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> ABENTEUER Amir Kabbani –Deutschlands bester Slopestyle-Freerider – hat die Faxen dick vom Regen in Deutschland. Also springt er in den Flieger nach USA. So macht man das als Pro. Denn er weiß: „It never rains in Southern California!“ FREERIDE 3/09 118 FREERIDE 3/09 119 > ABENTEUER FOTOS Daniel Ross TEXT Amir Kabbani V erdammt, ich hasse dieses Gefühl. Erst vor zwei Stunden konnte ich einschlafen. Nun ist es 4 Uhr früh und ich muss wieder aufstehen. Naja, bringt alles nix, Decke weg, aufstehen, anziehen. Gleich wird Fotograf Daniel Roos klingeln, denn unser Flieger startet nach Los Angeles. Zweieinhalb Wochen lang wird der Typ mich aushalten müssen – und ich ihn. Ob das gut geht? Ich habe Bedenken! Zittern beim Einchecken. Übergepäck, kein Über- FREERIDE 3/09 120 gepäck – jedes Mal dasselbe. Ich atme auf, als das Bike von einem Typen im Blaumann weggetragen wird. Zappelig steige ich in den Flieger. Nicht aus Flugangst, sondern weil ich jetzt zehn Stunden ruhig sitzen muss. Wer hyperaktiv ist, kennt das Problem. Doch Flugveteran Daniel weiß zu helfen. Er bestellt drei Mini-Fläschen Rotwein. Ich bin das Zeug nicht gewöhnt und schlummere schnell dahin. Landeanflug auf Los Angeles. Holy shit, was für eine Stadt! Ich klebe mit der Nase an der Scheibe – unter uns ein Meer aus Häusern und kein Ende in Sicht. Mir gruselt. Eine Stunde später glotze ich von unten rauf in den blauen Himmel. Wir schwimmen mit unserem Mietwagen auf einem siebenspurigen Highway Richtung Laguna Beach in der Rushhour, die hier den ganzen Tag anhält. In Laguna Beach angekommen, werfen wir nur einen kurzen Blick auf den blauen Pazifik und 1 Lichtdusche: das Abendlicht in Kalifornien haut mich komplett um. Kein Wunder heißt es „Sunshine State“ auf dem Nummernschild. 2 „Time to kill“, wie die Amis sagen, wenn man zum Nichtstun verdammt ist. Ich glotze Filme und hoffe auf Schlaf während des langen Flugs nach L.A. 3 Jeder normale Mensch würde beim Betreten von Gregs Wohnung einen Schock bekommen: alles voller Graffiti und Bierdosen. Ich gab mir zum Einstand eine Ping-Pong-Session mit Tyler McCaul. 4 Ein Gebäude wie ein StarWars-Raumschiff: Besuch im Oakley Headquarter, um paar Geschenke abzuholen. 5 Nix für Sparfüchse: Einkaufen in Kalifornien. Schon die Packung Toastbrot kostet 5 Dollar – dafür ist es aus Gummi. 6 Wallriding zwischen Regenschauern. Ich dachte, hier scheint nur die Sonne? Alles fake! 7 Fitness-Wahn: die einen joggen sich die Seele aus dem Leib, die anderen blasen sich den Wanst mit Big Macs auf. USA – das Land der Extreme. 8 Gummi-Toast mit Tomate und Avokado: meine Diät im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. bis 9 Uhr im Bett, schone meine Kräfte, denn wir werden heute mit Richie Singletrails fahren. Darauf freue ich mich. Daniel tippt Richies Adresse ins Navi. „Wie, 15 Meter auf der rechten Seite?“, wundert er sich und wir müssen lachen, denn wir stellen fest, dass wir mit Richie Tür an Tür wohnen und nichts davon ahnten. Die Trails von Laguna Beach haben nicht umsonst ihren weltweiten Ruf. Wir fahren auf handtuchbreiten Pfaden durch einen schönen grünen Wald. Eigentlich fahren wir nicht, wir surfen – nur dieses Wort trifft das Fahrgefühl. Flowiger kann ein Trail kaum sein. Richie erzählt, dass er von einem 65-jährigen Rentner gebaut wurde und gepflegt wird. Ich kann’s nicht glauben, doch später treffen wir den Mann sogar. „Nice to meet you. All the way from Germany?