Eine Untersuchung zur Ästhetik und Aussage in Musikvideos
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Eine Untersuchung zur Ästhetik und Aussage in Musikvideos
Ludwig-Maximilians-Universität München Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften Department Kunstwissenschaften Institut für Kunstpädagogik Bachelorarbeit Für den Studiengang Kunst und Multimedia an der LMU München Analoge Tricktechnik im Zeitalter digitaler Medien – Eine Untersuchung zur Ästhetik und Aussage in Musikvideos – vorgelegt von: Bogdan Brakalov Matrikelnummer: 2256590 Ungererstr. 214 80805 München Tel.: 0162 542 80 40 E-Mail: [email protected] Gutachter: Dr. des. Daniel Botz Ludwig-Maximilians-Universität München Institut für Kunstpädagogik Leopoldstraße 13 D-80802 München Telefon: +49 (0)89 / 2180 - 5958 Fax: +49 (0)89 / 2180 - 5281 E-Mail: [email protected] München, den 16.06.2011 Inhalt 1 EINLEITUNG.........................................................................................................1 2 GEGENSTAND.......................................................................................................3 2.1 DEFINITION: ANALOGE TRICKTECHNIKEN..................................................................................3 2.1.1 Wortursprung..........................................................................................................3 2.1.2 Stufen zwischen analog und digital .......................................................................3 2.1.3 Digitalisierung.......................................................................................................4 2.1.4 Analoges Medium ..................................................................................................5 2.1.5 Animation...............................................................................................................6 2.1.6 Zusammenfassung .................................................................................................7 2.2 TRICKTECHNIKEN.................................................................................................................8 2.2.1 Traditionelle Tricktechniken in 2D.........................................................................8 2.2.1.1 Zeichentrick 8 2.2.1.2 Rotoskopie 9 2.2.1.3 Flachfiguren-/Legefigurenanimation - Cutout 9 2.2.2 Traditionelle Tricktechniken in 3D.......................................................................10 2.2.2.1 Puppenanimation/Modelanimation 2.2.2.2 Sachanimation 10 2.2.2.2 Pixilation 11 10 2.2.2 Computeranimation und computergestütze Animation.........................................11 2.3 MUSIKVIDEO ...................................................................................................................12 2.2.1 Definition und Herleitung....................................................................................12 2.2.2 Etablierung als Medium ....................................................................................13 2.2.3 Zusammenfassung................................................................................................15 2.2.4 Animation in Musikvideos ...................................................................................15 3 ANALYSE..............................................................................................................17 3.1 ÄSTHETIK: ZWISCHEN AUTHENTIZITÄT UND KÜNSTLICHKEIT .....................................................17 3.1.1 Körperlichkeit, Zufall und digitale Kälte.............................................................17 3.1.2 Magie der Objekte ...............................................................................................19 3.1.3 Die Hybridisierung von analog und digital..........................................................23 3.2 PARALLELEN: MUSIK, TRICKTECHNIK UND SYMBOLE................................................................25 3.3 KURZANALYSE: MUSIKVIDEO...............................................................................................30 3.3.1 Tool: „Sober“(1993)............................................................................................31 3.3.2 Eiffel 65: „Blue (Da Ba Dee)“(1999) ..................................................................33 3.3.3 Incubus: „Megalomaniac“(2003)........................................................................35 3.3.4 Marteria: „Sekundenschlaf“(2011)......................................................................37 3.3.5 The Smashing Pumpkins: „Tonight, tonight“(1996).............................................38 4 FAZIT / AUSBLICK.............................................................................................40 5 QUELLENVERZEICHNIS.................................................................................42 ANHANG...............................................................................................................45 1. Einleitung 1 Einleitung Betrachtet man allein die Möglichkeiten, die heute zur Verfügung stehen, um Auditives mit Visuellem zu kombinieren, ist es nicht verwunderlich, dass sich das Musikvideo in einem Prozess des stetigen Wandels befindet. Je fortschrittlicher die Technik wird, desto grenzenloser erscheinen die Optionen die sich uns bieten, um Ergebnisse kreativer Prozesse zu liefern. Natürlich muss auch berücksichtigt werden, dass mit dem heutigen Wohlstand auch viele Bevölkerungsgruppen Zugang zu Technologien haben, mit denen zum Beispiel vor 30 Jahren nur die Wenigsten in Kontakt kommen konnten (falls es sie überhaupt schon gab). Und auch wenn es damals einen besseren Zugang gegeben hätte, wäre es weitaus mühseliger, sich das Wissen anzueignen, das sich in unserer heutigen Informationsgesellschaft mit Hilfe des Internet ohne große Mühen herausfiltern lässt. Zudem wird die relevante Technik immer billiger und somit auch für fast jedermann erschwinglicher. Dennoch bedeutet technologischer Fortschritt nicht zwangsläufig, dass man sich lediglich auf moderne Möglichkeiten fokussiert und die alten in Vergessenheit geraten. Sicherlich stehen Erstere häufiger auf dem Radar - allein schon um sie weiterentwickeln zu können - doch die für die heutige Generation wohl eher als veraltet angesehenen analogen Tricktechniken finden nach wie vor ihren Platz und werden zugleich in den Fortschritt integriert. Ziel dieser Arbeit ist es unter anderem, die Essenz analoger Tricktechniken zu fassen und zu klären wo und wie sie in heutigen Zeiten zum Einsatz kommen. Genauer gesagt: In Zeiten digitaler Medien in denen sich sämtliche Information lediglich durch Einsen und Nullen darstellen und vermitteln lässt. Diese Informationsüberführung gilt auch für analoge Tricktechniken. Sicherlich wird man sie auch oft genug in natura vorfinden, doch es scheint als ob sich durch die Digitalisierung der Aggregatzustand von analogen Tricktechniken verändert hat. Man kann schon an dieser Stelle festhalten, dass die Idee, die sich hinter der Fassade analoger Tricktechniken verbirgt, nach wie vor präsent ist. Es haben sich lediglich die Mittel der Umsetzung geändert. Die Ästhetik dieser 1 1. Einleitung Tricktechnik hat weiterhin ihren Reiz und einen speziellen Charakter. Doch durch die neuen digitalen Möglichkeiten hat sich eine Hybridform entwickelt, die bei der Umsetzung helfen kann. Wobei diese Änderung sowohl Vorteile als auch Nachteile mit sich führt, was an späterer Stelle genauer erörtert wird. Auch wenn man in einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung einen weiten Bogen um das Wort "Magie" machen sollte, muss an dieser Stelle genau davon gesprochen werden. Denn es haftet eine Art Magie an diesen altbewährten Techniken. Genau diese soll hier entmystifiziert, analysiert und begriffen werden. Wie bereits angedeutet sind die künstlerischen Umsetzungsmöglichkeiten in heutigen Zeiten nahezu unermesslich. Die Anzahl der produzierten Musikvideos (z.T in Heimproduktion) ist in den vergangenen Jahren derartig gewachsen, dass ihre formale und inhaltliche Bandbreite so groß ist, dass sich viele Aspekte nur in einem bestimmten Kontext auf eine ergiebige Art und Weise analysieren lassen. Deshalb ist es Ziel dieser Arbeit, nur Aussagen und Ästhetik von solchen Musikvideos, die analoge Tricktechniken verwenden, zu fassen und zu deuten. 2 2. Gegenstand 2 Gegenstand 2.1 Definition: Analoge Tricktechniken Der Begriff „analoge Tricktechnik“ kommt im allgemeinen Sprachgebrauch eigentlich gar nicht vor, ist jedoch eine Wortschöpfung, die für die Bearbeitung des Themas unerlässlich ist. Deshalb ist es wichtig, zunächst zu klären was damit gemeint ist. Dazu soll der Begriff erst einmal auseinandergenommen werden. 2.1.1 Wortursprung „Tricktechnik“ spricht allein schon aus der Wortzusammensetzung für sich. Es bezeichnet ein Verfahren mit dem man eine Illusion erzeugen kann. Also eine Technik mit der ein Trick erzeugt wird. Interessanter ist in diesem Zusammenhang die Bedeutung von „analog“. Schlägt man im Duden den Begriff „analog“ nach, wird man zunächst auf folgende aus der Bildungssprache stammenden Synonyme stoßen: „identisch“, „ähnlich“ und weitere. Die Bedeutung dürfte in dem Fall allein schon aus dem Alltag bekannt sein. Allerdings ist sie für den hiesigen Sachverhalt eher irrelevant und nur der Vollständigkeit wegen erwähnt. Es gibt noch zwei weitere Bedeutungen. In der elektronischen Datenverarbeitung meint „analog“, dass etwas kontinuierlich bzw. stufenlos ist. Auf physikalischer Ebene ist etwas analog, wenn es „durch ein und dieselbe mathematische Beziehung beschreibbar“ bzw. wenn es „einen Wert durch eine physikalische Größe darstellend“ ist.1 2.1.2 Stufen zwischen analog und digital Der Begriff „stufenlos“ ist vor allem für die Auseinandersetzung mit dem Begriff „digital“ interessant, weswegen Letzteres ebenfalls zur Erläuterung mitberücksichtigt werden muss. So schreibt Ursula Brandstätter: 1 Gesamter letzter Absatz: Vgl. analog – Artikel – duden.de: http://www.duden.de/rechtschreibung/analog_aehnlich_kontinuierlich , Zugriff am 26.5.2011. 3 2. Gegenstand „Der Unterschied zwischen den syntaktischen Grundbegriffen 'analog' und 'digital' kann am besten am Beispiel zweier unterschiedlicher Temperaturmessgeräte veranschaulicht werden. Bedenken wir zunächst die analoge Zeichenfunktion eines stufenlosen, unskalierten Quecksilberthermometers: Steigt die Außentemperatur, so dehnt sich das Quecksilber aus und die Quecksilbersäule steigt. Sie kann dabei eine unendliche Menge von möglichen Positionen erreichen, da es theoretisch zwischen zwei erreichten Positionen immer noch eine dritte gibt. Diese unendliche Differenzierung wird als syntaktische Dichte charakterisiert. Von „analogen“ Repräsentationen spricht man also, wenn die Menge der Zeichen im mathematischen Sinn dicht oder kontinuierlich (ohne Zwischenstufen) ist. Demgegenüber bezeichnet der Begriff 'digital' ein diskontinuierliches, endlich differenziertes Zeichensystem. Als Beispiel für digitale Zeichen kann ein Temperaturmessgerät genommen werden, das über eine Mess-Skala verfügt: Die Skala ermöglicht es, Temperaturwerte in Zehntelgraden abzulesen. Auf diese Weise verwandelt sich das analoge Zeichensystem in ein digitales. Jede Position der Quecksilbersäule wird einem bestimmten, eindeutigen Wert auf der Skala zugeordnet. Digitale Zeichen sind also differenziert und damit diskontinuierlich.