Flugsicherheit

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Flugsicherheit
Editorial
Termine, Termine, Termine. Das Berufsleben ist hektisch.
So neigt sich der Tag seinem Ende entgegen und ich frage mich, was habe ich erledigt, was ist noch offen und
bedarf einer Initiative meinerseits? Es fehlt die Zeit, entspannt im Stuhl nach hinten gelehnt, Gedanken wandern zu lassen. Gedanken zum Beispiel um die Schnelllebigkeit, die wir im Alltag allgegenwärtig gezeigt bekommen. Große Entfernungen werden in kurzen Zeiten bewältigt, Kommunikation und Informationsaustausch findet in Echtzeit, also mit minimalen Zeitverzögerungen, statt. Mit Hilfe der Computer lassen sich komplexe und
umfangreiche Arbeitsschritte bei richtiger Anwendung zeitlich so optimieren, dass uns die Ergebnisse schneller vorliegen bzw. einholen, als es manchmal gewünscht ist. Dies sind die Sonnen- und Schattenseiten der heutigen Zeit. Überraschenderweise ist es im Trend, keine Zeit zu haben. Wie oft hören wir, dass aus zeitlichen
Gründen Treffen oder persönliche Gespräche nicht stattfinden können. Mal ehrlich unter uns gesprochen, wann
haben Sie sich bewusst die Zeit genommen, ein „unbequemes“ Thema aufzugreifen und dem Gesprächspartner
gesagt: Ich habe Zeit für ein Gespräch.
Für die Flugsicherheit, ich hoffe ein „angenehmes“ Thema, müssen wir uns Zeit nehmen, als aktives und passives Mitglied im Flugbetrieb. Es gilt mit offenen Augen die Umwelt zu beobachten und zeitgerecht Missstände,
aber auch die Entstehung dieser, zu erkennen und mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu unterbinden.
Nehmen Sie sich ebenfalls die Zeit, diese Ausgabe der Flugsicherheit zu lesen. Da hat u. a. der Autor des
Berichtes Eurocontrol eine Übersicht der sicherheitsrelevanten Veränderungen im europäischen Luftverkehrsmanagement erstellt, die sich in der letzten der Zeit etabliert haben bzw. etablieren werden.
In dem folgenden Artikel „Eine verpasste Gelegenheit“ beschreibt ein Flugsicherheitsoffizier, wie er feststellen musste, dass die eingereichte Zwischenfallmeldung einige offene Fragen beinhaltete und dass der verantwortliche Pilot sich besser etwas mehr Zeit genommen hätte, diese Zwischenfallmeldung zu erstellen.
Es gibt nichts, was es nicht gibt, stellte ein Luftfahrzeugnachprüfer eines ArtAufklBtl fest und konnte bei seiner Recherche feststellen, dass der Hersteller seines Einsatzmittels einen Fehler beging und der anschließende
Kontroll- und Prüfablauf von luftfahrzeugtechnischem Zubehör nicht fehlerfrei funktionierte.
„Die Gefahr high zu sein“ ist ein Bericht aus dem Flying Safety Magazine, der sich mit dem Thema Drogen
befasst. Die Bundeswehr ist Teil der Bevölkerung und wird ebenfalls mit diesem Problemfeld konfrontiert, der
Kasernenzaun schützt uns nicht vor dieser Gefahr. Wichtig bei diesem Thema (das gilt natürlich auch für die oft
nicht ernst genommene Droge Alkohol): Nehmen Sie sich Zeit für das eigene persönliche Umfeld und beobachten Sie dieses aufmerksam.
Es folgen interessante Berichte zu den Themen Taktile Anzeigen, Vögel im Flugbetrieb und von einem (nicht)
ganz normalen Tag in einem CRC.
Der Sommer steht vor der Tür. Ich wünsche denen, die es betrifft, eine schöne Urlaubszeit, aus der Sie erholt
um dann wieder frohen Mutes in Ihren Arbeitsbereich zurückkehren. Diejenigen, die die Stellung halten, fordere ich zu besonderer Aufmerksamkeit und Leistungsbereitschaft auf. Für Sie wird in den nächsten zwei
Monaten das Thema „Zeit“ eine besondere Qualität erhalten. Nicht nur Ihre eigenen Aufgaben gilt es zu bewältigen, sondern auch die Ihrer Kameraden im Urlaub. Nehmen Sie sich die Zeit zu priorisieren, umfangreich zu
analysieren und den Überblick zu bewaren. In der Ruhe liegt die Kraft.
Nehmen Sie sich jetzt die Zeit für Ihren Beitrag zur Flugsicherheit.
In diesem Sinne, fly safe
1
Flugsicherheit
Eurocontrol
Umsetzung von EUROCONTROL Safety
Regulatory Requirements (ESARR) in
die Bundeswehr
Der nachfolgende Beitrag von
Oberstleutnant Mennen ist der erste
in einer Reihe von Berichten über
sicherheitsrelevante Veränderungen
im europäischen Luftverkehrsmanagement. Die im Artikel getroffenen
Bewertungen geben ausschließlich die
Meinung des Verfassers wieder.
Allgemeines
Als Romano Prodi 1999 Präsident
der Europäischen Kommission wurde,
benannte er zwei Bereiche, auf die
seiner Meinung nach die Europäische
Union (EU) verstärkt einwirken sollte,
um den Bürgern Europas zu verdeutlichen, dass man sich ihrer Sorgen bewusst sei: die Sicherung einer gleich
bleibenden Lebensmittelqualität und
die Beseitigung des „Chaos in der
Luft“.
Auf die Bemühungen der EU hinsichtlich Lebensmittelqualität/-sicherheit wird in diesem Artikel nicht näher
eingegangen, wohl aber auf die Sicherheit im Luftverkehr.
Die EU hatte endlich begriffen, dass
der Zersplitterung des europäischen
Luftraums und der Uneinheitlichkeit
der Verfahren und Zuständigkeiten
ein Ende gesetzt werden muss, will
man den Anforderungen an den beständig expandierenden Luftverkehr
auch in Zukunft gerecht werden.
Gleichzeitig galt und gilt es weiterhin,
erkannte Sicherheitsmängel und Gefahren zu beseitigen sowie trotz
steigender Ölpreise die Kosten auf ein
vernünftiges Level zu halten.
Folglich haben die Verkehrsminister
der EU im Jahr 2000 die Annahme der
„ATM (Air Traffic Management) STRA-
2
TEGY FOR THE YEAR 2000+“ beschlossen. Diese Strategie legt einheitliche Sicherheitsstandards und
Verfahren für ein Risikomanagement
mit dem Ziel einer Bewertung und
Steigerung der Sicherheit und Effizienz im europäischen Luftverkehrsmanagement fest.
EUROCONTROL Safety
Regulatory Requirements
(ESARR)
Ausgehend von diesen Vorgaben
hat EUROCONTROL unter Beteiligung
der Mitgliedsländer Anforderungen
für Sicherheitsstandards (ESARR) entwickelt. Diese betreffen alle drei
Elemente des ATM-Systems:
Personal, Verfahren und
Ausrüstung.
Im Rahmen des im Frühjahr 2004
vom Europäischen Parlament gebilligten und in Kraft gesetzten Projektes
SINGLE EUROPEAN SKY werden die
ESARR wiederum in EU-Recht überführt. Die gesetzlichen
Regelungen der EU sind
für die Mitgliedsstaaten
unmittelbar verbindlich.
Nach Veröffentlichung
sind die ESARR in der
Regel innerhalb von drei
Jahren umzusetzen
(Ausnahme:
ESARR 2).
Diese für
die zivile
Seite
geltenden
ESARR
sind
II/2005 FLUGSICHERHEIT
in unterschiedlicher Form und Ausprägung allerdings auch durch militärische ATM Service Provider zu beachten. Sie betreffen diese dann, wenn
für zivile Luftfahrzeuge Dienste erbracht werden.
Militärische Dienststellen, die ausschließlich für militärische Luftfahrzeuge in rein militärischen Lufträumen
Dienste leisten, sind davon nicht betroffen. Sie sind aber eingeladen, die
ESARR auf freiwilliger Basis zu erfüllen. BMVg hat angewiesen, die
ESARR umzusetzen, sofern militärische Anforderungen dem nicht entgegenstehen.
Begründet wird dies mit der engen
Einbindung der militärischen Flugsicherung der Bundeswehr (MilFS) in
das Gesamtsystem Flugsicherung, mit
der teilweise vorhandenen Zuständigkeit für die Kontrolle zivilen Luftverkehrs (Stichworte: Durchlässigkeit
militärisch genutzter Lufträume und
zivile Mitnutzung von Militärflugplätzen) und nicht zuletzt mit der Schaffung einer harmonisierten Grundlage
für den Einsatz der MilFS in Krisenszenarien im Ausland bzw. im Verbund mit anderen Streitkräften.
Derzeit wird durch das Amt für
Flugsicherung der Bundeswehr
(AFSBw) geprüft, welche Bereiche der
Streitkräfte in welcher Weise von der
Umsetzung der ESARR betroffen sind.
Neben den hier vorgestellten ESARR
ist zudem eine ESARR in Vorbereitung, die sich mit den Anforderungen an Global Navigation Satellit
Systems (GNSS) befasst. Außerdem ist
daran gedacht, eine weitere ESARR zu
entwickeln, die auf die Systeme, das
operationelle Management sowie auf
die verfahrenstechnischen Aspekte
von ATM abzielt.
Umsetzung in der
Bundeswehr
Nachfolgend wird erläutert, in wieweit ESARR auch die MilFS betreffen.
Ferner wird der Stand der Umsetzung
in der Bundeswehr dargestellt.
Die Nummerierung der ESARR’s ist
etwas irreführend. Die wichtigste und
daher auch als Erste veröffentlichte
ESARR ist zweifelsohne die ESARR 3
„Use of Safety Management Systems
by ATM Service Providers“. Sie
beschreibt die Sicherheitsarchitektur,
die ATM - Organisationen einzunehmen haben (s. Abbildung Seite 4)
Übersicht über derzeit vorhandene ESARR
ESARR
Title
Released
Implementation Date(s)
ESARR 1
ESARR 2
Safety Oversight in ATM
Reporting & Assessment
of Safety Occurrences in ATM
05.11.2004
03.11.2000
ESARR 3
Use of Safety Management
Systems by ATM Service Providers
13.07.2000
05.11.2007
01.01.2000 (Phase 1)
01.01.2001 (Phase 2)
01.01.2002 (Phase 3)
13.07.2003
ESARR 4
Risk Assessment and Mitigation
in ATM
05.04.2001
05.04.2004
ESARR 5
Safety Regulatory Requirements
for ATM Services Personnel
Software in ATM systems
10.11.2000
10.11.2003 (ATCO&Gen.)
11.04.2005 (ATSEP)
06.11.2006
ESARR 6
II/2005 FLUGSICHERHEIT
06.11.2003
3
Flugsicherheit
Die Einführung eines formalen
Safety Management Systems (SMS)
wird als zentrales Schlüsselkonzept für
eine Verbesserung der Sicherheit im
Luftverkehrs-Management angesehen. Im Vergleich zu den kürzlich von
der ICAO im Annex 11 (und Doc.
4444 PANS-RAC) veröffentlichten
ATM-Sicherheitskonzepten, die nur
einige wenige ausgesuchte Einzelaspekte beschreiben, handelt es sich
bei ESARR 3 um ein gut durchdachtes
Rahmengebilde, das ausgehend von
einer Safety Policy alle sicherheitsrelevanten Aspekte des Luftverkehrsmanagements umfassend abbildet.
Diese ESARR ist gemäß Ziffer 3 von
allen ATM- Dienstleistungsunternehmen umzusetzen „that fall within the
jurisdiction of the national ATM safety
regulatory body“.
Auch wenn sich aus diesem Text
nach meiner Einschätzung kein direk-
4
ter Zwang zur
Anwendung für
die Bundeswehr
ergibt, empfiehlt
es sich wegen
der oben beschriebenen Einbindung
der
MilFS in das Gesamtsystem Flugsicherung und
der praktizierten
Dienstleistung
für zivile Luftfahrzeuge die
ESARR 3 in Gänze umzusetzen.
Elemente von
ESARR 3 sind
zweifelsohne
bereits jetzt in
der MilFS vorhanden, jedoch
gibt es kein zusammenhängendes, alle Aspekte
abdeckendes
Konzept.
Die
Umsetzung von
ESARR 3 wird anfänglich mit einem
hohen organisatorischen Aufwand
verbunden sein, zudem erwachsen
daraus möglicherweise auch personelle Mehrforderungen (zumindest die
Wahrnehmung von Zweitfunktionen).
So ist z.B. für jede FS-Dienststelle ein
Safety Manager zu benennen.
Dennoch halte ich den Mehraufwand für absolut berechtigt, weil der
ganzheitliche Ansatz Schwachstellen
im Air Traffic Management klarer als
bislang erkennen lassen wird.
Als nächstes wurde im November
2000 die ESARR 2 „Reporting and
Assessment of Safety Occurences in
ATM“ veröffentlicht. Sie befasst sich
mit der Meldung und Bewertung von
sicherheitsrelevanten Vorfällen im
Luftverkehrs-Management. Zur Erreichung eines beständig hohen
Sicherheitsstands im (europäischen)
Luftverkehr ist es erforderlich, harmo-
nisierte Melde- und Bewertungsschemata für sicherheitsrelevante Vorfälle
einzuführen. Nur so ist eine systematische Erkennbarkeit von Vorfällen
und deren Ursachen sowie die Einleitung von Korrekturmaßnahmen auf
breiter Ebene möglich. ESARR 2 ist u.
a. bei allen sicherheitsrelevanten Vorfällen anzuwenden, bei denen militärische FS-Stellen oder Stellen des
Einsatzführungsdienstes Dienste für
zivile Luftfahrzeuge geleistet haben
(vergl. Ziffer 3.3). Auf freiwilliger Basis
können auch die Vorkommnisse gemeldet werden, die ausschließlich und
gleichzeitig eine Kombination von
militärischen Luftfahrzeugen und militärischen Dienstleistern betreffen.
Weiterhin sind alle sicherheitsrelevanten Vorfälle zu erfassen, bei denen
zivile FS-Stellen für zivile und/oder
militärische Luftfahrzeuge Dienste geleistet haben.
ESARR 2 wird bereits teilweise
durch die Bundeswehr umgesetzt. Gemeldete Vorfälle werden durch LwA
AbtFlBtrbBw untersucht und durch
die zivil-militärisch zusammengesetzte AIRPROX EVALUATION GROUP
(APEG) klassifiziert. Die relevanten
Vorfälle werden jährlich an EUROCONTROL weitergemeldet.
Allerdings leidet die Aussagekraft
der Meldungen derzeit allgemein noch
an der hohen Dunkelziffer, d.h. es
wird nur ein geringer Teil der Vorfälle
bekannt und bearbeitet, so dass allgemeine Trends und übergreifende
Problemstellen nur schwer zu identifizieren sind.
Kurz nach der ESARR 2 wurde die
ESARR 5 „ATM Services Personnel“
verabschiedet, die sich mit den
Anforderungen an das Personal der
Luftverkehrsmanagement-Dienste befasst (sie betraf zunächst nur das
Flugverkehrskontrollpersonal, jetzt
auch die FS-Techniker. Leider ist das
Flugberatungspersonal derzeit noch
nicht ausdrücklich angesprochen).
Diese EUROCONTROL-Anforderung
ist aus der Notwendigkeit entstanden,
II/2005 FLUGSICHERHEIT
die Richtlinien und Empfehlungen des
ICAO-Anhangs 1 zu ergänzen und
dafür zu sorgen, dass bei Erlaubnisscheinen bzw. Befähigungszeugnissen
die Sicherheitsaspekte in größerem
Maße mit den im Bereich der EUROPEAN CIVIL AVIATION CONFERENCE
(ECAC) zur Verfügung gestellten Flugverkehrskontrolldiensten in Einklang
stehen.
Die Befähigung des ATM-Personals
und ggf. die Erfüllung der medizinischen Anforderungen stellen grundlegende Aspekte der Herstellung von
Sicherheit im Luftverkehrsmanagement dar. Die Anwendung der EUROCONTROL-Sicherheitsanforderungen
in diesem Bereich zielt darauf ab, auf
harmonisierter Basis Mindestwerte in
Bezug auf die Befähigung und
Leistungsfähigkeit des mit sicherheitsrelevanten Aufgaben im Flugverkehrsmanagement betrauten Personals
festzulegen. Unter Befähigung ist in
diesem Zusammenhang das Vorhandensein von Wissen, Fertigkeiten, Erfahrungen und, falls erforderlich, englischen Sprachkenntnissen zur sicheren und effizienten Durchführung von
ATM-Dienstleistungen zu verstehen.
BMVg Fü L III 4 hat in Abstimmung
mit BMVBW bereits im Januar 2001
die Umsetzung der Vorgaben von
ESARR 5 für das ATM-Personal, das
mit sicherheitsrelevanten Aufgaben
betraut ist, festgelegt.
Die zwischenzeitlich durch das
AFSBw in der BesAnMilFS 5-100 für
das Flugverkehrskontrollpersonal vorgegebenen Verfahren gehen sogar
über die ursprünglichen Forderungen
hinaus. Die Umsetzung ist in den
Verbänden weitestgehend erfolgt.
