Bericht 3 - Hessen
Transcrição
Bericht 3 - Hessen
ERFAHRUNGSBERICHT UW MILWAUKEE, FALL 2015 LORENZ HAGELÜKEN, MATERIALS SCIENCE, TU DARMSTADT VORBEREITUNGEN Primär ist zu empfehlen, sich sehr frühzeitig mit Planung und Vorbereitungen zu beschäftigen. Ich habe z.B. den TOEFL Test schon in den Semesterferien im März 2014 gemacht, als nur feststand, dass ich für ein Auslandssemester ins (englischsprachige) Ausland möchte. Mit ein paar Tagen Vorbereitung ist er auch dann gut zu schaffen, wenn man weder englischsprachige Verwandte hat noch ein Jahr durch Australien oder die USA gereist ist. Wichtig ist, (am besten mithilfe von ein oder zwei Büchern) das System in jedem der vier Testabschnitte verstanden zu haben. Die geforderten 79 Punkte habe ich danach deutlich übertroffen. Im Oktober 2014 hatte ich ein Gespräch mit Frau Cunningham-Wandel, die an der TU Darmstadt für englischsprachige Austausche verantwortlich war. Dabei habe ich entschieden, mich für Hessen-Wisconsin, Hessen-Massachusetts und den fachbereichsinternen Austausch (in meinem Fall Sydney und Vancouver) parallel zu bewerben. Bis zur Bewerbungsdeadline (Mitte November) waren das Ausfüllen und Besorgen nötiger Formulare und Dokumente (vor allem Motivationsschreiben, Empfehlungsschreiben, Learning Agreements) extrem stressig. Das TOEFL-Zertifikat schon gehabt zu haben war dann sehr angenehm. Einmal alles abgeschickt, heißt es warten und bangen. Der eigentliche Plan war zunächst alle Antworten, die Anfang Januar 2015 kommen sollten, abzuwarten und dann im Falle mehrerer Zusagen das schönste rauszusuchen. Die Zusage für Wisconsin (Milwaukee, dort meine Zweitwahl nach Madison) erhielt ich bereits Mitte Dezember. Da die Annahmefrist leider vor Verkünden der anderen beiden Bewerbungen lag, habe ich dann den Platz in Milwaukee angenommen, um nicht zu riskieren, am Ende gar nichts in den Händen zu haben. Im Februar und März stand dann die Bewerbung an der UWM an, wofür alle möglichen Formulare online ausgefüllt mussten. Bis zum Vorbereitungstreffen in Wiesbaden Mitte April hatten viele wie auch ich noch keine endgültige Entscheidung von ihrer Austauschuniversität erhalten, sodass man sich noch nicht so richtig um Visum, Flugbuchung und eventuelle Reiseplanung kümmern konnte. Den Flug habe ich trotzdem schon im April gebucht als er mir günstig erschien. Ende April kam die Annahmeerklärung per Email, ca. zwei Wochen später die Unterlagen per Post. Endlich konnte man sich um das Visum kümmern. Dafür muss man online alle möglichen Angaben machen, zwei saftige Gebühren zahlen und dann einen Termin im Konsulat Frankfurt ausmachen. Dieser war deutlich lockerer als ich erwartet hatte. Ich wurde vom Konsul nur gefragt, wo ich hinwolle und warum. Mit den Antworten „Milwaukee, Wisconsin“ und „studying“ war das Visum genehmigt. L. Hagelüken 1 Erfahrungsbericht Milwaukee (AN)REISEN Wir sind am Donnerstag den 27.8. in Milwaukee angekommen, also vier Tage vor der Orientation-Veranstaltung, die 2015 am Montag den 31.08. war. Wegen der im nächsten Kapitel beschriebenen notwendigen Erledigungen rate ich jedem, drei bis fünf Tage vor dem Orientation Day in Milwaukee anzukommen. Man kann (mit Umsteigen) nach Milwaukee fliegen oder sehr komfortabel (z.B. mit Lufthansa von Frankfurt) nach Chicago und von dort für 30$ mit dem Bus (Coach USA) bequem nach Milwaukee fahren. Wer Deutschland früher verlassen kann, sollte die Gelegenheit auf jeden Fall nutzen, vor Ankunft in Milwaukee zu reisen. Wir sind am 11.08. nach Washington geflogen und von dort mit Amtrak über Philadelphia, New York und New Haven nach Boston gefahren. Da unsere Gesamtreisezeit recht knapp war, haben wir in jeder Stadt nur eine bis drei Nächte verbracht, was aber, wenn man bereit ist, sich vorher zu informieren, früh aufzustehen und viel zu laufen durchaus ausreichend ist, um einen guten Eindruck der jeweiligen Stadt zu bekommen. In Boston haben wir einen Mietwagen genommen (Tipp: mit der ISIC zahlt man bei Alamo keine