“2 2.1.3 Digitalisierung Was hat dieses Beispiel für eine Bedeutung für die Begrifflichkeit von „analogen Tricktechniken“? Im Titel der Arbeit steht der Begriff in Relation zum „Zeitalter digitaler Medien“. An dieser Stelle ist es unerlässlich den Bogen noch weiter zu spannen und im gleichen Zug die Bedeutung vom „digitalen Zeitalter“ anzureißen, bevor es gilt zu konkretisieren was als „analoge Tricktechnik“ bezeichnet werden kann bzw. bezeichnet wird. 2 Brandstätter, Ursula (2004): Bildende Kunst und Musik im Dialog. Ästhetische, zeichentheoretische und wahrnehmungspsychologische Überlegungen zu einem kunstspartenübergreifenden Konzept ästhetischer Bildung. Augsburg: Wissner. S. 108. Bezieht sich auf Nelson Goodman (1973): Sprachen der Kunst. Ein Anatz zu einer Symboltheorie, Frankfurt am Main: Suhrkamp. S. 166ff. 4 2. Gegenstand Markant für das digitale Zeitalter ist, dass Informationen in Form von Nullen und Einsen abgespeichert werden können: Dem sogenannten Binärcode. Um etwas zu digitalisieren, muss es von einem analogen Format in ein digitales Format umgewandelt werden. Das Verfahren heißt „Digitalisierung“. Dies geschieht, indem man kontinuierliche Größen in abgestufte Werte überführt. Durch diesen Vorgang geht stets Information verloren. Und zwar diejenige, die sich zwischen den abgestuften Werten befindet. Man nehme als Beispiel die Digitalisierung von Musik. Um ein analoges Audiosignal zu digitalisieren wird eine Abtastrate verwendet. Dabei werden in bestimmten zeitlichen Intervallen Werte eines Audiosignals abgelesen und gespeichert. Anhand dieser Werte lässt sich schließlich das analoge Signal digital rekonstruieren. Der Informationsgehalt zwischen den jeweiligen Werten wird jedoch nicht gemessen, sondern lediglich berechnet und muss nicht zwangsläufig den gleichen Informationsgehalt besitzen, wie das ursprüngliche Signal. Als weiteres anschauliches Beispiel stelle man sich einfach einen Film vor, der in 24 Bildern pro Sekunde läuft. Wenn jedes zweite Bild fehlen würde, dann erschiene beispielsweise eine flüssige Bewegung plötzlich nicht mehr flüssig. Für die weitere Bearbeitung des Hauptthemas soll an dieser Stelle der Verlust von Information bei der Digitalisierung als eines der Hauptprobleme festgehalten werden. 2.1.4 Analoges Medium Um die Bedeutung von „analoge Tricktechniken“ zu verdeutlichen, soll zudem gezeigt werden, was ein analoges Medium ist. Im Rahmen dieser Arbeit wird ein analoges Medium als zum Beispiel eine Schallplatte oder ein Film, Papier oder Folie verstanden. Also greifbare Gegenstände, die via mechanischer oder auch chemischer Manipulation einen Informationsgehalt speichern können. Die händische Übertragung von Information durch Zeichnen oder Malen natürlich mit inbegriffen. Ein etwas darstellendes Medium wie zum Beispiel einen Röhrenfernseher würde man auch zurecht auch als analoges Gerät bezeichnen. Allerdings wird das analoge Medium hier lediglich auf Informationsträger beschränkt. Wenn in dieser Arbeit der Begriff „analoges Medium“ verwendet wird, bezieht er sich nicht auf finale Wiedergabegeräte. Ab5 2. Gegenstand geleitet von dem bisher Erarbeiteten weist ein solches analoges Medium folgende Eigenschaften auf: Es muss per Hand oder mit mechanisch bzw. chemisch funktionierenden Geräten erstellt werden. 2.1.5 Animation Wenn man sich nun auf die Techniken konzentriert, die in erster Linie mit analogen Medien funktionieren, stößt man ziemlich schnell auf Verfahren wie Zeichentrick, Stop-Motion oder Rotoskopie. All diese Verfahren haben eines gemeinsam: Sie werden Bild für Bild bearbeitet, um schließlich ein bewegtes Bild erzeugen zu können. Das Stichwort lautet hier Animation. „Das eigentliche Thema des Animations- oder Trickfilms ist die Bewegung an sich. Der Trick der Filme besteht darin, Objekte (gezeichnete oder reale), die an sich unbewegt sind, mit Hilfe der Filmtechnik in Bewegung zu versetzen und so zu >beleben< (animare: beseelen, beleben):>>Instead of continuously filming an ongoing action in real time, animators create a series of images by shooting one frame at a time. Between the exposure of each frame, the animator changes the subject being photographed<<. (Bordwell/Thompson 2004: 162; kursiv i. Orig.). Animationen nennt man in Bezug auf filmische Bewegungsbilder deshalb jene Techniken, mit Hilfe derer unbewegte Gegenstände, Figuren, Szenerien oder Zeichnungen in der Projektion als Bewegungsbild erscheinen.“ 3 Kombiniert man nun das bisher Konstatierte mit Sebastian Richter's Aussage, gelangt man zur gleichen Schlussfolgerung wie Paul Wells: „A working definition, therefore, of animation in practice, is that it is a film made by hand, frame-by-frame, providing an illusion of movement which has not been directly recorded in the conventional photographic scene.“4 3 4 Richter, Sebastian (2008): Digitaler Realismus. Zwischen Computeranimation und Live-Action. Die neue Bildästhetik in Spielfilmen. Bielefeld: transcript. S. 64. Richter zitiert nach Borwell, David & Thompson, Kristin (2004): Film Art. An Introduction. Seventh Edition. New York: McGraw -Hill. Wells, Paul (1998): Understanding Animation. London: Routledge. S. 10. 6 2. Gegenstand Während Richter und Wells eine praktische Definition liefern, bringt Norman McLaren die Essenz von Animation zum Vorschein: „Animation is not the art of drawings that move, but rather the art of movements that are drawn. What happens between each frame is more important than what happens on each frame.“5 Zwar umfasst die Definition vom Wortlaut „drawings“ zunächst nur ein Genre, nämlich gezeichnete Animationen. Jedoch korrigiert er später, dass er diesen Begriff lediglich aus rhetorischen Gründen gewählt habe: „static objects, puppets and human beings can all be animated without drawings.“6 2.1.6 Zusammenfassung Wie bereits angesprochen steht der Gegenstand dieser Arbeit - „analoge Tricktechnik“ - in Relation zum digitalen Zeitalter. Animation ist jedoch ein viel umfassenderer Bereich, der auch eine besondere Rolle im digitalen Rahmen spielt. Man denke an computergenerierte 3D-Animationen. Die Definition von „Animation“ liefert keine Aussage darüber, mit welchen Techniken sie konkret realisiert wird. Also, ob sie komplett am Computer erzeugt wird oder mit analogen Bearbeitungsgeräten. Wenn also im Folgenden „analoge Tricktechnik“ definiert wird, werden ausschließlich am Computer generierte Animationen nicht berücksichtigt. Demnach wird im Rahmen der Arbeit „analoge Tricktechnik“ wie folgt definiert: Analoge Tricktechnik ist ein Verfahren in dem man analoge Medien animiert. Analoge Medien können unbewegte Gegenstände, lebende Menschen/Tiere, Fotos, Figuren, Szenerien oder Zeichnungen in der Projektion sein. Sie müssen per Hand, oder mit Hilfe chemischer und mechanischer Verfahren entstanden sein. „Animiert“ bedeutet, dass die Illusion von Bewegung entstehen muss. Die Illusion muss durch Bild-für-Bild Bearbeitung entstehen. 5 McLaren zitiert nach Furniss, Maureen (1998): Art in Motion. Animation Aesthetics. Sydney: John Libbey & Company Limited. S.5. Die Definition stammt aus den 50er Jahren. Sie findet sich z.B. auch bei Wells 1998: S.10. 6 Ebd., S.5. 7 2. Gegenstand 2.2 Die Tricktechniken Man muss sich einen bedeutenden Unterschied zwischen Realfilm und Animation vor Augen halten. Während der Realfilm eine Bewegung in einzelne Bilder unterteilt, zäumt die Animation das Pferd regelrecht von hinten auf. Zu Beginn stehen Einzelbilder, durch deren Aneinanderreihung eine Bewegung erst möglich wird. Was die dazugehörigen Verfahren, die sich im Laufe der Zeit etabliert haben, „verbindet, ist der Aufbau eines Vorgangs durch Bewegungsphasen.“7. „Die englische Bezeichnung stop motion animation […] beschreibt das Verfahren und lässt mit Recht offen, was da Bild für Bild vor der Kamera in Bewegung gesetzt wird.“8 Nicht zuletzt ist auch klar, dass es sich bei der Animation – und somit den analogen Tricktechniken – um verschiedene Produktionsarten handelt, die durch ihre Mannigfaltigkeit in Technik oder Formen eine unterschiedliche Ästhetik hervorrufen. Im Folgenden werden einige wichtige Animationsverfahren erläutert. 7 8 Richter 2008, S.64. Ebd., S.64-65 zitiert nach Meyer-Hermann, Thomas (2005): Belebtes Material. Puppentrickfilm in Deutschland seit den 1990er Jahren. In: Stop motion – die fantastische Welt des Puppentrickfilms, Eine Ausstellung des Deutschen Filmmuseums. Herausgeber: Dietrich, Daniela & Appelt, Christian. Frankfurt am Main: Deutsches Museum S. 29. 8 2. Gegenstand 2.2.1 Traditionelle Tricktechniken in 2D 2.2.1.1 Zeichentrick Filmhistorisch betrachtet, ist der Zeichentrick die bekannteste und populärste Animationstechnik, die in erster Linie auf Zeichnungen und gemalte Bilder zurückgreift. Für eine Sekunde Film wurden zu Beginn 24 Bilder benötigt, die auf dünnes Papier gezeichnet wurden. Sämtliche statische Bestandteile wurden durchgepaust, was die Arbeit vereinfachen sollte. 9 Die einzelnen Phasenbilder werden jedoch seit 1910 meist auf Folien aus durchsichtigem Zelluloid gezeichnet. Bei diesem Zeichenprozess werden die jeweiligen Bilder auf verschiedene Ebenen aufgeteilt. Dadurch müssen statische Bestandteile nicht jedes mal neu gezeichnet werden und man kann die unterschiedlichen Objekte unabhängig voneinander bearbeiten. So lassen sich auch die Zeichenschritte auf verschiedene Zeichner aufteilen, was die Arbeit im Allgemeinen erleichtert.10 2.2.1.2 Rotoskopie Genau genommen ist die Rotoskopie kein Animationsverfahren, sonder vielmehr ein Hilfsmittel, um möglichst natürliche Bewegungen in einer Animation entstehen lassen zu können. Das Rotoskopieverfahren wurde 1914 von Max Fleischer erfunden und findet seine Verwendung ursprünglich im Zeichentrickfilm. Der Realfilm dient dabei als Grundlage. Es werden ganze Szenen mit Schauspielern, Tieren oder speziellen Maschinen mittels Kamera aufgenommen. Der daraus resultierende Film wird dann so projiziert, dass die verschiedenen Bewegungsphasen Bild für Bild abgezeichnet werden können.11 In heutigen Zeiten bezeichnet „Rotoskopie“ auch ein etwas abgewandeltes Verfahren, das in vielen computergestützten Videobearbeitungsprogrammen zum Einsatz kommt: Zum Beispiel lassen sich Objekte in einem Video markieren und samt ihrer Bewegung von Hintergrund oder anderen gewünschten Bereichen freistellen. Zwar hat sich am 9 10 11 Vgl. Schoemann, Annika (2003): Der Deutsche Animationsfilm. Von den Anfängen bis zur Gegenwart 1909-2001. Sankt Augustin: Gardez Verlag. S. 46-62. Vgl. Richter 2008, S.65f. Vgl. Leonhard, Joachim-Felix (2001): Medienwissenschaft. Ein Handbuch Zur Entwicklung der Medien und Kommunikationsformen. S.1039-1040. 9 2. Gegenstand Grundprinzip nichts geändert, dennoch führt dieser Sachverhalt unter Umständen zu Missverständnissen. 