ein autonomes Zentrum
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ein autonomes Zentrum
Rede des AZ im Exil auf der Nachttanzdemo am 18.10.2014 Wenn wir in Heidelberg - wie an diesem Wochenende - auf Kongressen und Demonstrationen davon sprechen, ein Autonomes Zentrum erkämpfen zu wollen, dann kommen wir nicht umhin, einen nach vorne gerichteten Blick auf die Geschichtlichkeit jenes selbstverwalteten Treffpunkts zu werfen, der hier in direkter Innenstadtnähe fast die gesamten 1990er Jahre hindurch tatsächlich existiert hatte. Bezeichnenderweise wurde dieses trotz aller internen Auseinandersetzungen und Zerreißproben politisch, sozial und gegenkulturell stabile Projekt am 1.2.1999 Opfer einer klassischen Gentrifizierungsmaßnahme - es wurde just an diesem Tage direkt vor den Augen der damaligen AZ-Aktivist*innen dem Erdboden gleich gemacht, um teurem Wohnraum zu weichen. Adäquaten Ersatz dafür gab es trotz eines verbrieften OB-Versprechens der Vorgängerin von Eckart Würzner nicht! Das Autonome Zentrum Heidelberg war ab diesem Zeitpunkt Geschichte! Wie ihr sehen könnt, befindet sich an diesem Ort - auf dem Gelände der ehemaligen Glockengießerei in der Alten Bergheimerstraße - heute ein künstlich angelegter Komplex an Miet- und Eigentumswohnungen. Diese Wohnungen sollen sich ausschließlich Menschen leisten können, die sich durch ein hohes Maß an Stromlinienförmigkeit, Autoritätshörigkeit, Konformität, Ordnungssinn und Disziplinierbarkeit den derzeit hegemonialen bürgerlichkapitalistischen Herrschaftsformen andienen. An das vorher hier stehende Autonome Zentrum erinnert nichts mehr! Und das ist aus Sicht der Stadt auch gut so. Denn eine neoliberale, „unternehmerische“ Stadt wie Heidelberg, in der die so genannte adjektivlose Marktwirtschaft zur vollen Entfaltung kommen soll, hat ja als dynamisches Gesamtprojekt die immerwährende politisch-regulative Funktion, auf dem von ihr verwalteten Territorium emanzipatorisch ausgerichtete Raumangebote konsequent zu verunmöglichen, die gesellschaftlich spürbaren Widerstand leisten gegen die Verheerungen des kapitalistischen Normalvollzugs, gegen die eindimensionale Gewinnorientierung. Und das AZ stellte zweifelsohne solch ein Raumangebot dar. Und mit fast 650 Quadratmetern war es auch gebäudetechnisch optimal ausgelegt für voll entfaltbaren politischen und gegenkulturellen Aktionismus und Kollektivismus: Im selbstverwalteten AZ wurde allen darin Engagierten der größtmögliche Aktionsradius zur eigenbestimmten Lebensgestaltung geboten. Im nicht-kommerziellen AZ flossen die bei Discos, Konzerten oder Volxküchen „erwirtschafteten“, „überschüssigen“ Gelder niemals in die Aufrechterhaltung lohnabhängigkeitstechnischer Strukturen, sondern sicherten dem Zentrum dauerhaft seine eigene politische, gegenkulturelle und handwerkliche Handlungsfähigkeit. Gleichzeitig konnte das AZ damit jenen politischen, gegenkulturellen und handwerklichen Gruppen, die an diesem Treffpunkt eigenverantwortlich Veranstaltungen organisiert und durchgeführt hatten, finanzielle Solidaritätsbeträge für deren Projekte zukommen lassen. Im unabhängigen AZ wurden antifaschistische, antisexistische, antinationale, antirassistische, antipatriarchale und anti-antisemitische Inhalte, die emanzipatorischen Charakter hatten, entfaltet. An diesen Inhalten entlang wurde parteiunabhängige und systemantagonistische Politik und Gegenkultur betrieben - auch durch eine permanente Auseinandersetzung mit den gesellschaftsstrukturell