Obwohl in der ESARR 5 nicht ausdrücklich angesprochen, sind seit dem
15. November 2004 auch für das
Flugberatungspersonal der Bundeswehr entsprechende Regelungen für
den Erwerb von Erlaubnissen und
Berechtigungen in Kraft. Im nächsten
Schritt werden die FS-Techniker eingebunden.
II/2005 FLUGSICHERHEIT
ESARR 4 „Risk Assessment and
Mitigation in ATM” behandelt die
Nutzung der Risikobewertung und
Risikoreduzierung einschließlich der
Bestimmung von Gefährdungen im
Luftverkehrsmanagement bei der
Einführung und/oder Planung von
Änderungen im System des Luftverkehrsmanagement (unter Berücksichtigung ihrer Bestandteile in der
Luft und am Boden). Sie begründet
sich in der zunehmenden Integration
des Luftverkehrsmanagements über
Ländergrenzen hinweg sowie dessen
beständig wachsende Automatisierung und Komplexität, die einen
systematischen und gut strukturierten
Ansatz für die Risikobewertung und –
reduzierung erfordert.
Dieses Requirement deckt die
Bereiche Personal, Verfahren und
Ausrüstung (Hardware, Software) des
Luftverkehrsmanagements
sowie
seine Betriebsumgebung ab. Es befasst sich jedoch nicht mit der Bewertung der Einführung und/oder
Planung von Änderungen der Organisation oder des Managements der
Bereitstellung von Luftverkehrsmanagement-Diensten (diese sind in ESARR
3 abgebildet).
Gemäß Ziffer 3.2 der ESARR 4 gelten deren Bestimmungen auch für
militärische ATM- Dienstleister, sofern
sie nicht nur und ausschließlich
militärische Luftfahrzeuge in abgegrenzten militärischen Lufträumen
kontrollieren.
Sie werden von der MilFS bei
Einführung von neuen oder Änderung
von bestehenden Systemen grundsätzlich beachtet. Es ist jedoch zu prüfen, ob die Anforderungen in Gänze
erfüllt werden.
ESARR 6 „Software in ATM-systems“ beschreibt die Requirements,
die sicher stellen sollen, dass die mit
der Nutzung von Software in sicherheitsrelevanten, bodengebundenen
ATM- Systemen verbundenen Risiken
auf ein tolerierbares Niveau reduziert
werden. Sie ist letztlich eine Erweiter-
ung und Spezifizierung der ESARR 4
in Hinblick auf die Nutzung von Software im Luftverkehrsmanagement.
Zur Anwendbarkeit wird lediglich ausgesagt „The ATM service-provider
shall provide the required assurances,
to the Designated Authority, that the
requirements in section 1.2 above
have been satisfied”.
Auch hier ist zu prüfen, in wieweit
die Anforderungen durch Bundeswehr-Dienststellen zu erfüllen sind
und, falls zutreffend, ob sie erfüllt
werden.
ESARR 1 „SAFETY OVERSIGHT IN
ATM“ ist im November 2004 verabschiedet worden. Sie enthält harmonisierte Vorgaben für nationale
Aufsichts- und Regulierungsbehörden
hinsichtlich der Zertifizierung und
Überwachung (Safety Oversight) von
ATM- Dienstleistern.
Zwei Hauptprozesse bilden den
Kern von ESARR 1. Ein safety regulatory audit bietet die Möglichkeit
objektive Beweise darüber zu erhalten, ob die von der Regulierungsbehörde vorgegebenen Sicherheitsanforderungen erfüllt werden. Des weiteren wird beschrieben, wie hinsichtlich der Einführung von neuen Systemen oder Änderung von Systemen
zu verfahren ist.
ESARR 1 zielt auch auf militärische
ATM-Provider (vergl. Objective im Text
Teil B.1.c.iii: „enabling joint civil / military initiatives with regard to ATM
safety oversight in accordance with
the existing regulatory framework”).
Wenngleich die Bundeswehr mit
den von GenFlSichhBw durchgeführten Flugsicherheitsinspizierungen ein
gut etabliertes System hat, sollte dennoch in Verbindung mit ESARR 3
überprüft werden, ob der bisherige
Ansatz ausreichend ist. Zudem ist die
FS-Technik in die Überprüfungen einzubeziehen.
5
Flugsicherheit
Eine verpasste Gelegenhe
von Major Ted Lee,
Flugsicherheitsoffizier am Standort
Borden
Übersetzung vom Sprachendienst
LwA
Heutzutage wird man
mit einer Menge unnötiger und störender Informationen überschüttet,
wobei Luftfahrzeugbesatzungen wahrscheinlich noch mehr davon
betroffen sind als die
meisten. Ich vermute
deshalb, dass die meisten Luftfahrzeugbesatzungen zum eigenen
Schutz ein recht engmaschiges Filtersystem entwickelt haben, damit
beim Umgang mit
Belanglosem die wichtigen Dinge nicht aus den
Augen verloren gehen.
Flugsicherheitsoffiziere sollten sich
dieser Tatsache beim Verfassen von
Zwischenfallberichten bewusst sein,
da die Möglichkeit, die Aufmerksamkeit des Lesers zu gewinnen, begrenzt
ist und, wenn sie nicht genutzt wird,
wahrscheinlich auch nicht wiedergewonnen werden kann. In diesem Fall
geht der wichtigste Grund für
Zwischenfallberichte verloren.
Als Beispiel sollen die folgenden
Auszüge aus dem nachstehend geschilderten Griffon (Bell Modell 412
6
HP)-Zwischenfall (Nr. 08) dienen, bei
dem es um das Auftreten einer Überdrehzahl des Rotors in Bosnien geht.
Ursachenfaktoren:
Umwelt - Wetter - starke und böige
Winde führten zu einer schnellen
Erhöhung der Hauptrotordrehzahl.
Beschreibung:
Vermutliche Überdrehzahl des
Hauptrotors
Die Luftfahrzeugbesatzung flog mit
80 - 100 Knoten, etwa 500 Fuß über
Grund (AGL). Das Luftfahrzeug flog
mit einem Schiebewinkel von 45 Grad
nach rechts bei 65 Knoten Windgeschwindigkeit mit Böen bis zu 85 Knoten (60 G85 kn), als es zu starken
Turbulenzen kam. Das Luftfahrzeug
gierte bis auf 90 Grad
und es wurden Steig- und
Sinkraten von 1.000 bis 1.500
Fuß pro Minute erreicht. Dabei wurde
eine Hauptrotordrehzahl (RRPM) von
106 Prozent, das Aufleuchten der
Warnleuchte „RRPM“ und der Anzeige für Steuerknüppel in Neutralstellung beobachtet. Die starken
Turbulenzen dauerten nahezu
eine Minute, ehe die Besatzung
in ruhigere Luft kam und auf
dem nächstgelegenen Landeplatz, ohne weitere Zwischenfälle, sicher landen konnte.
Untersuchung:
Nach der Landung lud
die Besatzung die Daten
aus dem LuftfahrzeugLebensdauerüberwachungssystem herunter. Es waren keine
Überdrehzahlzustände
aufgezeichnet worden. Die
Besatzung führte eine umfangreiche Vorfluginspektion durch
und flog ohne weitere Zwischenfälle
zu ihrem Stützpunkt zurück.
Vorbeugende Maßnahmen:
Unterweisung aller Luftfahrzeugbesatzungen.
Was mich hier stört, ist die falsche
Anwendung des Ursachenfaktors Umweltbedingungen. Bei einem anderen abgeschlossenen
Zwischenfall
zerbrach ein Fenster, als eine
Windböe die offene und unbeaufsichtigte Tür auf der Pilotenseite zuschlug und als alleiniger Ursachenfaktor Umwelt/Wind angegeben wurde. Ich fragte mich dennoch, wer
wohl die Tür offen gelassen hatte? Im
oben genannten Fall stellte ich schnell
fest, dass der gesamte Zwischenfall
den tatsächlich vorhandenen starken
und böigen Winden zugeschrieben
wurde. Man muss jedoch ein wenig
tiefer graben und andere Möglichkeiten ausschließen, bevor man sich
die „Umwelt“ als Ursachenfaktor festlegen kann.
A-GA-135 besagt: „Umweltursachen sind nur bei solchen Ereignissen anzuführen, bei denen
angemessene und sinnvolle Sorgfalt und
ange-
Bild: Archiv GenFlSichhBw
II/2005 FLUGSICHERHEIT
eit
messene und sinnvolle Vorsichtsmaßnahmen geübt wurden. Sinnvolle
Vorsichtsmaßnahmen beinhalten
unter anderem die umfassende Nutzung von Wetterinformationen etc.
Ich fragte mich sofort, welche
Wettervorhersageinformationen die
Besatzung hatte.
Dem Untersuchungsbericht
war hierzu
nichts zu entnehmen, 65G85
Knoten entstehen jedoch
nicht so einfach
aus dem
Nichts, sodass es
mehrere
Möglichkeiten gab.
Mindestens drei davon
waren:
• Es stand keine Gebietsvorhersage
zur Verfügung,
• die Besatzung befand sich an einem
II/2005 FLUGSICHERHEIT
dislozierten Standort und konnte
die Wettervorhersage nicht einholen
oder
• die Wettervorhersage wurde von
der Besatzung nicht überprüft.
Nach der Lektüre dieses Zwischenfalls hatte ich zwar mehr Argumente
für mein Anliegen, jedoch unzureichende Erkenntnis darüber, was
tatsächlich geschehen
war. Routine-
mäßig nehme ich Einsicht in alle
Griffon-Zwischenfälle und bespreche
gelegentlich die Fälle von „großem
Interesse“ beim morgendlichen Einsatzbriefing der 400. Staffel. An dem
Tag, als ich diesen Bericht erwähnte
und gerade dabei war, mich mit dem
Bereich Umwelt als Ursachenfaktor
anzufreunden, kam ich jedoch nur bis
zu dem Satz: „Welche Wetterinformationen hatte die Besatzung?“, als
einer der am Briefing beteiligten
Luftfahrzeugführer
mich unterbrach und sich
als der besagte verantwortliche Luftfahrzeugführer zu
erkennen gab. Die Geschichte, die er
uns erzählte, war zum Weinen. Was
nun folgt ist die Schilderung des
Vorfalls, den er später als Geschichte
unter dem Titel „Bockiger Ritt“ zu
Papier brachte, der der Geschichte
jedoch kaum gerecht wird. Lesen Sie
weiter, um zu erfahren, was der
Luftfahrzeugführer zu erzählen hat:
„Im Februar 2003 wurde unsere
Staffel zur Unterstützung der
multinationalen Division Nordwest nach Banja Luka, Bosnien
verlegt. Im Wesentlichen fungierten wir als Taxiservice für
VIPs. Der Tag begann wie jeder
andere in Banja Luka. Wir erhielten
unseren Flugauftrag am Vorabend.
Dieses Mal sollten wir unseren VIP
nach Sarajevo fliegen und zwei weitere Personen nach Bugojno, einer Basis
der Niederländer auf halben Weg nach Sarajevo,
jedoch etwas ab vom
Kurs und im nächsten Tal
gelegen. Um 06.30 Uhr
waren Wetterinformationen
eingeholt worden, da bei schlechtem Wetter eine lange Autofahrt notwendig gewesen wäre. Wie immer
war das Wetter alles andere als ideal.
Die Wolkenuntergrenzen waren so,
dass man es gerade noch über die auf
der Strecke nach Sarajevo liegenden
Berge schaffen konnte. Unsere größte
Aufmerksamkeit galt jedoch den vorhergesagten Winden - starke Turbulenzen in den Bergen, auf die wir erst
gegen Ende unseres Einsatzes stoßen
sollten. Trotzdem beschloss ich, den
Einsatz wegen der relativ niedrigen
Wolkenuntergrenze, der starken Tur-
7
Flugsicherheit
8
geschwindigkeit von 60G85 Knoten
an und wir flogen mit einer Geschwindigkeit über Grund von etwa
60 Knoten. Sogleich unterrichtete ich
unseren VIP, dass wir aufgrund der
Winde einen Tankstopp in Bugojno
einlegen müssten. Soweit keine Beschwerden. Um von Banja Luka nach
Bugojno zu gelangen, mussten wir ein
kurzes Stück von etwa 15 bis 20
Meilen durch eine Bergkette fliegen.
Als wir in ein Tal einbogen und der
Wind genau von der Seite kam, bekamen wir die Turbulenzen zum ersten
Mal so richtig zu spüren. Es war
schlimm, aber zu dieser Zeit noch
nicht zu extrem.
Unser zweiter Fehler war, den Flug
fortzusetzen. Nun trafen wir auf heftige Turbulenzen, die uns mit abwechselnden Steig- und Sinkraten von
2000 ft/min auf- und abwärts schleuderten. Der Hubschrauber flog bereits
mit einem Schiebewinkel von 45 Grad
nach rechts und wurde um 90 Grad
vom Kurs gedrängt. Um den Rotor
während der rapiden Wechsel auf
dem Variometer unter Kontrolle zu
halten, musste ich den Blattverstellhebel anziehen. Unglücklicherweise
befand sich die Wolkenuntergrenze
nur ein paar hundert Fuß über uns
und kam näher. Es gelang uns die
Steigfluggeschwindigkeit zu stabilisieren, jedoch nur auf Kosten einer
Rotor-Überdrehzahl. Nachdem alle
Besatzungsmitglieder die Situation mit
ein paar kräftigen Bemerkungen gewürdigt hatten, gelang es mir, uns tief
und nah genug zu einem Berg zu
steuern, sodass die Turbulenzen etwas
abflauten und eine Notlandung in
Novi Travnik, einem niederländischen
Lazarett, durchzuführen. Nachdem
wir einige Stunden am Boden verbrachten, um unsere Fassung wiederzugewinnen und nach mehreren Telefonaten und Inspektionen, waren wir
in der Lage, den Hubschrauber wieder
nach Banja Luka zu fliegen, wobei wir
möglichst tief flogen, um den
schlimmsten Winden aus dem Weg
zu gehen. Zum Vergleich: wir brauchten 90 Minuten bis nach Novi Travnik
und weniger als 20 Minuten für den
Rückflug.
An diesem Tag lernte ich eine ganze
Menge. Die erste Lektion war, meine
Entscheidung bezüglich des Wetters
nie im Nachhinein anzuzweifeln. Die
Zweite war, mich nicht bei schlechten
oder unsicheren Bedingungen zu
einem Flugeinsatz, zumindest nicht zu
einem unwichtigen, drängen zu lassen. Nebenbei bemerkt: auch der VIPPassagier räumte ein, an diesem Tag
seine Lektion gelernt zu haben. Er
wird die Entscheidung eines Luftfahrzeugführers aufgrund von Wetterbedingungen (genauer gesagt: aufgrund von Turbulenzen) nie wieder in
Frage stellen.“
Die aus diesem Zwischenfall abzuleitende Präventivmaßnahme lautete:
„Alle Luftfahrzeugbesatzungen sind
zu informieren“. Von dieser Geschichte erfuhren die Piloten in Bosnien, darüber hinaus jedoch niemand.
Dies war ein erhebliches Versäumnis
insbesondere in Bezug auf die übrigen
Griffon-Piloten, und ganz allgemein in
Bezug auf alle Piloten. Was immer
noch gesagt werden könnte, wäre der
Sache nicht dienlich. Es genügt wohl,
zu sagen, dass die Gelegenheit, diesen Zwischenfall dazu zu nutzen eine
wichtige Botschaft an alle Piloten weiter zu geben, aus welchen Gründen
auch immer, verpasst wurde. Sorgen
Sie dafür, dass Sie Ihre Gelegenheiten
nicht verpassen.
Bild: Archiv GenFlSichhBw
bulenzen und der bekannten Abneigung unseres Passagiers gegen das
Fliegen abzusagen. Kein Problem. Wie
erwartet wurden wir gefragt, ob wir
den VIP wenigstens bis Bugojno bringen könnten, das auf halber Strecke
lag. Da ich immer noch bemüht war,
mit meinen anderen beiden Passagieren dorthin zu gelangen, erwiderte ich, dass dies kein Problem sein
dürfte, er aber mit einem sehr turbulenten Flug rechnen müsse. Er war
dennoch erfreut, da die Autofahrt
nun um die Hälfte kürzer würde.“
(Anmerkung von Major Lee: So weit,
so gut. Die Entscheidung zu fliegen
basierte darauf, dass der Einsatz kürzer war und die Möglichkeit bestand,
den Auftrag vor dem Einsetzen der
vorhergesagten starken Turbulenzen
abzuschließen). Zufälligerweise hatte
es eine mit Wetterradar ausgestattete
slowenische Bell 412 (eine zivile Griffon) eine halbe Stunde vor unserer
Abflugzeit von Sarajevo kommend
geschafft und der VIP hatte davon
Wind bekommen. Als wir ankamen,
um ihn und die beiden anderen Passagiere abzuholen, erklärte er, er wolle
doch versuchen bis Sarajevo zu kommen, da er dort an einer sehr wichtigen Besprechung teilnehmen müsse.
Ich erläuterte ihm unsere wetterbedingten schlechten Erfolgsaussichten
und teilte ihm mit, dass mein
Einsatzauftrag nun laute, die beiden
anderen Passagiere nach Bugojno zu
bringen. Im Wesentlichen erwiderte er
darauf, seine Person gehe vor und
alles andere müsse warten.
