Michael Haneke
Transcrição
Michael Haneke
Christian Wessely / Gerhard Larcher / Franz Grabner (Hrsg.) Michael Haneke und seine Filme Eine Pathologie der Konsumgesellschaft Inhalt Vorwort .................................................................................................. 7 Franz Grabner „Der Name der Erbsünde ist Verdrängung“ ............................................ 11 Ein Gespräch mit Michael Haneke Georg Seeßlen Strukturen der Vereisung ...................................................................... 25 Blick, Perspektive und Gestus in den Filmen Michael Hanekes Bert Rebhandl Kleine Mythologie des Schwarzfilms ...................................................... 45 Karl Ossenagg Der wahre Horror liegt im Blick ............................................................. 53 Michael Hanekes Ästhetik der Gewalt Harald Meindl Zum Erhabenen im Kinowerk Michael Hanekes ...................................... 83 Ästhetisch-theologische Hinweise Jörg Metelmann Die Autonomie, das Tragische ........................................................... 113 Über die Kehre im Kinowerk von Michael Haneke Davide Zordan Das Versuchskaninchen und die Beobachter........................................ 131 Das Kino als Labor bei Michael Haneke Andreas Kilb Fragmente der Gewalt ......................................................................... 163 Bildfetisch und Apparatur in BENNYS VIDEO Gerhard Larcher Theologie und Ästhetik ....................................................................... 175 Fundamentaltheologische Prolegomena und filmische Konkretionen zum Werk Hanekes Christian Wessely Virtualität – Realität – Medialität .......................................................... 195 Wirklichkeitsdimensionen in BENNYS VIDEO Alexander Darius Ornella Das Spiel mit der Wirklichkeit ............................................................. 213 Gedanken zur medialen Konstruktion von Wirklichkeit anhand des Films FUNNY GAMES Mario Schönhart Einbruch und Wiederkehr .................................................................... 223 Reflexionsfragmente zu Michael Hanekes Film CACHÉ Benjamin Schacht Rituale, Regeln und Paradoxien in Michael Hanekes Gesellschafts-Spielen .......................................................................... 249 Theresia Heimerl Vom Kampf der Geschlechter zur Pathologie der Liebe........................ 271 DIE KLAVIERSPIELERIN Elfriede Jelineks in der Verfilmung Michael Hanekes Stefanie Knauß Vom Fremdsein, der Befremdlichkeit und der Einsamkeit .................... 297 DAS SCHLOSS von Michael Haneke Monika Leisch-Kiesl Es sind Fragen aufgetreten und offen geblieben, von denen ich hoffe, dass sie nicht allzu schnell beantwortet werden (können) ......... 319 Michael Haneke – Robert Bresson Stefanie Knauß Text-Bilder, Bild-Texte ......................................................................... 341 Hanekes Literaturverfilmungen für das Fernsehen Peter Hasenberg Im Medium der Einschränkungen. ...................................................... 363 Eine Passage durch die Fernsehfilme von Michael Haneke Charles Martig Wieviel Haneke erträgt der Mensch? .................................................... 391 Pamphlet gegen das Kino des philosophisch-cineastischen Sadismus Alexander Horwath No Exit ............................................................................................... 397 Ein Essay über und ein Gespräch mit Michael Haneke Michael Haneke .................................................................................. 409 Lebensdaten und Filme Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes ......................................... 