wirkenden Unterdrückungsverhältnissen. Im herrschaftsfreien AZ wurde versucht, über das bei zentralen Entscheidungsfindungsprozessen radikal zum Tragen kommende Konsensprinzip allen die Möglichkeit zu eröffnen, sich an diesem Ort zur freien Entfaltung ihrer politischen, gegenkulturellen und handwerklichen Fähigkeiten so einzubringen, dass ihr Engagement im bestehenden AZ-Kollektiv „aufgehen“ konnte. Das interaktionistisch angelegte AZ ermöglichte es, die permanent bedrohte Existenz einer großen Anzahl linker Gruppen in und um Heidelberg vor allem finanziell zu sichern. Im AZ, das kein Wohnprojekt darstellte, wurden daher Räume zur Verfügung gestellt, in denen sich ein Teil eben dieser Gruppen zur Entwicklung gesellschaftsverändernder Inhalte und Ziele frei und unentgeltlich treffen konnte. Im AZ hat sich von radikalen profeministischen Gruppen über Anti-AKW-Spektren, linke Infoläden, linksökologische Gruppierungen, totale Kriegsdienstverweigerer, Antigentrifizierungsaktivist*innen, Tierrechtsorganisationen und Wagenburgvertreter*innen bis hin zur Autonomen Antifa Heidelberg alles getroffen, was grob als systemantagonistisch eingestuft werden konnte. Staatsfeindlichkeit, Staatsnegierung, Staatsnegativierung und Staatskritik wurden als gruppenüberspannender common sense zum Mittelpunkt politischen, sozialen und gegenkulturellen Agierens. Ein mit emanzipatorischen Implikationen über die derzeit herrschenden, von der kapitalistischen Verwertungslogik überfrachteten Verhältnisse hinausweisendes Engagement drang in organisierter, koordinierter und nachhaltiger Form von diesem Treffpunkt aus in den öffentlichen Diskursraum und setzte aus Sicht der Träger*innen des staatlichen Gewaltmonopols und der Vertreter*innen der Stadtverwaltung schmerzliche Nadelstiche. Die permanente, auch organisatorisch und infrastrukturell auf breite Füße gestellte Thematisierung behördlicher Rassismen, sexualisierter Gewalt, verfehlter Drogen„politik“, gesamtgesellschaftlicher Militarisierung, ökologischer Katastrophen, faschistischer Strukturen, staatlicher Repression, politischer Unterdrückung, verselbstständigter Exekutivgewalt, reaktionärer Studentenverbindungen/Corps/Burschenschaften führte zeitweise tatsächlich zu einer wirkungsvollen Verzahnung von Theorie und Praxis. Der diskursfähigen Aufbereitung bestimmter Themenkomplexe folgte über kurz oder lang die physische Umsetzung in die wahrnehmbare Praxis. Ob das nun linksradikale Demonstrationen waren, bei denen die rechtsstaatlich bindenden Reglementierungen des baden-württembergischen Versammlungsrechts und Landespolizeiaufgabengesetzes immer wieder aufs Neue austariert werden mussten, oder Agit-Prop-Aktionen auf öffentlichen Plätzen, die von Heidelberger Staatsschutzbeamten gewalttätig angegriffen und für aufgelöst erklärt wurden, oder Naziouting-Aktionen, bei denen in einem Falle ein hinzukommender uniformierter Polizeibeamter seine Dienstwaffe zückte und einen Schuss in Richtung Antifaschist*innen abgab, oder militante Angriffe auf Büros der quirligen Staatsschutzabteilung der Kriminalpolizei, die eine Hausdurchsuchung in einer damaligen Heidelberger Szene-WG zur Folge hatten; oder ob es die maschinengewehrbewehrte Stürmung des Autonomen Zentrums selbst war, bei der eine vermeintlich im AZ untergetauchte Jugendliche aufgestöbert werden sollte - in diesen und anderen Fällen war es das AZ, das entweder selbst zur direkten Zielscheibe ermittlungsbehördlicher oder inlandsgeheimdienstlicher