Hier beging ich meinen größten
Fehler. Ich gab nach und willigte ein,
es zu versuchen, warnte ihn aber, dies
werde ein turbulenter Flug und ich
könne ihm nicht versprechen, dass wir
es schaffen würden. Die beiden niederländischen Passagiere waren nicht
allzu glücklich, flogen jedoch mit, in
der Hoffnung Bugojno auf dem Rückflug zu erreichen.
Nach dem Start zeigte unser Avionik-Management-System eine Wind-
II/2005 FLUGSICHERHEIT
Vielleicht fand vor
geraumer Zeit in einer
Firma, die Fallschirme
herstellt, eine angeregte
und der eigentlichen
Aufgabenerfüllung nicht
sehr dienliche Unterhaltung zwischen zwei
Mitarbeitern oder Mitarbeiterinnen (Näherinnen) statt und eine/
einer der Beteiligten vergaß einen kleinen
Arbeitschritt bei der
Fertigung eines Fallschirmes für das Unbemannte Luftfahrzeug
CL-289.
Es gibt nichts,
was es nicht
gibt!
Ein unbedeutender Vorgang – sollte man meinen – geht man davon
aus, dass ein derartig wichtiges
System aufgrund seiner Bedeutung
beim Flugbetrieb im Herstellungsgang
mehrfach vor seiner Auslieferung an
den Verbraucher kontrolliert wird, um
Fertigungsmängel auszuschließen.
Doch in diesem Falle sollte der
Fehler bei keiner weiteren Firmenkontrolle entdeckt werden. Der fehlerhafte Fallschirm wanderte also in
ein Depot und wartete dort einige
Jahre auf seinen Einsatz.
Im Jahre 2004 war es dann soweit.
Eine Drohneneinheit aus BadenWürttemberg entschloss sich im
Rahmen seiner Ausbildung zu einem
Flugvorhaben. Für das Ausbildungsvorhaben wurde u.a. besagter Fallschirm zeitgerecht zur Verfügung
gestellt. Er wurde seiner sicheren
Verpackung entnommen, um auf
dem Truppenübungsplatz Bergen in
einer Drohne CL-289 zum Einsatz zu
kommen.
Vorher musste er jedoch systemtypisch noch mit dem Fallschirmraumdeckel der für den Einsatz vorgesehenen Drohne verbunden werden. Eine
Montage, die von einem erfahrenen
Mechaniker durchgeführt und von
einem Luftfahrzeugnachprüfer kontrolliert wird.
In unserem Falle war an dieser Stelle
zufällig ein Nachprüferanwärter (unter
Aufsicht des verantwortlichen Luftfahrzeugnachprüfers) im Rahmen seiner Ausbildung tätig.
Die vorgeschriebene Nachprüftätigkeit beim Einbau des Fallschirms verlief ohne Beanstandung. Auch der
erfahrene Nachprüfer konnte bei der
Leinenmontage des Fallschirmes keine
Mängel feststellen. Alle vorgeschriebenen Tätigkeiten wurden ordnungs-
II/2005 FLUGSICHERHEIT
von Stabsfeldwebel Wilhelm Hiller, ArtAufklBtl 121
gemäß durchgeführt und doch wollte
das Bild, welches sich dem erfahrenen
Nachprüfer bot, nicht in die Vielzahl
von Bildern einer ordnungsgemäßen
Montage passen. Irgendetwas störte
ihn an dem was er sah und ließ ihn
stutzig werden.
Es fehlte etwas und plötzlich fiel es
ihm wie Schuppen von den Augen:
!!! Die “Leinenvernähung (Farbe)“
fehlt!!! (siehe Bild).
Ein fataler Mangel, der bei Verwendung dieses Fallschirms zwangsläufig zum Totalverlust des Luftfahrzeuges bei der Landung geführt
hätte.
Dem Nachprüferanwärter in der
Ausbildung gab man mit auf den
Weg:
„Das nächste Mal sitzt der Fehler
bestimmt an einer ganz anderen
Stelle“ und „Es gibt nichts, was es
nicht gibt“.
9
Flugsicherheit
Die Gefahr, „high“ zu
sein, ohne zu fliegen
von Frederick V. Malmstrom, Dr.
phil., USAF Academy
Unsere Streitkräfte greifen hart
durch, wenn es um Drogenmissbrauch
geht.
Als ich meine Arbeit zur Erforschung
der Geschichte einer Straßendroge mit
der Bezeichnung „Ecstasy“ aufnahm,
war meine erste Reaktion „Oh mein
Gott, nicht noch einmal so etwas!“ Als
klinischer Psychologe im Strafvollzug
mit zehnjähriger Erfahrung habe ich
erlebt, dass es im Grunde genommen
nichts gibt, was sich die Menschen in
dem endlosen Verlangen, sich in einen
Rausch zu versetzen, nicht in irgendeine Körperöffnung stecken, darin
baden oder sich in die Venen spritzen.
Ich hatte einmal einen Patienten, der
sich Erdnussbutter injizierte und deswegen drei Finger wegen Gewebsnekrose verlor.
Ecstasy ist inzwischen eine
Kultur.
Ecstasy ist jedoch keine gewöhnliche
Straßendroge - es ist eine Kultur. Diese
Droge verdient besondere Erwähnung,
wenn auch nur aus dem einzigen
Grund, dass es unlängst leider sowohl
die United States Military Academy
(USMA) als auch die United States Air
Force Academy (USAFA) für erforderlich hielten, mehrere Kadetten wegen
Missbrauchs dieser Droge vor ein
Kriegsgericht zu stellen, aus dem
Dienst zu entlassen oder zur Strafe in
das Militärgefängnis in Leavenworth zu
schicken. Jawohl, unsere Streitkräfte
greifen hart durch, wenn es um
Drogenmissbrauch geht.
Ich war erstaunt, als ich feststellte,
10
dass die beliebteste Variante von
Ecstasy (Methylenedioxymethamphetamin oder kurz MDMA, falls Sie
jemals danach gefragt werden sollten)
bereits 1912 erstmals in Deutschland
als Appetitzügler synthetisch hergestellt und patentiert wurde. Die USDrogenbekämpfungsbehörde stufte
jedoch MDMA erst am 1. Juli 1985 als
eine besonders überwachte Substanz
(Schedule 1 Controlled Substance) ein.
Dies ist in den USA eine vornehme
Umschreibung dafür, dass Ecstasy illegal ist.
Wie unkontrollierbar ist
Ecstasy?
Die New York Times berichtete, dass
jeden Tag rund eine Million Tabletten
in die USA geschmuggelt werden. Der
illegale Verbrauch von Ecstasy ist seit
Anfang der 90-er Jahre schlagartig in
die Höhe geschnellt, und auch die
Streitkräfte bleiben nicht von Drogenmissbrauch verschont. Ecstasy ist ein
Amphetamin mit Schwesterdrogen,
wie MDE („Eve“), MDA („Love“), PMA
(„Death“), MDEA und MBMB. Alle
diese Drogen werden im Volksmund
als „Rave-Drogen“ oder „Party-Drogen“ bezeichnet, weil sie oft in großen
Mengen auf Parties, die die ganze
Nacht hindurch andauern oder auf
Rave-Veranstaltungen konsumiert werden. Eine bescheidene Dosis von 75 150 mg soll den Drogenkonsumenten
in einen ein- bis dreistündigen Rausch
versetzen. MDMA ist zweifelsohne die
„beliebteste Droge bei jungen
Männern“.
Ecstasy ist harmlos?
Wer sagt das?
Seit ungefähr zehn Jahren hält sich
ein weitverbreiteter, aber nicht begründeter Glaube in der Öffentlichkeit, dass
diese Rave-Drogen verhältnismäßig
ungefährlich seien und nur zu einem
Gefühl von Euphorie, sozialer Nähe
und leichten LSD-ähnlichen Halluzinationen führen. Ist dies tatsächlich so?
Haben wir letztendlich doch die
Wunderpille entdeckt, die nur Frieden
und Harmonie fördert? Wenn dies tatsächlich so wäre, könnten wir unsere
Streitkräfte abschaffen. (Wiedersehen
mit der „Schönen neuen Welt“?)
Ich bin ausgesprochen misstrauisch
gegenüber dieser Behauptung, und sei
es nur, weil meine jahrelangen persönlichen Erfahrungen mit Drogenmissbrauch mir sagen, dass jede Art
von Amphetaminen nichts Gutes verheißt. Nach den Amphetaminen
kommt immer eine Phase der Niedergeschlagenheit. Ich habe schon Patienten gehabt, die bis zu zwei Jahre
brauchten, um sich von ihrem Amphetaminmissbrauch zu erholen.
Amphetamine sind immer „Designer-Drogen“, eine modische Umschreibung dafür, dass die Moleküle in dieser Form nicht in der Natur vorkommen, also im Labor synthetisch hergestellt werden. Da der Körper keine
natürlichen Abwehrmittel gegen diese
Moleküle besitzt, treten zwangsläufig
größere und unbekannte Nebenwirkungen auf. Und in der Tat bin ich bei
meinen MEDLINE-Recherchen in über
1200 Artikeln in Fachzeitschriften
immer wieder auf Aussagen gestoßen,
dass man gerade erst anfängt, die
Langzeitwirkungen von Ecstasy zu erkennen.
Nichtsdestotrotz ist schon eine ganze
Menge über die Kurzzeitwirkung von
II/2005 FLUGSICHERHEIT
Ecstasy bekannt - und zwar bei Tieren.
Von Ratten und Affen, denen MDMA
verabreicht wurde, weiß man, dass sie
sich häufiger impulsiv verhalten, Gefahren ignorieren, spontane Ejakulationen haben und es vorziehen, sich
aneinanderzukauern (soziale Nähe?).
Dies sind sicherlich Auswirkungen, die
dafür sorgen, dass eine Party schneller
in Schwung kommt.
Amphetamine haben jedoch nur
einen eng begrenzten medizinischen
Nutzen. In Ausnahmefällen wurden
Angehörigen der Streitkräfte Amphetamine verordnet. 1942 wurden Commander Joe Rochefort, US-Marine,
Amphetamine über mehrere Wochen
verordnet, als er damit beschäftigt war,
den allgemeinen Einsatzkode der japanischen Marine, den JN25b, zu
knacken. Auch während des Golfkriegs
1990 wurden einigen Luftfahrzeugbesatzungen der Koalition sorgfältig
überwachte Dosen von Amphetamin
verordnet, um ihre Wachsamkeit zu
erhöhen und um ihren Arbeitstag zu
verlängern. Dennoch lehnten die meisten Luftfahrzeugführer dieses Angebot höflich ab.
Wie wirkt Ecstasy
auf den Körper?
MDMA bringt, wie alle Stimulanzien,
die „Lehrlaufdrehzahl“ des Körpers auf
Hochtouren. Dies ist der Grund, weshalb Menschen, die eine zu hohe Dosis
zu sich nehmen, manchmal an einer
unkontrollierten Hyperthermie (Erhöhung der Körpertemperatur) und Tachykardie (Beschleunigung der Herzfrequenz) sterben. Wie alle Amphetamine
erzeugt MDMA das typische „Wochenend-Hoch“, auf das das „Tief in der
Wochenmitte“ folgt. In Tabelle 1 habe
ich einige der bekannten, beim Menschen durch Missbrauch von MDMA
auftretenden Wirkungen aufgeführt.
Jedes Jahr gibt es in den Vereinigten
Staaten ca. ein Dutzend Tote, die ausschließlich auf eine Überdosis Ecstasy
zurückzuführen sind. Hinzu kommen
schätzungsweise drei Tote im Jahr aus
II/2005 FLUGSICHERHEIT
10.000 der Altersgruppe 18 - 25, die
aufgrund von Verhaltensänderungen
sterben, während sie noch unter dem
Einfluss der Droge stehen. Ich habe
einige Berichte über Fälle von wirklich
idiotischen Drogenkonsumenten gelesen. Einer kam beim „Autosurfen“
ums Leben (können Sie sich so etwas
vorstellen?), ein anderer kletterte auf
einen Hochspannungsmast. (Seine letzten Worte: „Hey Leute, seht mal!“)
MDMA-Missbrauch
ist leicht festzustellen.
In Kürze können unsere Sanitäter
schnell durch einen Urin- oder Bluttest
MDMA- Missbrauch nachweisen. Noch
aufschlussreicher ist die Haarprobenanalyse, um einer Person MDMAMissbrauch in der Vergangenheit nachzuweisen. Die Haarprobenanalyse ist
ziemlich genau, da sie bis in die Nanogramm-pro-Milligramm-Bereiche geht.
Durch einen totalen und abrupten
Drogenentzug lassen sich die Symptome von Ecstasy-Missbrauch in der
Vergangenheit nicht verheimlichen.
Schlussbetrachtung:
Dieser Stoff ist ausgesprochen gefährlich.
Ich war enttäuscht, als ich erfuhr,
dass keine Experimente bekannt sind,
um die Wirkungen von MDMA auf das
Fliegen - geschweige auf das Autofahren - zu erforschen. Man sollte einige
kontrollierte Untersuchungen durchführen, aber leider wird dies nicht
gemacht. Es ist möglich, dass zahlreiche allgemeine Unfälle mit Luftfahrzeugen durch MDMA-Missbrauch herbeigeführt wurden, und dies wird für
künftige Untersuchungen durch den
National Transportation Safety Board
(NTSB) (Nationale Transportsicherheitsbehörde (US) ein echtes Problem darstellen. In der Zwischenzeit wird gegen
militärisches Flugpersonal, das MDMA
oder andere Amphetamine missbräuchlich konsumiert, mit Sicherheit sofort
und auf Dauer ein Flugverbot ausgesprochen (was die Justiz mit diesen
Drogenkonsumenten macht, ist eine
andere Frage.) Nur ein wahnsinniger
Passagier wird sich freuen, mit einem
übertrieben selbstsicheren, impulsiven
und unter Halluzinationen leidenden
oder gar mit einem paranoiden, deprimierten und schwerfällig agierenden
Piloten zu fliegen.
TABELLE 1
Sofortige Wirkungen von MDMA
(Ecstasy)
Euphorie oder Freude
• Gefühle der Nähe und Kameradschaft
• Gesteigerte sexuelle Erregung
• Hyperthermie (erhöhte Körperkerntemperatur)
• Impulsivität
• Bizarres und riskantes Verhalten
• Leichte, aber angenehme Halluzinationen
• Längere Reaktionszeit
• Erhöhter Blutdruck
Kurzzeitige Entzugserscheinungen bei
MDMA (Ecstasy)
• Depressionen
• Paranoia und unbegründeter
Argwohn
• Ataxie (Unfähigkeit, feine motorische Bewegungen auszuüben);
Schwerfälligkeit
• Beklemmungen
• Feindseliges und unsoziales Verhalten
• Diaphorese (unkontrolliertes Schwitzen)
• Flashbacks
• Schlafstörungen
Langfristige Wirkungen von
MDMA (Ecstasy)
• Abhängigkeit
• Gehirnödem
• Leberschädigung
• Permanent verringerter Verbal-IQ
• Gehirnverletzungen
(Narbenbildung)
• Parkinson-Symptome
(Schüttelbewegungen)
• Tachykardie
(Herzrhythmusstörungen)
• Krampfanfälle
11
Flugsicherheit
Stellungnahme
Dr. Wolfgang
Lawicki:
Ich bin aufgefordert, zu diesem
Bericht, der hier in dieser Ausgabe der
Zeitschrift „Flugsicherheit“ abgedruckt ist, Stellung zu beziehen.
Nach Durchsicht des Artikels war ich
ein wenig verwirrt über den Titel ...
„Unsere Streitkräfte greifen hart
durch, wenn es um Drogenmissbrauch geht“.
Da ist zu lesen, ich zitiere „In Ausnahmefällen wurden Angehörigen
der Streitkräfte Amphetamine verordnet ... auch während des Golfkrieges
1990 wurden einigen Luftfahrzeugbesatzungen der Koalition sorgfältig
überwachte Dosen von Amphetamin
verordnet, um ihre Wachsamkeit zu
erhöhen und um ihren Arbeitstag zu
verlängern. Dennoch lehnten die meisten Luftfahrzeugführer dieses Angebot höflich ab.“
Ist das nicht als Doppelmoral zu
bewerten? Für diesen Zweck von
einem begrenzten medizinischen
Nutzen zu sprechen, ist nicht nachzuvollziehen. Der Autor schreibt an
anderer Stelle „... dass jede Art von
Amphetaminen nichts Gutes verheißt.
Nach den Amphetaminen kommt
immer eine Phase der Niedergeschlagenheit. Ich habe schon Patienten
gehabt, die bis zu zwei Jahre brauchten, um sich von ihrem Amphetaminmissbrauch zu erholen.“
Diese Bewertung ist absolut richtig.
Zur Frage der Abhängigkeitsentwicklung schreibt die Deutsche Hauptstelle
gegen Suchtgefahren (DHS): Amphetamine können sehr schnell zu einer
starken psychischen Abhängigkeit
führen. In den ersten Monaten des
Konsums erfährt der Konsument aufgrund seiner positiv wirkenden Ausstrahlung meist Bestätigung und
Bewunderung, doch in der Folge
schränkt er zunehmend seine sozialen
12
Aktivitäten ein. Um die gewünschten
Wirkungen schneller und intensiver zu
erleben, wird häufig zu einer schneller wirksamen Verabreichungsform
übergegangen, beispielsweise zum
Rauchen oder Injizieren. Dies ändert
jedoch auch die Wirkungen: So dominieren nun beispielsweise die sich
gleichförmig wiederholenden Handlungen, das Gedankenfixieren und die
Mümmelbewegungen im Mundbereich. Gleichzeitig entwickelt sich
gegenüber den blutdrucksteigernden,
appetitdämpfenden und euphorisierenden Wirkungen eine Toleranz, was
wiederum zu Dosissteigerungen führt.