young-driver-Gebühren!) und sind westwärts mit Übernachtungen in Bennington, Long Lake, Seneca Falls, Niagara Falls und Detroit nach Milwaukee gefahren. Dieser Abschnitt war eher landschaftlich geprägt und damit eine super Ergänzung zum ersten (Großstadt)Teil. Ursprünglich wollten wir über Montreal und Toronto nach Detroit fahren. In den 30 Tagen vor Visumsbeginn darf man offiziell allerdings nicht aus- und wieder einreisen, was leider auch bedeutet, dass man die Niagara-Fälle (offiziell) nicht von der (schöneren) kanadischen Seite aus sehen kann. Wir sind dort trotzdem über die Grenze gelaufen und auch wieder zurückgekommen, aber es ist risikobehaftet! Während des Semesters sollte man den ein oder anderen Wochenendtrip machen, was dank des freien Freitags, den die meisten UWM-Studenten haben, gut geht. Chicago und Madison lassen sich super und günstig per Bus erreichen und sind Must-Sees. Von Wisconsin habe ich leider nicht allzu viel gesehen, ein Roundtrip mit Mietwagen (z.B. Green Bay, Lake Superior, Oshkosh, ...) ist aber sicherlich nett. Vor allem über den Thanksgiving Recess bietet es sich an, eine größere Tour zu machen. Wir sind für eine Woche zu fünft nach Florida geflogen (mit Glück bekommt man Flüge für 100$ p.P.) und haben mit einem Alamo-Minivan Tampa, Daytona Beach, Miami und die Keys erkundet. Ende November, wenn in Milwaukee oft schon Schnee liegt, am Strand liegen zu können, ist eine tolle Abwechslung. ANKOMMEN Zu allererst sollte man im Wohnheim einchecken und sein Zimmer beziehen. Unter den fünf UWM-Dorms kann ich jedem nur Kenilworth empfehlen. Es ist in jederlei Hinsicht deutlich besser als die anderen vier und man kann auch entgegen der offiziellen Angaben unter 21 Jahren dort wohnen, wenn man z.B. bereits ausreichend viele CPs hat. Einfach mal das Housing Office anrufen oder anmailen. In Kenilworth gibt es 1-3 Bedroom Apartments, die alle eine eigene Küche und Bad haben. Allerdings benötigt man sowohl fürs Schlafzimmer, als auch für Küche und Bad direkt eine Menge Sachen, um dort leben zu können. Es ist ratsam, den Mietwagen einen Tag länger zu L. Hagelüken 2 Erfahrungsbericht Milwaukee buchen, da es ohne Auto kaum zu schaffen ist. Wir sind am Ankunftstag noch dreimal mit unserem Fullsize Car zum Walmart (E Capitol Drive) gefahren, um das Nötigste (Kissen, Bettdecke, Bettbezüge, Kleiderbügel, Lampen, Töpfe, Geschirr, Besteck, Mülleimer, Klobürste, Klopapier, Duschvorgang, Handtücher, Putzutensilien, etc.) zu kaufen. Dafür muss man ca. 200$ einplanen. Eine günstigere Alternative (v.a. für Küchenutensilien) ist Goodwill an der N Oakland Ave, bei dem man das ein oder andere gebraucht finden kann. Alamo Mietwagen kann man nur am MKE-Flughafen zurückgeben, von dort kommt man aber gut mit der Green-Line zurück zum Kenilworth. Als nächstes sollte man ins International Office zu Sue Conway gehen. Dort erhält man alle notwendigen Informationen und Instruktionen, um im Anschluss seine Student ID und Busticket abholen zu können. Sie ist auch für die meisten anderen Belange die primäre Ansprechperson. Handyvertrag haben wir zu viert bei t-mobile (Brady St) geholt (ca. 30$ p.P. für Telefon- und SMS-flat, 1GB Internet, monatlich kündbar), es mag aber günstigeres geben. WOHNEN Kenilworth Square Apartments ist wie bereits erwähnt meiner Meinung nach das beste Wohnheim. Ich hatte ein zweier Upgrade Apartment im siebten Stock mit Blick auf den Lake Michigan. Grundsätzlich braucht man bei der Zimmervergabe einfach Glück. Es gibt in allen Stockwerken zum Innenhof und nach außen liegende Apartments. Bei den Innenhofzimmern sieht man so gut wie kein Tageslicht, je weiter unten man ist, desto schlimmer. Der Preisaufschlag für Upgrade ist nicht allzu groß und sichert einem (neben eigener Waschmaschine und Trockner) auch zumindest den 6. Oder 7. Stock. Zwischen Zweier- und Dreierapartments ist der Preisunterschied größer. Im Nachhinein würde ich Dreier-Upgrade empfehlen. Das Leben dort ist recht gesittet und anonym. Wilde