Premiumization

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Premiumization
UNTERNEHMEN & MÄRKTE
Retail-Revolution auf Taubenfüßen:
„Premiumization“ der Convenience Stores
In Japans führenden Convenience Store-Ketten (CVS) findet zur Zeit eine
leise Revolution statt: 7-Eleven, FamilyMart und Lawson verfolgen eine
„Premiumization“-Strategie, die das bisherige Erfolgskonzept, Alltagsprodukte und -dienstleistungen rund um die Uhr zu moderaten Preisen
anzubieten, um eine neue Dimension erweitert und für internationale
Anbieter neue Absatzchancen bietet.
Von Stefan Lippert
W
er heute einen FamilyMart Store in Tokyo betritt, wird
vom Duft frischen Kaffees empfangen, produziert mit
Kaffeemaschinen von WMF (JM06/2014). Beim Rivalen Lawson kommen Maschinen des italienischen Herstellers Carimali
zum Einsatz. Marktführer 7-Eleven entschied sich für das japanische Elektrikunternehmen Fuji Denki, das vor allem für seine
robusten Getränkeautomaten bekannt ist. Die Maschinen wurden optisch von dem in Japan sehr bekannten Produktdesigner
Kashiwa Sato gestaltet. Während FamilyMart und Lawson mit
ihren Geräten Crema- und Espresso-Spezialitäten anbieten und
damit direkt im Wettbewerb zu den Kaffeehäusern stehen, bietet 7-Eleven lediglich frischen Filterkaffee an. 7-Eleven hat nach
eingehenden Tests darauf gesetzt, dass der Unterschied zwischen Crema/Espresso und Filterkaffee den japanischen Konsumenten nicht bekannt ist oder keine zusätzliche Zahlungsbereitschaft auslöst. Das Unternehmen glaubt nicht daran, dass
Verbraucher die „italienischen Momente im Leben“ in einem
Convenience Store genießen möchten. Es hat den Anschein,
dass der Marktführer damit zumindest an der Preisfront richtig
liegt; 7-Eleven hat den Einstiegspreispunkt für frischen Kaffee
auf 100 Yen gesetzt und damit einen Referenzpunkt geschaffen.
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FamilyMart hat den Versuch, mit einem Einstiegspreispunkt
von 120 Yen den Qualitätsunterschied zu reflektieren, nach kurzer Zeit aufgegeben und liegt nun preislich im gleichen Rahmen
wie 7-Eleven. Lawson setzt demgegenüber auf klares Premium-Pricing: Hier liegt der Einstiegspreispunkt bei 185 Yen (155
Yen für Inhaber der kostenlosen Ponta-Kundenkarte).
Convenience Store vs. Coffee Shop
Frischer Kaffee für 100-185 Yen ist natürlich eine massive
Herausforderung für Kaffeehausketten wie Starbucks, Doutor
& Co. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass die
Kaffeekultur in Japan noch sehr jung und stark ausbaufähig
ist, vor allem in Gegenden, in denen es oft nur in der Präfekturhauptstadt am Bahnhof einen modernen Coffee Shop gibt.
Hier stellt sich die Frage, ob der Einstieg der CVS-Ketten in das
Kaffeegeschäft nicht letztlich hilft, die Kategorie zu fördern.
Zudem verkaufen die etablierten Coffee Shops nicht primär
Kaffee, sondern Sitzplätze mit Internetverbindung und können
so ihre Preispunkte rechtfertigen. Sicher, Starbucks ist kein
Wiener Kaffeehaus, aber die Atmosphäre wird sich weiterhin
klar von CVS abheben – auch wenn einige CVS mittlerweile
Sitzecken anbieten, zum Teil in sehr „trendigen“ Gegenden, wie
Lawson in Hiroo oder Tameike, direkt vor dem Amtssitz des
Ministerpräsidenten.
Beispiel Godiva
Um sich als Premiumanbieter zu positionieren, nutzen die
führenden CVS-Ketten drei Taktiken. Die erste Taktik besteht
darin, Top-Marken in ihr Sortiment zu nehmen. Das beste Beispiel bietet Godiva: Das belgische Schokoladenunternehmen ist
der absolute Marktführer in Japan; der Bekanntheitsgrad der
Marke ist hier vergleichbar mit Coca Cola. Japan ist weltweit
der zweitgrößte Markt für Godiva. Um weiter stark zu wachsen,
hat Godiva Japan in neue Geschäftsbereiche diversifiziert: Cookies, Eiscreme und Schokoladendrinks. Damit verbunden war
die Entscheidung, auf einen neuen Vertriebskanal zu setzen:
7-Eleven. Der Pralinenhersteller hat rund 400 Verkaufsstellen
in traditionellen Kanälen sowie ein (geringfügiges) Onlinegeschäft. Die Entscheidung, auf 7-Eleven zu setzen, schafft potenziell Zugang zu rund 16.000 Verkaufsstellen in Japan. Aufgrund
des Risikos für die Marke entschied sich Godiva daher zunächst
nur Eiscreme über die CVS-Kette zu verkaufen (im Wettbewerb
mit Häagen Dasz). 7-Eleven wollte und will aber mehr, und die
massive Bewerbung von Godiva-Produkten zum Valentinstag
zeigt, wohin die Reise geht. Die Kernfrage für Godiva ist, wieweit man diesen Weg gehen kann, ohne die Marke zu gefährden. Dies gilt insbesondere für den Verkauf von Schokolade. Es
ist nicht zu erwarten, dass die „3.000 Yen-Goldbox“ in naher
Zukunft über 7-Eleven-Ladentheken geht, aber Schokoladensnacks im dreistelligen Yen-Bereich, vielleicht in Verbindung
mit frischem Kaffee, sind eine Option.