Zu den Entzugssymptomen beim Absetzen der Substanz gehören Schlaflosigkeit, Mundtrockenheit und Unruhe, aber auch psychische Symptome wie Stimmungsschwankungen,
Angststörungen und Depressivität.
Der Zweck heiligt die Mittel? Mögliche Bagatellisierungen könnten sein:
... nur ab und zu, ... wenn es sein
muss, dann auch nur kurzfristig. Sind
das aber nicht auch typische Bagatellisierungstendenzen der User?
Sicher ist: Eine Verordnung von
Amphetaminen für Flugzeugführer zu welchem Zweck auch immer - ist in
der Bundeswehr nicht zulässig. Die
Erlasslage ist eindeutig. Das gilt für
alle Drogen, für alle Bereiche, ohne
Ausnahme.
Der Autor beschränkt sich in seinem
Bericht auf die Designerdroge „Ecstasy“. Seine Darstellung bringt die Problematik dieser Droge außerordentlich
gut an das Publikum.
Hier einige wichtige Ergänzungen
bezogen auf Deutschland:
Nach Schätzungen des Bundesgesundheitsministeriums konsumieren in
Deutschland ca. 500.000 Jugendliche
die Partydroge Ecstasy.
Im Umfeld der Technoszene und
Partykultur besteht eine deutlich erhöhte Drogenerfahrung unter Jugendlichen. In der entsprechenden
Stichprobe lagen die Prävalenzwerte
um ein Vielfaches höher als in einer
vergleichbaren Repräsentativstichprobe. So betrug die Lebenszeitprävalenz
des Cannabiskonsums 1997 in der
Gesamtbevölkerung zwischen 23%
und 26%, während unter dem befragten 18- bis 29-jährigen Technopublikum ca. 51-75% Erfahrungen
mit Cannabis hatten. Ebenso deutlich
waren die Unterschiede bezogen auf
die Lebenszeitprävalenz des Ecstasykonsums. Hier wiesen 26-61% der
Befragten der Technostudie, aber nur
3-7% der Repräsentativstichprobe
Drogenkonsumerfahrung auf.
Wer auf Technopartys illegale Drogen konsumiert, betreibt in aller Regel
einen Mischkonsum mehrerer Substanzen. Zusätzlich zu Ecstasy ist der
Beikonsum von Cannabis am wahrscheinlichsten (65%), gefolgt von
Alkohol (56%) und Speed (42,2%).
Der zusätzliche Konsum von Kokain
(14,8%) und Halluzinogenen (9,4%)
ist innerhalb der Partykontexte weniger wahrscheinlich. Die subjektiven
Begründungen für den Mischkonsum
von Ecstasy mit Cannabis, Alkohol,
Speed, Kokain und Halluzinogenen
variieren stark. Den meisten Formen
des Mischkonsums liegen szenebezogene soziale Konventionen und das
Motiv einer differenzierten Stimmungsregulation zugrunde.
Zu den vorrangig genannten Gründen für das Einstellen des Ecstasykonsums gehören das Auftreten negativer Erlebnisse und Nachlassen
positiver Erfahrungen, die Inkompatibilität des Drogenkonsums mit dem
(aktuellen) Lebensentwurf und soziale
Motive.
Zur Nachweisbarkeit von Ecstasy: im
Urin ca. 1-4 Tage, im Blut ca. 1 Tag, in
den Haaren noch nach Monaten.
Zusammenfassung
Unsere Streitkräfte greifen hart
durch, wenn es um Drogenmissbrauch geht. Das gilt für die Streitkräfte der USA wie der Bundesrepu-
II/2005 FLUGSICHERHEIT
Illustration: Renate Wachsmann-Kerp IMZBw
Suchtbekämpfung von Soldaten“ vom 08. Juli1999
sind theoretisch die Weichen
für eine effektive Suchtprävention und Suchtbekämpfung in den Streitkräften gestellt, wobei illegale und
legale Suchtmittel in die
Prävention einbezogen sind.
Ein Drogenscreening ist nur für
Anwärter des fliegerischen
Dienstes vorgeschrieben. Für alle
anderen Bereiche ist die Freiwilligkeit mit schriftlichem Einverständnis vorausgesetzt.
Auf der Website der Bundeswehr
www.suchtpraevention-bundeswehr.
de wird ausführlich das Thema „Drogen und Sucht in der Bundeswehr“
behandelt, wobei neben einer allgemeinen Information zu den einzelnen
Drogen auch die Erlasslage und die
dienstrechtlichen Aspekte beleuchtet
werden.
blik Deutschland
natürlich aufgrund
der Gesetzeslage
in unterschiedlicher Weise und
Ausprägung. Hier ist
auch eher der Missbrauch illegaler Drogen gemeint. Ein Einsatz von Amphetaminen in unserer Armee
- z.B. bei Luftfahrzeugbesatzungen - zur Steigerung der Wachsamkeit und
zur Verlängerung des Arbeitstages, wie in den USStreitkräften beschrieben, ist
aufgrund unserer Erlasslage
unmöglich. Mit den „Richtlinien zur Koordinierung
und Steuerung von
Maßnahmen der
Suchtprävention
II/2005 FLUGSICHERHEIT
und
13
Flugsicherheit
Sei vernünftig,
Vögel sind es nicht!
von Major Lancaster, GenFlSichhBw
Vögel sind dumm. Immer
wieder passiert es, dass
Vögel vor Flugzeuge fliegen: auf Landepisten,
während eines Anflugs
oder im Tiefflug mit
hoher Geschwindigkeit.
Man kann die Reaktion
eines Vogels nie vorhersehen. Großvögel würden wahrscheinlich ihre
Flügel einziehen und in
den Sturzflug übergehen, aber nicht unbedingt. Wenn sich Kleinvögel (z. B. von einem
Raubvogel) bedroht
fühlen, fliegen sie im
engen Verband, ändern
ihre Flugrichtung und
können dann ganz plötzlich direkt vor der
Maschine auftauchen.
Was kann ein Pilot von
einem dummen Vogel
erwarten? Was tun,
wenn man mit dieser
Dummheit konfrontiert
wird?
14
Der erste Schritt im Kampf gegen
die Vögel wird in der Flugvorbereitung
gemacht. Hier kann die größte Arbeit
geleistet werden im Vermeiden von
Vogelschlägen. Das gilt besonders für
Tiefflüge, bei deren Planung der Pilot
auf ein wichtige Hilfsmittel zugreifen
kann: BIRDTAMs (aufgeklärte Bereiche
erhöhter Vögelschlaggefahr, die auf
Karten dargestellt sind). In Gebieten
mit hohem Vogelschlagrisiko sollte
man nicht tiefer als 3.000 Fuß fliegen
oder die geplante Tiefflugroute ändern. Vogelzugrouten sind zu vermeiden. Jeder weiß es, und jetzt muss
sich jeder auch in
der Praxis an
diese Regeln halten. Das ist auch
vernünftig und
logisch!
Was kann man sonst noch tun?
Man muss einfach mit einem Vogelschlag rechnen. Man kann während
des Fluges nicht viel gegen einen
Vogelschlag tun. Das ist durch drei
Faktoren bedingt: die Sichtweite, die
Vorhersehbarkeit und die Manövrierfähigkeit.
Sichtweite
Es ist schwierig, Vögel wahrzunehmen. Piloten fliegen oft durch Gebiete
mit höchster Vogelschlaggefahr, ohne
einen einzigen Vogel gesehen zu
haben. Wo haben sich die Vögel versteckt? Sie waren da, blieben aber
außer Sicht. In Hinsicht auf Vogelwahrnehmung ist unser Sehvermögen
sehr begrenzt. Das kann auf drei
Faktoren zurückgeführt werden: das
Sehvermögen des Auges selbst, den
Kontrast und das Licht. Vor ein paar
Jahren erschien in einem Buch „Flugsicherheit und Vogelschlag“ ein Artikel zu diesem Thema. Der Titel hieß
„Grenzen der visuellen Erfassung ziehender Vögel“. Daraus entnehmen wir
folgende Fakten: Unter optimalen Zuständen kann man einen Großvogel,
wie eine Gans, frühestens aus zwei
Kilometer Entfernung wahrnehmen.
Ein Bussard kann aus 1,9 Kilometer
Entfernung gesehen werden, Silbermöwe aus 1,5, Lachmöwe aus 0,9
und eine Schwalbe aus 300 Meter.
Optimaler Zustand heißt hier aber
optimaler Kontrast, gute Beleuchtung
und gute Sichtweite.
Unter
nicht optimalen
VFR-Sichtbedingungen (Sonnenblendung,
Dunst, wenig Kontrast) kann sich aber
das Erkennen eines Großvogels auf
500 Meter verringern, besonders bei
Frontalsicht. Die meisten Jets fliegen
im Tiefflug mit einer Geschwindigkeit
von 200 Meter/Sekunde (400 Knoten), die Reaktionszeit kann am
besten in Sekunden gemessen werden
und liegt zwischen 2 und 7 Sekunden.
Während eines Tiefflugs war vor zehn
Jahren ein Vogelschlag die Todesursache des Piloten im vorderen Cockpit
einer T-38. Die Reaktionszeit wurde
damals auf 3,6 Sekunden geschätzt,
leider blieb der Vogel (ein großer
Geier) bis zum Aufschlag unsichtbar.
II/2005 FLUGSICHERHEIT
Ein Pilot muss bei einem Tiefflug mit
nicht mehr als 3 Sekunden Reaktionszeit zwischen dem Moment der Vogelwahrnehmung und des Aufschlags
rechnen.
Vorhersehbarkeit
Bild: M. Buschmann, Nationalpark Wattenmerer
Hat der Pilot die Vögel visuell erfasst, muss man aber auch ihre Flugrichtung kennen, um ihnen ausweichen zu können. Vögel auf oder
neben der Piste sind am schwierigsten
einzuschätzen. Beim Start und Abflug
hat man keine Möglichkeit, das
Flugzeug so zu steuern, dass man die
Vögel vermeidet. Das einzige, was
bleibt, ist die Wahl zwischen Startabbruch oder
einer Startfortsetzung.
Aus diesem Grund ist in
einem solchen Fall der
Kontrollturm anzuspre-
chen und die Vögel sind zu verscheuchen. Der Abflug muss verschoben
werden. Ähnlich wie ein Gewitter, bilden Vögel eine echte Gefahr und bis
diese behoben ist, muss man den Abflug auf einen späteren Zeitpunkt verschieben.
Die Unfälle von einer E-3 in Elmendorf AFB, Alaska 1995, und einer
NATO E-3 in Griechenland
1996 erteilten eine lebenswichtige Lehre: man kann
Menschenleben retten,
wenn man seinen Abflug
aufgrund einer Vogelschlaggefahr
verschiebt. Das ist der wichtigste
II/2005 FLUGSICHERHEIT
Punkt in diesem Artikel: Wenn neben
oder auf der Piste Vögel sind: DELAY
YOUR TAKEOFF.
Man vermutet, dass die Vögel in der
gleichen Zeit abfliegen, wie das Flugzeug, man muss aber mit dem
Schlimmsten rechnen, nämlich dass
sie direkt vor das Flugzeug fliegen.
Wie geht man mit Vögeln um,
denen man während des Fluges
begegnet? Das ist die schwierigste
Frage, weil sie die Kenntnisse der
Vogelreaktionen erfordert. Wie bei
allen taktischen Fragen lautet die
Antwort: „Es kommt drauf an“. Diese
Reaktionen sind nur wenig erforscht.
Die erfahrenen Piloten behaupten,
Vögel würden einen Sturzflug machen, um ein Flugzeug zu vermeiden. Das ist
oft so,
aber
Wenn ein Vogelschwarm unmittelbar im Anflug des Flugzeugs auffliegt,
hat man die Wahl zwischen einer
Anflugfortsetzen oder des Durchstartens. Was ist jetzt besser? Die Antwort ist von verschiedenen Faktoren
abhängig, unter anderen ist der Flugzeugtyp entscheidend. Ist kein Schleudersitz vorhanden, setzt man den
Anflug fort. Es kann passieren, dass
die Vögel in die Triebwerke einfliegen.
Dies ist ebenfalls beim Durchstarten
möglich, aber mit schlimmeren Folgen
wegen des höheren Schubbedarfs,
der dann erforderlich ist. Befindet
man sich schon auf dem
Gleitpfad unmittelbar
nicht immer. Oft trifft dies bei Großvögeln wie dem Bussard oder den
Wasservögeln zu, es ist aber nicht die
Regel bei den kleinen, schwärmenden
Vögeln; ihre Reaktionen sind unberechenbar.
Es ist oft der Fall, dass ein Vogelschwarm eine enge Formation bildet,
um Raubvögel abzuhalten (das Flugzeug wird auch als solches betrachtet). Die Flugrichtung bleibt aber
kaum zu erraten, auch als Schutz vor
dem drohenden Angriff.
Sieht man den Vogelschwarm, ist in
der Regel der Abstand zu gering, um
effektiv reagieren zu können, eben-
vor der Landebahn, sollte man am
besten den Anflug bis zum Fullstop
vollenden. Diese Lehre resultiert aus
zwei Unfallbeispielen.
1996 stürzt eine belgische C-130
bei einem Durchstartversuch in Eindhoven (Niederlande) ab. Die Besatzung beabsichtigte eine Abschlusslandung, aber ein Schwarm Stare befand
sich im Anflug und die C-130 startete
durch. Dabei wurden drei Triebwerken
stark beschädigt und die Kontrolle
über das Flugzeug ging verloren,
denn die Seitenruderwirksamkeit war
zu gering. Hätte die Besatzung ihren
Anflug wie geplant fortgesetzt, wäre
der Absturz wahrscheinlich nicht passiert und 34 Menschen wären noch
am Leben.
falls ist eine Vorhersage der Reaktionen der Vögel durch das Aufschrecken
nicht möglich.
Manöverfähigkeit
15
16
Bild: Archiv GenFlSichhBw
Vor kurzem ist eine C-5 Besatzung
während des Anflugs durchgestartet,
um einem Schwarm von Wasservögeln auszuweichen. Trotz des Durchstartens ist das Flugzeug von mehreren Vögeln getroffen worden. Das
Ergebnis waren zwei beschädigte
Triebwerke und ein Class A-Unfall
wegen Triebwerkbeschädigung.
Fliegt man einen Endanflug in einem
Luftfahrzeug mit Schleudersitz, kann
man einen Durchstart erwägen mit
der Absicht auf bessere Ausstiegsparameter. Man sollte aber nicht denken, dass ein kleines, wendiges Flugzeug im Endanflug leicht manövriert
werden kann, um einen Vogelschlag
zu vermeiden. Ein Ausweichversuch
ist bei niedriger Flughöhe und niedriger Geschwindigkeit sehr gefährlich,
wie auch ein T-38 Unfall neulich gezeigt hat. Der Pilot hatte während des
Endanflugs versucht, einen Vogel zu
unterfliegen. Dabei hatte er aber so
viel an Höhe verloren, dass er den
Flughafenbegrenzungszaun erwischte
und dabei sein rechtes Fahrwerk abgerissen wurde. Zum Glück war nichts
Schlimmeres passiert.
Entscheidungen, die man während
des Abflugs bei Vogelgefahr treffen
muss, sind noch schwieriger und setzten eine gründliche Flugvorbereitung
voraus. Die wichtigsten Faktoren, die
dabei berücksichtigt werden müssen,
sind Flugzeugtyp, Pistenlänge und
Fangkabelausrüstung. Man soll die
Notverfahren entsprechend dem Flugbetriebshandbuch genau kennen und
anwenden. Für den Fall, dass sich ein
Vogelschlag im Abflug ereignet, sollte man vorbereitet sein. Falls man
während des Rollens Vögel auf oder
neben der Piste bemerkt, ist sofort der
Kontrollturm zu informieren (die Kontroller können oft die Vogelsituation
nicht so überblicken wie der Pilot).
Gegebenenfalls ist der Abflug abzubrechen und dieser erst durchzuführen, wenn alle Vögel verscheucht sind.
Besondere Vorsicht ist im Tiefflug
oder in den Schiessgebieten angesagt,
Bild: M. Buschmann
Flugsicherheit
da hier eine besonders hohe Vogelschlaggefahr besteht und die größten
Beschädigungen pro Vogelschlag verursacht werden. Oft fehlt die nötige
Aufmerksamkeit Richtung 12 Uhr weil
der Pilot auf die Tiefflugkarte oder auf
Referenzen des Schiessgebietes achtet. Der Zeitraum, einen Vogel zu erfassen und auszuweichen, verkürzt
sich enorm. Es kann sein, dass man
Zeit für ein Ausweichmanöver hat. Ist
diese Zeit gegeben, dann sollte man
nur nach links, rechts oder nach oben
ausweichen. Niemals den Steuerknüppel nach vorne drücken! Sofern
es für ein Ausweichmanöver zu spät
sein sollte, ist es auf jeden Fall wichtig, eine Art Schutzhaltung einzunehmen, um Kopf und Oberkörper vor
Verletzungen zu schützen. Beachte,
man kann auch etwas ganz Wichtiges
vom Vogel Strauß lernen! Wie der
Vogel Strauß seinen Kopf in den Sand
steckt, genau so sollte man mit seinem Kopf in Deckung gehen. Sehr
klug!
