Die Neuburger Stadttürmer
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Die Neuburger Stadttürmer
„Der höchste Mann der Stadt“ Die Neuburger Stadttürmer und ihre Gesellen In den Ratsprotokollen des 17. Jahrhunderts wird neben anderen Bediensteten auch der Stadttürmer mit seinen Gesellen erwähnt, der, wie die Stadt- oder Mauerwächter zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung besoldet war1. Die älteste erhaltene städtische Türmerordnung stammt aus der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts und ist im Neuburger Kollektaneenblatt2 abgedruckt: Der Türmer wird in dieser Verordnung angewiesen, auf dem St.-PetersKirchturm eine rote und eine weiße Fahne zu haben und gut darauf zu achten, ob in der Stadt oder den Vorstädten Feuer ausbricht. In diesem Fall soll er die Sturmglocke anschlagen und die rote Fahne in die Richtung heraus stecken, in der das Feuer ausgebrochen ist. Wenn das Feuer von Hand mit Wassereimern nicht gedämmt oder gelöscht werden kann, soll er weiter kurz hintereinander die Sturmglocke drei- oder viermal anschlagen, „damit das Volk zu mehrerem Laufen und Rottung bewegt wird“. Begebe es sich aber bei der Nacht, dass Feuer in der Stadt oder unter dem Berg aufginge, soll er eine angezündete Laterne in der Richtung aufhängen, in der das Feuer aufgeht. Wenn aber ein Feuer auf dem Land, außerhalb der Stadt und der Vorstädte aufgeht, so soll er nicht läuten, sondern von Turm herab lärmen und in das Feuerhorn stoßen und die rote Fahne ebenfalls in Richtung des Brandes heraus stecken. Falls auf dem Land in der Nacht ein Feuer entsteht, soll er diese der Herrschaft anzeigen. Falls er aber außerhalb der Stadt, zu Fuß oder zu Ross, Leute sieht und einen Aufruhr oder sonst ein Lärmen merkt, soll er die Sturmglocke anschlagen und die weiße Fahne in Richtung des fremden Volkes aushängen. Diese Bestimmungen wurden 1712 in einer Verordnung des Kurfürsten Johann Wilhelm präzisiert3: „Der Türmer soll auf der Donau vorbei passierende Schiffe oder Flöße, wie auf dem Land alle Kutschen, Chaisen und was sonst zu Pferd über zwei Personen sind, allzeit unterschiedlich anblasen. Daneben soll er schuldig sein, am Morgen und Abend samt seinen Leuten mit Trompeten, zu Mittag aber um 12 Uhr gleich nach dem Ave-Maria-Läuten mit Zinken und Posaunen fleißig abzublasen. Die Besoldung war in dieser Verordnung ebenfalls in allen Einzelheiten geregelt. Der Türmer, der im übrigen seine zum Wachdienst erforderlichen Gesellen selbst besolden musste, erhielt damals von der Hofkammer 76 Gulden pro Jahr, zwei Schaff Korn vom Hofkasten und vom fürstlichen Oberjägermeisteramt unentgeltlich 12 Klafter Brennholz, das Bürgermeister und Rat ihm umsonst vor die Türe führen lassen mussten. Außerdem bekam er vom Landschaftskommissariat 40 Gulden und vom Chorstift St. Peter 20 Gulden und von der Stadt nochmals 35 Gulden nebst freier Wohnung. Dazu kam noch, was er mit seinen Leuten als Stadtmusik bei Hochzeiten oder anderen Festlichkeiten verdiente. 1 Siehe Registerband zu den Neuburger Ratsprotokollen des 17. Jahrhunderts, Register der Berufe, Funktionen und Personengruppen, S. 130 2 NK 10(1844), S. 88f 3 NK 88(1923), S. 27 – 37, in „Josef Sedelmayer, Der Stadt-Türmer in Neuburg a.D.“ Der Stadttürmer mit seinen Gesellen und die Stadtpfeifer stellten nämlich eine Art privilegierte Stadtmusik dar, die zum Beispiel bei den Pfarrgottesdiensten, aber auch bei Hochzeiten im Rathaus aufspielte und dort auch zwingend engagiert werden musste4. Der erste Stadttürmer, der in den Ratsprotokollen erwähnt wird, war 1613 Christoph Hammerbacher5, dem ein Jahr vorher von Pfalzgraf Philipp Ludwig ein Wappen verliehen worden war6. Bei dieser Familie sieht man sehr gut die Verbindung des Türmerberufs mit dem des Musikanten: Georg Hammerbacher war Spielmann und Trompeter und Hans Hammerbacher wird als fürstlicher Trompeter, also als Angehöriger der Hofmusik bezeichnet7. Die Wohnung des Türmers befand sich im inneren Oberen Tor, das im Jahre 1868 abgebrochen worden ist. Der als Wachturm verwendete Kirchturm von St. Peter stand vor dem 30-jährigen Krieg auf der Nordseite der damaligen spätgotischen Kirche. Dieser Turm war 1512 auf den Fundamenten eines kleineren, wohl noch romanischen Turmes errichtet worden8. Wegen des ungenügenden Fundaments wurden schon 1601 Schäden festgestellt und der Turm senkte sich zur Hangseite, wobei sich die Verbindung zum Kirchenschiff immer mehr löste. Neuburg hatte also im 17. Jahrhundert eine Zeit lang einen „Schiefen Turm“ wie das berühmte Pisa, der allerdings nicht lange gehalten hat: Er stürzte ausgerechnet während der Notzeit des 30-jährigen Krieges im Jahr 1641 zusammen und zerstörte dabei auch die spätgotische Pfarrkirche, die danach entsprechend dem Vorbild der Hofkirche in der heute bestehenden Form wieder aufgebaut wurde. Der nun auf der Südseite befindliche Kirchturm wurde erst 1655/56 nach Plänen des Baumeisters Johann Serro vollendet 9, so dass der damalige Stadttürmer Sebastian Hagen fast 15 Jahre lang keine Aussichtswarte mehr besaß. Infolgedessen wurde ihm 1643 das Gehalt gekürzt und er kurz danach entlassen. Er versuchte sich dann in Neuburg mit einer kleinen Krämerei durchzuschlagen10 und nahm schließlich bis 1646 Dienst als Türmer in Schrobenhausen11. Nach der Wiedererrichtung des Turms hat er offenbar wieder in Neuburg als Stadttürmer amtiert, wie wir aus Einträgen in den Ratsprotokollen von 1680 und 168112 ersehen können. Als Bürger und Stadttürmer hat er noch 1681 mit der Verpflichtung zum Wiederaufbau eine ruinierte Hofstatt im Brand gekauft, die vorher Erhard der Brandlweber innegehabt hatte. Sein Nachfolger als Stadttürmer war Kaspar Fridl, der im Ratsprotokoll von 1681 als Stadttürmergeselle erwähnt wird, der dann bis 1694 im Amt war und 4 Siehe Anm. 3 a.a.O. Ratsprotokoll 1613/14, Eintragungen vom 12.3. und 4.6. 1613, S. 5a u. 26a 6 Neuburger Wappenbuch des Pfalzgrafen Philipp Ludwig, S. 179; Lagerort: Bibliothek des Historischen Vereins Neuburg an der Donau 7 Zur Familie Hamerbach (oder Hammerbacher) siehe Band 2, Personenregister zu den Ratsprotokollen des 17. Jh., S. 47 8 Neuburger Rundschau vom 5./7. Januar 1973, S. 26f, „Kirchturm stürzt auf Gotteshaus...“. Aufsatz von Josef Heider 9 A. Horn und W. Meyer, Die Kunstdenkmäler von Bayern, Regierungsbezirk Schwaben, Band V: Stadt und Landkreis Neuburg a. d. Donau; Kommissionsverlag R. Oldenbourg, München 1958, S. 68 10 Ratsprotokolle von 1643, 1644, 1680 und 1681 (Siehe Registerband zu den Neuburger Ratsprotokollen des 17. Jahrhunderts, Personenregister, S. 46 ) 11 Werner Vitzthum, Stadt Schrobenhausen. Erzähltes zur Geschichte, W. Ludwig Verlag, Pfaffenhofen 1986, S. 39 12 Siehe Anm. 10 a.a.O. 5 nach seinem Tode von Ignatz Prunner abgelöst wurde, der seine Witwe geheiratet hat13. Der Stadttürmer wird auch im Protokoll erwähnt, dass 1686 anlässlich der Überprüfung der Ehaften der Stadt durch eine fürstliche Kommission erstellt wurde14: Er wird daran erinnert, seiner Bestallung fleißig nachzukommen und den Turm bei Strafe niemals leer stehen zu lassen. Auch soll er ankommende Schiffe und Pferde ordentlich anblasen, auf das Feuer Obacht geben, die Zeichen ausstecken sowie auch die Stadtmauer zuhalten und nicht jedermann durchlassen. Bei Hochzeiten soll er die Leute mit seinem Spielmannshonorar nicht übervorteilen. Auf Beschwerde des Türmers werden die Wirte mit Befehl der fürstlichen Hofkammer angewiesen, ihm und seinen Gesellen bei allen Hochzeiten, ohne Unterschied Hofbedienter oder anderer, neben zwei Speisen einen Gulden zu bezahlen, welches die Wirte dem Hochzeitspaar in Rechnung stellen sollen. Josef Sedelmayer berichtet in seinem Aufsatz im Neuburger Kollektaneenblatt von 192315 ausführlich über die weitere Geschichte der Neuburger Stadtürmer, zu denen im 19. Jahrhundert zum Beispiel auch die Neuburger Musikantenfamilie Schin gehörte. Ab etwa 1870 gab es dann nur noch Turmwächter, die ihren Dienst auf dem St.-Peters-Kirchturm noch bis 1920 versehen haben. Die letzte Turmwächterstelle wurde am 16.3.1900 dem Schreiner Pröbst übertragen, der in seinem Turmzimmer 1915 elektrische Beleuchtung erhielt. 1920 wurde dann eine durch die ganze Stadt reichende elektrische Feuermeldeeinrichtung geschaffen, so dass die Turmwache für immer aufgegeben werden konnte. Vereinsamt und verlassen – schreibt Sedelmayer – trauert nun das alte Türmerstüblein und auch das romantische Trompetenanblasen vom Kirchturm herab, das den Neuburgern eine liebe Gewohnheit war, hat ein Ende gefunden16. 13 Siehe Anm. 3 a.a.O. und Ratsprotokoll 1681, Eintragung vom 3.10.1681, S. 41b: Er erhält damals wegen des hohen Alters des amtierenden Stadttürmers die Anwartschaft auf die Stadttürmerstelle. 14 Stadtarchiv Neuburg an der Donau, Akten Nr. 4, Neuburgische Ehehafft Ao 1686 – 1719 sowie Übertragung in Band 2, Rats- und Ehaftsprotokolle – Registerband, S. 263 15 Siehe Anm. 3 a.a.O. 16 Immerhin wird das Turmanblasen vom St.-Peters-Kirchtum nun wieder während des Schlossfestes alle zwei Jahre wieder aufgeführt.