413 Vorwort 7 Vorwort Es ist nicht selbstverständlich für ein wissenschaftliches Filmbuch, eine zweite Auflage zu erleben. So ist es eine große Freude für die Herausgeber, schon nach recht kurzer Zeit eine neue, vollkommen überarbeitete und erweiterte Auflage dieses Bandes präsentieren zu können. Das mag mit daran liegen, dass es fast unmöglich ist, von Michael Hanekes Filmen nicht herausgefordert oder provoziert zu sein – ein Umstand, von dem die große Bandbreite der Beiträge in diesem Band zeugt, von den Interviews über die wissenschaftlichen Fachartikel bis hin zur kritisch-polemischen Auseinandersetzung. Am Institut für Fundamentaltheologie an der Universität Graz, das es zu seinen Aufgaben zählt, interdisziplinäre Brücken zu bauen und den Dialog zwischen Universität und Gesellschaft mitzutragen, gibt es seit mittlerweile fünfzehn Jahren den Arbeitsschwerpunkt „Ästhetik und Theologie“ mit Projekt „Film und Theologie“ an einem zentralen Platz. Die Arbeit in diesem Bereich ist insbesondere durch die Erfahrung motiviert, dass die Luft in der geistigen Auseinandersetzung um Grundwerte und Zielperspektiven unseres Miteinanderlebens dünn geworden ist. Eine Megakonstellation von High Tech, Big Business und Medien ist dabei, die Weltzivilisation mit einer Ästhetik der Marktes zu überziehen. Es besteht die berechtigte Sorge, dass die Konsumgesellschaft möglicherweise von einer gigantischen Unterhaltungs- und Vernebelungsindustrie mit entsprechenden Interessen bewegt wird und dass kaum jemand dagegen Widerstand zu leisten wagt. Dies hat auch Konsequenzen für ethisches und politisches Verhalten sowie für die Überzeugungskraft des christlichen Glaubens. „[Michael Haneke...] will beweisen, dass die Kälte nicht mit dem repressiven Bürgertum untergegangen ist, sondern sich im postmodernen Subjekt fortsetzt, in den aufgeklärten Verhältnissen und kulturell aufgeschlossenen Milieus, die ihre Klavierabende mit Lachsschnittchen und Adorno-Zitaten garnieren, naturgemäß tolerant, dem Geist ergeben und gern auch dem Geld.“1 1 Thomas Assheuer, Komm, bleib mir fern. Das Leben als Misshandlung: Michael Haneke verfilmt Elfriede Jelineks „Die Klavierspielerin“, in Die Zeit 42/2001 (http://zeus.zeit.de/text/ archiv/2001/42/200142_klavierspielerin.xml, abgerufen am 8.8.2005) 8 Vorwort Thomas Assheuers spitze Bemerkung zu Hanekes Verfilmung der „Klavierspielerin“, des Romans von Elfriede Jelinek, könnte man für Hanekes Filme generell gelten lassen: Selten wird mit ästhetischen Mitteln in so konsequenter Präzision gnadenlose – und daher schwer erträgliche – Gesellschaftskritik geübt wie bei ihm, dem vielfach ausgezeichneten, international hoch geachteten „Pathologen der Konsumgesellschaft“. Spätestens seit seiner Kinotrilogie DER SIEBENTE KONTINENT (1989), BENNYS VIDEO (1992) und 71 FRAGMENTE EINER CHRONOLOGIE DES ZUFALLS (1994) ist seine Handschrift nicht nur einer Handvoll Cineasten, sondern einem breiten Publikum bekannt, das bereit ist, sich seinen Filmen auszusetzen. Denn ein „Sich-Aussetzen“ ist es allemal: Hanekes Filme tun dem Publikum Gewalt an. Nicht indem sie Gewalt zeigen, die sich auf die obszöne Zurschaustellung explodierender Autos oder zerfetzter Körper beschränkt, sondern indem sie die Sehenden zur Selbständigkeit vergewaltigen. Sie lassen dem Publikum Freiräume, in denen die Phantasie das weiterspinnt, was filmästhetisch nur angedeutet und im Nicht-Zeigen wirksamer als in seiner bildlichen Umsetzung ist. Haneke wird dabei nie moralisierend, sehr wohl aber moralisch, indem er seine Hoffnung eher auf die kathartische Wirksamkeit des Schreckens setzt, der Zuseherinnen und Zuseher befällt, wenn sie realisieren, dass eigentlich sie es sind, von denen dieser Film spricht. Diese Art des Sprechens könnte man auch in alttestamentlicher Tradition als „prophetisch“ bezeichnen. Und in der Tat ist es genau diese Redeweise, die das Interesse von Theologinnen und Theologen geweckt hat, welche angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen in der neoliberalen Gesellschaft der „New Economy“ vor der Herausforderung stehen, ihre Stimme kritisch zu erheben, einzutreten für die Modernisierungsverlierer in materieller und seelischer Hinsicht und hinzuweisen auf die Konsequenzen, die ein lineares Fortschreiben der gegenwärtigen Tendenzen unweigerlich nach sich ziehen würde. So kommt es in diesem Band zu einem Dialog von Autorinnen und Autoren unterschiedlichster fachlicher Ausrichtung mit dem Regisseur und seinem Werk, um zu erfragen, wie unsere Gesellschaft aussähe, wenn sie nicht durch unsere anders trainierte und etwas träge Wahrnehmung behübscht würde, sondern nackt vor uns stünde. Graz, im Jänner 2008 Christian Wessely Gerhard Larcher Franz Grabner „Der Name der Erbsünde ist Verdrängung“ 11 Franz Grabner „Der Name der Erbsünde ist Verdrängung“ Ein Gespräch mit Michael Haneke Grabner: „Wo bleibt das Positive, Herr Haneke?“ könnte man in Anlehnung an ein Gedicht von Erich Kästner, das Sie selber einmal zitierten, fragen. Bezogen auf die bisherigen Kinofilme spielt der Tod bei Ihnen eine zentrale, aber auch „unnatürliche“ Rolle, indem er immer vom Menschen selbst herbeigeführt wird. Haneke: Ich glaube, die zentrale Rolle in der Trilogie1 spielt das unlebbare Leben. Der Tod bzw. der Suizid sind darin lediglich Folgeerscheinungen. Einerseits behaupten die Filme mittels ihrer Modellstruktur, dass nicht der Einzelfall, sondern wir alle gemeint sind, andererseits ist die jeweils dargestellte Modellsituation so zugespitzt, dass die in ihr sich Bewegenden kaum noch Bewegungsfreiheit haben. Das macht den Zuschauer hoffentlich nervös. Und das ist, denke ich, auch eine ganz treffende Analogie zur gesellschaftlichen Realität der so genannten „Überflussgesellschaft“, deren Entwicklung eine suizidäre Tendenz ja nicht ganz abzusprechen ist. Ich denke, diese Art von Provokation tut Not. Fragen zu stellen tut Not in einer Zeit, in der von offizieller Seite ununterbrochen mit Antworten beschwichtigt wird und in welcher die Kluft zwischen den Fragestellungen und ihren Antworten inzwischen die Dimensionen eines alles verschlingenden Abgrunds erreicht hat. Friedrich Dürrenmatt hat es mal kalenderspruchartig auf den Punkt gebracht: „Heute muss eine Geschichte immer ihre schlimmste Wendung finden, bevor sie überhaupt als Geschichte taugt“. Und ich denke, dem ist kaum zu widersprechen, denn jede erfundene Geschichte, sei sie noch so abgründig und grauenvoll, ist eine Lächerlichkeit gegen das Grauen, das uns aus und in der Realität entgegenschlägt. Um das zu sehen, braucht man kein Pessimist zu sein – es genügt schon, wenn man einigermaßen wach ist. 1 DER SIEBENTE KONTINENT (A, 1989); BENNYS VIDEO (A/CH 1992) und 71 FRAGMENTE EINER CHRONOLOGIE DES ZUFALLS (A/D 1994). 12 Franz Grabner Grabner: Das Grauen, die oft absurde Zuspitzung der Geschichten prägt fast durchgehend Ihre filmische Arbeit. Wenn man FUNNY GAMES oder WOLFZEIT hernimmt, muss man den Eindruck gewinnen, dass unsere Gesellschaft nur mehr aus Gewalttätigen und Verrückten besteht. Sie selbst sprechen von einem „Bürgerkrieg“. Ein solcher findet doch nicht in der Realität statt, oder? Haneke: Ich denke, diese beiden Filme lassen sich schlecht gemeinsam behandeln. FUNNY GAMES ist eine filmische Reflexion über die mediale Repräsentation der Gewalt und die beiden jungen Burschen darin sind keine Charaktere, sondern Artefakte, eine Rekonstruktion medialer Archetypen. In WOLFZEIT hingegen habe ich schon versucht, heutige Wirklichkeit in ihrer Widersprüchlichkeit wiederzugeben, und ich finde nicht, dass es in dem Film nur Gewalttätige und Verrückte gibt, dass im Verlauf dieser Geschichte die Menschen vielmehr versuchen, auf mehr oder minder geglückte Weise „menschlich“ miteinander umzugehen. Was den Begriff des „Bürgerkriegs“ angeht, meine ich in der Tat, dass wir alle in einem permanenten Bürgerkrieg leben. Ich meine damit nicht jenen Krieg von uns Reichen gegen die Armen der Welt. Der ist ohnehin unleugbar und hoffentlich ein Stachel im Fleisch eines jeden von uns. Ich meinte mit „Bürgerkrieg“ den Krieg der Acht- und Lieblosigkeit, den wir alle täglich und jeder gegen jeden austragen. Die täglichen Wunden aus diesem Bürgerkrieg sind vielleicht die wahren Ursachen der sogegannten „wirklichen“ Kriege. Grabner: Wozu also dann weitere grauenhafte Geschichten? Haneke: Weil wir vor dem Grauen der Realität die Augen schließen, um sie überhaupt auszuhalten. Verdrängung heißt die Erbsünde Numero eins, im gesellschaftlichen wie im individuellen Bereich – gegen sie sind wir alle ziemlich machtlos. Vielleicht haben wir die Kunst erfunden, um wenigstens eine kleine Waffe dagegen zu haben. Das „Positive“, nach dem Sie fragen – Kästner hat diese Frage in seinem Gedicht ja auch gleich höchst köstlich beantwortet: „Ja weiß der Teufel, wo das bleibt. Noch immer räumt ihr dem Guten und Schönen den leeren Platz überm Sofa ein. Ihr wollt euch noch immer nicht daran gewöhnen, gescheit und trotzdem tapfer zu sein.“ –, dieses „Positive“ kann nur die unbarmherzige Einforderung persönlicher Wahrhaftigkeit sein. Nur: Die Wahrheit ist eben nicht mehr schön. Wie sagte Nietzsche schon im „Der Name der Erbsünde ist Verdrängung“ 13 letzten Jahrhundert: „An einem Philosophen ist es eine Nichtswürdigkeit, zu sagen, das Gute und das Schöne sind Eins. Fügt er gar noch hinzu: und das Wahre!, so soll man ihn prügeln. Die Wahrheit ist hässlich.“ Aber zurück zu den Filmen: Ich versuche, dass sich der Zuschauer provoziert und gezwungen fühlt, etwas gegen das, was ich ihm zeige, zu unternehmen. Ich liefere ihm keine Lösungen, nur Fragen. Lösungen anbieten – das ist der Job der Politiker: Lügen anbieten, Beschwichtigung. Wenn es Lösungen gäbe, sähe die Welt nicht so aus, wie sie ausschaut. Deswegen kann es eigentlich nur unsere Aufgabe sein, die richtigen, oder wenn schon nicht die richtigen, denn was weiß ich, was richtig ist, so zumindest produktive Fragen in so dringlicher Weise zu stellen, dass sie beim Zuschauer irgend etwas bewirken: Wut, Energie, den Wunsch, im großen Kompromissbetrug nicht mitzumachen, unzufrieden zu sein, sich selbst an der Nase zu fassen. Erkenntnis ist immer ein Schrecken! Und dann fragt man sich, wenn man in einem Metier wie dem Film arbeitet: Was sind die adäquaten Mittel, diese Provokation hervorzurufen, wie erreiche ich diese produktive Unruhe beim Rezipienten? Mit dem psychologischen Realismus des Mainstreamkinos steht man da auf verlorenem Posten. Denn jeder zugespitzten Konstellation, jedem dargestellten Problem wird da sehr schnell die Spitze abgebrochen, indem der Zuschauer die Möglichkeit bekommt, das Geschehen auf den individuellen Charakter der Figur zurückzuführen und sich selbst als Nichtbetroffener raushalten zu können. Der Fall, der dem SIEBENTEN KONTINENT zugrunde liegt, wurde mir durch einen Artikel im Stern bekannt: Dort wurde von dem berichtenden Journalisten natürlich sofort alles aufgezählt, was zur Erklärung des schockierenden Familienselbstmords herhalten konnte: die finanzielle Lage der Familie, das sexuelle Problem des Ehepaars, etc., etc. Der Effekt war, dass von dem jedermann verunsichernden Schrecken der Tat eigentlich nur ein voyeuristisch zu betrachtender psychologischer und vielleicht pathologischer Einzelfall übrig blieb, der keinen Leser mehr verunsichern, geschweige denn dazu führen konnte, im eigenen Leben möglicherweise verstörende Ähnlichkeiten zu entdecken. Das Mainstreamkino verwendet dieselbe Form der Erzählweise. Nehmen Sie das Beispiel FALLING DOWN1 – die Konstellation ähnelt sehr jener in den 71 FRAGMENTEN: Ein Mann läuft Amok, weil er die Stumpfheit, Brutalität und Verlogenheit der täglichen gesellschaftlichen Realität nicht mehr aus1 Joel Schumacher, USA 1993. 