Gedanken eines Kinderkardiologen
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Gedanken eines Kinderkardiologen
Gedanken eines Kinderkardiologen Achim A. Schmaltz, Prof. Dr. med., Direktor der kinderkardiologischen Abteilung Zentrum für Kinderheilkunde, Universitätsklinik Essen Kürzlich stieß ich auf eine interessante Studie, die, obgleich im Deutschen Ärzteblatt publiziert, wenig Beachtung gefunden hat: Die bayerische Fehlbildungsstudie 1984 bis 1991. 984 570 lebend geborene Kinder mit Wohnsitz in Bayern wurden darin erfasst. 7 020 davon hatten eine HerzGefäß-Fehlbildung, was einem Verhältnis von 7,1 Kindern mit angeborenem Herzfehler auf 1 000 Neugeborene entspricht. Diese recht aktuelle Zahl aus unserem Land liegt deutlich höher als die aus anderen Untersuchungen, die nur vier bis sechs angeborene Herzfehler auf 1 000 Lebendgeborene fanden. Weiter fand sich in Bayern in dieser Gruppe eine Sterblichkeit von 11,9 Prozent im ersten Lebensjahr. Aus inoperabel wurde häufig operabel Blenden wir zurück in die Mitte der 60er Jahre, so fanden Apitz und Mitarbeiter (1967) eine Sterblichkeit von 34,5 % im ersten Lebensjahr. Diese eindrucksvolle Besserung der Lebensaussichten von Kindern mit angeborenen Herzfehlern ist zunächst auf die Einführung der medikamentösen Therapie der Herzschwäche zurückzuführen, gleichzeitig aber auf die enormen Fortschritte in der Diagnostik und der chirurgischen Therapie der angeborenen Herzfehler. Noch Anfang der 70er Jahre lautete die häufigste Diagnose in unserer kinderkardiologischen Sprechstunde Verdacht auf Vitium cordis, das heißt: Verdacht auf Herzfehler. In jahrelanger Beobachtung erhärtete sich der Verdacht, so dass eine Herzkatheteruntersuchung notwendig erschien, oder der Verdacht wurde entkräftet und weitere Kon8 trollen waren überflüssig. Dieses änderte sich Anfang der 80er Jahre mit der Entwicklung der zweidimensionalen Echokardiographie, die es uns zusammen mit der Farbdoppler-Echokardiographie heute erlaubt, bei der Erstvorstellung des Neugeborenen mit einer Treffsicherheit von über 95 % die endgültige Diagnose zu stellen, zu der die Herzkatheterisierung meist nur noch ergänzende Diagnosedetails hinzufügen kann. Die Zahl der Herzkatheterisierungen sollte deshalb auch nicht mehr als gesundheitspolitische Plangröße in der Kinderkardiologie verwandt werden. Mancher von uns Ärzten hat die Erfahrung gemacht, dass man den Eltern eines Kindes anfangs den Herzfehler als inoperabel geschildert hat. Später konnte der Herzfehler – durch die schnelle Entwicklung der Herzmedizin, insbesondere der Herzchirurgie – doch endgültig korrigiert werden oder die Beschwerden ließen sich durch eine Operation so vermindern, dass sich die Lebensqualität entscheidend verbesserte. Selbst das hypoplastische Linksherzsyndrom (HLHS), das bis in die 90er Jahre hinein als inoperabel galt, wird heute, wenn auch in mehreren, schwierigen Schritten, operativ angegangen, die Überlebenschancen verbessern sich von 0 auf 60 bis 80 %. Eine weitere ungemein befriedigende Entwicklung stellt die interventionelle Kardiologie, das heißt die Eingriffe mit Kathetertechnik, dar, die von den Kinderkardiologen ausging. 1953 verwandte Rubeo-Alvares einen Katheter, in dessen Spitze ein dünner Draht montiert war, um diese wie einen Bogen zu krümmen und mit der Sehne des Bogens, dem Draht, eine Pulmonalverengung einzuschneiden. 1966 führten Rashkind und Miller die Ballonatrioseptomie, die Entfernung der Die Entwicklung einer hochtechnischen Medizin hat Kindern mit angeborenem Herzfehler, die bisher als inoperabel galten, neue Chancen eröffnet. Vorhofscheidewand, bei Transposition der großen Gefäße ein und verbesserten mit diesem Eingriff die Lebensaussichten dieser Neugeborenen eindrucksvoll. Heute gehören die nichtoperative Erweiterung der kindlichen Pulmonalund Aortenverengung, der Coil-Verschluss (Verschluss mit einer Metallspirale) des Ductus sowie der Verschluss des Vorhofseptumdefekts vom Sekundum-Typ mit gutem Randsaum mittels