersteller seinen Teil zur
Verhütung bei, indem er die Blattspitzen farblich auffallend markiert.
Weiß auf grau (DO 228) trägt aber
eher dem Aspekt bester Tarnung
Rechnung, ansonsten muss man schon
genau hinsehen. Gelb auf grau (Transall C-160) ist auffälliger. Rot-weiß-rot
an den Spitzen des Heckrotors der Bell
UH 1D ebenfalls, so sollte man zumindest meinen.
Darüber hinaus können Bodenmarkierungen Gefahrenbereiche von sicheren Arealen trennen. Aber auch hier
ergeben sich Zweifel an der Wirksamkeit. Umweltbedingungen wie Regen,
Schnee, Dunkelheit heben die Signalwirkung auf. Voraussetzung wäre auch,
dass stets gleichartige LuftfahrzeugMuster auf stets den gleichen Abstellplätzen geparkt werden müssten. Das
ist unpraktisch und kaum realisierbar.
Eine vielversprechende Methode zur
Verhütung von Unfällen der genannten Art ist aber weiter oben schon
angeklungen:
Die verantwortlichen Stellen müssen
geeignete Verfahren entwickeln und
mit der Androhung von Strafe bei
Nichteinhaltung durchsetzen. Solche
Verfahren können beispielsweise zum
Inhalt haben, dass
• man sich einem Hubschrauber nur
von vorne nähert und sich auf dem
gleichen Wege auch wieder von ihm
entfernt, man sich nicht unter dem
Heckausleger hindurch bewegt,
• man nicht unter einer Tragfläche hindurch geht oder fährt, wenn ein oder
mehrere Triebwerke dieses Luftfahrzeuges laufen,
• man – auch wenn ein Propeller steht nie durch den gedachten Propellerkreis hindurch geht,
• man in der Nähe eines Luftfahrzeuges nicht eilig läuft, sondern mit angemessener Geschwindigkeit geht.
Darüber hinaus sollte das Sicherheitstraining für das Bodenpersonal den
Grundsatz enthalten, dass man sich in
der Nähe eines jeden Luftfahrzeuges so
verhalten soll, als wären seine Triebwerke in Betrieb.
Die Entwicklung solcher Verfahren,
ihre Durchsetzung und deren Einhaltung kostet weder Geld noch zusätzliches Personal und, wenn überhaupt, dann nur das Minimum an Zeit,
über das wir alle verfügen. Worauf
warten Sie dann noch? Auf den nächsten Unfall?
31
Flugsicherheit
Wir verabschieden ...
Oberstleutnant Uwe Clever hat zum 31.08.2005 die Abteilung verlassen. Er war seit August 2001 Dezernent für
das Waffensystem F-4F im Dezernat b. Zuvor flog er als Waffensystemoffizier auf der Phantom beim JG 74 in
Neuburg. Die Aufgaben als Flugsicherheitsstabsoffizier des Geschwaders beschäftigten ihn dort über viele Jahre.
Nun, nach etwa 300.000 dienstlichen Autobahnkilometern in den letzten 8 Jahren, freut sich der Computerfreak
und ausgesprochene Naturfreund darauf, zusammen mit seiner Frau den eigenen Gartenteich bei einem leckeren
Bierchen in Ruhe zu genießen. Geflogen wird nur noch, wenn es in den Urlaub geht. Sein offenes und freundliches
Wesen wird der Abteilung fehlen. Für die Zukunft wünschen wir ihm viel Glück und Gesundheit im wohlverdienten
Ruhestand.
Ebenfalls befindet sich Hauptmann Gerhard Müller jetzt im Ruhestand. Nach einer Ausbildung zum Kfz-Mechaniker
trat er 1971 in die Bundeswehr ein. In Ahlhorn wurde er als Triebwerksmechaniker ausgebildet, es folgte die
Meisterausbildung und in Fassberg der Besuch an der Technikerschule der TSLw 3. Seit 1981 war er in Erding bei
der Luftwaffenwerft 11, wo er in der Triebwerkinstandsetzung (MES 3 und 4) als Prüfgruppenleiter und Nachprüfer
Triebwerk T53-L-13B (UH-1D) sein umfassendes Wissen einsetzte. Zusätzlich war er hier als Projektoffizier für die
maschinelle Neuausstattung der CNC-gesteuerten Drehbänke und Fräsmaschinen zuständig, ebenfalls für die
Erneuerung der Messausstattung bis hin zur 3D-Portalmessmaschine. 1987 folgte die Versetzung zur Abteilung
Flugsicherheit in der Bundeswehr. Als Sachbearbeiter Triebwerk war er im Dezernat d an 60 (!!) Flugunfalluntersuchungen beteiligt. Seine Erfahrung und sein Fachwissen waren über die Grenzen der Bundeswehr bis zur omanischen Luftwaffe gefragt. Trotz der hohen Arbeitsbelastung hat er in seiner Nebenfunktion als Dezernatskoch der Techniker gerne für das
leibliche Wohl seiner Kameraden gesorgt. Für den nun folgenden Lebensabschnitt wünschen wir alles Gute bei guter Gesundheit.
Im Dezernat d hat es einige Personalwechsel gegeben. So hat Hauptmann Markus Böhm seit dem 01. September
seinen neuen Dienstposten in Landsberg beim Lufttransportgeschwader 61 übernommen. Im Sommer 1994 ist er
zur Bundeswehr gekommen und hat nach der Offizierschule ein Studium der Elektrotechnik in München absolviert.
