10 26 34 44 158 6 Vom Leuchten der Kunst
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10 26 34 44 158 6 Vom Leuchten der Kunst
Neon Vom Leuchten der Kunst Herausgegeben von Amely Deiss, Andrea Jahn und Simone Schimpf Inhalt Vorwort Simone Schimpf Andrea Jahn 6 10 Von der Landstraße auf den Laufsteg — Neonfarben in der Mode Tillmann Prüfer Neonfarbe als Blick fang — Die natur wissenschaftliche Betrachtungsweise Karin Lutzenberger 26 34 Katalog in alphabetischer Reihenfolge Künstlerverzeichnis, Bildrechte und Foto nachweis 44 Wienand Das Gegenteil von zurückhaltend: Tagesleuchtfarben in der Kunst Amely Deiss 158 Simone Schimpf Direktorin Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt Andrea Jahn Direktorin Stadtgalerie Saarbrücken Vorwort Erstaunlich, dass es zu diesem Thema noch keine Ausstellung und auch kaum wissenschaftliche Aufarbeitungen gibt: die Tagesleuchtfarben in der Kunst! Dabei begegnen wir den Neonfarben zurzeit nicht nur in der Mode und in der Werbung überall, sondern auch auf den Kunstmessen und in den Galerien leuchtet es wie nie zuvor. Es ist auffällig, wie viele junge Künstler auf diese explosive Farbe zurückgreifen, um damit womöglich Gegensätze zu betonen, optische Effekte zu erzielen oder auf die gegenwärtige Alltags- und Jugendkultur zu referieren. Sie stehen in bewusster — manches Mal vielleicht auch unbewusster — Tradition der jüngeren Kunstgeschichte, die seit den 1950er Jahren die Neonfarben für sich entdeckte. Pioniere wie Rupprecht Geiger und Günter Fruhtrunk sind hier zu nennen. Im internationalen Kontext ist es vor allem das Vorbild von Frank Stella, das bis heute auf junge Künstler anregend wirkt. Zwei Stränge sind beim Blick in die Kunstgeschichte deutlich zu erkennen: Von Anfang an waren die Neonfarben ein Thema der Konkreten und abstrakten Maler. Etwas versetzt entdeckten die amerikanischen Pop-Art-Künstler den Reiz der grellen Leuchtfarben. Die Farbe bot Möglichkeiten für neue Raum- und Wahrnehmungserfahrungen. Sie waren aber zugleich ein adäquates Mittel, um die Werbewelt, den billigen Kitsch und Glamour ins Bild zu holen. Einerseits verfremden Leuchtfarben den Gegenstand und lenken den Blick auf Farbwirkung, Form und Raum. Auf der anderen Seite kann genau dieser Verfremdungseffekt genutzt werden, um Alltagsgegenstände auf- oder umzuwerten. Die Neonfarben eignen sich vortrefflich, um Signale zu setzen und dadurch auf bestimmte Eigenarten explizit hinzuweisen. Trotz dieser Eigenschaften ist in den 1980er Jahren eine bemerkenswerte Lücke festzustellen. Mit wenigen Ausnahmen, wie Peter Halley, setzt der Boom der Neonfarben erst wieder in den letzten Jahren ein. Zahlreiche ungegenständlich arbeitende Künstler wie Berta Fischer, Shannon Finley, Arne Quinze oder Anselm Reyle befassen sich seither intensiv mit den Neonfarben und haben keine Berührungsängste mit der Alltagswelt. Für sie spielt die Trennung zwischen Konkreter Kunst und Pop-Art keine Rolle mehr. Die jüngste Generation vereint im Grunde die zwei starken Tendenzen, die von Anfang an die Geschichte der Leuchtfarben prägten, und entwickelt neue Wege. Amely Deiss, Kuratorin am Museum für Konkrete Kunst, ist es zu verdanken, dass dieses wichtige Farbthema in seiner ganzen Komplexität erstmals aufgegriffen wurde. Es ist einzig ihre Idee und ihre Umsetzung, die diesem Projekt zugrunde 7 liegt. Für ihr großes Engagement und ihre akribische Recherche möchten wir ihr herzlich danken. Selbstverständlich ist dabei eine kuratorische Auswahl getroffen worden. Beliebig hätte man die Reihe mit Neonkunstwerken fortsetzen können, doch ging es um markante und repräsentative Tendenzen und vor allem um eine Einordnung in die Konkrete Kunst, die für das Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt besonders wichtig ist. Für die Stadt galerie Saarbrücken hat Dr. Andrea Jahn