2.2.1.3 Flachfiguren- / Legefigurenanimation – Cutout Animation Bei diesem Verfahren bedient man sich graphischer Vorlagen, wie etwa Fotos oder ausgeschnittenen Papp- oder Papierfiguren. Diese werden übereinandergelegt und mittels Stop-Motion animiert. Oftmals sind diese Materialien sehr detailreich, weswegen sich die Vorbereitung als aufwendig erweist. Ausgeprägte Mimik und Gestik vor einem meist reduzierten Hintergrund gehören zu den wichtigsten visuellen Darstellungskriterien, die erfüllt werden sollen. Flüssige Bewegungsabläufe oder auch Dialoge lassen sich (im analogen Bereich) mit dieser Technik jedoch schwer umsetzen, weshalb sie meist für Kurzformate zum Einsatz kommt.12 2.2.2 Traditionelle Tricktechniken in 3D Im weitesten Sinne handelt es sich bei allen dreidimensionalen Animationen um Objektanimationen, die im Stop-Motion Verfahren realisiert werden. Deshalb werden die im Folgenden vorgestellten Tricktechniken häufig als StopMotion Animation bezeichnet. Doch jedes Verfahren hat seine eigenen besonderen Merkmale, die es von den anderen unterscheidet. Für diese Arbeit ist es vollkommen ausreichend, die folgenden drei Verfahren zu kennen. 2.2.2.1 Puppenanimation/Modellanimation Unter diesem Verfahren versteht man die Animation von beweglichen, plastischen Puppen, die etwa aus Holz, Draht, Stoff oder Wolle sein können. Im Prinzip alle Gegenstände, die gelenkig oder formbar sind. Zudem steht die Puppenanimation auch in der Tradition des Marionettentheaters: „Die Puppe stellte zu allen Zeiten ein verkleinertes Bild des Menschen dar, gleichgültig, ob sie primitiv oder künstlerisch gefertigt war“.13 Daraus lässt sich ableiten, dass Puppen meist menschliche Züge besitzen.14 12 13 14 Letzter Absatz: vgl. Schoemann 2003, S.32f Letzter Absatz: Vgl. ebd, S.34f Vgl. Richter 2008, S.65 10 2. Gegenstand Der Begriff der Modellanimation wird häufig dann verwendet, wenn sich die Kreaturen vom Wesen der klassischen Puppe entfernt haben. Hierzu gehören auch Figuren aus Ton oder Knete, für die sich die spezielle Bezeichnung Knetanimation, Clay Animation bzw. Claymation durchgesetzt hat.15 2.2.2.2 Sachanimation Bei der Sachanimation – auch Sachtrick – werden dreidimensionale Objekte Bild um Bild in ihrer Position verändert. Anders als bei der Puppenanimation, werden die Objekte weder verfremdet noch mit Mimik oder Gestik versehen. Sie stehen einzig und allein für sich.16,17 2.2.2.3 Pixilation Natürlich kann grundsätzlich alles animiert werden. Das gilt auch für Menschen. Dieses Verfahren wird durch den Begriff „Pixilation“ beschrieben. Die Bezeichnung kann hierbei vom englischen Wort „pixilated“ hergeleitet werden. Also „leicht verrückt“. In Abhängigkeit von den aufgenommenen Bewegungsphasen (von Personen) werden hierbei reale Abläufe unterbrochen. Daraus resultieren bizarre Szenen, die den Menschen roboterartig erscheinen lassen. Das Interessante an diesem Verfahren ist: Während bei Sach- oder Puppenanimation meist versucht wird, eine flüssige Bewegung zu erzeugen, versucht die Pixilation das genaue Gegenteil erreichen. Sie zerhackt die Bewegung. Darüber hinaus ist zu beobachten, dass der lebende Mensch plötzlich zu einem Gegenstand mutiert. Betrachtet man erneut den Wortursprung von „Animation“ in diesem Kontext, dann erscheint dieser Sachverhalt ein wenig paradox: Animation soll etwas zum Leben erwecken. Doch hier wird einem Lebewesen das Leben entzogen. Man kann vermuten, dass Animation etwas Subversives in sich birgt und nicht nur etwas beleben kann, sondern auch etwas wiederbeleben kann. Diese These wird jedoch an späterer Stelle konkretisiert.18 15 16 17 18 Vgl. Faigle, Daniel (2006): Freilandeier – Konzeption und Realisation eines Stop – Motion – Animationsfilmes. Diplomarbeit an der Fachhochschule Stuttgart. Online-Publikation. http://www.hdm-stuttgart.de/~curdt/Faigle.pdf. Zugriff am 01.06.2011. S.16. Vgl. Schoemann 2003, S. 30-32. Vgl. Richter 2008, S. 65. Vgl. Furniss 1998, S. 159. 11 2. Gegenstand 2.2.3 Computeranimation und computergestützte Animation Auf das Wesentliche reduziert, bezeichnet die Computeranimation die Erzeugung synthetischer Bewegungsbilder. Im Gegensatz zu den klassischen Animationen konstruiert diese Animationsart „keine Einzelbilder mehr, die durch ihre unterschiedlichen Bildfigurationen in der Projektion als Bewegungsbilder erscheinen.“19 Darüber hinaus ist diese Technik in der Lage, Bewegungsinformation und Bildinformation getrennt voneinander zu speichern. Bewegungen können demnach einem erzeugten Objekt hinzugefügt, verändert oder wieder entfernt werden. Die Visualisierung von Bilder ist hierbei gänzlich den Gesetzen der Mathematik unterworfen. In der Praxis werden Schlüsselbilder verwendet. Die Bewegungsphasen zwischen diesen „Keyframes“ entstehen durch Interpolation, die aus Berechnungen einer Software resultieren.20 Natürlich bedient sich die Computeranimation des Öfteren der oben vorgestellten traditionellen Verfahren. Analoge Medien, wie etwa Zeichnungen, Fotos oder Papierfiguren werden ebenfalls mit Hilfe des Computers bewegt. Für diese Methode ist jedoch eine Digitalisierung notwendig. In solchen Fällen spricht man von „computergestützter Animation“.21 2.3 Musikvideo: Definition und historischer Rückblick „Es scheint sowohl schwierig, wo nicht sogar unmöglich, als auch müßig zu versuchen, die Stunde Null des Videoclips zu bestimmen. […] Als Grundproblem bei einer Identifikation sowohl eines solchen Anfangs als auch seiner Vorstufen erweist sich dabei, dass die entsprechenden Vorschläge stets davon abhängig sein werden, wie oder als was man Videoclips definiert und versteht.“22 Demnach ist es wichtig an dieser Stelle ein Verständnis für Musikvideos aufzubauen. Im Gegensatz zum Begriff der „analogen Tricktechniken“ ist es hier möglich auf gängige Definitionen zurückzugreifen. 19 20 21 22 Richter 2008, S. 64. Vgl. ebd., S. 63. Schoemann 2003, S.63. Keazor, Henry & Wübbena, Thorsten (2005): Video thrills the Radio Star. Musikvideos: Geschichte, Themen, Analysen. Bielefeld: transcript. S.55. 12 2. Gegenstand 2.3.1 Definition und Herleitung Sowohl Henry Keazor und Thorsten Wübbena als auch Mirjam Schlemmer-James sind sich einig, dass es sich bei Musikvideos (auch: Musikvideoclips, Videoclips, Clips) um Kurzfilme handelt, die nach der Musikproduktion von der Plattenfirma des jeweiligen Interpreten zu Promotionszwecken bei einem Regisseur oder einer Produktionsfirma in Auftrag gegeben werden, um zum besseren Verkauf der Tonträger zu verhelfen.23,24 Ausgehend vom Wortursprung des Begriffs „video“ (lat.) „ich sehe“ lässt sich ergänzend - nach Peter Weibel - „Musikvideo“ als „ich sehe Musik“ übersetzen.25 Aus Letzterem wird jedoch verdeutlich, dass es schwierig ist den historischen Ursprung des Musikvideos genau zu fassen. Nicht nur, weil „ich sehe Musik“ auf vielerlei Arten interpretiert werden kann. 1895 brachte beispielsweise Thomas Alva Edison das „Kinetophon“ heraus, das es möglich machte bewegte Bilder mit Musik zu unterlegen oder auch umgekehrt Musik mit bewegten Bildern zu untermalen. Ziel war es mit dem Gerät im heimischen Wohnzimmer einen Ersatz für Liveauftritte und Konzerte zu ermöglichen.26 Diese Erfindung dürfte jedoch eher als Vorform angesehen werden. Das „Musiksehen“ ist eine ganz allgemeine Definition die zwar den Grundkern aus der Wortbedeutung her erfasst, aber als alleinstehende Paraphrase reicht sie für das heutige Verständnis von „Musikvideo“ natürlich nicht aus. Dass es sich laut Definition um einen Kurzfilm handelt, ist allerdings eine wichtige Aussage, die den Sachverhalt eingrenzt. Man kann damit eine direkte Verwandtschaft zum Film herstellen. Neben der Reproduktion auditiver und visueller Information wird nach Mirjam Schlemmer-James bei beiden Medien die Verschränkung von Musik und Bild eingeschlossen. Darüber hinaus findet man in zahlreichen Videoclips Filmzitate (Madonna - „Material Girl“ zitiert „Gentlemen Prefer Blondes“) oder Film-Genrezitate (Michael Jackson - „Thriller“ als Horrorfilm). 23 24 25 26 27 27 Das Zitieren ist für die spätere Auseinandersetzung mit dem Haupt- Vgl. Keazor, Henry und Wübbena, Thorsten: Musikvideo. http://see-this-sound.at/kompendium/abstract/44. Zugriff am 01.06.2011. Vgl. Schlemmer-James, Mirjam (2006): Schnittmuster. Affektive Reaktionen und variierte Bildschnitte bei Musikvideos. S. 59. Vgl. ebd, S.59. Vgl. Keazor, Henry und Wübbena, Thorsten 2005, S.57. Vgl. Schlemmer-James, Mirjam 2006, S.59-60. 13 2. Gegenstand thema ein interessanter Punkt, da viele aktuell verwendete analoge Tricktechniken auf (Kurz)Filmen vergangener Tage aufbauen. Eine weitere Eingrenzung bieten die in der Definition erwähnten Begriffe „Plattenfirma“ und „Promotionszwecke“. Diese lassen darauf schließen, dass es sich um ein Medium handelt, das sich irgendwann innerhalb des letzten Jahrhunderts etabliert hat. 2.3.2 Historischer Durchbruch In Hinblick auf das Hauptthema der Arbeit ist es an dieser Stelle sinnvoll, einen – wenn auch groben – Zeitpunkt zu finden seit dem das Erscheinungsbild und Verständnis von Musikvideos dem ähnelt, was wir heute aus Fernsehen und Internet kennen. Musikvideos werden seit Mitte der 60er Jahre produziert. Man denke beispielsweise an The Kinks, The Who oder auch The Beatles, die kurze, ihre Musik begleitende Filme kreieren wollten. Während die Videos der ersten beiden Bands – wie „Dead End Street“ (1966) und „Happy Jack „(1967) - eher auf Slapstick Comedy basierten, experimentierten The Beatles auf psychedelischer Basis wie in „Strawberry Fields Forever“ (1967). Zudem bevorzugten sie surrealistische Realfilme in Kombination mit Kino Varieté wie in „A Hard Day's Night“ (1964) oder auch Witze, wie sie in „Help!“ (1965) zu sehen sind. Man kann jedoch erst eine Dekade später von einem ersten möglichen Durchbruch sprechen. Auch gab es schon in den 40ern die „Soundies“. Im Prinzip handelt es sich dabei um jukeboxähnliche Geräte, die zusätzlich in der Lage waren Videos auf einem Monitor zu zeigen. Allerdings können diese auch nur als Vorreiter des Musikvideos betrachtet werden, die dem Musikvideo nict den Durchbruch als Medium verschafften.28 Mitte der 70er entwickelte sich schließlich das Musikvideo zum Hauptmarketinginstrument, wenn es galt, neue Pop- und Rockkünstler zu promoten. DEVO und Residents wurden bereits vor MTV in Amerika als Musikvideostars gefeiert. In Großbritannien war es Queen's Clip zu „Bohemian Rhapsody“, der 1975 durch die innovative Verwendung neuer Techniken für Begeisterung auch außerhalb des Inselstaates sorgte. Heute wird dieses von Bruce Gro28 Vgl. Strom, Gunnar (2007): Animation Sudies – Vol.2. http://journal.animationstudies.org/download/volume2/ASVol2Art7GStrom.pdf. Zugriff am 1.6.2011. S.60. 14 2. Gegenstand wers gedrehte Video regelmäßig mit dem Durchbruch des Musikvideos in Verbindung gebracht. Laut Gunnar Strom lässt sich MTVs Erstausstrahlung von „Video killed the radio star“ am 1.8.1981 als finaler Durchbruch des Musikvideos betrachten.29 Durch die Etablierung eines eigens für Musikvideos erdachten Senders standen die Türen für das Medium plötzlich weit offen. Denn auf einmal hatte man eine Plattform, die ein sehr breites Publikum ansprechen konnte. Nicht nur für den Konsumenten, der seine Idole rund um die Uhr im Fernseher zu betrachten vermochte, war dies von großem Interesse. Auch Musiker und deren Labels konnten daraus Profit schlagen, da sich ihre Musik dadurch besser vermarkten ließ. Das große Interesse an dem neuen Medium lockte natürlich auch viele Filmproduzenten an, die für sich eine neue Chance sahen, um mit innovativen Ideen zu experimentieren. Man kann hier von einer Kettenreaktion sprechen, die das Musikvideo stetig wachsen und gedeihen ließ. Zusammenfassend lässt sich für den hier betrachteten Gegenstand „Musikvideo“ Folgendes festhalten: 2.3.3 Zusammenfassung Ein Musikvideo (auch: Musikvideoclip, Videoclip, Clip) ist ein Kurzfilm, der nach der Musikproduktion von der Plattenfirma des jeweiligen Interpreten zu Promotionszwecken bei einem Regisseur oder einer Produktionsfirma in Auftrag gegeben wurde, um zum besseren Verkauf der Tonträger zu verhelfen. Der finale Durchbruch dieses Mediums wird mit der MTV-Erstausstrahlung auf den 1.8.1981 datiert. 