“, „Hope you enjoy my trail“ – der Mann ist superfreundlich und ich denke mir, dass wir daheim solche Rentner auch gebrauchen könnten. Später sitze ich mit Richie auf der Motel-Terrasse. Wir trinken eiskalte Coronas und reden über Gott und die Welt. Früher dachte ich durch all das Zeug, das ich in Interviews gelesen hatte, Richie sei eher ein arroganter Typ. Statements wie „Dirtjumper sind keine Mountainbiker“ und so ein Mist. Doch jetzt stelle ich fest, dass er super cool drauf ist und immer Lust auf Radfahren hat – perfekt spontane Aktionen wie heute. „Hier hat jeder zweite Fahrer auch gleich einen Spot hinter seinem Haus!“ verschwinden ins nächstbeste Motel. Denn unser Tag hat mittlerweile über 27 Stunden auf dem Buckel – zu viel für mich. Ich brauche Ruhe, doch der Jetlag hat anderes mit uns vor. Schon um 5 Uhr wälze ich mich im Bett hin und her, krieg kein Auge mehr zu. Für den Morgen ist ein Termin im Oakley Headquarter angesetzt. „Oh mein Gott“, fährt Daniel aus dem Mund, als wir davor stehen. Abgefahrene Architektur. Ich habe noch nie so ein Gebäude gesehen. Sieht aus wie eine Flugzeugturbine. Wir kichern und gehen rein in den schwarzen Schlund. Alex und sein Daddy Tom Pro sind auch zu Besuch hier und begrüßen uns. Tom ist der Trailbau-Chef im Whistler-Bikepark, sein Sohn Alex mittlerweile Freeride-Pro wie ich. Den Vormittag verbringen wir auf der hauseignen Strecke von Oakley beim Foto-Shooting. Doch eigentlich drängt es uns auf die legendären Trails von Laguna Beach, von denen Hans Rey uns vorgeschwärmt hat. Als wir vor seiner Tür stehen, ruft uns der Nachbar zu, dass Hans gerade in Afrika ist. Bummer! Doch Laguna Beach hat Magnetwirkung auf ProfiBiker: Brian Lopes wohnt hier und CC-Racerin Willow Korber, die Freundin von Whistler-Boy Richie Schley, macht sich im milden Klima fit für die Worldcup-Saison. Richie kennt sich in Laguna Beach genauso gut aus. Ich rufe ihn an. Leider ist auch er „out of town“, da er mit seinem Buddy und Fourcross-Legende Brian Lopes ein EnduroRennen fährt, doch danach will er kommen. Für uns heißt das: Touri-Programm. Auch nicht schlecht! Wir schlängeln uns durch den Verkehr zum Venice Beach und ich suche anschließend vergeblich meinen Stern auf dem Walk of Fame am Hollywood Boulevard. Ob jemals ein Biker dort verewigt wird? Ich glaube nicht, außer Lance Armstong steigt ins Filmgeschäft ein. Am nächsten Tag fahren wir 750 Kilometer Richtung Norden – nach Aptos, dieses kleine Nest, das als die Hauptstadt der Dirtjumper gehandelt wird. Denn hier wohnen die McCauls, Greg Watts und Jamie Goldman. Ich schaue aus dem Autofenster und wundere mich über die XXL-Laster, die alles transportieren, sogar > Daniel geistert morgens schon in aller Herrgottsfrühe rum und versucht den Sonnenaufgang mit seiner Kamera einzufangen. Ich dagegen liege > FREERIDE 3/09 121 > ABENTEUER „Ich habe es mir etwas anders vorgestellt – die kochen hier ja auch nur mit Wasser!“ halbe Häuser. Und dann die Monstertrucks, die auf ihren Wobbelreifen so hoch aufgebockt sind, dass man nur über eine Leiter einsteigen kann. Es beginnt zu regnen. Hallo? Ich will’s nicht glauben! Regen und Kalifornien, mal ehrlich, das passt doch nicht! Wir fahren weiter nach San Francisco, denn bei Regen kann man schlecht dirtjumpen. Wir checken in ein Motel ein, das gleich vor der Golden Gate Bridge liegt! Essengehen haben wir uns abgewöhnt – viel zu teuer! Wir kaufen selbst ein, doch selbst ein bisschen Toast, Käse, Tomaten und Avokado kosten gleich 20 „bucks“, wie die Amis sagen. Kalifornien gilt als der teuerste Staat Amerikas – kein Wunder! Wir spulen auch hier das Touri-Programm ab. Mir macht’s Spaß! Chinatown, wo 80 000 Chinesen leben. Hier ist alles chinesisch, bis auf’s Geld. Das Ex-Staatsgefängnis Alcatraz, wo Al Capone einsaß und Clint Eastwood ausbrach. Irre: die steilen Straßen, die man aus den Kinofilmen FREERIDE 3/09 122 kennt! Sie sind so