14 Franz Grabner hält. Aber was machen die Amerikaner draus, um dem Film auch die nötigen Zuschauerzahlen zu sichern: ein Action-Melodram über einen faschistoiden Arbeitslosen, der noch dazu an massiven Eheproblemen laboriert. Damit ist der Zündstoff des eigentlichen Problems entschärft und jeder Zuschauer, der keine Eheprobleme hat oder nicht arbeitslos ist, kann den Fall als für ihn nicht zutreffend zur Seite schieben. Was ich versuche, ist eine Form zu finden, die solches unmöglich macht, die durch radikale Zuspitzung und unter Vermeidung individualpsychologischer Muster den Zuschauer selbst mit seinen Ängsten und Aggressionen ins Zentrum der Geschichte stellt. Er füllt die leer gelassene Matrix aus. Er trägt die Verantwortung. Grabner: Mit dieser Antwort lassen Sie für den Zuschauer eine Schere offen, die sehr scharf sein kann. Haneke: Sagen Sie mir nur ein einziges Beispiel von zeitgenössischer Literatur, das das Prädikat Literatur verdient und sich nicht gegen das Einverständnis mit dem Stand der Dinge richtet! Und zwar nicht nur inhaltlich, sondern auch formal. „Das Asoziale der Kunst ist die bestimmte Negation der bestimmten Gesellschaft“ – Adorno hat das schon vor einem halben Jahrhundert notiert. Und niemand, der sich in diesem nur schwammig zu definierenden Bereich der „Kunst“-Produktion aufhält, sei er Literat, Maler, Musiker oder was auch immer, wird das heute nicht als selbstverständliche Prämisse seiner Arbeit ansehen. Ich sage „Kunst“- und nicht „Kultur“-Produktion, denn der Kulturbegriff ist im Zeitalter der medialen Massendemokratie ein anderer, der ist sehr wohl einer der Affirmation des Bestehenden. Insofern stellt sich die Frage anders: Der Film, das Industrieprodukt Film, das ästhetisch immer noch so tut, als lebten wir im 19. Jahrhundert, ist ja wohl Teil des Kulturbetriebs. Mit der Radikalität dessen, was unter dem Begriff „Kunst“ noch zu subsumieren ist, hat er gemeinhin wenig zu tun. Und zwar nicht, weil seine Urheber dazu nicht in der Lage wären, sondern weil seine Produktion – die finanzabhängigste, weil teuerste Produktion eines Artefakts überhaupt – die oppositionelle Position zum common sense geradezu per definitionem nicht zulässt. Film muss sich verkaufen. Nehmen Sie das Beispiel „Gewalt“ – ein zentrales Thema unserer gesellschaftlichen Realität. Auf Grund seiner Beschreibungsmittel ist das Medium Film wohl das geeignetste für diesen Themenbereich. Und in der Tat hat das Kino aus diesem Bereich seine größte Einnahmequelle gemacht: Actionfilme sind weltweit das profitbringendste Genre des Mediums. „Der Name der Erbsünde ist Verdrängung“ 15 Wodurch? Dadurch, dass man die Gewalt konsumierbar gemacht hat: durch Ästhetisierung und durch dramaturgische Legitimation. Wir spüren im Kino den Oberflächenreiz der Gewalt, ein immer virtuoser werdendes Blut- und Gestenballett, dessen Tempo und optischen Reizwerten wir uns nur schwer entziehen mögen; wir haben im Film einen durch das Geschehen und die Handlungsführung legitimierten Stellvertreter, den Helden, als dessen Schattendouble wir mit-töten, -schießen, -schlagen dürfen, ohne mit moralischem Kater bezahlen zu müssen. Schlechtes Gewissen verkauft sich schlecht. Wir alle sitzen im Hubschrauber von APOCALYPSE NOW2 und ballern zu Walkürenrittklängen auf die ameisenhaft wuselnden Vietnamesen, auf das Fremde, Unbegreifbare, Beängstigende, also Auszurottende und wir fühlen uns entschlackt wie nach einem Saunabesuch, denn die Verantwortung für dieses Gemetzel tragen nicht wir, sondern die trägt der Kommunismus oder der undurchdringliche politische Filz in Washington oder schlimmstenfalls der amerikanische Präsident und der ist nicht einmal unser