2.3.4 Animation in Musikvideos Es ist sowohl interessant als auch notwendig, zu klären, wieso vor Mitte der 80er Jahre Animationen keine Rolle in der Geschichte des Musikvideos spielten.30 Und das, obwohl sich Belege für Animationen in Verbindung mit Musik durch die ganze Filmgeschichte hindurch nachweisen lassen. Auf die Frage, 29 30 Vgl. Strom, Gunnar 2007, S. 58. Sicher spielten Animationen aus heutiger Sicht eine Rolle. Jedoch wurden die frühen musikunterlegten Animtionen laut Gunnar Strom in Abhandlungen über die Geschichte des Musikvideos nicht als solche betrachtet. 15 2. Gegenstand warum das so ist, führt Gunnar Strom mehrere Gründe an, die für diesen Sachverhalt verantwortlich sind:31 Zunächst wurde das animierte Musikvideo der Kunstsparte zugeordnet. Wie beispielsweise bei Disney's „Silly Symphonies“ und „Fantasia“ sollte - anders als bei dem Musikvideo nach obiger Definition – kein Musiker vermarktet werden. Das Hauptaugenmerk war auf die Zeichentrickkunst gerichtet. Die Musik und die Geräusche dienten eher zur Untermalung der Geschichte und waren damit zweitrangig. Ein weiterer praktischer Grund ist, dass die Videos schnell entstehen mussten, um rechtzeitig mit der Vermarktung des neuen Songs beginnen zu können. Zu damaligen Zeiten war eine Animation weitaus aufwändiger zu produzieren als in heutigen Tagen, in denen die Computertechnik eine gute Hilfestellung bietet. Auch in Hinsicht auf den zeitlichen Aspekt einer derartigen Produktion konnte sich die Animation nur in den seltensten Fällen als brauchbare Option durchsetzen. Zudem war es aus imagetechnischen Gründen weitaus wichtiger, den Musiker in Szene zu setzen, weswegen der Realfilm die bei weitem passendere Lösung bot. Als dann Mitte der 80er das Musikvideo zu boomen begann, stellten die Plattenlabels ein wesentlich höheres Budget für ihre Produktion zur Verfügung. Das bedeutet, dass auch wieder mehr Spielraum für den Einsatz analoger Tricktechniken vorhanden war. Am Beispiel von Michael Jackson und Madonna ist es nicht schwer zu erkennen zu welch mächtigem Marketinginstrument das Medium herangewachsen war. Vor allem durch geschickte Planung und durch geschickte Vorgehensweisen war es auch möglich, unbekannte Musiker in kürzester Zeit auf die Nummer Eins der Charts zu katapultieren. Das Video zu „Take on Me“ der norwegischen Band A-Ha ist exemplarisch für diese Macht. Abgesehen davon, dass der Song an sich schon gut produziert war, sorgte er besonders in Hinsicht auf die verwendete Tricktechnik, die auf Grund der höheren Budgets möglich war, für große Begeisterung. Zwar war die darin verwendete Rotoskopie-Technik schon seit 1915 von Max Fleischer bekannt. Doch die Kombination mit dem Musikvideo war für das Publikum besonders beeindruckend. Selbst heute taucht dieser Clip regelmäßig in sämt31 Vgl. Strom, Gunnar 2007, S.59- 61. 16 2. Gegenstand lichen Bestenlisten auf. Peter Gabriels „Sledgehammer“ ist ein weiteres Highlight der analogen Tricktechnik, das etwa zur gleicher Zeit entstand. Umgesetzt wurde es mit Pixilation, einer auf Stop-Motion basierenden Tricktechnik, die in dieser Form ebenfalls zu beeindrucken vermochte. Bei beiden Beispielen ist jedoch zu bemerken, dass trotz Einsatz von Animationen die Musiker weiterhin in Szene gesetzt wurden. Als im Verlauf der 90er Jahre die Begeisterung für Musikvideos stetig abnahm, wurden die Budgets für weitere Produktionen gekürzt, was zur Folge hatte, dass die animierten Videos weitgehend von der Leinwand verschwanden und durch Tanz- und Performancevideos ersetzt wurden. Die rasante Entwicklung des Computers Ende der 90er Jahre führte jedoch zu billigeren Anschaffungspreisen und besserem Zugang zu den neuen Technologien. Trotz gekürzter Budgets war die Produktion von animierten Clips wieder in den Rahmen des Machbaren gerückt. Nicht zuletzt betrachteten sich sowohl die Musiker als auch die Regisseure plötzlich mehr als Künstler und weniger als Unterhalter, weswegen Animationen wieder interessanter wurden. 3 Analyse 3.1 Ästhetik: Zwischen Authentizität und Künstlichkeit Welche Rolle die analogen Tricktechniken im Zeitalter digitaler Medien spielen, lässt sich sicherlich nicht in einem Satz wiedergeben. Dennoch kann man konstatieren: Was früher in akribischer Handarbeit angefertigt wurde, lässt sich heutzutage auch am Computer erzeugen. Vergleicht man aber „Klassiker“ wie Walt Disney's „Mickey Mouse“ mit aktuellen Animationen, wie „Family Guy“, „The Simpsons“ oder „Futurama“ , die gänzlich am Computer erzeugt werden, erkennt man schon nach kurzer Zeit einen wesentlichen Unterschied. Die synthetisch am Computer erzeugten Bilder wirken weitaus steriler und 17 3. Analyse sauberer als die Handzeichnungen mit analoger Technik. Ein Phänomen, dass sich auch durch „digitale Kälte“ beschreiben lässt. 3.1.1 Körperlichkeit, Zufall und digitale Kälte Doch was ist „digitale Kälte“ und wodurch wird sie hervorgerufen? Einen bedeutenden Anhaltspunkt liefert die Körperlichkeit von Objekten. Im Gegensatz zur analog erzeugten Animation fehlt der gänzlich am Computer erzeugten Animation eine eigene Materialität. Letztere besteht im Wesentlichen nur aus Binärcode und auf Mathematik beruhenden Visualisierungen, die in der realen Welt nicht greifbar sind. Das einzig Greifbare ist das Wiedergabemedium, das aber mit der Animation selber rein gar nichts zu tun hat. Die Gegenstände der traditionellen Animationen existieren jedoch in der realen Welt: Allein der Film, der den Informationsgehalt trägt, ist ein Gegenstand, der sich anfassen lässt und zudem eine Struktur, Textur und Körnung besitzt. Das Papier oder die Folien im Zeichentrick, die Objekte, Gegenstände und Lebewesen beim Stop-Motion Verfahren haben alle eine real existierende und individuelle Materialität. Sogar das Zeichen- und Malwerkzeug erzeugt einzigartige Spuren. Ein Rechner hingegen bringt keine derartigen Attribute hervor. Zwar sind heutige Rechner in der Lage, realistische Abbildungen zu erschaffen, bei denen man keine eindeutige Aussage mehr darüber treffen kann, ob es sie in Wirklichkeit gibt oder nicht. Dennoch handelt es sich dabei um synthetisch erzeugte Bilder, die eine Materialität lediglich simulieren. Mit der Körperlichkeit kommt auch der Zufall. Wie man ein Objekt auch drehen und wenden mag, wird es sich in der realen Welt immer von anderen Objekten unterscheiden. Die jeweilige Einzigartigkeit ist auf den Zufall zurückzuführen. Egal mit welch handwerklicher Perfektion beispielsweise auf ein Papier gezeichnet wird, zwei Zeichnungen werden zu keinem Zeitpunkt identisch sein. Man denke allein schon an das verwendete Papier: Wo wurde es hergestellt? Wie ist die Zusammensetzung? Stammt die Cellulose vom gleichen Baum? Es ist eine nahezu unendlich lange Kette an Faktoren und Zufälligkeiten, die zu dieser einen Zeichnung führen. Im Gegensatz dazu arbeiten Computer mit „einfachen“ Algorithmen. Zwar gibt es auch hier zufällige Be- 18 3. Analyse rechnungen, doch unterscheiden sich diese künstlichen Zufallsgeneratoren immens von der Komplexität der realen Welt. Auch in der analogen Produktion spielt der Zufall eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Wenn man auf moderne technische Hilfsmittel verzichtet, ist viel handwerkliches Können nötig, um eine derartige Produktion zu kreieren. Es müssen direkte Entscheidungen getroffen werden, die für den Erfolg oder das Scheitern des nächsten Schritts verantwortlich sind. Fehler, die in diesem Prozess entstehen, lassen sich - anders als am Rechner - nur in den seltensten Fällen rückgängig machen, weshalb es auch von Anfang an wichtig ist zu wissen, welches Ergebnis man erreichen will. Der Computer lässt weitaus mehr Entscheidungsmöglichkeiten offen und bietet damit auch mehr Spielraum für Experimente.32 Man kann so zum Beispiel zu jedem Zeitpunkt das komplette Erscheinungsbild ändern, was im analogen Bereich praktisch nicht möglich ist bzw. viel zu aufwendig wäre. Am Rechner lässt sich alles zu jeder Zeit berechnen, was dem Zufall in den seltensten Fällen einen Spielraum bietet. Die Abwesenheit des Zufalls, des Unvorhersehbaren ruft die „digitale Kälte“ hervor. Aus dem bisher Erörterten lässt sich demnach folgende Aussage ableiten: Während die analoge Tricktechnik mittels ihre Körperlichkeit Authentizität in sich birgt, vermittelt allein schon das digitale Wesen der Computeranimation eine Künstlichkeit, die durch die „digitale Kälte“ verstärkt wird. 3.1.2 Magie der Objekte Wirft man einen genaueren Blick auf die Wirkung der traditionellen dreidimensionalen Animationstechniken, so lässt sich ein magisches Moment erfassen. Die plötzliche Bewegung von einem Gegenstand ohne erkennbare äußerliche Einwirkung anderer Kräfte birgt etwas Geisterhaftes in sich. Insbesondere, wenn man im Hinterkopf behält, dass die Gegenstände greifbar und real sind. Man weiß beispielsweise von einem Stein, dass er existiert. Doch ein Stein ist ein Objekt, das sich nicht aus eigener Kraft in Bewegung versetzen 32 Vgl. Maurer, Björn / Müller, Roman (1998): Digitale Technik - digitale Ästhetik. Zwei digitale Video-Schnittsysteme im Vergleich. Bericht zum internationalen Forschungsprojekt 'VideoCulture' an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. http://www.mediacultureonline.de/fileadmin/bibliothek/maurer_video-expertise/maurer_video-expertise.pdf. Zugriff am 01.06.2011. S. 14. 19 3. Analyse kann. Das widerspricht gänzlich unserem rationalen Verstand. Um dieser Magie auf die Spur zu kommen wird hier analaog zu Paul Wells zunächst auf die Zagreber Schule des ehemaligen Jugoslawien hingewiesen, die diese These unterstützt.33 Die dort ansässigen Trickfilmzeichner arbeiteten an der Weiterentwicklung von Norman McLarens Definition zur Animation. Dazu starteten sie den Versuch, ästhetische und philosophische Aspekte mit einzubeziehen. So schlagen sie Folgendes vor: Animation ist „to give life and soul to a design, not through the copying but through transformation of reality.“ 34 Die Betonung liegt auf dem kreativen Aspekt des wörtlich zu nehmenden „etwas beleben“, das unbelebt ist. Sie wollten etwas über die Figur oder das Objekt im Fortgang zum Vorschein bringen, das sich unter keinen Umständen begreifen lässt. Filmemacher aus Zagreb, wie Dusan Vutkovic wollten die Realität transformieren und der Art und Weise entgegenwirken, mit der die Disney Studios ihre Animationen anfertigten. Denn die Disney Studios Animationen waren bemüht realistisch zu wirken. Also einen Realismus darzustellen, ähnlich dem Realfilm. Diese Verfahrensweise bekam in den USA eine dominante und ideologische Position. Im Gegensatz dazu sah die Zagreber Schule Animation als etwas Nichtrealistisches und potenziell Subversives an. Auch die britischen Animationskünstler John Halas und Joy Batchelor scheinen diesen Punkt bestätigen zu wollen indem sie postulieren: „If it is the live-action film's job to present physical reality, animated film is concerned with metaphysical reality – not how things look, but what they mean.