steil, dass Treppenstufen im Bürgersteig eingelassen sind. Komischerweise parken die Autos dennoch quer und sehen aus, als könnten sie jeden Moment umfallen und die Straße runterrutschen. Die Motorradpolizisten fallen uns auf. Sie führen sich auf wie Cowboys und wollen die Passanten mit Stunts beeindrucken. Einer von ihnen geht auf’s Ganze: Er fährt eine Treppe runter, holt sich dabei einen Plattfuß – und die Kollegen haben was zu lachen. Wir fahren über die Golden Gate Bridge weiter in den Norden, nach Santa Rosa. Hier wohnt Andrew Tailor. Er zeigt uns seinen Indoorspot „Ramprats“, wo wir viele Stunden fahren. Die einzige Chance, denn es regnet in Strömen. Wie daheim – bitter! Draußen steht alles unter Wasser! Wir besuchen eine Golf Driving Ranch – als Alternativ-Programm. Hab ich noch nie gemacht. Es ist lustig, bis ich zu weit aushole und mit so viel Schwung in den Boden dresche, dass der Schläger bricht. Den Ball habe ich nicht getroffen. Der Regen lässt nach, als wir in Aptos eintreffen. Greg Watts gewährt uns Unterschlupf. Er wohnt mit seinem Bruder zusammen in einem eigenen Haus und hat Platz für uns. BierflaschenBatterien, leere Pizza-Kartons, krummgeklopfte Nägel am Fußboden. Gregs Trophäen-Regal ist mit Sägemehl bedeckt, da er sich vor kurzem eine Miniramp mitten in sein Zimmer gebaut hat! Sein Bett hat Rollen, um schnell verschoben zu werden, wenn er mit Kumpels eine Session fahren will. Was für eine Junggesellen-Bude! Was Chaos! Tyler McCaul trifft ein und befreit uns. Wir können die nächsten Tage bei ihm wohnen. „Hey, ist doch super hier!“, ruft uns Greg nach. Tylers Bruder Cam hat sich mittlerweile ein eigenes > 1 Er kennt sie alle: Richie Schley zeigt uns die Laguna Trails. 2 Einpacken, auspacken – ich gewöhne mich ans Chaos in den vielen Motel-Zimmern. 3 Tyler schießt sich mit einem schönen Tabletop über die Hip von Kob’s Trails. 4 Dass Skateboarden gut für Balance und Gleichgewicht ist, dachte sich Greg – warum also nicht gleich im eigenen Zimmer? 5 Sightseeing: Natürlich wollten auch wir das Zeug sehen, das man aus Fernsehen und Magazinen kennt. Zum Beispiel: das goldene Brückchen. 6 In Kalifornien regnet es etwa zwei Wochen im Jahr. Wir haben es geschafft, zwei davon mitzuerleben. 7 Riesenhügel: Der Homespot von Greg Watts ist nix für Flatternerven. 8 Pock und weg! Andrew beeindruckte uns mit seinen Abschlägen. Daniel und ich droschen eher in den grünen Kunstfaser-Teppich. 9 Traum-Papa: Vater McCaul hilft seinen Söhnen, wo er nur kann. 10 Steile Straße: In San Francisco sind sie so steil, dass die Autos fast umkippen. FREERIDE 3/09 123 > ABENTEUER „Von wegen: endless Sunshine. Hier pisst’s ja auch, genau wie daheim!“ 1 In Aptos hupfen die Jungs entweder über Dreckhügel oder sie hängen im MexRestaurant ab und stopfen sich Burritos rein – kann ich mit leben. Mexikanisches Essen gehört zu meinen Favoriten. Hier hänge ich mit Andrew Tailor ab. 2 Postoffice-Jumps: Das sind wohl mit Abstand die bekanntesten Trails in Kalifornien. Sie sahen phantastisch aus, doch der Regen machte uns einen Strich durch die Rechnung. Nicht fahrbar! 3 Cali-Cruiser: Checkt, wie die Kiste von Greg Watts aussieht. So ähnlich wie seine Bude. FREERIDE 3/09 124 Haus am Strand gekauft, wo er mit seiner Freundin lebt. Wir besuchen ihn. Er ist das krasse Gegenteil zu Greg Watts. Alles penibelst sauber und ordentlich – fast spießig. Auch sonst ist er hier ganz anders drauf als während der Wettkämpfe. Viel sympathischer. Normal eben, keine Grimassen, kein aufgedrehtes Rumgeschreie. Vor sechs Wochen brach er sich das Schlüsselbein und morgen sollte der erste Tag für ihn auf dem Bike sein. Die legendären Postoffice-Dirtjumps stehen komplett