eine entsprechende Anpassung realisiert, die sich vor allem auf die zeitgenössischen Positionen besinnt. Auch der Katalog stellt eine Pionierarbeit dar und bietet deshalb neben einer kunsthistorischen Betrachtung eine naturwissenschaftlich-chemische Entwicklungsgeschichte der Tagesleuchtfarbe und einen Essay zum Modephänomen Neon. Zudem wurden die Künstler gebeten, ihre Faszination an der fluoreszierenden Neonfarbe zu erläutern. Die Zitatsammlung eröffnet das ganze Spektrum der Zugänge und lässt über die unterschiedlichen Intentionen der Künstler staunen. Hinzu kommen zwei historische Texte zum Thema von Timm Ulrichs und Manfred Kuttner. Den beteiligten Künstlern und Künstlerinnen sei für ihre offene Mitteilsamkeit sehr gedankt. Besonderer Dank gilt auch jenen Künstlerinnen und Künstlern, die für die Ausstellungen vor Ort neue Werke konzipiert haben. Sehr herzlich möchten wir uns auch bei allen Leihgebern und den hilfsbereiten Galerien bedanken. Die Herausforderung, einen Neonkatalog zu drucken, nahm freundlicherweise der Wienand Verlag an. Allen Beteiligten war dabei klar, dass die Abbildungen den Werken niemals gerecht werden können. Es gilt also — mehr noch als bei jeder anderen Kunstausstellung auch —, dass nur in der eigenen Anschauung die Wirkung der Kunst erfahrbar wird. Dem Grafiker Florian Frohnholzer vom Büro Sofarobotnik ist es zu verdanken, dass es dem Katalog trotzdem nicht an Überzeugungskraft mangelt. Dank gilt auch den Sponsoren: In Ingolstadt ist die Unterstützung durch die AUDI AG bei der Stiftung für Konkrete Kunst und Design wesentlich und trägt auch zu dieser Ausstellung bei. Ebenso gilt unser Dank der Firma Uedelhoven. Schließlich gilt unser großer Dank den Teams der beiden Museen, die mit bescheidenen Mitteln und überschaubarer Mitarbeiterzahl eine solch umfangreiche Themenausstellung stemmen. Nur dank der hohen Motivation und dem unermüdlichen Einsatz jedes Einzelnen führt diese Unternehmung zum Erfolg. Atelier Rupprecht Geiger, Pigment-Raum 9 Amely Deiss Das Gegenteil von zurück haltend: Tagesleuchtfarben in der Kunst »Neonpink schreit: ›Ich bin hier!‹, im Gegensatz zu Rosa, das sagt: ›Du hast mich entdeckt, ich bin etwas rosa‹«.1 Neonfarbe schreit. Auf Reklameschildern und Handzetteln schreit sie: »Kauf mich!«, »Komm herein!« oder »Begehr mich!«. Auf Schranken, Fahrzeugen und Warnwesten schreit sie: »Pass auf!«, »Nicht anfassen!« oder »Aus dem Weg!«. In diesem Zusammenhang ist die Botschaft klar, man versteht, warum gerufen wird. Schreit sie einem aber, wie in der Kunst, einfach zu, »Linien auf einer Fläche!«, »Gelb!« oder »Ein Caféhausstuhl!« — was ist dann? Neonfarben sind deutlich leuchtender als andere Farben, ohne dass sie dafür zusätzlich angestrahlt werden müssten. Spezielle Farbstoffmoleküle »absorbieren und reflektieren […] einen Teil der Strahlung des für uns sichtbaren Lichts, wandeln im Unterschied zu gewöhnlichen Pigmenten jedoch einen Teil der absorbierten Strahlung nicht in Wärmeenergie, sondern in Lichtenergie um.«2 Ihre ursprüngliche Bezeichnung lautet daher »Tagesleuchtfarben«. Häufig sind ihnen auch fluoreszierende Pigmente beigemischt, die nur bei An strahlung mit UV -Licht leuchten. Die Farbgruppe der Leuchtfarben — mit selbstleuchtenden, nachleuchtenden, fluoreszierenden und eben Tagesleuchtfarben, die über einen langen Zeitraum in Alchemie und Chemie entwickelt wurden — kam in unterschiedlichen Ausprägungen schon ab 1870 auf den Markt. Tagesleuchtfarben beziehungsweise Neonfarben gab es ab den 1950er Jahren zu kaufen, tatsächliche Verbreitung fanden sie jedoch erst ein Jahrzehnt später.3 Neonfarben sind Eyecatcher, optische Ausrufezeichen. Und das nicht nur deshalb, weil sie so intensiv leuchten, dass man sie schneller, direkter und intensiver wahrnimmt als andere Farben, sondern auch, weil sie in der natürlichen Umgebung nicht vorkommen. Kein Wunder also, dass sich Künstler für die Fähigkeiten und besonderen Eigenschaften dieser Farben interessierten, sobald man sie kaufen konnte. Rupprecht Geiger (1908—2009), dessen erklärtes Ziel es war, dem Betrachter die Farbe als reine Materie zu vermitteln, war dies bald bewusst. Sehr früh, bereits 1952, fanden Neonfarben Eingang in seine Kompositionen. 