Wohnheimparties mit allen gibt es nicht. Sollte man selbst (kleinere) Parties im eigenen Apartment veranstalten, kann man es je nach Nachbarn schnell mit der Security zutun bekommen. Leider sind alle Räume sehr hellhörig und sobald sich jemand beim Housing Staff nach Beginn der Nachtruhe (freitags und samstags um Mitternacht) beschwert, ist die Party vorbei und man muss mit einer Verwarnung rechnen. Da die Zimmerbeleuchtung sehr mickrig ist, kommt man ohne zusätzliche Lampen nicht aus. Beim Lampenkauf ist darauf zu achten, dass man weder Lampen mit Plastikschirm noch ohne Schirm überhaupt besitzen darf. Je einmal am Semesterbeginn und am Semesterende gibt es einen angekündigten Security Check, bei dem das überprüft wird. Gerüchtehalber haben die meisten Kenilworthbewohner trotzdem die 15$-Lampe von Walmart mit Plastikschirm und verstecken diese einfach unterm Bett während der Kontrolle. Angeblich werden im Laufe von 2016 zusätzliche Lampen fest installiert, sodass man vielleicht ohne selbst gekaufte auskommt. STUDIEREN Ich habe mein drittes Mastersemester in Materials Science in Milwaukee absolviert. Als Graduate Student muss man mindestens 8CP belegen, maximal 12CP. Ich hatte mich ursprünglich für vier Classes mit je 3CP angemeldet: CIV ENG 413 (Environmental L. Hagelüken 3 Erfahrungsbericht Milwaukee Engineering), MATLENG 453 (Polymeric Materials), MATLENG 457 (Engineering Composites) und MATLENG 461 (Environmetal Degradation of Materials). Studieren in den USA ist ganz anders als in Deutschland. Es ist viel schulischer (z.B. hatten alle meine Kurse eine maximale Teilnehmerzahl von 30 und der Instructor (in meinem Fall PhD-Students, Postdoc und Lectrurer aus der Industrie) wusste nach wenigen Wochen den Namen von jedem). Das Niveau ist niedriger aber der Arbeitsaufwand deutlich größer. Hausaufgaben und Lernen für Quizes im 14-Tage-Wechsel beschäftigen einen während des Semesters ganz schön. Zusätzlich gab es ein oder zwei Midterm-Exams pro Fach, Termpapers, Projects und Final-Exams. In der Mitte des Semesters habe ich eingesehen, dass ich überlastet war und habe das aufwändigste Fach (Engineering Composites) gedropped. Grundsätzlich kann ich die drei MATLENG-Kurse weiterempfehlen. Nur Environmental Engineering war sehr zäh und ganz und gar nicht das, was ich mir erhofft hatte. Wenn man alle Hausaufgaben macht, für die Quizes und Exams halbwegs ordentlich lernt (zwischen ein Abend und ein Tag hat bei mir für Exams gereicht), und bei Papern die formellen Anforderungen erfüllt, sollte ein A (entspricht 1,0) drin sein. 400er Kurse sind eigentlich im 4. Bachelorjahr (Senior) angesiedelt, wobei man diese zumindest am Engineering-College auch als Graduate Student belegen kann. Dafür bekommt man zusätzliche Aufgaben (z.B. extra Hausaufgaben, Klausuraufgaben, Papers oder Präsentation). LEBEN Das Thema Ernährung fand ich in den USA nicht ganz einfach. Naher und sehr angenehmer Supermarkt ist Wholefoods. Quasi alles dort ist hochwertig und bio, allerdings für den Durchschnittsstudenten kaum zu bezahlen. Ich habe mir dort ab und zu mal was Besonderes gegönnt oder mal eben einen Liter Milch geholt. Für den Wocheneinkauf ist Pick’nSave eher zu empfehlen. Er ist gerade noch in Laufentfernung bzw. bestens mit einem Bublr Bike (für Studenten kostenloses Bikesharing) zu erreichen. Angebotspreise gelten dort nur mit Kundenkarte, die man an der Info bekommen kann. Sehr Sportliche kommen innerhalb der kostenlosen Bublr-Stunde genau zum Aldi (nähe Walmart) und zurück. Dort gibt es viele deutsche Produkte und generell ist er oft 50% günstiger als Pick’nSave. Achtung, Alkohol kann man in Wisconsin in Läden generell nur bis 21 Uhr kaufen! In der direkten Umgebung vom Kenilworth gibt es diverse (Fast Food) Restaurants, die eigentlich alle in Ordnung sind (Ian’s Pizza, Pita Pit, Qudoba, Ma Fisher’s, ...). Eine Mensa gibt es auf dem Campus nicht. Stattdessen befinden sich in der Union diverse Fast Food Restaurants, die aber auf Dauer nicht