Indirektes Branding
Die zweite Taktik besteht darin, „private label“-Produkte mit
Hilfe von Top-Zulieferermarken aufzuwerten. Man kann hier
– wie bei „Intel inside“ – von einem indirekten Branding sprechen. Die Verwendung hochwertiger Kaffee-Maschinen von
WMF und Carimali ist ein Beispiel, die angestrebte Verwendung von belgischen oder französischen Premium-Rohschokoladen (wie etwa Valrhona) ein anderes. Doch es brauchen nicht
internationale Marken zu sein: 7-Eleven verkauft ein InstantRamen-Produkt unter dem Namen „Shin Shanghai Honten“, ein
aus den Medien bekannter Ramen-Shop in Yamagata.
Hochwertige „private label“-Produkte
Die dritte Taktik besteht darin, „private label“-Produkte direkt
– ohne Hinweis auf Premium-Zulieferermarken – als hochwertig zu positionieren. Ein Beispiel ist das „Gold“-Premium-Brot
bei 7-Eleven: zwei Scheiben, aufwendig verpackt, für 128 Yen.
Das Premium-Brot wird flankiert vom einfach verpackten
„private label“-Volumenprodukt. Brot von japanischen Markenherstellern im mittleren Preissegment – etwa Yamazaki – ist
praktisch aus den Regalen verschwunden. Hersteller wie Yamazaki gehören daher auch zu den potentiellen Verlierern der
CVS-„Premiumization“-Strategie. Solche Hersteller werden ins
OEM-Geschäft gedrückt und müssen dann gegen Konkurrenten
aus China und Südostasien bestehen. Oder sie versuchen, eigenständig internationales Geschäft aufzubauen, wozu ihnen aber
in der Regel die Leute, die Finanzkraft, das Wissen und die
unternehmerische Energie fehlen.
Die Macht der Convenience Stores
Die rund 35.000 Convenience Stores der drei führenden Ketten
stellen eine massive Verkaufsmacht im japanischen Einzelhandel dar. Neben Online Retailing definieren sie die Zukunft des
japanischen Einzelhandels. Gut geführte Supermarktketten
werden in den Vororten der Großstädte weiterhin existieren, da
sie mit ihrer breiten Palette an Frischprodukten ein Alleinstellungsmerkmal haben. In kleineren Städten und auf dem Land
ist aber eine Konsolidierungswelle unter den Supermärkten und
sonstigen Einzelhändlern abzusehen, da die Bevölkerung rasch
altert, schrumpft und die Landflucht der Jungen ungebremst
bleibt.
Die „Premiumization“-Strategie der drei CVS-Ketten reflektiert diese demografischen Trends. In den Großstädten setzen
sie auf Berufstätige und Single-Haushalte (jap.: ohitorisama), für
die der Mehrpreis angesichts der Zeitersparnis nicht ins Gewicht
fällt. In ländlicheren Regionen konzentrieren sie sich auf die
verbleibende ältere Bevölkerung: Die Geschäfte sind einfach
zugänglich, bieten Parkplatz und Toilette und stellen absolut verlässliche Partner im Alltagsleben dar, bei denen man seine Bankgeschäfte vornehmen kann und vieles andere mehr. Lawson etwa
kündigte im August 2014 an, 30 Test-Stores in den Großräumen
Osaka, Nagoya und Tokyo direkt auf die Bedürfnisse der älteren
Generation zuzuschneiden. Speziell trainierte Mitarbeiter sollen
als „care managers“ Verbindungen zwischen Senioren und Pflegeeinrichtungen herstellen und ausbauen. 7-Eleven hingegen
spricht in der Marketingkommunikation die ältere Generation
direkt an, etwa in TV-Spots über „aktive Senioren“.
Mit ihren extrem effizienten Netzwerken, enormen Skaleneffekten und Verbindungen zu globalen Handelshäusern haben
die drei Ketten überdies entscheidende strategische Vorteile
über Supermärkte und sonstige Händler. In demografischer wie
ökonomischer Sicht arbeitet die Zeit für die drei CVS-Ketten.
Deutsche Unternehmen mit hochwertigen „Food and Beverage“-Produkten sollten sich dieses Trends bewusst sein und, wie
WMF, die sich bietenden Möglichkeiten nutzen, auch wenn der
Zugang zu den führenden CVS-Ketten nicht immer leicht ist.
Hier führt nur Beharrlichkeit zum Ziel. ■
Dr. Stefan Lippert
ist Managementprofessor an der Temple University, Japan Campus,
und Unternehmensberater.
E-Mail: [email protected]
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