II/2005 FLUGSICHERHEIT
Bild: Archiv GenFlSichhBw
Bravo
Bravo gut
gut
gemacht
gemacht
Am 09. März meldete sich Stabsfeldwebel Schade (LTG 62) als
zuständiger
Am 09. März
Flugplatzmeister
meldete sich Stabsfeldwebel
beim Flugsicherheitsoffizier,
Schade (LTG weil
62) als
er
beizuständiger
einer Kontrollfahrt
Flugplatzmeister
Ölspurenbeim
auf der
Flugsicherheitsoffizier,
Taxiway und der Runway
weil er
bemerkt
bei einer
hatte.
Kontrollfahrt Ölspuren auf dem Taxiway und der
Aufgrund
Runway der
bemerkt
zeitlichen
hatte.
Zuordnung (die Ölspuren waren kurz vorher
Aufgrund
noch nicht
derda)
zeitlichen
konnte Zuordnung
ein Luftfahrzeug
(die Ölspuren
im Platzflugbetrieb
waren kurz
ermittelt
vorher noch
werden.
nicht da) konnte ein Luftfahrzeug im PlatzflugbeNach
triebder
ermittelt
Landung
werden.
stellte das technische Personal der Wartung
einen
Nachstarken
der Landung
Ölverlust
stellte
an das
Triebwerk
technische
II fest.
Personal
Bei derder
folgenden
Wartung
Kontrolle
einen starken
wurdeÖlverlust
eine defekte
an Triebwerk
DichtungII fest.
am Deckel
Bei derder
folgenden
dritten
Ölleitung
Kontrolle
(PCU)
wurde
ermittelt.
eine defekte Dichtung am Deckel der dritten
Durch
Ölleitung
das (PCU)
umsichtige
ermittelt.
und verantwortungsvolle Handeln des
Flugplatzmeisters
Durch das umsichtige
konnteund
wahrscheinlich
verantwortungsvolle
ein Zwischenfall
Handelnoder
des
Schlimmeres
Flugplatzmeisters
verhindert
konnte
werden.
wahrscheinlich ein Zwischenfall oder
Der
Schlimmeres
Vorfall zeigtverhindert
aber auch,werden.
dass eine Lösung des „PCU-Problems“
dringend
Der Vorfall
notwendig
zeigt aber
ist (siehe
auch,
Zwischenfall
dass eine04/027
Lösung
vom
desLTG
„PCU62).
Problems“ dringend notwendig ist (siehe Zwischenfall 04/027
vom LTG 62).
II/2005 FLUGSICHERHEIT
17
Flugsicherheit
Taktile Anzeigen
Anzeigenereich
Zusammengestellt von Hauptmann
Peter Harazin
Die Informationen zu
den Entwicklungsergebnissen im Bereich
„Taktile Anzeigen“ wurden während des
Survival and Flight
Equipment (SAFE) Symposiums 2004 in
Lyon zusammengetragen. Schwerpunkt dieser
Veranstaltung war das
Thema Situational
Awareness. Eine Kurzinformation zur SAFE
Organisation befindet
sich der Vollständigkeit
halber zu Beginn dieser
Information.
SAFE ist eine internationale Organisation, die sich der Gewährleistung
der Sicherheit und des Schutzes des
Einzelnen an Land, auf See, in der Luft
und im Weltraum widmet. Im regelmäßigen Wechsel finden Symposien
der Organisation in Europa und den
Vereinigten Staaten von Amerika
statt. In den Vereinigten Staaten von
Amerika ist der Austausch von Erfahrungen und Informationen umfangreicher durch einen wesentlich größeren Teilnehmerkreis sowie einer längeren Symposiumsdauer. Je nach Austragungsort erhalten die Symposien
18
den Zusatz -US bzw. -Europe. Gegründet wurde die Organisation im
Jahr 1956 als Space and Flight
Equipment Association (Vereinigung
für Weltraum- und Flugausrüstung).
Am 02.10.1969 erfuhr sie eine Umbenennung in Survival and Flight
Equipment Association (Vereinigung
für Not- und Flugausrüstung).
Am 24.11.1976 wurde die Organi-
zepte und Produkte dient sie dem
Austausch technischer Informationen
und der Erörterung von Fragen von
besonderem Interesse in den o. a.
Fachbereichen. Den Mitgliedern soll
hierbei auch eine größere Gelegenheit
für die berufliche Weiterentwicklung
und den ständigen Erfahrungsaustausch unter Experten ermöglicht
werden. Des Weiteren sollen im Rah-
Mögliche Anbringung von Taktoren (Vibrationsgeber)
in der Fliegersonderkleidung
sation in SAFE Association benannt.
Ziele der SAFE Organisation
Der Zusammenschluss aller Mitglieder und die Durchführung von
europäischen und amerikanischen
Symposien dient der Förderung von
Wissenschaft und Technologie zur
Verbesserung von Sicherheitsvorrichtungen, Lebenserhaltungssystemen,
Schutzausrüstungen und MenschMaschine-Schnittstellen weltweit. Als
Forum für die Förderung neuer Kon-
men von Weiterbildungsveranstaltungen die Effektivität und Sicherheit bei
der Auslegung und im Betrieb von
Rettungssystemen kontinuierlich verbessert werden. Dabei soll auch der
Einfluss dieser Vereinigung auf militärische Dienststellen erhöht werden,
um die Hauptziele der Organisation
umzusetzen. Nicht zuletzt ist es das
Ziel die Wertstellung der Vereinigung
nach außen und innen sowie die
Gemeinschaft SAFE stetig zu steigern.
II/2005 FLUGSICHERHEIT
Aktivitäten
Jährlich findet jeweils ein internationales Symposium in den USA und in
Europa mit der Vorstellung von
Bildungs- und Fachinformationen,
aktiven Gerätedemonstrationen und
einer begleitenden Ausstellung von
neuen Entwicklungen statt. Regelmäßig erfolgt die Ausgabe des SAFE
Journals, der SAFE Newsletter und der
SAFE Proceedings. SAFE ist eine gemeinnützige Vereinigung. SAFE-Regionalgruppen unterstützen Tagungen
und Seminare. Hierbei wird schwerpunktmäßig folgende Zielsetzung
beschrieben:
Taktile Anzeigen zur Verbesserung von Leistungsverhalten und Sicherheit
Es gibt zurzeit drei Hauptanwendungen für Taktile Anzeigen:
räumliche Orientierung, Navigation
und Kommunikation. Die meist verbreitete Anwendung ist das vibrierende Mobiltelefon. Taktile Anzeigen
wurden in einer Reihe von Szenarien
erfolgreich demonstriert, darunter
Taktile Anzeigen für die räumliche
Orientierung bei Starr- und Drehflüglern und die Navigation beim Fallschirmspringen, bei Hochgeschwindigkeitsbooten und beim Tauchen
Taktile Reizübermittlung
Mikroprozessor
• Austausch
von
Ideen
und
Informationen über die Aktivitäten
der Mitglieder,
• die Vorstellung neuer Ausrüstung
und neuer Verfahren und
• die staatliche, militärische und gewerbliche Anwendung auf dem
Gebiet der Sicherheit und des Überlebens.
II/2005 FLUGSICHERHEIT
sowie dem Marsch zu Fuß. Zu den
nicht militärischen Anwendungen
gehört die Unterstützung von Blinden
und Sehbehinderten, z. B. wurde
beim Aufstellen des ersten Geschwindigkeitsweltrekords für Blinde auf
dem Wasser eine taktile Navigationsanzeige verwendet und es wurde ein
Blindenstock entwickelt, der dem
Benutzer eine taktile Rückmeldung
gibt.
Was ist eine Taktile
Anzeige?
Wir alle sind mit Sichtanzeigen (dem
Betrachten von Informationen) und
Audio-Anzeigen (dem Hören von
Informationen) vertraut. Die heutige
Technologie, vor allem die Entwicklung rechnergestützter Systeme,
macht es wahrscheinlicher, dass es
bei der Verarbeitung visueller und
akustischer Informationen zur Überlastung kommt. Diese Überlastung
kann zu einer verminderten Leistungsfähigkeit und möglicherweise
zu Einbußen bei der Sicherheit
führen. Das Potenzial für Probleme
bei Sichtanzeigen wurde erkannt,
und Konstruktionsnormen wie die
ISO1-Norm 13407 sind ein Versuch,
diese Probleme zu überwinden. Eine
Alternative besteht darin, Informationen über den „wenig genutzten“
Tastsinn zur Verfügung zu stellen,
welcher spezifischer auch als haptischer Sinn bezeichnet wird. Dies kann
in Form eines Hautreizes (taktile oder
Tastkörperchenrezeption), eines in
den Körperstrukturen (z. B. Muskeln)
gefühlten Drucks (Propriozeption),
einer Oberflächentemperatur (Thermorezeption) oder in Form von
Schmerz (Nozizeption) erfolgen. Das
gebräuchlichste Verfahren zur Reizung der Haut für die Bereitstellung
taktiler Signale ist die Erzeugung von
Schwingungen, wie sie beim vibrierenden Mobiltelefon zur Anwendung
kommen. Es gibt jedoch auch andere
Verfahren wie Stechen, Kratzen,
Streicheln, elektrische Reizung usw.
Die für die Erzeugung dieser taktilen
Signale gefertigten Vorrichtungen
sind als Taktor (Tastgeber) bekannt.
Die Merkmale eines idealen Taktors
sind minimale Größe, sehr niedriges
Gewicht, geringe Leistungsaufnahme
und hohe Ausgangsleistung (z. B.
Schwingungen).
Sicherheit und Leistungsfähigkeit
der Besatzung jeder Plattform (z. B.
Luftfahrzeug, Landfahrzeug, Schiff/
Boot und Unterseeboot) hängen
19
Flugsicherheit
maßgeblich davon ab, inwieweit
Informationen zur räumlichen Orientierung und für das Lagebewusstsein
zur Verfügung gestellt werden können. Dies erfolgt normalerweise über
Sicht- und Audio-Anzeigen. Sichtanzeigen sind zwar normalerweise
problemlos in der Anwendung, jedoch bietet die Entwicklung rechnergesteuerter Sichtanzeigen die Möglichkeit, eine riesige Menge visueller
Informationen zur Verfügung zu stellen, die das Informationsverarbeitungsvermögen des Einzelnen
überfordern kann. Audio-Anzeigen
sind zwar ideal für bestimmte Informationen geeignet, ihre Verwendung
hat jedoch Nachteile in einer sehr lauten Umgebung und unter Umgebungsbedingungen, für die minimale Geräuschpegel gefordert sind.
Eine wirksame Alternative zu Sichtund Audio-Anzeigen stellt die taktile
Anzeige dar. Solche Anzeigen können höchst effektiv und in bestimmten Szenarien von Vorteil sein. Sie
bieten die Möglichkeit, die kognitive
Überlastung zu verringern, die sich
durch rechnergestützte Sichtanzeigen
ergeben kann und stellen sowohl bei
Umgebungsbedingungen mit hohem
als auch mit niedrigem Geräuschpegel eine wirksame Alternative zu
akustischen Anzeigen dar. Die Entwicklung und Einführung taktiler
Anzeigen wird durch die Schlussfolgerung gestützt, die auf dem von
der Forschungs- und Technologieorganisation der NATO durchgeführten Symposium zum Thema „Räumliche Desorientierung in Militärfahrzeugen: „Ursachen, Folgen und Abhilfen“ (La Coruna, Spanien, 2002)
gezogen wurde. Dort wurde folgende Feststellung getroffen:
„Der bedeutendste Fortschritt der
letzten Jahre, der der räumlichen Desorientierung entgegenwirken kann,
ist die Verwendung taktiler Reize für
die Übermittlung von Informationen
zur räumlichen Orientierung.“
20
Leistungsbeschreibung C-2 Taktor
Physikalische Beschreibung: Durchmesser 1,2 Zoll, Höhe 0,31 Zoll,
Gewicht 17 Gramm, eloxiertes Aluminium.
Elektrische Verkabelung:
Flexibel, isoliert, verdrilltes Leiterpaar,
US-Drahtstärke Nr. 24. Steckverbinder optional.
Haut-Kontaktgeber:
Durchmesser 0,3 Zoll, mit einem Vorstand von
0,025 Zoll zum Gehäuse,
auf die Haut aufgebracht.
Elektrische Merkmale:
7,0 Ohm in Reihe geschaltet,
Nenninduktivität 1,1 mH.
Empfohlene Ansteuerung: Sinuswellen Tonimpulse von 50 bis 200 ms Dauer
im Frequenzbereich 150 bis 300 Hz bei Nennstromstärken bis 0,25 A effektiv und kurzzeitig
0,5 A effektiv max.
Maximale Ausgangsleistung bei ca. 230 Hz.
Reizamplitude:
Frequenz Typische in die Hauteingeleitete
Amplitude mit 0,25 A
effektiver Ansteuerung
150 Hz
Amplitudenspitze 0,06 Zoll
230 Hz
Amplitudenspitze 0,25 Zoll
280 Hz
Amplitudenspitze 0,06 Zoll
Anwendungen Taktiler
Anzeigen
Taktile Anzeigen gibt es schon seit
vielen Jahren, jedoch wurde erst in
jüngster Zeit ihr Potential erkannt und
ihre Nutzung eingeleitet. Die vielleicht
bekannteste Anwendung ist der
Vibrationsalarm beim Mobiltelefon,
der typischerweise verwendet wird,
wenn ein akustisches Signal nicht
annehmbar ist (z. B. in Besprechungen oder im Theater). Andere taktile
Signale gibt es schon seit Hunderten
von Jahren, z. B. verrät Ihnen ein
Klopfen auf die Schulter instinktiv,
dass jemand hinter Ihnen steht, in
welcher Richtung er sich befindet und
dass er Sie um Ihre Aufmerksamkeit
bittet. Es gibt derzeit drei Hauptanwendungen für Taktile Anzeigen, für
die diese Anzeigen als höchst effektiv
angesehen werden: räumliche Orientierung, Navigation und Kommunikation.
Typische in die Haut eingeleitete
Amplitude mit 0,5 A
effektiver Ansteuerung
Amplitudenspitze 0,12 Zoll
Amplitudenspitze 0,50 Zoll
(Kappung möglich)
Amplitudenspitze 0,12 Zoll
Räumliche Orientierung
Die Entwicklung taktiler Anzeigen
zur räumlichen Orientierung wurde
teilweise durch die Erkenntnis gefördert, dass über 25 Prozent der
Verluste von US-Militärluftfahrzeugen
direkt auf den Verlust der räumlichen
Orientierung und des Lagebewusstseins des Luftfahrzeugführers zurückzuführen sind. Unter räumlicher
Orientierung versteht man die
Fähigkeit eines Menschen, genau zu
wissen, wo er oder sein Fahrzeug/ein
Objekt sich im Raum befindet, normalerweise im Verhältnis zur Senkrechten. So wird vom Forschungslaboratorium für Luft- und Raumfahrtmedizin der US-Marine (NAMRL2) ein
dem Körper gegebenes Bodenrichtungssignal dazu verwendet, Luftfahrzeugführern die Aufrechterhaltung der räumlichen Orientierung und die Durchführung von
Kunstflugmanövern ohne externe
II/2005 FLUGSICHERHEIT
Aufgabe, die bei einer sehr
großen Zahl von Anwendungen durchgeführt werden muss. Navigationssignale
übermitteln im Allgemeinen
auch Informationen darüber,
wie man zum gewünschten
Ort gelangt. Deshalb kann
die Anzeige so ausgelegt
werden, dass sie Informationen über Kursfehler und
Kurskorrekturanweisungen
gibt. Dass die Navigation
nach Wegepunkten unter
Verwendung taktiler Signale
möglich ist, wurde unter
zahlreichen, unterschiedlichen
Umgebungsbedingungen
nachgewiesen. Dazu gehören
diverse Unterwassereinsätze, Hochgeschwindigkeitsboote,
der Marsch zu Fuß,
Kraftfahrzeuge und
Hubschrauber.
Fotos: Two subways kisses fiv
Taktor C-2 der Firma
Engineering Acoustics
Kommunikation
Anbringungsmöglichkeit unter der
Fliegersonderbekleidung
Orientierungspunkte oder interne
Instrumentenanzeigen zu ermöglichen. In ähnlicher Weise wurde vom
NAMRL nachgewiesen, dass Hubschrauberpiloten eine feste Schwebeflugposition halten können wiederum
ohne externe Orientierungspunkte
oder interne Instrumentenanzeigen.
Dies zeigt, dass Taktile Anzeigen ein
wirksames Mittel gegen räumliche
Desorientierung sind. Unter Wasser
und den Bedingungen der Mikrogravitation kann es bei Tauchern bzw.
Astronauten zu extremer Desorientierung kommen. Es wurden und werden Forschungsarbeiten zur Verwendung Taktiler Anzeigen im Zustand der Mikrogravitation durchgeführt, wobei dazu in der Vergangenheit vom Nationalen Amt für
Luft- und Raumfahrt (NASA3) der
II/2005 FLUGSICHERHEIT
USA durchgeführte Parabelflüge
genutzt wurden. Zurzeit werden weitere Untersuchungen dieser Umgebungsbedingungen von Forschern der
TNO (NL) auf der Internationalen
Weltraumstation durchgeführt.