persönlicher Duzfreund. Dafür gibt man doch gern sieben Euro für eine Kinokarte aus, oder?! Grabner: Und wo liegt der Unterschied zur Gewalt in Ihren Filmen? Haneke: Erstens kommt dort die Gewalt als Täterschaft kaum vor. Sie kommt vor als das, was sie ist, als Leiden der Opfer. So sieht der Zuschauer, was es eigentlich bedeutet, Gewalt auszuüben und deswegen werden die Filme auch als schmerzhaft empfunden. Wo ich aber Gewaltausübung zeige, versuche ich dem Zuschauer mit formalen Mitteln klarzumachen, dass er Voyeur ist, und ihm so den „Konsum“ der Gewalt zu verleiden. Nehmen Sie die Mordszene in BENNYS VIDEO: Der Zuschauer sieht den Mord nicht nur nicht – er findet fast ausschließlich im Off statt und wir hören bloß, was vor sich geht –, sondern der Zuschauer sieht auf der Leinwand einen Fernsehmonitor und in diesem Monitor, der das Zimmer des jugendlichen Mörders zeigt, das dieser mit seiner Videokamera abbildet, ist nichts zu sehen: Nur unsere von den Tönen angestachelte Phantasie belebt ihn mit dem Mord. Und später, als der Mörder die Videoaufzeichung dieses Bildes seinen Eltern vorspielt, sehen wir wieder den Bildschirm und die Köpfe der Eltern, die unser Entsetzen von vorhin widerspiegeln. Ich denke, so hat der Zuschauer wenig Gelegenheit die Gewalt zu genießen bzw. sich schuldlos an ihrer Ausübung zu beteiligen … 2 Francis Ford Coppola, USA 1979. 16 Franz Grabner Grabner: ... eine Erzählmethode, die Sie auch in anderen Filmen wie z.B. in FUNNY GAMES beibehalten … Haneke: Naja, dort hab ich das Verfahren raffiniert. Ich mache den Zuschauer erst zum Komplizen der Täter und werfe ihm das dann vor, damit er fühlt, wie manipulierbar er ist, aus welchem bezahlten Selbstbetrug er sein voyeuristisches Vergnügen zieht. Der zweite Punkt aber ist folgender: Nirgends in meinen Filmen gibt es legitimierte Gewalt. „Normalerweise“ ist das im Film die Voraussetzung für jedwedes Zeigen von Gewalt: der Polizist kämpft für Recht und Ordnung gegen den Gesetzesbrecher, der Rächer rächt eine vor dem Film stattgefundene Tat und reagiert deshalb nur, der Eifersuchtsmord ist die Folge einer erlittenen sexuellen Demütigung o.ä., immer legitimiert eine schon stattgefundene Tat die Gewalttaten, die nun das Bild beherrschen. Und die Schwere dieser zurückliegenden Tat dient lediglich als Alibi dafür, bei ihrer Sühne besonders brutal und blutig sein zu dürfen. Denn: Der Zuschauer hat ein Recht darauf zu sehen, wie die Ordnung der Welt mit Gewalt wieder hergestellt werden kann und manchmal hergestellt werden muss. So lautet zumindest das zynische Alibi der Verantwortlichen. Und wir haben dieses Alibi schon so verinnerlicht, dass uns der Vorwandcharakter dieser Argumentation gar nicht mehr auffällt. In keinem meiner Filme werden Sie eine solche Legitimierung der ausgeübten Gewalt finden. Sie werden eine Rätselkonstruktion finden, die den Zuschauer zwingt, nachzufragen, wie die Gewalt entstehen konnte. Das ist ein unangenehmer Prozess, denn er fordert meine persönliche Beteiligung als Zuschauer. Der Film hört nicht mehr auf der Leinwand auf, sondern in meinem Hirn. Manchmal hoffentlich auch im Herzen. Dann nehme ich ihn mit nach Hause und dort fällt mir vielleicht auf, wie viel Ähnlichkeit zum Gesehenen es in meinem Leben gibt, wo hier die Nester von Gewalt sind, an denen ich vielleicht mitbaue. Ich denke, das ist ein grundsätzlicher Unterschied. Grabner: Ich muss hier aber nochmals nachhaken. Glauben Sie wirklich, dass sich unsere Gesellschaft primär durch Gewalt und Aggressivität definiert? Natürlich spricht die Erzählweise, wie Ihre Filme Gewalt thematisieren, beim Zuseher etwas anderes an als dies das Mainstreamkino tut. Was ich hinterfrage, ist Ihre kontinuierliche Zuspitzung auf Gewalt und Gefühlskälte in vielen Ihrer Filme, als hätte die Menschheit keine anderen Qualitäten.