verschiedener Schirmchen-Systeme (Okkluder) zum festen Repertoire des Kinderkardiologen, der vom Diagnostiker zum Therapeuten geworden ist. Die Herzchirurgie wird auf komplizierte Fälle beschränkt. lichkeit vor und nach den Operationen weiter zu senken und die Qualität der Kathetereingriffe zu verbessern. Noch heute bleiben kritisch kranke Neugeborene in kleinen Entbindungsstationen zu lange unentdeckt, bis sie in einen so schlechten Zustand kommen, dass sie nach dem Transport ins regionale Zentrum nicht mehr zu retten sind. Die Sterblichkeit im ersten Jahr ist noch zu hoch Erfindungsreichtum ohne Grenzen 11,9 % Sterblichkeit der Kinder mit angeborenen Herzfehlern im ersten Lebensjahr ist aber andererseits eine erschreckend hohe Zahl, an der es zu arbeiten gilt. Am wichtigsten ist sicherlich eine weitere Verbreitung der strengen Qualitätsmaßstäbe der Herzchirurgie, wie wir sie aus den führenden Zentren kennen. Daneben gilt es, die Sterb- Weiterhin kann die Kombination von Kathetereingriffen und erfolgreichen operativen Maßnahmen einen entscheidenden Beitrag leisten: Dem Chirurgen bleibt es vorbehalten, bei der Pulmonalatresie mit Ventrikelseptumdefekt (VSD) diesen mit einem Flicken zu verschließen und den rechten Ventrikel mit einer Gefäßprothese 9 gen. Erste Schritte der Therapie nicht nur von Rhythmusstörungen, sondern auch von Klappenverengungen im Mutterleib sind bereits getan, weitere werden ganz sicher folgen. Psychosoziale Versorgung nicht vergessen mit den Pulmonalishauptästen zu verbinden. Der Kinderkardiologe verschließt dann interventionell Kollateralarterien, vermindert somit die überschießende Lungendurchblutung, kürzt den operativen Eingriff ab und erleichtert ihn. Zweifellos sind auch dem Erfindungsreichtum der Herzchirurgen noch längst keine Grenzen gesetzt. Neue Operationsverfahren sind durchaus noch vorstellbar. Auf dem Gebiet der Kathetereingriffe bringen neue Materialien der Ersatzteile, die eingesetzt werden, neue Möglichkeiten der Therapie. Während die bisherigen Materialien ein Leben lang im Organismus bleiben, würden abbaubare Materialien zweifellos bei späteren diagnostischen Maßnahmen (z. B. Kernspintomographie) Vorteile bieten. Schließlich wird die gesamte Therapie der Rhythmusstörungen vom Kleinkindalter an durch die Elektrophysiologie und die Anwendung von Hochfrequenzenergie (Ablation) geradezu revolutioniert. Die Echokardiographie des ungeborenen Kindes während der Schwangerschaft stellt in der Diagnostik der angeborenen Herzfehler den entscheidenden Fortschritt des letzten Jahrzehnts dar. Sie ermöglicht heute den Transport des noch nicht geborenen Patienten in ein spezialisiertes Zentrum und verbessert so seine Startbedingun10 Neben all diesen operationstechnischen und medizinischen Verbesserungsmöglichkeiten, die zu einer Senkung der Sterblichkeit von Kindern mit angeborenen Herzfehlern beitragen, sollte nicht vergessen werden, dass zu einer guten Lebensqualität auch die psychosoziale Versorgung der Patienten und ihrer Familien gehört. Krankheit, Komplikationen, medikamentöse Behandlungen oder Operationen sowie lang dauerende und zum Teil mehrfache Krankenhausaufenthalte verändern den Lebenslauf des Kindes, aber auch der Eltern und der Geschwister ganz erheblich und führen zu psychischen Belastungen – nicht selten mit psychischen und Folgeerscheinungen bei Patienten und Familienmitgliedern. Diesen Folgeerscheinungen vorzubeugen, die psychischen Belastungen rechtzeitig anzugehen und Konfliktsituationen aufzulösen und entgegenzuwirken, ist die Aufgabe einer psychosozialen Versorgung. Damit sind die Ärzte der spezialisierten Kliniken eindeutig überfordert. Hier bedarf es einer professionellen Hilfe durch psychosoziale Mitarbeiter (Psychologen, Sozialpädagogen, Sozialarbeiter). Wir wünschen uns für das neue Jahrhundert nicht nur, dass das herzkranke Kind optimal behandelt wird, sondern dass ein solches Kind – gestützt und getragen von seiner Familie – mit Optimismus in die Zukunft schauen kann.