auszuhalten und außerdem recht teuer sind. Im Untergeschoss gibt es immerhin eine Salattheke, wo man sich halbwegs gesund und verhältnismäßig günstig etwas holen kann. In der Union gibt es mehrere Mikrowellen, sodass man sich super Essen mitnehmen und dort aufwärmen kann. Die Sportmöglichkeiten in Milwaukee sind super. Im Klotsche-Center gibt es alles nur Erdenkliche, was man zum sportlichen Betätigen braucht. Besonders zu empfehlen ist das große, gut ausgestattete und für Studenten kostenlose Fitnesscenter. Joggen kann man super von Kenilworth aus entlang des Oak Leaf Trails zum Seeufer und nach Süden bis zum roten Leuchtturm. L. Hagelüken 4 Erfahrungsbericht Milwaukee Das Angebot an Sports Classes und Sports Clubs ist enorm. Ich habe schon in Deutschland Ultimate Frisbee gespielt und mich in Milwaukee direkt in der ersten Woche auf dem URECFest über den Ultimate Club informiert. Ich wurde super ins Team aufgenommen, neben großem Spaß im Training wurde ich auch zu diversen Houseparties eingeladen und bin auf Turnierwochenenden mitgefahren. Nach meiner Erfahrung ist dies die beste Möglichkeit, viele Amerikaner gut kennenzulernen. Man kann auch als Anfänger in viele Sports Clubs eintreten und ähnlich gute Erfahrungen machen! Selbst wenn der Wechselkurs nahe der Parität liegt (in unserem Zeitraum ist er von 1,08 auf 1,14 gestiegen und dann wieder auf 1,05 gefallen) gibt es bestimmte Ware (v.a. Kleidung), die deutlich günstiger als in Deutschland ist. Zum Shoppen nimmt man sich am besten mit ein paar anderen zusammen einen Mietwagen oder Carsharing-Wagen und fährt ca. eine Stunde Richtung Chicago zur Pleasant Prairie oder Gurnee Mills Outlet Mall. Um die ohnehin schon günstigen Preise weiter zu senken, ist es ratsam nach Gutscheinen und Sonderaktionen (z.B. Black Friday) Ausschau zu halten. Zu guter Letzt darf der Feierabendspaß bei einem Auslandssemester natürlich nicht zu kurz kommen. Die Wahl der Location hing bei uns vom jeweiligen Wochentag ab. Mittwochs gibt es bei BBC’s (eine Minute zu Fuß nördlich von Kenilworth) ordentliche Burger und große Biere für je 2$. Donnerstag ist der All-you-can-drink-Tag an der North Avenue. Zur Auswahl stehen: Schoolyard (sehr nah, 10$), RC’s (näher am Cambridge, 10$) oder Hotch, Vitucchi & Eastsider, wo man für einmalig 12$ in allen drei Bars Drinks bekommt. Am besten alle drei bzw. fünf Optionen ausprobieren. Freitags und samstags ist auf der North Avenue weniger los, dafür auf der Brady St. und Water St. umso mehr. Die meisten Locations sind Bars, die abends häufig einen DJ haben und wo auch getanzt werden kann. Klassische Discos sind selten, am ehesten ist meiner Meinung nach die Whiskey Bar zu empfehlen. Generell gilt Dank State Law leider, dass alle Locations um 2:30 am schließen müssen. Oft werden schon ab 1:45 keine Drinks mehr ausgegeben und das Licht um 2:00 am angemacht. Es schadet also nie, noch Vorräte zu Hause zu haben, um dort dann weitermachen zu können. FAZIT Wer kann, muss es machen! Die genauen Kosten habe ich nicht ausgerechnet, aber ich schätze, inkl. aller Nebenkosten (TOEFL, Visum, Krankenversicherung, etc.) und mit ein bisschen zusätzlichem Reisen wird man bei einem Wechselkurs von ca. 1,10 auf gute 10.000€ kommen. Das ist eine Menge Geld, aber wer es irgendwie auftreiben kann, wird nicht bereuen, es ausgegeben zu haben. Ich wusste so gut wie nichts über Milwaukee, als ich die Zusage dafür bekommen hatte. Dennoch hat es alle Erwartungen an ein USA-Auslandssemester übertroffen. Es ist eine einmalige Gelegenheit, ein Land und so viele neue Leute kennenzulernen. Natürlich steht man auch des Öfteren vor Herausforderungen und sehnt sich nach manchmal nach Deutschland zurück, aber sobald diese gemeistert sind, fühlt man sich umso besser. Für mich war es eine super Erfahrung mit vielen neuen Freundschaften, die neben den tollen Erinnerungen hoffentlich noch lange anhalten werden. Fragen an [email protected] beantworte ich gerne! L. Hagelüken 5 Erfahrungsbericht Milwaukee