unter Wasser. Das darf doch nicht sein! Verfolgt mich dieser gottverdammte Regen denn um die ganze Welt? Zum Glück ist es nicht der einzige Spot in Aptos. Hier hat so ziemlich jeder Biker einen Spot hinter dem Haus. So trifft man sich heute mal bei „Kob’s“ und am nächsten Tag bei „Eric’s“. Ich will unbedingt den Step-up-Trickhügel von Greg sehen – ein Spot, der oft auf Youtube auftaucht, weil er hier all seine verrückten Trick-Combos übt. Es ist ein großer Sandhaufen, auf den man mit einem 2-Meter-Kicker hochgeschossen wird. Durch den Sand und die Tatsache, dass man nicht tief fällt, kann man alle Tricks relativ gefahrlos üben. Greg legt vor an seinem Homespot. Zum Beispiel: einen Backflip Barspin to One Foot Can Can Landing. Sehr cool! Nach drei Stunden Trickgeballere fahren wir weiter zu „Kob’s“, einem 14-jährigen Jungen, der einen fetten Spot hinter dem Haus seiner Eltern stehen hat. Kob ist noch in der Schule. Also shapen wir die Hügel derweil noch mal, da der ein oder andere Hügel vom Regen aufgeweicht wurde. An der Startrampe steht: „No dig, no ride!“ Naja, wir haben gediggt, also dürfen wir riden. Mir gefällt der Respekt, mit dem sich jeder an den Spots verhält. Das würde ich mir bei uns zu > Hause auch wünschen. > ABENTEUER „Leider braucht es auch hier weniger als 15 „An der Startrampe steht: „No Dig, no ride!“ Minuten, bis die Cops da sind!“ „An der Startrampe steht: „No Dig, no ride!“ „Amerikanischer wird’s nicht – USA extrem in Los Angeles!“ „Verdammt, Jamie und ich wurden gestern schon wieder mit unseren Gokarts von der Polizei verjagt!“ Cam McCaul kommt ganz aufgedreht nach Hause. Sein Vater leiht uns seinen Riesen-Truck, wir packen das Gokart ein und und suchen mit Google Map einen Parkplatz in einer verlassenen Gegend. Ich glaube, es ist das schnellste Gokart, das ich je gefahren bin. Leider dauert es auch hier weniger als 15 Minuten, bis die Cops da sind. Naja, kein Wunder bei dem Höllenlärm, den die Kiste macht. Wir fahren noch mal zu „Kob’s“. Alle sind da. Cam war wegen seines Schlüsselbeinbruchs seit sechs Wochen nicht auf dem Bike. Nach fünf Minuten meint man, er sei gestern das letzte Mal gefahren. Er beginnt mit einem Tailwhip – verrückt! Wir fahren, bis es komplett dunkel ist. Ich kann einfach nicht aufhören, denn die Hügel sind so flowig. Eigentlich habe ich mir Aptos anders vorgestellt. Ich dachte eher an monströse XXL-Sprünge und Foampits in jedem Hinterhof, denn schließlich kommen hier die besten FREERIDE 3/09 126 Wettkampf-Trickser der Welt her. Doch im Grunde ist es nicht anders als bei uns auch. Nach den actionreichen Tagen verlassen wir Aptos wieder. Großer Abschied von Tyler, der uns so nett betreut hat, dann rauscht der Asphalt unter unserem Mietwagen und wir steuern Santa Barbara an. Zwei Tage entspannen wir am Beach, bevor wir nach Woodward wollen. Woodward ist ein fast schon magisches Wort und steht für die beste Biker-Trainingsstätte der Welt. Ein Disney-Land für jeden BMXer oder Dirtjumper, gespickt mit Foampits, Halfpipes und Kickern. Leider erreicht mich ein enttäuschender Anruf vom Camp Office: Woodward West ist zur Zeit an Giant Bikes vermietet. Es tue ihnen leid, dass sie das vergessen haben. So verlassen wir die USA, ohne dort gewesen zu sein – was ähnlich ist, als wäre man in British Columbia gewesen, aber nicht in Whistler gefahren. Bitter! 1 Größer, schneller, stärker – in den USA liebt man Superlativen. Auch bei den Wolkenkratzern. 2 Richey schießt sich mit lässigem Tabletop über die Hip! Ganz schön sketchy. Denn der Absprung war keine 15 Zentimeter breit. 3 Schätzungsweise 10 000-mal rasselte der Kameraverschluss von Daniel auf diesem Trip – dank digitalem Zeitalter kein Problem.