“ 35 Diese Betrachtungsweise impliziert, dass die „Bedeutung“ aus dem eigentümlichen Vokabular, das dem Animationskünstler zur Verfügung steht, hervorgerufen wird. Doch dies ist nicht das Terrain des Realfilmemachers. Der aus Tschechien stammende surrealistische Trickzeichner Jan Svankmajer nimmt dieses Vokabular als etwas Befreiendes, Einzigartiges und potenziell Hinterfragendes wahr: „Animation enables me to give magical powers to things. In my films, I move many objects, real objects. Suddenly, an everyday contact with things 33 34 35 Vgl. Well, Paul 1988, S. 10-11. Holloway, Ronald (1972): Z is for Zagreb. London: Tantivy Press. S. 9. Hoffer, Thomas W. (1981): Animation: A Reference Guide. Westport, Connecticut: Greenwood Press. S.3. 20 3. Analyse which people are used to acquires a new dimension and in this way casts a doubt over reality. In other words, I use animation as a means of subversion.“36 Paul Wells zufolge beschreibt Svankmajers Ansicht womöglich am besten, welche Möglichkeiten einem Animationskünstler zu Verfügung stehen: Durch Animation lässt sich das Alltägliche neu definieren. Die von uns akzeptierten Begriffe von „Realität“ werden untergraben, was dazu führt, das wir unseren strenggläubigen Verstand und die Akzeptanz unserer Existenz herausfordern müssen. Die Animation trotzt den physikalischen Gesetzen der Schwerkraft, stellt unser Verständnis von Raum und Zeit in Frage und stattet leblose Gegenstände mit dynamischen und lebhaften Attributen aus. Dadurch lassen sich originelle Effekte erzeugen. Nicht umsonst meint Paul Wells, dass die Animation ursprünglich in den Händen der Magier lag. Georges Melies war zum Beispiel ein solcher Magier und das nicht nur im übertragenen Sinn. „The Father of Special Effects“ gilt zudem als Erfinder des Stop-Motion-Tricks: Während er eine Live-Szene am Place de l'Opera drehte blockierte seine Kamera. Es brauchte etwa eine Minute bis er seine Arbeit fortsetzten konnte. Als sich bei der späteren Vorführung ein Bus plötzlich in einen Leichenwagen verwandelt hatte und Passanten verschwanden und wieder auftauchten, baute er diese zufällige Entdeckung zu einem bedeutendem Spezialeffekt aus. Zwar wurde die Stop-Motion-Technik schon früher von Edison entdeckt, allerdings war es Melies, der sie ausgiebig in seinen Filmen verwendet hat.37,38 Ohne weiter auf die Entstehungsgeschichte des Stop-Motion Verfahrens einzugehen, blicken wir an dieser Stelle nochmal zurück auf die Körperlichkeit, die ebenfalls eine Rolle in der Entmystifizierung der Magie spielt. Das Hauptaugenmerk dreidimensionaler Animation liegt nach Paul Wells auf dem Ausdruck von Materialität.39 Bedingt dadurch wird eine gewisse Meta-Realität geschaffen, welcher die selben physikalischen Gesetzmäßigkeiten 36 37 38 39 Zitiert nach Wells, Paul 1998, S.11. Vgl. Georges Méliès – Biography: http://www.imdb.com/name/nm0617588/bio, Zugriff am 12.06.2011. Vgl. Leonhard, Joachim-Felix 2001, S. 1038 – 1040. Der folgende Abschnitt bezieht sich auf Wells, Paul 1998, S. 90-92. 21 3. Analyse wie in der realen Welt zu Grunde liegen. Die Beziehung zwischen der erzählenden Vermittlung und der Umgebung des animierten Objekts bezeichnet er dabei als „Fabrikation“ und behauptet, dass es sich dabei um eine erzählerische Vorgehensweise handelt, die eine alternative Auffassung von materieller Existenz erzeugt, indem sie das Erzählerische aus konstruierten Objekten und Umgebungen, natürlichen Formen und Substanzen, als auch die für selbstverständlichen betrachteten Elemente des Alltags wiedergibt. Auf gewisse Weise ist es die Wiederbelebung der Materialität für erzählende Zwecke. Jan Svankmajer äußert sich zu diesem Prozess folgendermaßen: „For me, objects are more alive than people, more permanent and more expressive. The memories they possess far exceed the memories of man. Objects conceal within themselves the events they've witnessed; that's why I've surrounded myself with them and try to uncover those hidden events and experiences, and the relates to my belief that objects have their own passive lives which they've soaked up, as it were, from the situations they've been in, and from the people who have made them.“40 Svankmajer beschreibt dies als „magical rite or ritual“. Er projiziert das innere Leben eines Objekts in seine animierten Szenerien. Die Greifbarkeit und Formbarkeit von Ton; die Härte oder das Gewicht von einem Stein; die Zerbrechlichkeit und Glätte von Porzellan; die Farbe und Textur von Textilien; und der physikalische Mechanismus des menschlichen Körpers werden hierbei zu erzählenden Normen in Svankmajer's Animationen. Die dreidimensionale Animation beruht also auf der Komplexität der Materialität. Auch für die aus Amerika stammenden Gebrüder Quay war Svankmajers Ansatz ein wichtiger Einfluss, den sie bis auf die Spitze führten. Sie re-animierten Materialien, die aller Anschein nach Müll oder tot waren. Eine bedeutende Aussage machte Jonathan Romney: “Quay puppets are not alive but undead; they don't have lives but afterlives“41 . Eine Aussage, die man auch allgemein auf dreidimensionale Animationen anwenden kann. Wenn wir an „untot“ denken, denken wir 40 41 Zitiert nach Wells, Paul 1998, S. 90. Zitiert nach Wells, Paul 1998, S. 91. 22 3. Analyse an Geister, an Zombies, an Voodoo-Zauber oder auch Vampire. Also an etwas Unheimliches und nicht zuletzt Geisterhaftes und somit an etwas das nicht begriffen werden kann. Nebenbei bemerkt, ist dies ein Aspekt, weshalb Musikgenres der etwas härteren Gangart, wie etwa „Metal“, oftmals auf derartige Animationen zurückgreifen. Das bisher Betrachtete bestätigt nochmals die Authentizität, die auf der Materialität von Objekten beruht. 3.1.3 Die Hybridisierung von analog und digital Sicherlich gibt es heutzutage verschiedenste Motivationen, um eine Animation ausschließlich analog oder digital herzustellen. Ob diese künstlerischer Natur sind oder andere Intentionen eine wichtige Rolle spielen, sei an dieser Stelle offen gelassen. Betrachtet man jedoch die analogen Tricktechniken im Zeitalter digitaler Medien, so muss klar konstatiert werden, dass in der Praxis eine strikte Trennung von analogen und digitalen Animationen nur in den wenigsten Fällen gegeben ist. Vielmehr ist eine Hybridisierung entstanden. Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, wenn man sich vor Augen hält, dass die heutigen primären Wiedergabegeräte ausschließlich mit digitalen Signalen gespeist werden. Ob digitales Fernsehen oder Filmmaterial im Internet, alles liegt mittlerweile in digitalisierter Form vor. Entscheidender sind hierbei jedoch die Aufnahmegeräte, die heutzutage in den meisten Fällen auf digitaler Basis funktionieren. Jegliche Bilder - seien es Fotos oder Filmsequenzen – werden aus praktischen Gründen digital aufgezeichnet. Durch das Voranschreiten der Technologie minimalisiert sich stetig die digitale Kälte in Computeranimationen. Texturen werden feiner, die Auflösungen größer. Die Grenzen zwischen Realität und Synthetik verschwimmen mehr und mehr. Dieser Sachverhalt führt jedoch nicht zur Obsoleszenz der analogen Tricktechniken, wie man meinen möchte. Nein. Vielmehr werden sie neu integriert und fungieren unter anderem als mächtiges und vielseitig einsetzbares Stilmittel. Zwar kann man die Tricktechniken theoretisch in traditionelle/analoge Tricktechnik, computergestützte Tricktechnik und computergenerierte Tricktechnik aufteilen. In der Praxis müssen die ersten beiden dennoch als „Hybridform“ 23 3. Analyse betrachtet werden, die den Gegenpol zu Letzterer bildet. Denn die oben erwähnten „praktischen Gründe“ beruhen auf der Tatsache, dass die Computertechnik viele arbeitserleichternde Vorzüge bietet. In Anbetracht dieser Kategorisierung soll an dieser Stelle noch mal an die Authentizität der analogen Tricktechniken erinnert werden. Demnach steht der Künstlichkeit der Computeranimation, die Authentizität der Hybridform gegenüber. Ein Manko dieser Hybridform bleibt jedoch nach wie vor bestehen: Der Informationsverlust. Es kommt zunächst zu Verlusten beim Digitalisierungsvorgang, die aber in Anbetracht des heutigen Fortschritts eher zu vernachlässigen sind. Denn beim Rohmaterial wird man keinen mit bloßem Auge erkennbaren Unterschied zwischen digital und analog feststellen können. Der eigentliche Verlust lässt sich allerdings spätestens beim finalen Rendervorgang visuell erfassen. Der Computer hinterlässt dabei seine eigenen Spuren. Genauegenommen ist die Kompression an der Verfremdung schuld. Jeder Film, jede Animation und jede Sequenz, die am Rechner erstellt wird – egal ob diese auf digitalen oder analogen Ausgangsmedien basieren -, muss am Ende in ein bestimmtes Format gebracht werden, das vom finalen Wiedergabegerät abgespielt werden kann. Einer von vielen Gründen für diese Konvertierung ist, dass die Wiedergabegeräte nur eine bestimmte Datenmenge in einem bestimmten Zeitraum stemmen können. Ein unkomprimierter Film enthält eine viel zu große Informationsmenge. Deswegen sind die verschiedenen Kompressionsverfahren notwendig, die den Informationsgehalt senken, indem sie etwa „unauffällige“ Details im Bild herausfiltern. Doch diese Manipulation des Sichtbaren ist bei genauerer Betrachtung zu erkennen: Es entstehen sogenannte Artefakte. Farbverläufe werden sichtbar abgestuft und verfälschen somit das Erscheinungsbild. Dadurch entsteht ein unerwünschtes Rauschen, was sich in den meisten Fällen negativ auf das Bild auswirkt. (Es gibt auch Künstler die dieses Rauschen bewusst einsetzen. Stichwort: Pixelart). Dieser Effekt spielt aber eher in der Kunstwelt eine größere Rolle, denn damit gehen oftmals wichtige Details und Texturen verloren, auf die es die Künstler meist anegelegt haben. Die Gewichtung der Vorzüge und Nachteile analoger und digitaler Techniken ist 24 3. Analyse demnach stark davon abhängig, wofür die Techniken verwendet werden sollen. 