Attacken geworden war oder eben jenen zentralen Treffpunkt darstellte, an dem die zentrumexternen politischen Aktionen kollektiv vorbereitet, angekündigt, organisiert, beworben, koordiniert, strukturiert, vorfinanziert und nachbereitet wurden. Seit der Zerstörung dieses Autonomen Zentrums 1999 gibt es in Heidelberg keinen selbst verwalteten, nicht-kommerziellen und unabhängigen Treffpunkt dieser Größenordnung mehr, in dem - in Innenstadtnähe! - politische und gegenkulturelle Veranstaltungen gleichermaßen stattfinden können. Viele Projekte und Gruppen, die im AZ entstanden sind und dort aktiv waren, sind durch seither fehlende Räumlichkeiten und Entfaltungsmöglichkeiten in ihrer Arbeit massiv eingeschränkt worden; manche konnten gar nicht fortgeführt werden. Keine der anderen Einrichtungen, die immer wieder als Beispiele für noch immer vorhandene „Alternativ“kultur angeführt werden (wie die pro-GRÜNE, herrschaftssichernde „Villa Nachttanz“), konnte das Autonome Zentrum ersetzen: Entweder werden kulturelle Initiativen nur nach ihrer Vermarktbarkeit beurteilt, oder politische Gruppen werden kriminalisiert oder in ihrer Arbeit zumindest stark behindert. Ein politisches Selbstverständnis hat keiner dieser Veranstaltungsorte. Gerade den offen vertretenen politischen Anspruch des AZ wussten jedoch viele Menschen zu schätzen, die in anderen Einrichtungen homophoben oder sexistischen oder rassistischen Übergriffen und Pöbeleien ausgesetzt sind. Zudem stellte das AZ einen Treffpunkt dar, der auch für marginalisierte Gruppen offen war, und leistete somit aktiven Widerstand gegen großstädtische Ausgrenzungsmethoden und das Konzept der „sauberen Innenstädte“. Der aus der vor 25 Jahren gegründeten Initiative für ein Autonomes Zentrum hervorgegangene Verein Gegendruck, der das AZ als offiziell anerkannte Kommunikationsstruktur ab 1991 trug, hat nach einer letztlich ergebnislosen Hochphase politischer und gegenkultureller Kämpfe und Aktionen für ein neues selbstverwaltetes Zentrum in Heidelberg 2001 privat Räume in der Altstadt angemietet, die es bis heute gibt. In diesem selbstverwalteten Café Gegendruck kann zwar Vieles von dem, was vorher auch schon im AZ umgesetzt wurde, aufrechterhalten werden. Auch hier werden die Prinzipien der Nicht-Kommerzialität, Unabhängigkeit und Herrschaftsfreiheit praktiziert, und es dient als zentraler Vernetzungspunkt linker Projekte und Einzelpersonen. Aber dadurch, dass dieses kleine Café räumlich nur etwa ein Zwölftel des riesigen Zentrums in der Alten Bergheimerstraße 7a darstellt, findet eine solch starke Beschneidung der Möglichkeiten, die geboten werden könnten, statt, dass an von diesem Ort ausgehenden kollektiven Widerstand gegen umfassende Vertreibungskonzepte der fortgeschritten gentrifizierten Stadt Heidelberg nicht zu denken ist. Wir brauchen also wieder einen Ort, von dem aus erfolgversprechender interveniert werden kann in die sicherheitspolitisch und vermarktungsstrategisch geprägten Diskurse der Verwalter*innen sauberer, gewinnorientierter Stadtbilder. Wir brauchen also wieder ein Autonomes Zentrum. Wir müssen den Fokus also wieder richten auf öffentlichkeitswirksame Raumaneignungsaktionen von unten, die von solidarischen Strukturen getragen werden. Denn unser Recht auf diese Stadt wird uns nicht gegeben, wir haben es uns gegen deren politischen Willen zu nehmen, wir haben es uns zu erkämpfen. In diesem Sinne: Der Kampf für ein neues Autonomes Zentrum in Heidelberg geht weiter!