1985, nachdem Geiger bereits seit gut zwanzig Jahren fast ausschließlich diese Farben verwendet hatte, erläuterte er: »Die Tages-FluoreszenzLeuchtfarben werden von mir als abstrakte Farben gesehen, weil sie nicht in der Natur vorkommen und geeignet sind, den Begriff ›Farbe‹ besonders eindeutig zu dokumentieren.«4 11 Jeremy Deller 54 Bless This Acid House, 2005, Siebdruck, signierter Proof, 35 × 55 cm (42 × 62 cm gerahmt), Sammlung Schutoine, Paris /Art:Concept, Paris Sylvie Fleury 60 Beide Abbildungen: Untitled (Cuddly Paniting Pink), 1999, Kunstfell auf Rahmen, 40 × 40 cm, Daimler Kunstsammlung Berlin / Stuttgart Rupprecht Geiger im Interview mit Maria Wetzel, 1963, zit. nach: »Rupprecht Geiger. Zweite Zeit bis 1965«, in: Peter-Klaus Schuster (Hrsg.), Rupprecht Geiger, München 2001, S. 102. Rupprecht Geiger Kadmiumrot oder Orange, an sich sehr leuchtende Farben, müssen sich gegen dieses kalte Rot [Pink] durchsetzen, gegen seine Vehe menz. Es kommt zu einem drama tischen Geschehen, das mich fasziniert. Ich bin wegen dieses Leuchtrots angegriffen worden; aber ich bin fest davon überzeugt, dass man diese intensiven Far ben verwenden muss. Ich könnte mir denken, dass ein Maler wie Grünewald(es gibt eine Ge schichte, nach der er eine weite Reise nach Italienunternommen haben soll, um eine Farbe zu er halten, von der er begeistertwar) das Leuchtrot ebenso verwen det hätte, wenn es ihm zur Verfü gung gestanden hätte. 666/73, 1973, Acryl auf Leinwand, 150 × 140 cm, Archiv Geiger Roman Lang Neon ist die scharfe Schwester von Grau. 100 EZ #1, 2012, Acryl, Buntstift, Lack, Spray auf Multiplexplatte, 190 × 175 cm, Atelier Roman Lang Thomas Lenk Schichtung 8a — Oświecimmemorial, 1973, Holzplatten, pink, 300 × 300 × 150 cm, AtelierThomas Lenk / Galerie Schlichtenmaier Der »Trick« der Schichtung produ ziert einen Gegenstand, dessen tatsächliches Volumen nicht genau bestimmt werden kann. Wenn auch die Täuschung erkannt und die tatsächliche Ausdehnung durch den Betrachter erkundet werden kann, wird dem Rezipien ten immer ein »Mehr« an Volumen suggeriert. Diese Irritation wird durch die Verwendung von Leucht farbe durch ihren optischen Effekt insofern verstärkt, indem sich die Farbfläche äußerst aggressiv zwischen die Skulptur und den Betrachter schiebt. Diese vom Objekt weg-, auf den Betrachter zuführenden Farbflächen veran lassen ihn, seine gewohnte Räum lichkeit zu einem ästhetischen Objekt zu überprüfen. Mira Lenk im Gespräch mit Thomas Lenk, November 2013, nach: Thomas Lenk, Texte zur Kunst und zur eigenen Arbeit, Ostfildern 2003. 108 Lemuren 2, 1973, Foto einer Collage, Frontflächen der Schichtung mit pinkfarbe nem Papier überklebt Lemuren 3, 1973, Foto einer Collage, Frontfläche der Schichtung mit silbernem Papier überklebt Lemuren 7, 1973, Foto einer Collage, Figur des Mannes mit pinkfarbenem Papier überklebt Lemuren 9, 1973, Foto einer Collage, Frontfläche der Schichtung mit leuchtgelbem Papier überklebt Lemuren 5, 1973, Foto einer Collage, Frontflächen der Schichtungen mit leucht gelbem Papier überklebt Lemuren 6, 1973, Foto einer Collage, Frontflächen der Schichtungen mit leucht grünem Papier überklebt Lemuren 10, 1973, Foto einer Collage, Frontfläche der Schichtung mit pink farbenem Papier überklebt Lemuren 12, 1973, Foto einer Collage, Frontflächen der Schichtungen mit pinkfarbe nem Papier überklebt Alle Abbildungen dieser Doppelseite: 90 × 70 cm, Atelier Thomas Lenk / Galerie Schlichtenmaier 109