3.2 Parallelen: Musik, Tricktechnik und Symbole Es gibt viele Strategien und Gründe, weshalb ein Musiker, eine Band oder ein Plattenlabel die neueste Computertechnik für die Musikvideoproduktion verwendet oder sich für altbewährte Systeme entscheidet. Ausschlaggebend für die Entscheidung der verwendeten formalen Mittel sind in erster Linie drei Faktoren, denen hier auf den Grund gegangen werden muss: Der Technische Fortschritt an sich, imagebedingte, kommerzielle und künstlerische Aspekte. Da es schlussendlich um die Untersuchung von Musikvideos geht, erscheint es sinnvoll zunächst auf die Parallelen zwischen Musik und Animation hinzudeuten. Der technische Fortschritt in Zeiten digitaler Medien hat nicht nur beachtlichen Einfluss auf die Produktionsweise von Animationen genommen. Auch die Musik wurde von ihm infiltriert. Die Vor- und Nachteile lassen sich in vielerlei Hinsicht analog zur Animation betrachten. So hat der Computer die unabhängigen Bearbeitungsmöglichkeiten von Kompositionselementen revolutioniert. In der Musik ist es beispielsweise möglich verschiedenste Instrumente und Gesänge zeitlich unabhängig voneinander aufzunehmen und erst in einem späteren Prozess zu arrangieren. Beim Zeichentrick hingegen wurde zwar ein ähnliches Verfahren schon um 1910 durch die Verwendung von Folien eingeführt, doch die Beisteuerung des Computers erlaubt nun auch im Allgemeinen eine unabhängige Manipulation einzelner Elemente einer Animation. Dadurch lässt sich ableiten, dass sich der Klang ähnlich manipulieren lässt, wie die Optik, womit sich neue Türen für weitere Experimentiermöglichkeiten öffnen. (Vgl. Punkt 2.4.1) Denn ähnlich wie die Optik, lässt sich auch der Klang synthetisch am Rechner erstellen oder stark verfremden. Man denke nur an die visuelle Wirkung des Filmes „Sin City“ oder analog dazu an den „Chereffekt“ des Songs „Believe“(1996), der mit Hilfe von „Auto Tune“ 25 3. Analyse entstanden ist.42 Es gibt noch viele weitere derartige Parallelen, allerdings würde dies Stoff für eine weitere Arbeit bieten. Es reicht erst mal zu wissen, dass es sie gibt. Doch anhand des Beispiels von Cher lässt sich ziemlich gut erkennen, das eine starker Zusammenhang zwischen aktueller Musikproduktion und aktuellem technischem Fortschritt besteht. Zwar lassen sich viele Musiker von den neuen Möglichkeiten inspirieren, doch scheint eine starke Relation zwischen der gewählten Technik und dem Image des Musikers zu bestehen. Betrachtet man nochmals Punkt 2.4.1 und Punkt 2.4.3, so kann die Verwendung analoger Techniken die Authentizität eine Musikers betonen, während die Nutzung digitaler Techniken auf eine künstliche Inszenierung zu deuten vermag, wobei auch die künstliche Inszenierung im bestimmten Fällen zur Authentizität beitragen kann.43 Auch in der Musik spielt es eine bedeutende Rolle, welche Instrumente verwendet werden. Sind es analoge oder digitale Instrumente? Man denke beispielsweise an eine gitarrenlastige Metalband, die sich zum Ziel gemacht hat, Metal der alten Schule zu schreiben. Eine solche Band wird allein aus Authentizitätsgründen stets mit analogen Gitarrenverstärkern auftreten. Ein analoger Röhrenverstärker ist in diesem Genre unersetzlich. Die Klangverzerrung, die solch ein Verstärker erzeugt, steht für ein bestimmtes Lebensgefühl, das dem Publikum bekannt ist. Demnach könnte die Verwendung analoger Tricktechniken im Musikvideo als Antihaltung gegenüber den modernen Techniken interpretiert werden, während sie gleichzeitig die Authentizität der Band betont. Diese auf eigener Beobachtung beruhende Hypothese leitet zum Gedanken hin, dass sowohl die verwendeten Instrumente als auch die verwendeten Tricktechniken einen Symbolcharakter besitzen müssen. Nicht zuletzt: Was bildlich zu sehen ist, sagt etwas über den Musiker oder die Band aus. Jörg Gerle plädiert dafür, den Musikclip für das bessere Verständnis wertfrei in „Mainstream“ und „Arthaus“ zu unterteilen. 44 Die Trennung erfolgt aber 42 43 44 Vgl. Auto-Tune: http://www.wie-wie.de/ratgeber/622/was-ist-auto-tune.html. Zugriff am 12.06.2011. Ein aktuelles Beispiel dafür, wäre „Lady Gaga“. Im Rahmen der Arbeit lässt sich dies nicht genauer analysieren. Jedoch ist es ein Ausnahmefall für die Pole: Authentizität – Inszenierung, der erwähnt werden muss. Vgl. Gerle, Jörg (2010): Der Musikclip im Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit. Herausgegeben von Peter Moormann in „Musik im Fernsehen. Sendeformen und Gestaltungsprinzipien“. S. 135-145. Gerle führt diese Begriffe in Analogie zum Film an. 26 3. Analyse hier nicht strikt, denn qualitativ anspruchsvolle und stilbildende Clips lassen sich trotzdem segmentübergreifend finden. Ausgehend von den Musikproduktionen, die die Top 100 der Charts anvisieren, stellt er des weiteren fest, dass der „Kommerzclip“ des Mainstreams immer von den gleichen, bewährten Stereotypen dominiert wird: „Grundsätzlich gilt es, wie Koch postuliert, mit den Musikclips 'den Marktwert der Musikstars zu erhöhen'. (Koch 1996:15) Das erreicht man etwa damit, dass sich weibliche Stars in möglichst vielen aufreizenden Outfits präsentieren oder dass vornehmlich die männlichen Stars der R'n'B-Szene die Statussymbole ihre Szene offensiv zur Schau tragen, nämlich Frauen, Autos, Geld. Dominanzgehabe ist all diesen Videos gemein, deren formale Ausarbeitung zumeist auf den auf schnellen Konsum gemünzten musikalischen Inhalt ausgerichtet ist. Eine über die Maßen ästhetisierte, ambitionierte, die Eingängigkeit der Musik störende visuelle oder gar komplex-narrative Ausgestaltung des Videos ist dabei nicht gewünscht. Der Zuschauer, der in der Regel im Fernsehen ein Video selten an einem Stück konsumiert und mittels 'zapping' zum Programm stößt, soll durch offensive, eindeutige Reize zum Verweilen verleitet werden und keinerlei Verständnisprobleme bekommen, die auf Form oder formalen Inhalt der Videos zurückzuführen sein könnten. So überstrapaziert die Floskel 'Sex sells' sein mag, im Bereich des Musikvideoclips behält sie ihre Gültigkeit.“45 Hieraus lässt sich ableiten, dass der Mainstream auf eine verkaufsbetonte und stereotypdurchzogene Symbolik verwendet, die nicht komplex sein darf. Die Musiker müssen also dahingehend so inszeniert werden, dass sie diesen Anforderungen entsprechen. Damit lassen sich Zusammenhänge zwischen der Künstlichkeit vermittelnden Computeranimation und der Imagebildung und Symbolsprache eines Musikers erkennen. Doppeldeutige oder gar tiefgründige Botschaften scheinen für den profitorientierten Mainstream eher hinderlich zu sein, wohingegen die Nischen des Arthaus' den Kunstanspruch ihres Produk45 Gerle, Jörg 2010, S. 138. 27 3. Analyse tes höher halten als den Anspruch, mit ihrer Arbeit möglichst viel Geld zu verdienen. „Diese Arthaus-Musikclips widersprechen oberflächlich gesehen allen Gesetzen der Branche: Sie verweigern sich einer leichten Decodierung, sind falls überhaupt nur zu fassen, wenn man sie komplett goutiert. In der Regel dekonstruieren sie das zu bewerbende Produkt und entkoppeln den Star vom Song.“46 Wie man aus dem vorigen Kapitel entnehmen kann, arbeiten die analogen Animationstechniken meist mit komplexeren Symbolen. Insbesondere, wenn man sich die Meta-Realität und den Subversionsaspekt noch ein mal ins Gedächtnis ruft, die beispielsweise aus traditionellen dreidimensionalen Animationen herrühren und ihnen anhfaten. Für die Imagebildung eines Musikers, der also einen künstlerischen Anspruch an sein Werk stellt, scheinen demzufolge die analogen Tricktechniken einen weitaus höheren Ausdrucksgehalt bieten zu können, der ihm dabei hilft seine Authentizität zu untermauern. Die Aufteilung in Arthaus und Mainstream bezieht sich auf den Bereich der Vermarktung, während sich die Aufteilung in Authentizität und inszenierte Künstlichkeit auf das Image bezieht. Obwohl die eine Art der Vermarktung (Arthaus) oft mit einer Art von Inszenierung (Authentizität) einhergeht, gibt es seltener auch innerhalb des Mainstream Inszenierungen, die auf Authentizität angelegt sind. Das vorher Geschriebene heißt also nicht zwangsläufig, dass diese Techniken im Mainstream überhaupt keinen Platz finden. So gibt es auch Mainstreamprodukte in den Animationstechniken verwendet werden. Gute Beispiele lassen sich nach wie vor finden. Jedoch hat sich das Vorkommen von authentischen Mitteln von den 90er Jahren bis heute eher in Richtung Arthaus verlagert. Diese Verlagerung ist auch nicht weiter verwunderlich, wenn man die Entwicklung der Musikindustrie mit in Betracht zieht. Aus einem Interview zwischen DER SPIEGEL und Universal-Chef Tim Renner über die Krisenstimmung in der Musikbranche vom August 2002 lassen 46 Gerle, Jörg 2010, S. 140 28 3. Analyse sich folgende Anhaltspunkte extrahieren: Die Digitalisierung führte zu merklichen Umsatzeinbußen, die zum einen Teil darauf zurückzuführen sind, dass die Möglichkeiten, sich Raubkopien zu besorgen, ausgeweitet wurden. Im Gegensatz zu Audiokassetten, war es mittels CD-Brenner mittlerweile mögliche qualitativ hochwertige Kopien zu erzeugen. Die auf CD gebrannte Musik lässt sich nicht so einfach mechanisch abnutzen, wie die Kassette und ermöglicht eine eins zu eins Kopie der Musik, was ein Grund für den Rückgang der Verkäufe originaler Tonträger ist. Zum anderen Teil ist ein weiterer Aspekt für die Umsatzeinbußen, dass es dem Kunden nicht möglich ist in den klassischen Medien wie Radio oder Fernsehen interessante Musik zu bekommen.47 „Mit Recht.“ stellt Renner im Verlauf des Interviews klar. „Die Industrie hat sich viel zu lange darauf konzentriert, musikalisch belanglose Titel fürs Radio zu produzieren. Radio macht aber keine Hits mehr, es spielt sie nur. Die wichtigste Plattform für Musik hat sich unter privatwirtschaftlichem Druck zum Hintergrundmedium degradiert. Um möglichst hohe Zuhörerquoten zu schaffen, wird der kleinste gemeinsame Nenner gesendet. Das Gegenteil von aufregender, authentischer Musik. Zumindest das öffentlich-rechtliche Radio muss versuchen, das Medium wieder relevant zu machen. Mit spannenden neuen Künstlern und deren Musik würde es gelingen, den Gebührenzahlern eine echte Alternative und der Popkultur eine Plattform zu geben „48 Geldmangel und Umsatzeinbußen der Branche durch Raubkopien und belanglose Musik scheinen weniger Platz für künstlerische Experimente und damit so komplexe Mittel wie die Animation geboten zu haben. Es lässt sich vermuten, dass sich die Kluft zwischen Kunst und Kommerz infolgedessen vergrößert hat, so dass es weniger Zwischenformen gab und die komerziellgewichtete Musik bzw. Optik zu noch weniger subtilen Mittel griff. Sollte dies zutreffen, würde das eine weitere Erklärung dafür bieten warum Animationen im Mainstreambereich kaum noch anzutreffen sind. 47 48 Vgl. Dallach, Christoph & Wellershof, Marianne(2002): Der Markt wackelt wie blöd, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-23786345.html Zugriff am 13.06.2011 Ebd. Zugriff am 13.06.2011 29 3. Analyse Zusammenfassend kann man also konstatieren: Es gibt Formen und Inhalte, die oft zusammen auftreten und sich aufspalten lassen in Mainstream- und Arthausvideos. Eine der Formen, die meist auf der Arthausseite auftreten, sind analoge Musik und analoge Optik. Damit einher geht oft die Aufteilung in Inszenierung versus Authentizität. Der Grund dafür hängt höchstwahrscheinlich mit finanziellen Faktoren zusammen. Ein Beleg dafür könnte die Verlagerung von Animationstechniken in den 90ern auf den weniger kommerziellen Bereich sein: Wenn es der Musikbranche gut geht, ist auch mehr Platz für Kunst vorhanden. Ist dies nicht der Fall, nimmt der finanzielle Aspekt mehr Raum ein, womit die analogen Animationstechniken an den (Arthaus-) Rand gedrängt werden. Wenn des weiteren Renner den „kleinsten gemeinsamen Nenner“ als das Gegenteil von „aufregender, authentischer Musik“ bezeichnet, impliziert diese Aussage, dass die Verwendung der analogen Tricktechniken eine Bedeutung in sich birgt. Sie sagt über den Musiker aus, dass er „interessanter“ oder „authentischer“49 ist als die oberflächlichen „Fließbandmusiker“, die den Mainstream beherrschen.50 Der „künstlerische“ Charakter, der dabei an den analogen Tricktechniken haftet, bietet zudem dem Musiker selber eine weitere Option, sich als „Künstler“ zu präsentieren, der sich nicht nur musikalisch und lyrisch artikulieren kann, sondern auch auf visueller Ebene seine Aussagen zu untermauern vermag und somit ein Gesamtkunstwerk schafft. 