Navigation
Bei anderen orientierungsbezogenen Anwendungen geht es um die
Fähigkeit, jemanden über eine Richtung von Interesse im Verhältnis zu
dessen gegenwärtiger Position zu
informieren. So könnten zum Beispiel
taktile Signale einen Luftfahrzeugführer über den Seitenwinkel eines
Lenkflugkörpers informieren, der sich
auf ein Luftfahrzeug aufgeschaltet
hat oder über die Richtung eines
Notsammelpunkts. Dies mag treffender eher als Navigation im Raum
denn als räumliche Orientierung an
sich bezeichnet werden und bei der
Navigation handelt es sich um eine
Die Übermittlung von anderen
Informationen als denen zur räumlichen Orientierung/Navigation kann
auf einer sehr einfachen oder sehr
komplexen Ebene erfolgen. Allgemein
gilt, dass eine Anzeige, die hoch effektiv sein soll, nur sehr einfache Informationen übermitteln sollte. Durch
den Vibrationsalarm bei einem Mobiltelefon wird einfach nur mitgeteilt,
dass jemand mit dem Benutzer des
Telefons sprechen möchte. Bei dieser
Anwendung besteht jedoch die Möglichkeit, mehr Informationen zur Verfügung zu stellen, ob der Anruf geschäftlicher oder persönlicher Art ist
oder das Telefon eine Textnachricht erhalten hat. Deshalb ist es erforderlich,
zwischen unterschiedlichen taktilen
Signalen zu differenzieren. Aus akustischer Sicht lässt sich dies leicht erreichen, durch unterschiedliche Freitöne
zum Beispiel. Das taktile Äquivalent
für hörbare Freitöne könnten unter-
21
Flugsicherheit
schiedliche Schwingungsrhythmen
oder -frequenzen oder eine Kombination aus beidem sein. Für diese
Technologie ist die Bildung intuitiver
„taktiler Melodien“ oder „taktiler
Symbole“ erforderlich, die ohne oder
mit nur geringem kognitiven Verarbeitungsbedarf sofort erkannt werden
können. Für die Nutzung taktiler Signale zur Kommunikation gibt es weitreichende Anwendungsmöglichkeiten,
darunter solche für Menschen, die
Informationen „verdeckt“ ohne Hörschall oder Licht empfangen wollen,
oder für diejenigen, die nicht mittels
Schall oder Licht kommunizieren können wie Taucher, Infanteristen und
Menschen mit einer Seh-/Hörschädigung usw.
Unterstützung von Blinden
und Sehbehinderten
Blinde und Sehbehinderte verlassen
sich stark auf durch Berührung verursachte Rückmeldungen, während blinde und taube Menschen vollkommen
auf ihren Tastsinn angewiesen sind.
Ein Beispiel dafür, wie taktile Technologie die Fähigkeiten von Sehbehinderten stärken kann, ist die Verbesserung ihrer Eigenständigkeit bei
der Navigation. Bei der Aufstellung
des ersten Geschwindigkeitsweltrekords für Blinde auf dem Wasser von
~ 118 km/h kam unterstützend eine
taktile Anlage zur Navigation nach
Wegepunkten zum Einsatz, die GPSTechnologie verwendete. Die immer
erfolgreichere Nutzung Taktiler Anzeigen zeigt sich auch im jüngst von
der Firma Sound Foresight Ltd entwickelten Blindenstock, der dem Benutzer taktile Rückmeldungen vom am
Stock angebrachten Ultraschalltranspondern liefert. Das heißt, dass Benutzer sowohl über die Richtung des
Objekts in ihrer Nähe als auch über
dessen Entfernung informiert werden
können. Die Verwendung der Taktilen
Anzeige bedeutet, dass sie diese
Informationen sowohl effektiv als auch
diskret erhalten.
22
Taktile Anzeigeanlagen
Die Komplexität einer taktilen
Anzeige hängt von der beabsichtigten
Verwendung ab. Ein einfaches Kommunikationsgerät kann über einen
Taktor verfügen, eine Navigationsanlage dagegen über zwei oder mehr
Taktoren. Im letzteren Fall wird allgemein davon ausgegangen, dass sich
mit acht oder zwölf Taktoren ein ausreichender Genauigkeitsgrad erreichen
lässt. Eine Anlage zur räumlichen
Orientierung, insbesondere für 3-DAnwendungen, könnte jedoch potenziell über mehr als 100 Taktoren verfügen. Die Zahl der in ein Gerät eingebauten Taktoren hat leicht ersichtlich
Auswirkungen auf die Gesamtgröße,
das Gewicht, die Stromversorgung
und die Bedienung des Geräts. Es erübrigt sich, darauf hinzuweisen, dass
für die vollständige Entwicklung einer
taktilen Anzeigeanlage eine beträchtliche Menge an Zeit und Mitteln investiert werden muss. Der größten
Einschränkung unterliegen Taktile
Anzeigen aufgrund der Forderung,
dass der Taktor Körperkontakt haben
muss. Dazu bedarf es eines Verfahrens, das den Taktor an der Haut
hält, was bei Anordnungen aus mehreren Taktoren eine beträchtliche technische Herausforderung darstellen
kann, vor allem, wenn die komplexen
Formen des Körpers berücksichtigt
werden müssen. Verliert einer oder
mehrere Taktoren den Kontakt mit
dem Körper, kann die Anlage je nach
dem bei der Konstruktion berücksichtigten Redundanzgrad unwirksam
werden. Deshalb sollte die Anlage so
ausgelegt sein, dass diesem potenziellen Problem begegnet wird.
Weitere Forschungsund Entwicklungsarbeit
Genauso wie die fortgesetzte Entwicklung von Taktoren und Verfahren
zu ihrer Befestigung am Körper bedürfen auch eine Reihe grundlegender
ergonomischer Faktoren der weiteren
Untersuchung, um den Erfolg taktiler
Anzeigen in der Zukunft sicherzustellen. Zur Steigerung der Wirksamkeit
von Taktoren und um sicherzustellen,
dass sie mit größtmöglichem Nutzen
am Körper verwendet werden, werden auch weiterhin Informationen
über die Eigenschaften der Haut und
darüber, wie diese sich an unterschiedlichen Stellen des Körpers ver-
ändern, benötigt. Dahin gehende
Forschungsarbeiten werden zurzeit an
der Universität Princeton in Zusammenarbeit mit dem Forschungslaboratorium für Luft- und Raumfahrtmedizin der US-Marine (NAMRL)
durchgeführt. Da taktische Anzeigen
auf Plattformen eingesetzt werden,
II/2005 FLUGSICHERHEIT
Bild: Archiv GenFlSichhBw
die gegenwärtig noch Eigenschwingungen unterliegen, besteht
die Gefahr, dass auf Schwingungen
basierende (vibro)-taktile Signale nicht
von den Hintergrundschwingungen
unterschieden werden können. Zurzeit
werden Arbeiten zu diesem Punkt am
QuinetiQ Centre for Human Sciences
durchgeführt, die vom britischen
Verteidigungsministerium finanziert
werden. Es besteht die Hoffnung, dass
die Ergebnisse vibrotaktile Schwellenwertdaten liefern, aus denen die
Anlagenkonstrukteure die erforderliche Spezifikation für Taktile Anzeigen,
die in einer Schwingungsumgebung
verwendet werden sollen, ableiten
II/2005 FLUGSICHERHEIT
können. Ein Beispiel für die Notwendigkeit dieser Arbeiten zeigte sich
während der Entwicklung der Navigationsanlage, die für die Aufstellung
des Geschwindigkeitsweltrekords für
Blinde auf dem Wasser verwendet
wurde. Es stellte sich heraus, dass kleine vibrotaktile Vorrichtungen während
der Versuche mit einem Hochgeschwindigkeitsboot nicht wahrgenommen werden konnten, da die vom
Boot bei der Bewegung über die
Wasseroberfläche und die von den
großen Bootsmotoren verursachten
Schwingungen die Anlage unwirksam
machten. Dieses Problem wurde
dadurch gelöst, dass die Taktoren an
Körperstellen befestigt wurden, die
von den Stellen entfernt lagen, an
denen sich der Bootsführer an der
Bootstruktur festhielt, d. h. die
Taktoren wurden von den Händen/
Armen zum Körperrumpf verlegt. Es
sind weitere Arbeiten erforderlich, um
festzustellen, welche taktilen Signale
mit der größten Effektivität wahrgenommen werden. Wie wird zum
Beispiel eine Anweisung zur Fahrtrichtungsänderung nach rechts gegeben; wie wird angezeigt, wie weit
nach rechts die Fahrtrichtung geändert
werden soll und wie wird über zu starke Korrekturen der Kursrichtung informiert? Des Weiteren werden mehr
Informationen über die Fähigkeit zur
Unterscheidung unterschiedlicher taktiler Melodien bei nur geringer
Ausbildung benötigt. Das Szenario ist
vielleicht dem beim Morsecode vergleichbar. Zwei oder drei Buchstaben
lassen sich leicht voneinander unterscheiden und verstehen, es bedarf
aber eines großen Ausbildungsaufwands, um zwischen 26 Buchstaben
genau und schnell unterscheiden zu
können. Um die Entwicklung Taktiler
Anzeigen unterstützend zu erleichtern, wurde von der Forschungs- und
Technologieagentur der NATO eine
technische Arbeitsgruppe eingerichtet.
Zurzeit setzt sich die Arbeitsgruppe
aus Vertretern Großbritanniens, der
Niederlande, der USA und Kanadas
zusammen. Zu den Zielen der Arbeitsgruppe gehören:
• Identifizierung gegenwärtiger taktiler Anlagen und Anwendungen,
• Identifizierung einschlägiger Normen
und Richtlinien für taktile Anlagen,
• Erstellung einer Datenbank des veröffentlichten wissenschaftlichen
Wissens über taktile Wahrnehmung,
• Bestimmung von Versuchsmethoden
für Forschungsvorhaben auf dem
Gebiet der taktilen Wahrnehmung,
• Bestimmung von Versuchsmethoden
zur Schaffung taktiler Referenzbedingungen,
• Identifizierung von Sicherheitsfragen
in Zusammenhang mit taktilen Anlagen,
• Unterstützung der Vernetzung von
Forschergruppen, Dienststellen und
Fachleuten, die sich mit der taktilen
Wahrnehmung befassen und
• Verteilung von Informationen über
taktile Anlagen.
Schlussfolgerung
Bei Taktilen Anzeigen handelt es sich
um ein relativ neues Produkt auf dem
Anzeigegerätemarkt. Diese Anzeigen
haben das Potenzial sowohl die
Leistungsfähigkeit als auch die Sicherheit zu verbessern, was unter allen
möglichen Umgebungsbedingungen,
von Bedingungen unter Wasser bis hin
zur Mikrogravitation, erfolgreich nachgewiesen wurde. Es sind weitere
Arbeiten zur Weiterentwicklung der
Taktorauslegung im Hinblick auf die
Anforderungen spezifischer Anwendungen erforderlich. Forschungsarbeiten zu den ergonomischen
Faktoren der taktilen Wahrnehmung
werden dabei helfen, die Auslegung
der Anzeigen zu optimieren und die
Wirksamkeit taktiler Anzeigen zu verbessern, um so die Leistungsfähigkeit
und Sicherheit der Bediener zu
erhöhen.
23
Flugsicherheit
Ein (nicht) ganz normaler
Tag ...
Bild: Archiv GenFlSichhBw
von Leutnant Alexander Baumbach,
Einsatzführungsbereich 3
Control and Reporting Center
Holzdorf/Schönewalde - SUNRISE
Vorwort
Der Einsatzführungsdienst der Luftwaffe stellt die Integrität des Luftraums über der Bundesrepublik
Deutschland sicher. Dazu überwachen
im Rahmen des NATO Integrated Air
Defence Networks die Gefechtsstände Holzdorf/Schönewalde (Einsatzführungsbereich 3), Messstetten,
Erndtebrück, Brockzetel und Cölpin
den Luftraum über der Bundesrepublik Deutschland.
Unter der NATO-Führung von
CAOC 2 in Kalkar und CAOC 4 in
Messstetten erstellen diese Verbände
ein aktuelles identifiziertes Luftlagebild, welches als Entscheidungsgrundlage der militärischen und politischen
Führung dient. Hierzu wird der Himmel über Deutschland mit einem
umfassenden Netzwerk ziviler und
militärischer Radarsensoren abgedeckt. Bei Einsätzen unter nationaler
Führung leitet die Führungszentrale
Nationale Luftverteidigung (FüZNatLV)
in Kalkar das Teamwork der Einsatzführer und Jagdgeschwader.
24
Die Komponente Waffeneinsatz-/Jägerleitsektion stellt mit ihren Einsatzführungsoffizieren die Überwachung und Führung des militärischen
Übungsflugbetriebs und die Bereitschaft für den Einsatz der beiden
NATO-Alarmrotten in Neuburg an der
Donau und Wittmundhafen sicher.
Sobald sich ein Luftfahrzeug im zugewiesenen Überwachungsraum auffällig verhält, wird dies den übergeordneten Dienststellen gemeldet.
Sollte dann ein Alarmstart befohlen
werden, führt ein Team aus Controller und Assistent die ihnen zugeordneten Flugzeuge unter Beachtung
aller nationalen Flugsicherheitsbestimmungen und taktischer Gesichtspunkte an das Ziel heran und ermöglicht über eine Sichtidentifizierung
weitere Maßnahmen wie zum Beispiel
Abdrängen, das Zwingen zur Landung oder auch einfach nur Hilfe bei
Luftnotlagen. Einfach nur? Der folgende Artikel zeigt, dass man einen
solchen Einsatz nie unterschätzen
darf...
Der Wochenenddienst als Einsatzführungsoffizier mit Jagdlizenz ist das,
was man allgemein hin als „QRABereitschaft“1 bezeichnet. An Wochenenden und Feiertagen herrscht in
Deutschland kein militärischer Übungsflugbetrieb - was den Dienst in unserem Bunker (im dienstlichen Sprachgebrauch auch Luftwaffenkampfführungsanlage genannt) als überschaubare Tätigkeit erscheinen lässt.
NOTAMs2 werden auf den aktuellen
Stand der nächsten Woche gebracht,
Karten können im großen Maßstab
aktualisiert werden - ja auch dem
Tagesgeschäft eines Luftwaffenoffiziers mit allen seinen Nebentätigkeiten kann hier geordnet nachgegangen werden. Durchaus planbare
Dienstzeit also. So könnte man denken...
So dachte ich auch an diesem
Pfingstmontag, als ich nachmittags
zur Nachtschicht erschien. Die obligatorische Übergabe mit dem Tagschicht-Controller fand in der gewohnten Ruhe und Professionalität
II/2005 FLUGSICHERHEIT
Bild: Lt Baumbach
statt, und die ersten Routine-Arbeiten
einer Controller-Schicht konnten beginnen - bis nach nicht ganz einer
Stunde in der Operationszentrale eine
LOOP-Durchsage3 meine Aufmerksamkeit erregte. Die tschechische
Luftraumüberwachung in Stara Boleslav meldete ein Flugzeug, welches
ohne Funkkontakt und Sekundärradar4 vom polnischen in den tschechischen Luftraum einflog.
So weit so gut - die Tschechen hatten in der Nähe von Prag Primärradarauffassung5 zu diesem Luftfahrzeug,
welches auch noch ziemlich langsam
zu fliegen schien - eigentlich kann
man sich in dieser Situation zurücklehnen und den Kollegen auf der
anderen Seite der Grenze die Arbeit
überlassen. Außerdem hatten wir eh
keinen Radarkontakt an der bezeichneten Position.
Unsere Identifizierungssektion arbeitete dennoch an dem Problem und
eröffnete uns dann, dass das (vermutete) Flugzeug laut Flugplan eigentlich
wenige Minuten zuvor in Stuttgart
hätte gelandet sein müssen. Eine
Nachfrage dorthin ergab aber das nun
schon erwartete Ergebnis: dort ist
kein Flugzeug mit diesen Daten gelan-
II/2005 FLUGSICHERHEIT
det, sondern wird erst in zwei Stunden erwartet. Dies passte ja genau
auf „unser“ nicht identifiziertes
Luftziel, welches sich nach Aussage
der tschechischen Luftverteidigung
immer noch schnurstracks Richtung
Grenze bewegte. Wir besetzten die
Alarmposition und trafen wie immer
alle Vorbereitungen für den Einsatz.
Mein Assistent, Oberfeldwebel
Sören Eidner, unterstützte mich beim
schnellen Aktualisieren und Überprüfen aller eventuell benötigten Frequenzen und Funkgeräte (die zentral
verwaltet werden) - und so hatten wir
auch zügig einen Alarmstatus eingenommen, der sofortiges Eingreifen
ermöglicht. Die Alarmrotte in Neuburg, zwei F-4F Phantom, wurde vom
Bereitschaftsgrad 15 Minuten in 5
Minuten befohlen - die Piloten eilten
zu ihren Maschinen, und gingen ihre
Checklisten durch. Nach der Klarmeldung des neuen Status erging
vom CAOC6 die Anweisung, die beiden bewaffneten Maschinen in 2Minuten-Bereitschaft zu setzen.
Die F-4Fs rollten jetzt zur Number
One-Position - dem Haltepunkt direkt
vor der Startbahn. Bis dahin auch
noch kein Grund zur Unruhe.
