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Kino: Geborgenheit im Gerümpel - badische-zeitung.de 29.02.12 13:08 29. Februar 2012 Geborgenheit im Gerümpel Ulrich Grossenbachers Dokumentation "Messies" startet am Donnerstag in den Schweizer Kinos. Elmira lebt in einem bizarren Labyrinth aus Kassetten mit aufgezeichneten Kultursendungen. Foto: Promo Elmira lebt in bizarren Landschaften. In ihrer Wohnung türmen sich Zeitungen und Hunderte von Kassetten zu hohen Stapeln – ein überbordendes Archiv manisch dokumentierter Kultursendungen, ein Labyrinth, in dem die Sammelwut alles andere überlagert, Zugänge versperrt und durch das sich die ältere Frau nur noch vortasten und hangeln kann – ein Alltag im Chaos einer über alle Ufer getretenen Manier, in dem Fortbewegung zum kunstvollen Balanceakt wird und Elmira wie eine Archäologin in den Ablagerungen ihre Sammlung gräbt auf der Suche nach einem längst im Chaos versunkenen Stück. Elmira ist Messie und eine der Protagonistinnen in Ulrich Grossenbachers fast gleichnamigem Film "Messies. Ein schönes Chaos". Der 1958 im Kanton Bern geborene Filmemacher nähert sich in seiner zweiten langen KinoDokumentation nach "Hippie Masala" von 2006 der Organisations- -Defizit-Störung – so nennen Experten inzwischen das Anfang der 80er-Jahre von der amerikanischen Lehrerin Sandra Felton in ihren Büchern unter dem Oberbegriff Messie (abgeleitet vom englischen Wort mess, was so viel heißt wie Unordnung oder Schwierigkeit) popularisierten Vermüllungssyndrom, ein Oberbegriff für ein ganzes Spektrum abweichenden Verhaltens – vom zwanghaften Sammeln über körperliche Verwahrlosung und Desorganisiertheit bis zur Handlungsblockade und der völligen sozialen Isolation. http://www.badische-zeitung.de/kino-neustarts/geborgenheit-im-geruempel--56395506.html Seite 1 von 3 Kino: Geborgenheit im Gerümpel - badische-zeitung.de 29.02.12 13:08 Handlungsblockade und der völligen sozialen Isolation. Der Berner Filmemacher umkreist dieses Phänomen aus vier Perspektiven und auf Basis von dreijährigen Recherchen mit der Kamera. Neben Elmira, die für die erste filmische Erkundung ihrer Sphäre schlicht eine Kamera auf dem Kopf trägt und so nebenbei ästhetisierte Impressionen der sonst weithin psychiatrisierten Messie-Welt erzeugt, gibt’s da Karl. Er hat sein Haus bis in den letzten Winkel vollgestopft mit Gerümpel, das für ihn noch Werte symbolisiert, hat darüber aber den Kontakt zu seinen Kindern verloren und auch seine Frau hält es nicht mehr aus in der überfüllten Wohnwelt, in der die aufgehäuften Gegenstände alles ersticken. Weiterhin gibt’s Thomas, einen Bastler, für den Elektroschrott eine Quelle der Inspiration ist, aus der er mehr oder weniger sinnige Fantasiemaschinen komponiert; und da ist Arthur, ein lediger Bauer, der das Gelände um seinen Hof zupflastert mit altem Gerät, – eine Mischung aus Freilichtmuseum und Schrottplatz, der seit Jahren Anlass für Reibereien liefert und den die Gemeinde nun räumen lässt. Grossenbacher spürt diesen Leiden-Schaften seiner Protagonisten nach, ohne diese als pathologische Fälle zu denunzieren. Im Gegenteil: Einfühlsam und allenfalls gebrochen durch den einen oder anderen ironisierenden Blick verfolgt der Film deren Erleben, zeigt Beispiele ihrer Kreativität, beleuchtet die bizarren Rationalisierungsversuche – etwa von Karl, der seinen Sammelwahn mit seiner Aufgabe als Requisiteur für ein Theater rechtfertigt –, zeigt diese einerseits durchaus als Einsichtige, andererseits aber auch als Gefangene. Das ist mal poetisch, mal komisch, mal tragisch, lotet die Sphäre aus zwischen Festhalten und Loslassen und ist nicht zuletzt eine subtile Reflexion auf Schattenseiten heutiger Informations-, Unterhaltungs- und Warenfluten sowie den allgegenwärtigen Konsum, dessen Motor die Verkaufsmaschinerie mit Hilfe der beschleunigten Entwertung der Dinge ständig auf hohen Touren hält. Grossenbachers Messies sind so gewissermaßen auch Gegenentwürfe zur Wegwerfmentalität, transportieren eine fein dosierte, subversive Botschaft, sympathisieren auf dem schmalen Grat zwischen Krankheit und Kreativität, zwischen dem Haben und dem Sein mit dem unangepassten Leben, deuten Wert- und Ordnungsbegriffe an, die quer stehen zu den vorherrschenden gesellschaftlichen Definitionen. – Läuft vom 1. März an in Aarau, Zürich, Basel (da vom 8. März an) und Liestal Autor: Michael Baas Empfehlen Twittern Registrieren, um die Empfehlungen deiner Freunde sehen zu können. 0 WEITERE ARTIKEL: KINO "Es geht darum, die Balance zu halten" TICKET-INTERVIEW: Schauspieler Michael Fassbender über die Sucht nach Alkohol, Nikotin oder Sex. MEHR http://www.badische-zeitung.de/kino-neustarts/geborgenheit-im-geruempel--56395506.html Seite 2 von 3 Kino: Geborgenheit im Gerümpel - badische-zeitung.de 29.02.12 13:08 Dörries "Glück": Geschundene Außenseiter LIEBESDRAMA: Doris Dörrie verfilmte Ferdinand von Schirachs Erzählung "Glück". MEHR Charlize Theron in "Young Adult": beklemmende Schlampe SCHWARZE KOMÖDIE: In Jason Reitmans "Young Adult" setzt Charlize Theron ihrem Reigen schwieriger Weibsbilder die Krone auf. MEHR http://www.badische-zeitung.de/kino-neustarts/geborgenheit-im-geruempel--56395506.html Seite 3 von 3