3.3 Kurzanalyse: Musikvideo Basierend auf den bisherigen Erkenntnissen, werden im Folgenden exemplarisch vier Videos analysiert. Diese Musikclips sind alle zwischen 1990 und 2011 entstanden und sollen innerhalb dieses Zeitraums ein möglichst breites 49 50 In Bezug auf Renners Aussage Hierbei wurden die Extreme verglichen. Die Kategorisierung von Mainstream und Arthaus ist nach wie vor als ein wertfreies Modell zu verstehen. Die Pauschalisierung soll hierbei nicht als subjektive Wertung missinterpretiert werden. Sie soll lediglich dazu verhelfen einen Kontrast aufzuzeigen. 30 3. Analyse Spektrum an Genres abdecken. Die Clips werden hinsichtlich Authentizität und Künstlichkeit untersucht und wo möglich mit einander vergleichen. 3.3.1 Tool : „Sober“(1993)51 Das Video zu „Sober“ enstand 1993 unter Regie von Fred Stuhr und wurde im Mai des selbigen Jahres zum ersten Mal ausgestrahlt. Der Clip wurde mit Hilfe des Stop-Motion Verfahrens umgesetzt und bedient sich der Puppenanimation bzw. Modellanimation (vgl. Punkt 2.2.2.1). Der Protagonist – hier die Puppe – wurde vom Gitarristen Adam Jones modelliert. Im Mittelpunkt steht eine menschlich wirkende Puppe, die in einem kaum beleuchteten, rostigen Raum eines verlassenen Gebäudes lebt und schläft. Der Raum ist nur spärlich mit einem Bett, einem Tisch und einem Stuhl dekoriert. Die Beleuchtung deutet zudem darauf hin, dass es keine Fenster gibt. Während die Kamera zu Beginn durch die Korridore schweift, werden kurzzeitig die Musiker eingeblendet. Man sieht die unheimlich anmutende Gestalt erst liegend oder schlafend, bis sie aufsteht und zufällig eine geheimnisvolle, hölzerne Kiste, die jemand vermutlich unter den kaputten Bodendielen versteckt hat, entdeckt. Was sich jedoch in der Kiste befindet, bleibt dem Zuschauer bis zum Schluss verborgen. Doch was auch immer es ist, wirkt sich offensichtlich negativ auf den Protagonisten aus: Er fängt mit seinem Stuhl an zu schweben. Sein Arm und sein Kopf beginnen heftig zu zittern. Durch das Öffnen der Kiste muss er irgendeine Macht freigelassen haben, die nun im Gebäude herumspukt. Verzweifelt versucht er, zu verstehen, was da passiert, und wagt sich durch die Korridore. Der Höhepunkt des Videos stellt eine Bilderwelt der Offenbarung bereit: Eine merkwürdige Gestalt, die hinter einer Vitrine angebracht ist und zu leben scheint. Weitere gruselige Gestalten, bei denen nicht klar ist, ob sie in dem Gebäude wohnen oder seiner Fantasie entspringen. Eine seltsame organische Masse, die durch die Rohre des Gebäudes fließt. Offensichtlich hofft er darauf, alles wieder rückgängig zu machen, indem er die Kiste versiegelt und zurück an ihren Fundort bringt. Parallel zum Höhepunkt des 51 Vgl. Tool - „Sober“: http://www.mvdbase.com/video.php?id=28107 . Zugriff am 13.06.2011 31 3. Analyse Videos tauchen nochmals die Musiker auf. Diesmal befinden sie sich in unterschiedlichen Räumen des Gebäudes der Puppe. Auch auf sie scheint diese Macht zu wirken, weshalb sie ebenfalls zittern und vibrieren. Der Clip endet damit, dass der Zuschauer in die schlecht ausgeleuchtete Kiste hineinschauen darf, um feststellen, dass diese scheinbar leer ist. Dieses Musikvideo erscheint als ein passendes Beispiel, um aufzuzeigen, wie eine Band es schafft sich künstlerisch und authentisch zu verkaufen, indem sie auf die Ästhetik und Aussage von analogen Tricktechniken zurückgreift. Der Idee zum Song und zum Video hat den gleichen Ursprung und lässt sich durch ein Interview zwischen „Guitar School“ und Tool-Gitarristen, Adam Jones, belegen. Die Frage nach dem Hintergrund dieses Videos beantwortet er wie folgt: „The song and video are based on a guy we know who is at his artistic best when he's loaded. A lot of people give him shit for that. I don't tell people to do or not do drugs. You can do what you want, but you have to take responsibility for what happens. If you become addicted and a junkie, well, that's your fault.“52 Bei beiden Medien wird somit parallel auf die Behandlung eines gemeinsamen Themas hingearbeitet. Es handelt sich hierbei um ein Thema, das sich mit der menschlichen Psyche kritisch auseinandersetzt und damit einen sperrigen Inhalt behandelt. Das bedeutet, dass das Hauptaugenmerk nicht auf dem kommerziellen Erfolg liegt, sondern vielmehr auf einer künstlerischen Ausarbeitung einer Thematik, die sich aller zur Verfügung stehender Medien bedient: Musik, Text, Bild. Des weiteren erklärt Jones, dass dem Video keine wirkliche Handlung zu Grunde liegt: "Different people get different things out of the images. It doesn't matter what it's about, all that matters is how it makes you feel." 53 Denkt 52 53 Publication: Guitar School (1994): Tool Guitarist ADAM JONES is a Master of Many Trades. http://toolshed.down.net/articles/text/gsch.mar.94.html. Transkribiert von „Drugg Pico“. Zugriff am 14.06.2012 Ebd. 32 3. Analyse man hierbei an die „Magie der Objekte“, dann wird klar weshalb die Puppenanimation hier zum Einsatz kommt. Es geht nämlich um ein Gefühl, das vermittelt werden soll. Zwar konkretisiert Jones nicht, um welches es dabei geht. Doch das Video wirkt beängstigend, gruselig, beklemmend, aber auch vor allem fremdartig. Zudem fühlt man sich dabei an die Animation der „Brüder Quay“ erinnert, die auf ähnliche Weise ihr Figuren inszenierten und damit eine ähnliche Wirkung erzeugten. Dieser Bezug deutet ebenfalls darauf hin, dass die Band den künstlerischen Anspruch gegenüber dem kommerziellen bevorzugt. Zudem sind die Musiker selber nur Randfiguren, die einen kaum zu beachtenden Bereich im Musikvideo einnehmen. Im Mittelpunkt steht die visuelle Umsetzung, die ihre Bedeutung und Wirkung aus der analoger Tricktechniken bezieht. Die Verwendung jeder Technik impliziert somit auch eine Aussage über die Band, die auf die authentische Wirkung der Musiker abzielt. 3.3.2 Eiffel 65: „Blue (Da Ba Dee)(1999)“ 54 Der Regisseur Celestino Gianotti hat dieses Musikvideo mittels 3D-Computeranimation umgesetzt. Die erste Ausstrahlung erfolgte 1999. Während eines Konzerts von Eiffel 65 entführen blaue Außerirdische den Sänger der Band, der auf ihrem Heimatplaneten das Konzert weiterführen soll. Der Sänger selber merkt nichts von der Entführung, da er für den Transport schockgefrostet wird. Seine Mitmusiker setzen sich unterdessen in ihr kleines Raumschiff und nehmen die Verfolgung durchs Weltall auf bis sie schließlich durch ein Portal beim Heimatplaneten der blauen Gestalten ankommen. Der Sänger wird bei der Ankunft wiederbelebt und singt weiter als ob nichts gewesen ist, bis er allmählich die blauen Aliens im Publikum entdeckt, aber nicht so recht weiß, was er damit anfangen soll. In der Zwischenzeit sind auch seine Bandkollegen auf dem Planeten angekommen und kämpfen sich mit übernatürlichen Kräften die Außerirdischen vom Hals, um ihren Sänger zu befreien. Auf der Heimreise, werden sie von ihren blauen Fans mittels einer überdimen54 Vgl. Eiffel 65 - „Blue (Da Ba Dee)“: http://www.mvdbase.com/video.php?id=9449. Zugriff am 13.06.2011 33 3. Analyse sionalen Reklametafel gebeten zurückzukommen. Nach kurzer Besprechung gehen sie auf diese Bitte ein und spielen bis zum Ende des Clips ihr Konzert auf dem fremden Planeten weiter. Bis auf die Musiker ist alles in 3D am Computer generiert. Nicht nur der Song, sondern auch das dazugehörige Video darf an dieser Stelle als Paradebeispiel des kommerziell orientierten Mainstreams der späten 90er Jahre betrachtet werden. Ein inhaltlich oberflächlicher Song, begleitet von einer eingängigen Melodie, die mit reichlich synthetisch erzeugten Klängen untermalt ist. Dazu kommt ein Clip, der bis auf den Bezug zu „blau“ rein gar nichts mit dem Songtext zu tun hat. Als Eyecatcher wird hier eine steril wirkende Computeranimation benutzt, die immerhin die ebenso künstlich klingende Musik zu betonen vermag. Doch bezogen auf das letzte Kapitel scheint hier ein größerer Tiefgang auch nicht notwendig zu sein, um den Song zu vermarkten. Es reichen lediglich die zu dem Zeitpunkt modernen und für die Masse verständlichen Mittel: Computergenerierte Klänge und analog dazu ein für diese Technik passende Computeranimation. Und natürlich, was sowohl für heute als auch damals gilt: Ein einfacher Refrain, den sich jeder merken und mitsingen kann. Vergleicht man das Video zu „Sober“ mit diesem Beispiel, so fallen auch hier die Parallelen zwischen den verwendeten Instrumenten und der Animationsart auf: Tool greifen mit ihren analogen Musikinstrumenten auf analoge Tricktechniken zurück, während Eiffel 65 sowohl in Musik als auch in Video sich hauptsächlich digitale Mittel zunutze machen. Zwar kann man hier einwenden, dass sich der technische Fortschritt zwischen 1993 und 1999 – den jeweiligen Erscheinungsjahren – rasant weiterentwickelt hat. Doch muss hier mit Bedacht vorgegangen werden. Denn die Bilderwelten, die es bei „Sober“ zu sehen gibt, sind in ähnlicher Art und Weise schon seit mindestens 1979 durch den Kurzfilm „Nocturna Artificialia“ von Stephan und Timothy Quay be- 34 3. Analyse kannt.55 Die von Eiffel 65 verwendete Computertechnik war demgegenüber für 1999 relativ modern. 3.3.3 Incubus: „Megalomaniac“(2003) 56,57 Allem voran handelt der Song - ausgehend vom Text – von regierende Politikern, die dem Größenwahn verfallen sind und nicht einmal vor Krieg und dessen Folgen zurückschrecken, um ihre Profit- und Machtgier zu befriedigen. Die dazugehörige Inszenierung von Floria Sigimondi im Jahre 2003 verläuft dabei parallel zum Song und illustriert ebenfalls diese Aussage. Die Vorgehensweise wird von Keazor und Wübenna wie folgt beschrieben: „Ihr Video eröffnet dabei einen visuellen Diskurs, der sich als Warnung vor jeglicher Art von Fanatismus verstanden wissen will und die entsprechenden Gefahrenbereiche – Religion und Politik – anhand einer Bildfolge vorführt, in der Jesus Christus neben Hitler und einem amerikanischen Präsidenten auftritt, der offenbar einen Krieg anzettelt, um sich an Erdöl zu bereichern.“58 Ob indirekt oder direkt, Sigimondi zitiert hierbei des öfteren politische FotoCollagen des aus dem DADA-Kreis stammenden Künstlers John Heartfield, die sie am Computer animiert. Beispielsweise ist das Motiv von Hitler als beflügeltem Friedensengel, der ebenfalls mit Flügeln versehene Bomben abwirft, auf Fotomontagen von Heartfield zurückzuführen.59 Auch auf weitere Symbole dieser Art, die sie am Computer auf eine Art und Weise animiert, die analoge Verfahren zum Vorbild hat. Dazwischen zeigt Sigimondi immer wieder Realfilm-Sequenzen der einzelnen Musiker, womit sie die Souveränität der Band zu verdeutlichen vermag. Zu Beginn sieht man beispielsweise die Interpreten auf den Dächern einer Stadt, wodurch sie Incubus' aktuellen Status als bedeu55 56 57 58 59 Vgl. Nocturna Artificialia(1979): http://www.imdb.com/title/tt0079636/ Zugriff am 13.06.2011. Vgl. Incubus -„Megalomaniac“: http://www.mvdbase.com/video.php?id=36824. Zugriff am 13.06.2011 Aufgrund der zahlreichen komplexen Zusammenhänge des Videos, ist eine Handlungszusammenfassunf zu umfangreich für diese Arbeit. Keazor, Henry / Wübbena, Thorsten 2005: S. 364-365. Vgl ebd. S. 365. 