Seit dem 11. September ist man
eben sensibler geworden, wenn es
um ungewöhnliche Flugsituationen
geht.
Etwa dreißig Meilen vor der Grenze
erfasste unser Radarverbund das
suspekte Flugzeug erstmals in einer
Höhe von 20.000 Fuß (ca. 6.000 m).
Der Rundruf an alle Flugsicherungsstellen ergab dann auch, dass wir die
einzige Flugsicherungskontrollstelle
waren, die diese Maschine auf dem
Bildschirm sah.
Der Ausfall des Sekundärradars
(Transponder) in einem Flugzeug ist
im allgemeinen ärgerlich für die Flugsicherung - weil diese dann das dazugehörige Luftziel weder identifizieren
noch vernünftig verfolgen kann auch die Höheninformation, welche
der Höhenmesser im Cockpit über
den Transponder an die Bodenstelle
sendet, entfällt damit naturgemäß. Im
schlimmsten Fall sieht man das Flugziel auf ziviler Seite gar nicht mehr.
Genau dies war jetzt passiert!
Im militärischen Bereich - dem Einsatzführungsdienst der Luftwaffe arbeitet man seit jeher mit Primärund Sekundär-Radardaten, weil in
einem Krisen- oder Konfliktszenario
der Gegner ja auch nicht munter pfeifend seine Identität preisgeben möchte. Ein Primärradar ermittelt die
Position eines Flugzieles durch den
Empfang der reflektierten Radarwelle
und berechnet dessen Höhe aus dem
Erfassungswinkel und der Entfernung
zu diesem Ziel - ist also vollkommen
unabhängig von aktiven Antwortgeräten des Flugzeuges. Da jedes
militärische Radar an einem anderen
Punkt der Republik steht und damit
andere Auffassungsbedingungen hat,
zeigten mir alle Sensoren, die ich für
die Auffassung meines „unidentifizierten Flugobjektes“ einsetzte, auch
eine entsprechend andere Höhe des
Flugzieles über Grund. Zusätzlich erschwerend kamen noch die Wetterbedingungen hinzu: Wolken zwischen 12.000 und 20.000 Fuß ...
25
Flugsicherheit
Letzte Vorbereitungen ...
In- und externe Kontrollinstanzen
prüften nun alle Kriterien für die
Rechtfertigung des Einsatzes der
Alarmrotte und befahlen schließlich
zehn Minuten nach Überflug der
Grenze den Start der zwei F-4Fs aus
Neuburg. Diese bekamen mit dem
Startbefehl (vom CRC 7) ihre zugewiesene Flugrichtung und -höhe, die
mit dem Wachleiter der jeweiligen
überörtlichen Flugsicherungsstelle
koordiniert und von den Sektorlotsen
freigehalten wurden.
Jetzt geht´s also los, dachte ich
noch. Zweimal vorher hatte ich ähnliche Alarmeinsätze geführt. Den
ersten Einsatz bestand ich drei
Wochen nach meiner „örtlichen
Zulassung“ (also quasi der endgültigen Erlaubnis, ohne Aufsicht Flugzeuge zu führen).
Der zweite Einsatz folgte vier
Wochen später - ein Airliner hatte
sich nicht bei der zuständigen Flugsicherung gemeldet. Kurz vor dem
Abheben der Kampfflugzeuge konnte der Einsatz aber gestoppt werden,
da der Pilot der B737 den Knopf für
das Mikrofon wieder gefunden
hatte.
Doch heute war alles anders. Geschätzte 200 Meilen ohne Funkkontakt ließen darauf schließen, dass der
Pilot echte Probleme hatte. Auch das
Fehlen der Sekundärradardaten
brachte mich ins Grübeln. Irgendetwas schien bei diesem Einsatz anders zu sein, als in der Ausbildung.
Die dutzendfach geübten Schutz-
26
flüge gegen so genannte „entführte“ Linienmaschinen begannen nicht
so ...
Es wird ernst ...
Start beim JG 74 in Neuburg um
16:39 Z.
Koordinierte Flugfläche 200 und
Richtung 010°.
Das Target (also das Zielflugzeug)
kurz vor Nürnberg.
Alles passt „wie die Faust aufs
Auge“.
Der Vorhaltewinkel zum Ziel stimmt
überein mit den errechneten Parametern.
Die Phantoms steigen gut durch,
der Luftraum um das „Theater“ wird
sukzessive leerer. Doch was ist das:
es sich bei dem Ziel wahrscheinlich
um eine Piper Malibu (einmotorige,
sechssitzige Turboprop-Maschine)
handelt.
Und schon hatte ich meine zweite
„non-standard-situation“: die Phantoms mit ihren Außentanks brauchen
eine höhere Geschwindigkeit als die
des Kleinflugzeugs, um nicht vom
Himmel zu fallen.
Auch wenn bis hierhin alles noch
halbwegs vertraut war, so brachte
mich der Hinweis des Rottenführers
schon einigermaßen ins Schwitzen,
dass „IMC between flightlevel 080 and
200“, also zwischen 8.000 und
20.000 Fuß Instrumentenflugbedingungen - also dichte Wolken - herrschten.
Bild: Archiv GenFlSichhBw
Doch Oberfeldwebel Eidner unterstützte mich auch hierbei hervorragend. Der zeitraubende Abgleich der
Höhendaten war, neben den sonstigen Aufgaben rund um den Kontrollschirm, eine wichtige flugsicherheitsrelevante Leistung - denn Zeit war
jetzt das, was ich nicht hatte.
Um 16:24 Z überflog das Kleinflugzeug bei Cheb die deutsch-tschechische Grenze ...
kein Anruf der Flugsicherung. Die
Piloten kommen nicht zu mir auf die
Frequenz - die erste „non-standardsituation“. Der Anruf beim verantwortlichen Sektor der zivilen Flugsicherung ergibt, dass dieser scheinbar gar nicht so recht weiß, wann er
denn die „Luftpolizei“ in militärische
Hand geben soll. Kurze Koordination
und wenig später der vertraute Satz
im linken Ohr: „Sunrise, Sunrise, Lima
Kilo 56 flight on your freq!“. Kurze
Identifizierung, erste Zielansprache
und der Hinweis aus den uns zur
Verfügung stehenden Quellen, dass
Dumm nur, dass meine Propellermaschine nach allen mir zur Verfügung stehenden Angaben dabei
war, von 20.000 Fuß zu sinken - und
die mir anvertrauten Piloten der
Luftverteidigung gerade in dieser
Höhe angekommen waren - meine
dritte „non-standard-situation“! D. h.
in nächster Zeit spielt sich alles in den
Wolken ab !
And there I was ...
Die Situation stellte sich mir wie
folgt dar: ein Kleinflugzeug mit
geschätzten 200 Knoten Geschwin-
II/2005 FLUGSICHERHEIT
Bild: Lt Baumbach
digkeit, im permanenten Sinkflug
durch 12.000 Fuß dichte Wolken,
zwei bis zur Halskrause betankte und
bewaffnete Jagdflugzeuge, die in
Radar-Trail-Formation (der Rottenflieger Bravo ca. eins bis zwei Meilen
mit Radarkontakt auf seinen Rottenführer Alpha) auf ihr Ziel eindrehten
...- und jetzt kam meine vierte „nonstandard-situation“:
Trotz ständiger Zielzuweisung meldete mir der Rottenführer fehlenden
Radarkontakt zum Ziel („Kunststück“,
dachte ich mir, „der wird wahrscheinlich Murphy’s Gesetz und seiner
Größe entsprechend von deinem
Radar auch nur als Vogel behandelt und ist dem gleichen Gesetz folgend
wahrscheinlich weit jenseits des Auf-
II/2005 FLUGSICHERHEIT
fassungskegels der Phantom-Radarkeule“) - wenig später war der Grund
klar: Alpha meldete den kompletten
Systemausfall seines Radars.
Nun muss man eins wissen - die Gewährleistung der Flugsicherheit geht
über den Luftverteidigungsauftrag.
Wir befinden uns im tiefsten Frieden
- und Menschenleben gehen vor!
Der unmotivierte Zusammenstoß
zwischen Jäger und Gejagtem ist
nicht der Sinn eines Abfangeinsatzes
- sondern die Gewährleistung der
Sicherheit im Luftraum. Die reine
Flugsicherheit steht also über der
Erfüllung des Einsatzauftrags zur
Wahrung der Lufthoheit.
Auf der einen Seite stand ich vor
der
Aufgabe, dieses Flugzeug
schnellstmöglich abzufangen - und
nach getaner Sicht-Identifizierung
weitere Entscheidungen der lufthoheitlich verantwortlichen Stellen
(CAOC auf NATO-Seite, FüZNatLV8
auf nationaler Seite) zu erwarten, auf
der anderen Seite hatte ich die Flugsicherheit zu gewährleisten. Es nützt
niemanden, wenn vielleicht der gute
Wille da ist, aber durch einen Crash in
der Luft Opfer zu beklagen sind.
Das waren sie also - meine drei Probleme: Der Auftrag, die Gegebenheiten in der Luft und mein Ziel ...
und alles ist unter einen Hut zu bringen.
Bis jetzt waren alle drei Flugzeuge
auf meinem Radarschirm sicher horizontal gestaffelt, doch mit dem Sinkflug des Zieles und der höheren Geschwindigkeit der Phantoms war es
notwendig geworden, zusätzlich eine
vertikale Staffelung zu gewährleisten.
Inzwischen ging der Rottenführer in
eine Linkskurve, um seine Radarprobleme zu lösen und nicht in brenzlige
Situationen mit diesem ungewissen
Propeller-Flieger zu kommen.
Genau jetzt war der Bravo in einer
taktisch sehr günstigen Position zum
Ziel, er konnte mit seinem wesentlich
genaueren Jäger-Radar unser Luftziel
sehen und im Sinkflug der Propellermaschine hinterherfliegen.
Nachdem dieses „Sortieren“ dann
abgeschlossen war, meldete Bravo
erneut Zielauffassung (diesmal unter
der vermuteten Wolkenuntergrenze)
und setzte den Anflug fort - sein
Auftrag lautete ja Sichtidentifizierung.
Ohne eine verlässliche Aussage über
die genaue Höhe und Position des
Ziels darf und kann man den Jäger
aber nicht an das Ziel heranführen.
Deshalb verglich ich ständig die
Radarhöhen der QRA mit der bodenseitig bestimmten Höhe des Kleinflugzeuges und gab diese an die
Piloten weiter.
Dabei wäre automatisch eine „inflight-separation“, also eine räumliche
Trennung der beiden Phantoms her-
27
Flugsicherheit
gestellt worden: Bravo auf Westkurs
(hoch) hinter dem Ziel, Alpha (tief) auf
Ostkurs.
Nach der Anfrage, ob der Rottenflieger Bravo das Abfangen übernehmen
könnte, folgte dieser seinem Alpha - was
dazu führte, dass der (durch Radarausfall
und Wolken komplett „erblindete“) taktische Führer in der Luft (Alpha) nun ein
sinkendes Flugzeug zu verfolgen hatte,
von dem ich keine exakte Höhe,
geschweige denn eine Sinkrate bestimmen konnte.
Jetzt aber befanden sich die beiden
Maschinen in einer Situation, die
Alpha (sehr richtig aus seinem situativen Bild) als sehr gefährlich einschätzte. Da vorher versäumt wurde, ein
koordiniertes Airborne-TACAN9 in den
beiden Maschinen einzustellen, kannte er die Position seines Flügelmannes
nicht und beharrte auf der
Herstellung einer Höhenstaffelung
durch mich, den Radarleitoffizier.
Zu keiner Zeit aber war die Staffelung der beiden Flieger (die ich ja
auch zu überwachen habe) ein Problem, da sich aus den beiden (sehr
guten) Radarkontakten die horizontale Separierung ableiten ließ.
Dem Wunsch kam ich trotzdem
nach, indem ich mir von Bravo den
Radarkontakt zum Rottenführer bestätigen ließ und anschließend ein
Steig- und ein Sinkflugkommando
erteilte, das den Bravo nach unten,
Alpha hingegen nach oben brachte.
Damit hätte ich dann mit dem
„sehenden“ Flugzeug die noch tiefer
fliegende Propellermaschine erreichen
können, ohne noch einmal die Flughöhen „meiner“ Flieger zu kreuzen.
Auf Wiedersehen unter den Wolken...
Der Anflug erfolgte nach den ICAORegeln10 mit wenigen Knoten Fahrtüberschuss - welches anscheinend genau die Minimalgeschwindigkeit der
Phantom war - und endete mit einer
Sichtidentifizierung. „Super“, dachte
ich, „ab hier haben wir endlich wieder Standardverfahren!“ - erst mal
28
das Ergebnis der Identifizierung ans
CAOC übermitteln, in der Zwischenzeit den Kampfjet nebenher fliegen
lassen und dann die Entscheidung der
vorgesetzten Dienststellen wieder an
die QRA übermitteln. Doch auch hier
machte mir Murphy einen Strich
durch die Rechnung.
Der geplante Seite-an-Seite-Flug der
Piper Malibu (Geschwindigkeit: geschätzte 150 Knoten) und der Phantom war in der Form nicht möglich.
Bravo flog Kurven, um seine zu hohe
Fahrt in mehr Weg zu investieren und
damit effektiv langsamer zu werden,
scheiterte aber daran und brach wieder nach links weg, um eine Verzögerungskurve zu fliegen. Im selben
Moment aber übernahm der von hinten anfliegende Alpha wieder den
Einsatz und flog - mit dem „Gott sei
Dank“ wieder funktionsfähigen Radar
- von hinten an das Target.
Unterdessen - so erfuhr ich jetzt hatte der Pilot der Propellermaschine
über Handy Verbindung mit Stuttgart
Tower aufgenommen. Er bat darum,
von den ihn umkreisenden Kampfjets
zum Flugplatz geführt zu werden.
Scheinbar war ein elektrischer Fehler
im Cockpit schuld an dem Ausfall desselben - inklusive aller Navigationseinrichtungen und Hilfssysteme. „Upps!“
dachte ich, „das kann ja heiter werden mit solch einem Geschwindigkeitsüberschuss!“ Doch die QRA löste
das Problem ganz elegant mit Hilfe
eines Racetrack-Pattern - also ständig
abwechselnd am Ziel vorbeifliegen,
um dem Piloten so den Weg zu weisen.
Nach dem Einflug in den Zuständigkeitsbereich der Stuttgarter Anflugkontrolle koordinierte ich mit eben
diesem Radararbeitsplatz das weitere
Vorgehen. Diese sehr gute Zusammenarbeit war beeindruckend. Mir
wurden alle „Wünsche“ erfüllt und
anschließend die „Kontrolle und
Kommunikation“ mit der Alarmrotte
übernommen. Zeit zum Durchatmen
- dachte ich.
Das Flugverhalten der Phantoms
unter ziviler Kontrolle kam mir recht
merkwürdig vor für den Anflug auf
Stuttgart. Diverse Anrufe bei Stuttgart
Tower aber ließen mich erfahren, dass
die Piper Malibu auch Probleme hatte,
ihr Fahrwerk auszufahren und deswegen mehrere Anflüge abbrechen musste. Währenddessen drehten „meine
Phantoms“ über Stuttgart Kreise und
ließen die immer noch suspekte
Maschine nicht aus den Augen. Auch
die Parameter für die Rückführung
der QRA nach Neuburg wurde in diesen Minuten koordiniert - sowie die
eine oder andere Nachfrage unserer
vorgesetzten Dienststellen weitergeleitet, Nachfragen der Phantoms an
mich beantwortet und nicht zuletzt
auch militärische Flugverfahren mit
dem Anfluglotsen besprochen - an
dieser Stelle sieht man schon, wie hier
Stress aufgebaut werden kann. Ein
Luftnotfall mit Landeproblemen, zwei
Kampfflugzeuge auf der Frequenz
und dutzendweise Telefonate mit
dem Kollegen von der Luftverteidigung. Meinem Kollegen bei der zivilen Flugsicherung ging es nicht anders
als mir!
Der lange Weg nach Hause ...
Für die Rückführung nach Hause
ging mein Plan auch an Murphy
zugrunde. Die gemeldete Landung
der Piper in Stuttgart kam nicht so
schnell bei der Führung an, wie ich
wieder Funkkontakt zur Alarmrotte
hergestellt hatte. Den bei mir im Kopf
abgeschlossenen Einsatz wollte ich
nun durch die Rückführung nach Neuburg beenden, als aus dem CAOC der
Auftrag kam, weiterhin über Stuttgart
zu kreisen. Also wieder Approach
anrufen, diesem mein Anliegen klarmachen (Kreise ziehen), Piloten zum
Frequenzwechsel auffordern, zurücklehnen - gerade nach dem Wechsel
der Kontrollfrequenz erging dann der
nächste Befehl zum Heimflug.
Anruf, kurze Darstellung der neuen
Situation, LK56 zurück auf meine
II/2005 FLUGSICHERHEIT
Frequenz11. Keine Minute später wird
dann der Schutzflug aber auch noch
in einen Übungsschutzflug umgewandelt. Diesen darf ich aber nicht über
Flugfläche 100 kontrollieren (dieser
Luftraum „gehört“ der zivilen Flugsicherung), da fast alle Sonderrechte
der Maschinen hinfällig werden. Der
letzte Anruf nach Stuttgart, zum
Schluss ein „Sorry, für die Umstände
...“ und das sichere Gefühl, mein Gesprächspartner hat gerade so viel
Falten in der Stirn wie ich unter den
Augen ...