Vom Mai 1999 an war er als LfzEloOffz in Büchel beim JaboG 33 eingesetzt, bevor er dann im September 2002 ins
Luftwaffenamt zur Dienststelle GenFlSichhBw kam. Als Sachbearbeiter für Avionik umfasste sein Aufgabengebiet
ebenfalls die Auswertestation. Wir bedanken uns für seine Unterstützung und für seine neue Funktion als Leiter
Technische Betriebsführung der Instandsetzungsstaffel beim LTG 61 wünschen wir viel Erfolg.
Wir begrüßen
Oberstleutnant Michael Baumgart ist nach einem dreijährigen Aufenthalt beim Air Force Safety Center Kirkland,
Albuquerque, zur Dienststelle GenFlSichhBw zurückgekehrt. In seiner Funktion als action officier und Repräsentant
des Air Force Safety Center hat er dort an sieben Flugunfällen mitarbeiten dürfen. Vor dieser Zeit war er von
Oktober 1997 bis zum August 2002 in der Abteilung b zuständig für das Waffensystem MiG-29. Mit seiner
Erfahrung als Luftfahrzeugführer auf diesem Muster ist er nun als Sachbearbeiter der Waffensysteme F-4F und
Eurofighter verantwortlich. Für die neuen und umfassenden Aufgaben wünschen wir viel Glück und Erfolg.
Hauptmann Peter Hörnemann ist seit dem 15.08.05 der Nachfolger von Hauptmann Gerhard Müller im
Dezernat d. Nach seiner Grundausbildung in Ulmen wurde er 1982 zum Luftfahrzeugtriebwerkmechaniker und meister beim JaboG 33 ausgebildet. Es folgte 1990 eine Fachschulausbildung Maschinentechnik an der TSLw 3 in
Faßberg mit einer anschließenden Ausbildung zum LehrOffz und LfzTOffz. In der Funktion als Hörsaalleiter und
LehrOffz war er anschließend an der 10./TSLw 3 in Fassberg bis zum Jahresende 1995 tätig, gefolgt von einer
Verwendung an der 6./TSLw 3 in Wunsdorf, wo er vier Jahre über das Triebwerk der C-160 unterrichtete. Vor seiner
Versetzung zur Dienststelle GenFlSichhBw war er fast sechs Jahre als Leiter der Prüfgruppe und LfzTOffz in
Nörvenich beim JaboG 31 „B“ eingesetzt. Wir wünschen einen guten Start in der neuen Verwendung.
Feldwebel Zbigniew Dobrzanski ist nach seiner fast zweijährigen Ausbildung zum Bürokaufmann als
Dienstvorschriftenverwalter im Dezernat a tätig. Im Sommer 2002 wurde er als Wehrpflichtiger nach seiner
Grundausbildung in Germersheim zum LwA Abteilung Flugsicherheit in der Bw versetzt. Er wurde mit Wirkung des
01. Januar 2003 zum Soldaten auf Zeit ernannt, somit folgten der Unteroffizierlehrgang, der Feldwebellehrgang
und die Ausbildung zum Bürokaufmann. Frisch ausgebildet steht er nun der Dienststelle zur Verfügung. In seiner
Zweitfunktion ist er Materialbeauftragter und Stellvertreter des Gebäudeältesten. Viel Freude und einen guten
Arbeitsbeginn wünschen wir unserem „polnischen Verbindungsunteroffizier“.
32
III/2005 FLUGSICHERHEIT
Statistik
Flugunfall-/ Zwischenfallbilanz 2005
bemannte Luftfahrzeuge:
3 Unfälle
3 beschädigte Luftfahrzeuge
10.02.05
////
CH-53G
03.03.05
30.03.05
////
////
EC-135
MK 41
Bodenlauf mit nur 5 Hauptrotorblättern, Hauptrotorkopf
schwer beschädigt
Im Schwebeflug Bodenberührung und umgekippt
Nach der Bordlandung Einschlag Hauptrotor in
Heckrotorwelle
unbemannte Luftfahrzeuge:
2 Unfälle
2 zerstörte Luftfahrzeuge
04.05.05
04.05.05
22.07.05
30.07.05
xx
xx
xx
xx
Luna
Luna
Luna
Luna
Landeschirmabriss-/abtrennung während Landevorgang
Absturz nach Abriß der Telemetrieverbindung
Nach Start durchgesackt und Bodenkontakt
Telemetrieverlust, Lfz vermisst
bemannte Luftfahrzeuge:
Zwischenfälle gem. ZDv 19/6
02.03.05
*
29.03.05
18.04.05
*
**
MK88A
Überdrehzahl des Hauptrotors beim Anflug auf
Schwebeflugposition
CH-53GS Luftfahrzeug wurde gegen Hallentor geschleppt
PA 200
bei Gebrauch von Schubumkehr - driften des Luftfahrzeuges
und Abkommen von der Piste
unbemannte Luftfahrzeuge:
Zwischenfälle gem. ZDv 19/6
04.04.05
25.04.05
08.06.05
„B“
„B“
„B“
Luna
Luna
Luna
Keine Öffnung des Landeschirms im Landevorgang
Öffnung Fallschirmraumdeckel unmittelbar nach dem Start
Bei einer planmäßigen automatischen Landung wurde der
Landeschirm nicht ordnungsgemäß geöffnet
Legende
xx
////
Lfz zerstört
Lfz beschädigt
* Zwischenfall ZDv 19/6 701.1 „Flugunfall“
**
ZDv 19/6 806 „Bodenunfall“
***
ZDv 19/6 804 „Unfall beim Betrieb“
Stand: 01. August 2005
III/2005 FLUGSICHERHEIT