35 3. Analyse tenden Teil des Landes betont. Denn sie versuchen mit ihrer Musik gegen die Machenschaften der Größenwahnsinnigen vorzugehen, indem sie mit ihrer Aussauge auf die Problematik hindeuten. Auch werden die Musiker selten gemeinsam gezeigt, was auf die individuellen Talente des Einzelnen aufmerksam zu machen scheint. Somit stellt Sigimondi zum einen die Verbindung zwischen Publikum und Star her und zum anderen baut sie ein adäquates und authentisches Image der Band auf, das der Attitüde der musikalischen Gruppierung entnommen wurde. Dieser Clips ist somit ein Musterbeispiel für die Hybridform. Im Gegensatz zu den bisher betrachteten Videos, werden hier verschiedenste Techniken gemischt: Sowohl computergestützte und computergenerierte Animationen, als auch animierte Papiercollagen kommen zum Einsatz. Neben Realfilmszenen, taucht auf Propaganda- und Dokumentationsfilm stilisiertes Videomaterial auf. Mittels dieser Hilfsmittel und der symbolträchtigen Bildsprache verleiht das Video der Band einen zusätzlichen authentischen Charakter. Dass die Illustration des Slogans „Kein Blut für Öl“ hierbei einen einfacheren Gehalt als die tiefer gehende Aussage der Band ans Tageslicht bringt, scheint sich bei diesem Beispiel positiv auf die Vermarktung von Incubus auszuwirken. Ob der Zuschauer alle Assoziationen auf Anhieb nachvollziehen kann ist zunächst irrelevant. Hakenkreuz, Hitler, Jesus, Bush in Kombination mit komplexen, detaillierten Animationsgrafiken und schnellen Schnitten provozieren und fallen beim „zapping“ auf, was dazu beiträgt, dass der Zuschauer darauf hängen bleibt und im Optimalfall genauer hinhört und hinsieht. „So originell, eindrücklich und ungemein detailverliebt die von Sigismondi vorgeführten visuellen Metaphern nun jedoch sind, so können sie doch über die sich stetig erweiternde Kluft zwischen der ästhetischen Komplexität des Videos und der tatsächlichen Simplizität seiner Aussage nicht hinwegtäuschen. Denn indem hier Diktatoren wie Hitler, Moussolini und Stalin wahlund unterschiedslos in einen Topf mit George W. Bush geworfen werden und als alleinige Motivation für dessen Irak-Krieg die Gier nach Öl suggeriert 36 3. Analyse wird, gerät das Incubus-Video zu einer zwar ästhetisch komplexen, doch im Gehalt zu einfachen Illustration des Slogans 'Kein Blut für Öl'.“60 Des weiteren zeigt sich bei diesem Beispiel, dass sich ein Musikvideo trotz musikalischen und lyrischen Tiefgangs, weitaus näher am Mainstream als am Arthaus ansiedeln lassen kann. Zwar wird die visuelle Ebene, dem Textinhalt laut Keazor nicht ganz gerecht. Doch trägt dieses „Manko“ dennoch wie oben beschrieben zur besseren Vermarktung bei. 3.3.4 Marteria: „Sekundenschlaf“(2011)61 Der von Daniel Franke inszenierte Videoclip zu Marterias „Sekundenschlaf“ von 2011 ist ein aktuelles Beispiel für die erfolgreiche Verwendung analoger Tricktechniken im Zeitalter digitaler Medien in Kombination mit dem technischen Fortschritt. Die dabei genutzten Fotos und Videosequenzen wurden ausschließlich mit digitalen Mitteln aufgenommen. Doch das Animationsverfahren bedient sich der Pixilation. Die Handlung spielt in einer Großstadt. Es sind Panoramaaufnahmen oder Aufnahmen von Fußgängerpassagen und Straßenkreuzungen zu sehen, in denen der Sänger meist im Vordergrund steht. Die Bewegung des Protagonisten wird erst durch die Aneinanderreihung verschiedener Fotos erzeugt und wirkt im Gegensatz zu der im Zeitraffer abgespielten Umgebung deutlich verlangsamt. Durch die Manipulation der Bewegungsabläufe verändert sich die Wirkung von Raum und Zeit, wobei stets ein Bezug zu realen Welt besteht. Hier wird der technische Fortschritt genutzt, um alle möglichen Details der echten Welt so scharf und klar wie möglich darzustellen. Auf computergenerierte Bewegungen wird dabei gänzlich verzichtet. 60 61 Ebd. S. 365-366. Vgl. Offizieller Youtube-Channel von Marteria: http://www.youtube.com/greenberlinTV#p/c/896040A2B6C48A0B/14/qIvh8ngaBN4 . Zugriff am 14.06.2011 37 3. Analyse Die analoge Tricktechnik wird hier dezent eingesetzt und lenkt damit nicht vom eigentlichen Song ab. Der Komplexitätsgrad wird niedrig gehalten, was dazu führt, dass Musikvideo und Song hier Hand in Hand gehen und nicht von einander ablenken. Es entsteht eine authentisch wirkende Harmonie, die für den durchschnittlichen Mainstream-Konsumenten in jeglicher Hinsicht greifbar zu sein scheint. Dies kann auch als Beleg für die Signifikanz der Hybridform betrachtet werden. Denn während man „analog“ und „digital“ als gegensätzliche Pole betrachten kann, ebenso wie Authentizität und Künstlichkeit, oder auch Mainstream und Arthaus, so scheint die Hybridform im übertragenen Sinne zwischen diesen Extremen vermitteln zu können. Sie sorgt für einen Kompromiss, der für die breite Masse verträglich ist. 3.3.5 The Smashing Pumpkins: „Tonight, tonight“(1996) 62 Es scheint noch einen weiteren interessanten Aspekt zu geben, der mit Verwendung analoger Tricktechniken einher geht, aber bisher lediglich an einer Stelle kurz angedeutet wurde: Die Verbindung zwischen Publikum und Musiker mittels einer gemeinsamen Erinnerung. Menschen erfreuen sich beispielsweise immer wieder an Kleinigkeiten, die sie an besondere Momente oder Ereignisse aus ihrer Vergangenheit erinnern. Jede technische Errungenschaft besitzt die Eigenart Menschen an den Zeitraum zu erinnern indem sie entstanden und unter Umständen auch populär geworden ist. Insbesondere bei Menschen, für die eine solche Errungenschaft eine bedeutende Rolle in ihrem Leben eingenommen hat entsteht unweigerlich eine Art nostalgische Verknüpfungen. Wenn sich zudem mehrere Menschen durch das Betrachten ein und des selben Gegenstands gemeinsam an eine besondere Zeit erinnern, dann entsteht ein Gefühl von Verbundenheit. Sie teilen sich somit die selbe Erinnerung und grenzen sich damit von anderen ab, die mögli- 62 Vgl. The Smashing Pumpkins - „Tonight, tonight“http://www.mvdbase.com/video.php? id=25664 . Zugriff am 13.06.2011 38 3. Analyse cherweise, absolut keinen Bezug zu der Sache herstellen können. 63Auch die analogen Tricktechniken besitzen diese Eigenart. Im übertragenen Sinn, fungieren sie mit ihrer über 100 Jahre alten Geschichte als Zeitzeugen. Durch die Verwendung bestimmter Verfahren, wird man an die Meilensteine der Geschichte erinnert. Ein passendes Beispiel liefert hierbei der Clip zu "Tonight, tonight" von The Smashing Pumpkins aus dem Jahre 1996, das von Jonathan Dayton und Valerie Faris inszeniert wurde. Es ist absolut offensichtlich, dass die Regisseure bei diesem Clip Georges Melies "Reise zum Mond"(1902)64 zitieren. Es zeigt sowohl die Wertschätzung des Filmeffekt-Pioniers als auch die Demut vor seiner bedeutenden Stop-Trick Verwendung, die als Meilenstein der Geschichte zu betrachten ist. Auch könnte man das als Aufforderung verstehen, die Musik der Band ebenfalls als Meilenstein ihrer Zeit zu betrachten. Letzteres ist jedoch eine Mutmaßung, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Doch es verhält sich zumindest so, dass man aus dem verwendeten Zitat ableiten kann, dass The Smashing Pumpkins mit diesem Video - abgesehen von ihren Fans -, auch diejenigen anzusprechen versuchten, die Melies „Die Reise zum Mond“ in gleicher Art und Weise zu schätzen wissen, wie es die Musiker selbst machen. Demnach vermag die Verwendung analoger Tricktechniken in Musikvideos ein Publikum anzulocken, das nicht allein des Liedes wegen Interesse am Clip zeigen soll. Darüber hinaus lässt sich auch hieraus auf den mehrmals angesprochenen Symbolcharakter schließen, der in diesem Fall auch vorhanden ist. 63 64 Wobei es für dieses Phänomen nicht zwingend notwendig ist, dass man selber in den Zeiten des Entstehens auf der Welt war. Vgl. Die Reise zum Mond(1902): http://www.imdb.com/title/tt0000417/, Zugriff am 12.06.2011. 39 4. Fazit / Ausblick 4 Fazit / Ausblick Die Verwendung analoger Tricktechniken kann nach diesen Beobachtungen und Vergleichen eine Menge an unterschiedlichster Aussagen mit sich führen. Man kann auf jeden Fall festhalten, dass sie im Zeitalter der digitalen Medien noch längst nicht ausgedient haben. Vor allem hinsichtlich ihrer Verwendung im Musikvideo, spielen sie nicht nur seit Anfang der 90er Jahre eine immer wieder bedeutende Rolle, wenn es gilt Musiker zu vermarkten, da sie oft eine gewisse Authentizität suggerieren. Abhängig von den kommerziellen oder künstlerischen Beweggründen spielt der Anspruch an einer solchen Authentizität immer wieder eine wichtige Rolle. In diesem Punkt unterscheidet sich auch die analoge Animationen von den computergenerierten Animation, da Letztere oft mit einer Künstlichkeit einhergeht. Dieser Sachverhalt lässt sich deutlich am Vergleich zwischen „Sober“ und „Blue (Da Ba Dee)“ beobachten, in dem sich analoge und digitale Animationen gegenüber stehen. Kombiniert mit toten Gegenständen, die aus ihrem alltäglichen Kontext gerissen und zu neuem Leben erweckt werden, bringen die analogen Verfahren eine imposante Ästhetik mit sich, die eine eigene Bildsprache spricht und eine alternative Interpretation von Realität liefert. Auffällig ist, dass dadurch diese Tricktechnik tendenziell bei den künstlerisch ambitionierteren Musikern zum Einsatz kommt, weswegen sie in den Musikvideos eher auf der Seite des Arthaus zu finden ist. Dem gegenüber siedeln die gänzlich am Computer generierten Musikvideos eher auf Seite des Mainstreamvideos an, was auch damit zusammenhängt, dass die Popmusik im Verlauf der Jahre mehr und mehr synthetisch erzeugte Töne zu klingen bringt. Zudem vermag sie in ihrer vom Fortschritt unterstützten Hybridform die gleiche Wirkung zu vermitteln. Der Computer erleichtert dabei viele Arbeitsschritte und bietet mehr Raum für Experimente. Man darf gespannt sein welche neuen Hybridformen durch den technischen Fortschritt in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zu Vorschein treten. Betrachtet man jedoch die Vielzahl an subkulturellen Bands, die ihre Vermarktung heutzutage selber in die Hände nehmen, kann man sicher sein, dass zumindest in diesem Bereich 40 4. Fazit / Ausblick die analogen Tricktechniken auch zukünftig zum Einsatz kommen. Denn durch die Arbeitserleichterung des Computers kann schon heute jeder Hobbymusiker, mit relativ wenig Aufwand ein beeindruckendes Video erstellen. Insbesondere, wenn er sich die analogen Tricktechniken zu Nutze macht. 41 5. Quellenverzeichnis 5 Quellenverzeichnis Literaturverzeichnis: Borwell, David & Thompson, Kristin (2004): Film Art. An Introduction. Seventh Edition. New York: McGraw -Hill. Brandstätter, Ursula (2004): Bildende Kunst und Musik im Dialog. Ästhetische, zeichentheoretische und wahrnehmungspsychologische Überlegungen zu einem kunstspartenübergreifenden Konzept ästhetischer Bildung. Augsburg: Wissner. Furniss, Maureen (1998): Art in Motion. Animation Aesthetics. Sydney: John Libbey & Company Limited. Gerle, Jörg (2010): Der Musikclip im Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit. In: Peter Moormann (Hg.): Musik im Fernsehen. Sendeformen und Gestaltungsprinzipien, S. 135–145. Goodman, Nelson(2010): Sprachen der Kunst. Ein Anatz zu einer Symboltheorie, Frankfurt am Main: Suhrkamp. Hoffer, Thomas W. (1981): Animation: A Reference Guide. Westport, Connecticut: Greenwood Press. Holloway, Ronald (1972): Z is for Zagreb. 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Alle Stellen, die wörtlich oder sinngemäß aus veröffentlichten und nicht veröffentlichten Schriften entnommen wurden, sind als solche kenntlich gemacht. Die Arbeit ist in gleicher oder ähnlicher Form oder auszugsweise im Rahmen einer anderen Prüfung noch nicht vorgelegt worden. München, den 16.06.2011 Bogdan Brakalov 46