Die QRA setzt ihren Heimflug nach
dem ich-weiß-nicht-wievielten Frequenzwechsel in der letzten Viertelstunde ohne Probleme unter Münchner Kontrolle fort und schließt diese
Mission mit einer normalen Landung
dort ab ...
... wenigstens gab es etwas Normales - die sichere Landung meiner
Pantoms - an diesem Pfingstmontagabend. Um 18:00 Z konnte die Nachtschicht beginnen ...
Fazit
Auch wenn der Einsatz der Luftverteidigung seit Bestehen der
Bundeswehr fast täglich geübt wird,
auch wenn es beinahe wöchentlich zu
Einsätzen der Alarmrotte auf suspekte
Flugziele im Luftraum kommt - man
darf nie in festgefügte Schemen verfallen. Jede Mission hat ihre Eigenheiten. Und auch wenn man denkt,
alles in irgendeiner Form schon einmal
erlebt zu haben, sollte man nicht
damit rechnen, dass mal für alle
Fallkombinationen das passende
Denkschema parat hat.
Der Abfangeinsatz unter Instrumentenflugbedingungen auf ein sehr
langsames Flugzeug - mit einem nur
ungenauen Radarbild kann meines
Erachtens nach schon als „worst-casemission“ angesprochen werden. Ich
habe daraus gelernt, dass meine
Ausbilder sehr gut daran getan
haben, mir Flugsicherheit als oberstes
Gebot zu verinnerlichen.
In dieser Situation kommt man
schnell an einen Punkt, in dem der
innere Schweinehund namens „Ehrgeiz“ versucht, den Auftrag mit allen
möglichen Mitteln durchzuführen.
Und hier muss man sich selbst zurückpfeifen. Der Auftrag „Sicherstellung
der Integrität des Luftraums“ (also
einer eher abstrakten Größe) muss
unter solchen Voraussetzungen zurückstehen, bis die konkrete Größe
„Flugsicherheit“ nicht mehr gefährdet
ist.
Gegenseitige Hilfe ist hier kein
Zeichen von Unprofessionalität, sondern einfach das bestmögliche Ausnutzen aller zur Verfügung stehenden
Mittel. Als Einsatzführungsoffizier
habe ich den Gesamtüberblick über
die Situation, überwache den Anflug
an das Ziel, stelle die Trennung der
beiden F-4F untereinander sicher und
beobachte den Luftraum um das
„Theater“. Daneben bin ich für die
taktische Leitung des Gesamteinsatzes zuständig.
Die Piloten haben, mit ihren
wesentlich höheren Abtastraten am
Flugzeugradar aber das bessere Detailbild. Wenn wir nun gegenseitig die
vollen Fähigkeiten der jeweiligen
Systeme kennen und im Ernstfall auch
deren Grenzen beachten - dann können wir das Optimum für den Einsatz
(eine schnelle Identifizierung) und die
bestmögliche Flugsicherheit gewährleisten.
Wir müssen die Kommunikation
zwischen den Piloten und Einsatzführern intensivieren. Jeder Nutzer
militärischer Radarführung sollte sich
im Klaren sein, welche Informationen
(mit welcher Glaubwürdigkeit) er vom
CRC erwarten kann, genauso wie wir
uns in das Cockpit des Abfangjägers
versetzen müssen. Dazu gehören
nicht nur die obligatorischen telefonischen Besprechungen vor und nach
jeder Mission, sondern auch regelmäßige Besuche beim jeweils anderen
- zum Kennenlernen der Systeme.
Menschenleben gehen über alles.
Unsere Piloten in den F-4F haben ihres
riskiert, um der Besatzung der Piper
Malibu zu helfen. Das Risiko kann nur
minimiert werden - und dafür müssen
wir alle lernen, den anderen besser zu
verstehen.
1) QRA – Quick Reaction Alert, Alarmrotte zur Luftverteidigung. Deutschland hält je zwei bewaffnete Abfangjäger in einer fünfzehnminütigen Bereitschaft in Wittmundhafen
und Neuburg an der Donau.
2) Notice to Airmen – Nachrichten für Luftfahrer
3) LOOP ist die Fernsprechkonferenz, in der alle diensthabenden CRCs und CAOCs miteinander Informationen von allgemeinem Interesse austauschen
4) aktives Gerät, welches auf die Abfrage eines bodenseitigen Radars einen vierstelligen Zahlencode und die Flughöhe übermittelt und damit die Identifizierung ermöglicht.
Die zivile Flugsicherung arbeitet fast ausschließlich mit Sekundärradarzielen.
5) d. h. die Radarwelle wird nur vom Objekt reflektiert, von der hierbei ermittelten Position und Höhe abgesehen, werden keinen weiteren Informationen bereitgestellt
6) CAOC – Combined Air Operations Center, vorgesetzte NATO-Dienststelle der Luftverteidigung, die übergreifend alle CRCs und diensthabende Alarmrotten der
Jagdgeschwader führen
7) CRC – Control and Reporting Center, militärische Radarüberwachungsstation und Flugleitstelle
8) FüZNatLV – Führungszentrum nationale Luftverteidigung, eine Koordinierungsstelle, die nach dem 11. September eingeführt wurde, um bei Bedrohungen aus der Luft
Vertreter der Ministerien für Inneres, Verteidigung und Verkehr zu haben. Stationiert in Kalkar leistet dieser „Krisenstab“ auf Abruf 24 Stunden Dienst an sieben Tagen in
der Woche – also genau wie wir im CRC.
9) Airborne TACAN – System, das ermöglicht, Richtung und Entfernung zum eingestellten Sender abzulesen. Wird benutzt, um bei der Auftrennung („split“) einer Rotte und
Verlust des Sichtkontakts dessen Position genau bestimmen zu können.
10) Von hinten dem Ziel nähern und mit 20 Knoten „Überholgeschwindigkeit“ bis an dessen Position herankommen, anschließend verlangsamen und parallel fliegen.
11) da ein Schutzflug von mir als Militärlotsen geführt wird, sollte die zivile Flugsicherung ihn nur so wenig wie nötig kontrollieren, um das Übermitteln von
Führungsentscheidungen so schnell wie möglich zu ermöglichen
II/2005 FLUGSICHERHEIT
29
Dieser Artikel wurde von Capt P.
Geelen, RNlAF erstellt, in Veilig
Vliegen 04/2003 veröffentlicht und
von OStFw d.R. Karl Heinz Weiß
übersetzt.
Turkish delight...
Der in diesem Artikel beschriebene Vorfall spielte
sich Anfang der neunziger Jahre auf der Konya
AFB in der Türkei ab.
Hauptdarsteller war eine
NATO E-3A Sentry
(AWACS). Die - aus fünf
Nationen zusammengesetzte - Besatzung machte sich auf den Weg zu
einem neun
Stunden dauernden Überwachungsflug.
Staffel - hatte viel Flugerfahrung und
der Navigator (schon lange in der
Staffel) hatte sehr viel Erfahrung auf
diesen Typ. Soviel zur Besatzung,
kommen wir nun zur Beschreibung
der Ereignisse von AnAnfang an.
An Bord waren 17 Personen, davon vier von der
Flight Crew. Der Kommandant war auf diesem
Luftfahrzeugtyp sehr erfahren und schon recht
lange Zeit bei der betroffenen Staffel. Dagegen
war der Co-Pilot neu in der
Einheit und hatte nur wenig
Erfahrung auf diesem Luftfahrzeugmuster. Der FlightEngineer - ebenfalls neu in der
30
Die Ouvertüre
Nach der Landung auf Konya AFB
wurden während des Roll-Outs heftige Vibration im Bugfahrwerk gefühlt.
Bei der Inspektion am Boden konnten
jedoch keine Besonderheiten festgestellt werden. Um das Bugrad auf
eventuelle Vibrationen zu checken,
beschloss man zusammen mit der
Technik, vor dem folgenden Flug
einen High Speed Taxi Run durchzuführen. Absicht war dies während
des Rollvorgangs zum Start zu tun.
Blieben dabei die Vibrationen aus,
sollte in den Take Off für die neun
Stunden dauernde Mission übergegangen werden. Bei Auftreten von
Vibrationen sollte zum Liegeplatz
zurückgekehrt werden.
Um Zeit zu sparen beschloss der
Kommandant, den High Speed Taxi
Run gegen die Landerichtung
auf der Runway
auszu-
führen.
Bei Ausbleiben der
Vibrationen - wenn alles für gut
befunden wurde - sollte dann nach
einer 180°-Kehre in den Take Off übergegangen werden. Bei der Flugplanung wurde ein maximales Startgewicht von 325.000 lbs zu Grunde
gelegt. Auch die Maximalgeschwindigkeit für den Taxi Run wurde mit
dem Ziel festgelegt, innerhalb der
Limits der Bremsanlage zu bleiben.
Am Tag des geplanten Fluges war
ziemlich viel lokaler Flugverkehr durch
II/2005 FLUGSICHERHEIT
Bild: Archiv GenFlSichhBw
Flugsicherheit
Fighter. Es war sehr mühsam, dem
Controller auf dem Tower wegen dessen schlechter Beherrschung der englischen Sprache - Stückchen für Stückchen - die Absicht der Crew zu übermitteln. Kurz um, beim ersten Run
zeigte sich, dass es noch zu Vibrationen am Bugrad kam - dieses Mal aber
bei einer anderen Geschwindigkeit als
beim ersten Mal. Der Bitte an den
Tower, die Runway am Ende verlassen
zu können, wurde mit Cleared for
take-off? beantwortet. Mittlerweile
kamen aber Fighter auf dem Taxiway
entgegen, was für die E-3A ein Verlassen der Runway nicht mehr ermöglichte!
Der Kommandant beschloss deshalb, das Luftfahrzeug mit einer 180°Drehung auf der Bahn zu wenden,
beim ersten Rollweg die Bahn zu verlassen und zum Liegeplatz zurückzurollen. Nach dem Wenden schob er
die Gashebel nach vorn um zu rollen,
um sie dann überraschend auf beinahe Volllast zu schieben! Dies zusammen mit der Bemerkung: “Lasst uns
sehen, wann nun die Vibration beginnt“. Es spricht für sich selbst, dass
dieses Manöver jeden im Cockpit
erstaunte ... Am anderen Ende der
Bahn angekommen, fragte der Tower,
ob es Probleme gab und ob Hilfe
erforderlich sei, was durch den Kommandanten verneint wurde. Das wiederum stürzte den Tower-Controller
sichtlich in Verwirrung. Von diesem
Moment an hielt er sich (in türkischer
Sprache) allein an seine Fighter im
Traffic Pattern. Auf unsere Calls reagierte er darauf nicht mehr!
Beim Zurückrollen erklärte uns der
Kommandant, dass er diesen extra
Run gemacht habe, um präzise festzustellen, was mit diesem Flugzeug
los sei. Auf die Frage, ob er die zusätzliche Beanspruchung der Bremsen
berechnet habe, reagierte er mit
einem Bremsversuch, um diese zu
checken. Sowohl Co-Pilot als auch
Bordingenieur waren sich einig, dass
die Limits der Bremsanlage bei wei-
II/2005 FLUGSICHERHEIT
tem überschritten wurden! Es musste
mit Hot Brake - und allem was dazu
gehört - gerechnet werden. Versuche,
über den Tower Hilfe von der Feuerwehr zu erhalten, wurden ignoriert.
Der Controller beschäftigte sich noch immer in türkischer Sprache mit dem Airborne Traffic. Die MissionCrew der AWACS wurde per Intercom
auf eine eventuelle Evakuierung des
Flugzeuges auf Weisung des Kommandanten vorbereitet.
Nun befand sich also eine soeben
abgestellte NATO E-3A Sentry mit Hot
Brakes und vollgetankt auf dem Liegeplatz. Zu großen Erstaunen der Crew
sahen diese - noch bevor dazu ein
Zeichen gegeben wurde - ein Mitglied
der Mission-Crew weglaufen! Darauf
folgte - auf Weisung des Kommandanten – ein Emergency Ground
Egress für den Rest der Mission Crew.
Derweil neigte sich das Flugzeug zur
Seite, was auf einen (oder mehrere)
drucklose(n) Reifen hin deutete. Vor
dem Abschalten der Bordspannung
wurde noch versucht, über Ground
Control die Feuerwehr zu verständigen, was aber auch vergeblich war.
Draußen am Fahrwerk zeigte sich,
dass bei acht Hauptfahrwerkrädern um eine Explosion der Reifen wegen
Überdruckszuverhindern-dieSchmelzsicherungen ausgelöst hatten. Der
Rauch, der sich durch das Schmelzen
der Sicherungen wegen der Überhitzung der Felgen entwickelte, wurde
durch die türkische Ground Crew als
Brandherd interpretiert. Sie beschlossen, diesen Brand mit Hilfe von kaltem Wasser zu löschen, was gemäß
Vorschrift wegen der Explosionsgefahr des Reifens und der Felge ausdrücklich verboten ist! Gott sei Dank
konnte der Bordingenieur das Löschen
mit Wasser aber verhindern.
Nachdem die Räder auf natürliche
Weise abgekühlt waren, wurde eine
Inspektion des Fahrwerks durchgeführt. Es zeigte sich, dass mehrere
Reifen platt waren und einige Felgen
bombenfest auf den Achsen saßen.
Lessons learned?
Aus diesem Vorfall kann eine Anzahl von Lesson Learned gezogen
werden. Weil wir überzeugt sind, dass
sie das selbst gut können, belassen
wir es dabei. Zwei wichtige Lessons
wollen wir ihnen aber trotzdem - zur
Abrundung dieses Artikels - nicht vorenthalten:
Stick to your plan! Aber wenn davon abgewichen wird oder abgewichen werden muss, dann lassen Sie
das die übrigen Besatzungsmitglieder
wissen.
Be prepaired to raise the bulsh..
flag! D.h.: Weisen Sie darauf hin, dass
Ihrer Meinung oder Ihrem Wissensstand nach etwas so nicht geht oder
anders sein muss. Dies gilt für jedes
Mitglied der Besatzung.
31
Flugsicherheit
Wir begrüßen
Dezernat C wurde seit dem 01. April 2005 durch Major Norbert Burmeister
verstärkt. Im Sommer 1978 trat er in die Bundeswehr ein und durchlief die Ausbildung
zum Hubschrauberpiloten. Von 1981 an war er als Einsatzpilot für fast acht Jahre beim
HFlgRgt 6 in Itzehoe, es folgte die Versetzung zum mTrspHubschrRgt 15 in Rheine. Hier
war er als stv Schwarmführer, S3-Offizier, Schwarmführer und Einsatzstabsoffizier eingesetzt worden. Die gesammelten Erfahrungen, besonders während den beiden Einsätzen
im Rahmen ISAF (Kabul und Termez), möchte er in seiner neuen Tätigkeit als Sachbearbeiter CH-53 einfliesen lassen und u. a. mit einem offenen Dialog zur Truppe flugsicherheitsrelevante Probleme lösen.
Wir verabschieden
Oberstleutnant Eugen Weiss hat zum 31.03.2005 die Bundeswehr verlassen.
Sein beruflicher Werdegang in der Bundeswehr begann 1972 mit der Grundausbildung
in Fritzlar. Nach der Offizierausbildung an der Infanterieschule Hammelburg absolvierte
er ein Hochschulstudium der Wirtschafts- und Organisationswissenschaften in München
mit dem Abschluss Diplom-Kaufmann. Für zwei Jahre führte er einen Zug beim
PzGrenBtl 142 in Koblenz bevor seine fliegerische Laufbahn begann. Der Hubschraubergrundausbildung in Bückeburg schlossen sich Verwendungen als Verbindungshubschrauberpilot auf dem Luftfahrzeugmuster Al II in Mendig, als Einsatzoffizier einer
Al II - Staffel in Niederstetten, als Schwarmführer auf PAH in Roth, mit der Umschulung
auf LTH/MTH (incl. die Berechtigung als IFR Rotary Wing Examiner) die Versetzung nach
Mendig an. In den Jahren 1991 bis 1996 flog er zahlreiche Einsätze im Irak für UNSCOM
und im Kosovo für KFOR. Seit dem Oktober 2000 war er der FlSichhOffz im HFlgRgt 35.
Seine letzte Versetzung führte ihn in das Luftwaffenamt, zur Abteilung FlSichhBw. Hier
war er Sachbearbeiter für die Unfall- und Zwischenfalluntersuchungen, verantwortlich
im Bereich der Hubschrauber für die Waffensysteme CH-53 und UH-Tiger.
Wir wünschen für den nun kommenden Lebensabschnitt alles Gute.
Frau Brigitte Massa ist in den Ruhestand gegangen, nachdem sie 42 Jahre für die
Bundeswehr gearbeitet hat, davon alleine 32 Jahre bei der Dienststelle GenFlSichhBw im
Vorzimmer des Generals. Der „Besen der Abteilung“- wie sie sich selbst nannte - hat
sich in dieser Zeit besonders als Wächterin aller schriftlichen Ausarbeitungen hervorgetan. Darüberhinaus hat sie mit subtilem Nachdruck die Steuerung der Termine der
Führung der Abteilung bewältigt.
Im nun folgenden Lebensabschnitt wünscht die Abteilung Gesundheit und Zufriedenheit.
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II/2005 FLUGSICHERHEIT